Preston, Douglas – Credo – Das letzte Geheimnis

Religion und Wissenschaft – können beide Bereiche miteinander oder zumindest reibungsfrei nebeneinander existieren? Wie interpretiert die Wissenschaft die Schöpfungsgeschichte? Wie oder was könnte Gott sein? Ein Energiefeld, eine Wesenheit, die wir noch nicht begriffen haben? Fragen über Fragen, die man bislang entweder mit Fakten der Wissenschaft oder seinem Glauben beantworten kann. Physik, Quantenphysik, Genetik, Relativitätstheorie mit den Gesetzen von Raum und Zeit – haben Gott und der eigentlich unbeweisbare Glaube an ihn und sein Wirken einen Platz neben diesen weltlichen Wissenschaften?

Douglas Preston hat in seinem Roman „Credo – Das letzte Geheimnis“ Gott und der Wissenschaft eine breite Bühne gegeben. Was würde passieren, wenn man die Möglichkeit gefunden hätte, mit „Gott“ zu kommunizieren? Würden dies Gläubige des Christentums und anderer Religionen hinnehmen oder ablehnend anzweifeln?

_Inhalt_

Der amerikanische Senat hat 40 Milliarden Dollar für ein Experiment genehmigt: Ein kleiner Kreis von hochtalentierten Physikern und Wissenschaftlern arbeitet hierfür an einem Teilchenbeschleuniger. Bei diesem Projekt soll der „Urknall“ erforscht und nachgebildet werden. Damit hätte man eine neuartige Energiequelle entdeckt, die alle bisherigen weit in den Schatten stellt. Die Leitung des Projekts hat der Nobelpreisträger Hazelius, der sich selbst als einer der schlauesten Köpfe der Welt sieht.

Die Zeit drängt und der Teilchenbeschleuniger „Isabella“ sowie die Wissenschaftler arbeiten fieberhaft an dem Projekt, denn die Regierung verlangt ungeduldig Ergebnisse. Doch aus der Wüste inmitten eines ehemaligen Indianergebietes unterrichtet man die Geldgeber eher sporadisch und verschlossen.

Doch damit gibt man sich nicht zufrieden und beauftragt den ehemaligen CIA-Agenten Wyman Ford damit, sich in das Team einzuschleusen, um einen Blick hinter die Kulissen zu werfen – unter dem Deckmantel eines offiziellen Kontaktmannes zu den Navajos, auf deren Land das Forschungsgelände errichtet wurde. Die Navajos sind mit dem Handel, den sie mit der Regierung vereinbart haben, nicht zufrieden und auch der Lobbyist Craven, dessen Idee dieser Handel war, ist alles andere glücklich.

„Isabella“ und das Projektteam sind schon länger ein umstrittenes Thema in den Medien. Einige Stimmen sprechen von Blasphemie, da man die biblische Schöpfungsgeschichte nachahmen will, und schon treten viele christliche und erzkonservative Kreise auf den Plan, die das Ende des Projektes fordern.

Auch ein bekannter Fernsehprediger, der nach vielen persönlichen Schicksalsschlägen nun die Chance auf Reichtum, Ansehen und Macht sieht, stachelt die Mengen mit seinen öffentlichen Reden gegen das Projekt „Isabella“ auf, das Gott simulieren will.

Wyman Fords Exfreundin, die er seit knapp zehn Jahren nicht mehr gesehen hat und die ebenfalls Teil des Forschungsteam ist, weiht Ford in die etwas komplizierten und komplexen Schwierigkeiten ein: „Isabella“ hat Kontakt mit einer offensichtlich übermenschlichen Intelligenz aufgenommen. Alle Versuche, den Kontakt zu lokalisieren, schlagen fehl. Noch immer erscheint eine Begrüßung auf dem Bildschirm und sie bezeichnet sich selbst als Gott, nicht irgendeine Wesenheit, sondern wirklich als der einzig wahre Gott. Im Dialog mit den Wissenschaftlern fordert „Gott“, von den alten Glaubensgrundsätzen abzurücken und die Naturwissenschaften als einzige Religion anzuerkennen.

Ford kann nicht verhindern, dass diese Botschaft durch Zufall nach außen dringt. Eine Welle der Entrüstung wogt durch die Medien, und auch der Fernsehprediger, der sich jetzt als Werkzeug und Waffe Gottes sieht, provoziert und hetzt die Menge zu einem wütenden und bewaffneten Mob auf, dessen Ziel die Zerstörung von „Isabella“ und dem Projekt-Schöpfer ist. Doch auch die Regierung sieht sich durch die Medien gezwungen, vor Ort nachzusehen, was in der Wüste vorgeht. Die Lage wird schnell dramatisch und droht zu eskalieren, als „Gott“ vom Ende der Welt spricht …

_Kritik_

Die Idee, „Gott“ als Protagonisten sprechen zu lassen, ist interessant und mal etwas anderes, sie schürt jedenfalls die Neugierde auf diesen Roman. Der Autor Douglas Preston, der alleine und zusammen mit seinem Kollegen Lincoln Child schon etliche wissenschaftliche Thriller verfasst hat, erzählt „Credo“ recht flüssig, aber ohne wirklich aufkommende Spannung. Die Protagonisten werden zu gemächlich eingeführt, und die unterschiedlichen Handlungsstränge wirken jeder für sich inhaltlich nicht nachhaltig interessant.

Die Dialoge mit „Gott“ wird sich der Leser anders vorgestellt haben. Man kann die Stimme und die Worte als seelenlos bezeichnen, wenn sie von Wissenschaft und Glaube spricht, aber einfühlsam, verständnisvoll und tiefsinnig ist die Unterhaltung keineswegs. Dieser Gott ist eher von Egoismus geprägt und seine Theorien und Forderungen entsprechen purem Pragmatismus. Empfindungen wie Liebe und Gefühl scheinen nicht im Wortschatz vorhanden zu sein.

Ford steht dabei bis fast zum Ende hin als blasser Beobachter am Rande des Geschehens und verhält sich recht passiv, erst am Ende nimmt er in der Handlung viel mehr Raum ein. Einzig und allein der Leiter des Projekts, Dr. Hazelius, umgibt sich in der Geschichte mit einem gewissen Charisma. Sein überlegener Intellekt verleiht ihm dabei etwas Würdevolles und Mystisches. Sein Leben, Denken und Handeln werden durchgehend durch die Wissenschaft beeinflusst und gelenkt. Seine Religion steht nicht in der Heiligen Schrift, sondern findet in Labors und Forschungseinrichtungen statt.

Der verblendete und sehr radikale Fernsehprediger ist ein klassischer Verlierertyp. Immer pleite und von seinen erlebten und gelebten Schicksalsschlägen auch körperlich gezeichnet, sucht er nach einer Aufgabe, die seinem Leben Sinn und vor allem Halt gibt. Doch Mitleid empfindet man als Leser wenig bis gar nicht; trotz einiger Niederlagen im Leben sollte man in der Lage sein, relativ klar denken zu können und auch Gottes Zehn Gebote nicht als „Leitfaden“ oder „Gebrauchsanweisung“ für möglichst wenige Sünden zu verstehen. Dass er radikale Jünger um sich schart und Gewalt in solchen Ausmaßen predigt, ist zwar nicht unrealistisch, aber dass er damit derart deutlich Gehör findet, halte ich doch für stark übertrieben.

„Credo – Das letzte Geheimnis“ wendet sich an die Religionen und an die Wissenschaft zugleich. Verschiedene Theorien werden hier vertreten. Einige Stimmen meinen, die Religion schließe die Naturgesetze und deren Wissenschaft nicht aus, denn schließlich hat Gott diese erst ermöglicht, wogegen andere schnell von Blasphemie sprechen, wenn die Wissenschaft neue Wege mit moderner Technik beschreiten möchte. Douglas Preston hat dies wirklich gut in Worte gefasst und seine Stellung weder pro noch kontra ausgearbeitet.

Dass Religion auf Menschen verführerisch und aufrührerisch wirken kann und deren Botschaften manipulierend interpretiert werden, wissen wir nicht erst seit heute. Doch die Gefahr dessen wird uns meistens erst dann bewusst, wenn es zu spät für einen friedlichen Weg ist; so auch in „Credo“, als die Spirale der Gewalt sich nach außen und innen einen Weg bahnt und ein Schlachtfeld der Verwüstung hinterlässt. Auch hier hat Douglas Preston in seinem Roman hingewiesen.

Doch auch die Risiken der Wissenschaft werden hier nicht außen vor gelassen. Was bringt uns die Wissenschaft, wenn wir dabei vergessen, was es heißt, menschlich zu handeln und Verantwortung nicht nur für uns selbst zu tragen? Wissenschaft besteht meistens aus Fakten und Beweisen, doch auch manche Theorien lassen sich (noch) nicht beweisen oder widerlegen. Auch der Wissenschafter ist in dieser Hinsicht ein gläubiger Mensch, und nicht selten zeigt sich in der Wissenschaft ein Phänomen, dass man zunächst nicht erklären kann, nur akzeptieren.

Douglas Preston erzählt seine Geschichte etwas zäh und langatmig. Spannung und Überraschungen kommen selten auf, so dass der Leser sich von einem Kapitel zum anderen hangelt, in der Hoffnung darauf, „Gott“ zu begegnen, der sich aber wirklich viel Zeit lässt und wenig präsent auftritt. Ebenso gestaltet sich Fords Suche nach der Wahrheit innerhalb des Projektes, die manchmal doch recht langweilig wirkt. Von einem Ermittler erwartet man schließlich etwas mehr Aktivität, die man hier aber kaum findet. Preston verfängt sich entweder in der Wissenschaft oder in der Religion, beides miteinander kombiniert präsentiert sich nur in einer Eskalation, aber wirklich diskutiert oder tiefsinnig ausgeformt wird die Grundidee leider nie.

_Fazit_

„Credo – Das letzte Geheimnis“ ist ein durchschnittlicher Roman des Bestseller-Autors Douglas Preston. Dieser Roman gehört zu seinen schwächeren und weiß nicht so recht zu überzeugen. Ich hatte den Eindruck, dass sich der Autor auch so manches Mal selbst verloren gefühlt haben mag und nicht wusste, in welche Richtung sich das Experiment um Isabella und Gottes Anwesenheit wenden soll. Bis zum Ende wirkt der Roman unspektakulär, zwar mit einer recht interessanten Theorie unterfüttert, aber nicht konsequent durchdacht.

|Originaltitel: Blasphemy
Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk
586 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-426-19798-1|
http://www.droemer-knaur.de
http://www.prestonchild.de
http://www.prestonchild.com

_Douglas Preston auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Canyon“ 4243
[„Maniac – Fluch der Vergangenheit“ 4249
[„Dark Secret – Mörderische Jagd“ 2809
[„Dark Secret – Mörderische Jagd“ 4124 (Hörbuch)
[„Burn Case – Geruch des Teufels“ 1725
[„Burn Case – Geruch des Teufels“ 2193 (Hörbuch)
[„Das Patent“ 701
[„Ritual – Höhle des Schreckens“ 656
[„Formula – Tunnel des Grauens“ 192
[„Riptide – Mörderische Flut“ 71

Mo Hayder – Ritualmord [Jack Caffery 3]

In der englischen Hafenstadt Bristol werden Leichenteile gefunden, die aus einem organisierten Handel mit Zauber-Fetischen stammen. Zwei Polizisten müssen mit Hochdruck ermitteln, bevor ein neues Opfer ‚verarbeitet‘ wird … – Der dritte Band um den psychisch labilen Polizisten Jack Caffery beeindruckt erneut durch blutige, groteske und die Grenze zum Horror nicht nur streifende Szenen, lässt aber die Intensität der ersten beiden Romane vermissen: solides Krimi-Handwerk mit einer wirren und durch unnötige Abschweifungen beeinträchtigten Handlung.
Mo Hayder – Ritualmord [Jack Caffery 3] weiterlesen

Mørk/Moerk, Christian – Darling Jim

_Das geschieht:_

In dem kleinen irischen Städtchen Melahide bei Dublin wird ein bizarres Mordrätsel zwar offenbart aber nicht gelöst: Moira Walsh, die vor einigen Monaten zuzog, hat in zwei Zimmern eines zum Privatgefängnis ausgebauten Hauses ihre Nichten Fiona und Roisin nicht nur festgehalten, sondern durch Essensentzug und Rattengift langsam und qualvoll sterben lassen. In einem letzten Kraftakt griff Fiona die irre Tante an und brachte sie um, konnte sich und ihre Schwester aber nicht mehr befreien.

Der erfolglose Jung-Postbote Niall Cleary stößt beim Sichten der eingehenden Paketsendungen auf ein Tagebuch, das Fiona in den letzten Tagen ihrer Kerkerhaft verfasste. Ihm entnimmt er, dass Aoife, eine dritte Schwester, in die Gewalt der Tante geraten war, aber flüchten konnte. Seitdem ist sie verschwunden.

Auch Roisin hat ein Tagebuch geschrieben, das Niall an sich bringen kann. Diese Aufzeichnungen enthüllen die Geschichte von „Darling Jim“ Quick, den die Walsh-Schwestern drei Jahre zuvor in ihrer Heimatstadt Castletownbere kennengelernt hatten. Mit ihnen allen sowie mit der Tante hatte der charmante junge Mann angebändelt und die Familie gegeneinander aufgehetzt, denn Jim war ein bösartiger Psychopath. Außerdem war er ein brutaler Raub- und Serienmörder, der mit enormem Geschick alle Indizien verschwinden ließ.

Nachdem er auch die Schwestern immer heftiger attackierte, beschlossen die in ihrer Not, den Peiniger zu ermorden. Doch Jim hatte dies vorausgesehen und einen neuen Plan geschmiedet, der seinen Tod einkalkulierte und die Walsh-Frauen in den endgültigen Untergang treiben sollte …

_Eine irische, aber irdische Krimi-Tragödie_

Irland … grünes Land der Trolle und der IRA, bewohnt von rothaarigen Schönheiten und trinkfesten Geschichtenerzählern. Klischee reiht sich an Klischee, eine Kette, die schier unzerreißbar ist. Weshalb Christian Mørk es gar nicht erst versucht, sondern sich ihrer erfindungsreich bedient, ihren Unterhaltungswert nutzt und sie ansonsten der verdienten Lächerlichkeit preisgibt.

Denn selbstverständlich ist auch Irland im 21. Jahrhundert angekommen. Was der Urlauber, der das Land wieder verlassen kann, als Idylle schätzt, ist für die Einwohner, die bleiben müssen, nicht selten eine Sackgasse. Noch schlimmer ist es für jene, die das Stigma des Außenseiters tragen. Kleine Dörfer können Brutstätten großer Vorurteile sein. Die Walsh-Schwestern steckten schon in Schwierigkeiten, bevor Darling Jim die Szene betrat.

Er ist vor allem der Katalysator für eine Kettenreaktion, die sich über drei Jahre hinzieht und auch nach Jims Ende alle zu vernichten droht, die es zu lösen versuchen. Darling Jim ist ein infernalisch erfindungsreicher Zerstörer von Menschen. Er ist ein Rätsel, sein Verhalten bleibt unberechenbar. Nicht einmal der eigene Tod kann ihn abhalten, sein verwickeltes Spiel zu spielen. Es zu entschlüsseln, bleibt einer Figur vorbehalten, die denkbar ungeeignet scheint.

_Irrungen, Wirrungen, Irritationen …_

Niall Cleary ist alles andere als der Ritter, zu dem er sich dennoch entwickelt. Er hat kein eigenes Leben, das mit der Tragödie mithalten kann, in die er verwickelt wird und in die er sich willig ziehen lässt. Niall allein gelangt in den Besitz jener Details, die ihn das Rätsel lassen. Autor Mørk lässt sie uns Leser gleichzeitig mit Niall entdecken. Er verzichtet dabei auf eine stringente Handlung, sondern lässt sie in Episoden zerfallen, die wir gemeinsam mit Niall zum Gesamtbild zusammensetzen. Fionas und Roisins Tagebuchaufzeichnungen bilden die Klammer. Die Entdeckung der einen und die Suche nach der anderen beschreibt der Mittelteil, der gleichzeitig Nialls Auftritt markiert. Es endet mit jenem Teil der Geschichte, der selbst den Walsh-Schwestern unbekannt war und den erst der hartnäckige Niall aufdecken kann.

Bis es soweit ist, führt uns Mørk immer wieder aufs Glatteis. Nach dem ersten Drittel meint man den weiteren Verlauf der Ereignisse zu kennen und ist ein wenig enttäuscht, dass die verheißungsvoll einsetzende und spannend entwickelte Geschichte diese Richtung nimmt. Genau jetzt reißt Mørk das Ruder herum. Er setzt das Licht neu, wechselt die Perspektive und gewinnt seiner schauerlichen Mär gänzlich neue Seiten ab.

„Schauerlich“ ist ein Stichwort, denn Mørk scheut vor keinem Trick zurück, um an der Spannungsschraube zu drehen. Zeitweise gewinnt der Leser den Eindruck, eine „dark fantasy“ statt eines Thrillers zu lesen. Darling Jim scheint ein mythologischer Werwolf zu sein, der wie der Ewige Jude seit Jahrhunderten durch Irland zieht und seine Opfer reißt. Auch das ist eine der erwähnten falschen Fährten und Jim Quick ein Mörder, der sich selbst perfekt zu inszenieren weiß. Die Sagen, die er für Geld in Kneipen erzählt (und die Mørk im Volltext wiedergibt), beschreiben offen seine Taten. Man muss sie nur zu deuten wissen. Den Walsh-Schwestern bleibt nicht die Zeit dafür. Erst Niall versteht, was im letzten Teil noch einmal für eine unerwartete Wendung sorgt.

_Familienhöllen brennen besonders heiß_

Während die Morde des Darling Jim eher Nebensache bleiben, konzentriert sich Mørk auf die Dynamik innerhalb der Walsh-Familie. Sie ist aus verschiedenen Gründen selbstzerstörerisch und deshalb ideal für einen geborenen und selbst ernannten ‚Wolf‘ wie Jim Quick, der – so lernen wir – selbst ungewöhnlichen Familienverhältnissen entwachsen aber nie entkommen ist.

Zum Auslöser für die Entstehung des Romans „Darling Jim“ wurde ein reales Familiendrama: In Leixlip, einer irischen Gemeinde im County Kildare, entdeckte man 2000 in einem einsamen Gehöft die Leichen einer 83-jährigen Frau und ihrer drei Nichten. Sie hatten sich offenbar religiös motiviert selbst zu Tode gehungert, ein Exempel entschlossenen Wahnwitzes, das Mørk nicht aus dem Gedächtnis ging. Er ergänzte das Szenario durch den Faktor des mörderischer Vorsatzes und ersann eine Vorgeschichte, die ebenfalls im Wahnsinn gipfelte.

Auch ohne ihre verrückte Tante haben die Walsh-Schwestern einen schweren Stand. Fiona ist eine frustrierte Lehrerin, Roisin hütet ihre lesbische Veranlagung, Aoife hört Stimmen. In ihrem Dorf beobachtet man sie mit Argusaugen und zerreißt sich das Maul über sie. Der tragische Unfalltod der Eltern hat ihre Isolation noch verstärkt. Das Trio bleibt unter sich und konserviert dadurch die Probleme.

Niall gilt der Gesellschaft als Loser. Sogar seinen wenig anspruchsvollen Job verliert er, die Karriere als Comic-Zeichner wird ein Traum bleiben. Er lebt allein mit seiner Katze, die ihm auf der Nase tanzt. Als Niall Fionas Tagebuch findet, öffnet sich ihm dadurch ein Schlupfloch. Die unbekannte und gefährliche Welt dahinter kann ihn nicht schrecken, die öde Gegenwart zu verlassen. Das wird er oft bitter bereuen, aber nie gibt er nach. Seine Erlebnisse lassen Niall reifen. Als er das Rätsel gelöst hat, steht er nur scheinbar so trostlos da wie zuvor. Endlich gelingt ihm ein Bild, mit dem er sich lange Zeit vergeblich geplagt hatte. Es steht am Ende dieses Romans und fasst wiederum verschlüsselt aber nunmehr verständlich das Geschehen noch einmal zusammen – ein eigenartiger Ausklang, der indes gut zu dieser ungewöhnlichen, gut erzählten Geschichte passt.

_Der Autor_

Geboren und aufgewachsen in Kopenhagen, der Hauptstadt Dänemark, verließ Christian Mørk Europa im Alter von 21 Jahren, um in den US-Staat Vermont umzusiedeln. Er studierte am dortigen Marlboro College Geschichte und Soziologie. Nach seinem Abschluss 1991 zog Mørk nach New York City, wo er an der Columbia Graduate School Journalismus studierte. Anschließend arbeitete er für das Unterhaltungsmagazin „Variety“, was den Umzug nach Los Angeles erforderte. Dort heuerte ihn das Studio Warner Bros. an. Im Produktionsbereich betreute Mørk in den nächsten Jahren diverse Filmprojekte, bevor er nach New York und zum Journalismus zurückkehrte.

Parallel dazu bereitete Mørk sein Debüt als Romanautor vor. Er spann ein bizarres aber reales Morddrama zu einem Psycho-Thriller aus. „Darling Jim“ erschien 2007 zunächst in Dänemark und wurde ein nationaler Bestseller. Inzwischen wurde dieses Buch in 13 anderen Ländern veröffentlicht.

Websites:
– http://www.christianmoerk.com
– http://www.darlingjim.de

_Impressum_

Originaltitel: Darling Jim (Kopenhagen : Politikens Forlag 2007)
Übersetzung: Violeta Topalova
Deutsche Erstausgabe (geb.): März 2009 (Piper Verlag)
351 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-492-05256-6
http://www.piper.de

Thiesler, Sabine – Totengräberin, Die

Seit fast zwanzig Jahren sind Magda und Johannes verheiratet und nach außen hin glücklich. Tatsächlich hat Johannes eine Geliebte, die er regelmäßig besucht. Wie jedes Jahr wollen Johannes und Magda den Sommer in ihrem Ferienhaus in der Toskana verbringen. Magda fährt voraus, während sich Johannes zur letzten Aussprache mit Carolina trifft und sich für seine Ehe entscheidet. Er hofft auf einen Neuanfang und darauf, dass seine Frau ihm die Affäre verzeiht.

Er ahnt nicht, dass Magda in der Toskana bereits seinen Tod plant. Am Morgen nach seiner Rückkehr vergiftet sie ihn und vergräbt die Leiche im Gemüsegarten. Freunden und Verwandten sagt sie, er sei für ein paar Tage zu einem Freund nach Rom gefahren. Später meldet sie ihn vermisst und spielt überzeugend die besorgte Ehefrau. Alles läuft nach Plan – bis Johannes‘ Bruder Lukas auftaucht. Schon vor ihrer Hochzeit war er in sie verliebt und begehrt sie immer noch. Gerade ist das Theaterstück, in dem er eine wichtige Rolle spielen sollte, geplatzt und er will sich in Italien eine Auszeit gönnen. Außerdem hofft er, Magda näherzukommen.

Anfangs glaubt Lukas die Vermisstentheorie und hilft Magda, seinen Bruder zu suchen. Doch dann verändert sich Magda plötzlich. Sie spricht Lukas mit „Johannes“ an und scheint ihn ernsthaft für ihren Mann zu halten. Der verwirrte Lukas spielt das Spiel mit und gibt sich auch bei der Polizei als heimgekehrter Ehemann aus. Noch bizarrer wird es, als Lukas Briefe von Magda an ihren verstorbenen Sohn Thorben findet. Offenbar lebt sie in einer Scheinwelt. Und dann taucht auch noch ein Erpresser auf, der Lukas Fotos von seinem toten Bruder schickt …

Nach „Der Kindersammler“ und „Hexenkind“ ist „Die Totengräberin“ der dritte Kriminalroman von Sabine Thiesler, der zum größten Teil in der Toskana spielt, aber qualitativ nicht ganz an die Vorgänger anschließen kann.

|Fesselnde Handlung|

Vom Gesichtspunkt der Spannung aus ist der Roman nahezu einwandfrei gelungen. Der Mord an Ehemann Johannes geschieht früh zu Beginn, und von da an ist alles Weitere erst einmal ungewiss. Magdas Plan klingt zunächst überzeugend: Sie erweckt den Anschein, als sei Johannes für ein paar Tage nach Rom gefahren, und mimt gekonnt die besorgte Ehefrau gegenüber seinen Eltern am Telefon, gegenüber Bekannten im Dorf und gegenüber der Polizei. Auch Lukas fällt darauf herein, und als er in Johannes‘ Handy Nachrichten an die ehemalige Geliebte Carolina entdeckt, steht für ihn fest: Johannes hat sich vermutlich absichtlich abgesetzt und will eine Auszeit oder Magda sogar ganz verlassen. Daher glaubt er zunächst nicht an ein Verbrechen, sondern freut sich insgeheim über diese Entwicklung, da er Chancen sieht, seiner immer noch verehrten Magda näher zu kommen.

Als Lukas anonym die Fotos seines toten Bruders erhält, wagt er es nicht, Magda einzuweihen. Mehr noch, er ahnt, dass ironischerweise er der Hauptverdächtige der Polizei sein würde, denn seine Liebe zu Magda ist ein ideales Motiv, während die Eheprobleme niemandem außer ihm bekannt sind. Natürlich verdächtigt Lukas zunächst den Fotoabsender, den er auch bald kennenlernt. Es ist der schmierige Literaturkritiker Stefano Topo, der sich durch Erpressung eine Finanzspritze erhofft. Nur der Leser weiß, dass die beiden einander des Mordes verdächtigen, ohne es auszusprechen. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Spannungsbogen – Lukas muss das geforderte Erpressungsgeld aufbringen und Topos Gegenwart ertragen, der dreist Magdas Bekanntschaft schließt.

Topo wiederum ahnt nicht, dass er den falschen Täter im Visier hat und die Lage falsch einschätzt. Hinzu kommt im späteren Verlauf Johannes‘ Exgeliebte Carolina, die es nach einer Aussprache drängt und spontan eine Fahrt in die Toskana plant. Sie weiß, dass Johannes als vermisst gilt und will den Dingen auf den Grund gehen, ohne die wahren Hintergründe zu ahnen. Die ganze Zeit über wird der Spannungspegel konstant hoch gehalten. Im Raum stehen die Fragen, ob Magda weitere Morde begehen wird, ob das Grab unter dem Olivenbäumchen gefunden wird und wer als Erster die verzwickten Hintergründe durchschaut.

|Interessante Rückblicke|

Es braucht eine Weile, ehe der Leser hinter Magdas komplizierten Charakter steigt. Sehr erhellend sind die immer wieder eingestreuten Rückblenden in ihre Kindheit und in die vergangenen Jahre. Zum einen erfährt der Leser hier anschaulich, weshalb sie so sensibel auf das Thema Fremdgehen reagiert. Magda hat traumatische Kindheitserfahrungen mit ihrem Vater erlebt und ist durch das Leid und Verhalten ihrer Mutter geprägt. Einerseits sind diese Enthüllungen informativ, andererseits erschreckend und verleihen der Handlung einen Hauch von emotionaler Tiefe. Weiterhin erfährt man, was es mit Thorben auf sich hat, der bereits vor einem Jahr ums Leben gekommen ist. Man erfährt die Umstände und weiß nun endgültig, dass Magda schon lange psychisch gestört ist, da sie nach wie vor liebevolle Briefe an ihren Sohn schreibt, den sie im Internat glaubt.

Für ein bisschen Humor bei den Charakteren sorgt Kommissar Neri, der schon in „Hexenkind“ eine Rolle spielte und ein nettes Wiedersehen beschert, ohne dass man diesen Roman fürs Verständnis gelesen haben müsste. Neri ist ein bemühter, aber recht trotteliger Polizist, der nach den letzten Misserfolgen von Rom in die Provinz versetzt wurde und sich sehnlichst wieder einen spektakulären Fall wünscht, der ihn rehabilitieren könnte. Mit von der Partie ist seine temperamentvolle Frau Gabriella, die es erst recht zurück nach Rom drängt und die ihn bei den aktuellen Ermittlungen auf eigene Faust tatkräftig unterstützt, indem sie Magda aushorcht.

|Mangelnde Glaubwürdigkeit|

Leider gibt es auch mindestens eine erhebliche Schwäche im Roman, nämlich das teilweise unglaubwürdige Verhalten von Magda und Lukas. Anfangs sieht es aus, als sei Magda eine kaltblütige Mörderin. Sie besorgt sich das Gift geschickt aus der Apotheke, in der sie arbeitet, indem sie den Verdacht auf jemand anderen lenkt. Aber bald nach dem Mord schwenkt dieser Eindruck um. Magda hält Lukas nach kurzer Zeit bereits für Johannes und verdrängt ihre Tat vollkommen. Ihre psychische Störung ist zwar ein interessanter Zug, kommt aber für den Leser zu plötzlich und ist ein fast enttäuschender Umschwung, nachdem man sich bereits auf ihre berechnende Art eingewöhnt hat.

Sehr seltsam ist zudem das Verhalten von Lukas. Anfangs reagiert er verwirrt und geschockt auf Magdas Äußerungen und wagt es nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. Das ist zunächst verständlich, dass er sich dann aber entscheidet, das Spiel dauerhaft mitzumachen, ist eher lächerlich. Er genießt es einfach, nun seinen fast zwanzigjährigen Traum zu verwirklichen und eine Beziehung mit Magda zu führen. Dass sie ihn „Johannes“ nennt, blendet er aus und auch die Suche nach seinem Bruder steht erst einmal im Hintergrund. Nicht nur, dass er Magda gegenüber die Rolle als Johannes einnimmt, er sorgt auch dafür, dass die Polizei ihre Ermittlungen nach dem Vermissten einstellt und lässt sich von jedem als Magdas Ehemann vorstellen. Selbst als er weiß, dass Johannes ermordet wurde, vertraut er sich niemandem an. Auch gegenüber seinen Eltern am Telefon lügt er, dass Johannes in Ordnung und nur gerade verhindert sei. An vielen Stellen im Roman handelt er unlogisch, obwohl völlig offensichtlich ist, dass er sich selbst immer tiefer in eine fatale Lage verstrickt. Während man es am Ende zumindest teilweise nachvollziehen kann, weil da ein Zurück kaum mehr möglich ist, wirken seine ersten Handlungen sehr unüberlegt und naiv.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr spannender Toskana-Kriminalroman über eine Mörderin, der aber auch Schwächen besitzt. Das Buch lässt sich leicht lesen und fesselt den Leser durchgehend, aber die unlogischen Verhaltensweisen der beiden Hauptcharaktere trüben im weiteren Verlauf das Gesamtbild.

_Die Autorin_ Sabine Thiesler studierte Germanistik und Theaterwisenschaften und arbeitete als Bühnenschauspielerin, ehe sie Schriftstellerin wurde. Sie verfasste auch einige Theaterstücke und schrieb Drehbücher für Fernsehserien wie „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Von ihr erschienen zuletzt die Romane „Der Kindersammler“ und „Hexenkind“.

|511 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-43275-8|
http://www.heyne.de

_Sabine Thiesler auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Kindersammler“ 3317
[„Hexenkind“ 4319

Cole, Kresley – Nacht des Begehrens

Schon der Klappentext zu Kresley Coles Paranormal Romance „Nacht des Begehrens“ sorgt für unfreiwillige Komik: „Auf der Suche nach ihren Wurzeln reist Emmaline Troy durch Europa. Ihre Mutter war eine Walküre und ihr Vater ein Vampir (…). Die Halbvampirin wuchs wohlbehütet bei ihren Walkürentanten auf.“ Ja, da ist tatsächlich von Walkürentanten die Rede, und wer naiv genug ist zu glauben, dass es schlimmer nicht kommen kann, der darf sich gern Kresley Coles Roman zu Gemüte führen und sich eines Besseren belehren lassen.

Emmalines Walkürentanten sind nämlich lange nicht die einzig schillernde Gattung übernatürlicher Lebewesen, denn Cole verortet ihren Roman im „Mythos“. Mit Mythos bezeichnet sie eine Art geheime Parallelwelt, die bevölkert ist von allem, was sich unterschiedliche Kulturen so ausgedacht haben: Vampire, Werwölfe, Hexen, Geister, Walküren. Diese Zusammenstellung ihres Personenkreises wirkt natürlich total wahllos, vor allem da die Übernatürlichkeit der Charaktere nur auf den Effekt abzielt und für die Handlung kaum eine tiefere Bedeutung hat.

Doch von Anfang an: Emma ist – wie gesagt – halb Vampir und halb Walküre. Ihre Eltern hat sie nie kennengelernt, stattdessen ist sie bei einer Schar manischer Walküren in New Orleans aufgewachsen. Nun, mit satten siebzig Jahren, beschließt sie, mehr über ihren unbekannten Vater herauszufinden, und reist zu diesem Zwecke nach Paris, wo sie sich trotz ihrer immensen Geldreserven mehr schlecht als recht durchschlägt – offensichtlich sind ihre Tanten schreckliche Glucken, die Emma bisher vor der Welt „beschützt“ haben, was sie nun ziemlich hilflos aussehen lässt. Prompt nimmt auch der Werwolf Lachlain ihre Witterung auf und macht sich an die Verfolgung. Denn natürlich ist Emma seine Gefährtin, die Frau der Frauen, die eine, die er unbedingt haben muss. Wie überraschend! Er verschleppt sie in ihr eigenes Hotelzimmer und Strippenzieherin Cole biegt es so hin, dass Emma den attraktiven Wüstling nach Schottland zu seinem Landsitz fahren will/muss – und das, obwohl er sie gegen ihren Willen festhält und sie wiederholt fast vergewaltigt. Muss Liebe schön sein!

Emma wehrt sich zunächst gegen ihre aufkeimenden Gefühle für Lachlain. Doch der Leser kann sich gewiss sein, dass sie im Verlauf des Romans doch noch Lachlains Annäherungsversuchen erliegen und sich schließlich seiner überwältigenden Männlichkeit ergeben wird. Wenn Cole nach zwei Dritteln des Romans all das obligatorische Sie-liebt-ihn-nicht-sie-liebt-ihn-doch hinter sich gebracht hat, fügt sie noch ein wenig Action und eine Prise völlig vorhersehbarer Plot-Twists ein. Ja, und das ist es dann auch schon gewesen mit „Nacht des Begehrens“. Außer, man möchte auch noch die anderen sechs Bände der Reihe lesen, aber das ist wohl nur ganz Hartgesottenen zu empfehlen.

Cole schreibt in der bequemen Komfortzone der Paranormal Romance, in der die Frauen jungfräulich und hilflos und die Männer aggressiv und dominant sind. Die Liebe muss in solchen Romanen etwas Schicksalhaftes haben – Männlein und Weiblein werden von einer (unbenannten) höheren Macht zu Pärchen zusammengewürfelt und müssen sich dann irgendwie miteinander arrangieren, bis sie feststellen, dass sie ja doch ganz gut miteinander auskommen und sich – tada! – tatsächlich unsterblich lieben. Lachlain findet Emma per Geruchssinn: „Aber jetzt hat er sie gewittert – die eine Frau, die nur für ihn geschaffen ist. Die eine Frau, nach der er tausend Jahre ohne Unterlass gesucht hat.“ Später soll er zu einem Vertrauten sagen: „Eine Gefährtin wie sie hätte ich mir niemals vorstellen können.“ Und so impliziert zwar das Schicksalhafte ihrer Beziehung die übergroße und wahrhafte Liebe, die alle Unwegbarkeiten überwindet (denn natürlich stammen Emma und Lachlain aus verfeindeten Gruppen des Mythos – Romeo und Julia lassen grüßen), doch ist die Patina dünn. Sie verdeckt kaum, dass es hier eigentlich nicht um Liebe geht – nicht um das Kennen- und Liebenlernen, um die zarten Gefühle, die einer gefestigten Beziehung vorauseilen. Vielmehr geht es um zwei grundverschiedene Charaktere, die nicht zueinander passen, die nichts gemeinsam haben und die sich – praktisch gegen ihren Willen – lieben müssen, ganz einfach, weil die Autorin das so will.

Kresley Cole findet das offensichtlich romantisch. Doch ihre Definition von Romantik ist geradezu barbarisch und taugt nur für die Sexfantasien innerhalb eines Liebesschmökers. Cole findet es romantisch, dass Lachlain hunderfünfzig Jahre gefangen gehalten und gefoltert wurde, um sich dann wortwörtlich ein Bein auszureißen, um zu seiner eben erschnüffelten Gefährtin zu gelangen. Selbstverständlich hält sich die Autorin in solchen Szenen nicht mit Nebensächlichkeiten auf, z. B. warum Lachlain gefangen gehalten und gefoltert wurde, wenn es sicherlich einfacher gewesen wäre, ihn zu töten. Auch findet es Cole romantisch, dass sich Lachlain, von seiner Gefangenschaft noch halb wahnsinnig, auf die unbedarfte Emma wirft und sie fast vergewaltigt – erst im letzten Moment kann sie sich befreien. Überhaupt hat Cole ein Faible für Vergewaltigungsfantasien, was zu verstörenden Szenen führt. Liebe ist hier immer nur Sex, und da ist es auch kaum verwunderlich, dass Lachlain Emma die Klamotten vom Leib reißt und seine Hände überall hin wandern lässt, noch bevor die beiden auch nur einen kohärenten Satz miteinander gewechselt haben.

Emma schafft es zwar, für zwei Drittel des Romans die eiserne Jungfrau zu spielen (den Akt gibt es erst nach 320 Seiten), doch das ist nur Augenwischerei. Cole fügt mit schöner Regelmäßigkeit alle paar Seiten eine Sexszene ein, in der Lachlain es Emma unter der Dusche besorgt, im Bett, im Stehen, im Sitzen, im Liegen – das alles, während sie natürlich eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will (als Unsterbliche kann sie leider keine „Migräne“ als Ausrede vorschieben). Kresley Cole hält sich kaum mit Handlung auf, die Sexszenen reihen sich wie Perlen auf eine Kette und ständig ist von „Lanzen“ und „beinharten Erektionen“ die Rede.

Wenn Kresley Cole sich gerade nicht damit beschäftigt, wie sie Emma und Lachlain nackig machen kann, dann streut sie ein paar lieblose Nebencharaktere ein. Am nervtötendsten sind hierbei Emmas Walkürentanten, vor denen ja schon der Klappentext warnt. Cole gelingt es nicht, diese Schar hysterischer, kampfshoppender Weiber irgendwie überzeugend zu zeichnen. Es wird nicht klar, ob sie nun knallharte Kämpferinnen (was durchaus seinen Reiz hätte) oder „kreischende“ und „schreiende“ Frauchen sind. Sobald sie jedoch die Bühne der Handlung betreten, verliert Cole völlig den Faden und der Roman versinkt in undurchsichtigen und chaotischen Actionszenen, die keinen Sinn ergeben. Um das Maß voll zu machen, heißt ihre Villa „Val Hall“ und Emmas Mutter ist eigentlich Helena von Troja (die – natürlich – eigentlich eine Walküre war).

Letztendlich ist Kresley Coles „Nacht des Begehrens“ durchschnittlichste Liebesschmöker-Kost, wie sie sich auf dem Bücherwühltisch zu Dutzenden findet. Hier gibt es nicht einen interessanten Charakter, nicht eine interessante Wendung der Handlung – und Originalität darf man schon gar nicht erwarten. Coles Roman ist nichts weiter als der Erfüllungsgehilfe für die sexuellen Fantasien seiner Leserinnen, pro forma umrahmt von einer dünnen und völlig austauschbaren Handlung.

|Originaltitel: A Hunger Like No Other
Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder
444 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8174-8|
http://www.egmont-lyx.de

Erotica, Paranormal Romance and Young Adult Adventure

Kornbichler, Sabine – Nur ein Gerücht

Vor fünf Jahren hat Carla Bunge ihren Lebenstraum verwirklicht: Sie ist von München aufs Land gezogen und hat einen alten Reiterhof gepachtet. Mittlerweile ist sie mit Reitstunden und einer Reihe Pensionspferden gut ausgelastet und genießt einen guten Ruf. In Sachen Beziehung allerdings ist sie abweisend. Das bekommt auch ihr bester Freund Christian zu spüren, der ganz in der Nähe ein Hotel betreibt und schon seit langem mehr für sie empfindet.

Am Tag des fünfjährigen Jubiläums des Hofes erfährt Carla einen Schock. Der Besitzer Herr Pattmann kündigt ihr völlig überraschend den Pachtvertrag und will, dass sie innerhalb der nächsten Wochen verschwindet. Offenbar hat er ein lukrativeres Angebot für den Hof erhalten und sucht einen Vorwand, um Carla zu vertreiben. Plötzlich häufen sich die unangenehmen Vorfälle auf dem Hof. Gegenstände verschwinden, falsches Futter liegt auf der Weide, jemand kündigt in Carlas Namen die Heulieferung.

Carla ist verzweifelt, denn die Vorfälle schaden ihrem Hof zunehmend. Natürlich hat sie Herrn Pattmann im Verdacht, aber er ist nicht der Einzige. Da ist auch Melanie, die Schwester ihres früheren Klassenkameraden Udo, dem Carla trotz seines kürzlichen Todes seine früheren Quälereien nicht verzeihen will. Melanie hat Rache geschworen, zumal sie Carla als Konkurrenz für ihren eigenen Hof sieht. Und dann ist da noch Carlas alte Schulfreundin Nadine, die nach langer Funkstille in Christians Hotel auftaucht und mit ihm anzubändeln scheint. Carla muss sich nicht nur gegen den oder die Unbekannten wehren, die sie zu ruinieren versuchen, sondern sich auch noch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, die sie schon lange verdrängt hat …

_Ein bisschen Thriller_ und ein bisschen Frauenroman ist dieses Werk von Sabine Kornbichler, und das Ergebnis ist solide, wenn auch nicht ohne Schwächen.

|Spannende Handlung|

Schon früh gewinnt die Handlung an Brisanz, als Carla beim Besuch des Hofbesitzers völlig überraschend die Kündigung erhält. Als fadenscheinige Begründung gibt er „unredliches Verhalten“ an, ohne es näher zu begründen. Carla ahnt zwar bereits und wird bald von ihrem Anwalt darin bestätigt, dass die Vertragskündigung haltlos ist. Aber sie wird die Angst dennoch nicht los, zumal Herr Pattmann in den nächsten Tagen und Wochen bei jeder Begegnung auf der Kündigung beharrt und zeigt, dass dies nicht nur eine Laune von ihm war.

Fast gleichzeitig taucht Melanie auf, Schwester von Carlas ehemaligen Klassenkameraden Udo, und sorgt ebenfalls für Probleme. Udo gehörte zur Schulzeit einer berüchtigten Clique an, die Carla die „glorreichen Fünf“ nennt, die es sich zum Ziel machten, Schwächere über Jahre hinweg zu hänseln und zu quälen. Carla mit ihrer skandalösen Familiengeschichte, die im weiteren Verlauf näher beleuchtet wird, plus dem damaligen Übergewicht bot eine hervorragende Zielscheibe und litt jahrelang unter den Quälereien. Jetzt ist Udo tot, Selbstmord als Folge von Rufmord, und Carla soll zur Beerdigung kommen. Aber trotz des Selbstmords kann sie dem toten Udo sein damaliges Verhalten nicht verzeihen und Melanie schwört Rache – zumal sie selbst einen Hof führt und Carla als Konkurrenz sieht.

Von da an häufen sich die Vorfälle auf dem Bungehof, die Carla in Verruf bringen und Misstrauen unter ihren Kunden säen. Herr Pattmann hat ein Motiv, Melanie ebenso, und doch kann Carla zunächst nichts nachweisen und traut so manche Aktion keinem von beiden zu. Gespannt verfolgt der Leser, wie sich die Vorfälle verdichten und Carla hilflos ihrem eigenen Rufmord zusehen muss. Um den Täter zu entlarven, ist sie bereit, selbst zweifelhafte Dinge wie einen Einbruch auf sich zu nehmen, und natürlich fesselt den Leser die Frage, wer genau hinter welchen Taten steckt.

|Sympathische Hauptfigur|

Carla Bunge ist kein besonders vielfältiger oder origineller Charakter, aber doch sympathisch und eine Protagonistin, mit der sich der Leser weitgehend identifizieren kann. Sie ist stolz auf ihren beliebten Reiterhof, den sie in jahrelanger Arbeit mühsam auf die Beine gestellt hat. Ihr besonderer Liebling ist Oscar, das Problempferd aus schlechter Haltung, das nur zu Carla Vertrauen gefasst hat und ihr in schweren Zeiten immer Kraft spendet. Erst allmählich erfährt man die Hintergründe über ihren Vater, zu dem sie seit zwanzig Jahren keinen Kontakt hat. Man erfährt zunächst nur, dass sie jeden Kontakt ablehnt, auch als sie hören muss, dass er im Sterben liegt. Dann enthüllt sich das Drama, das seinerzeit dazu beitrug, dass sie in der Schule gehänselt und zur Außenseiterin wurde, sodass ihre Mutter schließlich mit ihr fortzog. Neben der Kriminalhandlung um den anonymen Rufmörder und Saboteur gewinnt dieser Handlungsstrang zunehmend an Bedeutung.

Weiterere sympathische Charaktere sind Franz Lehnert, der sie wieder mit ihrem Vater zusammenführen will und der dafür ein besonderes Motiv besitzt, sowie Carlas beste Freundin Susanne, die als Hauswirtschafterin bei Christian tätig und außerdem eine engagierte Hobby-Astrologin ist, die bei jeder Gelegenheit die aktuelle Sternenkonstellation analysiert. Eine langzeitig rätselhafte Figur ist Nadine, Carlas ehemals beste Schulfreundin, die als Neuling genauso unter den Hänseleien zu leiden hatte. Nach ihrem Umzug aber brach Carla den Kontakt vollständig ab, um ein neues Leben beginnen zu können. Jetzt taucht Nadine auf einmal wieder auf – als Hotelgast von Christian, der ihr auffallend viel Zeit widmet. Carla wird den Verdacht nicht los, dass Nadine etwas mit ihrem Besuch bezweckt, und muss sich mehr mit ihrer Vergangenheit befassen, als ihr lieb ist.

|Ein paar Schwächen|

Zunächst fällt störend auf, dass der Leser zwar von Anfang an demonstriert bekommt, dass Carla Christians Avancen ablehnt, aber keinen rechten Grund dafür erfährt. Sie findet ihn durchaus anziehend, beharrt aber auf ihrer Ablehnung gegenüber Beziehungen, ohne dass es wirklich plausibel wird, vor allem, als sie gekränkt reagiert, nachdem sich Christian plötzlich Nadine widmet. Zum anderen ist Carla in der Endphase des Romans etwas zu naiv; der Leser ahnt deutlich früher, wer hinter den Taten steckt und welches Motiv dafür verantwortlich ist. Da ist es fast schon ärgerlich, dass sie die Zusammenhänge nicht durchschaut.

Etwas enttäuschend sind auch die Enthüllungen, weshalb Carla mit ihrem Vater gebrochen hat. Man kann zwar gut verstehen, dass sie die Demütigungen der Schulzeit noch heute als starke Belastung empfindet, aber ihr Groll gegen den Vater scheint nach all der Zeit übertrieben. Bevor man erfährt, was er sich geleistet hat, glaubt man, dass er vielleicht ihre Mutter geschlagen oder gar sie selbst missbraucht habe. Als sich dann herausstellt, was tatsächlich passiert ist, klingt es nicht sehr glaubwürdig, dass Carla zwanzig Jahre lang nichts mit ihm zu tun haben wollte und sich nicht darum kümmert, ob er überhaupt noch lebt.

Alles in allem darf man an das Buch keine zu hohen Erwartungen stellen. Es ist ein Unterhaltungsroman, der sich leicht lesen lässt und durchaus spannend ist, aber nicht weiter im Gedächtnis bleibt. Eine ideale Urlaubslektüre, allerdings nach dem Lesen schnell abgehakt und für eingefleischte Thrillerfans gewiss zu seicht.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Unterhaltungsroman, der sich am besten für Frauen eignet, die sich ein bisschen Spannung und leichte Lektüre wünschen. Das Thema ist interessant und die Handlung über weite Strecken fesselnd, die Protagonistin sowie einige Nebencharaktere sind recht sympathisch. Das Bild trüben ein paar Unstimmigkeiten in Carlas Sichtweise und ihre Naivität gegen Ende, zudem ist der Anspruch nicht besonders hoch. Kann man lesen, muss man nicht.

_Die Autorin_ Sabine Kornbichler wurde 1957 in Wiesbaden geboren. Sie studierte zunächst VWL und arbeitete als Texterin und PR-Beraterin. Seit 1998 lebt sie als freie Autorin in Düsseldorf. Ihr Werk umfasst Romane und Kurzgeschichten. Weitere Bücher von ihr sind: „Majas Buch“, „Klaras Haus“, „Steine und Rosen“, „Vergleichsweise wundervoll“, „Annas Entscheidung“, „Im Angesicht der Schuld“ und „Der gestohlene Engel“.

http://www.sabine-kornbichler.de/
http://www.knaur.de/

_Sabine Kornbichler auf |Buchwurm.info|:_

[„Im Angesicht der Schuld“ 2561
[„Der gestohlene Engel“ 4680

Pierre Bordage – Terra Mater (Hyponeros 2)

Nach »Die Krieger der Stille« ist mit »Terra Mater« der zweite Roman einer spannenden Trilogie erschienen. Er berichtet von den Ereignissen direkt im Anschluss an Band eins und endet mit einem kosmisch-metaphysischen Höhepunkt als Aufhänger und Spannnungshalter für den dritten Roman.

Von überziegelsteingroßem Format als Tradepaperback, richtet sich der Umfang des Werks ganz nach modernen Vorstellungen der Äußerlichkeit und damit an Leser, die langatmige und bombastische Romane in ihren Regalen stehen haben wollen und bereit sind, für eine Geschichte in der Summe 45 Euro zu bezahlen. Von dieser herausgeberischen, in der Finanzkrise doppelt ärgerlichen reißerischen Aufmachung abgesehen, strickt der Autor allerdings ein ansehnliches Werk mit großartigen Zusammenhängen. Aber auch hier wirkt der Ausspruch des Kultautors Andreas Eschbach eher wie Verlags- und Freundschaftswerbung, wenn in großen Lettern auf dem Buchrücken steht: »Bordage nicht zu lesen, wäre ein Fehler«.

In einer ausschließlich von menschlichen oder menschenabkömmlichen Vernunftwesen bevölkerten Galaxis ist eine fremdartige Intelligenz, die in Form des Volkes der Scaythen auftritt, im Begriff, alle Schlüsselpositionen der Macht zu besetzen und ein kirchlich kontrolliertes System der Verdummung und Gleichgültigkeit zu erschaffen. Hinter den Scaythen steht anscheinend eine Wesenheit, deren Existenzgrundlage und Macht von der Einfältigkeit des/der Universums/sen abhängt und in diesem Universum nach der vollkommenen Macht strebt, indem sie die Kreativität vernichtet.

Die metaphysische Wissenschaft der inddikkischen Wissenschaft ist dabei das größte Hindernis, und so war es das größte Interesse der Scaythen, die Bewahrer dieser Wissenschaft und ihre Anwender, die Krieger der Stille, auszulöschen. Die Versuche der zwei dem Massaker entkommenden Menschen auf der alten Erde (Terra Mater), die Wissenschaft neu mit Leben zu erfüllen und nach einem Erlöser zu suchen, füllt nebst der weiteren Machtergreifung der Scaythen und Umwälzungen in der Kirche den zweiten Roman, der in dem Versuch des Mahdis der neuen Krieger der Stille auf der Erde gipfelt, sich der Hintergrundintelligenz in einer mentalen Auseinandersetzung zu stellen und sie zu besiegen.

Trotz der bombastisch klingenden Rahmenhandlung sind es vor allem kleine Ereignisse mit menschlichen Charakteren, die in ihrer Gesamtheit den großen Zusammenhang erzeugen und eine runde, stimmungsvolle Geschichte zum Leben erwecken. Nur kleine Abstecher in höhere Sphären werfen Schlaglichter und lassen den überstrapazierten Sense of Wonder anklingen, der für großartige kosmische Erzählungen typisch ist. Doch wo anderswo Raumschiffe und Aliens für Spannung sorgen, stehen hier die Menschen allein im Vordergrund.

Der Entwurf selbst ist nicht ganz neu. Die Menschen verbreiten sich über die Galaxis, ein Adel etabliert sich und kontrolliert über Erbrecht die Systeme, eine Religion als Staatsreligion unterdrückt die einfachen Menschen und kontrolliert ihr Wissen. Wie schon andere Schriftsteller – unter ihnen Dan Simmons, der in seinem Ilium-Epos dieses Thema auf die Spitze treibt – erkannten, ist der Konflikt zwischen größeren Glaubensgemeinschaften und politischen Interessengruppen auf der einen Seite und Judentum auf der anderen Seite ein Thema, das die Menschheit seit Ewigkeiten spaltet und zu schrecklichsten Gräueltaten antreibt – und dies aller Wahrscheinlichkeit nach auch in ferner Zukunft noch tun wird. Auch Bordage benutzt diesen alten Konflikt als Träger seiner Erlöser-Geschichte, die in diesem zweiten Band in den Vordergrund tritt und von der Entdeckung des Erlösers als Kind über seine Verfolgung durch Staat und Kirche, seinen scheinbaren Tod und seine Wiedergeburt auf der alten Erde bis zum Sammeln von »Jüngern« reicht. Sein Eingreifen in die umfassende Handlung ist in Band drei zu erwarten (»Die Sternenzitadelle« ist für den Dezember 2009 angekündigt), wo er entweder gewinnt, scheitert oder durch seinen Tod den Sieg der Menschheit gewährleisten wird. Letzteres ist am wahrscheinlichsten.

Wenn wir also die Entwicklung des Hauptthemas (Erlösung der Menschheit) über die drei Bücher betrachten, bemerken wir eine Zunahme des Transzendenten und Kosmischen schon im zweiten Band. Da sich in diesen Sphären die Entscheidung abspielen muss, weil sie der »Lebensraum« der vernichtenden Wesenheit sind, wird Band drei wohl der »wundervollste« Roman werden und die wichtigen bisher aufgeworfenen Fragen zusammen- und zu einem Finale führen.

Originaltitel: Terra Mater
Deutsch von Ingeborg Ebel
543 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-453-52409-5

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)

Peter V. Brett – Das Lied der Dunkelheit

Wann verliert ein Schrecken an Bedeutung? Wie kann man die Angst besiegen, die einen fast lähmt und daran hindert, sich zu wehren? Stehen wir uns manchmal selbst im Weg? Kann es sein, dass das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ doch zutrifft?

Mut zu beweisen, auch wenn der Gegner oder das Hindernis übermächtig erscheint, kann dumm oder fahrlässig sein, vielleicht überstürzt, aber meistens nicht unbedingt sinnlos. Den Mut zu haben, für sich und andere die Dunkelheit zu bekämpfen und damit den Funken für ein kleines bisschen Hoffnung zu schlagen, aus dem ein reinigendes Feuer entstehen kann, ist beachtenswert. Sind Kinder und Jugendliche dabei mutiger als Erwachsene, weil sie die Angst (noch) nicht realisieren können?

Peter V. Brett – Das Lied der Dunkelheit weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Gruppe, Marc – Untergang des Hauses Usher, Der (Gruselkabinett 11)

Baltimore, 1845: Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit Philipp Belfield und Roderick Usher zusammen zur Schule gingen. Jetzt erreicht Philipp ein Brief seines Jugendfreundes, in dem dieser ihn dringend um einen Besuch bittet. Philipp kommt dem Wunsch gern nach und reist auf den abgelegenen Stammsitz der Familie Usher, der in einem Sumpfland liegt. Er freut sich auf das Wiedersehen, doch schon die Ankunft verläuft merkwürdig.

Der Butler Briggs, den Philipp noch aus früheren Tagen kennt, ist sehr erstaunt über seinen Besuch, denn Roderick hat nichts angekündigt. Damit nicht genug, es wird grundsätzlich seit Jahren kein Besuch im Hause Usher empfangen, sodass die Einladung sehr ungewöhnlich ist. Dazu bittet Briggs Philipp inständig, jedes laute Geräusch zu vermeiden. Die Fenster sind verhangen, die Uhren abgestellt.

Philipp begegnet zunächst Madeline, Rodericks Zwillingsschwester, die ihn gar nicht wiedererkennt und hysterisch bittet, sie zu befreien. Nur langsam beruhigt sie sich und Philipp ist froh, als er endlich zu Roderick gebracht wird. Entsetzt sieht er, dass sein Freund in einem dunklen Zimmer sitzt und sehr elend aussieht. Roderick erklärt ihm, dass ihn ein altes Familienleiden befallen hat, das ihn zur extremen Empfindsamkeit verdammt. Jedes Geräusch und jeder Lichtstrahl quälen seine empfindlichen Sinne. Nur Philipps Gegenwart könne ihm ein wenig Zerstreuung verschaffen. Außerdem behauptet er, dass Madeline dem Wahnsinn nahe sei. Philipp solle ihren Worten auf keinen Fall glauben. Madeline wiederum warnt Philipp vor Roderick und glaubt, sie sei in Lebensgefahr …

_Edgar Allan Poes_ schauerromantische Erzählung aus dem Jahr 1839 bietet eine ideale Vorlage für die Reihe „Gruselkabinett“, die mit viel Mühe klassische Werke der unheimlichen Literatur für Hörer ab dem Jugendalter umsetzt.

|Freie Umsetzung|

Der Kern der Erzählung ist natürlich unverändert geblieben, aber die Vertonung hat einige Anpassungen vorgenommen. Der Butler Briggs existiert nicht in der Vorlage, auch gibt es dort mehr als einen Diener, während im Hörspiel Briggs betont, dass er der einzige verbliebene Bedienstete ist, was den unheimlichen Charakter verstärkt. Madelines Rolle ist in der Vorlage deutlich kleiner, der Ich-Erzähler begegnet ihr erst später, er spricht kaum mit ihr und auch ihre eindringliche Warnung fällt weg, ebenso wie die eindrucksvolle Szene in der Familiengruft. Dass in der Vorlage fast nur der Ich-Erzähler spricht, musste fürs Hörspiel natürlich ohnehin angepasst werden. Insgesamt sind die Veränderungen sehr zu begrüßen, da sie behutsam eingesetzt werden, ohne den Sinn der Vorlage zu entstellen.

|Spannung und Atmosphäre|

Alles beginnt bereits unheilvoll mit dem seltsamen Brief des ehemaligen Jugendfreundes, der fast verzweifelt klingt und schon früh andeutet, dass den Ich-Erzähler Philipp eine schwere Zeit erwartet. Das einsam gelegene Anwesen, der steife, ahnungslose Butler und die verhangenen Fenster beschwören rasch eine intensive düstere Atmosphäre herauf, sodass man der Handlung gebannt folgt. Obwohl als Kammerspiel inszeniert und mit nur sehr wenigen Figuren ausgestattet, wird der Hörer durchweg gefesselt von den offenen Fragen, die sich erst kurz vor Schluss beantworten.

Spannung versprechen vor allem die widersprüchlichen Angaben Rodericks und Madelines. So wie Philipp ist auch der Hörer selbst hin- und hergerissen in der Entscheidung, wem von beiden zu trauen ist und wer womöglich an Wahnvorstellungen leidet. Da ist die hysterische Madeline, die Philipp dringend ermahnt, ihrem Bruder nicht zu glauben, die ihn anfleht, sie aus dem Haus fortzubringen, und ihm in der unterirdischen Gruft ein furchtbares Familiengeheimnis anvertraut. Und da ist auf der anderen Seite Roderick, der sehr glaubwürdig von seiner kranken Schwester erzählt, sodass Philipp zu Recht nicht sagen kann, wem man eher trauen darf. Die Handlung verläuft geradlinig und spitzt sich gleichmäßig zu, ehe sie den brisanten Höhepunkt erreicht. Für Dramatik ist reichlich gesorgt und auch der Gruselfaktor kommt nicht zu kurz.

Der Ich-Erzähler Philipp eignet sich, auch wenn man nicht viele Informationen über ihn erhält, gut als Identifikationsfigur für den Hörer. Er präsentiert sich als offener, sympathischer junger Mann, der sich anfangs ganz unvoreingenommen auf seinen alten Jugendfreund freut und anschließend von den Ereignissen immer mehr überfordert wird. Obwohl er die Geschichte rückblickend erzählt, nimmt er nicht zu viel von der Entwicklung der Geschehnisse vorweg. Madeline und Roderick hinterlassen gemischte Gefühle – Madeline erweckt Mitleid, nachdem sie das grausige Familiengeheimnis erzählt hat, und Roderick ebenso aufgrund seiner Krankheit. Dennoch wagt man nicht, ihnen gänzlich zu vertrauen, vor allem, da sie stets unberechenbar bleiben.

|Gute Sprecher|

Oliver Feld spricht den jungen Ich-Erzähler sehr sympathisch und passt zu dem offenen, humorvollen Philipp Belfield. Seine Stimme kennt man vor allem aus der Titelrolle der Serie „Seinfeld“ und als Dr. Carter in „Emergency Room“. Tobias Kluckert wiederum spricht überzeugend den düsteren Roderick Usher. Er wirkte bereits öfter in der |Gruselkabinett|-Reihe mit, so in „Der Freischütz“ und in „Frankenstein“. Ansonsten synchronisierte er vereinzelt Filme und Serien mit Gerard Butler, Joaquin Phoenix und Kevin McKidd. Claudia Urbschat-Mingues ist eine sehr häufig gewählte Synchronsprecherin, unter anderem als deutsche Stimme von Angelina Jolie und Jennifer Connelly. Zu ihr passen ausdrucksstarke Rollen, allerdings liegt sie mit der Theatralik der hysterischen Madeline teilweise schon hart an der Grenze zum Übertriebenen. Umso schöner sind die musikalischen Untermalungen, die angenehm dezent gehalten sind.

|Kaum Schwächen|

Abgesehen von Kleinigkeiten ist die Umsetzung sehr gelungen. Dazu gehört etwa die ein wenig zu schwülstige Sprache. Natürlich wird hier der Vorlage gefolgt, denn Edgar Allan Poe ist für diese Schnörkeleien bekannt, trotzdem hätten die Dialoge ein bisschen weniger gestelzt gestaltet werden können. Der zweite kleine Punkt ist, dass Philipp ein bisschen zu unbedarft auf die seltsamen Ereignisse im Hause Usher reagiert. Schon allein das Verhalten des Butlers und dessen dunkle Andeutungen hätten ihn sehr misstrauisch machen müssen, und es dauert ein Weilchen, ehe er seine Naivität ablegt.

_Als Fazit_ bleibt eine gelungene Hörspielumsetzung von Edgar Allan Poes Erzählung, die mit guten Sprechern, intensiver Atmosphäre und viel Spannung aufwarten kann. Die Veränderungen gegenüber der Vorlage sind sehr sinnvoll und ändern nichts am Kern der Geschichte. Von ganz kleinen Punkten abgesehen eine sehr empfehlenswerte Folge.

_Sprechernamen:_

Philipp Belfield: O. Feld
Roderick Usher: T. Kluckert
Madeline Usher: C. Urbschat-Mingues
Briggs: K. Eichel

_Der Autor_ Edgar Allan Poe lebte von 1809 bis 1849. Der amerikanische Schriftsteller gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Kriminal- und Horrorliteratur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Morde in der Rue Morgue“, „Metzengerstein“, „Die Grube und das Pendel“, „Die Maske des Roten Todes“ und das Gedicht „Der Rabe“.

|Originaltitel: The Fall of the House of Usher, 1845
60 Minuten auf 1 CD|

Home – Atmosphärische Hörspiele


http://www.luebbe-audio.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Die obere Koje“ 5804 (Gruselkabinett 34)

Fielding, Joy – Katze, Die

Die alleinerziehende Mutter Charley ist Journalistin und mit ihrer humorvoll-frivolen Kolumne „Charlotte’s Web“ erfolgreich, auch wenn sie oft Kritik für die oberflächlichen Themen einstecken muss. Überraschend erhält sie einen Brief der verurteilten Mörderin Jill Rohmer, die drei Kinder brutal ermordet haben soll und in der Todeszelle sitzt. Jill entpuppt sich als Fan von Charley und bietet ihr exklusiv ihre Geschichte an, damit Charley ein Buch schreiben kann. Dabei will Jill, die im Prozess die Aussage verweigerte, angeblich eine ganz neue Sicht der Geschehnisse offenbaren.

Charley ist zunächst entsetzt und angewidert, lässt sich aber dennoch auf ein Treffen ein, begleitet von Jills Anwalt Alex Prescott. Wider Willen findet sie Jill sogar sympathisch und sehr viel harmloser als gedacht. Nach einigem Zögern erklärt sie sich schließlich bereit, das Buch zu schreiben. Jill will ihr in Briefen und persönlichen Interviews ihr Leben erzählen, und Charley ist trotz ihrer Vorbehalte gespannt auf die Enthüllungen.

Zur gleichen Zeit aber treffen wiederholte E-Mails bei ihr ein, die sie bedrohen. Der anonyme Schreiber beschimpft sie als Schundschreiberin und kündigt gar die Ermordung ihrer Kinder an. Charley informiert die Polizei und hofft, dass es sich nur um einen Wichtigmacher handelt. Während sie sich langsam auch auf privater Basis Alex Prescott annähert, enthüllt Jill, dass sie von ihrem Ex-Geliebten „Jack“ zur Beihilfe am Mord gezwungen worden sei. Nur aus Angst habe sie seine Identität bisher verschwiegen. Charley fürchtete zunehmend, dass „Jack“ wirklich existiert – und es vielleicht sogar auf sie und ihre Kinder abgesehen hat …

_Die Ausgangslage_ ist recht typisch für Joy Fieldings Werke: Eine Frau mit Kindern und familiären Problemen gelangt in eine bedrohliche Situation und muss schließlich um ihr Leben fürchten. Trotzdem handelt es sich hier um einen ihrer besseren Romane, der sich in einigen Punkten vom Einheitsbrei abhebt.

|Weitgehend spannend|

Im Gegensatz zu manch anderem Werk von Joy Fielding gibt es hier keine Ich-Erzählerin, und somit muss man zumindest theoretisch auch um das Leben der Protagonistin bangen. Bis dahin ist es aber ein langer Weg, denn zunächst liegt der Fokus auf Jill Rohmers Enthüllungen. Als scheinbar fröhliche und kinderliebe Babysitterin hatte sie bei den beiden Familien angeheuert und ihre Schützlinge kurz hintereinander entführt, brutal misshandelt und qualvoll getötet. Die Beweise sind erdrückend: DNA-Spuren an den Körpern, kein Alibi und Tonbänder, die nicht nur die Schreie der Kinder, sondern auch Jills Stimme enthalten.

Dennoch hat Charley nach kurzer Zeit schon Zweifel, ob Jill nicht vielleicht nicht die Haupttäterin war. Nicht nur, dass sie viel mädchenhafter und harmloser erscheint, als sie es sich vorgestellt hätte, sie findet sie beinah sympathisch, und es klingt immer glaubwürdiger, dass sie nur aus Angst vor ihrem psychopathischen Exgeliebten vor Gericht geschwiegen hat; auch ihr Anwalt ist von „Jacks“ Existenz überzeugt. Je tiefer Charley in Jills Leben eintaucht, desto stärker fühlt sie sich hin- und hergerissen. Einerseits traut sie Jill die schrecklichen Morde nicht zu, andererseits gibt es auch belastende Aussagen ihrer Familie und Exfreunde, und so ist es für den Leser spannend zu verfolgen, was man noch alles über Jill erfährt.

Im weiteren Verlauf sorgen die Drohmails für Brisanz. Es verdichtete sich der Verdacht, dass „Jack“ hinter ihnen steckt – aber handelt er gegen Jills Wissen und Willen oder stachelt sie ihn womöglich dazu an? Oder ist es womöglich doch nur ein wutentbrannter Leser, der sich, wie nicht wenige andere, an ihren intimen Themen und dem flapsigen Schreibstil stört? Die Polizei kommt mit ihren Ermittlungen auch nicht weiter, da die Mails natürlich von verschiedenen öffentlichen Computern kommen.

|Interessante Charaktere|

Charleys Privatleben wird ein sehr großer Raum in der Handlung gewidmet. Da ist zum einen das zerrüttete Familienverhältnis. Vor über 20 Jahren verließ ihre Mutter Elizabeth die Familie, weil sie ihre Liebe zu Frauen entdeckte und mit ihrer Freundin nach Australien zog. Jetzt ist sie zurück und hofft auf einen Neuanfang, doch außer Charley ist keine ihrer beiden Schwestern und auch weder ihr Bruder Bram noch ihr Vater zu einem Treffen bereit. Immer wieder versucht Charley zu vermitteln, auch wenn sie selbst ihrer Mutter noch nicht ganz verziehen hat, scheitert aber, zumal sie ebenfalls kein allzu gutes Verhältnis zum Rest der Familie besitzt.

Nächster Punkt sind ihre Schwierigkeiten mit Männern. Charley ist unverheiratet und bisher kein Typ für lange Beziehungen, auch wenn sie zu den Vätern ihrer beiden Kinder ein recht gutes Verhältnis hat. Im Verlauf der Handlung lässt sie sich mit Alex Prescott ein, was Jill mitbekommt und merkwürdig reagieren lässt, und auch ein weiterer Mann spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Jills Schilderungen ihrer Kindheit werfen in Charley zudem die Frage auf, inwieweit Psychopathen von ihrer Umwelt geformt werden. Zwischenzeitlich ertappt sie sich dabei, die Geschichten von Inzest und Gewalt in der Familie beinah als Entschuldigung zu sehen, obwohl sie andererseits genau weiß, dass keine Erfahrung einen Menschen zwingend zu einem Mörder macht.

|Ein paar Schwächen|

Zum einen dürfte es vor allem eingefleischte Thrillerfans stören, dass Charleys Familienprobleme beinah einen größeren Raum einnehmen als die eigentliche Spannungshandlung. Es gibt viele Szenen, in denen gestritten wird, Charley sich an ihre Kindheit erinnert, vergeblich versucht, Treffen zu arrangieren, und man sich natürlich auch ausspricht und versöhnt, inklusive dem typisch amerikanischen „Ich liebe dich“, das sich Kinder und Mutter zuhauchen.

Da vergisst man zeitweise beinahe, dass es eigentlich um eine Mörderin geht und nicht um ein Familiendrama. Zum anderen kommt das Finale etwas überhastet; wie aus dem Nichts heraus schweben Charleys Kinder in Gefahr, und im Vergleich zur vorher ausufernden Handlung verläuft alles sehr schnell, beinah so, als hätte die Autorin eine gewisse Seitenzahl als Maximum vorgegeben gehabt. Die Identität des Täters ist nicht so überraschend, wie es sein sollte, weniger wegen geschickter Andeutungen – davon gibt es nämlich zu wenige -, sondern eher, weil es zum konventionellen Thriller-Schema passt. Vor allem wer schon mehrere Joy-Fielding-Romane gelesen hat, dürfte nicht wirklich überrascht werden. Letzter störender Punkt ist der Zufall, der es Charley ermöglicht, herauszufinden, wer hinter den E-Mails steckt und ihre Kinder bedroht. Ein Beweis fällt ihm im Wortsinn direkt in die Hände, was den hastigen Verlauf des Finales noch verstärkt – ein bisschen mehr Einfallsreichtum wäre schön gewesen.

_Als Fazit_ bleibt ein insgesamt solider Frauenthriller über eine Journalistin, die in Kontakt mit einer verurteilten Kindermörderin gerät. Die Handlung ist weitgehend spannend, die Charaktere sind nicht uninteressant, allerdings überwiegen zeitweise die privaten Probleme gegenüber dem Thrilleraspekt und das Ende kommt zu plötzlich und ist ein wenig konstruiert. Leicht zu lesen und unterhaltsam, aber kein Highlight.

_Die Autorin_ Joy Fielding, geboren 1945 in Toronto, Kanada, hatte bereits in ihrer Kindheit großes Interesse am Schreiben. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie englische Literatur und arbeitete eine Weile als Schauspielerin. 1991 gelang ihr mit dem Roman „Lauf, Jane, lauf“ der internationale Durchbruch. Seitdem landen ihre Frauenthriller regelmäßig auf den Spitzenpositionen der Bestsellerlisten. Weitere Werke sind u. a. „Sag Mammi goodbye“, „Ein mörderischer Sommer“, „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ und „Tanz, Püppchen, tanz“.

|Originaltitel: Charley’s Web
Übersetzung: Kristian Lutze
477 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-442-31154-5|
http://www.joyfielding.com
http://www.goldmann-verlag.de

_Joy Fielding auf Buchwurm.info:_

[„Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ 556
[„Träume süß, mein Mädchen“ 4396
[„Nur der Tod kann dich retten“ 4933

Hansen, Matthew Scott – Schwarzes Dickicht

_Das geschieht:_

Noch vor drei Jahren war Tyler Greenwood als Führungskraft eines aufstrebenden Software-Unternehmens eine respektierte Autorität. Dann begegnete er auf einem Wanderausflug in der Wildnis des US-Staats Idaho dem legendären „Bigfoot“, jenem urzeitlichen Affenwesen, das sich angeblich seit der Eiszeit in den dichten Wäldern Nordamerikas verbirgt. Tyler hing sein Erlebnis an die große Glocke und erntete Hohn & Spott. In den nächsten Jahren jagte er ebenso geldaufwendig wie vergeblich die Kreatur, heuerte sogar als Forstmann an und setzte seine Ehe aufs Spiel.

Mit seiner Familie lebt Tyler im Städtchen Snohomish, Washington. Dort untersuchen Mac Schneider und Karl Carillo, Detectives für das County Sheriff’s Department, das mysteriöse Verschwinden zweier waldwandernder Rechtsanwälte. Dass Mac dabei auf die Fußspur eines gigantischen Wesens stößt, hält er lieber geheim. Doch eindeutig geht Seltsames vor: Schwere Autos werden umgestoßen, weitere Menschen verschwinden. Durch den Wald tappt ein schattenhafter Schrecken, der nicht nur mordet, sondern dabei auch eine zielstrebige Intelligenz an den Tag legt.

Ben „Eagleclaw“ Campbell, der als Film-Indianer vom Dienst sein Geld in Hollywood verdient, kennt die Kreatur, seit er ihr Anno 1945 nur um Haaresbreite entkam. Das Wissen seiner Vorfahren ermöglicht ihm den geistigen Rapport mit dem Ungeheuer. Ben erkennt, dass es einen mörderischen Feldzug gegen die Menschen plant. Er reist nach Snohomish, um es zu stoppen. Kris Walker, eine junge, schöne und ehrgeizige TV-Reporterin, komplettiert die kleine Gruppe der ungleichen Monsterjäger, die sich zusammenraufen, um sich nur allzu bald in der Rolle von Gejagten wiederzufinden …

_Der Affe, der nicht sterben will_

Der Homo sapiens ist seit jeher eine unbarmherzig tüchtige Spezies. Wer ihm bei der Besiedlung dieses Planeten in die Quere kam, wurde aus dem Weg geräumt. Dies schloss weniger erfolgreiche Prototypen des Menschen durchaus ein. Dass der Neandertaler so ein Pechvogel war, wird heute nicht nur vermutet. Aber da gab es andere Vorfahren und Verwandte, die geistig & körperlich deutlich simpler gebaut waren und trotzdem viele Jahrtausende recht erfolgreich ihr Leben fristeten. Was geschah mit ihnen?

Spökenkieker und Spinner ‚wissen‘ längst, dass sie dorthin entwischt sind, wo sie ihr Nachfahre nicht so leicht erwischte. Sie ziehen über endlose Steppen, kraxeln auf hohe Berge und brechen durch tiefe Wälder. Dort munkeln sie als „Alma“ (Mongolei), „Yeti“ (Himalaja), „Bigfoot“ (USA) oder „Sasquatch“ (Kanada) umher und schaffen es trotz ihrer Primitivität erstaunlich erfolgreich, sich selbst modernen Spürgeräten zu entziehen.

Dass dies eventuell auf ihr Nichtvorhandensein zurückzuführen ist, behaupten natürlich nur wissenschaftshörige Spielverderber. Matthew Scott Hansen steht mit anderthalb Füßen im Lager der Gläubigen. Er hat ausgiebig über das Thema Bigfoot recherchiert und präsentiert ein Destillat aus entsprechenden Ergebnissen in einem umfangreichen Nachwort sowie auf seiner Website. (Die Feigheit der von der Beweislast scheinbar erdrückten Forschung geißelt Hansen mit der Figur eines Anthropologen, der nur hinter verschlossener Tür zugibt, dass es den Bigfoot gibt, aber die öffentliche Verlautbarung verweigert, um seiner Stellung und seiner Fördermittel nicht verlustig zu gehen.) Mit sensationellen Neuigkeiten oder gar überzeugenden Fakten kann auch er nicht dienen, weshalb wieder einmal der ‚gesunde Menschenverstand‘ und die Fantasie als Lückenbüßer einspringen müssen.

_Ein Monster macht mobil_

Der klassische Bigfoot ist ein eher scheues Lebewesen, das sich nur bedingt für einen Roman eignet, wie Hansen ihn plante. Er verwandelt den friedlichen Waldbewohner in eine mordende Bestie, die dreieinhalb Meter hoch, nashornschwer und trotzdem pfeilschnell über seine Opfer kommt. Als ‚Motiv‘ fungiert Rache, denn böse Modern-Menschen haben ihm versehentlich die Sippe ausgerottet, was zum Auslöser eines Ein-Monster-Krieges wurde, der gegen Wanderer und Waldrand-Bewohner geführt wird.

Es dauert seine Zeit, bis dies publik wird, denn der Bigfoot ist schlau. Hansen nutzt die Gelegenheit, seine Leser mit diversen Theorien bekannt zu machen, die das erfolgreiche Schattendasein seiner Spezies ‚erklären‘. So soll Bigfoot achtsam seinen Müll vergraben, und über einen siebten Sinn, der ihm das Nahen von Beute oder Feinden verrät, verfügt er außerdem. Auf menschlicher Seite sind es vor allem die nordamerikanischen Indianer, jene von den Gutmenschen dieser Welt in die Rolle des ewigen Naturkinds gedrängten Ureinwohner, die über ein ähnliches Ohr zur Geisterwelt verfügen.

Bigfoots Feldzug beginnt recht schlüssig, bis er – der Grund wird nie wirklich deutlich – eine Privatfehde mit Tyler Greenwood & Co. vom Zaun bricht. Nun legt er die Hollywood-Schläue des waschechten Psychopathen an den Tag und ist genauso schwer umzubringen. Ein feuriges Finale unter Blitz-und-Donner-Himmel und mit Kindern in Gefahr ist die logische Folge.

_Trivial schlägt realistisch_

Wenn wir es bisher nicht wussten, ist es jetzt amtlich: „Schwarzes Dickicht“ ist Horror-Trash der Handelsklasse A: Klischee reiht sich an Klischee, Originalität ist noch schwieriger zu erwischen als der Bigfoot, und sollte der Leser zwischendurch hundert Seiten überspringen, so fällt der Anschluss ans Geschehen trotzdem kinderleicht.

Erstaunlicherweise stört das weit weniger als ein exzessiv ausgewalzter Mittelteil, in dem die Handlung auf der Stelle tritt und aus welcher Bigfoot sogar passagenweise verschwindet, um Liebesränken und anderen Als-ob-Konflikten Platz zu machen. Das hätte Hansen sich und seinen Lesen ersparen können, denn obwohl „Schwarzes Dickicht“ kühl kalkuliertes Lesefutter ist, stimmt die Mischung seiner Bestandteile. Hansen kann schreiben, er hat ein Gespür für gut konstruierte Spannungsszenen (die ihre Verfilmung bereits vorwegnehmen.), und er nimmt sein Garn glücklicherweise nie bierernst. Trockener Humor und drastische Effekte scheut er nicht. Es wird gemetzelt, dass die Fetzen buchstäblich fliegen.

Zumindest diesen Bogen überspannt Hansen freilich. Eine unfreiwillig komische Sex-Szene und eine ebenso ekelhafte wie überdeutlich als lukrativer Tabubruch gedachte Vergewaltigung markieren die Grenzen seines Talents. Ein regelrechtes Trommelfeuer von Happy-Endings hätte ebenfalls nicht sein müssen; Hansen scheint sich von seiner Geschichte einfach nicht trennen zu können.

_Figuren aus der Retortenkammer_

Ein weniger erfreuliches Kapitel ist die Hansensche Figurenzeichnung. Hier schlägt der Trashfaktor ungebremst durch, denn wir finden sämtliche Pappkameraden des Genres: den redlichen, aber tragisch aus der Bahn geworfenen Durchschnittsmann; seine unverständig harmoniesüchtige Gattin, ihre kulleräugigen Kinder (= Nägelkau-Reserve, wenn das Monster im Haus des Helden auftaucht und seine Familie bedroht); den harten, aber smarten Cop plus seinen noch härteren, aber begriffsstutzigen Partner; die nicht nur publicitygeile Reporterin, die über Leichen geht (und viel zu gleichberechtigt ist, weshalb sie ganz besonders hässlich enden muss); sowie kerniges US-Landvolk in Flanellhemd und Truck, fiese Rednecks, den knarzigen Kleinstadt-Sheriff und viele, viele andere Schießbudenfiguren, die ein Stephen King in echte Charaktere zu verwandeln wüsste.

Im Fall von Ben „Eagleclaw“ Campbell hat Hansen versucht, die aufdringlichsten Klischees zu brechen, indem er aus dem weisen Schamanen einen kettenrauchenden Film-Indianer machte. Manitus Gedankenbrücke zum ebenfalls hellhirnigen Bigfoot ist allerdings noch immer so breit, dass sämtliche Inkarnationen pseudo-mythologischer Einfalt sie problemfrei nebeneinander beschreiten könnten.

Es sei ein letztes Mal wiederholt: Trotz seiner Mängel kann dieser Roman für sich einnehmen. Hansen ist konsequent, er kann unterhalten, und sollte er – z. B. als Missionar der Bigfoot-Fraktion – weitere Intentionen mit seinem Werk verbinden, ist er glücklicherweise zu ungeschickt, um dem glaubwürdig Ausdruck zu verleihen.

_Der Autor_

M. S. Hansen wurde 1953 im US-Staat Oregon geboren und wuchs im Staat Washington auf. Er studierte an der Washington State University und nahm an diversen Kursen über kreatives Schreiben teil. Nach seinem Abschluss begab er sich auf die traditionelle Ochsentour noch verpuppter Schriftsteller, d. h. er versuchte sich als normaler Arbeitnehmer. Als solcher wechselte er – auch dies ist offenbar Brauch – von Job zu Job.

Unter anderem leitete Hansen in Seattle eine Firma, die Werbespots für das Radio produzierte. Dort lernte er den Stimmenimitator Bill Fitzhugh kennen, der sein Freund und Partner wurde. Das Duo versuchte sich als Komiker und wechselte später nach Hollywood, wo es Arbeit beim Fernsehen fand. Die Partnerschaft währte 15 Jahre.

Hansen blieb in Kalifornien und schrieb einen Spannungsroman. „The Shadowkiller“ (dt. „Schwarzes Dickicht“), sein Erstling, erschien 2007 und wurde zum recht erfolgreichen Auftakt einer Schriftstellerkarriere, die Hansen fortzusetzen gedenkt.

Website: http://www.matthewscotthansen.com

Einen vorzüglichen (oder erschreckenden …) Blick auf die Welt der Bigfoot-‚Forschung‘ ermöglicht: http://www.oregonbigfoot.com

_Impressum_

Originaltitel: The Shadowkiller (New York : Simon & Schuster 2007)
Übersetzung: Andreas Kasprzak
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2008 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 36916)
592 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-36916-4
http://www.blanvalet.de

MacBride, Stuart – Blut und Knochen

_Das geschieht:_

Der neue Fall für Detective Sergeant Logan McRae von der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen ist ein recht unappetitlicher: In einem Container, der Gefrierfleisch für die Besatzung einer Ölbohrinsel enthält, wurden Teile mindestens eines fachgerecht zerwirkten Menschenkörpers entdeckt. Als die Metzgerei, die das Fleisch lieferte, von der Polizei durchsucht wird, finden sich dort weitere für den Verzehr vorbereitete Leckereien eindeutig menschlicher Herkunft.

Der Fund weckt Erinnerungen an die Taten des „Fleischers“, eines Serienkillers, der vor zwanzig Jahren Ehepaare daheim überfiel, entführte, ermordete und zerlegte. Als Hauptverdächtiger galt der Metzger Ken Wiseman, der allerdings aufgrund schwerwiegender Verfahrensfehler nach kurzer Haft auf freien Fuß gesetzt werden musste – eine Niederlage, die Detective Inspector Insch, damals ermittelnder Beamter und heute McRaes Vorgesetzter, noch heute zu schaffen macht.

Deshalb stürzt sich Insch mit Verve in die neue Fahndung nach dem alten Bekannten, denn der Metzger, in dessen Kühlkammer das menschliche Bratfleisch lagerte, beschäftigte seinen Schwager: Ken Wiseman! Der ist freilich untergetaucht, bevor ihn die Polizei festnehmen konnte, und verfällt in einen Blutrausch, der ihn die Peiniger von einst verfolgen lässt. Auch Insch und seine Familie geraten in Wisemans Gewalt.

McRae entdeckt zu allem Überfluss, dass der wieder aufgetauchte „Fleischer“ niemals Wiseman war. Damals wie heute spielt/e der Trubel dem tatsächlichen Täter in die Hände: Während die Polizei Wiseman verfolgte, konnte und kann der „Fleischer“ in aller Ruhe seinem Mordtrieb nachgeben. Jetzt agiert er noch weitaus perfider als früher, denn er schlachtet nicht alle Opfer; die Pechvögel sperrt er in sein Labyrinth ein und füttert sie mit den Resten ihrer Mitgefangenen …

_Mahlzeit!_

Schon die keltischen Skoten und Pikten waren wilde Völker, die von den Römern nur zu bändigen waren, indem sie Schottland vom Rest der britischen Hauptinsel durch den Hadrianswall trennten. Nachdem diese Grenze gefallen war, setzte ein Jahrhunderte währendes Hauen & Stechen ein, dem Mel Gibson mit „Braveheart“ ein in allen grausigen Details liebevoll gezeichnetes Filmdenkmal setzte.

Dem möchte der schottische Autor Stuart MacBride nun offenbar nachstreben, und auch er bedient sich quasi filmischer Methoden, um seiner Schauermär vom serienmordenden „Fleischer“ die nötige Durchschlagskraft zu verschaffen. Der wirkt wie einem Horrorfilm vom Kaliber einer „Splatter“-Granate wie „Texas Chainsaw Massacre“ entsprungen, auch wenn er – MacBride ist ein Witzbold; dazu später mehr – hier die Maske der „Eisernen Lady“ Margareth Thatcher trägt, die England als Premierministerin von 1979 bis 1990 regierte und – nach Ansicht ihrer Kritiker – terrorisierte.

Schon die ersten drei Bände der Logan-McRae-Serie zeichneten sich durch drastisch dargestellte Gräueltaten und -szenen aus. Dieses Mal übertrifft sich MacBride mit den ausgemalten Schauerlichkeiten nicht nur selbst: Er treibt es auf die Spitze und geht oft noch ein gutes Stück weiter. Das muss man wissen, wenn man zur Lektüre von „Blut und Knochen“ ansetzt, die empfindliche Naturen überfordern und zur Kritik herausfordern könnte.

_Ein grimmiges Vergnügen_

Wovon sich der wagemutige Leser nicht abschrecken lassen sollte, weil ihm – oder ihr – ein sicherlich politisch nicht korrekter, aber sowohl spannender als auch witziger Krimi entginge. Hinter dem vordergründigen Blutbad steckt ein mehrschichtiger Plot. Die Jagd nach dem „Fleischer“ ist „Whodunit“ und „police procedural“; wer sich hinter der Maske verbirgt, bleibt viele hundert Seiten unklar. Zwar hat der Leser keine reale Chance, die Identität des „Fleischers“ zu erraten, weil ihm entsprechende Indizien vorenthalten werden. Das wird dem Verfasser allerdings kaum jemand zum Vorwurf machen, weil dieser die lange vergebliche Fahndung so spannend in Szene zu setzen weiß.

Die Polizei steht unter Druck, der von den Vorgesetzten durch die Ränge nach unten weitergegeben wird und sich dabei verstärkt. Politik und Medien sind rasch mit dem Urteil „unfähig“ bei der Hand; sie ignorieren die Schwierigkeiten einer Ermittlung mit zwanzigjähriger Vorgeschichte, die eine Chronik menschlicher Verfehlungen darstellt. Diesen Knoten zu entwirren, bedarf seiner Zeit. Logan McRae wäre dies vermutlich weitaus früher gelungen, doch er ist gleich mehrfach gehandicapt.

MacBride schildert die Grampian Police als sympathische, aber unorganisierte Truppe. Überarbeitung und mangelhafte Ausrüstung fordern ebenso wie Kompetenzrangeleien ihren Tribut. Dass dieses Mal die Schere zwischen Herausforderung und polizeilichem Alltag besonders weit klafft, verdeutlicht MacBride, indem er immer wieder von der Ermittlung ins unterirdische Labyrinth des „Fleischers“ umblendet, in dem eine weibliche Gefangene allmählich den Verstand verliert. Hier ist der Verfasser sozusagen deckungsgleich mit dem „torture porn“ des modernen Horrorfilms à la „Hostel“ oder „Saw“, aber ihm gelingt, was er erreichen will: Dem Leser wird eindringlich klar, dass jede Sekunde zählt.

_Was schiefgehen kann …_

Auch ohne den „Fleischer“ wirkt das Leben des Logan McRae wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Von seiner Freundin Jackie hat er sich inzwischen getrennt, aber sie, die ebenfalls Polizistin ist, vermag sich unter Ausnutzung des Dienstwegs bitter zu rächen. Weiterhin ist McRae Diener zweier unberechenbarer Herrn; zwischen dem cholerischen Insch und der chaotischen Detective Inspector Roberta Steel wird er förmlich zerrieben, da die beiden zudem verfeindeten Vorgesetzten nur die Dreistigkeit eint, mit der sie den gutmütigen McRae in die Zange nehmen.

Murphy’s Law spielt eine große Rolle in den McRae-Romanen. So sicher wie nie hält der Verfasser in „Blut und Knochen“ die Balance zwischen Komik und Tragik. Zwerchfellerschütternde Episoden wechseln abrupt mit dramatischen Szenen, bei denen dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt. Dabei genießen auch prominente und beliebte Hauptfiguren keinen Bestandsschutz; dieses Mal ist es DI Insch, den MacBride beruflich wie privat in die Hölle stürzt.

Ohnehin verwischt der Verfasser unablässig die Grenze zwischen „gut“ und „böse“. Ken Wiseman wurde durch einen übereifrigen Polizisten in die Rolle des „Fleischers“ gedrängt, sein Leben dadurch zerstört. Als genau dies zum zweiten Mal geschieht, dreht er durch. Man versteht ihn, aber es entschuldigt nicht seine Taten – zumal MacBride mit einer gelungenen Volte Wisemans Rolle plötzlich neu definiert.

Überhaupt ist MacBride ein Meister unerwarteter Wendungen. Sie ergeben sich aus dem Geschehen und wirken nicht aufgesetzt. Wie es sich für einen gelungenen Krimi ziemt, wischt die tatsächliche Auflösung alle bisherigen Theorien vom Tisch. Für die Taten des „Fleischers“ gibt es ein Motiv – und das immerhin lässt MacBride im „Whodunit“-Stil durchblicken; man muss das zwischen geschickt gezündeten Nebelkerzen nur erkennen …

_Krimi mit Multimedia-Ansätzen_

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen ehrbaren und überforderten Polizisten und skrupellosen Journalisten ist ein Stützpfeiler des gedruckten und verfilmten Krimis. MacBride weiß auch aus diesem Klischee Funken zu schlagen. Der Sturmlauf der Presse gewinnt groteske Züge, nachdem der Verdacht – mehr ist es nie – aufkommt, der „Fleischer“ habe Menschenfleisch in den Handel einschleusen können. Die daraus resultierenden Schlagzeilen führt uns der Verfasser buchstäblich vor Augen: Verschiedene Kapitel von „Blut und Knochen“ werden durch Kollagen eingeleitet, die Ausschnitte fiktiver Zeitungsartikel präsentieren. Sie enthalten sogar Fotos, auf denen MacBride zum Teil Schauspieler agieren ließ. Diese Schnipsel – die übrigens für die deutsche Ausgabe übersetzt und neu layoutet wurden – verdeutlichen das Tohuwabohu einer privatisierten, globalisierten, abgestumpften Gesellschaft ebenso traurig wie perfekt.

Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, ob und wie MacBride den einmal eingeschlagenen Kurs weiterverfolgen möchte. Bisher ist es ihm immer noch gelungen, der Schraube eine Umdrehung mehr zu geben. Mit „Blut und Knochen“ scheint das Ende dieser Fahnenstange und die Grenze zur (gewollten?) Parodie erreicht zu sein, aber MacBride ist wie gesagt stets für eine Überraschung gut …

_Der Autor_

Stuart MacBride wurde im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website www.stuartmacbride.com, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Die Logan McRae-Serie erscheint im Wilhelm Goldmann Verlag:

(2005) Die dunklen Wasser von Aberdeen („Cold Granite“) – TB 46165
(2006) Die Stunde des Mörders („Dying Light“) – TB 46262
(2007) Der erste Tropfen Blut („Broken Skin“) – TB 46574
(2008) Blut und Knochen („Flesh House“) – TB 47029
(2009) „Blind Eye“ (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: Flesh House (London : HarperCollinsPublishers 2008/New York : Minotaur Books 2008)
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 47029)
Übersetzung: Andreas Jäger
511 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-47029-7
http://www.goldmann-verlag.de

_Mehr von Stuart MacBride auf |Buchwurm.info|:_

[„Die dunklen Wasser von Aberdeen“ 2917
[„Die Stunde des Mörders“ 3739
[„Der erste Tropfen Blut“ 4940

McCammon, Robert R. – Unschuld und Unheil

1964 in der Kleinstadt Zephyr in Alabama, tiefster Süden der USA: Der zwölfjährige Cory verbringt hier eine bislang idyllische Kindheit. Seine besten Freunde sind der pummelige Ben, der nachdenkliche Johnny und der draufgängerische Davy, nicht zu vergessen natürlich Corys geliebter Hund Rebell. Eines Morgens begleitet Cory seinen Vater auf dessen Tour bei der Milchauslieferung. Am düsteren See Saxon’s Lake schießt plötzlich ein Auto aus dem Wald an ihnen vorbei und stürzt hinein. Corys Vater springt hinterher und versucht, den Fahrer zu retten, doch vergeblich. Tatsächlich ist der Mann bereits tot, sein Gesicht von Schlägen gezeichnet, eine Schlinge um den Hals und an das Lenkrad gekettet. Corys Vater kann nicht verhindern, dass der Wagen mitsamt der Leiche im See unrettbar versinkt.

Der einzige Hinweis auf den Toten ist eine seltsame Tätowierung, die Corys Vater erkannt hat, doch der Sheriff findet keinen passenden Vermissten. Cory hat während der Rettungsaktion seines Vaters eine Gestalt am Ufer gesehen, die eine grüne Feder verloren hat, und ist überzeugt davon, dass diese Person darin verwickelt ist. Auch sein Vater hat das Erlebnis nicht verkraftet. Immer stärker plagen ihn Alpträume und die Frage, ob der Mörder aus ihrer behüteten Stadt kommt.

Nicht nur die Suche nach der Gestalt mit der Feder begleitet Cory in diesem Sommer. Da sind auch die unheimlichen Legenden über Old Moses, das Ungeheuer aus Saxon’s Lake, die geheimnisvolle uralte Voodoo-Lady aus dem Schwarzen-Viertel, schlicht „die Dame“ genannt, deren Visionen Cory noch manches Mal helfen werden, seine erste Kurzgeschichte und ein nächtlicher Campingausflug mit seinen Freunden, der ihn einem Geheimnis gefährlich nahe bringt. Zwischen all den schönen Erlebnissen lauert der Tod, und Cory spürt bald, dass er das Schicksal des Toten im See klären muss, um sich und das Leben seines Vaters zu retten …

_Das Ende der idylllischen Kindheit_ hat mit Werken wie Stephen Kings „Es“ und „Die Leiche“ („Stand by me“), Ray Bradburys „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ sowie Dan Simmons „Sommer der Nacht“ großartige Werke der modernen Literatur hervorgebracht, und besonders die Kombination mit Horror erzielt diesen wunderbaren Effekt, den auch „Unschuld und Unheil“ voll für sich beanspruchen kann.

|Dichte Atmosphäre, gelungene Charaktere|

Robert R. McCammon gelingt es großartig, eine verzaubernde Stimmung zu kreieren. Nicht erst im Nachwort, in dem sich der Autor bei allen möglichen Schauspielern und Autoren bedankt, wird offenkundig, dass er sich bei Corys Kindheit stark von seiner eigenen beeinflussen ließ, denn immer wieder werden typische Bücher, Zeitschriften, Filme und TV-Serien der sechziger Jahre erwähnt. Von Anfang an wird der Leser hineingesogen in die beschauliche Kleinstadt Zephyr, in welcher der damals zwölfjährige Cory eine behütete Kindheit führt. Es ist ein verschlafenes Städtchen, in dem sich die Bürger untereinander gut zu kennen glauben und das doch in jenem Sommer eine Vielzahl von Geheimnissen preisgibt.

Corys Kindheit lädt zum Identifizieren ein, sowohl für jene, die ähnliche Erinnerungen haben, als auch für solche, die davon träumen. Cory ist ein in vielerlei Hinsicht typischer Junge kurz vor seinem zwölften Geburtstag, der Abenteuer liebt, Gruselfilme schaut, spannende Bücher verschlingt, mit seinen Freunden durch die Natur streift, Baseball spielt und per Fahrrad durch Zephyrs Straßen prescht. Dazu liebt er es, Geschichten zu erzählen, die andere Menschen trösten oder ablenken und in diesem Sommer wird er eine ganz besondere Kurzgeschichte schreiben.

Besonders faszinierend sind die vielen kleinen Zwischenspiele, die der Autor in die Haupthandlung, die sich um den Toten im See dreht, einflechtet: Da sind die Übernachtung bei Corys Freund Ben, die ihm mehr über dessen Eltern verrät, als ihm lieb ist; der lispelnde Nemo, der Neuling in der Stadt, hinter dessen schmächtigem Körper sich ein ungeahntes Talent verbirgt; das Hochwasser, in dem Cory das legendäre Monster Old Moses leibhaftig zu Gesicht bekommt; Corys Hund Rebell, dem ein trauriges und doch zugleich schönes Schicksal bevorsteht; da sind die Schulschläger Gordo und Gotha, die zum ersten Mal Gegenwehr erleben; der Ku-Klux-Clan, der sein Unwesen treibt; Miss Grace und ihr verrufenes Vergnügungshaus; die junge Frau im Wald, die Cory zum ersten Mal ins Schwärmen bringt; und da ist der Jahrmarkt, dessen angebliche Saurierattraktion noch für eine Menge Aufruhr in Zephyr sorgen wird. Viele der Episoden scheinen unabhängig von der Haupthandlung zu bestehen, kleine Momente im Leben eines Jungen, der zum ersten Mal das Leben der Erwachsenenwelt schmeckt, aber die meisten fügen sich im Nachhinein sehr gut ins Gesamtbild ein. Manche Szenen bringen den Leser zum Trauern oder gar zum Weinen, dann wieder sorgen Corys Abenteuer, die Neckereien unter den Freunden und sein lakonischer Tonfall beim Erzählen seiner Erinnerungen für witzige Augenblicke.

Die bemerkenswerteste Nebenfigur ist „die Dame“, eine schwarze Lady von 106 Jahren, die von der schwarzen Bevölkerung wie eine Königin verehrt und von der weißen überwiegend misstrauisch beäugt wird. Sie gilt als Voodoo-Zauberin, die aber eine der wenigen in der Stadt ist, die schon früh das nahende Unheil spüren. Ihre prophetischen Träume handeln vom Toten im See, und Cory ahnt, dass er der Dame nicht nur vertrauen kann, sondern auch ihre Hilfe zwingend braucht, um das schreckliche Geheimnis des Mordes zu lösen, das seinen Vater zunehmend quält. Von ihr erhält er auch ein neues Fahrrad als Geschenk, das nicht nur imposant aussieht und ob seiner Schnelligkeit zu Recht von Cory den Namen „Rakete“ erhält – sondern bei genauem Hinsehen glitzert ein goldenes Auge in seinem Scheinwerfer, das Rad lenkt gelegentlich eigene Wege, und wer es unbefugt anfasst, kann sich schon mal eine Bisswunde einfangen. Zephyr ist voll an skurrilen Originalen wie die altjüngferlichen Miss Blue und Miss Green Glass in ihren Farbgewändern, der liebenswerte Sonderling Vernon Thaxter, der dank seines mächtigen Vaters unbehelligt stets nackt durch die Straßen läuft, Corys cholerischer Großvater Jaybird und der alte Mr. Cathcoate, der angeblich einmal Revolverheld Wyatt Earp das Leben rettete.

|Spannung bis zum Schluss|

Bei allen netten Anekdoten und Abschweifungen steht immer die Frage nach dem Toten im See und dessen Mörder im Hintergrund, der höchstwahrscheinlich aus dem beschaulichen Zephyr stammt. Die einzigen Hinweise sind die Tätowierung des Ermordeten mit einem geflügelten Totenkopf, die aber bislang zu keiner Identifizierung führte, und die grüne Feder, welche die Gestalt im Mantel, die den Unfall beobachtete, verlor und die Cory sorgsam aufbewahrt. Er schweigt über diesen Fund, denn er befürchtet zu Recht, damit nicht ernst genommen zu werden, hält aber unentwegt die Augen offen.

Nach und nach steigert sich die Spannungskurve, die sich nicht nur darum dreht, wer der Unbekannte war, warum er ermordet wurde, wer sein Mörder ist, sondern auch darum, ob Cory und sein Vater als einzige Zeugen ins Visier des Täters geraten. Mehrfach scheint es, als habe Cory einen begründeten Verdacht, doch erst kurz vor Schluss enthüllen sich alle schrecklichen Umstände um die Tat in einem überstürzten Finale. Die Auflösung des Mordes führt viele Jahre zurück in die Vergangenheit, die Identifizierung des Mörders bestürzt nicht nur Cory, sondern auch den Leser, doch sie passt in das bittersüße Gesamtbild des Romans, in dem sich Erleichterung und Trauer immer wieder die Hand geben.

|Kaum Schwächen|

Nur wenig lässt sich an diesem großartigen Werk kritisieren, etwa dass manche der angerissenen Episoden wider Erwarten nicht mehr fortgeführt werden. Manche Personen, die einem in den kleinen Abweichungen begegnen, tauchen später nicht mehr auf, höchstens in Corys Gedanken. Das ist besonders schade, weil Cory in einem Epilog, als er dreißig Jahre später mit seiner Ehefrau nach Zephyr zurückkehrt, die Entwicklung einiger Menschen aus der Stadt Revue passieren lässt, und man sich unweigerlich wünscht, er hätte dabei noch mehr Personen bedacht. Ein kleines bisschen konstruiert ist außerdem das spektakuläre Finale, bei dem Cory und sein Vater gleichzeitig unabhängig voneinander die richtigen Schlüsse ziehen. Natürlich ist der Roman grundsätzlich nichts für ungeduldige Leser, die eine temporeiche Handlung bevorzugen, sondern in erster Linie auf eine intensive Atmosphäre bedacht.

_Als Fazit_ bleibt ein wunderbarer Roman, der Kindheitserinnerungen mit Horror und Thriller mischt und definitiv zu den besten Horrorwerken der Moderne zählt. Die Handlung ist vielschichtig, die Charaktere sind originell und bei aller Skurrilität authentisch dargestellt, die Geschichte besticht durch dichte Stimmung, in der sich lustige und traurige Momente ausgewogen abwechseln. Abgesehen von sehr kleinen Mängeln ist „Unschuld und Unheil“ ein rundum gelungener Roman, der sich trotz seines enormen Umfangs sehr schnell liest und im Gedächtnis bleibt.

_Der Autor_ Robert R. McCammon, Jahrgang 1952, studierte zunächst Journalismus in seiner Heimat Alabama, ehe er 1978 mit „Ball“ seinen ersten Horror-Roman veröffentlichte. Weitere Werke folgten rasch, und ab den achtziger Jahren standen sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten und gewannen Preise wie den |Bram Stoker Award|. 1992 zog sich McCammon vom Schreiben zurück, nachdem Verleger andere Genres nicht akzeptieren wollten. 2008 veröffentlichte er aber die Fortsetzung zu einer neuen Serie und widmet sich damit zumindest partiell wieder dem Schreiben. Für „Unschuld und Unheil“ erhielt er den |Bram Stoker Award| und den |World Fantasy Award|. Zu seinen Werken zählen u. a. „Das Haus Usher“, „Nach dem Ende der Welt“, „Botin des Schreckens“ und [„Tauchstation“. 261

|Originaltitel: Boy’s Life
Aus dem Amerikanischen von Ute Thiemann
797 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89996-070-9|
http://www.robertmccammon.com
http://www.area-verlag.de

Sands, Lynsay – Verliebt in einen Vampir

Rachel arbeitet schon seit Jahren in der Nachtschicht der Pathologie. Für sie ist das ein guter Vorwand, um kein Privatleben haben zu müssen, denn schließlich hat sie kaum Gelegenheit, sich mit Freunden – oder gar Männern – zu treffen, wenn sie nachts arbeitet und tagsüber schläft. Tatsächlich scheint Rachel allerdings auch nicht sonderlich erpicht auf mehr Sozialleben zu sein. Sie ist ein wenig einsiedlerisch und sich in der Regel selbst genug.

Das soll sich jedoch schnell ändern, als sie einen „Rostbraten“ auf den Tisch bekommt – eine verkohlte Leiche. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass es sich bei der Leiche keineswegs um einen Toten handelt, sondern um Etienne Argeneau, seines Zeichens Vampir. Er hat gerade ein kleines Problem mit einem verrückten Vampirjäger, der ihm nachstellt – deswegen ist er auch so gut durchgebraten. Es kommt, wie es kommen muss: Der Vampirjäger folgt Etienne in die Pathologie, um ihn wirklich umzubringen, verfehlt ihn aber mit seiner Axt und trifft stattdessen die verschreckte Rachel. Da die Wunde tödlich wäre, greift Etienne zum einzigen Mittel, ihr Leben zu retten: Er macht sie ebenfalls zu einem Vampir.

Und so wacht Rachel in einem fremden Haus auf, zwischen Leuten, die ihr weismachen wollen, dass sie nun unsterblich ist und Blut trinken muss. Das ist keine Neuigkeit, die man einfach mal so wegsteckt, und so braucht es eine ganze Weile, bis Rachel sich mit der neuen und ungewohnten Situation abgefunden hat. Während sie also versucht, ihre Abscheu vor Blut und Spritzen zu überwinden, kommen sie und Etienne sich näher. Doch bevor die Hochzeitsglocken läuten können, muss erst noch der verrückte Vampirjäger Pudge aus dem Weg geschafft werden, denn er fängt wirklich langsam an, lästig zu werden.

Lynsay Sands’ „Verliebt in einen Vampir“ (ja, der Titel ist banal, aber der Originaltitel „Love Bites“ ist auch nicht viel besser gelungen) ist eine ziemlich durchschnittliche Paranormal Romance. Es gibt eine unglaublich hübsche Heroine, die aus reichlich obskuren Gründen noch nicht vergeben ist und sich auch nicht für besonders begehrenswert hält. Es gibt einen Helden Marke „tall, dark and handsome“, der gleichermaßen unbedarft ist, wenn es darum geht, die Frau fürs Leben zu finden. Man stecke beide für eine Weile in ein Zimmer (in diesem Fall Etiennes Schlafzimmer) und vertraue darauf, dass sie sich schon aufeinander einlassen werden. Und natürlich passiert das auch, schließlich wäre eine Paranormal Romance ja keine richtige Romanze, wenn die zwei Protagonisten sich nicht am Ende kriegen würden. „Verliebt in einen Vampir“ passt also genau in die Genrebezeichnung und wird damit alle begeistern, die bei der Lektüre einer Liebeschnulze auf keinen Fall überrascht werden wollen.

Allerdings hat Lynsay Sands einige Einfälle zum Thema Vampirismus, die entweder vollkommen abwegig oder schlichtweg unappetitlich sind. So macht sie sich die Mühe, tatsächlich eine Erklärung für den Vampirismus der Argeneaus zu liefern, und beruft sich dabei auf Wissenschaft und Medizin. Nun ist das ein legitimer Erklärungsversuch, der durchaus seine Reize hat. Aber wenn sie dann davon anfängt, dass Vampire von der wissenschaftlich hochentwickelten Bevölkerung Atlantis abstammen, denen Nanopartikel eingesetzt wurden, um sie jung und gesund zu erhalten, dann ist das einfach nur noch schräg und relativ sinnfrei. Ähnlich ergeht es ihren Einfällen zum Thema Vampir-Subkultur. So erfindet sie eine Vampirbar mit dem unglaublich originellen Namen |Night Club|, in dem man auch gern Blutcocktails bestellen kann, also zum Beispiel eine Virgin Mary mit Blut, Worcestershire- und Tobascosauce und einem Zitronenspritzer. Pfui.

Der erste Teil des Romans ist eine relativ konfuse, langweilige und zähe Angelegenheit. Sands verrennt sich in ihrem Vorhaben, Rachels Anpassungsschwierigkeiten beschreiben zu wollen. Sie scheut nicht einmal völlig unsinnige Wiederholungen, die den Leser frustrieren und dazu verleiten, Kapitel einfach zu überblättern oder das Buch ganz beiseite zu legen. So denkt Rachel bei ihrem ersten Erwachen im unbekannten Haus zunächst, dass sie träumt. Sie verlässt das Zimmer und erkundet die Räumlichkeiten – immer in der Annahme, dass sie eigentlich schläft. Als sie zum zweiten Mal erwacht, denkt sie wieder, dass sie träumt. Wieder verlässt sie das Zimmer und wundert sich über ihre sehr realistischen Träume. In der ersten Sequenz denkt sie: „Befand sie sich in einer Spezialeinrichtung für Komapatienten?“ Zwanzig Seiten später, in der zweiten Sequenz, denkt sie: „Sie war vielleicht in einer Spezialklinik für Komapatienten.“ Diese zwei Kapitel sind nichts weiter als Papierverschwendung, eine Geduldsprobe für den Leser und ein Armutszeugnis für den Lektor, der solch redundante Passagen rigoros hätte rausstreichen müssen.

Immerhin fängt sich Sands in der zweiten Hälfte des Romans. Hier fällt ihr dann nämlich ein, dass sie am Anfang doch einen Antagonisten eingeführt hatte, nämlich den Vampirjäger Pudge. Nun ist dessen Charakterisierung zwar eher skizzenhaft und keineswegs logisch, doch immerhin bringt er die Handlung in Schwung, die bis dahin hauptsächlich auf der Stelle getreten ist. Plötzlich muss Etienne sich nämlich dem Gegner stellen, der Rachel entführt hat und ihr den Hund seiner Nachbarin als Snack anbieten will. Ja, da gibt es auch eine ganze Menge Slapstick, aber im Großen und Ganzen ist die zweite Hälfte von „Verliebt in einen Vampir“ durchaus unterhaltsam, was den Leser mit dem eher schleppenden Anfang versöhnt.

Abschließend sollte vielleicht noch angemerkt werden, dass |Egmont LYX| die Bücher der Argeneau-Reihe in veränderter Reihenfolge veröffentlicht. Tatsächlich ist „Verliebt in einen Vampir“ der zweite Teil der Serie (im ersten wird Etiennes Schwester Lissianna mit ihrem Psychiater Greg verkuppelt), was allerdings kaum ins Gewicht fällt, da jeder Roman ein anderes Mitglied der Argeneau-Familie zum Hauptcharakter macht. Während also alle Romane irgendwie ineinandergreifen, kann man sie trotzdem getrost unabhängig voneinander lesen.

|Originaltitel: Love Bites
Ins Deutsche übertragen von Regina Winte
334 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8171-7|
http://www.egmont-lyx.de

Nix, Garth – Mächtiger Samstag (Die Schlüssel zum Königreich / Keys to the Kingdom 6))

[„Schwarzer Montag“ 3719 (Die Schlüssel zum Königreich 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Grimmiger Dienstag“ 3725 (Die Schlüssel zum Königreich 2)
[„Grimmiger Dienstag“ 4528 (Hörbuch)
[„Kalter Mittwoch“ 4242 (Die Schlüssel zum Königreich 3)
[„Kalter Mittwoch“ 5101 (Hörbuch)
[„Rauer Donnerstag“ 4831 (Die Schlüssel zum Königreich 4)
[„Rauer Donnerstag“ 5051 (Hörbuch)
[„Listiger Freitag“ 5626 (Die Schlüssel zum Königreich 5)

_Kaum hat Arthur_ mit Blatts Hilfe die Schlafwandler aus der Gewalt Lady Freitags befreit, erreicht ihn die nächste Hiobsbotschaft: Um die Viruskrankheit in Arthurs Heimatstadt in Schach zu halten, soll auf das betreffende Krankenhaus eine Atombombe abgeworfen werden!

In einem verzweifelten Versuch, dies zu verhindern, nimmt Arthur seine Stadt komplett aus dem Lauf der Zeit heraus. Damit hat er die Bedrohung zwar nur verzögert, aber zu mehr kommt er nicht, denn im Haus geht es drunter und drüber: Ein Saboteur hat den Damm aufgebrochen und das gesamte Untere Haus samt den fernen Weiten mit Nichts überflutet! Und Erhabene Samstag hat ihre gesamte Domäne komplett verbarrikadiert, nicht nur gegen Arthur …

_Die meisten Neuzugänge_ in diesem Band sind nur Randfiguren. Erwähnenswert ist allein Erhabene Samstag. Die Zauberin hat wirklich nahezu sämtliche Maßnahmen ergriffen, um Arthur aus dem Oberen Haus fernzuhalten. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass er es doch schaffen sollte, in ihre Domäne einzudringen, hat sie vorgesorgt. Ganz nebenbei arbeitet sie unbeirrbar an dem Plan, dem sie bereits die letzten zehntausend Jahre gewidmet hat: nämlich Lord Sonntag die Unvergleichlichen Gärten, die oberste Domäne jenseits der Wolken, abzujagen!

Tatsächlich hat Erhabene Samstag eine ganze Menge mehr Format als Lady Freitag und überhaupt sämtliche bisherigen Wochentage. Sie denkt strategisch und berücksichtigt alle Eventualitäten, und sie agiert zielstrebig, anstatt ihre Zeit mit Kinkerlitzchen zu verplempern.

Dieser gezielte Angriff auf Lord Sonntag dominiert auch die Ausgestaltung der Umgebung: Erhabene Samstag residiert in der Spitze eines Turmes, der mich ein wenig an den Eiffelturm erinnerte, ein Gerüst aus offenen Stahlwürfeln, in denen Samstags Zauberer an Schreibtischen sitzen und weiß der Himmel was arbeiten. Es regnet ununterbrochen, und die Schirme der Zauberer, die ebenso wie die Höhe ihres Bürowürfels innerhalb des Turmes ihren Rang verraten, halten lediglich das Papier trocken, nicht die Zauberer. Ein interessanter Entwurf, der aber nicht so viele nette Nebenaspekte bot wie das Untere Haus oder die Armee von Sir Donnerstag, was aber vielleicht auch einfach nur daran liegt, dass manches, was beim Lesen des ersten Bandes noch kurios und einfallsreich wirkte, durch regelmäßiges Auftauchen inzwischen alltäglich geworden ist. Wie auch immer, eine wirklich nett Idee fand ich diesmal nur den Aufenthaltsort des Vermächtnisses und die Bäume, welche die Unvergleichlichen Gärten tragen.

Die Sache mit der Atombombe fand ich dafür ziemlich übertrieben, zumal Arthurs Überlegungen, ob sein Zuhause den Angriff auf das Krankenhaus wohl überstehen wird, ziemlich lächerlich anmuten, auch wenn Kinder sich über die Auswirkungen einer Atomexplosion vielleicht nicht so genau im Klaren sind. Hier ist der Autor schlicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Eine konventionelle Bombe hätte den Zweck genauso erfüllt.

_Das alles klingt fast so_, als hätte dieser sechste Band – von der Figur Erhabener Samstags abgesehen – noch einmal hinter seinem Vorgänger zurückgesteckt. Was diesen Band jedoch rettet, ist die abgeknickte Handlungskurve.

Natürlich gelingt es Arthur, allen Maßnahmen Samstags zum Trotz, ins Obere Haus zu gelangen. Tatsächlich geht zunächst einmal alles genauso glatt wie bereits im Band davor. Aber sobald Arthur den sechsten Vermächtnisteil gefunden hat, gerät er sogleich in ziemliche Schwierigkeiten, die sich dann rasch zu einem ernsthaften Problem auswachsen. Und diesmal sieht es nicht so aus, als könnte er den sechsten Schlüssel so einfach für sich beanspruchen. Im Gegensatz zu den bisherigen Treuhändern setzt Erhabene Samstag sich gegen Arthurs Anspruch zur Wehr.

Das wirklich Fiese daran ist allerdings nicht Erhabene Samstags Gegenwehr, sondern die Tatsache, dass der Autor an dieser Stelle einfach abbricht! Der Leser erfährt nicht, wie das Duell ausgeht. Weder, ob Arthur den Schlüssel ergattern, noch, ob der sechste Vermächtnisteil sich Dame Primus anschließen konnte. Er erfährt nicht, was aus Susi Türkisblau wurde, ja nicht einmal, was aus Arthur wurde, von den Ereignissen auf der Erde ganz zu schweigen! Alles, wirklich alles ist offen! Und das zu all den vielen sonstigen Fragen, die noch immer unbeantwortet sind.

_Wer also_ im Laufe der Lektüre vielleicht mit dem Gedanken gespielt haben sollte, dass es jetzt allmählich Zeit wäre, mit dem Lesen aufzuhören, weil die Handlung anfängt, zu sehr den Ereignissen der übrigen Bände zu ähneln, der wird diesen Gedanken spätestens im vorletzten Kapitel schleunigst fallen lassen. Garth Nix hat seine Handlungsfäden auf einen Dreifrontenkrieg hin zugespitzt, Arthurs Heimatstadt steht vor dem absoluten Chaos, und da Samstag noch nicht ausdrücklich besiegt ist, könnte Arthur es im nächsten Band mit zwei Treuhändern auf einmal zu tun bekommen. Das verspricht einen Showdown, wie man ihn sich kaum dramatischer wünschen kann.

_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Aus seiner Feder stammen der Jugendbuchzyklus |Seventh Tower| sowie die Trilogie |Das alte Königreich|. Das Erscheinungsdatum des letzten Band aus der Reihe |Keys to the Kingdom| ist noch nicht bekannt.

|Originaltitel: Superior Saturday
Aus dem Englischen von Axel Franken
Illustrationen von Daniel Ernle
269 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Empfohlen ab 10 Jahren
ISBN-13: 978-3-431-03776-0|
http://www.ehrenwirth.de

Außerdem von Garth Nix auf |Buchwurm.info|:

[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)

Mooney, Chris – Missing

Winter in Belham: Die sechsjährige Sarah will unbedingt auf den Hügel zum Schlittenfahren, obwohl es ihre Mutter Jess verboten hat. Ihr Vater Mike lässt sich überreden und begleitet sein Töchterchen auf den Hang. Während er in ein Gespräch verwickelt wird, darf Sarah mit ihrer Freundin Paula losziehen. Kurz darauf verlieren sich die Mädchen aus den Augen – und Sarah ist verschwunden. Mike sucht verzweifelt im aufkommenden Schneesturm nach seiner Tochter, findet aber nur ihre Brille, ohne die sie hilflos ist. Auch die Polizei kann Sarah nicht finden. Der einzige Zeuge ist der elfjährige Jimmy, der gesehen hat, wie ein Mann Sarah an der Hand nahm.

Fünf Jahre später: Sarah ist immer noch verschwunden, die Ehe ihrer Eltern inzwischen zerbrochen. Mike hat den Verlust nicht verkraftet und kämpft mit Alkoholproblemen, während seine Frau ein neues Leben beginnt. Der ehemalige Priester Francis Jonah steht seit Jahren unter Tatverdacht, doch stichhaltige Beweise für eine Anklage gab es nie. Mike ist überzeugt davon, dass Jonah schuldig ist, und hofft insgeheim immer noch, dass Sarah lebt.

Doch Francis Jonah ist schwer krebskrank und liegt im Sterben, die Ärzte geben ihm nur noch Tage oder maximal wenige Wochen. Mike versucht alles, um ihn zu einem Geständnis zu bringen, ehe er sein Geheimnis womöglich ins Grab nimmt. Obwohl Jonah stets seine Unschuld beteuerte, sprechen die Indizien gegen ihn und für Mike läuft die Zeit ab …

_Entführte Kinder_ sind ein gern gewähltes und dankbares Thema für Thriller, gewährleisten sie doch eine emotional aufgeladene Handlung, die den Leser gleichzeitig fesselt und rührt. Chris Mooney legt hier einen soliden Thriller vor, der zwar keine Höchstbewertung verdient, aber allemal gute Unterhaltung bietet und vor allem schnell und leicht zu lesen ist.

|Spannende und bewegende Handlung|

Bis kurz vor Schluss heißt es Rätsel raten, wer für Sarahs Verschwinden verantwortlich ist und ob sie vielleicht noch lebt. Mikes Suche zeigt all seine Verzweiflung und nicht enden wollende Hoffnung und ist besonders mitreißend, weil er nahezu auf sich allein gestellt ist. Seine Exfrau hat das Verschwinden der Tochter halbwegs akzeptiert und fängt ein neues Leben ohne ihn an, die Polizei reagiert ihm zu lethargisch auf neue mögliche Hinweise, seine Freunde raten ihm dazu, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Für Mike ist es ein Kampf gegen Windmühlen, denn er kann es nicht akzeptieren, Sarahs Schicksal womöglich nie zu erfahren.

Trotz aller Indizien, zu denen im Verlauf der Handlung noch einige mehr kommen, ist der Leser unschlüssig in der Entscheidungsfrage, ob wirklich Francis Jonah hinter Sarahs Verschwinden steckt. Der schwerkranke Mann ist auch angesichts des Todes zu keinem Geständnis zu bewegen, was gerade in Anbetracht seiner Vergangenheit als Geistlicher ungewöhnlich wirkt. Mike kommt mehrfach in Versuchung, Selbstjustiz an ihm zu verüben, obwohl er nach einem Angriff bereits unter strengsten Bewährungsauflagen steht. Seine Suche nach Sarah rührt unweigerlich an, ist aber auch überwiegend fesselnd, da sich ganz allmählich neue Hinweise einschleichen und er der der Wahrheit Stück für Stück näher kommt, unterstützt von einer alten Freundin und einer resoluten Privatdetektivin.

Ungewöhnlich für den Thriller ist, dass alle Taten bereits Jahre zurückliegen und kein neuer Mord- oder Entführungsfall geschieht, was der Spannung aber nicht abträglich ist. Die Auflösung ist nicht zu früh zu erahnen und recht plausibel, wenngleich Mike beim Erkennen der Zusammenhänge ein bisschen per Zufall auf die Sprünge geholfen wird. Man braucht gewiss keine große Konzentration, um der Handlung zu folgen, die nicht besonders verstrickt oder wendungsreich ist. Der Roman stellt keine große Anforderungen an den Leser, ohne dabei zu seicht oder anspruchslos zu sein, und verzichtet im Gegensatz zu den meisten anderen Thrillern auf Gewaltszenen, sodass zarte Gemüter nur durch das Thema Kindesentführung an sich verstört werden könnten.

Vor allem im Mittelteil des Romans dreht sich die Handlung nicht nur um Sarah, sondern auch um Mikes Mutter, die ihn im Kindesalter zurückließ und in ihre Heimat Paris zurückkehrte. Mike hat allen Grund zu glauben, dass sein Vater Lou, ein gewiefter Verbrecher, der immer schon zur Brutalität gegen seine Frau neigte, sie in Paris aufgesucht und ermordet hat. Auch das Schicksal seiner Mutter wird wieder aktuell und Mike erfährt mehr über seine Familie als jemals zuvor. Es ist für Mike nicht nur die Suche nach zwei Angehörigen, sondern auch ein neuer Abschnitt in seinem Leben, das er nur beginnen kann, wenn er endlich Klarheit findet über den Verbleib seiner Tochter und seiner Mutter – egal, wie schmerzhaft die Wahrheit auch sein mag.

|Ein paar Schwächen|

Der Klappentext enthält leider einen irreführenden Fehler, dort ist nämlich davon die Rede, dass während Mikes Suche nach dem Verbleib seiner Tochter ein weiteres Mädchen verschwindet – davon ist im Buch aber keine Rede, was sicherlich die Leser ärgert, die sich von einem aktuellen Fall zusätzliche Spannung versprochen haben. Der Teil über Mikes Familie ist zudem ein wenig zu ausufernd geraten. Manchmal geht es seitenweise nur um seine Ehe mit seiner Exfrau, die Vergangenheit seines Vaters und die Suche nach seiner Mutter in Paris, und Sarahs Schicksal rückt dabei in den Hintergrund. Einerseits ist es interessant, die beiden grundverschiedenen Fälle miteinander zu verbinden, andererseits lenken diese Phasen von der eigentlichen Haupthandlung ab.

Zudem kommt der Sprung zwischen Sarahs Verschwinden 1999 und der Gegenwart etwas zu radikal angesichts der vielen Veränderungen. Zu guter Letzt sind die Nebenfiguren gegenüber Mike etwas zu blass geraten. Seine Exfrau Jess bleibt nur eine Schablone ohne individuelle Charaktereigenschaften, es gibt keinen markanten Ermittler, auch Mikes Freund Bill erscheint zwar sympathisch, aber zu unbedeutend. Erst seine alte Freundin Sam und die burschikose Detektivin Nancy bringen im späteren Verlauf wieder etwas Farbe ins Spiel, ansonsten ist der Roman arm an interessanten Figuren, auch wenn das nicht so stark ins Gewicht fällt, da Mike eindeutig im Mittelpunkt steht.

_Als Fazit_ bleibt ein überwiegend spannender Thriller über ein vermisstes Mädchen, der vor allem dank der Hauptfigur recht bewegend ist. Ein paar Schwächen verhindern, dass das Buch ein echtes Highlight ist, aber für Thrillerleser auf alle Fälle eine empfehlenswerte Lektüre, die sich locker in ein bis zwei Tagen durchlesen lässt.

_Der Autor_ Chris Mooney studierte Englisch an der Universität von New Hamshire und lebt seit 2000 als freier Autor. Seine bekanntesten Werke sind „Victim“ und „Secret“, die den Anfang seiner Reihe um die Ermittlerin Darby McCormack bilden. Er lebt heute mit seiner Frau in Boston.

|Originaltitel: Remembering Sarah, 2004
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Windgassen
382 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-499-24719-4|
http://www.rowohlt.de
http://www.chrismooneybooks.com

_Mehr von Chris Mooney auf |Buchwurm.info|:_

[„Missing“ 5731 (Hörbuch)
[„Victim“ 3799
[„Victim“ 5226 (Buch)

Pelewin, Victor – fünfte Imperium, Das. Ein Vampirroman

_Das geschieht:_

Der 19-jährige Roma gehört zu denen, die vom wirtschaftlichen Aufstieg im neuen Russland definitiv nicht profitieren. Mit seiner Mutter haust er in einer winzigen Wohnung und schlägt sich als Billiglohnsklave einer Supermarktkette durch, als ihm das Glück eines Tages auf denkbar ungewöhnliche Weise hold ist: Roma wird entführt und in einen Vampir verwandelt! Als solcher gehört er nunmehr zu den Herren dieser Erde. Die Menschen, so erfährt er, sind nur genetische Produkte der Vampire, die sich eine möglichst schmackhafte und leicht lenkbare Nahrungsquelle züchten wollten.

Aller Anfang ist auch als Vampir schwer. Roma bekommt einen neuen Namen – Rama – und wird einer aufwändigen Ausbildung durch erfahrene Lehrmeister unterzogen. Er muss lernen, wie ein Vampir zu denken, was nur langsam, mühsam und begleitet von zahlreichen Missverständnissen gelingt, denn die Vampirologie stellt sein bekanntes Weltbild vollständig auf den Kopf: Nichts ist, wie es Rama zu sein schien, weil die Vampire Sorge dafür trugen, dass die Wahrheit nur ihnen vorbehalten bleibt. Die Menschen leben in einer sorgfältig konstruierten Scheinwelt, damit sie ahnungslos und leicht lenkbar bleiben.

Allmählich lebt sich Rama in seine neue Existenz ein. Mit der schönen Vampir-Novizin Hera an seiner Seite dringt er in die faszinierende Welt der Vampire vor, die zu seiner Verblüffung weder untot noch Blutsauger sind. Über interne Zwistigkeiten sind sie allerdings keineswegs erhaben. Dass seine neuen Wohltäter recht finstere Pläne mit ihm schmieden, wird Rama zu spät klar. Mit der für ihn typischen Torheit stolpert er mitten in die Falle …

_Vampire unter & über uns_

In der ‚richtigen‘ Literatur gehört der Bildungsroman zu den altehrwürdigen Erzählformen: Der junge Mensch lernt das Leben in seinen positiven und negativen Fassetten kennen; ein Prozess, der beim Leser die Erinnerung an eigene Erfahrungen in Gang setzt, ihm aber außerdem eine Chance bietet, die scheinbar bekannte Welt durch den Filter eines unverbrauchten und ungeprägten Geistes neu wahrzunehmen.

Dieser Aspekt steht für Viktor Pelewin im Vordergrund. In „Das fünfte Imperium“ bedient er sich zwar vieler Elemente der phantastischen Literatur, legt jedoch nur bedingt einen Roman vor, der sich ins phantastische Genre fügt. Pelewin ist ein Schriftsteller, den man – falls man große Worte nicht scheut – als eine „Stimme des modernen Russlands“ bezeichnen kann. Seine schriftstellerische Karriere begann mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und als Verfasser beschäftigt er sich mit den vielfältigen Folgen einer Kapitalisierung oder Globalisierung im Zeitraffer, die in ihrer Schonungslosigkeit bizarre Blüten treibt.

Dies beschreibt Pelewin manchmal durchaus direkt, lieber aber in allegorischer oder metaphorischer Form. Dies war unter dem sowjetkommunistischen Diktat üblich und lebensnotwendig, wird aber auch heute noch geübt; zwar ist Wladimir Putin kein Stalin, aber als Menschenfreund mit offenem Ohr für kritische Stimmen darf man ihn auch nicht betrachten. Deshalb kann es durchaus ratsam sein, Missstände von Vampiren in Worte fassen zu lassen. Die Literaturkritik – vor allem die des Westens – liebt solch kunstvolle Codierung, und wer mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist, weiß ohnehin, was der Autor sagen möchte – ein Reiz, auf den der deutsche Leser nur beschränkt reagieren kann, weshalb Pelewin allzu ‚russische‘ Interna eigens für diese Übersetzung entschlüsselt bzw. allgemeinverständlich umformuliert hat.

_Fantasie und Kritik in homogener Mischung_

Dem an literarisch verbrämter Gegenwartsbespiegelung weniger interessierten Leser bleiben die skurrilen Einfälle, mit denen Pelewin den klassischen Vampirroman bereichert. Der Pedant mag einwenden, dass diese nicht unbedingt neu oder besonders originell wirken, sondern bei anderen Autoren bereits anklingen. Allerdings ist fraglich, ob diese in Stil und Ausdruck mit Pelewin mithalten können. Die bereits mehrfach erwähnte Literaturkritik schwankt zwar im Urteil, aber fest steht, dass dieser Mann zu schreiben versteht! Bei Pelewin lohnt es nicht nur, zwischen den Zeilen zu lesen. Dennoch wird man so manche intelligente oder einfach witzige Anspielung übersehen, denn Pelewin feuert sie im Salventakt ab. So statisch und irritierend „Das fünfte Imperium“ als Roman ohne echte Handlung manchmal wirkt: Die reine Lektüre dieser 400 Seiten ist ein Genuss, muss doch die Phantastik allzu oft als Refugium für Schwätzer und Stammler herhalten!

Aus der Absurdität seiner Geistesblitze macht Pelewin ohnehin keinen Hehl. Die Welt, wie er sie schildert, KANN von uns menschlichen Lesern eigentlich gar nicht verstanden werden, da wir einen von Vampiren gestalteten und sorgfältig überwachten Alltag leben. Mit dem jungen Rama einen Vampir-Eleven einzuführen, ist ein kluger Schachzug, denn als ehemaliger Mensch kämpft dieser mit ähnlichen Schwierigkeiten. Trotzdem lässt sich die vampirische Logik nur ansatzweise begreifen (womit sich der manchmal etwas zu schwurbelige Verfasser wunderbar aus der Verantwortung stehlen kann).

_Die Welt schräg durch andere Augen betrachtet_

Vieles von dem, was Pelewin darbietet, ist purer Spaß und genussvolle Destabilisierung klassischer Horror-Elemente. Seine Vampire schlafen tagsüber nicht in Särgen. Sie zerfallen nicht im Sonnenlicht. Ihr Spiegelbild ist deutlich sichtbar. Gipfel des Mythensturms ist der Verzicht auf das Saugen von Menschenblut. Nicht einmal das Wort findet Verwendung, es gilt unter Vampiren als verpönt. Stattdessen schätzen Pelewins Vampire die gutbürgerliche Küche.

Blut ist für sie nur mehr Informationsträger. Diese Idee wird farbenfroh und überzeugend umgesetzt: Vampir-Bibliotheken bestehen nicht aus Büchern oder Dateien, sondern aus Blutproben. Wenn Rama beispielsweise einen Tropfen Musikerblut verkostet, wird er selbst zum verständigen Musikus – zumindest theoretisch bzw. bis die Wirkung nachlässt.

Denn auch oder gerade in der Welt der Vampire ist nichts so, wie es zunächst zu sein scheint. Dynamik gewinnt „Das fünfte Imperium“ aus Ramas ständigen Missverständnissen, Irrtümern und peinlichen Patzern. Seine Torheit rettet ihm freilich das Leben, denn hinter der Geburt und der Erziehung des Vampirs Rama wird nach und nach eine Verschwörung sichtbar. Auch die womöglich außerirdische Herkunft und das unglaubliche Alter hat die Vampire nicht wirklich reifen lassen. Betrug und Intrige werden auf ein exotisches Niveau gehoben, doch an den niederträchtigen Realität ändert dies nichts.

Mit der Aufdeckung dieses Komplotts versucht Pelewin auf den letzten Seiten, seinem geistreich, aber zerfahren mäandrierenden Roman so etwas wie ein logisches Finale zu verschaffen. Es gelingt, wirkt aber etwas pflichtschuldig. Der Weg ist das Ziel dieses Romans. Wer sich darauf einzulassen vermag, wird mit einem phantastischen Vergnügen der etwas anderen Art belohnt.

_Der Autor_

Viktor Olegowitsch Pelewin ist ein Schriftsteller, der äußerst medienwirksam das Licht der Öffentlichkeit scheut. Lesungen, Interviews und Fernsehauftritte verweigert er, sondern teilt sich ausschließlich über das Internet mit. Er begründet das mit der Ablehnung persönlicher Prominenz, wehrt sich aber auch nicht gegen den Ruf der unbestechlichen Unabhängigkeit, dem ihm dieses Verhalten beschert.

Bekannt ist immerhin, dass Pelewin am 22. November 1962 in Moskau geboren wurde und Elektrotechnik studierte, bevor er an das Moskauer Literaturinstitut wechselte. Seit 1990 veröffentlichte er mehrere Romane und zahlreiche Erzählungen, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden.

Als Schriftsteller beschäftigt sich Pelewin mit den politischen und vor allem gesellschaftlichen Umbrüchen, die das moderne Russland nach 1991 erfuhr. Dabei ignoriert er Genregrenzen und arbeitet gern mit – oft ironisch verfremdeten – Elementen der Phantastik.

_Impressum_

Originaltitel: Empire V (Moskau : Eksmo 2006)
Übersetzung: Andreas Tretner
Dt. Erstausgabe: Januar 2009 (Luchterhand Literaturverlag/Sammlung Luchterhand 62138)
400 Seiten
EUR 10,00
ISBN-13: 978-3-630-62138-8
http://www.luchterhand-literaturverlag.de

Sokoloff, Alexandra – Inschrift, Die

_Das geschieht:_

Die psychisch labile Robin hat im Baird College ihr Studium aufgenommen. Auf dem Campus ist sie eine einsame Außenseiterin. Ihre Zimmergenossin ignoriert oder ärgert sie. An einem langen Thanksgiving-Wochenende, das sie lieber allein in im Wohnheim als daheim bei ihrer irren Mutter verbringt, hat sie genug: Im leeren Aufenthaltsraum des Heims will sie sich mit Tabletten umbringen.

Aber Robin ist nicht allein. Patrick, Lisa, Martin und Cain, vier ebenfalls lieber aushäusige Studenten, leisten ihr Gesellschaft. Bei Alkohol und Dope kommt man sich näher, und Lisa findet ein altes Hexenbrett. Da man nichts Besseres vorhat, versucht man Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.

Das gelingt wider Erwarten tatsächlich. Es meldet sich ein gewisser Zachery, der 1920 auf dem Campus bei einem Brand ums Leben kam. Die Aufregung ist groß, doch sie schlägt in Entsetzen um, als sich Zachery als gar nicht angenehmer Spuk entpuppt. Er ist großmäulig, grob und zunehmend bösartig. Bald geht es im Wohnheim unheimlich um. Klopfgeräusche ertönen, Möbel werden gerückt, Spiegel zersplittern. Seine fünf neuen ‚Freunde‘ will Zachery nicht mehr auslassen. Robin recherchiert und findet erschrocken heraus, dass bei dem Brand von 1920 nicht nur Zachery sein Ende fand: Mit ihm starben vier andere Studenten, die Opfer eines dämonischen Zeremoniells wurden, das sich nun offenbar wiederholen soll …

_Er kommt, wie es wohl kommen musste_

Die Welt der modernen Unterhaltungsliteratur ist wundersam. „Die Inschrift“, der Debütroman der jungen Autorin Alexandra Sokoloff, ist ein gutes Beispiel: Wieso kommt diese kümmerliche Spukgeschichte nicht nur zu einer deutschen Übersetzung, sondern wird auch noch als btb-Taschenbuch veröffentlicht? In dieser Reihe erscheinen normalerweise inhaltlich und stilistisch etwas ungewöhnlichere bzw. anspruchsvollere Werke.

Liegt es an der euphorischen Werbung? „Diese packende Geistergeschichte verspricht Spannung von der ersten bis zur letzten Seite“, jauchzt die |Romantic Times|. „Poltergeist lässt grüßen … Gewürzt mit einer guten Prise erotischer Spannung, wird daraus eine ebenso atemberaubende wie bezaubernde Geschichte“, dröhnt |Kirkus Reviews|, ein ‚Rezensions‘-Medium, das seit jeher noch den gröbsten Bockmist als Goldstroh zu verkaufen versucht. Allerdings: Nehmen wir diese beiden Jubelchöre wörtlich, sind wir durchaus im Bilde. So hat die |Romantic Times| ja Recht: „Die Inschrift“ VERSPRICHT Spannung. Das Halten dieses Versprechens wird nicht garantiert.

„Poltergeist lässt grüßen“: Stimmt ebenfalls, denn Sokoloff präsentiert keine Idee, die man nicht bereits an anderer Film- oder Buchstelle gesehen hätte. Vor allem Titel von Filmen wie „Witchboard – Die Hexenfalle“, „Düstere Legenden“, „Long Time Dead – Du bist der nächste!“ und andere schematisch gedrechselte Standard-Slasher, in denen dumme & geile Teenies sich mit bösen Geistern anlegen, können hier genannt werden.

Die „Prise erotischer Spannung“ erschöpft sich in den üblichen pseudolibidinösen Wallungen, die einerseits grobschlächtig und damit typisch für besagte Hollywood-Teenies sind, und andererseits den sog. „Lady Thriller“ definieren: pathetisch klingende Wortwolken wuchten über einem Trivialkonstrukt namens „Wahre Liebe“.

_Geister müssen nicht geistvoll sein_

„Die Inschrift“ (was spricht eigentlich gegen eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „The Harrowing“ als „Das Grauen“?) ist das Werk einer Autorin, die sich auch stilistisch ausschließlich fremdbedient. Oder ist es die Übersetzung, die diesen Eindruck weckt? Sie unterstreicht durch ihre Groschenheft-Qualität ein Missvergnügen, das die Lektüre dieses Romans begleitet:

|“Sie wirbelte herum.
Martin stand über ihr im düsteren Treppenhaus und sah zu ihr herunter.
‚Meine Güte‘, japste sie.
‚Ich muss mit dir reden‘, sagte er tonlos. Seine Stimme klang hohl in dem hohen Rundbau.
Sie ließ den Atem entweichen. ‚Und ich mit DIR.'“|
(S. 148)

Das ist ein völlig beliebig herausgegriffenes, aber absolut repräsentatives Beispiel, denn so liest sich der gesamte Text. Immerhin sind die Figuren, die solche Nonsens-Dialoge führen, entsprechend flach gezeichnet. Was die Charakterisierung angeht, hat sich Sokoloff ohnehin wohl von der klassischen High-School-Schmonzette „The Breakfast Club“ (1985) inspirieren lassen. Fünf Studenten von geradezu offensiver Wesensdifferenz finden und offenbaren einander bisher sorgfältig geheim gehaltene Seelenpein: Die scheue Schöne wurde vom Vater verlassen und wird von der verrückten Mutter gepiesackt, der Footballstar, der diesen Sport hasst, von seinem ehrgeizigen Vater mit Steroiden vollgepumpt, die fröhliche Schlampe hadert mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung, der Musiker ist ein seelenversehrtes Waisenkind und – Sokoloff fürchtet wahrlich kein Klischee! – der Streber will nicht wie vom Papa gefordert Rabbi werden, weil er nicht an Gott glaubt.

Zachary ist als Gespenst ebenfalls keine Offenbarung. Während unsere fünf Helden seine Kasperaden offenen Mundes und leeren Hirns verfolgen, meldet sich beim Leser die Langeweile. Zachary buchstabiert kindische Beleidigungen, wirft mit Möbeln, lässt Spiegel zerspringen. Wieso sollten derartig ausgelutschte Albernheiten den Leser fesseln? Was ist das für ein Jenseits, in dem Hohlköpfe nicht nachreifen?

_Flach & öde wie ein Parkplatz_

Die Erzeugung einer Atmosphäre der Furcht gelingt nur, wenn die dafür notwendige Stimmung erzeugt wird. Im Interview erwähnt Sokoloff mehrfach die Schriftstellerin Shirley Jackson (1919-1965) mit ihrem phantastischen Meisterwerk „The Haunting of Hill House“ (1959; dt. [„Spuk in Hill House“) 368 als Vorbild, was reichlich vermessen ist. „The Haunting“ ist literarischer Schrecken in Vollendung; das Werk einer Autorin, die ihren Stoff und ihr Publikum gleichermaßen im Griff hat. Anders als Sokoloff lässt Jackson die Wörter nie wie Brechdurchfall einfach laufen, sondern arbeitet mit ihnen, bis sich der erwünschte Effekt einstellt.

„Die Inschrift“ ist quasiliterarisches Junk Food, was schlimmer ist als ein schlechter, aber offen als reine Unterhaltung verfasster (Horror-)Roman. Sokoloff gibt vor, etwas zu liefern, das sie nicht zu leisten vermag. Oder ist es die Werbung, die sie auf diese Schiene drängt? Ist Alexandra Sokoloff primär ein Geschöpf offensichtlichen Marketings? Sie ist eine schöne Frau, die auf Fotos und im TV-Interview eine gute Figur macht. Als langjährig in Hollywood beschäftigte Autorin weiß sie zudem um die Bedeutung einer soliden Selbstanpreisung, der sie nicht nur mit vielen Interviews, sondern auch als fleißige Bloggerin Rechnung trägt. Unabhängig von solchen Fragen bleibt es eine unerfreuliche Tatsache, dass wieder einmal der Leser die Zeche zahlen muss, der gutgläubig Geld und Zeit in hohles Blendwerk wie „Die Inschrift“ investiert hat.

_Die Autorin_

Alexandra Sokoloff wurde in Kalifornien geboren – das Jahr hält sie geheim – und wuchs dort auch auf. Schon in jungen Jahren interessierte sie sich für die darstellenden Künste. Zunächst spielte sie in Theaterstücken und Musicals, die sie später auch inszenierte. Folgerichtig studierte sie an der Universität von Berkeley Theaterwissenschaften. In dieser Zeit entstanden erste Bühnenstücke.

Nach Abschluss des Studiums ging Sokoloff nach Los Angeles, wo sie sich als Drehbuchautorin versuchte und mit den üblichen Anfängerschwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nach eigener Auskunft schrieb sie eine Reihe von Drehbüchern für verschiedene Studios (Namen wie Sony, Fox, Disney und Miramax fallen), wobei sie sich auf Horrorfilme spezialisierte. (Bei näherer Betrachtung zeigt sich übrigens, dass nur eines dieser Drehbücher jemals realisiert wurde: 1997 drehte der Regisseur Carl Schenkel den Thriller „Kalte Küsse“ für das deutsche Fernsehen; Sokoloff wird als Ko-Autorin des Drehbuchs genannt.)

Ohne darauf in ihrer Kurzbiografie näher einzugehen, erweiterte die nicht unbedingt erfolgreiche Autorin ihre Aktivitäten. Sie gab Tanzunterricht und begann diverse Kurse für angehende Drehbuchautoren zu leiten, was sie bis heute fortsetzt. Außerdem schrieb sie einen Roman. „The Harrowing“ (dt. „Die Inschrift“) erschien 2006 und wurde nicht nur freundlich von Kritik und Leserschaft aufgenommen, sondern auch von der „Horror Writers Association“ für einen „Bram Stoker Award“ als bester Debütroman des Jahres 2006 nominiert. (Dass Sokoloff nicht gewann, bleibt in der Regel unerwähnt, was deshalb an dieser Stelle nachgeholt wird.) Der Erfolg ermunterte Sokoloff, sich nunmehr auf die Arbeit als Schriftstellerin zu konzentrieren.

Über ihre Aktivitäten informiert Sokoloff auf ihrer Website: http://www.alexandrasokoloff.com.

_Impressum_

Originaltitel: The Harrowing (New York : St. Martin’s Press 2006)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2007 (btb Verlag/TB Nr. 73634)
Übersetzung: Andrea Brandl
300 Seiten
EUR 8,50
ISBN-13: 978-3-442-73634-8
http://www.btb-verlag.de

Tokarczuk, Olga – Unrast

Olga Tokarczuk ist eine der bekanntesten und auch erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen Polens. Mehrmals hat sie den |NIKE|, den wohl wichtigsten polnischen Literaturpreis, gewonnen, unter anderem für das jetzt auch auf Deutsch erschienene Buch „Unrast“ – es wurde 2008 sowohl mit dem Preis der Jury als auch mit dem Leserpreis ausgezeichnet.

Die Bezeichnung „Buch“ ist durchaus mit Bedacht gewählt, denn schon bei der Einordnung in ein literarisches Genre sträubt sich Tokarczuks „Unrast“ unwillig. Es ist weder ein Roman noch ein Band mit Erzählungen. Man kann es weder als Kurzgeschichtensammlung noch als Essayband bezeichnen. Stattdessen borgt es von allen diesen Gattungen und bildet somit einen Hybriden, ein fragmentarisches Gedankenspiel der Autorin zum Thema Reisen, Globetrotten und Unterwegssein. Die Übersetzerin Esther Kinsky hat mit „Unrast“ einen treffenden deutschen Titel für Tokarczuks Sammelsurium von Gedankenspielen, Aphorismen, Notizen und Geschichten gefunden. Er bezeichnet sehr genau die stete Bewegung, die Unfähigkeit zum Verweilen, die Tokarczuk im modernen Menschen ausgemacht hat – die dieser aber gleichzeitig von seinen urzeitlichen Vorfahren, den Nomaden, geerbt hat.

Es ist schwer, einen kurzen Überblick dessen zu vermitteln, was der Leser in „Unrast“ vorfinden wird. Es gibt keine übergeordnete Handlung; nichts, das sich im klassischen Sinne nacherzählen ließe. Manchmal ist Tokarczuk knapp, bietet dem Leser kaum mehr als eine Momentaufnahme auf einem Flughafen, einen vermeintlich spontan heruntergeschriebenen Geistesblitz oder eine Beobachtung. Manchmal beschäftigt sie sich indes eingehender mit Figuren, Orten oder Ideen. In „Unrast“ finden sich neben ganz kurzen Formen auch Kurzgeschichten oder Erzählungen, die sich über mehrere Kapitel erstrecken, jedoch nicht zwingend aufeinanderfolgen. Da geht es um einen Mann, der auf einer Urlaubsinsel seine Frau und seinen Sohn quasi verliert. Da geht es auch um eine Frau, die eines Abends beschließt, nicht zu ihrem Mann und behinderten Kind zurückzukehren, und stattdessen ihre Tage in der U-Bahn verbringt, ständig von einer Endhaltestelle zur nächsten fahrend. Da geht es auch um das Leben Philip Verheyens, eines Chirurgen und Anatomen aus dem 17. Jahrhundert, der nach einer Beinamputation sein Bein konserviert aufbewahrt und immer wieder untersucht.

Überhaupt die Medizin. Tokarczuk ist studierte Psychologin und hat in ihrer Jugend einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Das kommt auch „Unrast“ zugute, am auffälligsten in ihren Essays zur „Reisepsychologie“, die durchaus auch ironisch zu lesen sind. Doch hat Tokarczuk für „Unrast“ offensichtlich ein neues Steckenpferd ausgemacht: nämlich die Haltbarmachung des menschlichen Körpers in Lösungen oder mit Hilfe der Plastination. Oft und ausgiebig beschäftigt sie sich mit der Zusammensetzung der Alkohollösung für Präparate von menschlichen Embryonen. Sie beschreibt Sektionen und einen Rundgang durch von Hagens Panoptikum plastinierter Leiber. Sie erfindet einen Mann, dessen Interesse für die Anatomie bei der Betrachtung der Gläsernen Frau im Dresdner Hygiene-Museum geweckt wurde. Sie begeistert sich für die Schönheit von Innereien oder die Fantasie der Natur, wenn sie von missgebildeten Embryos spricht. Doch warum diese Faszination für den in seine Einzelteile zerlegten Körper? Dieses schonungslose Sezieren? Vielleicht ist es die Tatsache, dass für den modernen Nomaden der Körper der einzige stete Begleiter ist. Vielleicht ist es die Frage, wo oder wie eine Seele diesem in Alkohol eingelegten Körper einst Leben einhauchte. Vielleicht ist es eine Illustration der Tatsache, dass Verheyens Bein, das in einem Glas vor ihm auf dem Tisch steht, trotzdem immer noch Teil eines Ganzen ist: „(…) dass das, was einmal ein Ganzes darstellte, dann aber in einzelne Teile zerschlagen wird, immer noch auf unsichtbare, schwer zu ergründende Weise innig miteinander verbunden bleibt. Die Natur dieser Verbindung ist nie eindeutig und wird unter keinem Mikroskop zu erkennen sein.“

Der Zusammenhang des Zersplitterten, Fragmentarischen mit dem Ganzen, dem kompletten Bild ist es, was Tokarczuk interessiert. Darum attestiert sie sich selbst wohl auch ein „episodisches Bewusstsein“. Sie ist der Meinung, dass menschliche Wahrnehmung wie ein Bienenauge funktioniert, das tausende Einzelbilder aufnimmt und diese dann zu einer Ganzheit zusammenfügt. Insofern sind auch die Puzzleteile aus „Unrast“ als ein großes Bild zu betrachten. Wer Tokarczuk hier unzusammenhängend und ziellos findet, der hat sich nicht auf den Text eingelassen, der hat einzelne Geschichten nur insulär betrachtet, jedoch nicht im Zusammenhang mit ihren Nachbarn.

Das jedoch fordert Tokarczuk immer wieder subtil ein. Sie arbeitet sich nicht nur an Themen ab, die sie schon immer interessiert haben (z. B. Zeit, Tod oder Gender) und stellt „Unrast“ damit in Beziehung zu ihren früheren Büchern. Gleichzeitig verknüpft sie ihre Texte auch untereinander durch Motive oder fast unauffällige Wiederholungen. Wie ein Spinnennetz durchziehen diese das Buch und beweisen, dass tatsächlich alles miteinander in Verbindung steht.

Im Original heißt Tokarczuks Buch „Bieguni“, nach einer orthodoxen Sekte, die annahm, dass nomadisches Leben und der totale Rückzug aus der realen Welt der einzige Weg seien, dem Teufel zu entkommen. Tokarczuk beschreibt Reisende, Nomaden, Suchende – kurz, die Bewegung. Ganz zu Anfang postuliert einer ihrer Charaktere den folgenden Gedanken: „(… mir wurde klar), dass aller Gefahren zum Trotz das, was in Bewegung ist, immer besser sein wird als das, was ruht, dass der Wandel edler ist als die Stetigkeit, dass das Unbewegliche Zerfall und Auflösung anheimfallen muss und zu Schutt und Asche wird, während das Bewegliche sogar ewig währen wird.“

Insofern bleibt nur zu hoffen, dass Olga Tokarczuk nie zum Stillstand kommt und dass sie weiterhin durch die stete Bewegung ihres Federhalters auf dem Papier dem Teufel entwischt. Die Alternative wäre ein allzu herber Verlust für die polnische Literatur.

|Originaltitel: Biegun
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky
456 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89561-465-1|

Startseite

Strona główna

Carsten Jensen – Wir Ertrunkenen

Das Meer – unendliche Weiten, unendliche Möglichkeiten. Ungezählte Menschen zog es hinaus in die entbehrungsreichen Abenteuer der Segelschifffahrt, und meist waren es Männer, die ihre Familien über Jahre hinaus verließen. Sie sahen ihre Kinder nicht aufwachsen, kannten nicht die alltäglichen Probleme der Familien, ihr sehnsüchtiges Warten oder verzweifeltes Schimpfen und die ständige Angst, den Sohn, Ehemann oder Vater nicht wiederzusehen. Denn das Meer ist nicht gut oder böse – es ist gleichgültig.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte der dänischen Stadt Marstal, die über Generationen hinweg ein angesehener Ursprungsort guter Seeleute war. Hunderte von Segelschiffen waren in diesem Hafen beheimatet, und Generationen von Vätern und Söhnen war der Weg vorherbestimmt. Bis mit den Weltkriegen die Männer knapp wurden, immer mehr Schiffe sanken, die Dampfschifffahrt und der Stahlbau die edlen Segler verdrängten und die großen Reedereien von den überlebenden Frauen übernommen wurden, um teils zu verschwinden, teils zur Zerstörung der Lebensgrundlage der Stadt verwendet zu werden.

Die Geschichte einer Familie zieht sich als roter Faden durch das Buch. Laurids Madsen, Erbe der schweren Seemannsstiefel seines Vaters, wird mit anderen Seeleuten seiner Stadt von der Marine eingezogen, um im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland zu kämpfen. Im Gefecht vor Eckernförde versagen die Dänen in ihren überlegenen Militärschiffen gegen die schwachen Geschütze der deutschen Stellungen. Bei der Explosion der Pulvervorräte wird Laurids in den Himmel geschleudert und landet später am Strand auf seinen Füßen. »Ich habe Petrus‘ Arsch geküsst, aber der Himmel wollte mich nicht«, so erzählt er daraufhin jedem Kriegsgefangenen, der es hören will.

Albert Madsen findet die Stiefel seines Vaters Laurids auf dem Dachboden und nimmt sie mit auf seine erste Heuer. Er durchkreuzt lange die Weltmeere auf der Suche nach seinem Vater, bis er schließlich an Bord eines Menschenhändlers als Steuermann anheuert und nach dem Tod dieses gefürchteten Mannes Kapitän seines ersten Schiffes ist. Albert wird ein wichtiger Mann für Marstal, ein großer und angesehener Reeder, der die Interessen der Stadt und der Seefahrt zu seinen eigenen macht. Sein Ziehsohn Knud Erik Fries wird schließlich der letzte einer langen Reihe fähiger Männer, die die geschichtsträchtigen Stiefel der Madsens tragen. Mit ihm und durch seine Mutter Clara Fries, Erbin Albert Madsens, endet die Ära der großen Seestadt Marstal.

Carsten Jensen erzählt die Geschichte seiner Heimatstadt in tiefen Farben und gischtenden Wogen, erweckt die Liebe ihrer Einwohner zur Heimat und zur Seefahrt im Leser und beleuchtet den Wandel der Menschen und der Zeit mit erzählerischem Geschick erster Güte, so dass der Schmerz der alten Generation, die den rasanten Wandel in der Seefahrt nach einem eigenen Leben, das noch nach den alten Regeln verlief, erlebt, den Leser mitreißt und trotz aller Vorteile der neuen seemännischen Sicherheit diesen stolzen alten Zeiten der großen Segler nachtrauern lässt.

Auffällig ist die Menschlichkeit der Charaktere. Schon der gefeierte Laurids verschwindet plötzlich und hinterlässt eine vielköpfige Familie, um in der Südsee mit einer eingeborenen Inselbewohnerin eine neue zu gründen. Albert lebt ein inbrünstiges Leben als Seemann ohne menschliche Bindungen, er scheint verheiratet mit Marstal und dessen Schicksal. So wird seine Beziehung zu Clara Fries ein Drama und erweckt die Leidenschaft und Fähigkeiten dieser Frau, die schließlich in der Zerstörung Marstals als Seehafen münden. Ein fähiger Seemann namens Hermann, dessen Jugend durch den Seetod seines Vaters verkorkst wird, kehrt erfolgreich nach Marstal heim und wird Kinderschreck und großspuriger Wortführer gegen die Gemeinschaft. Er gilt als Mörder und Vergewaltiger, aber im Zweiten Weltkrieg begegnet er Knud Erik in hilfloser Lage und wird beliebtes Mannschaftsmitglied auf dem von Erik befehligten Kriegsschiff. Knud Erik selbst zerbricht fast an der Verantwortung für die Menschen auf seinen Schiffen, deren Notsignalen im Kampfeinsatz zu gehorchen verboten wurde. Diese Verantwortung verfolgt ihn in den Schlaf und errichtet eine Barriere um ihn, die zu durchbrechen erst seiner plötzlich wieder auftauchenden ersten Liebe gelingt. Clara Fries schließlich, deren Mann dem Meer zum Opfer fiel und deren Beziehung zu Albert Madsen einer Tragödie gleicht, zerbricht an ihrem Schmerz und befreit so einen Intellekt, der durch ihren Wahnsinn die Reedereien Marstals ruiniert und der Stadt so die Lebensgrundlage raubt.

Das Meer ist gleichgültig, schreibt Jensen. Doch während der Lektüre lernt der Leser die Gründe der vielen Menschen und ihre Faszination für diesen Schiffe fressenden Moloch kennen und teilen, und so bleibt auch bei ihm der Verlust spürbar, den die Welt durch das Abwracken der großen Segler erfuhr.

Originaltitel: Vi, De Druknede
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
781 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8135-0301-2

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)