Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

James Ellroy – Ein amerikanischer Albtraum [Underworld U.S.A. 2]

Nachdem 1963 bereits Präsident John F. Kennedy mit Billigung des FBI von der Mafia ermordet wurde, gerät fünf Jahre später sein Bruder Robert – der einen Feldzug gegen das organisierte Verbrechen führt – ins Visier der Verschwörer … – Erschreckend plausibel entwickelt Autor Ellroy im zweiten Band der „Underground U.S.A.“-Trilogie seine alternative, von Korruption und Komplotten gezeichnete ‚alternative‘ Geschichte der USA fort. Während die dichte Handlung erschreckt und fesselt, stört Ellroys offensiver, allzu ‚literarischer‘ Stil, der von kurzen, stakkatohaften Sätzen geprägt bzw. zerrissen wird.
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Lehtolainen, Leena – Im schwarzen See

Dank Leena Lehtolainen mischt auch Finnland mit, wenn es um die erfolgreichsten skandinavischen Kriminalromane geht. Die Krimis der finnischen Erfolgsautorin sind im eigenen Land bereits erfolgreich verfilmt worden, aber auch in Deutschland erscheint mit „Im schwarzen See“ bereits der achte Fall, in dem Maria Kallio ermittelt. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Lehtolainen ihren ersten Kriminalroman und zählt heute zu den erfolgreichsten und renommiertesten finnischen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie bei Henning Mankell ist es auch bei Lehtolainen die menschliche Seite an ihrer Kriminalkommissarin, die ihren Romanen die besondere Note verleiht und dadurch sicherlich sehr zum Verkaufserfolg ihrer Romane beiträgt.

Im aktuellen Lehtolainen-Krimi ist Maria Kallio nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt und muss dort sogleich einen Mord aufklären. Der Verlagsbesitzer Atro Jääskeläinen meldet seine Frau Annukka Hackman als vermisst, und tatsächlich wird sie bald ermordet im See Humaljärvi aufgefunden. Es scheint, als wäre sie mit ihrer eigenen Waffe erschossen worden, während sie gerade im See schwamm. Annukkas Exfreund Hannu Kervinen arbeitet als Pathologe für die Kriminalpolizei und bricht völlig zusammen, als Annukka, die er immer noch über alles liebt, als Mordopfer auf seinem Untersuchungstisch landet. Doch damit nicht genug, wird Kervinen des Mordes verdächtigt, weil er Annukka auch nach ihrer Hochzeit immer noch nachgestellt hat. Aber auch Atro Jääskeläinen hat für die Tatzeit kein wirklich wasserdichtes Alibi.

Eine dritte vielversprechende Spur führt zur Familie Smeds, da Annukka vor ihrem Tod an einer Biografie über den berühmten Rallyefahrer Sasha Smeds geschrieben hat. Während ihrer Nachforschungen über Sashas Leben muss Annukka auf eine heiße Sensationsgeschichte gestoßen sein, denn sie wollte um alles auf der Welt diese Biografie veröffentlichen, auch wenn sie nicht mehr von Sasha autorisiert werden sollte. Merkwürdigerweise finden sich in Annukkas aktuellem Manuskript keine verdächtigen Geschichten, die einen Mord rechtfertigen würden. Maria Kallio tappt lange Zeit im Dunkeln und muss zusätzlich mit privaten Problemen kämpfen. Seit sie wieder zur Arbeit geht, beschwert sich ihr Mann Antti zunehmend darüber, dass sie sich nicht mehr um ihre Familie kümmert. Er sitzt dagegen arbeitslos in der ungemütlichen Wohnung und versorgt die gemeinsamen Kinder. Als schließlich wichtige Informationen an die Presse gegeben werden, Zwistigkeiten in Maria Kallios Kollegenkreis auftauchen und sie bemerkt, dass ihr Vorgesetzter Jyrki Taskinen vielleicht doch mehr für sie ist als nur ein guter Freund, erhält Maria einen geheimnisvollen Anruf von Hannu Kervinen. Kurz darauf wird eine weitere Leiche gefunden und der Zeitdruck lastet mehr denn je auf den ermittelnden Beamten …

Leena Lehtolainen steigt sofort mit einem Mord in ihre Romanhandlung ein und schafft damit das erste Spannungsmoment, das uns an ihr Buch fesselt. Anschließend lässt sie sich allerdings sehr viel Zeit, um eine glaubwürdige Rahmenhandlung zu entwickeln, die für eine gelungene Atmosphäre sorgt und das Buch mit Leben füllt. Hier passiert nicht gleich ein zweiter Mord, der auf einen psychopathischen Serienkiller hindeuten würde, sondern Lehtolainen stellt uns alle verdächtigen Personen und die handelnden Figuren eingehend vor. Dabei tauchen wir richtiggehend in Maria Kallios Gedankenwelt ein und erleben dadurch all ihre Sorgen und Probleme hautnah mit. Ihr Beruf und ihre Familie wachsen ihr über den Kopf, zusätzlich fühlt sie sich in der engen Wohnung unwohl. Hinzu kommt Anttis Antriebs- und Mutlosigkeit, die ihn sogar überlegen lässt, eine Arbeitsstelle in England anzunehmen. In diese schwierige Situation platzen eine schwere Grippe ihres zweijährigen Sohnes Taneli und ein verdächtiges Paket von einem Gefängnisinsassen für ihre kleine Tochter Iida, außerdem kommen die Ermittlungen kein Stück voran. Maria weiß nicht weiter und muss schließlich mit einem Wechselbad der Gefühle, Zwist und Eifersucht unter ihren Kollegen kämpfen.

Die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Aufklärung des Mordfalls ist also denkbar schlecht; hier finden wir fast die gleiche Trostlosigkeit wie im schwedischen Ystad wieder, nur dass Lehtolainen auf brutale Details und fiese Mordtechniken vollständig verzichtet. Ihr aktueller Kriminalroman ist geprägt von persönlichen Problemen der Kriminalkommissarin Kallio, die uns durch diese privaten Schilderungen sehr sympathisch wird.

Aber auch die anderen Figuren werden uns genauer vorgestellt, da Leena Lehtolainen sich auf einen kleinen Kreis von Verdächtigen beschränkt und diese Personen stattdessen eingehend präsentiert, um uns zum Miträtseln zu animieren. Fast schon wie bei Agatha Christie kommt Lehtolainen mit einer Hand voll verdächtiger Personen aus, von denen im Prinzip allerdings jeder der Mörder sein könnte. Immer wieder tauchen neue Verdachtsmomente auf, und wenn ein Tatverdächtiger schon fast als Mörder feststeht, gibt es eine neue Spur, die auf jemand anderen hindeutet. Hier beweist Lehtolainen wirklich großes Geschick für das punktgenaue Einstreuen neuer Informationen, die ihrer Handlung eine neue Wendung geben. Unterschwellig scheint sich alles auf eine bestimmte Person hinzuentwickeln, aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Leena Lehtolainen am Ende noch einmal?!

Trotz dieser Lobeshymnen kann man „Im schwarzen See“ wohl nicht generell jedem Krimifreund empfehlen, eher würde ich meinen, dass Lehtolainen wie ihre norwegische Kollegin Anne Holt eher „Frauenkrimis“ schreibt, die sich nicht so sehr auf blutige Details stürzen oder wie bei Wallander auf ausgefeilte Mordtechniken, sondern auf die persönliche Seite der handelnden Personen. So müssen wir uns mit zwei Leichen „begnügen“, obwohl das Buch sicherlich vom Umfang her Platz für mehr gelassen hätte, doch dann hätte Lehtolainen ihre Rahmengeschichte nicht so weit ausbauen können, die jedoch einen Großteil des Lesevergnügens ausmacht. Am Ende trauert man mit Maria Kallio, wenn der Täter gefunden und der Fall aufgeklärt ist, denn hier ist es keine Erleichterung, einen fiesen Mörder überführt zu haben; die Autorin präsentiert uns hier vielmehr ein menschliches Schicksal, für das wir Verständnis haben. Seltsamerweise haben wir deswegen am Ende mehr Sympathien für den Täter als für das Opfer.

Etwas unübersichtlich gestalten die zahlreichen finnischen (und daher für den deutschen Leser komplizierten) Namen das Lesen, denn es dauert eine Weile, bis man jedem Namen einen persönlichen Hintergrund zuordnen kann. Doch da im Grunde genommen jede auftauchende Person ihre Berechtigung in diesem Buch hat, gewöhnt man sich schließlich doch an die fremdländischen Namen. Störend empfand ich dagegen die Geschichte, die Leena Lehtolainen um Maria Kallios Kollegin Ursula rankt. Dieser Handlungsstrang bringt die eigentliche Erzählung nicht voran – ganz im Gegenteil, Ursulas Geschichte bremst sie eher noch aus. Leider finden Ursulas Ränkespielchen keinen echten Abschluss in diesem Kriminalroman und kommen mir deswegen etwas unnötig vor.

„Im schwarzen See“ wird wahrscheinlich nicht der Krimi des Jahres werden, dennoch hat die finnische Erfolgsautorin Lehtolainen wieder einmal einen spannenden und überaus interessanten Kriminalfall ihrer Kommissarin Maria Kallio vorgelegt, der seine Leser (besonders die weiblichen) sehr gut zu unterhalten weiß. Der Roman kommt psychologisch ausgefeilt daher und spielt mit den Sympathien der Leser, da wir am Ende mit dem Täter fühlen und nicht um das Opfer trauern. Bei Lehtolainen kauen wir nicht vor Spannung und Ungeduld unsere Fingernägel ab oder lassen nachts das Licht an, weil die Erzählung brutal und fesselnd ist, die Stärken dieser finnischen Kriminalreihe liegen vielmehr in der Figur der Maria Kallio und den glaubwürdigen Figurenzeichnungen; hier werden die persönlichen Schicksale ins Zentrum der Geschichte gerückt. Wer sich auf diese Erzählweise einlässt, wird mit diesem Roman sicherlich ein paar vergnügliche Lesestunden erleben.

Taylor, Andrew – Schlaf der Toten, Der

London, 1819. Der mittelllose Lehrer Thomas Shield erhält eine Stelle in einem Internat außerhalb der Stadt. Für den jungen Mann, der immer noch unter den traumatischen Folgen seines Kriegseinsatzes leidet, ist diese Arbeit ein großer Glücksfall. Zu seinen Schülern gehören auch die beiden zehnjährigen Jungen Edgar Allan und Charlie Frant, die sich wie Brüder ähneln und vom ersten Tag an die besten Freunde sind. Edgar ist ein kleiner Amerikaner, der von den Allans adoptiert wurde. Charlie ist der Sohn von Henry Frant, einem wohlhabenen Bankier, dem Teilhaber der berühmten Wavenhoe-Bank.

Nachdem Thomas Shield die Jungen einmal auf der Straße vor den Nachstellungen eines verwahrlosten Mannes bewahrte, kommt er in Kontakt mit der Familie Frant. Vor allem zu Charlies Mutter, Sophie Frant, fühlt er sich auf unerklärliche Weise hingezogen, aber auch Charlies Cousine, die kokette Flora Carswell, verwirrt seine Sinne. Hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, nutzt er bald jede Gelegenheit, um den Frants einen Besuch abzustatten.

Nach dem Tod des Gründers George Wavenhoe gerät die Bank in den Ruin. Als sich herausstellt, dass Henry Frant seine Kunden betrogen hat, steht die Familie Frant vor dem Bankrott. Kurz darauf wird die bis ins Unkenntliche zugerichtete Leiche eines Mannes gefunden, der als Henry Frant identifiziert wird. Die Witwe und der kleine Charlie werden von ihren Verwandten, den Carswells, aufgenommen und ziehen auf ihren Landsitz. Thomas Shield befürchtet, die verehrte Sophie Frant nie wiederzusehen – doch stattdessen engagiert ihn die Familie als Hauslehrer. In der Zeit auf dem Anwesen der Carswells gerät Thomas in ein Netz aus Intrigen und weiß schon bald nicht mehr, wem er trauen darf. Was hat es mit dem geheimnisvollen David Poe auf sich, der behauptet, er sei Edgar Allans Vater? Handelt es sich bei dem Ermordeten wirklich um den verschwundenen Henry Frant? In einer verschneiten Winternacht kommt es schließlich zu einem weiteren mysteriösen Todesfall …

Neblige Nächte, dunkle Gassen, verwinkelte Herrenhäuser und weite Wälder – „Der Schlaf der Toten“ besitzt alle Elemente, die man von einem Schauerkrimi erwartet. In gekonnter Manier zieht Taylor seinen Leser hinein ins viktorianische England, lässt ihn teilhaben an den Aufzeichnungen des jungen Thomas Shield und konfrontiert ihn mit einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die sich immer weiter zu einem undurchdringbaren Geflecht aus Lügen und Intrigen zu verstricken scheinen. Von kleinen Einschränkungen abgesehen, liegt hier ein überzeugender und fesselnder Historienkrimi vor, der nicht zu Unrecht mit dem „Historical Dagger“ ausgezeichnet wurde.

|Überzeugende Charaktere|

Ein großes Verdienst des Romans ist zweifelsohne die Identifizierung des Lesers mit der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler Thomas Shield. Schon zu Beginn wird klar, dass es sich hier um keinen strahlenden Helden handelt, sondern um einen Charakter mit Hang zur Labilität. Aufgewachsen ohne Mutter, verstarb sein Vater vor Beendigung des Studiums, so dass Thomas aus Geldmangel die Universität vorzeitig verlassen musste. Die traumatische Kriegserfahrung erforderte ärztlichen Beistand und ein unbeherrschter Gefühlsausbruch ließ ihn seine Stelle verlieren. Trotz des unerwartet großzügigen Erbes seiner Tante ist Thomas Shield kein Gewinner, sondern ein einsamer und verletzlicher junger Mann, für den man sich gerne ein bisschen Glück erhofft, mit dem man leidet, mit dem man hofft und dessen Schicksal einen spätestens in der zweiten Hälfte des Buches vollends in den Bann zieht.

Längst nicht so intensiv, aber doch als lebendig und anschaulich empfindet man die restlichen Charaktere, allen voran die Mitglieder der Familie Frant und ihr Umfeld: die zarte Sophie, die ihre eigenen Gefühle hinter das Glück ihres Sohnes stellt und deren zurückhaltende, undurchschaubare Art auf den Leser ähnlich faszinierend wirkt wie auf Thomas Shield; der kleine Charlie mit dem sensiblen Gemüt, der sich im Internat zunächst so verloren fühlt und durch die Hilfe seines Freundes Edgar die schwere Zeit übersteht; der undurchsichtige Henry Frant, der noch nach seinem Tod seine Familie ins Verderben reißt; und die reizvolle Miss Carswell, die es liebt, Thomas Shield in Verlegenheit zu bringen und immer wieder neue Verwirrungen provoziert. In dieser Charakterfülle liegt womöglich auch eine kleine Schwäche des Romans, da viele Figuren Erwartungen wecken, die sie unterm Strich nicht unbedingt einhalten können. Von manch einer Person erhofft man sich während der Lektüre noch eine größere Beteiligung an der Handlung oder gar eine Schlüsselrolle, muss am Ende jedoch feststellen, dass es wirklich bei einem Nebencharakter geblieben ist, der für die Handlung keine überraschende Bedeutung mehr beiträgt.

|Hommage an Poe|

Versierte Leser werden bereits bei der Erwähnung des kleinen „Edgar Allan“ aufmerken, offensichtlich wird es spätestens dann, wenn ein gewisser David Poe ins Spiel kommt: Der zehnjährige Schüler von Thomas Shield, dessen Rolle einiges zu den Rätseln im Verlauf der Handlung beiträgt, ist niemand anderes als Edgar Allan Poe, der berühmte Schriftsteller, der später mit seinen detektivischen und unheimlichen Kurzgeschichten in die Weltliteratur eingehen sollte. Im Anhang an den Roman finden sich dementsprechende biographische Anmerkungen des Autors zu Poes Leben und Werk. In behutsamer Manier wird hier versucht, die dunklen Jahre von Poes Schulzeit in Einklang mit der Romanhandlung zu bringen. Hier ist die Ähnlichkeit mit Charlie Frant eine Inspiration für Poes beliebtes Doppelgängermotiv; hier erinnert der Rabe aus dem gleichnamigen Gedicht bewusst an den sprechenden Papagei; und hier galten die Worte auf dem Sterbebett dem ehemaligen Lehrer. – Andrew Taylor kombiniert mit viel Geschick eine fiktive Handlung um das düstere Leben des großen Schriftstellers, ohne dabei je zu weit zu gehen und den Namen Poe als bloßen Aufhänger für seine Geschichte zu benutzen. Erfreulicherweise ist genau das Gegenteil der Fall: Trotz seiner Bedeutung für den Verlauf der Handlung drängt sich Edgar Allans Gestalt nie in den Vordergrund. Die Hauptfigur ist und war, auch trotz des Originaltitels „The American Boy“, Thomas Shield, und dem kleinen Edgar bleibt die Rolle des ungezähmten Schülers, der wie nebenbei durch scheinbare Nebensächlichkeiten den Geschehnissen immer wieder neuen Auftrieb verleiht.

|Zwischen Schauerkrimi und Sittenbild|

Mit knapp 570 Seiten kommt der Roman recht umfassend daher, was vor allem im Vergleich mit der tatsächlich geschilderten Handlung auffällt. Oftmals muss der Leser seine Geduld unter Beweis stellen, wenn es wieder einmal an ausufernde Passagen geht, in denen nicht wirklich viel passiert, sondern das Geschehen ruhig vor sich hin plätschert. Kleidungen und Örtlichkeiten werden ebenso ausführlich beschrieben wie belanglose Gespräche und gesellschaftliche Etikette. Hin und wieder ertappt man sich dabei, dass man geradezu auf das nächste bemerkenswerte Ereignis lauert. Andrew Taylors Schilderungen geraten nie langweilig, so dass man etwa Gefahr liefe, das Buch vorzeitig aus der Hand zu legen – doch er bewegt sich unzweifelhaft hart an der Grenze und reizt die Ausdauer seiner Leser gehörig aus. „Der Schlaf der Toten“ ist kein Thriller im modernen Sinne, der dem Leser atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Seite verspricht und der alle seitenlang mit neuen Enthüllungen aufwartet.

Stattdessen lullen einen die atmosphärischen Beschreibungen ein, ziehen den Leser mit hinein die Welt des Thomas Shield, die nach außen hin so malerisch wirkt und hinter deren Fassade düstere Abgründe lauern. Das Werk ist nicht nur ein Historienkrimi mit Anleihen an den Schauerroman, sondern auch ein Sittengemälde der viktorianischen Zeit. An der Person des mittellosen Thomas Shield, der sich auf dem Parkett der gehobenen Kreise bewegt, wird die Zwiespältigkeit dieser Gesellschaft deutlich. Shield wird nie als ihresgleichen angesehen, obwohl er im Gegenzug über den gewöhnlichen Bediensteten steht. Dem modernen Leser mögen die häufigen Verbeugungen und Ehrerbietungen, die Gedanken über Schicklichkeit und Contenance zunächst befremdlich vorkommen, und doch versetzt man sich rasch hinein in diese Welt der großen Bälle, der Herrenhäuser, der Droschken und der knicksenden Dienstmädchen. Diese Welt, die sich par excellence als Folie für mysteriöse Vorkommnisse eignet, beispielsweise in einer verschneiten Winternacht, in der Thomas über den Landsitz der Carswells irrt und die verschwundenen Jungen sucht, während in der Ferne der Wälder eine tödliche Wilderer-Falle zuschnappt …

So ergibt sich ein faszinierender Schauerkrimi aus dem viktorianischen England, der geschickt eine fiktive Handlung um Todesfälle in der gehobenen Gesellschaft mit der Biographie des Schriftstellers Edgar Allan Poe verbindet. Die ausschmückende Sprache und die detailreichen Schilderungen von Nebensächlichkeiten sorgen für die eine oder andere Länge, doch insgesamt bietet sich ein spannender Roman voller Rätsel und lebensechter Charaktere – allen voran der Ich-Erzähler Thomas Shield -, die ein unterhaltsames und fesselndes Lese-Erlebnis vermitteln.

_Andrew Taylor_ wurde 1951 in England geboren und studierte in Cambridge, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein Spezialgebiet sind Kriminalromane, darunter unter anderem die Lydmouth-Serie und die Roth-Trilogie.

Gay Longworth – Haut und Knochen

Das geschieht:

Detective Inspector Jessie Driver steckt in der Krise: Ihr alter Chef und Mentor wurde pensioniert, mit seiner Nachfolgerin zerstreitet sie sich schon am ersten Arbeitstag. Kollegen kritisieren oder mobben sie. Privat leidet Jessie unter ihrer schwierigen Beziehung zu einem flatterhaften Rocksänger.

Auch der aktuelle Kriminalfall sorgt für Ärger. Die Tochter einer publicitysüchtigen Schauspielerin ist verschwunden. Die Ermittlungen führen u. a. in die Marshall Street Baths, eine alte, längst geschlossene Schwimmhalle, in deren Ruine sich nun Junkies herumdrücken. Die Verschwundene findet sich dort nicht. Dafür entdeckt man in der Aschegrube eines uralten Heizungskessels die vollständig mumifizierte Leiche eines Mannes. Man hat ihn gefesselt in die Grube gestoßen, dort von Ratten anfressen und schließlich ertrinken lassen; ein Mord, dessen Brutalität von Rache kündet.

Jessies Nachforschungen gestalten sich schwierig, doch schließlich wird das Opfer identifiziert – als Krimineller, der vor 14 Jahren spurlos verschwand, nachdem er einer Verurteilung als Kidnapper im letzten Moment hatte entkommen können. Entführt hatte der Mann Nancy Scott-Somers, Tochter einer prominenten und einflussreichen Familie, die sehr auf ihr Privatleben bedacht ist und keinesfalls dulden will, dass Jessie die alte Sache wieder aufleben lässt. Die Scott-Somers üben über Anwälte, hohe Beamte und Jessies Vorgesetzte Druck auf die Polizistin aus, die sich indes nicht abschrecken lässt, zumal sie auf ein sorgsam gehütetes Familiengeheimnis stößt, das die Scott-Somers als Dulder oder sogar Auftraggeber des besagten Rachemordes in Verdacht bringt. Bald wird es eng für Jessie, die immer wieder in die Marshall Street Baths zurückkehren muss, wo mehr als ein Geist umgeht, der Vergeltung fordert und diese mit Gewalt einfordert …

Geist/er des Verbrechens

Würde diese Geschichte in Edinburgh spielen, hätte wahrscheinlich Ian Rankin sie erfunden: Ein vertracktes Rätsel wurzelt in einer Vergangenheit, die längst nicht so tot ist wie die Leichen, die sie produziert hat. In diesem Fall scheinen sie buchstäblich durch die gekachelten Hallen des alten Schwimmbads zu geistern; sogar ein leibhaftiger Exorzist erläutert der ermittelnden Polizistin, wie das Spuken funktioniert.

„Die unruhigen Toten“ lautet der Originaltitel, der wie üblich dem Inhalt gerechter wird als die deutsche ‚Übersetzung‘. (Gay Longworth soll offenbar ins Fahrwasser der gern gekauften Seziersaal-Thriller gelotst werden; mit entsprechenden Wortspielen wird plump vor allem eine angebliche Nähe zur erfolgreichen ‚Kollegin‘ Kathy Reichs suggeriert.) Unruhig sind sie, weil sie ihre Angelegenheiten im Leben nicht regeln konnten oder ihre Angehörigen sie nicht ruhen lassen. Das Ergebnis ist eine ungute Mischung beider Sphären, wobei sich in den Marshall Street Baths ein regelrechter Schnittpunkt zwischen der diesseitigen Welt und dem Jenseits gebildet hat.

Die behutsame Annäherung eines ansonsten lupenreinen Polizeithrillers der britisch soliden Art an einen Schauerroman stört erfreulicherweise selbst den Puristen nicht; auch hier haben Longworth-Vorgänger von John Dickson Carr bis Ian Rankin Maßstäbe gesetzt. Ob es nun wirklich spukt, oder ob es die Zwangsvorstellungen verstörter Hirne sind, welche sich manifestieren, darf jede/r Leser/in selbst entscheiden. Longworth selbst wird jedenfalls nie müde zu beschreiben, dass jedes Kapitalverbrechen über die Folgen körperlicher Gewalt hinaus auch die Psyche nachhaltig beschädigt.

Die Spannung als glitschige Beute

Der eigentliche Krimiplot ist stabil und wird logisch durchgespielt, ist aber alles andere als originell. Wenn man sehr kritisch urteilen möchte, ist das „Spannungshighlight von einer ‚wahren Meisterin des Thrillers‘“ (Werbedonner auf der Umschlagrückseite) ein Patchwork-Krimi im Polizeimilieu, der mit kriminalistischen Sackgassen und Überraschungen (sowie weiteren Leichen) nicht geizt, also mit den Versatzstücken des Genres jongliert.

Freilich rutschen sie der Verfasserin im Finale aus den Händen: Die Auflösung des Plots kann nur als missglückt bezeichnet werden und lässt die bisher durchaus angetanen Leser verärgert zurück. Dazu lässt sich Longworth von der modernen Unsitte des Doppel- oder gar Dreifach-Finales verleiten, viel zu viel literarisches Pulver zu verschießen. Das Ergebnis ist keine Steigerung von Höhepunkten, sondern ein gegenseitiges Außerkraftsetzen.

Abgeschmeckt wird die Handlung mit viel Herzschmerz (s. u.) und selbstverständlich Sozialkritik. Von ersterem gibt es zu viel, letztere wird nicht annähernd so überzeugend vermittelt wie vom bereits mehrfach genannten Ian Rankin. So ist es in erster Linie das handwerkliche Können der Autorin, welches die Leser fesselt. Dazu kommen echte Highlights wie die Szenen in den verrottenden Marshall Street Baths (die es übrigens tatsächlich gibt, wie die Verfasserin im Nachwort anmerkt). Hier kommt echte Schauerstimmung auf, die zusammen mit einem eigenartigen Faible der Autorin für skurrile und splatterige Einschübe für eine angenehme Abwechslung sorgt, wenn zwischendurch wieder etwas zu viele Hände gerungen und Herzen gebrochen werden.

Ellenbogen und Kniekehlen-Schläge

Jessie Driver: eine moderne Frau in einer Männerwelt. Das bedingt jene Mischung aus Krimi und Seifenoper, ohne die heute kein Kriminalroman mehr auszukommen glaubt. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Schilderung des Polizeialltags. In ihrem Revier findet Jessie wenig Solidarität. Das schließt ihre männlichen Kollegen ebenso ein wie die weiblichen. Die einen bilden auch im 21. Jahrhundert eine verschworene Gemeinschaft chauvinistisch gestimmter Kerle, die wenig oder gar nichts von Frauen als Gesetzeshüter halten und das heimlich oder offen mit sexistischen ‚Scherzen‘, übler Nachrede oder offenes Mobbing demonstrieren. Da spielt viel Furcht vor der weiblichen ‚Konkurrenz‘ mit, die sich nicht an den ungeschriebenen „For-the-Boys“-Kodex hält, mit dem die Männer seit jeher ihren Dienstalltag regeln und Karriereplanung betreiben.

Paradoxerweise halten sich auch Frauen an dessen Spielregeln. DCI Moore hat es weit gebracht in der Polizeiwelt. Trotzdem ist sie unsicher und stößt Jessie lieber vor den Kopf, als ihr, der Untergebenen, im unfairen Kampf mit den intriganten Kollegen beizustehen. Die daraus erwachsenden Spannungen werden realistisch geschildert und tragen zur Atmosphäre dieses Krimis bei, obwohl sie nur mittelbar mit dem Mordfall zu tun haben. Longworth orientiert sich hier an Vorbildern wie Nigel McCrery mit seiner „Silent Witness“-Reihe um die Gerichtsmedizinerin Samantha Ryan sowie besonders Lynda LaPlante mit ihrer „Prime Suspect“-Serie (dt. „Heißer Verdacht“) um die im kollegialen Dauerstress stehende Jane Tennison.

Das Leben – ein Trauerspiel

Hätte es die Verfasserin bloß dabei belassen! Doch eine taffe weibliche Polizistin benötigt offenbar unbedingt ein publikumsattraktives Privatleben – ein möglichst desolates selbstverständlich. Also gibt es Longworth der armen Jessie knüppeldick: Ihr Lover ist ein nur bedingt treuer Rockstar, der außerdem unter Mordverdacht stand (vgl. „Dead Alone“, dt. „Bleiche Knochen“); die Mutter starb, ohne der seither offensiv trauernden Tochter die Gelegenheit zu einer letzten Aussprache gewährt zu haben; Jessie hadert deshalb mit Gott, der so eine Schweinerei zuließ; der sonst fast aufdringlich patente Bruder Bill lässt sich mit einer schmierigen Sensationsreporterin ein, die prompt Jessies schmutzige Privatwäsche an die Öffentlichkeit zerrt … Nein, es sind ein paar Nackenschläge zuviel, die der Heldin hier verabreicht werden. Sie sorgen für unnötige Längen in der Handlung und fallen in ihrer übertriebenen Dramatik eher lächerlich aus.

Hart an der Grenze zur Karikatur stehen die Scott-Somers, eine dieser schrecklich netten High-Society-Familien, die hinter einer einst glanzvollen Fassade (wie die Marshall Street Baths) völlig verrottet sind und ein Pandämonium finsterer Übeltäter und Psychopathen verbergen. Man belügt und betrügt einander, wobei das reichlich vorhandene Geld hilft, diese Exzesse bis ins Absurde zu steigern. Daneben gibt es noch eine hysterisch alternde Schauspielerin, ihre rollige Tochter, einen psychisch maroden Hausmeister sowie einen kannibalischen Witwer.

Noch gibt es also eine Menge zu feilen, lädt Gay Longworth ihrer Handlung zu viel Ballast auf. Potenzial hat die Jessie-Driver-Reihe zweifellos – und sei es nur deshalb, weil Longworth so geschickt zu liefern versteht, was die Mehrheit der Krimileser/innen wünscht: einen maßvoll unkonventionellen Thriller, der es angenehm gruseln lässt aber weder irritiert noch an Seelensaiten rührt, die man nicht unbedingt zur feierabendlichen Lesestunde in Aufruhr gebracht sehen möchte.

Autorin

Bisher ist über Gay Longworth (geb. 1970) nicht allzu viel bekannt – ein sicheres Indiz dafür, dass sie auf dem Krimimarkt noch nicht etabliert ist. Die üblichen Stützpfeiler einer möglichst werberelevanten Biografie sind bereits gesetzt. Da ist zum einen der lebenslange, intensive Wunsch zu schreiben, verknüpft mit dem langen, schwierigen Weg dorthin, auf dem es einige möglichst seltsame Jobs hinter sich zu bringen galt. In Longworthes Fall war dies u. a. ein Intermezzo in der Ölbranche, gefolgt von einem Einsatz als Animateurin in einem Club Med. 1997 erschien mit „Bimba“ ein erster Roman, dem bis heute drei weitere folgten. Seit 2004 hat Longworth keine Bücher mehr veröffentlicht.

Taschenbuch: 461 Seiten
Originaltitel: The Unquiet Dead (London: HarperCollins 2004)
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
http://www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Neuwald, Frédéric – Götterschwert

Thrillerspannung gepaart mit mysteriösen Dingen ist eine gut verkäufliche Rezeptur. Spätestens seit Dan Brown verkaufen sich solche Romane wie geschnitten Brot, weil eine hungrige Dan-Brown-Leserschaft auf der verzweifelten Suche nach passendem Nachschub ist. Und so verwundert es nicht, dass die Verlage immer wieder auf dieses Pferd setzen. Dass dabei nicht immer Gutes herauskommt, beweist der Franzose Frédéric Neuwald mit seinem Debütroman „Götterschwert“.

„Götterschwert“ erzählt die Geschichte eines sagenumwobenen Schwertes. Als der junge, aufstrebende Archäologe Morgan Lafet im Nachlass eines bekannten Wissenschaftlers ein sonderbares Schwert findet, ahnt er noch nicht, welche Kette von Ereignissen er damit lostritt. Wie sich herausstellt, starb der Wissenschaftler keines natürlichen Todes. Jemand hat ein wenig nachgeholfen. Vermutlich die gleichen Personen, die jetzt hinter dem sonderbaren Schwert her sind, das Morgan unter den Bodendielen des Hauses des Wissenschaftlers zusammen mit einem in verschlüsselter Sprache verfassten Tagebuch gefunden hat.

Morgan macht sich daran, das Schwert zu untersuchen, und wie sich herausstellt, scheint es sich um das Schwert von Alexander dem Großen zu handeln. Doch sonderbarerweise besteht das Schwert aus Titan, und dieses war zur damaligen Zeit natürlich noch vollkommen unbekannt. Morgan macht sich zusammen mit seinem jungen Assistenten Hans daran, das Tagebuch zu entschlüsseln. Er beschafft sich dank eines Sponsors Mittel für eine kostspielige Expedition, die das Geheimnis des Schwerts lüften soll. Doch Morgan ist nicht der Einzige, der hinter der Wahrheit herjagt. Es beginnt eine nervenaufreibende und lebensgefährliche Verfolgungsjagd kreuz und quer durch Europa …

Liest man den Handlungsabriss, so klingt das alles eigentlich noch recht vielversprechend. „Götterschwert“ scheint genau die Zutaten vorweisen zu können, die es für einen spannenden und mitreißenden Roman braucht: ein mysteriöses Geheimnis, ein Wissenschaftler auf der Suche nach der Wahrheit, zwielichtige Gestalten, die skrupellos ihre eigenen Ziele verfolgen, und eine temporeiche Verfolgungsjagd mit stetig wechselnden Handlungsorten. So weit, so gut.

Das, was Frédéric Neuwald allerdings aus diesen Zutaten macht, ist nicht gerade das, was man ein schmackhaftes literarisches Menü nennen kann – eher schwer im Magen liegendes „Junk Food“. Der Klappentext verspricht |“Spannung pur“| und stellt Frédéric Neuwald in eine Reihe mit Andreas Eschbach, der mit [„Das Jesus-Video“ 267 seinerzeit eine spannende und mitreißende archäologische Schnitzeljagd zu Papier gebracht hat. Herrn Neuwald allerdings in die Schuhe von Herrn Eschbach zu stecken, halte ich für absolut falsch, denn die sind ihm mehr als nur eine Nummer zu groß und er muss zwangsläufig schon nach wenigen Schritten ins Stolpern geraten.

Schwachstellen offenbart „Götterschwert“ in vielerlei Hinsicht. Allem voran ist es die Romankonstruktion, die auf etwas wackeligen Füßen steht. Nicht jede Handlungswendung erscheint sonderlich logisch, und so gibt es im Romanaufbau mehrfach Stellen, an denen man als Leser die Stirn runzelt und mit einem Kopfschütteln nicht ganz nachvollziehbar erscheinende Entwicklungen der Handlung in Kauf nehmen muss.

Oft ist es das Verhalten der Protagonisten, das einem nicht logisch erscheint. Wieso zum Beispiel Morgan seinen absolut unfähigen Praktikanten Hans in die Geschichte des Schwerts überhaupt einweiht, obwohl er ihn am liebsten auf der Stelle loswerden will, ist nicht ganz klar. Auch, wieso die Bösewichte sich die Mühe machen, einen ganzen Häuserblock in die Luft zu sprengen, nur um einen einzigen, ohnehin an den Rollstuhl gefesselten und hinreichend eingeschüchterten Widersacher zu beseitigen, mag nicht so recht einleuchten.

Unzulänglichkeiten dieser Art hat der Leser mehrfach hinzunehmen. Damit ließe sich ja leben, wenn zumindest die Lektüre an sich so spannend und rasant daher kommen würde, dass man während des Lesens kaum Gelegenheit hätte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Doch dem ist leider nicht so. Neuwald unternimmt immer wieder den Versuch, seinem Plot zu mehr Spannung zu verhelfen, aber leider vergeblich.

Die Entdeckung des Grabs von Alexander dem Großen kommt einem Spaziergang gleich und der eigentliche Handlungsverlauf ist mehr ein hitziges „Länder-Hopping“ als eine wirklich spannende Schnitzeljagd. Auf gerade einmal 360 Seiten verschlägt es unsere Helden in sage und schreibe sechs verschiedene Mittelmeerländer. Kaum sind sie an dem einen Ort angekommen, geht es auch schon weiter zum nächsten und meist geht es nur darum, in einem Besuch oder einem Gespräch die Fährte wieder aufzunehmen. So verläuft die Handlung zwar immerhin rasant, aber eben auch eher holprig als spannend.

Neuwald arbeitet von Haus aus beim Film, und das merkt man dem Roman sehr deutlich an. Hat er das Gefühl, der Roman tritt auf der Stelle, greift er zu Actioneinlagen, die vermutlich dem Zweck dienen sollen, die Spannung zu erhöhen. Das tun sie aber leider nicht unbedingt. Sie ziehen zwar kurzzeitig das Tempo an, da sie aber für den Handlungsverlauf eher überdimensioniert wirken, passen sie nicht so ganz zum Plot. So wie sich die geheimnisvollen Bösewichte den Weg teilweise freibomben und -brandschatzen, passt das nicht so ganz zu ihrer übrigen Vorgehensweise. Die Action wirkt also eher so, als wäre sie Mittel zum Zweck und sollte dem Roman die Spannung geben, die er ansonsten vermissen lässt.

Auch in der Figurenzeichnung bekleckert Neuwald sich nicht gerade mit Ruhm. Die meisten Figuren der Handlung wirken, als wären sie einem Katalog für Klischeeprotagonisten entnommen. Morgan ist der junge, aufstrebende Archäologe, gut aussehend, muskulös, mutig und von hohen moralischen Werten. Hans, sein Praktikant, tritt als der trottelige Assistent auf. Außer, dass er mittels seiner Computerkenntnisse das verschlüsselte Tagebuch entziffert, ist er eigentlich überflüssig für die Handlung. Und auch Amina, die hübsche ägyptische Archäologin, wirkt oft mehr wie schmückendes Beiwerk, für die kleine Affäre zwischendurch mit Morgan.

Mit Blick auf die Handlung bleiben recht viele Fragen im Raum stehen, denn die Antworten, die Neuwald liefert, sind teilweise ausgesprochen unbefriedigend. Das Rätsel des Schwerts wird kaum richtig gelöst. Den wirklich interessanten Fragen wird nicht mit dem Eifer nachgegangen, den man sich wünschen würde. Insgesamt bleibt die Auflösung mysteriös und das ist dann eigentlich auch der einzige Aspekt, auf den sich die Bezeichnung „Mysterythriller“ auf dem Buchdeckel beziehen ließe. Neuwald ist mit seinem „Mystery-Faktor“ am Ende aus dem Schneider, braucht nichts mehr großartig zu erklären und kann sich in allen ungelösten Fragen darauf berufen. Für den Leser aber ist das eher unbefriedigend.

Wie man sich im Hause |Knaur| dazu hinreißen lassen konnte, diese im Großen und Ganzen eher weniger zufriedenstellende Lektüre auch noch mit dem Etikett „Thriller des Monats“ zu versehen, bleibt übrigens mindestens genauso rätselhaft …

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass „Götterschwert“ ein Roman ist, den man nicht zwangsläufig weiterempfehlen muss. Es gibt am Markt genügend Thriller, die bei weitem besser sind. „Götterschwert“ krankt dagegen an vielen Schwächen: wenig Spannung, keine sonderlich mitreißende Handlung, Figuren, die den Leser weitestgehend kalt lassen, und ein Plot, der in vielen Punkten einfach zu sehr mit der Brechstange bzw. dem Titanschwert zurechtgebogen erscheint.

Kalla, Daniel – Pandemie

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist der Kampf gegen den Terror in den Medien ständig präsent, und auch die Angst vor bioterroristischen Angriffen ist nach wie vor vorhanden, auch wenn die Anthrax-Anschläge inzwischen lange Zeit zurückliegen. Doch so richtig sicher kann sich wohl niemand fühlen, haben Seuchen in der Vergangenheit und auch Grippe-Epidemien doch gezeigt, wie schnell und weit sich ein solches Virus verbreiten kann. Mit dieser Angst spielt auch Daniel Kalla in seinem aktuellen Roman „Pandemie“. Kalla arbeitet als Notarzt in Vancouver und erlebte 2003 den SARS-Ausbruch hautnah mit. Dies inspirierte ihn zu seinem packenden Thriller, in welchem Kalla seine ganz eigene Schreckensvision einer möglichen Pandemie zeichnet …

In der kleinen Provinz Gansu in China wird einem Patienten kurz vor seinem Tode Blut gestohlen – Blut, das ein tödliches Virus enthält und den Patienten innerhalb von wenigen Tagen umgebracht hat. Zur gleichen Zeit gibt Dr. Noah Haldane seine beliebten Vorlesungen an der Washingtoner Universität und prophezeit seinen Studenten eine Pandemie, die längst überfällig ist. Und Haldane muss es wissen, schließlich wird er von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Virusexperte an allen Krisenorten eingesetzt. So half Haldane auch in China mit, die Verbreitung des SARS-Virus zu stoppen. Auch die Direktorin der Bioterrorismus-Abwehr innerhalb der Abteilung für Zivilschutz, Dr. Gwen Savard, ahnt die drohende Katastrophe und fürchtet insgeheim bereits die gezielte terroristische Verbreitung eines tödlichen Virus.

Und dies ist genau der Plan des fanatischen Hazzir Al Kabaal, der als streng gläubiger Moslem der westlichen Welt einen Denkzettel verpassen möchte. In Afrika hat er sich sein eigenes Virenlabor aufgebaut, um von dort seine Aktion zu planen. Gezielt infiziert er seine Selbstmordattentäterinnen mit dem todesbringenden Virus und schickt sie auf die Reise in die westliche Welt. Khalilas Weg führt sie nach London, wo sie sich schwer krank in ein nobles Hotel schleppt und dort mit dem Fahrstuhl auf und ab fährt, um die Hotelgäste anzustecken. Aber auch in Hongkong und Kanada wird das Virus verbreitet. Kabaal verlangt den Rückzug amerikanischer Truppen aus allen islamistischen Ländern und droht mit der Aussendung einer Todesarmee, die das Virus über die Welt verstreuen wird.

Als Noah Haldane die Nachricht von der so genannten Gansu-Grippe erreicht, reist er sofort nach China, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Dort ist die Gefahr bald gebannt, doch dann taucht das Virus plötzlich in zwei großen Metropolen auf und bedroht die Welt. Durch die Mobilität der Menschen könnte eine Pandemie bevorstehen, die sich über die ganze Welt ausbreitet …

Für seinen Thriller hat Daniel Kalla sich ein Thema herausgegriffen, das nicht neu ist. Auch Hollywood hat es schon für sich entdeckt und in dem mehr oder weniger spannenden Film „Outbreak“ verwurstet. Doch Kalla begeht nicht den gleichen Fehler wie die Filmemacher aus Kalifornien, denn er hält sich zurück. Wo Hollywood den Zuschauer mit schreckenerregenden Phantasien überfrachtet, zeichnet Kalla seine eigene Vision einer möglichen Pandemie, die nicht minder furchtbar anmutet, die aber von einem wissenschaftlichen Hintergrund ausgeht und daher erstaunlich realitätsnah wirkt. Dies ist genau der Punkt, der das vorliegende Buch so brisant und packend macht, denn wir glauben Kalla, was er schreibt. Nach der Lektüre des Buches fragt man sich schon fast, warum wir bislang von derlei Angriffen verschont geblieben sind, wo Bioterrorismus doch eigentlich so nahe liegt.

In „Pandemie“ begegnen wir einem Virus, das jeden vierten Menschen innerhalb weniger Tage tötet, sich aber glücklicherweise nicht so schnell verbreitet wie die Grippe, da die Gansu-Grippe nicht annähernd so ansteckend ist. Das führt dazu, dass sich das Virus nicht gleich unkontrolliert über die ganze Welt verbreitet und jeden einzelnen Menschen bedroht, sondern eine relativ überschaubare Anzahl von Menschen trifft. Hier bekommen die Wissenschaftler und Terrorexperten die Chance, gezielt gegen die Verbreitung des Virus vorzugehen und Notfallpläne zu entwickeln. Dies mindert in keiner Weise den Schrecken, den Kalla mit seinem Buch verbreitet, denn jedem wird klar sein, welchen Schaden eine Selbstmordarmee hätte, die sich selbstlos opfert und dabei andere Menschen infiziert.

Nicht ganz so realistisch sind die Charaktere gelungen, die auch in diesem „Seuchen-Thriller“ dazu da sind, die Welt zu retten. Die Figuren wirken stereotyp und blass, wir erfahren zwar einiges über ihr äußeres Erscheinungsbild, aber die Charaktere haben kaum Ecken und Kanten. Besonders Noah Haldane wirkt wie eine leere Figurenhülse, der Kalla einen beeindruckenden wissenschaftlichen Werdegang sowie eine gescheiterte Ehe verpasst hat, um hier wirklich alle Klischees zu bedienen. Haldane und Savard stehen im Zentrum des Geschehens und ziehen dennoch wenig Sympathien an, da sie uns übermenschlich erscheinen und nicht wie authentische Personen.

Dennoch gibt es insgesamt nur ganz wenige Kritikpunkte, die anzuführen sind, wie beispielsweise eine Quarantäne im 5-Sterne-Hotel, die absolut unpassend ist und die entstandene Dramatik etwas abmindert. Ansonsten inszeniert Kalla seine Geschichte jedoch überaus geschickt. Zunächst stellt er seinem Thriller einen Prolog voran, der uns neugierig auf die folgende Geschichte macht und schon erahnen lässt, welche Schrecken den Menschen bevorstehen. Die Verbreitung des Virus geschieht langsam, aber packend, manchmal raubt Kalla uns mit seinem ausführlichen Schreibstil den letzten Nerv, wenn er in allen Einzelheiten eine Situation beschreibt und damit die Spannung auf die Spitze treibt, weil der Leser mit kribbelnden Fingern weiterliest, um endlich voranzukommen in der Handlung. An anderer Stelle dagegen hat Kallas Schreibweise ein unglaubliches Tempo, sodass sich auf wenigen Seiten die Handlung fast überschlägt. Kalla schafft hier genau die richtige Mischung aus eingestreuten Cliffhangern, steten Wechseln zwischen den exotischen Schauplätzen und einer bedrohlichen Ausbreitung des schrecklichen Virus.

„Pandemie“ ist ein klug inszenierter Thriller, der sich sehr positiv abhebt von sonstigen effektheischenden Büchern, die nur auf den plumpen Horror setzen, dabei aber einen erkennbaren Spannungsbogen deutlich vermissen lassen. Daniel Kalla hat ein Buch vorgelegt, das überzeugt und mitreißt. Am Ende bleibt man nachdenklich zurück, klappt das Buch zu und macht sich seine Gedanken zu der politischen Situation auf dieser Welt, in der religiöser Fanatismus und Hunger nach Macht bereits zu unglaublich viel Krieg und Schrecken geführt haben. Nach der Lektüre von „Pandemie“ schläft man erstmal nicht mehr ganz so beruhigt ein und verfolgt die Nachrichten aufmerksamer als zuvor. Somit bleibt festzuhalten, dass Kalla seine Ziele wohl erreicht hat: Sein Buch lässt sich flink durchlesen, dabei unterhält es ausgesprochen gut, allerdings nicht auf oberflächliche Art und Weise, sondern es hinterlässt einige Spuren und regt zum Nachdenken an. Was will man mehr?

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Deaver, Jeffery – Tod eines Pornostars

Am Time Square in New York detoniert in einem heruntergekommenen Pornokino eine Bombe. Das „Schwert Jesu“, eine Gruppe religiöser Fanatiker, bekennt sich zu dem Anschlag. Zufällig am Ort des Geschehens ist die junge Nancy Drew, genannt Rune. Als schlecht bezahlte und nicht ernst genommene Produktionsassistentin und Mädchen für alles verfolgt sie mühsam ihren Traum von einer eigenen Karriere als Regisseurin von Dokumentarfilmen. Das Attentat gibt ihr eine Idee ein: Rune will einen Blick auf die moderne Sexindustrie werfen.

Die Pornoqueen Shelly Lowe ist durchaus angetan von diesem Projekt. Seit jeher sieht sie sich als ernsthafte Schauspielerin, die sogar Theaterstücke schreibt. Da Shelly in der Tat einen Kopf auf den Schultern trägt, weiß sie viel zu erzählen über die düsteren Abgründe einer Menschen verachtenden Szene – zu viel offensichtlich, denn eine zweite Bombe bringt sie kurz darauf zum Schweigen.

Rune hätte es beinahe ebenfalls erwischt. Sie macht die Bekanntschaft des Bombenexperten Alex Healey, der schnell auch privat Gefallen an ihr findet. Allerdings wird die aufblühende Beziehung auf harte Belastungsproben gestellt. Rune betätigt sich für ihren Film als Privatermittlerin, benimmt sich dabei wie eine Elefantin im Porzellanladen und bringt sich überdies in Lebensgefahr: Hinter den Anschlägen stecken keine wirrköpfigen Tugendbolde, sondern kühl kalkulierende, verbrecherische Geschäftsleute, denen es ausschließlich um Geld geht. Eine neugierige Schnüfflerin schätzen sie überhaupt nicht. Während weitere Bomben explodieren, setzt sich ein Killer auf Runes Spur. Sie kann ihm entwischen, aber ihre Glückssträhne wird nicht ewig halten …

Ein früher, in Deutschland bisher nicht veröffentlichter Thriller von Jeffery Deaver: Das weckt Erwartungen, ist doch dieser Schriftsteller hierzulande mit seinen Romanen um den querschnittsgelähmten Meisterdetektiv Lincoln Rhyme und seine Assistentin Amanda Sachs ein großer Wurf gelungen. Auch „Tod eines Pornostars“ gehört zu einer Serie, besser gesagt zu einer Trilogie um die junge Punkfrau Rune. Besonders erfolgreich scheint sie nicht gewesen zu sein, sonst hätte sie Autor Deaver nicht abgebrochen. Erst sein derzeitiger Ruhm lässt auch Rune wieder auftauchen.

Was wir hier lesen, würde ohne das Gütesiegel „Deaver“ in der Tat nur mäßiges Aufsehen erregen. Das liegt zum einen daran, dass „Tod eines Pornostars“ in einer versunkenen Epoche spielt. Erstaunlich, in welche geistige Entfernung 1990 bereits gerutscht ist. Rune zieht mit einer bleischweren Videokamera durch die Straßen, vor allem ist das Handy als Massenartikel noch unbekannt. Dies bedingt einige auf Telefonmangel basierende Spannungsszenen, die so heute einfach nicht mehr funktionieren.

Zum „period piece“ – zum „historischen“ Kriminalroman – reicht es freilich nicht. Philip Marlowe ohne Handy und Notebook – das irritiert uns kaum. Doch Runes New York ist noch nicht „exotisch“ genug gealtert. Dazu kommt der mäßig spannende Plot. Ein Bombenleger sät Angst und Schrecken, während ihm ein wortkarger Polizist und eine flippige Amateurdetektivin auf die Spur kommen. Die Konstellation ist bekannt, viel weiß Deaver nicht daraus zu machen. Schlimmer noch: Wiederum bekommt er seinen Hang zu Doppel- und Dreifach-Final-Überraschungen nicht in den Griff. Der übliche irre Bomber wird gefasst, aber er ist gar nicht der einzige Schuldige. Aus Hut Nr. 2 springen nun tatsächlich die ad acta gelegten irren Fundamentalisten. Und als das abgehakt ist, taucht aus der Versenkung noch eine ganz besondere Bekannte auf. Nein, in dieser Häufung wirkt das einfach nur aufdringlich.

Dann ist da der Hintergrund des cineastischen Rotlicht-Milieus. Deaver versucht den Spagat zwischen politisch korrekter moralischer Entrüstung und vorsichtiger Toleranz: Porno verdammt er nicht grundsätzlich, aber trotzdem gibt es nur Täter oder Opfer. Die Materie ist zweifellos komplex und objektiv schwierig zu thematisieren, doch Deaver verharrt etwas zu deutlich auf der Ebene des ebenso faszinierten wie angewiderten Beobachters.

Für einen männlichen Schriftsteller bedeutet es zweifellos eine Herausforderung, eine weibliche Hauptfigur zu schaffen. Andererseits geht er damit ein Risiko ein, zumal ein guter Teil der Schaffenskraft in den Versuch fließt, eine möglichst überzeugende Heldin zu kreieren. Deaver hat sich Mühe gegeben, doch Rune will trotzdem nur bedingt Gestalt annehmen. Sie wurde außerdem von der Zeit überrollt und noch nicht wieder freigegeben: Ein „Punk“ von 1990 wirkt anderthalb Jahrzehnte später lächerlich. Weitere zehn Jahre später mag sich das im Zuge eines Revivals ändern.

Sprengstoffexperte Healey wirkt wie Lincoln Rhyme, als der noch laufen konnte. Als Cowboy in der Wildnis von New York stilisiert ihn Deaver – auch so ein Klischee, das nicht mehr richtig funktioniert. Wesentlich mehr Glück hat der Verfasser mit den Nebenfiguren. Sobald die Handlung im maroden Studio von Runes chaotischen Chefs spielt, kommt sogar echter Humor auf. Der ist auch bitter nötig, denn im bösen Sexfilm-Studio finden wir nur rücksichtslose Ausbeuter hinter und Koks schniefende, vom Schicksal gebeutelte Sklaven vor der Kamera.

Ganz und gar nicht gelungen sind fatalerweise die zahlreichen Schurken dieses Krimispiels. Deaver setzt sie aus dem Baukasten für verrückte Serienmörder und religiöse Spinner zusammen. Immerhin wirken sie weder genial noch charismatisch, was mit der Realität übereinstimmt, was der Verfasser in diesem Fall sehr wahrscheinlich unfreiwillig geschafft hat.

Fazit: Eine mäßig spannende Ausgrabung, die sogar für den Deaver-Fan höchstens ein Kann aber ganz sicher kein Muss darstellt.

Kerr, Philip – Coup, Der

Auf dem Rücken des vorliegenden Buches wirbt der |Rowohlt|-Verlag damit, dass sein Autor Philip Kerr „die intelligentesten Thriller seit Jahren“ schreibt. Sicherlich handelt es sich hierbei um einen verkaufsträchtigen Ausspruch, der allerdings die Messlatte für den „Coup“ sehr hoch hängt, sodass Kerr wohl zwangsläufig daran scheitern muss. In der Tat hat Kerr mit „Newtons Schatten“ einen außergewöhnlich spannenden und interessanten Krimi mit dichter Atmosphäre veröffentlicht, wodurch er sich deutlich von seiner Konkurrenz abgehoben hat, doch schafft er dies auch mit seinem aktuellen Thriller, der in der heutigen Zeit spielt, stellenweise den Zeigefinger erhebt und sich teils auch sehr kritisch mit der aktuellen Finanzwelt auseinander setzt, in der die reichsten Männer der Forbes-Liste mächtiger sind, als sie vielleicht sein sollten? Schauen wir uns dies genauer an …

Zunächst lernen wir die Köchin Eve Merlini kennen, die ihren Ehemann Brad in ihrem gemeinsamen Restaurant inflagranti mit einer Kellnerin erwischt. Eve sieht rot und droht ihrem untreuen Mann und seiner Liebsten mit lebenden Krebsen, bis die Polizei erscheint und dem Ehestreit ein Ende setzen will, doch Eve kann nicht nur hervorragend kochen, sondern besitzt darüber hinaus den schwarzen Gürtel und überwindet die auftauchenden Polizisten mit ihren Karatekünsten im Handumdrehen. Dieser kleine Vorfall kostet sie nicht nur ihre Ehe, sie landet außerdem für einige Monate im Gefängnis. Doch genau dieser Umstand wird ihr Leben in Zukunft verändern. Denn in den Schlagzeilen entdeckt der Multimillionär Bob Clarenco Eve und möchte sie für seine ganz eigenen Zwecke einsetzen.

Clarenco lädt Eve zu einem Abendessen in ein sündhaft teures Restaurant ein und erklärt ihr, dass ihn dies verglichen mit seinem Vermögen nicht mehr kosteten würde als Eve eine Pizza vom Bringdienst. Doch Bob Clarenco hat Eve noch mehr anzubieten: Nachdem die Aktien seines Unternehmens drastisch gefallen sind und er außerdem bei einer kostspieligen Scheidung viel Geld verloren hat, steht Clarenco nur noch mit einem Bruchteil seines Vermögens da und hat sich bereits einen Plan zurechtgelegt, mit welchem er sein Konto wieder aufstocken möchte. Hierfür benötigt er allerdings eine toughe und fähige Köchin, die sein zusammengestelltes Team zu perfekten Catering-Angestellten ausbilden kann. Eve lässt sich nicht lange bitten, denn das Schmerzensgeld für die beiden Polizisten musste sie mit ihrem Anteil am Restaurant bezahlen, sodass sie das von Clarenco angebotene Geld dringend zum Leben braucht.

In harter Arbeit lernt Eve die anderen Mitarbeiter als Köche und Kellner an, um mit ihnen bei Multimilliardär Cal Wallenberg eingesetzt zu werden, der einmal pro Jahr zwanzig andere Multimilliardäre auf sein Anwesen einlädt, um mit ihnen ein Luxuswochenende zu verbringen.

Nachdem zwanzig der reichsten Männer der Welt bei Wallenberg eingetroffen sind, verleben die Milliardäre zunächst einige angenehme Stunden und schmieden ehrgeizige Zukunftspläne, bevor die Caterer zunächst das Security Team ausschalten und anschließend die Milliardäre narkotisieren. Im Internet veröffentlichen sie ihre Forderungen für die Freilassung der Geiseln und schalten eine Webcam, auf der eine gefesselte Geisel zu sehen ist. Die Caterer drohen mit der Erschießung der Milliardäre, wenn ihre Forderungen bis zum nächsten Tage nicht erfüllt werden. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Philip Kerr erzählt in „Der Coup“ die Geschichte einer Geiselnahme, die zu Beginn recht geradlinig wirkt und kaum genug Stoff für einen Roman herzugeben scheint, doch im Verlauf der Erzählung müssen wir unser Bild revidieren. Die präsentierte Geiselnahme ist alles andere als alltäglich, zumal die Caterer eigentlich nicht vorhaben, irgendwelche Milliardäre zu ermorden, auch ihre zunächst vorgebrachten Forderungen inklusive des Schuldenerlasses für die Dritte Welt sind reine Tarnung, hinter allem steckt viel mehr, was Bob Clarenco selbst seinem Team erst spät offenbart. So kann Philip Kerr mit seiner Geschichte durchaus überraschen und unterhalten, zumal er uns ganz nebenbei einige sehr interessante und lehrreiche Dinge über die Börse und den Handel mit Optionsscheinen erklärt.

Auch die Erzählweise ist kurzweilig und versteht es, die Leser mitzureißen. Kerr hält seine Kapitel kurz und passt auch seinen Schreibstil der rasanten Geschichte an. Hier bekommen wir (leider) keine ausgefeilte Sprache zu lesen wie noch in „Newtons Schatten“, Kerr reitet vielmehr auf der aktuellen Erfolgswelle mit und orientiert sich dabei an Autoren wie Brown oder Crichton, die ebenfalls auf die vergängliche aber packende Literatur setzen. In diese Kerbe schlägt auch Philip Kerr, was ich persönlich etwas schade finde, da er bereits bewiesen hat, dass sein Repertoire durchaus mehr hergibt.

Leider überzeugen die Charaktere nicht vollends, die Figuren erscheinen vielmehr klischeehaft und wenig authentisch. Allen voran ist hier Eve Merlini zu nennen, die wir gleich zu Beginn als schlagkräftige Meisterköchin und betrogene Ehefrau kennen lernen, die in ihrer Vergangenheit als Kommandantin einer Gruppe von Panzerspähwagen mit den amerikanischen Soldaten in Kuwait einmarschiert ist. Auch bei der Schilderung der Biografien unserer Milliardäre scheint es mit Kerrs Phantasie etwas durchgegangen zu sein, hier reiht sich eine sensationelle Geschichte an die andere.

Äußerst reizvoll dagegen ist die Sympathieverteilung in „Der Coup“: Stets begleiten wir Eve, Bob Clarenco und ihr Team bei ihren Taten und sind Zeuge ihres Vorhabens, sodass wir mit ihnen mehr mitfühlen als mit den schwerreichen Geiseln, die zu ihrem Vermögen nicht nur durch legale Geschäfte gelangt und stattdessen rücksichtslos und egoistisch allein auf ihren Vorteil aus sind. So kommt es, dass wir den Geiselnehmern Erfolg wünschen, obwohl dies unserem Gefühl für Recht und Gerechtigkeit durchaus widerspricht. Philip Kerr übt hier Kritik an den Machenschaften der Finanzwelt und macht deutlich, wie mächtig ein Multimilliardär durch seinen großen Reichtum eigentlich ist. Hier werden dem Leser die Augen geöffnet, sodass wir manches nun vielleicht unter einem anderen Blickwinkel betrachten.

Die große Schwäche von Kerrs aktuellem Thriller liegt jedoch in seinem großen Finale, in dem sich die Ereignisse förmlich überschlagen und dem Leser unnötig viele Wendungen zugemutet werden, die die Erzählung schließlich vollkommen unrealistisch machen. Mit seinen Zaubertricks, die Kerr auf der Zielgerade aus dem Hut zaubert, überfrachtet er seinen Roman, ohne die Spannung dabei weiter zu steigern. Viele Situationen sowie die gezeichneten Charaktere wirken wie für eine Hollywoodproduktion geschrieben, die Figuren werden nicht mit Leben gefüllt und die inhaltlichen Wendungen am Ende erscheinen etwas lieblos; hier hätte Kerr lieber konsequent seine Linie durchziehen sollen.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass „Der Coup“ eine durchaus unterhaltsame Lektüre bietet, die schnell und flüssig durchgelesen ist und mit einigen angenehmen Überraschungen dienen kann. Doch hat Philip Kerr bereits bewiesen, dass er tatsächlich intelligentere Thriller zu schreiben in der Lage ist, sodass er mit seinem aktuellen Buch nicht ganz überzeugen kann. In Ansätzen ist die erzählte Geschichte gelungen und auch recht innovativ, doch sollte ein Autor die Geduld seiner Leser nicht überstrapazieren, wie Kerr dies mit seinem überfrachteten Finale getan hat. So reicht es leider nur zu einem mittleren Gesamteindruck, obwohl man aus der Idee sicherlich mehr hätte machen können.

Laurie R. King – Die Insel der flüsternden Stimmen

Die psychisch kranke Rae zieht sich auf eine einsame Insel zurück, um dort ein altes Haus wiederaufzubauen. In den Trümmern entdeckt sie Spuren, die auf ein hässliches Familiengeheimnis hindeuten, während in der Nacht Schritte und Stimmen hörbar sind … – Als Mischung aus Mystery und Thriller kann dieser Roman lange die spannende Balance halten. Dann kommt der Moment der Aufklärung, der die Geschichte ins Routinierte kippen lässt: trotzdem ein rundum spannendes Werk!
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Aaron Elkins – Yahi. Wald der Toten [Gideon Oliver 2]

In einem Urwald des US-Staates Washington wird die Leiche eines Wanderers gefunden. Tatwaffe scheint ein jahrtausendealter Speer zu sein. Wer könnte ihn mit übermenschlicher Kraft geschleudert haben? Als weitere Opfer auftauchen, bittet das FBI den Anthropologen Professor Oliver um Hilfe … – Der zweite Roman der Gideon-Oliver-Reihe stellt eine Mischung aus Krimi- und Science-Thriller dar, wobei die Wissenschaft auch im Dienst einer Botschaft steht, die sich aus der belasteten Kolonialgeschichte Nordamerikas speist: Mit manchmal zu deutlich erhobenem Zeigefinger erzählt der Autor eine oft eher interessante als spannende Geschichte. Aaron Elkins – Yahi. Wald der Toten [Gideon Oliver 2] weiterlesen

Jack Ketchum – Evil

Das geschieht:

1958 ist die Welt der US-amerikanischen Mittelschicht noch in Ordnung. Man fürchtet nur die Roten drüben in Russland und lässt die Haustür offen, denn den Nachbarn vertraut man, und ein guter Bürger und Kirchgänger hat nichts zu verbergen. Kinder sind rechtlose Wesen und haben nicht nur den Eltern, sondern allen Erwachsenen zu gehorchen. Wenn sie sich einfügen, haben sie in dem kleinen Städtchen, in dem diese Geschichte spielt, ein angenehmes Leben, denn es gibt viele Freunde und natürliche Abenteuerspielplätze an der frischen Luft.

In diesem Sommer erfährt zwölfjährige David, dass ins Nachbarhaus zwei neue Bewohnerinnen eingezogen sind. Die Schwestern Meghan und Susan Loughlin haben ihre Eltern verloren. Sie ziehen zu Ruth Chandler, ihrer Tante, die selbst drei Kinder versorgen muss: eine schwere Aufgabe, nachdem sie ihr Mann verlassen hat. Die Kinder der Straße schätzen sie jedoch, denn sie hat immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen. Jack Ketchum – Evil weiterlesen

Ian Rankin – Puppenspiel

Inspektor Rebus ermittelt in einem Frauenmord, verärgert dabei prominente Bürger, wird quasi strafversetzt und mit dem bizarren Rätsel kleiner Modell-Särge konfrontiert, die seit zwei Jahrhunderten an späteren Mordschauplätzen entdeckt werden … – Der 12. Band der Rebus-Serie ist einer der besten. Trotz eines hohen Mystery-Faktors bleibt die Handlung kriminell und der ‚realen‘ Gegenwart verhaftet: ein Lektüre-Genuss.
Ian Rankin – Puppenspiel weiterlesen

Stucke, Angelika – Gute Motive

Ironie und schwarzer Humor, das sind die beiden Stärken, die Angelika Stucke in ihrem Belletristik-Debüt „Gute Motive“ konsequent ausspielt und somit auch als Mittel für ihre teils erschreckenden, teils sehr seltsamen Kurzgeschichten benutzt. Zuvor nur als Autorin von Kurzgeschichten in spanischen Publikationen tätig, liefert Stucke hier ihr erstes deutschsprachiges Buch ab. 13 Kurzgeschichten sind in diesem kleinen Sammelband enthalten, und dreizehnmal wird aus der Ich-Perspektive heraus erzählt, wieso, warum und weshalb die jeweilige betroffene Person sich dazu entschieden hat, ein Gewaltverbrechen zu begehen. Oder anders gesagt, welch gutes Motiv die durchgehend weiblichen Protagonisten hatten, um ihren Plan auch durchzusetzen.

Es ist schon recht eigenartig, wie Stucke hier an ihre Erzählungen herangeht. Es sind teilweise ganz normale Alltagssituationen, aus denen heraus das weibliche Geschlecht dazu angestachelt wird, sein Gegenüber auszulöschen. So darf es einerseits skurril sein, wie beispielsweise in „Der Spanner“: Eine Frau fühlt sich von einem noch unbekannten Menschen belästigt, der sie ständig beobachtet. Als sie herausfindet, dass es sich hier um einen Jugendlichen handelt, beruhigt sie das zunächst ein wenig, doch im nächsten Moment entschließt sie sich, ihn zu vergiften.
Andererseits findet man auch perfekte Krimi-Themen: Bei „Männersache“ will sich eine Frau in mittleren Jahren ihres Ehegatten entledigen. Dafür verzichtet sie sogar auf ihren Liebhaber und tötet diesen. Doch warum sollte sie das tun? Schließlich hat nur ihr Mann ein Motiv für den Mord an dem südländischen Romantiker. Also unterstellt sie ihm den Mord, liefert ihm das erforderliche Motiv und ist von ihm befreit.

Und so bringt Stucke die verschiedensten Alltagsthemen auf den Tisch und spinnt individuell eine bizarre, mordlüsterne Geschichte um sie herum. Bei „Die Mordabsicht“ reicht schon der Verlust des Arbeitsplatzes für ein Motiv, in „Das Alter“ macht einer Frau die Pflegebedürftigkeit ihres Gatten Waldemar zu schaffen. Also denkt sie sich verschiedene Strategien aus, um ihn zu beseitigen und begründet ihre Tat damit, dass seine Hilfsbedürftigkeit ihn ohnehin dahinraffen würde.

Nicht der Gärtner ist der Mörder, sondern die Frau, und in „Gute Motive“ haben es die dunklen Gedanken des angeblich schwächeren Geschlechts wirklich in sich. Manchmal ist es schon fast abartig, mit welcher Selbstverständlichkeit die Damen hier ihre Attentate planen, aber auch mit welchen Gründen sie diese rechtfertigen. Stucke taucht jedes Mal wieder für kurze Zeit in die Gedankenwelt eines Menschen ein, der im Grunde genommen ganz normal ist, quasi wie du und ich, sich gleichzeitig aber auch für die fiesesten Missetaten und die erbärmlichsten ‚Selbsthilfetherapien‘ empfänglich zeigt. Obwohl in den dreizehn Geschichten dieses Buches einige Leitmotive in leicht abgewandelter Form öfter auftauchen, so sind die jeweiligen Schilderungen doch immer wieder erschreckend – meist aber auch genial umgesetzt.

Andererseits hat man am Ende des Buches dann auch wirklich genug von den kranken Plänen dieser Damen. Das Ende steht ja jedes Mal schon fest, und nur der Weg dahin bzw. die Art und Weise, wie die Beteiligten ihre Geschichte erzählen, ändert sich von Mal zu Mal, so dass irgendwann der Punkt kommt, an dem das Thema ausgereizt ist. Glücklicherweise ist man an diesem aber erst angelangt, wenn man das Buch ausgelesen hat. Jedoch muss man schon sehen, dass der Inhalt sich aufgrund des durchgängigen roten Fadens selbst arg limitiert, weshalb man sich vorher schon bewusst machen sollte, worauf man sich hier tatsächlich einlässt. Ist dies geschehen, bringt einem dieser Sammelroman von Angelika Stucke beste, beklemmende Unterhaltung, deren Niveau sich trotz des vergleichsweise schlichten Schreibstils stets an der Obergrenze aufhält.

Kurzweilig, interessant und gleichzeitig beängstigend – das ist „Gute Motive“. Und ich hoffe, dass der grundsätzlich positive Unterton dieser Rezension für die Leserschaft ebenfalls ein gutes Motiv ist, sich einmal näher mit der Autorin und diesem Buch auseinander zu setzen.

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Glenn Meade – Mission Sphinx

Das geschieht:

1939 reist Playboy und Abenteurer Jack Halder, Sohn einer Dame aus der New Yorker Gesellschaft und eines preußischen Großgrundbesitzers, nach Ägypten, um an archäologischen Ausgrabungen teilzunehmen. Begleitet wird er von seinem besten Freund Harry Weaver, dessen Vater als Verwalter für die Familie Halder gearbeitet hat. Im Schatten der Stufenpyramide des Pharaos Djoser lernen sie die Archäologin Rachel Stern kennen und verlieben sich beide in die junge Frau. Die unbeschwerte, gemeinsam verbrachte Zeit endet abrupt, als Hitler seine Truppen in Polen einmarschieren lässt: Der II. Weltkrieg hat begonnen. Die Wege der drei Freunde trennen sich.

Vier Jahre später hat der Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Jack Halder ist nach Deutschland zurückgekehrt. Zwar lehnt er das Hitler-Regime ab, aber seit seine Familie einem Luftangriff zum Opfer fiel, hat er den Alliierten Rache geschworen. Er ist zu einem der besten Spione der Abwehr geworden und hat sich auf Unternehmungen im nordafrikanischen Raum spezialisiert.

Rachel Stern musste als Jüdin die volle Grausamkeit des „Dritten Reiches“ erleiden. Daher bleibt ihr kaum eine Wahl, als ihr die Abwehr das ‚Angebot‘ unterbreitet, mit Jack Halder nach Ägypten zu gehen, um dort mit ihm ein hochbrisantes Unternehmen vorzubereiten: In Kairo werden sich im November 1943 US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill treffen – für die Nazis eine Gelegenheit, beide Staatsoberhäupter auszuschalten.

Die deutschen Aktivitäten in Ägypten sind nicht unbemerkt geblieben. Im Generalhauptquartier für den Nahen Osten arbeiten Briten und Amerikaner fieberhaft daran, den Anschlag zu verhindern. Lieutenant Colonel Harry Weaver vom Nachrichtendienst der US-Army wird die Leitung über ein Team übertragen, das die Attentäter entlarven soll. In der Wüste, den Labyrinthen alter Städte wie Kairo oder Alexandria und in den Ruinen Sakkaras beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel. Für Jack, Harry Rachel wird die Auseinandersetzung zu einer besonderen Zerreißprobe. Obwohl sie nun Gegner sind, finden sie erneut zueinander – bis sich herausstellt, dass eine/r von ihnen ein Verräter ist …

Vergangenheit und heikle Vergangenheit

Mit einem historischen Thriller, der zur Zeit des „Dritten Reiches“ spielt, lässt sich das Wohlwollen der Literatur-Kritik besonders in Deutschland schwerlich gewinnen. Angesichts der jüngeren Geschichte ist durchaus verständlich, dass es problematisch kann, die Welt zur Zeit des II. Weltkriegs als Abenteuer-Spielplatz für tapfere Helden und finstere Bösewichte zu benutzen. Das gilt erst recht, wenn auch die Prominenz des „Dritten Reiches“ persönlich auftritt. Die Versuchung ist groß, dieser die Züge typischer Hollywood-Schurken aufzuprägen, was der Handlung eines Romans zum Vorteil gereichen, angesichts des realen Grauens, das diese Männer vor gar nicht so langer Zeit entfacht haben, jedoch leicht einen schalen Nachgeschmack hinterlassen kann.

An dieser Stelle soll nicht erörtert werden, ob die unbekümmerte US-amerikanische oder britische Sicht auf dieses heikle Thema generell zu verurteilen oder unkommentiert zu akzeptieren ist; dies muss jede/r selbst für sich entscheiden. In den genannten Ländern (doch nicht nur dort) ist es jedenfalls legitim, das „Dritte Reich“ als Schablone für reine Unterhaltungsgeschichten zu verwenden. Am besten fährt der kritische Leser wohl, wenn er sich vor Augen führt, dass Meades Nordafrika trotz aller aufwendigen Recherchen (die der Autor in einem Nachwort beschreibt) rein fiktiv ist und mit der zeitgenössischen Realität etwa so viel gemeinsam hat wie das Rom Ben Hurs, der Wilde Westen John Waynes oder die Gotham City Batmans. Der spielerische Einsatz operettenhafter Nazi-Schergen negiert in keiner Weise die banale Bösartigkeit ihrer realen Vorbilder. Nur sehr schlichte oder vom Ungeist übertriebener „political correctness“ angekränkelte Gemüter setzen das eine mit dem anderen gleich.

Thriller mit vorab bekanntem Ausgang

Glenn Meade vermeidet die schlimmsten Fangstricke, indem er „Mission Sphinx“ auf einem Nebenschauplatz des II. Weltkriegs ansiedelt. Schriftstellerische Freiheiten kann man ihm vor der farbigen Kulisse des Nahen Ostens leichter verzeihen. Zwar vermag er der Versuchung nicht ganz zu widerstehen und bringt mit General Walter Schellenberg und Admiral Wilhelm Canaris vom deutschen Sicherheitsdienst zwei reale Figuren der Zeitgeschichte ins Spiel, aber er erspart seinen Lesern den in diesem Genre üblichen, von wagnerianischem Theaterdonner und Schwefeldunst begleiteten Auftritt von NS-Größen wie Göring, Himmler oder gar Hitler selbst.

Ansonsten müht sich Meade entschlossen, das große Manko seiner Geschichte zu überspielen: Da er einen gewissen Anspruch auf historische Genauigkeit erhebt, kann er es sich nicht erlauben, die Realität umzuschreiben. Im Klartext: Der Leser weiß, das alliierte Kommando-Unternehmen wird scheitern, denn weder Roosevelt noch Churchill sind 1943 einem Anschlag zum Opfer gefallen. So gilt es, dieses Scheitern an das Ende einer möglichst packenden Handlung zu stellen, um die Spannung zu erhalten, obwohl zumindest das historische Finale vorgegeben ist. Dies gelingt Meade im Großen und Ganzen gut. Dennoch seien einige kritische Anmerkungen gestattet.

Die dramatisch-tragische Geschichte dreier ‚normaler‘ Menschen in der Hölle des Krieges ist schon tausendfach erzählt worden. In dieser Hinsicht kann Meade mit keinen Überraschungen aufwarten. Sind seine drei Helden wider Willen erst einmal in Nordafrika eingetroffen, löst sich der Plot in eine einzige, vielhundertseitige Verfolgungsjagd auf. „Mission Sphinx“ könnte in diesem Teil um einige hundert Seiten gekürzt und die künstlich aufgeblähte Geschichte zu ihren Gunsten gestrafft werden. Die endlose Jagd durch die Wüste ist reiner Selbstzweck; sie wird wenigstens mit Schwung und Einfallsreichtum abgespult.

Kulissen statt Schauplätze

„Mission Sphinx“ spielt in Nordafrika, einem zumal in der Mitte des 20. Jahrhunderts fernen, fremden Land mit einer uralten, reichen Kulturgeschichte. Davon ist in dem Roman leider nur beiläufig die Rede. Kairo, Sakkara, Alexandria sind für Meade nur klangvolle Namen für exotische Orte aus 1001 Nacht und fantastische Kulissen für die aus Europa und Amerika importierten Helden und Bösewichter. Einige Szenen inmitten malerisch untergegangener Pharaonen-Herrlichkeit sind ein Muss für einen Roman, der in Ägypten spielt – dies unabhängig davon, wie logisch das im Gefüge des Handlungsgerüstes tatsächlich ist.

Der einheimischen Bevölkerung bleibt nur eine Statistenrolle. Als Individuen treten höchstens hinterlistige Handlanger der Nazis oder treuherzige Gehilfen der Helden auf, denen der Autor großzügig ihren Augenblick literarischen Ruhms gewährt, wenn sie eine verirrte Kugel trifft, was gleichzeitig den Guten Anlass für rührselige Gefühlsausbrüche bietet, die ihre edle Gesinnung unterstreichen sollen.

Auffällig sind die Verrenkungen, die Autor Meade unternehmen muss, um die Figur des Jack Halder als tragischen Helden aufzubauen. Deutscher Spion und hochrangiger Angehöriger des Sicherheitsdienstes darf er sein, Nazi aber auf keinen Fall. Also wird aus Halder ein „guter Deutscher“, der Hitler hasst und ihm nur dient, weil er als Soldat dazu verpflichtet ist – so sind sie halt, die Deutschen, wie Meade ‚weiß‘. Der Autor erledigt solche Schwarzweiß-Malereien lieber sofort, ehe er es später für das Drehbuch einer (erhofften) Verfilmung sowieso tun muss.

Diese (und andere, hier unerwähnt bleibende) Klischees mindern das Vergnügen an der Lektüre nicht entscheidend, solange man sich über eines im Klaren ist: „Mission Sphinx“ ist gewiss nicht der Fixstern am Literaturhimmel, als den die Kritik dieses Buch (besonders in den USA) der potentiellen Leserschar verkauft, sondern reine Kolportage – ein Unterhaltungs-Produkt, dessen Umfang eine Bedeutsamkeit suggeriert, die ihm indes nicht zukommt, das seinen eigentlichen Zweck aber hervorragend erfüllt.

Autor

Glenn Meade wurde am 21. Juni 1957 in Finglas, einer Vorstadt von Dublin, geboren, in der hauptsächlich Arbeiter lebten. Eigentlich wollte er Pilot werden, was an einer Augenkrankheit scheiterte. So studierte Meade Ingenieurswesen und bildete in New Hampshire Piloten am Flugsimulator aus. Später wurde er Journalist und schrieb u. a. für die „Irish Times“ und den „Irisch Independent“.

Parallel dazu begann Meade zu schreiben. Zunächst verfasste (und produzierte) er zwölf Stücke für das Strand Theatre in Dublin, mit denen die Darsteller auch auf Europa-Tournee gingen. Anfang der 1990er Jahre inspirierte der Fall der Berliner Mauer Meade zu einem ersten Roman. „Brandenburg“ (dt. „Unternehmen Brandenburg“) erschien 1994 und wurde auch außerhalb Großbritanniens ein Bestseller.

Meade verlegt seine Geschichten gern in die Vergangenheit. In diese Kulissen bettet er konventionelle Thriller-Elemente ein, die er mit ausladenden Liebesgeschichten anreichert. Meade-Romane sind lang und reich – an Handlung wie an Klischees. Wohl genau diese Mischung erfreut ein breites Publikum, weshalb Meades Werke in mehr als 20 Sprachen erscheinen.

Mit seiner Familie lebt und arbeitet Glenn Meade in Dublin und in Knoxville, US-Staat-Tennessee.

Taschenbuch: 748 Seiten
Originaltitel: The Sands of Sakkara (London : Hodder & Stoughton 1999)
Übersetzung: Susanne Zilla
http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Andreas Eschbach – Der Nobelpreis

Bestsellerautor Andreas Eschbach – so nennen ihn Verlage und Fans gleichermaßen begeistert. Mit „Der Nobelpreis“ liegt der neueste Roman vor, der diesmal keinerlei Elemente aus Herrn Eschbachs Ursprungsgenre, der Science-Fiction enthält, sondern ein hochklassiger Thriller ist.

Über Andreas Eschbach gibt es viel zu sagen, aber vor allem zählt, dass er hervorragende Romane schreibt. Er ist gebürtiger Deutscher, wohnt aber seit einiger Zeit mit seiner Familie in der französischen Bretagne. Für seine Romane erhielt er regelmäßig Auszeichnungen, zuletzt schaffte er es mit seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ über den Großen Teich – die Amerikaner, sehr zurückhaltend, was die Übersetzung fremdsprachiger Romane angeht, veröffentlichten ihn als edlen Hardcover unter dem Titel „The Carpetmakers“.
Weitere Infos unter http://www.andreaseschbach.de.

Der Nobelpreis

Für Hans-Olof Andersson ist der Nobelpreis eine Institution, für deren Glaubwürdigkeit er alles tun würde. Er schlägt ein enormes Bestechungsgeld aus, als er als Mitglied des Nobelkomitees für Medizin für eine bestimmte Kandidatin stimmen soll (was er allerdings ohnehin beabsichtigt hatte). Der Nobelpreis käuflich? Unvorstellbar! Da greifen die Hintermänner der Bestechung zu einer anderen Maßnahme und entführen des Professors Tochter. Hans-Olof versteht diesen Angriff auf den Nobelpreis als unduldbaren Übergriff und geht zur Polizei. Wie er jedoch feststellen muss, ist ein Polizeibeamter direkt involviert – unmöglich kann er sich den Beamten anvertrauen. Bleibt als letzter Ausweg sein ungeliebter Schwager Gunnar Forsberg, der als Industriespion im Gefängnis sitzt.

Auf Bewährung bringt Olof ihn heraus und überträgt ihm die Suche nach seiner Tochter Christina. Hochprofessionell gelingen Gunnar nächtliche Besuche bei wichtigen Personen der verdächtigten Firma (Wer würde wohl am meisten vom manipulierten Nobelpreis profitieren? Doch wohl die Firma, bei der der Träger arbeitet!) und dort selbst, doch auf unglückliche Weise scheint die Polizei einen Riecher für ihn zu besitzen, so dass ihm oft nur knapp die Flucht gelingt. Über Christina lässt sich allerdings wenig herausfinden. Stattdessen kommt Gunnar einer ganz anderen Geschichte auf die Spur.

Für den Leser

Wie Herr Eschbach immer betont, ist auch dieser Roman wieder ganz anders als seine Vorgänger. Für die Geschichte ist ein wunderschöner erzählerischer Trick unabdinglich: Der Perspektivenwechsel zwischen Hans-Olof und Gunnar. Das kommt völlig überraschend und bewirkt außerdem eine Änderung in der Erzählung selbst und ihrem Stil. Man kann in ihrem Ton Teile der Lebenseinstellung der beiden Erzähler erkennen: Olofs gleichmäßige, etwas phlegmatische Stimme gegen Gunnars sprunghafte, aufmerksame und lebensfreudige. Dabei sind beide Personen sehr selbstüberzeugt und sehen Fehler nur bei Anderen, vor allem Gunnar fällt hier auf. Er macht natürlich alles richtig – bis er fast auf die Nase fällt, glaubt er auch daran.

Andreas Eschbachs Kreativität zeigt sich deutlich in einer Szene, in der Gunnar außergewöhnlich knapp der Polizei entkommt: In einer nächtlichen Arztpraxis ausweglos festsitzend, täuscht er den Beamten den Beischlaf mit einer populären Persönlichkeit vor und gibt sich selbst als Arzt aus. Entscheidendes Element ist für die Abwiegelung des Misstrauens der Männer der hastig versteckte, aber lang genug sichtbare triefende Penis des „Arztes“.

So überraschend eine derartige Beschreibung auch kommt, Herr Eschbach versteht sein Fach: Als Bühnenbildner, Regisseur und Schauspieler im Theater der Fantasie benutzt er alle Mittel, um seine Geschichte in die Vorstellung des Lesers zu transferieren.

Was außerdem macht diesen Roman so gut? Wahrscheinlich spielt auch die Technik eine große Rolle, die Flüssigkeit, der Spannungsaufbau, der sich durch die häufigen Rückschläge Gunnars manifestiert. Und Herr Eschbachs professionelle Recherche, denn wenn man den sachlichen Informationen zum Beispiel über den Nobelpreis glauben kann, offenbart sich zu einem großen Medienereignis dieser Monate ein toller „BILD“-Fehler: Der in Kalifornien hingerichtete Gangster. Ob diese Hinrichtung nun moralisch vertretbar oder abzulehnen ist, wurde an anderen Stellen diskutiert. Hier geht es um den Nobelpreis, für den der Gangster gleich mehrfach nominiert gewesen sein soll. Herr Eschbachs Recherche ergab, dass diese Informationen unter Verschluss bleiben. Darauf ist auch ein wichtiger Handlungspunkt zurückzuführen, ohne den die Geschichte so nicht funktionieren würde. Künstlerische Freiheit von Herrn Eschbach oder mediale Fehlinformation? Leicht lässt sich auf Letzteres Tippen.

Die Geschichte lädt zum Miträtseln ein. So erscheint es doch plausibel, dass der vorbildliche Hans-Olof, der ja für die entsprechende Kandidatin stimmen wollte, durch den gescheiterten Erpressungsversuch dazu gebracht werden sollte, ihr seine Stimme zu verweigern. Aber wäre das sinnvoll? Herr Eschbach spinnt ein feines Netz aus falschen Fährten, die zum Teil extra für den Leser angelegt erscheinen, da sie von den Protagonisten missachtet werden, uns jedoch so deutlich vor Augen liegen. Schließlich kommt aber doch alles ganz anders.

Fazit: Andreas Eschbach sagte sinngemäß, wenn man noch ein Buch in diesem Jahr oder Jahrzehnt lesen wolle, solle man Wolfgang Jeschkes „Cusanus-Spiel“ lesen. Diese Aussage trifft weitaus eher auf den „Nobelpreis“, seinen eigenen neuen Roman zu. Das ist garantiertes Lesevergnügen für jedermann.

Khoury, Raymond – Scriptum

Auf den Spuren eines Dan Brown möchten heutzutage verständlicherweise sehr viele Autoren wandeln, insbesondere wenn es um die sagenhaften Verkaufszahlen von Browns Verschwörungsthrillern geht. So wundert es kaum, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren von immer mehr Kirchenthrillern geflutet wird, die allerdings oftmals nicht einmal annähernd auf der Brown’schen Erfolgswelle mitschwimmen können. Denn ein kirchengeschichtlicher Hintergrund – am besten natürlich unter Mitwirkung eines Geheimbundes – sowie ein relativ spartanischer und rasanter Schreibstil alleine reichen noch nicht aus, um beim Leser dasjenige Kribbeln hervorzurufen, das man beim Lesen von „Illuminati“ verspürt.

Auch Raymond Khoury hat sich mit den Tempelrittern und einem dunklen Vatikangeheimnis zwei sehr erfolgreiche Komponenten herausgepickt, die gepaart mit dem verkaufswirksamen Titel samt optisch hervorstechenden Buchcover praktisch einen Bestseller garantieren. Und richtig, „Scriptum“ verkauft sich hervorragend und wird an Weihnachten sicher so manch einen Bibliophilen erfreut haben. Doch eins muss man gleich vorweg feststellen: Dies widerfährt Khoury nicht ganz zu Unrecht, denn sein Buch sticht aus den zahlreichen mittelmäßigen Thrillern erfreulich positiv heraus. Doch beginnen wir zunächst beim Inhalt:

Im New Yorker Metropolitan Museum werden in einer Sonderausstellung Schätze des Vatikans präsentiert, die sich auch die hübsche Archäologin Tess Chaykin, ihre Mutter und ihre Tochter ansehen wollen. Doch dann tauchen plötzlich vier in Tempelrittertracht verkleidete Reiter auf, die einen Wachmann köpfen, die Besuchermenge in Schach halten und sich einige Schätze ergreifen. Tess kann dabei nur knapp einem der bedrohlichen Reiter entgehen, der sich zielsicher einen unscheinbaren Kasten greift und dazu geheimnisvolle lateinische Worte spricht. Nach dem Überfall schnappen die Reiter sich eine prominente Geisel und verschwinden über alle Berge.

Nachdem Tess ihren Schrecken überwunden hat und auch ihre Tochter wohlbehalten in die Arme schließen kann, fragt sie sich bald, warum der eine Reiter zielbewusst den so unbedeutend wirkenden Kasten erbeutet hat, der im Katalog als Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen geführt wird. Doch Tess‘ Gefühl sagt ihr gleich, dass dahinter mehr stecken muss. Bald stellt sie eine Verbindung des Überfalls zu den Tempelrittern her und beginnt mit ihren eigenen Nachforschungen.

Dies aber ist FBI Special Agent Sean Reilly ein Dorn im Auge, da er weiß, dass Tess sich durch ihre eigene Ermittlung unbewusst in große Gefahr begibt. Denn nach dem Überfall auf das Metropolitan Museum werden nach und nach die Leichen der Reiter aufgefunden. Irgendjemand verfolgt seine eigenen Ziele und ermordet zielsicher die Museumsräuber. Sogar der Vatikan hat einen Verbündeten in New York, der dafür sorgen will, dass ein gut gehütetes Geheimnis im Verborgenen bleibt. Während Tess ihren Nachforschungen nachgeht und sich allmählich in Reilly verliebt, werden die beiden von den Verfolgern zu den Verfolgten …

Raymond Khoury bedient sich einiger erfolgsversprechender Komponenten für seinen Tempelritterroman, die Garanten für seinen großen Verkaufserfolg sind: In Manier eines Dan Brown lässt er zwei Protagonisten auf den Plan treten, die gut aussehend sind und mutig agieren und sich natürlich im Laufe der Geschichte ineinander verlieben und folglich alle Gefahren gemeinsam durchstehen können. Aber in den Biografien beider Hauptfiguren finden sich dunkle Episoden, die ihr heutiges Leben noch überschatten und dafür sorgen, dass die Liebe zwischen Tess und Sean nur langsam gedeihen kann. Khoury bedient hier sämtliche Klischees und langweilt dadurch an mancher Stelle, doch verlangt inzwischen wohl kaum noch jemand nach realistischen Figuren in aktuellen Spannungsromanen.

Glücklicherweise aber geschieht diese Liebelei zwischen Tess und Sean nur nebenbei und steht nicht im Zentrum der Geschichte. Khoury konzentriert sich vielmehr darauf, seine Tempelrittergeschichte zu entwickeln. In einem rasanten Erzähltempo präsentiert er uns historische Informationen über die Tempelritter und ihre Verbindung zum Vatikan. Hierfür lässt er zwischendurch einige Kapitel in weiter Vergangenheit spielen, wo wir neue Protagonisten kennen lernen, die damals das große Geheimnis des Vatikan gehütet haben.

„Scriptum“ spielt an verschiedenen, teils recht exotischen Schauplätzen, zwischen denen Khoury hin und her blendet, um dadurch immer mehr Spannung aufzubauen. Besonders die erste Buchhälfte fällt dadurch sehr spannend aus. Ab der Hälfte jedoch übertreibt der Autor es ein klein wenig mit seinen Ausführungen. Hier überschlagen sich die Ereignisse dermaßen, dass Spannung und Glaubwürdigkeit darunter zu leiden haben. Die Ereignisse erscheinen nicht mehr so ausgefeilt, sondern eher wie eine bloße Aneinanderreihung von gefährlichen Situationen. Da der Leser sich zudem recht sicher sein kann, dass Tess Chaykin und Sean Reilly diese Gefahren überstehen werden, fehlt dem Leser etwas die Gänsehaut.

Stilistisch hat sich Raymond Khoury stark an Dan Brown orientiert; so zaubert er nicht nur ein Vatikangeheimnis aus dem Ärmel, das an dasjenige aus Sakrileg erinnert, sondern er bedient sich ebenfalls der kurzen Kapitel, die schon bei Brown für ein rasantes Erzähltempo gesorgt haben. Dennoch merkt man, dass die Geschichte bei Khoury bei weitem nicht so raffiniert ausgeklügelt ist wie bei seinem berühmten Kollegen. Dies ist auch ein großes Manko, mit dem „Scriptum“ zu kämpfen hat, denn das wohlgehütete Geheimnis, das Khoury uns so sensationsversprechend präsentiert, wirkt nicht sonderlich innovativ, sodass an dieser Stelle viel aufgebaute Spannung verpufft. Hier hätte ich mir eine größere Sensation gewünscht, die vielleicht noch kein anderer Autor verwendet hat.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Raymond Khoury mit seiner Geschichte sehr wohl zu unterhalten weiß und mit „Scriptum“ einen rasanten und spannenden Roman vorgelegt hat, den man gerne und gebannt liest. Doch leider kann Khoury nicht vollkommen überzeugen; Dan Brown hat die Messlatte mit „Illuminati“ und „Sakrileg“ einfach zu hoch gelegt, sodass Khoury diese Marke nicht erreichen kann. Den Vergleich verliert Khoury durch seine wenig innovative Geschichte, die leider nicht an jedem Punkt überzeugen kann und auch nicht mehr neu wirkt, außerdem übertreibt der Autor es am Ende seines Buches etwas zu sehr. Etwas weniger Action hätte der Glaubwürdigkeit seines Romans gut getan. Insgesamt ist „Scriptum“ somit zwar überaus lesenswert und versüßt die Zeit bis zum nächsten Brown-Thriller gut, ganz oben in einer Liga mit Brown oder Eco kann das vorliegende Buch allerdings nicht mitspielen.

Speemann, Rike – Feuer der Rache

Da denkt man doch als nichts ahnender Leser, dass nur amerikanische Frauen es mit umtriebigen Vampiren zu tun haben. Prominente Beispiele wären da zum einen Anita Blake, die toughe Vampirjägerin, die sich mit Kreuz und Knarre gegen die Avancen des smarten Vampirs Jean-Claude wehrt. Zum anderen könnte man die süße Kellnerin Sookie nennen, die stattdessen den (vermeintlich) einfacheren Weg wählt und seufzend in die starken Arme ihres untoten Lovers sinkt. Doch es gibt Hoffnung für all die deutschen Frauen da draußen, die ans Auswandern gedacht haben, nur weil es im eigenen Land keine feschen Vampire gibt. Rike Speemann macht’s möglich und präsentiert Peter von Borgo (was jetzt noch nicht arg sexy klingt), den Hamburger Vampir, der mit schwarzer Lederjacke und japanischem Motorrad durch Blankenese saust.

Doch von vorn: Eigentlich geht es um Sabine Berner, ihres Zeichens Oberkommissarin beim Hamburger LKA. Im Vorgängerroman „Der Duft des Blutes“ kam ihr zum ersten Mal Vampir Peter zu Hilfe, was ihrer Karriere nicht gerade förderlich war. Wegen Aussetzern und Gedächtnisschwund wurde sie vom Dienst suspendiert, bis sie sich von einem Psychiater begutachten lässt. Dem will sich Sabine natürlich nicht stellen, was soll sie ihm auch erzählen: Dass sie von einem Untoten umworben wird? Und so sitzt Sabine zu Hause und ist deprimiert. Ihr Job ist passé und ihr Ex-Mann geneigt, ihr das Besuchsrecht für die gemeinsame Tochter zu entziehen. Und an allem ist nur dieser Peter von Borgo schuld, der mit Vorliebe überraschend in ihrer Wohnung auftaucht und ihr Liebesschwüre ins Ohr säuselt.

Sabines Leben gewinnt schlagartig an Fahrt, als sie von der verschwundenen Iris erfährt. Ihre Großmutter erbittet sich Sabines Hilfe und diese macht sich auch sofort auf, das seltsame Verschwinden der bisher nicht auffällig gewordenen jungen Frau zu ergründen. Gleichzeitig mühen sich ihre Kollegen bei der Mordkommission mit einer Mordreihe ab, bei der gut betuchte und einflussreiche Hamburger elegant um die Ecke gebracht werden.

Und immer wandelt der geheimnisvolle Vampir am Rande des Geschehens. Was weiß er wirklich und kann Sabine den Beteuerungen seiner Unschuld tatsächlich glauben? Schließlich erweist er sich in vielen Fällen als hilfreich, enthält ihr aber offensichtlich Informationen vor. Peter von Borgo ist nicht loszuwerden. Doch mal ehrlich, wer will schon, dass er aus der Handlung verschwindet?

Hinter dem Pseudonym Rike Speemann versteckt sich die deutsche Erfolgsautorin Ulrike Schweikert, die unter ihrem richtigen Namen mehr das Metier des historisches Romans bearbeitet. Das Historische ist in „Feuer der Rache“ jedoch relativ nebensächlich: Über Peter von Borgos Vergangenheit erfährt der Leser nur wenig. Stattdessen ist der Roman eine Mischung aus Krimi und Vampirroman, mit Schwerpunkt auf der Krimihandlung. In guter Krimitradition hat Rike Speemann bis ins Kleinste recherchiert und macht so besonders den Schauplatz der Handlung, nämlich Hamburg, erfahr- und erlebbar. Auch die kleinen Ausflüge in den Wicca-Glauben schlagen in diese Kerbe, wirken jedoch ein wenig aufgesetzt.

Speemann fährt ein ganzes Arsenal an Figuren auf, schafft es jedoch, deren Innenleben immer überzeugend zu beleuchten. Der inzige, der immer ein Mysterium bleibt, ist Peter von Borgo selbst. Seine Motive entschlüsseln sich erst gegen Ende des Romans, auch wenn ein findiger Leser recht schnell die Richtung der eigentlichen Mordgeschichte erahnen kann. Der Herr von Borgo dagegen bleibt ein Geheimnis, vor allem in seinem unglücklichen Schmachten nach Sabine, die sich sträubt und windet. Alles in allem scheint Peter von Borgo noch viel Potenzial zu besitzen, das in den bereits veröffentlichten zwei Romanen um ihn noch nicht einmal angerissen wurde.

„Feuer der Rache“ ist ein durchdachter und raffinierter Krimi, der durch seine Liebelei mit Vampiren und Hexen aus dem unüberschaubaren Wust an Krimiveröffentlichungen heraussticht. Rike Speemann paart ihren Krimiplot mit sparsam dosierten Horrorelementen und einem guten Schuss erotischem Prickeln. Einigen Lesern mag diese Strategie bekannt vorkommen und tatsächlich ist Speemann längst nicht die Erste, die das Potenzial dieses Genremixes erkannt hat. Doch anstatt von anderen Autoren abzuschreiben, schafft sie es durchaus, ihr eigenes Universum aufzubauen. Man kann nur hoffen, dass es weitere Romane um Sabine und Peter geben wird, in denen das Mystery-Element mehr betont wird und man so mehr über den Vampirismus in Speemanns Romanuniversum erfährt.

„Feuer der Rache“ ist mit seinen fast 400 Seiten ein wunderbarer Schmöker für einen verregneten Winternachmittag oder eine lange Zugfahrt. Speemann erzählt flott und spannend und man mag das Buch kaum aus der Hand legen. Und das ist eigentlich alles Lob, das ein Krimi braucht, oder?

Kerley, Jack – letzte Moment, Der

Jack Kerley wird als der Shootingstar der amerikanischen Krimiszene gefeiert. Bereits mit seinem ersten Roman, dem Thriller „Einer von hundert“, gelang ihm in seiner Heimat der Durchbruch, und auch in Deutschland wurde man schnell auf den Autor aus Newport, Kentucky, aufmerksam. Nun legt der Erfolgsautor nach: In „Der letzte Moment“ widmet er sich seiner Passion für die berüchtigte Manson-Familie und verpackt seine Faszination für Massenmörder in einen unheimlich spannenden, fiktiven Krimi.

_Story:_

Anfang der Siebziger steht der berüchtigte Serienmörder Marsden Hexcamp nach langem Ringen endlich vor Gericht und muss sich für seine Taten verantworten. Vor dem Gerichtssaal wartet eine ständig weinende, junge Dame auf den Urteilsspruch, der – das ist nicht anders zu vermuten – die Todesstrafe mit sich bringen wird. Doch genau diese junge Dame kommt dem Richter zuvor und erschießt zunächst ihren anscheinend Geliebten und danach sich selbst, um den Ermittlern ein letztes Mal ein Schnippchen zu schlagen und die Kunst, die Hexcamp während seiner Lebenszeit zelebrierte, ein letztes Mal in einer gewaltigen Inszenierung zum Leben zu erwecken.

Dreizig Jahre später hat der Fall den ehemaligen Detective Jacob Willow noch immer nicht losgelassen. Willow, der damals bei der Urteilsverkündung ebenfalls anwesend war, die Tragödie aber nicht mehr verhindern konnte, hat sich seither mit dem skurrilen Fall beschäftigt und fleißig Anhaltspunkte finden können, die hinter dem Erbe Hexcamps eine sektenartige Gruppierung vermuten lassen, doch zu fassen bekommen hat Willow von diesem Verbund nie jemanden.

Nun wird aber in einem Motel eine brutal zugerichtete Leiche gefunden, und plötzlich steht der Name Hexcamp wieder im Brennpunkt der Ermittlungen. Die beiden Polizisten Carson Ryder und Harry Nautilus werden auf den Fall angesetzt und wollen so den Ruf, den ihnen gerade die Ehrung zur besten Polizeitruppe der Stadt erbracht hat, bestätigen. Allerdings geraten die Ermittlungen arg ins Stocken: einerseits, weil ein Fernsehteam um die nervige Journalistin Dansbury keine Ruhe geben will und Harry und Carson ständig in Rage bringt, und andererseits, weil der Fall noch weitere Leichen nach sich zieht, deren Tode offensichtlich mit dem Mord im Motel zusammenhängen. Der einzige Aufhänger für die beiden Cops sind einige Fetzen eines Bildes.

Als sie eines Tages mit dem berenteten Jacob Willow in Kontakt treten, entdecken sie die Parallelen zum Fall Hexcamp und rollen die Verbrechen des ‚Altmeisters‘ neu auf. Tatsächlich führt die Spur zu einer Untergrundorganisation, die damals von Hexcamp angeführt wurde, und weiterhin zu einer bizarren Gruppe Menschen, die sich mit dem Nachlass und den Tatwaffen berühmter Massenmörder beschäftigt und diese auch sammelt. Je abscheulicher das Instrument, desto höher der künstlerische Wert und somit auch der Preis – eine grausame Tatsache, mit der sich Carson Ryder auseinandersetzen muss, und die ihn schließlich auch zu einer fanatischen Anhängerin Hexcamps führt, bei der sich der Polizist weitere Infos holen kann.

Dennoch: Die Zusammenhänge wollen dem Team nicht klar werden, und erst als auf Geheiß ihres Chefs die verachtete Mrs. Danbury zum Team stößt, geht es voran. Gemeinsam reisen Ryder und Dansbury nach Paris und bekommen dort einen entscheidenden Tipp und weitere Hintergründe zum Aufstieg von Marsden Hexcamp. Doch erst der Zufall will es, dass Carson der Sache auf die Schliche kommt – doch da ist es schon zu spät …

_Meine Meinung_

Action von Anfang an; Jack Kerley legt sofort richtig los. Die ersten Szenen aus dem Gerichtssaal sind direkt enorm actiongeladen und zerren den Leser auch umgehend in die Geschichte hinein. Doch genauso schnell, wie man Zugang zur Story um Marsden Hexcamp gefunden hat, wird man auch wieder in die erzählte Gegenwart geworfen, in der die beiden Cops Ryder und Nautilus gerade ausgezeichnet werden. Von hier an wird die Geschichte aus der Perspektive Ryders erzählt, hat aber fortan auch einige Startschwierigkeiten.

Eine Leiche wird gefunden, ein Journalistenteam penetriert die Polizei ohne Unterlass und mittendrin steht das stets sehr reizbare Duo Ryder/Nautilus, ohne eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen. Enttäuschung macht sich breit, bis dann plötzlich Zusammenhänge zum alten Mordfall aufgedeckt werden und das Buch umgehend auch wieder an Farbe gewinnt. Nun sieht sich der Leser dazu veranlasst, beide Geschichten parallel zu verarbeiten, doch sobald man glaubt, sich endlich Klarheit verschafft zu haben, ist Jack Kerley einem auch schon wieder einen Gedankensprung voraus und führt den Leser auf die nächste (falsche) Fährte. Plötzlich steht ein vermisster Anwalt im Raum, eine seltsame Anwaltsfirma wird verhört und verdächtigt, Ryders Bruder, der sich wegen eines Mordes auf Lebenszeit im Gefängnis befindet, kommt als entscheidendes Element in Betracht und immer wieder tauchen neue Personen auf, die mit der Serie in Verbindung gebracht werden bzw. irgendwie mit hineingezogen wurden.

Na also, da haben wir ihn doch, den genialen Thriller mit seinen zahlreichen Wendungen und den vielen Charakteren, die zwar meistens etwas eigenartig sind, im Hinblick auf ihre Ausstrahlung aber stets am Boden des Realistischen verbleiben. Auch wenn die beiden Ermittler prinzipiell in die Rolle der Helden hineingedrängt werden, drohen sie nicht abzuheben und werden nicht schlagartig zu Superhelden, die mit spielerischer Leichtigkeit aus einem kleinen Indiz einen Fall von enormer Tragweite lösen, was der gesamten Story dann auch sehr zugute kommt.

Außerdem verschwendet Kerley im Laufe der Geschichte auch nie seine Erzählzeit damit, irgendwelche persönlichen Dramen in die Story zu integrieren. Die Konzentration gilt einzig und alleine den Ermittlungen und dem mysteriösen Fall um Marsden Hexcamp, den verschwundenen Anwalt und die neue Mordserie, deren Ursprünge mehrere Dekaden weit zurückgehen – alles super in Szene gesetzt und nach anfänglichen Längen mit einem sehr, sehr hohen Erzähltempo vorangebracht.

Am Ende ist dann auch klar, warum Kerley als Shootingstar gefeiert wird. Stilistisch stets bodenständig und in Bezug auf die Handlung immer nahe am Geschehen, ist „Der letzte Moment“ ein wirklich toller Mix aus Krimi und Thriller geworden, dessen besonderer Reiz in der Faszination für das Unmenschliche liegt. Kerleys Vorliebe für das Thema „Massenmörder“ und die daraus resultierenden, detailreichen Beschreibungen der bizarren Mordfälle verhelfen dem Roman schließlich zum international tauglichen Referenzformat und entlocken mir eine uneingeschränkte Empfehlung für diesen aufstrebenden Autor.

Bradby, Tom – Herr des Regens, Der

Tom Bradby scheint ein Autor mit einer Vorliebe für exotische Handlungsorte zu sein. Spielt sein aktueller Roman „Der Gott der Dunkelheit“ in Ägypten, so zieht es die Hauptfigur seines Debütromans „Der Herr des Regens“ nach Shanghai. Und noch eine Vorliebe Tom Bradbys lässt sich mit einem Blick ausmachen: der historische Kontext. Beide Romane verbinden exotische Schauplätze, Krimiplot und ein historisches Setting zu einer fesselnden und vielschichtigen Lektüre.

„Der Herr des Regens“ spielt im Shanghai der 20er Jahre. Über Zeit und Ort erfährt man im Geschichtsunterricht nicht unbedingt viel, so dass es sich empfiehlt, parallel zur Lektüre einmal die historischen Hintergründe von Shanghai nachzuschlagen. Bradby hat seinen Roman in einer äußerst bewegten Epoche der Geschichte der Stadt angesiedelt.

Viele Nationen mischen in der Stadtgeschichte mit. Vor allem die Briten beherrschen das Bild. Shanghai erlangt im Laufe der 20er Jahre Ruhm als Weltmetropole und bedeutender Handelsstandort. Chinesen, Briten, Franzosen und Russen leben in den unterschiedlichen Stadtteilen Tür an Tür. Mit dem Aufkommen des Kommunismus werden die Zeiten unruhiger und „Der Herr des Regens“ spielt genau ein Jahr, nachdem die britischen Truppen Studentenproteste blutig niedergeschlagen haben.

1926 kommt der Protagonist Richard Field in die pulsierende fernöstliche Metropole Shanghai. Er ist jung und unerfahren und flieht vor der beengenden Familie in England und der eigenen Vergangenheit ins ferne China. Hier tritt er seinen Posten im Sonderdezernat der Polizei von Shanghai an, in der Hoffnung, sich in den nächsten Jahren der ehrenvollen Aufgabe polizeilicher Ermittlungsarbeit widmen zu dürfen.

Doch schon bald muss Field einsehen, dass die Realität nicht ganz dem entspricht, was er sich erhofft hat. Shanghai entpuppt sich als Hort der Sünden, Gewalt und Korruption. Sein erster Fall erweist sich gleich als heikel. Eine junge Russin wurde brutal ermordet. Bei den ersten Nachforschungen stößt Field schon bald auf einen Namen, dem er in der nächsten Zeit immer wieder begegnen wird: Lu Huang. Lu Huang ist ein sagenumwobener chinesischer Gangster, der in Shanghai viele Fäden in der Hand hält. Field ahnt noch nicht, worauf er sich einlässt, als er mit den Ermittlungen beginnt, doch schon bald blickt er in die dunklen Abgründe der Stadt und muss erkennen, dass es äußerst gefährlich ist, unbequem zu werden, wenn man nicht weiß, wem man trauen kann …

Tom Bradby ist mit „Der Herr des Regens“ ein interessanter und spannender Roman geglückt. Er skizziert ein lebendiges Bild der 20er Jahre in der Stadt und vermittelt dem Leser dadurch ganz nebenbei den Anreiz, sein geschichtliches Wissen der Zeit zu vertiefen. Die Epoche bietet für sich genommen schon ein spannendes Szenario für einen Kriminalroman. Shanghai eignet sich hierfür im Besonderen. Die Stadt galt als Sinnbild des Abenteurertums der Zeit, als Ort, an dem man reich werden konnte. In Shanghai schien alles zum Greifen nah. Jeder Wunsch konnte erfüllt, jedes Bedürfnis gestillt werden.

Auf den Punkt bringen kann man die Stimmung von Zeit und Ort in einem Satz, den Aldous Huxley im gleichen Jahr ausgesprochen hat, in dem auch der Roman spielt. Huxley hat nach eigener Aussage |“in keiner Stadt je einen solchen Eindruck von einem dichten Morast üppig verflochtenen Lebens“| wie in Shanghai bekommen. Genau diese Stimmung beschwört Tom Bradby in seinem Roman herauf.

In diese Szenerie versetzt er den jungen, idealistischen Polizisten Richard Field, der schon bald erkennen muss, dass polizeiliche Ermittlungsarbeit nicht immer die Suche nach der Wahrheit zum Ziel hat. Field bewegt sich in einem Umfeld, das permanentes Misstrauen verdient, weil man nie weiß, wer mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung steht und wer nicht, und in dem jeder ausgesprochene Satz schon einer zu viel sein könnte. Besonders verzwickt ist Fields Lage auch dadurch, dass er durch seinen Onkel Beziehungen zu den Reichen und Mächtigen der Stadt pflegt. Für einen naiven Frischling wie Field kommt das einem Bad in einem Haifischbecken gleich.

Man spürt als Leser die allgegenwärtige unterschwellige Bedrohung, eine Atmosphäre, die bei aller Exotik immer wieder düster und beklemmend wirkt. In mancher Hinsicht erinnert „Der Herr des Regens“ an opulente und verworrene Krimi-Noir-Geschichten wie [„L.A. Confidential“ 1187 von James Ellroy. Desillusioniert und bedrückend, atmosphärisch dicht und irgendwie undurchdringlich. Wer Kriminalromane von diesem Schlag mag, für den ist auch „Der Herr des Regens“ vortreffliche Lektüre.

„Der Herr des Regens“ ist ein Roman, den man sich bildlich ausgesprochen gut vorstellen kann. Bradby lässt sich zum Einstieg Zeit, Atmosphäre aufzubauen, gibt seinem Protagonisten Field Gelegenheit, in seine neue Rolle hineinzuwachsen und baut die Spannung gemächlich auf, um den Leser dann zum Ende hin nägelkauend weiterlesen zu lassen. Besonders das letzte Viertel ist derart spannungsgeladen, dass man das Buch kaum zur Seite legen mag.

Wahres Kopfkino inszeniert Bradby und so kann man sich problemlos vorstellen, dass auch Hollywood an der Entwicklung der Figur Richard Fields und seinen heldenhaften Anwandlungen zum Ende hin Gefallen haben könnte. Andererseits fällt das Ende der Geschichte in Anbetracht der ansonsten so düsteren und dichten Stimmung des Romans auch ein wenig zu glatt und gefällig aus. Ein bisschen weniger Happyend hätte nicht geschadet und der Geschichte zusätzliche Glaubwürdigkeit verliehen.

Was die Verteilung der Rollen zwischen Gut und Böse angeht, so hätte Bradby sich meiner Meinung nach ruhig noch etwas mehr Mühe geben können, die Fährten ein wenig mehr zu verwischen. Die Andeutungen und Hinweise, die er ausstreut, sind manchmal einfach zu offensichtlich, so dass man als Leser mit etwas Krimierfahrung sicherlich nicht sonderlich überrascht ist, wenn enthüllt wird, wer richtig und wer falsch spielt, wer wirklich verdächtig ist und wer nicht. Und so erscheint zum Ende hin dann auch so mancher „Sinneswandel“ nicht unbedingt bis ins Mark glaubwürdig.

Ähnlich blass bleibt die Enthüllung des Mörders. Die Motive werden kaum deutlich und bleiben einfach zu schwammig und fragwürdig, um den Täter wirklich überzeugend erscheinen zu lassen, und so ist die Auflösung des Krimiplots sicherlich nicht zu den Highlights des Romans zu zählen. Atmosphäre und Spannungsbogen können aber durchaus dagegenhalten, um zumindest teilweise über diese Mängel hinwegzutrösten.

Bradby fährt eine lesenswerte und spannungsgeladene Mischung auf, die einerseits geschichtliche Hintergründe eines interessanten und exotischen Schauplatzes einbezieht und andererseits einen spannenden Plot mit interessanten Figuren entwickelt, der nebenbei gar noch eine verzwickte Liebesgeschichte auffährt. Die Mischung geht in jedem Fall auf, und so ist das Resultat ein unterhaltsamer und spannender Krimi, dem man die eine oder andere kleinere Schwäche aufgrund der dichten Atmosphäre und der Exotik des Schauplatzes gerne mal verzeiht.

Sullivan, Mark T. – Toxic

„Toxic“ hatte eigentlich schon gewonnen, da hatte ich noch nicht einmal die erste Seite des Buches aufgeschlagen. Die positiven Rezensionen, die das Buch überall zuvor bekommen hat und die Auszeichnungen, mit denen sich Autor Mark T. Sullivan schmücken darf, waren vorab bereits ein Garant für einen packenden Thriller. „Der Thriller des Jahres“, so steht es auf dem Cover, genau das soll „Toxic“ sein. Aber man weiß ja, wie so etwas dann meistens endet. Die hohe Erwartungshaltung schlägt in blanke Enttäuschung um, der Sticker auf der Vorderseite stellt sich als schlechter Witz heraus, und selber ärgert man sich erneut darüber, dass man so einfach auf die Ankündigungen aus dem Vorfeld der Veröffentlichung hereingefallen ist.

_Story_

Mary Aboubacar, ein Zimmermädchen in einer kalifornischen Kleinstadt macht beim Antritt ihres alltäglichen Dienstes eine schreckliche Entdeckung. Inmitten eines blank geputzten Schlafzimmers findet sie die Leiche eines Mannes, dessen Erscheinungsbild die afro-amerikanische Bürgerin darauf schließen lässt, dass der Mann an Ebola erkrankt ist. Zum Glück für die dunkelhäutige Dame hat sie sich jedoch in ihrem Urteil geirrt, denn der junge Mann, der brutal ans Bett gefesselt und gefoltert wurde, ist am Biss einer giftigen Schlange gestorben und hatte keine ansteckende Krankheit.

Sergeant Shay Moynihan wird beauftragt, sich um den mysteriösen Fall zu kümmern, ist aber gleichzeitig auch sehr intensiv mit seinem Privatleben beschäftigt. Seine Ex-Frau kritisiert sein mangelndes Verantwortungsgefühl und macht ihn dafür verantwortlich, dass ihr gemeinsamer Sohn Jimmy gegen alle guten Ratschläge rebelliert. Doch Shay bleibt wegen seines pikanten Jobs nichts anderes übrig als die Prioritäten zugunsten der Polizeiarbeit zu verschieben, was zwangsläufig dazu führt, dass sein Sohn und er sich von Tag zu Tag weiter auseinander leben.

Mitten in diese persönliche Misere stößt nun dieser seltsame Mordfall. Nicht nur, dass die ‚Mordwaffe‘ höchst ungewöhnlich ist; auch die Bibelzitate, die der Attentäter am Spiegel seines Opfers hinterlassen hat, geben dem Sergeant Rätsel auf. Die Ermittlungen kommen kaum voran, und während Moynihan einen Schlangenexperten aufsucht, taucht auch schon das zweite, übel zugerichtete Opfer auf. Wohl wissend, dass hier eine ganze Serie von brutalen Sexualmorden ins Rollen kommt, begibt sich Shay daran, den gerissenen Mörder in die Hände zu bekommen, doch der ist ihm wiederum voraus und hat auch schon ein weiteres Opfer in Sicht …

_Meine Meinung_

So, so, das ist also der „beste Thriller des Jahres“. Sind denn sonst keine anderen Bücher mehr erschienen? Oder denke ich einfach zu kompliziert, so dass mich diese leichtfüßige und weitestgehend zu simpel gestrickte Story nicht aus den Socken hauen kann? Nun, die Geschichte ist wirklich nicht der Renner und gerade mal dazu geeignet, als kurze Zwischenmahlzeit zwischen den tatsächlich gewichtigen Hauptgängen serviert zu werden – wenn überhaupt …

Sullivan macht es sich eigentlich ziemlich leicht. Er sucht einfach ein paar mysteriöse wirkende Themenschwerpunkts aus, kombiniert diese halbwegs schlüssig und glaubt, nun den perfekten Thriller erschaffen zu haben. Liest sich ja auch auf dem Backcover toll, wenn da von bizarren Sexualverbrechen, tödlichen Schlangenbissen und einer geheimnisvollen Botschaft des Täters die Rede ist. Doch bei all den Klischees vergisst der Autor offensichtlich, dass einzelne Elemente noch nicht die Bürgschaft für eine mitreißende Story liefern. Und genau das bekommt der Leser dann auch zu spüren. Die Geschichte geht nämlich fortlaufend so schleppend voran, dass man oftmals einfach die Motivation zum Weiterlesen verliert.

Das beste Beispiel sind die ersten hundert Seiten: Dort wird vom familiären Chaos des Sergeants Moynihan erzählt, ohne dass in irgendeiner Weise Tiefgang vorläge. Dann kommt natürlich der erste Mord ins Visier, doch auch der wird so oberflächlich beschrieben, dass man sich bereits hier fragt, wie denn überhaupt Spannung in die Angelegenheit hineinkommen soll. Als Letztes wird dann nach den Motiven gesucht, das allerdings auch so plump, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann. Nach dem ersten Viertel ist man schließlich genauso schlau wie vorher, und das kann ja wohl nicht die Intention des Autors sein.

Mit fortlaufender Handlung kann Mark T. Sullivan zumindest an diesem Manko etwas ändern. Es gibt so zur Mitte des Buches hin einen Knackpunkt, von welchem an die Story endlich mal in die Gänge kommt, wobei man aber auch von diesem Zeitpunkt an kaum Versatzstücke eines spannenden Romans findet. Klar, wenn man einmal so weit gekommen ist, will man natürlich auch wissen, was hinter der rätselhaften Mordserie steckt bzw. wer der Mörder ist, aber die dringende Lust, schnellstmöglich Ergebnisse zu bekommen, verspürt man dennoch nicht.
Das Familiendrama hingegen kommt nie so richtig in Fahrt und wirkt letztendlich auch ziemlich aufgesetzt. Wenn Sullivan hierbei bezweckt hat, der Geschichte einen dramatischen Beigeschmack zu verleihen, ist er jedenfalls gescheitert.

Gescheitert ist er insgesamt auch an der hohen Vorgabe, mit welcher der Roman beworben wird. „Toxic“ ist alles andere als Weltklasse. Sowohl die Charaktere als auch die Handlung sind bestenfalls mäßig, und die hohen Erwartungen können innerhalb der Geschichte nie befriedigt werden. Genre-Freunde werden deshalb auch nur dann Freude an diesem Roman gewinnen, wenn sie auf Tiefgang, durchgängige Spannung und Obskures gerne verzichten. Wem hingegen altbekannte Klischees und langweilige Akteure völlig ausreichen, der kann das Buch mal testen. Aber wer gehört schon zu dieser Kategorie …?