Hrissomallis, Simeon – Faith – The Van Helsing Chronicles: Die letzte Schlacht (Season 1 – Episode 14)

Episode 1: [„Die Zusammenkunft“ 4811
Episode 2: [„Verwandlungen“ 4826
Episode 5: [„Dämonische Leidenschaft“ 4833
Episode 6: [„Ravens Geheimnis“ 4850
Episode 10: [„Das Böse im Menschen“ 4910
Episode 11: [„Wendepunkt“ 4955
Episode 12: [„Tag der Vergeltung“ 4968
Episode 13: [„666 – Das Zeichen des Bösen“ 5095

Endlich erkennt Faith, hinter welcher menschlichen Maske sich das große Tier 666 verbirgt. Doch die Erkenntnis kommt fast schon zu spät. Gemeinsam mit ihren Freunden nimmt sie den Kampf gegen Aleister Crowley und seine dämonischen Kreaturen auf, auch wenn die Schlacht schon verloren scheint und viele Opfer fordert …

_Meine Meinung:_

Die letzte Episode der ersten Staffel endet mit einem Paukenschlag und führt fast alle Handlungsfäden zu einem schlüssigen Ende. Das Rätsel um die Identität des Biestes ist Simeon Hrissomallis perfekt gelungen, denn bis zum Schluss ist man sich im Unklaren darüber, wer denn nun Faith‘ erbittertester Feind ist. Die Wahrheit ist dann natürlich umso schockierender, zumal Faith und ihre Freunde vor ihrem wirklich schwersten Kampf stehen und nicht alle Freunde heil davonkommen. Die Folge hält für die Fans, die von Anfang an dabei sind, eine Menge Überraschungen parat und steigert sich in Puncto Spannung und Dramatik erheblich im Vergleich zur vorherigen Episode. Leider erinnert der Kampf zwischen Faith und dem Tier 666 zuletzt ein wenig an eine Manga- oder Anime-Schlacht aus dem Fernsehen, mit all den himmlischen Waffen und dem heroischen Gerede.

Ein ganz großes Lob gebührt wieder mal den Effekten, die alles, was bisher in der Serie geboten wurde übertreffen. Besonders die Stimmverzerrung des Biestes ist hervorragend gelungen und hört sich um einiges schauriger an als die dumpfen Dämonenstimmen der |John Sinclair|-Hörspiele. Schließlich wurde diese Verzerrung vorher auch nicht so häufig angewendet, weshalb sie viel wirkungsvoller ausfällt. In Sachen Musik kann sich die |R & B Company| ebenfalls steigern und legt einen Soundtrack ab, dessen Stücke nie deplatziert sind und immer zum Geschehen passen. Viele Worte über die Sprecher kann man nicht mehr verlieren. Hier liefert jeder Einzelne eine grandiose Arbeit ab und ist mit Leib und Seele dabei.

Besonders vielversprechend ist der Dialog am Ende der CD, der bereits einen eindrucksvollen Vorgeschmack auf die nächste Staffel liefert, die im Herbst starten soll. Lutz Riedel ist jedenfalls die perfekte Besetzung für die Rolle. Immerhin hat er ja schon Erfahrungen mit dieser Figur gesammelt.

Zur Aufmachung: Timo Würz schuf für den letzten Teil der Trilogie ein beeindruckendes und treffendes Cover, welches Faith im Kampf mit dem großen Tier 666 zeigt.

_Fazit:_

„Die letzte Schlacht“ ist ein würdiger und extrem spannender Abschluss der ersten Staffel. Hier werden noch mal alle Register gezogen: Action, Dramatik und Spannung gehen Hand in Hand. Sämtliche Charaktere haben sehr gute und denkwürdige Auftritte, und von einigen lieb gewonnenen Personen muss man sich schließlich verabschieden. Mit dem Ende der finalen Trilogie wird ein erster großer Schnitt in der Serie vollzogen und gleichzeitig der Beginn der zweiten Staffel vorbereitet. Musik, Effekte und Sprecher bewegen sich auf hohem Niveau und machen diese Folge zu echtem Ohrenkino.

_Die Sprecher:_

Faith Miles: Nana Spier (Sarah Michelle Gellar, Claire Danes, Drew Barrymore)
Shania Francis: Dorette Hugo (Jennifer Garner, Christina Ricci in „Ally McBeal“)
Vin Masters: Boris Tessmann (David ‚Angel‘ Boreanaz)
Raven: David Nathan (Johnny Depp, Christian Bale, James ‚Spike‘ Marsters)
Christopher Lane: Thomas Nero-Wolff (Hugh Jackman, Jason Statham, Anthony ‚Giles‘ Head)
Hunter: Udo Schenk (Ray Liotta, Ralph Fiennes, Kevin Bacon, Gary Oldman, Jeffrey Combs …)
Direktor Arowic: Helmut Krauss (Marlon Brando, James Earl Jones, John Goodman, Jerry ‚Deep Throat‘ Hardin in „Akte X“)
Wanja Antonowic: Klaus Sonnenschein
Arnulf Wilberg: Tobias Meister (Brad Pitt, Kiefer Sutherland, ‚Yoda‘)
Baltram Wilberg: Kim Hasper
Alex Christ: Torsten Michaelis (Wesley ‚Blade‘ Snipes, Sean Bean)
Dr. Cromwell: Aart Vader
Nathan Pierce: Martin Kessler (Nicolas Cage, Vin Diesel)
Erzählerin: Barbara Stoll
Stella Wuzunidu: Roswitha Benda
Brandolf Welf: Thomas Danneberg (Dan Akroyd, John Travolta, Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Nick Nolte, Dennis Quaid, Rutger Hauer …)
Sakis Rimas: Thilo Schmitz (Ving Rhames, Michael Clarke Duncan, Ron Perlman)
Elias Christopoulos: Lutz Mackensy (Al Pacino, Christopher Lloyd)
Tim Kosiminos: Dieter Klebsch (Alec Baldwin, Gabriel Byrne, Peter Stormare)
Alexis Pardamidis: Wolfgang Strauss
Soldaten: Thomas Birker, Joschi Hajek
Georg/Pater Wassilios: Christian Rode (Christopher Plummer, Michael Caine)
Magdalena: Dagmar Dreke
UND
Lutz Riedel (Timothy Dalton, Udo Kier, Tom Wilkinson, Jonathan Pryce)

|67 Minuten auf 1 CD|
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_Florian Hilleberg_

Hearn, Lian – Ruf des Reihers, Der (Der Clan der Otori 4, inszenierte Lesung)

_Monumentale Japan-Saga: das Ende der Otori_

Seit 16 Jahren herrschen Takeo und Kaede Otori gemeinsam über die Drei Länders des Westens Japans. Ihre Liebe und Harmonie, aber auch die perfekte Balance zwischen männlicher und weiblicher Kraft haben ihrem Land dauerhaften Frieden und großen Reichtum beschert.

Das bleibt auch dem Kaiser im fernen Miyako und seinem obersten General, Saga Hideki, nicht verborgen. Der General fordert Takeo zu einem Wettkampf in Miyako heraus. Wenn Takeo verliert, muss er nicht nur abdanken und das Land verlassen, sondern auch in eine Heirat seiner Thronerbin Shigeko mit Saga einwilligen. Mit seinen treuesten Gefolgsleuten reist Takeo in die Hauptstadt. Und schon bald überschlagen sich die Ereignisse, denn ein schwerer Verrat durch Kaedes Schwester und ihren Mann Zenko droht alles zu zerstören, was Takeo und Kaede in langen Kämpfen aufgebaut haben. (abgewandelte Verlagsinfo)

_Die Autorin_

Lian Hearn, die eigentlich Gillian Rubinstein heißt und vor etwa 60 Jahren geboren wurde, lebte als Journalistin in London, bevor sie sich 1973 mit ihrer Familie in Australien niederließ. Ihr Leben lang interessierte sie sich für Japan, lernte dessen Sprache und bereiste das Land.

|Der Clan der Otori|:

1) [Das Schwert in der Stille 950 (dt. 2004)
2) [Der Pfad im Schnee 979 (2005)
3) [Der Glanz des Mondes 2180 (2005)
4) Der Ruf des Reihers (2007)
5) erschien im Sept. 2007 im Original

„Das Schwert in der Stille“, der mittlerweile in 26 Sprachen übersetzt wurde, wurde mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 2004 ausgezeichnet. Mehr Infos unter http://www.otori.de.

_Die Sprecher_

Marlen Diekhoff, vielseitige Bühnen- und Filmschauspielerin, gehört nach Verlagsangaben seit vielen Jahren zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Für |Hörbuch Hamburg| hat sie bereits Texte von Alessandro Baricco, Amélie Nothomb, Sidonie-Gabrielle Colette, Sándor Márai und „Tausendundeine Nacht“ gelesen.

Peter Jordan gehört zu den erfolgreichsten deutschen Bühnendarstellern. Seit 2000 ist er festes Mitglieder im Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters. Im Rahmen des Kunstpreises Berlin 2003 wurde er mit dem Förderpreis der Akademie der Künste ausgezeichnet. Er war in Kinofilmen wie „Ausreißer“ zu sehen, der 2006 als Bester Kurzfilm eine |OSCAR|-Nominierung erhielt.

Heikko Deutschmann war nach seinem Schauspielstudium Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne, am Hamburger Thalia-Theater, im Schauspiel Köln und Schauspielhaus Zürich. Mittlerweile ist er in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen gewesen, so etwa „Der Laden“, „Operation Rubikon“, „Der Aufstand“ oder „Die Affäre Kaminski“.

Regie führte bei diesem Hörbuch Gabriele Kreis. Auch diese Lesung ist wie die der Vorgängerbände gekürzt. Das Titelbild zeigt die Abbildung der Buchausgabe.

_Vorgeschichte_

Japan, Ende des 15. Jahrhunderts: Eines Morgens wird Takeos Dorf überfallen, und er überlebt als einziger. Lord Shigeru vom Clan der Otori rettet ihn und nimmt ihn in seine Familie auf. Von ihm, einem Helden wie aus versunkenen Zeiten, lernt Takeo die Bräuche des Clans. Er lehrt ihn Schwertkampf und Etikette. Die Liebe zu Kaede entdeckt Takeo allein.

Als er herausfindet, dass er dunkle Kräfte besitzt – die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein und sich unsichtbar zu machen, und dass er so gut „hören kann wie ein Hund“ – gerät er immer tiefer in die Verstrickungen der Lügen und Geheimnisse, aus denen die Welt der Clan-Auseinandersetzungen besteht. Trotz seines Widerwillens ist es ihm bestimmt, sich an den Mördern seiner Familie zu rächen. Takeo verbindet sein Schicksal mit dem der Otori.

Am Schluss von Band 1 ließ Lord Shigeru sein Leben, nachdem auch Lord Iida getötet worden war. Als Folge dieser beiden einschneidenden Ereignisse kam es in der Hauptstadt Inuyama zu einem Aufstand, den sich die Armee unter Lord Arai Daiichi zunutze machte, um die Macht zu übernehmen und die tyrannischen Tohan zu stürzen. Er bringt die Drei Länder in seine Gewalt.

Man glaubt, Takeo sei Iidas Mörder, doch in Wirklichkeit war es Lady Kaede. Takeo ist verschwunden, was Arai, der auf ein Bündnis mit dem Krieger hoffte, erzürnt. Er beschließt, gegen den „Stamm“, der ihm Takeo entrissen hat, vorzugehen. Es ist abzusehen, dass Takeo und Kaede im Machtspiel zwischen den Otoris, Lord Arai und dem „Stamm“ eine Schlüsselrolle zufällt. Wenn sie nicht aufpassen, könnte dies ihren Untergang bedeuten.

Doch inzwischen hat sich Takeo dem „Stamm“, aus dem sein leiblicher Vater Isamu stammte, unterwerfen müssen. Mit der Kikuta Yuki zeugte er ein Kind, doch Yuki, die ihm einst in Inuyama Shigerus Schwert brachte, wurde Takeo entrissen und musste einen Stammesangehörigen heiraten. Takeo kann sich nicht mit den opportunistischen Zielen des Stammes anfreunden, er flieht über die Berge. Mehrere Anschläge überlebt er und begegnet einer heiligen Frau, die ihm sein Schicksal prophezeit (s.o.).

Außerdem lernt er die „Verborgenen“ kennen, die verfolgten und ausgestoßenen Christen. Seine Eltern hingen selbst diesem Glauben an, der alle Werte, die die Japaner hochhalten, für ungültig erklärt und sie unterminiert. Der Christ Jo-an hilft ihm, ins Kloster Terayama zu entkommen. Dort kann er endlich Kaede heiraten und die Übernahme ihres Erbes vorbereiten: der Domänen Shirakawa und Maruyama. Dann wäre er als Clanherr eine beachtliche Macht im Westen.

Kaede erwartet Takeos Kind. Es werden Zwillingstöchter. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Die heilige Frau hat nämlich geweissagt, Takeo werde einst von der Hand seines eigenen Sohnes den Tod finden …

HINWEIS: Der Familienname steht vor dem Eigennamen.

_Handlung_

Sechzehn Jahre sind seit den Ereignissen in „Glanz des Mondes“ vergangen, als es Kaede und Takeo gelang, ihre Sippen Shirakawa und Otori durch Heirat und siegreiche Schlachten ebenso zu vereinen wie die drei Fürstentümer des Westens. Wohlstand ist eingekehrt, doch nicht alles ist friedlich. Lord Arai Zenko, Gatte von Kaedes Schwester Hana, hegt einen Groll gegen den „Emporkömmling“ Takeo wie auch Kikuta Akio, dessen Vater durch Takeo zu Tode gekommen sein soll. Diese Altlasten erweisen sich nun langfristig als Takeos Verhängnis.

Akio will ebenso wie Zenko die Oberherrschaft im „Stamm“, jenem verborgenen Netzwerk von Menschen mit erstaunlichen Fähigkeiten und Gaben. Takeo ist selbst mit der Gabe des Unsichtbarmachens und dem Zweiten Ich gesegnet. Besorgt bittet er seinen Mentor Muto Kenji, das Oberhaupt des „Stammes“, um Vermittlung eines Waffenstillstands mit Akio. Doch dieser lehnt nicht nur brüsk ab, sondern zwingt Kenji sogar dazu, Selbstmord zu begehen.

Doch zuvor hat Kenji den 15-jährigen Jungen Hisao kennengelernt, angeblich der Sohn Akios, doch in Wahrheit Takeos Sohn, den ihm Kenkis Tochter Yuki gebar. Hisao ist also Kenjis Enkel. Nun wird Hisao vom Geist Yukis verfolgt, denn er ist mit der Gabe des Geistersehens, wie er denkt, verflucht und verbirgt dies vor Akio. Die Nachricht vom Tod Kenjis verwirrt Hisao und betrübt Takeo. Er bestimmt die alte Lady Shizuka zur Nachfolgerin ihres Onkels, doch weder Zenko noch Akio erkennen sie an und unterminieren Takeos Nutzung des Stammesnetzweks als geheime Post. Dadurch fangen sie Nachrichten an Takeo ab, den Oberbefehlshaber der Drei Länder.

Arai Zenko hat es selbst auf die Oberherrschaft im Westen abgesehen. Er hat zwar Takeo Treue geschworen, gibt aber nichts darauf. Heimlich schließt er einen Pakt mit dem Kaiser, der Takeos Reichtum begehrt, und lädt die fremden Barbaren in seine Domäne ein, um an ihre Feuerwaffen zu gelangen. Ja, zum Entsetzen Shizukas, seiner Mutter, konvertiert er sogar zur fremden Religion und gibt vor, Deus zu verehren. Aus Protest begibt sie sich in Hungerstreik im Tempel. Zenkos Untertanen geraten in Aufruhr ob dieses schlechten Omens und verwünschen ihren abtrünnigen Lord. Dieser tut sich mit Kikuta Akio zusammen.

Lady Shizuka hat die beiden Zwillingstöchter Kaedes und Takeos in den Stammeskünsten ausgebildet, im Unsichtbarwerden und dem zweiten Ich. Maya und Miki sind beide 13 Jahre alt und sehr unglücklich. Sie werden von den Bürgern geschnitten, denn Zwillinge werden normalerweise gleich nach der Geburt getötet. Und dazu haben sie nun auch noch Stammestalente, die sie dem Rest der Leute unheimlich machen, obendrein auch ihrer Mutter. Maya lernt sogar, sich in eine Katze zu verwandeln. Takeo schickt Maya und Miki auf abgelegene Höfe zu Verwandten und lässt sie dort unterrichten. Maya büchst aus und gelangt mit Shizuka an Zenkos Hof.

Dort spitzt sich die Lage zu, als Zenko seinen eigenen Bruder Muto Taku verrät, den obersten Spion Takeos. Maya hat viel von Taku und seiner Konkubine Sada gelernt, so auch das Geheimnis, das Hisao umgibt. Als Taku ahnt, dass sein Bruder etwas im Schilde führt, drängt er Sada und Maya zum Aufbruch, doch das Trio kommt nicht weit. Akio und Hisaos neue Feuerwaffe verrichtet ihr unheilvolles Werk. Maya lernt so Akio und Hisao als Gefangene kennen. Hisao gebietet über alle Geister, und da in Maya der Geist einer Katze wohnt, kann er sie zwingen, bei ihm zu bleiben. Erst als Miki ihr hilft, kann sie fliehen. Sie wollen zu Kaede, ihrer Mutter. Sie ahnen nicht, dass bereits alles verloren ist.

Mittlerweile ist nämlich ihr Vater der Einladung des Kaisers gefolgt und in die ferne Hauptstadt gezogen. Weil der General des Kaisers, Lord Saga, ihn im Namen seines Herrn aufgefordert hat, abzudanken und ins Exil zu gehen oder sich das Leben zu nehmen, ist Takeo äußerst vorsichtig. Er lässt seinen Feldmarschall eine Armee an der Ostgrenze aufstellen. Zusammen mit seiner Tochter, der sechzehnjährigen Lady Maruyama Shigeko, zieht er nach Miyako. Shigeko ist eine echte, voll ausgebildete Kriegerin.

Zunächst verläuft alles gut, und es gelingt ihm, die Gunst des Kaisers zu erlangen, indem er ihm eine Giraffe schenkt: ein Zeichen der Gunst der Götter. In einem Wettstreit, bei dem alles auf dem Spiel steht, gewinnt sogar Takeos Mannschaft dank Shigekos Kunst gegen Lord Sagas Team. Sie muss Lord Saga also nicht heiraten und bleibt eine Fürstin, Takeo behält seine Länder.

Doch auf der Hochfläche am Grenzpass kommt es zu dem Unglück, das Takeo schon lange befürchtet, seit die Giraffe zu ihm zurückgekehrt ist: Lord Saga greift ihn mit einer Armee an. Zu spät erreicht ihn die Nachricht, dass gleichzeitig Lord Arai Zenko mit seiner eigenen Armee gegen die Hauptstadt zieht.

Krieg und Bürgerkrieg zugleich – kann es schlimmer kommen? Es kann. Denn Zenkos Frau Hana spinnt nun ihre heimtückische Intrige gegen Takeo bei Kaede, ihrer eigenen Schwester.

_Mein Eindruck_

Wie schon an diesem stark verdichteten Handlungsabriss zu erkennen ist, macht es die Autorin dem Leser nicht gerade einfach, das Geflecht der zwischenmenschlichen Beziehungen zu durchschauen. Dieses Verständnis ist unerlässlich, um die Motivationen der Akteure zu verstehen und die Aktionen einordnen zu können. Bei einer Familiensaga wie dieser war es aber noch nie anders, weder in den Vorgängerbänden noch bei anderen Autoren (man denke nur an „Die Buddenbrooks“). Im Buch findet sich deshalb eine hilfreiche Gedächtnisstütze in Form eines Personenverzeichnisses. Nach einer Weile fand auch ich mich zurecht.

All die Nebenhandlungen sind geschickt angelegt, um die Lage für Takeo, der die Haupthandlung bestreitet, noch weiter zu verschärfen. Während er im Ausland sein Land verteidigt, bricht ihm genau dieses im beginnenden Bürgerkrieg weg. Doch was sind nun die zerstörerischen Kräfte, die den Untergang der Otori herbeiführen, mag sich der Leser fragen.

Neid und Missgunst sind altbekannte Feinde aller Herrscher, und auch Takeo sieht sich ihnen gegenüber. Zenko ist missgünstig, der Kaiser bzw. dessen General Saga ist neidisch. Hinzu kommt der rachedürstende Akio, der wie Zenko nicht vor Brudermord haltmacht. Und Arai Hana, die Frau Zenkos, zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen Kaede und Takeo. Das Resultat ist ein verbrannter Palast.

Rätselhaft sind die Absichten der fremden „Barbaren“. Es sind Portugiesen, die, seit Magellan 1487 die Welt umrundete, von Indien her den Fernen Osten erkunden und missionieren wollen. Da sie über Feuerwaffen verfügen, stellen sie einen beachtlichen Machtfaktor dar. Seit Takeo einen Deal mit den Piraten abgeschlossen hat, hat er auf dem Festland das Monopol über Feuerwaffen inne. Dieses verliert er durch Verrat und den Knowhow-Transfer, den die Fremden an Zenkos Hof in Gang setzen. So lernt Hisao, eine Schusswaffe zu konstruieren und zu schmieden. Wie wirksam diese Waffe ist, erfahren Muto Taku und Sada zu ihrem Leidwesen am eigenen Leib.

Langfristig sind die Fremden wohl auf eine Machtbasis aus, denn sie beantragen die Errichtung eines Handelspostens. Interessant ist die Reaktion der Japaner auf ihre Vorstellung von einem strafenden und rachsüchtigen Gott. Dies steht völlig im Gegensatz zu ihrem eigenen buddhistischen Glauben an die gütige Göttin Kannon und ihr Pantheon. Die Wiedergeburt im nächsten Leben ist keine Strafe, sondern eine ausgemachte Gewissheit von Belohnung.

Zu guter Letzt entscheidet der altbekannte Krieg das Geschick Takeos. Erst hier wird das Buch wirklich spannend. Die Action kann sich durchaus mit der von männlichen Autoren wie David Gemmell oder Bernard Cornwell messen. Natürlich spielen die Frauen eine besonders herausragende Rolle. Shigeo entscheidet die Schlacht mit einem Husarenstück, indem sie Lord Saga verletzt und vertreibt.

Letztlich bleibt nur die Frage offen, ob und wie sich die Prophezeiung erfüllen wird (siehe oben). Nun hat nämlich Takeo auf einmal zwei Söhne, seinen Neugeborenen und eben Hisao. Das sorgt für weitere Spannung und sogar für packende Action. Es lohnt sich also, bis zum Schluss dranzubleiben.

|Die Sprecher|

Peter Jordan ist für die meisten männlichen Rollen zuständig, insbesondere für Takeo und dessen engste männliche Freunde. Sein besonderes Kennzeichen ist die Beherrschtheit Takeos in praktisch allen Lebenslagen, denn Takeo wurde gemäß dem Code des Kriegers zu Selbstkontrolle erzogen. Diese Zurückhaltung jedoch macht Jordans Vortrag ziemlich eintönig, selbst wenn sich der Sprecher bemüht, etwas Pfiff hineinzubringen. Ziemlich verwirrend war Jordans Eigenart, zwischen Szenen keine Pause zu machen. Schwupps, befindet sich die Handlung ganz woanders! Da kann man leicht den Faden verlieren.

Deshalb war es unbedingt nötig, für Abwechslung zu sorgen. Der naheliegende, aber teurere Weg: Man lässt andere Sprecher ans Mikrofon. Marlen Diekhoff ist für zahlreiche weibliche Rollen zuständig. Insbesondere ist dabei Kaede zu nennen, aber auch ihre zwei Töchter Maya und Miki sowie die alte Dame Shizuka, die Mutter Zenkos und Takus. Diekhoff braucht nicht mit Emotionalität zu sparen, und so wird ihr Vortrag zu einem wahren Lichtblick innerhalb der Lesung. Mitunter sind ihre Szenen sogar lustig.

Auch Heikko Deutschmann spricht vor allem männliche Rollen, doch achtet er ebenfalls auf Abwechslung. Diese gestaltet er in erster Linie durch das Variieren der Lautstärke. Es gab Passagen, in denen er so leise spricht, dass ich die Regler meines Anlage hochfahren musste, um ihn verstehen zu können. So zwingt er den Hörer, ganz genau darauf aufzupassen, was gerade gesagt wird. Aber er kann auch ohne weiteres Figuren durch eine unterschiedliche Ausdrucks- und Sprechweise charakterisieren. So kann man sie leicht unterscheiden.

Die drei Sprecher bewältigen die sprachlichen Schwierigkeiten, die das Japanische bietet, mit großer Bravour. Sie haben sich offenbar kundig gemacht. Sie müssen mit vielen Namen zurechtkommen, die stets ein wenig von der Schreibweise abweichen. Ein paar Beispiele:

Otori: Die Betonung liegt im Japanischen eine Silbe |vor| derjenigen, die im Indogermanischen betont wird. Hier würde man „Otori“ auf der zweiten Silbe betonen: otóri. Doch im Japanischen liegt die Betonung auf der ersten: Es klingt wie [ottori]. Analog dazu wird „Shirakawa“ auf der zweiten statt der dritten Silbe betont: [shirà kawa]. Analog dazu die Städtenamen Inúyama, Yamágata und Teráyama. Der Name der Lady Kaede wird in nur zwei Silben ausgesprochen, denn [ae] ist ein Doppellaut und klingt wie [ei], nicht wie [ä].

|Personenliste|

Obwohl das Personal recht umfangreich ist, enthält das Hörbuch nicht jene Liste der auftretenden Figuren, die im Buch unschätzbare Dienste leistet. Aber auch bei der Buchausgabe bleibt stets eine Quelle der Verwirrung: Ständig tauchen Angehörige des Stammes auf, die als „Skuta“ bezeichnet werden.

Manchmal steht diese Bezeichnung für den Stamm im allgemeinen (z. B. Skuta-Schlaf), dann aber wieder nur für die bestimmte Familie Skuta, die sich Takeo zum Feind gemacht hat – im Unterschied zu der Stammesfamilie der Muto. (Der Stamm ist also gespalten.)

Um die Verwirrung vollständig zu machen, tauchen die Skuta überhaupt nicht im Personenregister des Buches auf, sondern nur die Stammesfamilie Kikuta hat die entsprechenden Vornamen. Das ist also eine Ausspracheabweichung: Skuta = Kikuta!

Lediglich im Buch kann sich der Interessierte anhand einer Landkarte orientieren, wie die Ortsnamen und die Namen der Clan-Domänen geschrieben werden. Meine Schreibweise ist der im Buch angeglichen.

|Das Booklet|

Der Inhalt des Booklets listet weder, wie zuvor üblich, die Figuren auf, noch liefert er einen Abriss der vorausgehenden Ereignisse. Lediglich die Autorin und die drei Sprecher sowie die anderen Hörbücher werden knapp vorgestellt. Die vierte Seite enthält die Credits und bibliografischen Angaben. Mit anderen Worten: Es ist in keiner Weise hilfreich, sondern verweist den Hörer auf die vorhergegangenen Hörbücher, um zu verstehen, was los ist.

_Unterm Strich_

Dieser Band bringt das Ende der Otori-Herrschaft und der Abenteuer Takeos und Kaedes. Aber das muss nicht heißen, dass die Geschichte total deprimierend ist, denn die Autorin baut vier Kinder dieses Paares als Erben auf und führt sie durch die ersten Prüfungen. Sie geben Anlass zur Hoffnung, dass die revolutionären Ideen Takeos und Kaedes – etwa die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Herrschaft – fortbestehen werden, selbst nach der Eroberung der Drei Länder durch den Kaiser. Der Wandel ist bekanntlich das Einzige, das beständig ist, und so muss auch das Reich der Otori vergehen, um seinen Beitrag zu einem größeren Ganzen leisten zu können. Hier lobt die Autorin den Beitrag der Frauen zur Geschichte des Landes, vielleicht ein wenig blauäugig und utopisch.

Wie zu erwarten, fand ich die Handlung weitverzweigt und abwechslungsreich. Das erfordert allerdings, sich jede Menge Namen zu merken. Nach einem Auftakt mit leichter Action – Attentäter werden unschädlich gemacht – ist klar, dass in allen möglichen Ecken Gefahren die Otori-Herrschaft bedrohen. Doch erst mit der monumentalen Drei-Tage-Schlacht findet diese unterschwellige Spannung ihren offensichtlichen Ausbruch.

Das ist ein ziemlich langer Spannungsbogen. Und er wird von den Konflikten um Zenko, Akio, Taku und Hisao in einem zweiten Spannungsbogen ergänzt. Das Ergebnis sind Krieg und Bürgerkrieg. Mit bemerkenswertem Geschick fädelt die Autorin alle Konflikte ein und löst sie wieder auf. Sie schreckt vor keiner Konfliktart zurück, und seien es eine Palastintrige oder der Tod eines Babys. Zarte Gemüter seien gewarnt.

|Originaltitel: The harsh Cry of the Heron, 2006
Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens
589 Minuten auf 8 CDs
ISBN-13: 978-3-86742-007-5|
http://www.otori.de
http://www.lianhearn.com
http://www.hoerbuch-hamburg.de

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 3: Die Katakomben von Wien (Hörspiel)

Folge 1: [„Der Stein der Weisen“ 5052
Folge 2: [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155

_Story_

Sieben lange Jahre verbringt Christopher in Gefangenschaft, nachdem er beim Versuch, Lysander zu stellen, gefasst wurde. Ausgemergelt und ohne jeglichen Lebensmut, wird er von seiner Stiefschwester Aura Institoris mit einer List aus dem Gefängnis befreit. Diese jedoch nutzt ihn nur als Mittel zum Zweck, um Lysander ein weiteres Mal zu überfallen und die verschollene Sylvette zu befreien.

In den Katakomben der Wiener Hofburg finden die Halbgeschwister jedoch nur einen zu Tode geschwächten Mann – vermeintlich der gezeichnete Lysander – und ein junges Mädchen vor, welches sich als Sylvettes Tochter Tess entpuppen soll. Aura und Christopher führen das Kind mit auf das Anwesen der Institoris, wo Christopher auch Gian kennenlernt, den Nachwuchs aus Auras Beziehung mit dem für tot erklärten Gillian. Jedoch erwartet die beiden auch schon die nächste Überraschung: Tess und Gian berichten von merkwürdigen Visionen, die sie gemeinsam in ihren Träumen durchleben. Je tiefer sie in ihre Gedanken eindringen, desto klarer eröffnen sich die Bilder von Lysander und dessen Vergangenheit, aber auch die Ereignisse, die damals zwischen Lysander und Auras Vater standen.

Dadurch öffnet sich eine neue Spur zum verschollenen Erzfeind, der scheinbar auf den Spuren der Tempelritter im Kaukasus gastiert. Die Pläne von Aura und Christopher, Lysander und seinem Tross nach Georgien zu folgen, werden aber jäh unterbrochen, als die mittlerweile dem Wahnsinn verfallene Charlotte Institoris ihren Hass auf die Kinder abwälzt und Gian bei der Flucht vor seiner grausamen Großmutter eine noch seltsamere Entdeckung macht.

_Persönlicher Eindruck_

Die dritte Episode von Kai Meyers Meisterwerk „Die Alchimistin“ beginnt mit einer enormen Überraschung; der Autor wagt einen deutlichen Zeitsprung von immerhin sieben Jahren und vollzieht hierbei einen radikalen Schnitt, der die gesamte Szenerie in ihren Grundzügen verändert. Die Personen, die Aura bis dato etwas bedeutet haben, sind allesamt dahingeschieden, die Fehde mit Lysander erhält plötzlich eine ganz andere Perspektive, aber auch die generellen Personenkonstellationen erfahren einen teils sehr heftigen Wandel, ganz besonders, was die Beziehung zwischen Aura und Christopher anbelangt. Nach den anfänglichen Anfeindungen entsteht hier zunächst eine Zweckgemeinschaft, in der die beiden Protagonisten lernen, den jeweils anderen zu schätzen und schließlich auch Emotionen aufzubringen, die über Auras Hass und Christophers Ablehnung hinausgehen. Und dies ist nur eine von vielen unerwarteten Entwicklungen innerhalb der Handlung.

So tauchen innerhalb der Story wieder Figuren auf, die man eigentlich schon im Jenseits wähnte, was partiell aber auch zu Widersprüchen in der Handlungslogik führt. Gerade was den Aufenthalt und die Befindlichkeit von Lysander betrifft, läuft hier manche Erklärung ein wenig aus dem Ruder, wird aber dankenswerterweise im Nachhinein wieder aufgefangen. Derlei Ungereimtheiten sind dieses Mal häufiger an der Tagesordnung, zumeist jedoch auf das noch deutlicher verschachtelte Konzept zurückzuführen, dessen Komplexität durch die sehr rasanten Fortschritte der Story noch einmal gehörig anwächst. Doch bei der souveränen Bewältigung der unheimlich verzwickten Story-Arrangements trennt sich in diesem Fall die Spreu vom Weizen, was schließlich dazu führt, dass „Die Alchimistin“ spätestens mit dieser Episode an vergleichbaren Produktionen wie „Das Schwarze Auge“ vorbeizieht und in Führung geht.

Allerdings lehnen die Macher sich auch sehr weit aus dem Fenster; die Einbeziehung des Templerordens ist in Zeiten von literarischen Verschwörungstheorien sicherlich ein riskantes Element (andererseits erschien „Die Alchimistin“ bereits 1998 und die diesmal herangezogene Fortsetzung 2001, also einige Jahre vor dem Dan-Brown-Boom), wird in dieser Folge aber erst einmal nur grob angerissen.

Die vereinzelten morbiden Inhalte sowie das Spiel mit den grausamen Visionen indes bedürfen auch einer detailreichen Inszenierung, um nicht aufgesetzt zu wirken. Aber auch in diesem Bereich erlaubt man sich keine Schnitzer und überzeugt mit vielen genialen Ideen und einer astreinen Leistung auf Seiten der Sprecher. Yara Blümel-Meyers (Aura), Timmo Niesner (Christophr) und vor allem Friedhelm Park in der Position des Erzählers erledigen einen richtig guten Job und empfehlen sich einmal mehr für noch größere Aufgaben. Hinzu kommt schließlich der majestätische Soundtrack, der an den entsprechenden Stellen für Gänsehaut sorgt und die dichte Atmosphäre des Hörspiels adäquat unterstützt. Alles andere als von Ohrenkino zu sprechen, wäre daher auch eine glatte Untertreibung.

Zusammengefasst kristallisiert sich mit „Die Katakomben von Wien“ das bisherige Highlight der Serie heraus, da es die Story auf ein noch höheres Niveau bringt, zusätzlich aber auch mit viel Risikobereitschaft neue Entwicklungen zulässt, welche die Geschichte ziemlich auf den Kopf stellen. Fortschritte beim Charakterdesign und vor allem inhaltlicher Natur vollenden schließlich einen nahezu ausnahmslos gelungenen Versuch, ein perfektes Hörspiel zu kreieren und mit modernen Mitteln auszustaffieren. Spätestens mit dieser Episode entwickelt sich „Die Alchimistin“ zur Hörspiel-Referenz im Jahr 2008.

|70 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3593-0|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

Patrick Mauriès – Das Kuriositätenkabinett

Die große Welt in der eigenen Kammer

Der Mensch ist von seiner Natur aus Jäger und Sammler. Das beschränkte sich ursprünglich auf die Dinge, mit denen sich der Magen füllen ließ, erweiterte sich aber sicherlich bald auf den Kopf und bezog ein, was außerdem sein Interesse erregte. Der Drang zu wissen und die Welt um sich zu verstehen ließ sich mit dem Sammeltrieb mühelos in Einklang bringen.

Schon in der griechischen und römischen Antike begannen jene, die es sich leisten konnten, weil sie für ihren Lebensunterhalt nicht rund um die Uhr arbeiten mussten, zusammenzutragen, was die Natur produzierte und ihre Aufmerksamkeit erregte: Mineralien, Knochen, Schnecken- und Muschelschalen, Fossilien. Damit beginnt die Liste nur, denn sie ist schier unendlich. Den Inhalt sorgfältig arrangiert, schön geordnet und zum Studium bereit, schienen diese Kabinette die große Welt und den Kosmos außerhalb der eigenen Türschwelle widerzuspiegeln. Als „Welttheater“ konnte man sie in den Griff bekommen, sie überschauen und verstehen. Patrick Mauriès – Das Kuriositätenkabinett weiterlesen

Márquez, Gabriel García – Leben, um davon zu erzählen

„Meine Mutter bat mich, sie zum Verkauf des Hauses zu begleiten“, so beginnt der erste Teil der auf drei Bände ausgelegten Autobiographie des kolumbianischen Nobelpreisträgers für Literatur, Gabriel García Márquez, und wirft den Leser sofort in das farbenfrohe Leben des mittlerweile über 80-Jährigen.

Dieser erste Satz des Buches versetzt Autor und Leser gleichermaßen in die Kindheit Márquez‘ zurück. 1928 wurde er in Aracataca (Kolumbien) geboren und wuchs abwechselnd bei den Eltern und Großeltern auf. Da die Familie ständig anwuchs (gegen Ende des Bandes sind wir bei elf Kindern angelangt), war Márquez‘ Kindheit von ständiger Armut geprägt und führte dazu, dass die Familie oft umziehen musste. Jenes Haus in Aracataca aber wird treuen Márquez-Lesern sofort bekannt vorkommen, hat er ihm und seinen Bewohnern doch schon in seinem berühmtesten Roman, „Hundert Jahre Einsamkeit“, ein Denkmal gesetzt. All die kruden und originellen Figuren in dieser Autobiographie wiederzufinden, ist ein reines Vergnügen und Beweis dafür, welch buntes Leben Márquez schon in frühester Kindheit genießen durfte.

Schon als Kind liest er begeistert, erzählt Geschichten und Anekdoten, verschlingt die „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ und singt inbrünstig kolumbianische Schlager. Auch im Zeichnen scheint er recht begabt zu sein. Diese vielen Begabungen führen dazu, dass er trotz seiner Schüchternheit schon in der Schule von aufmerksamen Lehrern gefördert wird und es trotz seiner ärmlichen Verhältnisse aufs Lyceum schafft.

Dort trifft er auf liberale, junge Lehrer, die offen mit ihren Schülern diskutieren und ihre freie Meinung unterstützen. Er beginnt zu schreiben – kleinere Gedichte und Glossen für die Schülerzeitung – und etabliert sich als junger Bohème, indem er mit langen Haaren, wildem Bart und bunt geblümten Hemden herumläuft. Doch seine Wünsche, sich kreativ zu betätigen, laufen denen seiner Eltern zuwider. In ihrer prekären finanziellen Lage möchten sie, dass Gabito Jura studiert, um sich selbst ernähren und die Familie unterstützen zu können. So schreibt er sich an der juristischen Fakultät in Bogotá ein, ohne jedoch besondere Begeisterung für die Rechtswissenschaften aufbringen zu können.

Stattdessen lebt er ununterbrochen am Rande des Existenzminimums, schläft mal auf der Straße, mal im Café und im besten Fall in einem billigen Freudenhaus und interessiert sich für alles, nur nicht fürs Studium. Seine schriftstellerischen Ambitionen keimen auf, er schreibt kurze Prosa, ein Genre, das damals in Kolumbien kaum existierte (man „beschränkte“ sich auf Poesie) und trägt die Mappe mit Kurzgeschichten immer mit sich herum – sein einziger Besitz. Erste Geschichten von ihm werden veröffentlicht, und von da an ist seinen Freunden klar, dass er ein berühmter Schriftsteller werden wird. Nur bis diese Erkenntnis Márquez selbst erreicht, wird es noch eine Weile dauern.

Nach dem Aufstand vom 9. April 1948, als in Bogotá der Präsidentschaftskandidat Gaitán erschossen wird, verlässt Márquez erschrocken und traumatisiert die Stadt, um in Cartagena weiterzustudieren. Doch dort erlischt sein Interesse für Jura vollends, denn er beginnt bei verschiedenen Zeitungen zu arbeiten und schreibt nun nicht mehr nur Prosa, sondern auch Glossen und Kommentare. Diese Arbeit begeistert und vereinnahmt ihn zusehends, sodass er durch die Jura-Prüfung fällt. Seine Eltern hoffen immer noch auf einen Anwalt in der Familie, doch müssen sie sich allmählich mit den Tatsachen abfinden und einsehen, dass ihr Sohn das Studium nicht beenden wird.

Zurück in Bogotá, arbeitet er bei der großen Zeitung „El Espectador“ und widmet sich nun auch mehr und mehr der Reportage. Erstmals ist er fest angestellt und bekommt ein monatliches Gehalt, mit dem er sich nicht nur endlich eine eigene Wohnung nehmen kann, sondern das auch ausreicht, um seinen Eltern und der großen Kinderschar eine finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Schon seit einiger Zeit arbeitet er an verschiedenen Buchprojekten. Den ersten Roman „La Casa“ gibt er irgendwann entnervt auf, „Laubsturm“ wird zwar vollendet, jedoch zunächst vom Verlag abgelehnt. Der erste Band seiner Autobiographie endet damit, dass „Laubsturm“ doch noch veröffentlicht und Márquez als Korrespondent nach Genf geschickt wird.

Gabriel García Márquez ist ein geborener Erzähler – das beweist er einmal mehr mit seinen Memoiren. Seit 1999 arbeitet er fieberhaft an seiner Autobiographie – eine Krebserkrankung war der Auslöser, dieses Projekt endlich in Angriff zu nehmen. Besonders das erste Kapitel, in dem Haus und Einwohner aus „Hundert Jahre Einsamkeit“ noch einmal Revue passieren, ist dicht gestaltet und erfüllt für Márquez eine Schlüsselfunktion. Merkt man diesem Kapitel die starke schriftstellerische Bearbeitung des Autors an, so wirken die späteren Passagen des Buches naturbelassener und wie in einem Guss heruntergeschrieben. Die akkurate literarische Methode Márquez‘, seine Romane bis zum Exzess zu überarbeiten und zu perfektionieren, scheint nur im ersten Kapitel angewendet worden zu sein, was dazu führt, dass der Rest des Buches an einigen Stellen ungeordnet, durcheinander und roh wirkt.

„Leben, um davon zu erzählen“ ist ein prall gefülltes Buch, das vor Anekdoten, Personen und Geschichtchen nur so strotzt. Es erzählt nicht nur vom Leben eines großen Schriftstellers, sondern führt den europäischen Leser auch ein in kolumbianische Geschichte und die Literaturszene der Fünfzigerjahre. Die beiden Karten im Einband des Buches (der gebundenen Ausgabe) leisten dabei gute Dienste, um sich im kolumbianischen Hinterland zu orientieren, dennoch kann es dem unbedarften Leser passieren, dass er zwischen den vielen Namen und Personen kurzfristig den Überblick verliert.

Doch gerade deshalb ist „Leben, um davon zu erzählen“ eine Lektüre, die den Leser begeistern wird. Auch in seiner Autobiographie hat sich Márquez nicht vom magischen Realismus verabschiedet, dessen bekanntester Vertreter er ist. Seine Erzählungen wirken frisch und gegenwärtig, sodass man Márquez nur um sein offensichtlich sehr zuverlässiges und aufnahmefähiges Gedächtnis beneiden kann. „Leben, um davon zu erzählen“ macht nicht zuletzt Lust auf Lateinamerika, auf andere Autoren dieses Kulturkreises und darauf, auch andere Autoren durch ihre Autobiographien besser kennen zu lernen.

|Originaltitel: Vivir para contarla
Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz
608 Seiten
ISBN-13: 978-3-596-16266-6
Hardcover-Ausgabe: Kiepenheuer & Witsch, Dezember 2002, ISBN-13 978-3-462-03028-0|
http://www.fischerverlage.de
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Francis, H. G. / Arden, William – Die drei ??? und die schwarze Katze (Folge 4)

Wie auch der „Super-Papagei“, der „Phantomsee“ und der „Karpatenhund“, gehört „… und die schwarze Katze“ ebenfalls zur ersten Tranche der Veröffentlichungen aus dem Hause |EUROPA| und datiert somit zurück auf den 12. Oktober 1979. Im Laufe der folgenden (fast) 30 Jahre summierten sich die Hörspiele der drei kultigen Junior-Detektive auf über 120 auf. Zwischendrin gab es in den Neunzigern mal einen etwas größeren Hänger und neuerliche Lizenzstreitigkeiten, welche Ende 2007 beigelegt wurden. Seither geht es mit den Vertonungen der Buchreihe weiter, was Fans – altgediente und neue – zum Aufatmen brachte.

_Zur Story_

Ein Wanderzirkus/Jahrmarkt gastiert in Rocky Beach, und unsere drei Helden Justus, Peter und Bob liefern für den Zirkus etwas im Auftrag von Justus‘ Onkel Titus, den Schrotthändler, aus – ein Podest für die Löwen-Nummer. Dabei werden sie Zeugen eines Diebstahls: Ein bärtiger Mann mit Schlapphut entwendet eine hässliche, schwarze Plüschkatze von einem Stand und schickt sich an, sich aus dem Staub zu machen. Flugs nehmen die drei Junior-Detektive die Verfolgung in sicherem Abstand auf. Als der Dieb in eine scheinbare Sackgasse flüchtet, werden die Gesichter der drei ??? und der herbeigeeilten Sicherheitskräfte lang: Der Mann ist verschwunden.

Obwohl ein etwa vier Meter hoher und massiver Bretter-Zaun sein Entkommen hätte verhindern müssen, ist er offensichtlich weg; seine Fußspuren führen bis zum besagten Zaun und enden dort abrupt. Zumindest war er nicht in der Lage, die Katze endgültig zu entwenden, denn sie liegt zurückgelassen auf dem Boden. Die drei Jungs bringen die Katze zurück zum Schießstand, woher sie stammt, und Peter kommt auf die Idee, sein Glück zu versuchen und das seltsame Maskottchen regulär zu gewinnen. Gesagt, getan – Peter räumt tatsächlich mit fünf Schuss alle Ziele ab und ist nun rechtmäßiger Besitzer der Plüschkatze.

Die Freude über den Gewinn währt jedoch nicht lang, denn irgendjemand hat den (eigentlich harmlosen) Jahrmarkts-Löwen aus seinem Käfig gelassen, und als Peter die Stellung hält, um den Löwen zu beruhigen, legt er die Katze unbeachtet zur Seite, während die anderen zusammen mit dem Jungen Andy Carson, dem Sohn des Zirkus-Veranstalters, Hilfe holen. Als die Situation dank des Löwenbändigers geklärt wird, ist die Katze verschwunden, und nicht nur das: Die drei Detektive finden dank Andy heraus, dass es seit Monaten immer wieder zu scheinbaren „Unfällen“ beim Wanderzirkus kam.

Außerdem taucht am nächsten Tag eine Zeitungsannonce im lokalen Blatt auf, in der irgendjemand vorgeblich für ein Kinderheim nach exakt jenen Katzen sucht, wie sie Andy an seinem Schießstand als Hauptpreis hat, zu einem Preis von 25 Dollar das Stück. Doch wer will schon eine augenscheinlich so hässliche schwarze, bucklige Stoffkatze mit krummen Beinen, abgenicktem Ohr, die ein Auge zukneift, für ein Kinderheim? Steckt etwa ein Mitarbeiter des Jahrmarkts dahinter, oder gar – wie Andy vermutet – seine Großmutter, die geschworen hat, den Zirkus zu ruinieren? Die drei ??? haben jedenfalls mal wieder einen Fall zu lösen.

_Eindrücke_

Nicht zu überhören ist der berühmte, unvergleichliche Horst Frank, der uns auch in dieser Folge wieder als Hauptkommissar Samuel Reynolds beglückt. Er und auch Urgestein Peter Pasetti (Erzähler / Alfred Hitchcock) weilen seit Mitte der 90er leider nicht mehr unter uns. Bedauerlicherweise ist die alte Musik in der Neuauflage dem modernen Soundtrack gewichen; Nostalgieanflüge werden dennoch geweckt, doch irgendwie ist das nicht dasselbe, aber man gewöhnt sich dran.

Das Drehbuch stammt von H. G. Francis, der das Originalbuch von William Arden aus dem Jahre 1970 (US) bzw. 1971 (D) für das Hörspiel aufbereitete. Bezeichnenderweise ist „Die schwarze Katze“ eigentlich Buch Nr. 13 (gleich zwei unglücksbringende Faktoren: eine schwarze Katze und die Zahl 13) und nicht wie bei den Hörspielen die Nummer vier, was daran liegt, dass man sich auf Seiten |EUROPA|s nicht an die amerikanische Reihenfolge gehalten hat. Ursprünglich sollte „Das Gespensterschloss“ den Auftakt zur Serie bilden, wurde aber aus Marketing-Gründen erst als Folge elf veröffentlicht. Regie führt auch in diesmal Heikedine Körting, die ab und zu in den Hörspielen auch als Sprecherin unter Pseudonym einspringt.

Gehen die Sprecher wieder vollkommen in Ordnung und sind über jeden Zweifel erhaben, so haben sich auf der anderen Seite doch kleinere Mängel eingeschlichen: Mal abgesehen davon, dass hier wieder mal der Mystery-Faktor nicht gegeben ist und sich die Handlung auf eine typische Junior-Detektivgeschichte mit (relativ gut getroffenem) Jahrmarktsflair beschränkt, ist „Die schwarze Katze“ eine der schwächeren Folgen und krankt daran, dass sie zu gekünstelt und konstruiert wirkt. Auch logische Fehler sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Ohne jetzt zu viel von der Handlung zu verraten, sei hier dennoch ein Beispiel angeführt:

Als die Jungs mit einer gefälschten Stoffkatze vor dem Haus des mutmaßlichen Täters stehen (der diese ja für 25 Dollar aufkaufen will), diskutiert man darüber, wer hineingeht, Andy fällt natürlich aus, denn sollte der Dieb beim Zirkus arbeiten, würde er ihn natürlich erkennen und Verdacht schöpfen. So einigt man sich auf Peter und Bob, mit einer Erklärung von Justus, die nicht logisch nachvollziehbar ist, denn der Dieb hat ja Peters Katze bereits gestohlen und dürfte ihn zweifelsohne ebenfalls wiedererkennen. Zudem ist dem Täter auch die Katze vertraut und es ist unwahrscheinlich, dass er auf die Fälschung hereinfällt, zumal er ja ganz genau weiß, dass er Peter seine gewonnene Katze schon auf dem Jahrmarkt abgeluchst hat.

_Steif(f)tier – Das Fazit_

Eine recht schwache Folge, die mit allerhand Fehlern und zu vielen „Zufällen“ gespickt ist. Sie hat überdies schlichtweg zu wenig Pep, und es fehlt ihr die Spur von geforderter Kombinationsgabe, die sonst in fast allen ???-Hörspielen erforderlich ist. Gerade das Ende, als die Identität des Schurken bereits klar ist auch, und was er bezweckt, wird krampfhaft versucht, die Spannung noch einmal final in die Höhe zu treiben. Das hätte man lieber vorher tun sollen. So verkommt der Showdown leider zu einer mäßigen Brechstangen-Farce.

_Die Hörspieldaten auf einen Blick:_

Titel: „Die drei ??? und die schwarze Katze“ – Folge 4
Buch-Autor: William Arden
Drehbuch: H. G. Francis
Produktion & Regie: Heikedine Körting
Label: EUROPA Studio (jetzt BMG Ariola Miller)
Ersterscheinung: 12.10.1979
Musik: Conrad, Morgenstern, Zeiberts

Die Figuren und ihre Sprecher:

Erzähler (alias Alfred Hitchcock): Peter Pasetti
Erster Detektiv – Justus Jonas: Oliver Rohrbeck
Zweiter Detektiv – Peter Shaw: Jens Wawrczeck
Recherchen & Archiv – Bob Andrews: Andreas Fröhlich
Andy Carson: Stefan Schwade
Mr. Carson: Reiner Brönneke
Khan, „Der Kraftmensch“: René Genesis
Der einzigartige Gabbo: Iwan Raszinsky (Karl-Ulrich Meves)*
Iwan der Grosse: Borris Stepin
Hauptkommissar Reynolds: Horst Frank
Junge: Philip Baader

*) Pseudonym, Klarname in (Klammern)

http://www.natuerlichvoneuropa.de/area__ddf/index.php?sid=1

Schweikert, Ulrike – Nosferas. Die Erben der Nacht 1

Die Geschöpfe der Nacht erleben derzeit im Bereich der romantischen Urban Fantasy eine wahre literarische Auferstehung. Bram Stoker schuf mit seinem Fürst der Finsternis, „Dracula“, den Urvater des heute in Buch- und Filmform verbreiteten vampirischen Charakters.

Viele Eigenschaften und für Vampire ‚typische‘ Charaktermerkmale übernimmt der Autor moderner Phantastik gerne, und es gibt kaum neue Ideen oder Interpretationen dieses Themas. Obwohl die Aura des Bösen die „Erben der Nacht“ immer begleitet, sind wir sterblichen Menschen immer wieder aufs Neue fasziniert von der geheimnisvollen, mystischen Welt, in der diese Schattengestalten untot wandeln. Ihre Welt ist die Dunkelheit, die auch ihre Verbündete ist, sie fürchten das Licht als Sinnbild für das Reine und Gute in der Welt.

Interessant wird es erst dann, wenn die Grenzen zwischen Gut und Böse fließend werden, wenn man den Protagonisten so viel Zeit und Raum lässt, um sich zwischen diesen Welten zu bewegen. Wie interpretiert man, ob eine Handlung gut oder böse ist, aus welcher Perspektive und vor allem welcher Motivation entsprechend ver- und beurteilt man das mutmaßliche Monster? Die meisten Vampire sind im Kern grenzenlos böse und nur auf das Blut unschuldiger Menschen aus, so die allgemeine Ansicht. Gefühle und Hoffnungen, Gemütszustände – außer einem bestialischen Hunger natürlich – und die Suche nach Liebe und Geborgenheit sind ihnen fremd. Sie sind, was sie sind – unmenschlich.

Ulrike Schweikert hat mit ihrem Jugendroman „Nosferas. Die Erben der Nacht“ eine Welt erschaffen, in der Vampire nicht mehr oder minder böse sind als wir Menschen:

_Inhalt_

1877. Seit Jahrhunderten liegen die Vampirfamilien in einem stetigen Streit miteinander. Aus ganz Europa kommen die mächtigen und alten Oberhäupter zusammen, um miteinander den Ernst der dramatischen Lage zu besprechen. Da die wahren Vampire einem Alterungsprozess unterliegen und auch Nachkommen zeugen können, liegt genau im letzteren Umstand das besondere Problem. Es ist neun Jahre her, seit das letzte Kind geboren wurde und langsam aber stetig nimmt die Zahl der Greise zu. Die Clans waren verfeindet, es wurden Kriege gegeneinander geführt, und auch jetzt noch fühlt sich jeder Clan den anderen überlegen und verkehrt deswegen nicht mit clanfremden Angehörigen.

Eine alte menschliche Druidin, die diese Versammlung einberufen hat, konfrontiert die Oberhäupter mit der Gefahr auszusterben, wenn sie nicht gewillt sind zusammenzuarbeiten und dadurch zu überleben. So wird der Entschluss gefasst, dass die heranwachsenden Kinder zusammen ausgebildet werden. Endlich sollen die Clans die Größe und die Macht vergangener Zeiten zurückerlangen.

Die Altehrwürdigen schicken die jungen Vampire nach Rom. In der Ewigen Stadt beim Clan der Nosferas soll der Nachwuchs unterwiesen werden, z. B. in der Immunisierung gegen Reliquien und Zeichen der Kirche. Doch auch alte, längst schon überholte Vorurteile sollen abgebaut werden, Wissen soll vermittelt werden, an dem jeder Clan profitieren kann. Jeder Clan wird die jugendlichen Vampire seine ganz speziellen Fähigkeiten beibringen.

In Rom angekommen, merken die jungen Vampire recht schnell, dass sie unterschiedlicher nicht sein können. Alisa vom Clan der Vamila aus Hamburg ist recht modern und offen, sie interessiert sich für Bücher, für die Wissenschaft und schaut interessiert und zugleich neidisch auf die Welt der Lebenden. Ivy vom Clan der Lycaner, die als Beschützer den weißen Wolf „Seymour“ an ihrer Seite hat, ist merkwürdig introvertiert. Und der junge Vampir Franz Leopold aus der Familie der Dracas aus Österreich, ein Schönling, könnte arroganter nicht sein.

Aber nicht nur Rivalitäten untereinander machen dieser kleinen Schulklasse das Leben schwer. In den Ruinen rund um die Domus Auria, den Sitz der Nosferas, treibt ein Vampirjäger sein Unwesen und vernichtet mit Hilfe eines Lockvogels mehrere der Untoten.

Papst Pius IX., dass Oberhaupt der katholischen Kirche, schlägt sich derweil mit innerpolitischen Problemen herum. Der Vatikan befindet sich derzeit in einer geschwächten Situation und wird außenpolitisch nicht als souveräner Staat anerkannt; auch das Papsttum selbst macht eine Krise in der Anerkennung der Völker durch. Pius IX. fühlt sich in seinem kleinen vatikanischen Palast inmitten Roms wie ein Gefangener, und ein ehrgeiziger Kardinal, der um das Geheimnis der Vampire weiß, nutzt diese Situation aus, um die Kirche wieder in eine weltpolitischen bedeutsame Position zu bringen.

Als unterdessen auch die anderen Clans von dem Vampirjäger erfahren und die Bedrohung auch die jungen Vampire erreicht, müssen diese zusammenarbeiten, um die Gefahr auszuschalten …

_Kritik_

„Nosferas. Die Erben der Nacht“ ist ein spannender Jugendroman, der wie so viele seiner Genrekollegen eine magische Komponente bereithält. Diesmal sind es keine Zauberer oder Hexen, auch kein Internat von Schülern, nein – diesmal spielen junge Vampire die Hauptrolle. Das Gerüst des Plots ist damit bekannt, aber Ulrike Schweikert hat in der Umsetzung dieser Grundidee erfreulicherweise ihre kreative Individualität beibehalten.

Der Schauplatz der Geschichte, die ewige Stadt Rom, ist vortrefflich ausgesucht für das Debüt der jungen Vampire. Vor 130 Jahren war Rom zwar bereits eine moderne Metropole, jedoch strömen die historischen Stätten wie das Forum Romanum, das Kolosseum oder die Engelsburg seit jeher eine mystische und geheimnisvolle, zeitlose Aura aus. Wer Rom und die alten Ruinen und Plätze bei Nacht durchstreift hat, weiß um die besondere Stimmung, in der man förmlich Geschichte und vergossenes Blut erspüren kann, in jedem Stein, in jeder Säule.

„Nosferas. Die Erben der Nacht“ ist zwar im phantastischen Genre anzusiedeln, macht aber durch seine Genre-Vermischung und das Zusammenspiel verschiedener historischer Persönlichkeiten viel an Authentizität wett. Nicht nur die Spannung der erzählten Handlung wirkt auf dem Leser begeisternd, sondern auch die Geschichte Roms birgt viel Interessantes und Wissenswertes. Insgesamt hat die Autorin intensiv recherchieren müssen, um ihre Erzählwelt derartig fundiert präsentieren zu können, und auch dieser Punkt ist für einen Roman, der historische Fakten aufgreift und dessen Handlung sich in der Historie abspielt, unabdingbar.

Die Protagonisten, wie untot sie auch sein mögen, sind erfrischend lebendig und menschlich beschrieben. Weder sind sie klischeehaft grausam noch besonders schön von Gestalt, auch sind sie keine verzweifelten, melancholischen Schatten ihrer selbst. Nein, die Fürsten der Finsternis sind mit allen menschlichen Eigenarten gesegnet und geschlagen. Gerade die jungen Vampire ergänzen sich innerhalb der Gruppe gleichmäßig und wirken sehr sympathisch und – menschlich.

Auch wenn sich Ulrike Schweikert die hier zu erwartenden und typischen erzählerischen Elemente bedient, so weiß sie doch durch den Spannungsaufbau zu überzeugen. Ihr sprachlicher Stil ist dem Thema und dem Genre eines Jugendromans angemessen, und nicht zuletzt durch die verschiedenen Schauplätze, die in späteren Bänden noch auftauchen werden, ist für Abwechslung und dauerhaftes Leserinteresse gesorgt.

Etwas ungewöhnlich, aber deswegen nicht weniger unterhaltsam, sind die Geschichten der Vampire und ihre typischen, besonderen Kräfte. Dass Vampire bei Schweikert altern, auch wenn der Alterungsprozess sich verlangsamt, ist durchaus unüblich; ebenso, dass infizierte Vampire, die früher Menschen waren, als zweitklassige Vampire ihr Leben als Sklave oder Diener ihrer aristokratischen Herren ableisten. Daran wird sich jedoch im Verlauf der nächsten Bände etwas verändern, wie es scheint.

_Fazit_

Ulrike Schweikert erschafft mit „Nosferas. Die Erben der Nacht“ eine ganz eigene Welt mit Vampiren, die in den nächsten Romanen zeigen werden, aus welchen Holz sie letztlich geschnitzt sind.

Konzipiert sind die Charaktere zunächst recht einfach, aber mit dem Alter und ihrer Ausbildung kommt auch die Reifeprüfung ihrer Persönlichkeit. Der Schwerpunkt der Handlung ist auch noch lange nicht erreicht; zwar endet der Roman recht schlüssig, doch gleich einem Marionettenspieler zieht ein großer Unbekannter die Fäden. Welche Motivation ihn antreibt, ob er nun Mensch oder Vampir ist oder welcher Sinn hinter seinen Aktivitäten steckt, wird dem Leser noch nicht klar.

Da die jungen Vampire ihre Elternhäuser in vielen Metropolen Europas haben, kann der Leser mit Spannung darauf warten, was in Irland, Österreich oder Deutschland gelehrt werden wird, und auch hier besteht die Hoffnung, dass die Autorin ebenso viel Wert auf Authentizität legt, wie sie es hier und auch in ihren bisherigen historischen Romanen bewiesen hat. Es gibt viele Geheimnisse, die in dem ersten Band angedeutet werden; sicherlich ein bewusstes Mittel, um den Leser in den zweiten Band zu locken, aber dieser Kniff ist gekonnt ausgeführt und gern willkommen.

_Die Autorin_

Ulrike Schweikert, Jahrgang 1966, beherrscht sowohl das historische als auch fantastische Genre meisterhaft. Ihre historischen Erwachsenen-Romane sind Bestseller und ihr „Drachenkrone“-Zyklus Fantasy-Pflichtlektüre. Nach ihren beiden großen Jugendbuch-Erfolgen „Das Jahr der Verschwörer“ und „Die Maske der Verräter“ hat die vielseitige Autorin nun ihren ersten fantastischen Roman für Jugendliche verfasst: „Die Erben der Nacht“.

|446 Seiten
empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-30478-5|
http://www.cbj-verlag.de

Liebe Besucher meiner Internetseite,

Mehr von Ulrike Schweikert auf |Buchwurm.info|:

[„Der Duft des Blutes“ 4858
[„Die Seele der Nacht“ 1232 (Die Legenden von Phantásien)

Patterson, James – 1. Mord, Der (Hörbuch)

_Extrem brutal: der Flitterwochenmörder_

Ein eiskalter Mörder tötet Flitterwöchner noch in der ersten Hochzeitsnacht – um herauszufinden, was das Schlimmste ist, das jemand tun kann. Doch alle weibliche Opfer verbindet etwas, und das ist der Schlüssel zur ungewöhnlichen Aufklärung des Falls. Denn diesmal wird nicht ein Einzelner wie Dr. Alex Cross aktiv, sondern gleich ein ganzer Klub von couragierten Frauen: der Mordklub.

Dies ist der erste Roman in einer neuen Reihe, die einfach von eins aufwärts durchnummeriert ist. Der 1. Band heißt daher „1st to die“, der nächste „2nd Chance“, „3rd Degree“ und so weiter.

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman vor „Blood“ in Deutschland hieß „Ave Maria“, ein Alex-Cross-Roman. Davor erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Original ist bereits „Double Cross“ erschienen. Seit 2005 sind weitere Patterson-Kooperationen veröffentlicht worden, darunter „Lifeguard“ sowie „Judge and Jury“; im Juli 2007 erschien die Zusammenarbeit „The Quickie“ (deutsch „Im Affekt“, 2008). Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien auch eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ („The Jester“), deren Story im Mittelalter spielt.

Nähere Infos finden sich unter http://www.twbookmark.com und http://www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida und Westchester, New York.

|The Women’s Murder Club| umfasst bislang folgende Bände:

1. Der 1. Mord
2. Die 2. Chance
3. Der 3. Grad (zusammen mit Andrew Gross)
4. Die 4. Frau (zusammen mit Maxine Paetro)
5. Die 5. Plage (zusammen mit Maxine Paetro)
6. Die 6. Geisel (zusammen mit Maxine Paetro)
7. 7th Heaven (zusammen mit Maxine Paetro)
8. 8th Confession

Mehr von James Patterson auf |Buchwurm.info|:

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Blood“ 4835
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47

_Die Sprecherin_

Nicole Engeln arbeitet als Schauspielerin und Sprecherin. Neben ihren verschiedenen Theaterengagements spielt sie in vielen TV-Serien mit. Ihre Stimme kennt man aus zahlreichen Produktionen großer Fernsehsender. (Verlagsinfo) Sie liest eine von Stefan Hackenberg gekürzte Lesefassung.

Regie in den |Interface Recording Studios|, Köln, führte Stefan Hackenberg.

_Handlung_

Lindsay Boxer ist die einzige Inspektorin in der Mordkommission des San Francisco Police Department (SFPD). Da muss sie manchmal ganz schön hart im Nehmen sein. So wie jetzt, denn nichts hat sie auf den Horror der Flitterwochenmorde vorbereitet. Der erste passiert im gleichen Hotel, in der auch die Hochzeit stattfand. Der zweite passiert verwirrenderweise draußen auf dem Land, im berühmten Weinbaugebiet des Napa Valley. Beide Male wurden an den schönen und wohlhabenden Opfern, die kurz vor ihrem Honeymoon Trip standen, grausame sexuelle Handlungen vorgenommen. Sie wurden nicht nur getötet, sondern auch in jeder Weise entwürdigt.

San Francisco ist dementsprechend geschockt und will schnell Aufklärung der Untaten und die Ergreifung des Monsters. Das ist leichter gesagt als getan. Zum Glück gelingt es ihr, eine neugierige junge Journalistin auf ihre Seite zu ziehen und mit ihr und Claire, Lindsays bester Freundin, einer Gerichtsmedizinerin, einen Klub der Detektivinnen zu gründen. Später ziehen sie noch eine Staranwältin hinzu – wer hätte das gedacht? Schon bald zeitigt das Puzzlespiel der Frauen erste Erfolge.

Doch Lindsay hat auch ein ganz privates Problem, das sie unmittelbar bedroht: Ihr Arzt entdeckt bei ihr eine Blutkrankheit, eine zunehmende Knappheit an roten Blutkörperchen. Als Folge des resultierenden Sauerstoffmangels kippt sie ab und zu in Stresssituationen einfach um. Gut, dass sie einen neuen Freund hat: Chris Raleigh. Nachdem sie ihr Misstrauen überwunden hat, erweist sich der Nichtpolizist Raleigh an ihrer Seite als wahre Stütze. Doch wie kann man eine Beziehung aufbauen, wenn man die wichtigste Wahrheit nicht sagen kann, weil dadurch die Beziehung zum Scheitern verurteilt wäre?

In diesen Zweifrontenkrieg Lindsays platzt die Nachricht eines weiteren Honeymoon-Mordes wie eine Bombe: Der Mörder hat im fernen Cleveland zugeschlagen. Treibt er nun im gesamten Land sein Unwesen? Als die Videoaufnahmen das Gesicht des ungebetenen Hochzeitsgastes enthüllen, traut Lindsay ihren Augen kaum: Der Killer ist eine weltbekannte Persönlichkeit. Wie soll sie ihn zur Strecke bringen?

Wer wird als erster mit dem Sterben dran sein: das nächste Opfer, der Killer oder – Lindsay?

_Mein Eindruck_

„Roses are red / Rosenrot, mausetot“ hatte mich seinerzeit mit seinem hammerharten Schluss absolut umgehauen. Daher wagte ich nicht zu hoffen, dass Patterson ein weiteres Mal dieses Kunststück fertigbringen würde. Und dem ist auch so: „1st to die“ geht viel weiter in die Breite und drückt weitaus stärker auf die Tränendrüsen als „Roses are red“. Dieses Buch ist ergreifend. Dennoch bleibt das Buch spannend bis zur letzten Szene, weil es dem Autor gelingt, immer wieder ein neues Karnickel aus dem Hut zu zaubern, eine neue Wendung einzubauen, auf die der Leser nicht – und die Hauptfigur schon gar nicht – vorbereitet ist.

Was sich schon bei „Roses“ anbahnte, setzt sich hier verstärkt fort: Nicht mehr heroische Männer wie Alex Cross stehen im Mittelpunkt des Geschehens, sondern vielmehr starke Frauen. Doch auch diese sind aufeinander angewiesen, sowohl beruflich wie auch privat, wie Lindsays Krankheit zeigt, sonst würden sie scheitern. Die Anwältin beispielsweise wird benötigt, um sich überhaupt an den prominenten Killer heranzuwagen – und dennoch setzt sie ihre Karriere dafür aufs Spiel.

Was ich hier um den Erhalt der Spannung willen nicht sagen darf, aber mit das Wichtigste am Buch ist, ist natürlich der Mörder. Die ersten vier Morde begeht er sowohl skrupellos als auch in erniedrigender Absicht. Dennoch will er etwas herausfinden: Was ist das Schlimmste, was man tun kann? Beim dritten Doppelmord mischt sich eine persönliche Beteiligung in die Tat, eine Art Rachsucht. Natürlich überrascht uns der Autor: Im Handumdrehen haben wir es mit mehr als nur einem möglichem Täter zu tun, aber welcher ist der richtige? Menschen können sich verkleiden. Bis zum Schluss bleibt diese ungewisse Spannung erhalten, und man kann nur um die Unversehrtheit Lindsays bangen.

Patterson kennt seine Schauplätze aus dem Effeff, als ob er selbst dort gewesen sei. Man nimmt ihm die Akkuratheit seiner Beschreibungen ohne Weiteres ab. Und wo der Hintergrund als sicher gilt, kann bekanntlich im Vordergrund alles Mögliche passieren.

_Die Sprecherin_

Nicole Engeln legt sich ins Zeug, um die Emotionen der Figuren deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das gelingt ihr naturgemäß besser bei den weiblichen als bei den männlichen Figuren. Die Frauen klingen durchweg freundlicher und zugänglicher als die Männer. Das heißt nicht, dass alle Frauen eine so hohe Stimme haben müssen wie Cindy Thomas. Bestes Gegenbeispiel ist Claire Thomas, die patente, mütterliche und schwarze Chefpathologin und beste Freundin Boxers: Sie hat eine tiefe Altstimme, mit der sie ganz schön viel Autorität ausstrahlt. Ihr genaues Gegenteil ist die gluckenhafte Mami der Braut Becky, welche ebenso verzückt wie völlig hirnlos klingt. Das kann Claire Thomas nie passieren.

Die Männer sind häufig relativ aggressiv, insbesondere in der Polizeitruppe. Schon Warren Jacobi drückt mit seiner tiefen Stimme großen Sarkasmus aus. Und als Cindy Thomas unerkannt zum ersten Tatort vordringt, wird sie aggressiv angefaucht, sie solle sich rausscheren. Dann gibt es noch mehrere Ärzte, die leicht blasiert klingen. Bei Dr. Medwed setzt die Sprecherin einen deutlich hörbaren slawischen Akzent ein, indem sie die Rs rollt und das Ch möglichst kehlig ausspricht.

Engelns einzige Schwäche ist ihre Unkenntnis darüber, wie man bestimmte englische Namen ausspricht. Den Nachnamen von Chris Raleigh spricht [rejli] statt [rå:li] aus. Und Napa Valley klingt bei ihr seltsam: Sie sagt [nejpa] statt [näpa]. Vielleicht sollte sie einfach mal hinfahren oder einen Experten fragen. Ihre Kollegin Julia Fischer ist da wesentlich kenntnisreicher.

|Sounds|

Die hier einegsetzten Sounds sind sowohl Geräusch als auch Musik. Es fällt mir schwer, sie als das eine oder andere zu bezeichnen. Wie auch immer: Diese „Klänge“ dienen dazu, dem Hörer eine zusätzliche Gänsehaut des Grauens zu verursachen, so klirrend schräg klingen sie. Weil sie nur in den Pausen zwischen den kurzen Kapiteln zu hören sind, sind sehr kurz, maximal 2-3 Sekunden, und es gibt nur zwei verschiedene Klänge. Aber solche schauderhaften musikalischen Motive würde man nie in einer TV-Krimi-Serie zu hören bekommen. Die weiblichen Zuschauer würden in Scharen davonlaufen.

_Unterm Strich_

Mit der Betonung der emotionalen und sozialen Dimension des Verbrechens begibt sich Patterson auf das Spielfeld eines anderen bekannten Spannungsautors, auf das von Dean Koontz. Koontz hat sich wegbewegt vom Übernatürlichen, Unerklärlichen hin zu höchst seltsamen Praktiken der Psychologie, dem Wahnsinn von Serienkillern. Bei Pattersons Killern hat dieser Wahnsinn noch Methode: dahinter steckt der Wunsch zu erkennen und zu schocken.

Glücklicherweise sind Pattersons Bücher noch wesentlich dünner und schneller zu lesen als die Ziegelsteine, die Koontz in den 90er Jahren produziert hat. Die superkurzen Kapitel, das Markenzeichen jedes Patterson-Romans, erlauben praktisch keine Atempause. Zudem schrieb Patterson diesen ersten Band noch völlig selbständig, die Folgebände ließ er schreiben.

|Das Hörbuch|

Alles in allem ist dies ein sehr lebhafter und abwechslungsreicher Vortrag. Engelns einzige Schwäche ist ihre Unkenntnis darüber, wie man bestimmte englische Namen ausspricht.

Da dieses Hörbuch keine Sonderausgabe des ADAC ist wie etwa „Die 5. Plage“ aus dem gleichen Hause, kostet die CD-Box auch entsprechend mehr, nämlich rund 20 €uronen. Das ist aber immer noch günstig, besonders für einen so erfolgreichen Autor wie Patterson, der durchaus hohe Honorare für seine Veröffentlichungsrechte verlangen kann.

|Originaltitel: 1st to die, 2001
Aus dem US-Englischen übersetzt von Edda Petri
390 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 978-3-86804-495-9|
http://audiomedia.de/category/verlag/hoerbuch/target-mitten-ins-ohr/
http://www.jamespatterson.com

Feehan, Christine – Mein dunkler Prinz (Die Legende der Karpathianer 1)

Mikhail Dubrinsky steht in seiner Bibliothek und sinniert darüber, ob er seinem Leben nicht vielleicht ein Ende setzen sollte. Alles ödet ihn an und er weidet sich ein wenig an seiner eigenen Depression, die gerade unmenschliche Ausmaße anzunehmen droht. Würde Mikhail doch bloß tatsächlich Selbsmord begehen, dann wäre Christine Feehans Schmachtfetzen „Mein dunkler Prinz“ zu Ende, bevor er richtig begonnen hat. Leider ist dem armen Hörer dieses Glück nicht vergönnt, denn in Feehans Welt stehen Frauen auf dunkle, von Selbstzweifeln geplagte Männer, die sich genüsslich in Selbstmitleid wälzen.

Und so betritt Raven Whitney die Bildfläche. Per telepathischer Fangschaltung klinkt sie sich in Mikhails Gedanken ein und erklärt ihm, dass es für solch drastische Maßnahmen wirklich keinen Grund gebe. Mikhail verliebt sich aus unerfindlichen Gründen sofort in die Retterin in seinem Ohr und beschließt, dass sie seine Gefährtin ist. Die einzige Frau nämlich, die er wirklich lieben kann, die seine Seele komplettiert, ihn wirklich versteht und echt heißen Sex mit ihm hat.

Praktischerweise befindet sich Raven nur einen Flügelschlag von ihm entfernt, nämlich in einem kleinen Gasthof. Zunächst einmal lauert er ihr heimlich auf, um sich von ihren körperlichen Reizen zu überzeugen: zierlich, schwarze Haare, die Rundungen an den richtigen Stellen. Doch lange kann er sich nicht vor ihr verstecken und so landen sie bald im Bett, ohne dass sie drei Sätze miteinander gewechselt hätten. Und trotzdem, das ist die große Liebe, will uns Christine Feehan weismachen.

Eine Art Alibi-Plot bietet die Autorin auch, denn in den Szenen, in denen Raven und Mikhail sich nicht gerade anschmachten oder in den Laken wälzen, versuchen ein paar gehirnamputierte Amerikaner, Vampire umzubringen. Diese Handvoll Gegenspieler ist so lustlos dargestellt, so lapidar dahingeschrieben, dass man den Eindruck gewinnt, das Trüppchen teile sich ein Gehirn – da gibt es nichts, was die Charaktere voneinander unterscheiden würde. Nicht einmal eine Motivation für die stümperhafte Vampirjagd mag Feehan liefern. Selbige Jagd gilt es natürlich zu stoppen, aber das gelingt – selbstverständlich – nicht, ohne dass Raven mitten in der Schlusslinie landet, damit sie vom tapferen Mikhail gerettet werden kann. Und das ist auch schon alles, was „Mein dunkler Prinz“ an Handlung anzubieten hat.

Christine Feehan hat mit „Mein dunkler Prinz“ einen |Bodice Ripper| (wie das Cover ja eindrücklich beweist) der untersten Schublade geschrieben, der nichtsdestotrotz der Beginn einer Serie mit mittlerweile neunzehn (!) sicherlich ebenso drögen Teilen ist. Der Roman ist oberflächlich, uninspiriert und so formelhaft aufgebaut, dass man eher Wut als nur pure Langeweile empfindet.

Feehan hat vom Wort Recherche noch nie etwas gehört. Wo sich die Handlung eigentlich abspielt, bleibt ein Geheimnis. Wir befinden uns irgendwo in den Karpaten und es gibt ein Gasthaus, das so wohl aus einem Roman aus dem 18. Jahrhundert entwendet wurde. Es gibt keine Details, nichts, das dafür sorgen würde, dass dieses Setting nicht wie eine Kulisse, sondern wie eine tatsächliche Ortschaft wirkt. Es gibt nichts Eigenes, Originelles, das den Schauplatz der Handlung irgendwie charakterisieren würde. Offensichtlich hat Feehan die Karpaten nur gewählt, weil sie der Meinung ist, dass sich das für einen Roman mit Vampiren so gehört. (Wobei sie nicht müde wird zu erwähnen, dass Mikhail kein Vampir, sondern Karpathianer ist. Leider vergisst sie zu erklären, worin genau der Unterschied besteht.)

Auf ihre Charaktere verwendet Feehan ebenso viel Zeit wie auf ihren Handlungsort – nämlich gar keine. Wir erfahren, dass Raven aus irgendeinem Grund telepathisch veranlagt ist und deshalb dem FBI bisweilen dabei hilft, Mörder aufzuspüren. Weil sie das so mitgenommen hat, ist sie nun in Urlaub in die Karpaten gefahren, um mal so richtig abzuschalten. Ansonsten erfährt der Hörer nur noch, dass sie mit Mitte zwanzig noch unberührt ist (offensichtlich eine zwingende Voraussetzung in einem Liebesroman) und natürlich gut aussieht. Woher kommt sie eigentlich? Was arbeitet sie? Ist sie beim FBI angestellt oder hat sie eigentlich einen ganz anderen Beruf? Hat sie Familie, Freunde? Vielleicht wenigstens ein Haustier? Was mag sie, was hasst sie? Uninteressant, findet Feehan, weil sowas nur von Ravens endloser Schmachterei ablenkt, in die sie verfällt, sobald Mikhail auch nur in die Nähe kommt.

Mikhail ist auch nicht besser. Er leidet die ganze Zeit vor sich hin, weil das von einem „dunklen Prinzen“ eben so erwartet wird; und obwohl er Raven ständig seine unsterbliche Liebe gesteht und ihr versichert, er könne ihr nie wehtun, überkommt ihn beim ersten leidenschaftlichen Sex sofort der Blutdurst, sodass er sie fast umbringt. Feehan will der Zielgruppe damit offenbar beweisen, dass Mikhail ein echter Brutalo sein kann (ein Quäntchen Gefahr facht halt die Leidenschaft an), der aber hinterher stets ordentlich betroffen ist, wenn er seiner Angebeteten schon wieder fast den Garaus gemacht hat. Darüber hinaus ist er ein unausstehlicher Macho, wobei sich Ravens Aufbegehren gegen seine altertümlichen Ansichten (er vertauscht ihre Jeans gegen einen langen Rock, weil Frauen „keine Männersachen tragen sollten“) darin erschöpft, dass sie sich mit Fispelstimme und Wimperngeflatter in seine Arme fallen lässt.

Man könnte sich auch noch über Feehans nicht vorhandene Handwerkskunst ereifern. Für den Leser wichtige Expositionen packt sie gern in Dialoge, was dann dazu führt, dass sich Charaktere Dinge erzählen, die sie ohnehin schon wissen, was naturgemäß gestelzt und forciert wirkt. Man könnte sich darüber ärgern, dass es in dem Hörbuch keine Szene gibt, in der nicht entweder Raven, Mikhail oder beide vorkommen, was auf Dauer extrem ermüdend wirkt. Man könnte anmerken, dass die ewigen Sexszenen langweilig sind und sich ständig wiederholen. Man könnte erwähnen, dass Feehan keinen glaubwürdigen Grund dafür liefert, warum Raven und Mikhail sich nun eigentlich ineinander verlieben. Es gibt vieles, das man an „Der dunkle Prinz“ noch bemängeln könnte, aber es ist sicherlich bereits offensichtlich geworden, dass diese Rezension nicht in einer glühenden Empfehlung münden wird.

Suzan Amir Gusovius spricht das Hörbuch mit fatalistischer Gleichgültigkeit. Sie klingt eher, als würde sie eine CD mit autogenem Training besprechen – langsam, getragen und fast ohne Stimmmodulation. Immerhin schafft sie es, nicht bei jeder lächerlichen und völlig unsinnigen Szene (und davon gibt es viele) in schallendes Gelächter auszubrechen. Diese Fähigkeit kann man ihr nicht hoch genug anrechnen.

|Lübbe Audio| hat „Mein dunkler Prinz“ in gekürzter Fassung auf CD gebannt (|Lübbe| nennt das euphemistisch „bearbeitete Fassung“) – eine Entscheidung, die sehr zu begrüßen ist. Noch mehr „dunkler Prinz“ wäre auch kaum zu ertragen gewesen.

Christine King Feehan wuchs mit ihren drei Brüdern und zehn Schwestern auf, die auch die ersten Leser ihrer Geschichten waren. Sie ist mit Richard Feehan verheiratet und Mutter von elf Kindern. Neben dem Schreiben lehrte sie Kampfkunst und Selbstverteidigung. Sie hat drei schwarze Gürtel im koreanischen Stil Tang So Do Mu Duk Kwan und weitere Ränge in verschiedenen anderen Stilen. „Dark Prince“ ist ihr Debüt als Autorin. Mittlerweile hat sie mehr als dreißig Bücher veröffentlicht.

|Originaltitel: Dark Prince, 1999
313 Minuten auf 4 CDs
Bearbeitete Fassung
ISBN 978-3-7857-3376-9|
http://www.luebbeaudio.com
http://www.christinefeehan.com

Gustavus, Frank – Blackout (Hörspiel)

_Inhalt:_

Hollywood 2001. Der abgehalfterte Schauspieler Paul Spense bekommt nur noch Rollen in drittklassigen B-Movies, obwohl er früher doch ein gefeierter Star war. Mittlerweile ist der Alkohol sein bester Freund und auch sein windiger Agent Leo Lime, genannt „das Frettchen“, zieht ihm schon lange keine lukrativen Angebote mehr an Land.

Auf einer Imageparty kommt es dann zum Desaster. Spense gerät in Streit und spricht erneut dem Alkohol zu. Die Folge ist ein Blackout, der Spense in eine Welt entführt, die er nur aus Erzählungen und Büchern kennt: Das Dritte Reich unter der Führung von Adolf Hitler! Und alles fühlt sich so real an, dass Paul Spense nicht an einen simplen Alptraum glauben kann. Plötzlich wird der einstige Schauspieler als Spion von der Gestapo und der SS gejagt. Ein nicht enden wollendes Schreckensszenario nimmt den Schauspieler gefangen …

_Meinung:_

Das zweite Hörspiel des Labels |Ripper Records| wartet mit einer eigens für dieses Projekt geschriebenen Story auf, die sehr originell von Frank Gustavus verfasst und inszeniert wurde. Die glamouröse Welt des modernen Hollywood trifft auf eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Stärker können zwei Gegensätze kaum kontrastieren, und mit der Figur des Paul Spense wurde ein Antiheld geschaffen, der durch die geniale Darbietung von Helmut Krauss bereits nach wenigen Sätzen sympathisch wirkt.

Mit der Besetzung wurde sich ebenso viel Mühe gegeben wie mit der Musik und den spärlich eingesetzten Effekten. Das Hörspiel bezieht seine Atmosphäre aus den Dialogen und den Leistungen der Schauspieler, die mit viel Herz bei der Sache waren. Dietmar Mues, der Ripper, spielt hier Stanley Crane beziehungsweise Obersturmbannführer Dorff und bildet einen wunderbaren Gegenpol zum Part von Helmut Krauss. Als weibliche Hauptrolle ist Ulrike Frank zu hören, die aus diversen Film- und Fernsehproduktionen (unter anderem GZSZ) bekannt ist. Hier zeigt sie, dass sie allein mit ihrer Stimme Figuren Leben einhauchen und eine wunderbare Darbietung liefern kann. Natürlich sind auch Hörspiellegenden vertreten, wie Jürgen Thormann, Lutz Mackensy, Robert Missler und F.-J. Steffens. Aranka Mamero-Jaenke hat bereits als Elizabeth Stride in „Jack the Ripper – Geschichte eines Mörders“ eine eindrucksvolle Leistung geboten und zeigt sich auch als resolute Wirtin mit Berliner Akzent sattelfest.

Der klangvolle Soundtrack dieses Hörspiels ist Jan-Peter Pflug zu verdanken, der sich wirklich mit Herzblut in dieses Projekt hineingekniet hat. An zwei Musikstücken (die bei der Party im Hintergrund laufen) hat er 20 Stunden gesessen und komponiert – ein kleiner Eindruck dessen, was hinter einem „simplen“ Hörspiel an Arbeit steckt.

Die Geschichte ist mit knapp einer Stunde Spielzeit erheblich kürzer als das Ripper-Debüt, sorgt dadurch aber auch für eine enorme Rasanz und Kurzweil. Eine vorbildliche Trackeinteilung von 20 Kapiteln macht das schnelle Anwählen einzelner Szenen möglich.

Die Gestaltung dieses Hörspiels oblag Dominik Krause-Paulus, der nicht nur die Titelillustration zeichnete, die fabelhaft die Gegensätze des heutigen Hollywood mit dem Deutschland 1941 verkörpert, sondern auch die Darsteller mit lebensechten Portrait-Zeichnungen verewigte.

_Fazit:_

„Blackout“ ist ein erstklassiges, liebevoll produziertes Hörspiel, dass innerhalb einer guten Stunde eine extrem spannende Geschichte erzählt. Helmut Krauss stellt seine Vielseitigkeit ebenso unter Beweis wie seine 16 Kollegen. Ein grandioser Soundtrack und technisch brillante Effekte schaffen eine wirklichkeitsgetreue Atmosphäre, die den Hörer sofort gefangen nimmt.

Mehr von |Ripper Records| auf |Buchwurm.info|:

[„Gesucht: Billy the Kid“ 2929
[„Die vergessene Welt“ 1780
[„Der Vampyr oder Gespenstersommer am Genfer See“ 525
[„Der Vampyr – Die Erzählungen“ 924

|59 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-1329-7|
http://www.ripperrecords.de
http://www.luebbe-audio.de

|Die Sprecher:|

Helmut Krauss, Dietmar Mues, Ulrike Frank, Lutz Mackensy, Jürgen Thormann,
Achim Schülke, Katrin Gerken, Jona Mues, Volker Bogdan, Franz-Josef Steffens,
Aranka Mamero-Jaenke, Robert Missler, Werner Cartano, Steffen Przbyl, Thorsten W. Weber, Antje Seibel und Frank Gustavus.

Musik: Jan-Peter Pflug
Solo-Violine: Rodrigo Reichel
Geräusche: Martin Langenbach
Tonmeister: Manfred Knauff
Illustrationen: Dominik Krause-Paulus
Artwork: Holger Albertini
Buch, Regie und Produktion: Frank Gustavus

_Florian Hilleberg_

Soboczynski, Adam – schonende Abwehr verliebter Frauen, Die

_Elegante Einführung ins Welttheater_

Grünes Kunstleder, geprägte Schrift und ein Bordeaux gefärbter Schnitt – |Kiepenheuer| hat sich eine auffällige, aber nicht aufdringliche Aufmachung für Adam Soboczynskis neues Werk einfallen lassen, welche ganz den Menschentyp widerspiegelt, den der Autor recht zynisch aber durchaus witzig propagiert. Zunächst mutet das Buch als Ratgeber in Sachen Lebensführung an, wollen die 33 Geschichten doch zeigen, |“wie sich in einer Welt geschickt zu verhalten sei, in der Fallen lauern und in der Intrigen walten“|, und beispielhaft in die „Kunst der Verstellung“ einführen. Solchermaßen findet man bereits auf der hinteren Umschlagseite die Zehn Gebote der Verstellungskunst, mit deren Hilfe sich der Leser in der Fertigkeit, ein gewünschtes Bild von sich so darzustellen, dass man seine Ziele erreicht, vervollkommnen können soll.

In den Geschichten findet der Leser Typen wie den leicht zu durchschauenden Herr Walter, den hochnäsigen Hochschulprofessor, die Mutter, der es immer wieder gelingt, ihrem Sohn Schuldgefühle einzureden, unglücklich verliebte Menschen, Menschen, die sich die Liebenden eher von Hals halten möchten – sie tauchen im Laufe der Geschichten immer wieder auf und werden somit in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht gezeigt, das sich dem Leser ganz wie im richtigen Leben nicht beim ersten Auftreten, sondern erst nach einem längeren Beobachtungszeitraum erschließt. Sie allen spielen laut Soboscynski „Welttheater“, um andere zu schonen, damit sie ihnen in Zukunft nicht schaden können, und/oder um sich der Konkurrenz gegenüber Vorteile zu verschaffen.

Dieses Bild der Welt und der in ihr handelnden Personen greift auf die Ideen des Barockzeitalters zurück. Der Autor verweist mehrmals auf die Theorien des Balthasar Gracián, dessen Leitfaden für die höfische Benehmenskultur „Handorakel und Kunst der Weltklugheit“ (1653) er auf die Gegenwart zu übertragen versucht. Beiden Autoren geht es darum, den Lesern zu zeigen, dass man seine Affekte beherrschen muss, um den richtigen Schein aufzubauen und zu wahren sowie stets das gewünschte Bild von sich zu zeigen. Dieses Ideal der gekonnten Verstellung wurde im Laufe der Jahrhunderte von der bürgerlichen Kultur mit ihrem Ideal der Innerlichkeit und der Aufrichtigkeit der Gefühle abgelöst. Soboczynski zeigt in anspruchsvoller, geschliffener, gelegentlich vielleicht etwas zu umständlicher Sprache, dass jedoch gerade in der heutigen Zeit, in der sich jeder Mensch in einer Vielfalt von Beziehungsgeflechten und Abhängigkeiten befindet, diese Verstellungskunst aktueller ist denn je. Menschen, die sie anwenden, steigen auf; wer sich dieser Verhaltensregeln nicht beugt, ist laut Soboczynski zum Scheitern verurteilt. Der Zyniker wird begeistert nicken, der Romantiker sich angewidert abwenden.

Tatsache ist jedoch, dass das Individuum in einem sozialen Netz agiert, in dem es beständig gezwungen ist, bestimmte Rollen auszufüllen. Auf der anderen Seite muss jeder Mensch seine Ziele im Leben und die Art und Weise, diese zu erreichen, noch immer für sich selbst definieren. Nicht jeder ist für jede Rolle geeignet, die letztendlich mit dem Selbstbild korrespondieren muss, damit man sie überzeugend ausfüllen kann. Somit bildet das Buch den Auslöser, sich des Rollenspiels in vielen Bereichen des Lebens bewusst zu werden, um erfolgreich mitspielen zu können – oder in Momenten, in denen es dem Individuum näher an seinem Selbst erscheint, aus solchen Rollenspielen auszusteigen. Auch der Volksmund weiß, dass man sich im Leben immer zweimal trifft, dass es aus dem Wald hinausschallt, wie man hineinruft etc. „Die schonende Abwehr verliebter Frauen“ erinnert an den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen und daran, sich dessen zu besinnen, damit man so handeln kann, dass man sich keine Optionen verbaut. Die postmoderne Gesellschaft ist dabei jedoch so vielfältig und die Verhaltenscodes so unterschiedlich, dass es schwerfallen dürfte, allgemeingültige Regeln aufzustellen. Selbst der SMS-Code, der eine schonende Abwehr sein soll, muss als solcher vom Gegenüber verstanden werden. So manche verliebte Frau möchte vielleicht eher ein deutliches Wort an der richtigen Stelle hören als sich permanent des Codes vorgeblich schonender Phrasen erinnern zu müssen.

|204 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-378-01100-7|
http://www.aufbauverlag.de

Freeman, Brian – Las-Vegas-Killer

_Das geschieht:_

Ein Mann verfolgt und erschießt ein Millionärssöhnchen; er hinterlässt seinen sorgfältig platzierten Fingerabdruck. In einem Vorort wird ein Kind überfahren; an der Scheibe des Unfallwagens prangt der bekannte Abdruck. Einer ehemaligen Lehrerin wird die Kehle durchgeschnitten; der Verdächtige ist erneut unser dreister Unbekannter.

Wer ist der Mann, der offenbar eine Fehde mit der Polizei vom Zaun brechen will, und wo ist die Gemeinsamkeit zwischen den brutalen Taten? Jonathan Stride, Ermittler bei der Mordkommission von Las Vegas, wird mit seinem ersten großen Fall gleich ein heißes Eisen zugeschoben. Dabei ist der ehemalige Star-Polizist aus dem kalten, weit entfernten Minnesota ein Außenseiter, den sogar sein Vorgesetzter gern kaltgestellt sähe, da Stride nicht gewillt ist, politische Rücksicht walten zu lassen, sondern diverse hochgestellte Persönlichkeiten mit unangenehmen Fragen behelligt.

Zu ihnen gehört Boni Fisso, einer der letzten großen Mafia-Bosse, die Las Vegas einst regierten. Im Penthouse-Pool seines „Sheherezade“-Casinos wurde 1967 die Leiche der schönen Tänzerin Amira Luz gefunden – ein Mord, der nie zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte. Bis Stride, seine Partnerin Amanda Gillen und seine Kollegin und Lebensgefährtin Serena Dial entdecken, dass die Ermordeten der Gegenwart in das Geschehen der Vergangenheit verwickelt waren, hat der Killer die Liste seiner Opfer verlängert. Er befindet sich offensichtlich auf einem Rachefeldzug. Was ihn antreibt, ist Rache für Amira Luz. Um ihn zu entlarven, müssen Stride, Gillen und Dial das Geheimnis lüften. Doch die Verdächtigen hatten vierzig Jahre Zeit ihre einstigen Verbrechen zu vertuschen. Stück für Stück müssen die drei Polizisten ihnen die Wahrheit entreißen. Das kostet Zeit, die sie nicht haben, denn der Las-Vegas-Killer rüstet längst zum großen Finale, für dessen Verwirklichung er sich einen besonders teuflischen Plan einfallen lässt …

_Stadt ohne Geschichte und Gewissen_

Las Vegas im US-Staat Nevada: eine Stadt, die inmitten einer heißen Sandwüste errichtet wurde und schon deshalb eine Torheit ist, die jedoch blüht und gedeiht, weil sie dem ansonsten verpönten und verbotenen Glücksspiel eine Nische bietet. Gigantische Casinos schossen nach dem II. Weltkrieg wie Fabriken aus dem Boden. Sie verbanden den Kitzel des Spiels um hohe Summen mit einem Unterhaltungsangebot, das die größten Stars ihrer Zeit darboten. Hinter den Kulissen hatte viele Jahrzehnte das organisierte Verbrechen das Sagen. Las Vegas ist eine ‚Gründung‘ der Mafia, die bis in die 1970er Jahre Erträge abwarf, die sich mit den Bruttosozialprodukten gar nicht kleiner Ausländer vergleichen ließen.

In dieser ‚großen‘ Zeit der Glitzerstadt wurzelt der Plot von „Las-Vegas-Killer“. Längst hat die US-Regierung die Mafia vertrieben. Las Vegas ist zu einer Touristenattraktion und –falle geworden. Die Verbrechensrate blieb zwar hoch, doch sind kriminelle Aktivitäten, wie Brian Freeman sie zur Grundlage seiner Geschichte macht, heute wohl nicht mehr möglich.

Vierzig Jahre sind an sich keine lange Zeitspanne. Nicht wenige Männer und Frauen, die damals Täter oder Opfer waren, haben überlebt oder mischen noch heute – vorsichtig geworden – im Vegas-Business mit. Die Zeit läuft in der Wüstenstadt anders ab; eine Tatsache, die Freeman immer wieder thematisiert, weil sie einerseits schwer verständlich ist und andererseits begriffen werden muss, damit die Story sinnvoll wird.

_Thriller ohne Originalität und Überraschungen_

Der Mythos Las Vegas ist – egal ob vergangen oder aktuell – ein Stoff, aus dem unzählige Kriminalromane und –filme entstanden sind. Die dabei gelungenen Werke zu kennen, ist nur bedingt von Vorteil, weil dies die Erkenntnis fördert, dass Freeman sich stur an die Vorgaben hält. Jedes Vegas-Klischee feiert fröhliche Urständ, was der Leser weniger begeistert registriert.

Für „Las-Vegas-Killer“ hat sich der Autor zwar einen soliden und ablauftauglichen Plot einfallen lassen, den er jedoch allzu sorgfältig konstruiert und entwickelt. Faktisch treibt er seinem Thriller damit jede Überraschung aus. Brutale Mord- und drastische Bettszenen sollen für Ersatz sorgen, aber da die einen einfallsarm und die anderen US-amerikanisch, d. h. puritanisch verdruckst daherkommen, will die Rechnung nicht aufgehen.

So erbarmungslos wie der Las-Vegas-Killer lässt Freeman die Handlung in ebenfalls sattsam bekannten Klischees (ver-)enden. Selbstverständlich wird ihr ein Schluss-Twist aufgesattelt, der die bisher erzählte Story plötzlich in Frage stellt. Um gänzlich auf Nummer Sicher zu gehen, lässt der Verfasser diesem Twist noch ein Überraschungs-Twistchen folgen … „Las-Vegas-Killer“ gehört zu jenen Romanen, die einfach kein Ende finden wollen, sondern immer noch weiter gehen, selbst wenn der logische Schlusspunkt längst gesetzt ist. Da wundert es nicht, dass auf den nun wirklich letzten Seiten die Fortsetzung vorbereitet wird.

_Thriller-Traum mit Seifenschaum_

Das bringt uns zu einem weiteren Manko: „Las-Vegas-Killer“ erschöpft sich keineswegs in einer möglichst spannenden Geschichte. Unabhängig von der Frage, ob Freeman eine solche überhaupt geglückt ist, nimmt er selbst immer wieder das Tempo aus der Handlung, wenn er die Soap-Opera-Maschine anwirft. Die arbeitet manchmal im Leerlauf, aber viel zu oft auf Hochtouren:

– Jonathan Stride ist heimatlos unglücklich in Las Vegas UND wird als Polizeibeamter gemobbt UND muss sich mit einer transsexuellen Partnerin zusammenraufen UND wird von seiner Lebensgefährtin lesbisch betrogen …

– Serena Dial ist Alkoholikerin UND wurde als junges Mädchen von ihrer Mutter als Prostituierte verkauft UND hat ihre beste Freundin UND Ex-Geliebte im Elend sterben sehen UND ist in mittleren Jahren kinderlos UND wird, obwohl unsterblich in ihren Jonathan verliebt, lesbisch (s. o.) rückfällig …

– Amanda Gillen ist eigentlich nur transsexuell, wird aber deshalb von den bösen Kollegen ständig gehänselt und muss, was viel schlimmer ist, für Freeman politisch korrekte Zaunpfahl-Hiebe austeilen: Seht doch, ich bin ein Mensch wie ihr! Akzeptiert mich doch endlich!

Mafiosi sind pompös und großtuerisch, nur um im nächsten Moment die Maske fallen zu lassen und schurkisch zu tücken, Politiker verlogen und niederträchtig. Der „Las-Vegas-Killer“ wird als übermächtiger Bösewicht geschildert und im Finale via Küchenpsychologie als Muttersöhnchen mit Riss in der Hirnwaffel demontiert.

Nein, dieses Buch weist definitiv keine Scorsese-Qualitäten auf. Näher kommt ihm eine Szene aus der TV-Serie „CSI Las Vegas“: Mogul Sam Braun sitzt mit den tattrigen Schauspielern Frank Gorshin und Tony Curtis – sie spielen sich selbst und gehörten zu ihrer Zeit zur Vegas-Prominenz – in seinem Casino und schwelgt rührselig in Erinnerungen an die gute, alte, böse Zeit (Doppelfolge „Grabesstille“ von Quentin Tarantino). Genauso ‚authentisch‘ wirkt „Las-Vegas-Killer“ mit seinem Talmi-Thrill aus zweiter Hand.

_Der Autor_

Brian Freeman wurde 1963 in Chicago, Illinois, geboren. Die Familie siedelte nach San Mateo in Kalifornien um und zog später nordostwärts nach Minnesota. Am Carleton College in Northfield studierte Freeman Englisch. Nach dem Abschluss 1984 arbeitete er u. a. in der Marketing- und PR-Abteilung einer internationalen Anwaltskanzlei.

Schriftstellerische Ambitionen spürte Freeman nach eigener Auskunft schon in seinen Jugendjahren. Ein erster Romanentwurf entstand während des Studiums; weitere, stets unveröffentlichte Manuskripte folgten. Erst 2004 erschien „Immoral“ (dt. [„Unmoralisch“/“Doppelmord“), 2037 der erste Thriller um Ermittler Jonathan Stride, und wurde sogleich ein Bestseller, der für einen „Edgar“, einen „Dagger“, einen „Anthony“ und einen „Barry Award“ nominiert wurde und den „Macavity Award“ der „Mystery Readers International“ für das beste Romandebüt gewann.

Die Jonathan-Stride-Romane von Brian Freeman erscheinen in Deutschland im Verlag |Hoffmann und Campe| (gebunden) bzw. zuvor im |Club Bertelsmann|:

(2005) Immoral [(„Unmoralisch“/“Doppelmord“) 2037
(2006) Stripped („Las-Vegas-Killer“)
(2007) Stalked (noch nicht in Deutschland erschienen)
(2008) In the Dark (US-Titel) / The Watcher (GB-Titel) (noch nicht in Deutschland erschienen)
(2009) Unsolved (noch nicht erschienen)

_Impressum_

Originaltitel: Stripped (New York : St. Martin’s Press 2006)
Übersetzung: Imke Walsh-Araya
Deutsche Erstausgabe: 2006 (Bertelsmann Club / RM-Buch-und-Medien-Vertrieb, exklusive Buchgemeinschaftsausgabe)
Erstausgabe für den deutschen Buchhandel: August 2008 (Hoffmann und Campe Verlag)
490 Seiten
EUR 17,95
ISBN-13: 978-3-455-40136-3
http://www.hoca.de

Dahl, Arne – Misterioso

_Dartpfeile, Jazz und die estnische Mafia_

Was hatten die drei kaltblütig nach einem präzisen Ritual hingerichteten schwedischen Geschäftsmänner gemein? Paul Hjelm, Ermittler der Stockholmer Sonderkommission für „besondere Fälle“, steckt in einer Sackgasse. Erste Ermittlungen über eine Geheimloge führen nicht weiter. Ist womöglich die russische Mafia in die Morde verwickelt? Ohne Unterstützung durch seine Kollegin Kerstin Holm hätte Hjelm längst das Handtuch geworfen. Doch dann die heiße Spur: ein Jazzstück mit dem Titel „Misterioso“ …

_Der Autor_

Arne Dahl ist das Pseudonym des schwedischen Krimiautors Jan Arnald, der für jene schwedische Akademie arbeitet, die alljährlich die Nobelpreise vergibt. Seine Romane um Inspektor Paul Hjelm werden laut Verlag von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. 2004 wurde er mit dem wichtigsten dänischen Krimipreis ausgezeichnet, dem „Pelle-Rosenkrantz-Preis“. Mehr Infos unter http://www.arnedahl.net.

Weitere Dahl-Krimis sind:

Misterioso
Tiefer Schmerz
[Rosenrot 3091
[Böses Blut 2416
[Falsche Opfer 3730
[Ungeschoren 5087

_Sprecher & Produktion_

Till Hagen ist die deutsche Stimmbandvertretung für Filmstars wie Kevin Spacey, Billy Bob Thornton und Kevin Kline. Er absolvierte die Schauspielschule in Berlin und war am Theater in Dortmund und Bielefeld engagiert. Seit 1977 ist der professionelle Rundfunksprecher beim RBB und anderen ARD-Sendeanstalten tätig. Er hat bislang alle Krimis von Arne Dahl vorgelesen.

Der Text wurde von Hannelene Limpach gekürzt. Die Aufnahmeleitung hatte Jan Philipp B. Grobst, die Technik von |Lambda Audiovision| in Berlin dirigierte Andreas Fuhrmann.

_Handlung_

Das schwedische Reichskriminalamt betraut Kommissar Jan Olof Hultin mit der Bildung einer schnellen Ermittlungsgruppe bei kriminellen Gewalttaten, besonders bei Serienmorden und organisierter Kriminalität. Unter den Ersten, die er in diesen erlesenen Kreis aufnimmt, ist Inspektor Paul Hjelm. Hjelm hat gerade unter Einsatz seines Lebens einen Kosovo-Albaner, der Geiseln genommen hatte, ausgetrickst und außer Gefecht gesetzt. Die Geiselnahme wurde so eine Stunde, bevor das Spezialkommando eintraf, relativ unblutig beendet. Der Albaner hat nur eine Kugel im Arm, nicht im Herzen. Natürlich will die Interne Dienstaufsicht Hjelm etwas anhängen – er habe sich wie Rambo aufgeführt usw. -, doch Hultin holt ihn da mit oberster Erlaubnis raus.

|Die A-Gruppe|

Hjelm bezieht ein Büro, das er sich mit Jorge Chavez teilen muss. Jorge, so stellt sich heraus, ist nicht nur ein guter Ermittler, sondern ein Jazzmusiker. Das soll sich im Verlauf der ersten Ermittlung als sehr nützlich erweisen. Kerstin Holm wurde aus Göteborg angefordert und fällt Hjelm auf. Man kann mit ihr echt gut reden, und ihr südschwedischer Akzent erscheint ihm bezaubernd. Außerdem ist sie ledig und singt im Chor. Des Weiteren sind da noch der Riese Viggo Norrlander, der Finne Arto Söderstedt und Gunnar Nyberg. Die A-Gruppe ist direkt der Reichskripo unterstellt, was bei uns dem BKA entspricht.

Es ist kein Aprilscherz, als Hultin seine A-Gruppe, wie er sie kurz und prägnant nennt, am 1. April erstmals zusammenruft und ihr den ersten Fall übergibt. Es geht um die Morde an den zwei Wirtschaftsbossen Kuno Dagfeld und Bernhard Strandjulin. Der Mörder hat keine Spuren hinterlassen, als er die Männer mit einer großkalibrigen Pistole erschoss. Die Mitglieder der A-Gruppe schlucken, als sie erfahren, dass sie in dieser Sache Konkurrenz haben: Sowohl die Staatssicherheit als auch der militärische Geheimdienst ermitteln parallel. Das soll noch für eine schwerwiegende Ermittlungspanne sorgen.

|Verbindungen|

Die beiden Ermordeten hatten jede Menge Verbindungen und Gemeinsamkeiten, wie das in der Hochfinanz üblich ist. Paul Hjelm findet im Segelhafen heraus, dass Bernhard Strandjulin Segelausflüge unternahm, für die er bei einem Stockholmer Zuhälter minderjährige Jungen bestellte und diese auf die Fahrt mitnahm. Eine Postkarte von einem der Jungs zeigt eine Dionysos-Statue und bezeichnet Strandjutin als „den Schlimmsten von allen“. Er war also pädophil. Na, prächtig.

Die Mitgliedschaft in einem Brauchtumsorden, der sich der nordischen Mythologie verschrieben hat, erscheint Hjelm im Vergleich dazu als wesentlich harmloser. Obwohl der Kustos des Ordens um keinen Preis verraten will, was Dagfeld und Strandjulin, die einen Unterorden gegründet hatten, dort eigentlich trieben. Es scheinen jedenfalls keine kleinen Jungs involviert gewesen zu sein. Hjelm warnt bloß den Vorsitzenden des Vereins, dass seine Mitglieder in Gefahr seien.

|Nr. 3|

In der „Kampfleitzentrale“, wie Chavez den Besprechungsraum getauft hat, referieren die anderen Ermittler. Hultin veranlasst, dass der Vorsitzende des Ordens, Rikard Frantsen, ein ehemaliger Richter, bewacht wird. Doch die Action ist anderswo: Nur wenige Häuser von Frantsens Villa entfernt tötet der Serienmörder den Unternehmer Nils Emil Karlsberja. Diesmal findet sich eine Kugel in der Wand: ein Patrone, die in Pawlodar, Kasachstan, produziert wurde – Munition der russischen Mafia.

Nun gibt es zwei Theorien: 1) Die estnische oder russische Mafia tötet Leute, die ihrem Vordringen in Schweden im Weg stehen; 2) oder es gibt einen Betroffenen, der an den Bankiers und Geldschiebern Vergeltung übt, wie Söderstedt mutmaßt. Hultin glaubt nicht an die Terroristen, von denen die Sensationspresse reißerisch berichtet. Eins ist klar: Die Zeit wird knapp, und schon bald könnte es das vierte Opfer geben.

|In Tallinn|

Viggo Norrlander, der ehemalige Mister Sweden, stößt auf die Spur der Mafia. Menschenschmuggler, die ihre lebende Ware entweder in Gotland absetzen oder einfach bei Entdeckung ins Meer werfen, kamen aus dem estnischen Tallinn. Der Kapitän des Kutters verrät ihm die Namen von Viktor X und der beiden Alkoholschmuggler, die man nur als Igor & Igor kennt. Norrlander fliegt nach Tallinn und bittet den zuständigen Kommissar um Mithilfe. Doch als der Name „Viktor X“ fällt, kriegt sogar der Polizist kalte Füße. Die Mafia sei ein Staat im Staate, und Viktor X habe seine Finger überall drin, sogar in einem schwedischen Medienkonzern. Ihr Kennzeichen kommt Norrlander bekannt vor: Kopfschüsse. So werden Verräter hingerichtet. Waren Dagefeld & Co. ebenfalls Verräter?

Der Kommissar bietet Norrlander einen Köder an, der ihn zu Viktor X führen könnte. Der Mafioso heißt Arvo Helert, wird aus der Untersuchungshaft entlassen und kontaktiert offenbar seine Leute. Norrlander folgt ihm aufs Land, dann wieder zurück in die Stadt. In der Altstadt Tallins betritt Helert ein altes, verfallenes Haus, Norrlander fordert trotz der riskanten Lage keine Verstärkung an, denn er hat Blut gerochen. Als er die Wohnung betritt, in die Helert verschwunden ist, erwartet ihn eine Überraschung: Acht Maschinengewehre sind auf ihn gerichtet. Viktor X hat ihn bereits erwartet.

|Nr. 4|

Das vierte Opfer ist der Unternehmer und Parlamentsabgeordnete Brandberg. Doch der Täter wurde von Brandbergs Tochter gestört und hat etwas vergessen mitzunehmen: ein verräterisches Tonband mit dem Jazzstück „Misterioso“. Ein ganz neue Spur führt Hjelm und Holm nach Göteborg.

_Mein Eindruck_

Was haben schwedische Dartpfeile, kasachische Kugeln und amerikanischer Jazz gemeinsam? Gemeinsam kommen sie nur in einem Krimi von Arne Dahl vor. 1999 geschrieben, ist „Misterioso“ einer der frühen Multikulti-Krimis, wie sie inzwischen gang und gäbe sind. Man braucht sich nur die Mankells und Edwardssons anzusehen und weiß, dass Verbrechen inzwischen ebenso globalisiert ist wie die Wirtschaft.

Zunächst sieht es ja so aus, als wäre die Mordserie eine Vergeltungsaktion der estnischen Mafia. Und die brutale Tat, die Viggo (sein Vorname bedeutet „der Sieger“) Norrlander erleidet, bestätigt diesen Verdacht. Außerdem müssen sich noch die Alkoholschmuggler Igor & Igor im Land herumtreiben, die Gott weiß was treiben. Aber da ist auch noch der mysteriöse Orden Mimir bzw. Skidbladnet, dem die Mordopfer angehören. Fallen sie einem bizarren Rachefeldzug eines ihrer Mitglieder zum Opfer?

Oder handelt es sich um eine Art feindliche Übernahme in höchsten Wirtschaftskreisen, denn die Mordopfer haben gemeinsam in diversen Aufsichtsräten von Banken, Medienkonzernen und anderen Unternehmen gesessen. Als sich die A-Gruppe, besonders Chavez, in diese Materie einarbeitet, stößt sie auf einen Verhau von Verflechtungen, in dem schon bald unklar wird, welche Untertochterfirma zu welchem Oberkonzern gehört. Anscheinend sind hier auch Geldschiebereien größeren Maßstabs an der Tagesordnung, und Chavez kann sich durchaus vorstellen, dass bei solchen dubiosen Machenschaften der eine oder andere kleine Angestellte unter die Räder gekommen sein könnte. Sozusagen ein Kollateralschaden. Das lässt „Misterioso“ zu einem Wirtschaftskrimi werden.

Auch die Kunst kommt nicht zu kurz. Der Autor erweist sich als ausgefuchster Experte auf dem Gebiet des klassischen Jazz. Das Jazzstück „Misterioso“, das Thelonious Monk 1958 in New York City aufnahm, beschreibt er eingangs so einfühlsam und minutiös, dass man ganz genau weiß, er hat es sich zigmal selbst angehört. Und zwar nicht bloß in einer Version, sondern in sämtlichen verfügbaren Fassungen. Und dazu gehört eben auch die überaus seltene Raubkopieversion, auf deren Spur sich Holm und Hjelm setzen. Sie stoßen auf einen abgewrackten amerikanischen Jazzmusiker, der in Schweden den „besten Drogenentzug der Welt“ genießt. Es ist eine heitere und ziemlich abgefahrene Szene, die aber dem Musiker dennoch Respekt entgegenbringt.

Holm und Hjelm kommen sich bei ihrer südschwedischen Ermittlung näher und näher. Hjelms Ehe steckt in einer tiefen Krise, denn seine Frau Silla fühlt sich schrecklich einsam. Und nun wohnt und arbeitet er im fernen Stockholm, setzt jeden Tag sein Leben aufs Spiel. Sie hat Angst um ihn, droht daran zu zerbrechen. Hjelm kann ihr nicht helfen, wenn sie nicht mit ihm redet, sondern bloß die Trennung will. Da kommt ihm die quirlige, sympathische Kerstin Holm wie gerufen, um ihn wieder aufzubauen. Und eines Nachts ist er sich nicht sicher, ob sie wirklich zu ihm ins Hotelzimmer kommt oder ob er das Ganze nicht bloß geträumt hat. Die Ungewissheit bringt ihn schier um.

An harter Action und handfesten Polizeieinsätzen mangelt es ebenfalls nicht. Rikard Frantsens Villa ist ein Brennpunkt, wo sich in einer famosen Szenen eines der gesuchten Mitglieder von Igor & Igor einfindet und nur unter furiosem Einsatz fangen lässt. Der Schluss des Romans zieht sich jedoch hin, wie es schon in „Rosenrot“ der Fall war. Der Täter ist bekannt, seine Taten ebenso, nun müssen sie ihn nur noch kriegen, bevor er noch einen, den letzten Mord begeht. Denn seine Liste ist lang, und er ist noch längst nicht fertig.

|Der Sprecher|

Till Hagen erweist sich als erprobter und stilsicherer Bühnenschauspieler, der genau weiß, wie eine Figur zu charakterisieren ist. Aber auch die Situationen hat er im Griff, in denen sich eine Figur, die sich bislang ganz „normal“ verhielt, auf einmal jemand anderer zeigt. Ihm gelingt es besonders, die Nebenfiguren hervorragend zu charakterisieren. Er flüstert, schreit, ruft und brüllt sogar, kann aber auch sehr leise und ironisch sein.

Doch Hagen besitzt eine zweite Seite. Mit seiner tiefen Stimme ist er durchaus in der Lage, bedrohliche Stimmlagen und autoritative Stimmen darzustellen, so dass die einem Krimi angemessene Spannung entsteht. Hagen gelingen dank der Erzählkunst des Autors beeindruckende Charakterzeichnungen.

Geräusche und Musik gibt es keine, aber das ist auch gar nicht nötig, wie ich finde. Das Booklet informiert über alle Mitwirkenden und über die Krimireihe.

|Das Booklet|

Das Booklet informiert nur über den Autor, nicht aber über den Sprecher. Über den liest man jedoch auf der Rückseite der Klappbox Näheres. Ansonsten gibt es jede Menge Werbung und Credits. Die vierte Seite des Booklets bietet immerhin eine Tracklist. Aus dieser kann man ablesen, dass sich die Längenangabe von jener, die auf der Klappbox abgedruckt ist, unterscheidet: um vier Minuten (Angabe auf Klappbox: 465 min, im Booklet nur 461 min).

_Unterm Strich_

Arne Dahls Krimis sind nie lediglich Thriller, sie sind auch Spiegelbild und Kritik der schwedischen Gesellschaft. In dieser Hinsicht kann er Henning Mankell durchaus das Wasser reichen. Nur dass dieser ungleich populärer ist und einen afrikanischen Background besitzt (Mankell lebt ja in Mosambik). Wie Mankell verfügen Dahls Krimis über ein festes Stammpersonal, das an den Rändern zwar durchaus wechselt, aber im Kern gleich bleibt: die A-Gruppe der „Kriminalpolizei zur Ermittlung bei Gewaltverbrechen von internationalem Charakter“.

Das heißt, diese Ermittler haben von Haus mit Ausländern zu tun. Was ich durchaus interessant finde, aber stets kommen ihnen dabei schwedische Einheimische in die Quere, so auch diesmal. Das finde ich noch viel interessanter. Diesmal ist es ein schwedischer Angestellter, der sich auf einen Rachefeldzug durch die Hochfinanz begibt, ohne Rücksicht auf Verluste. Ob er mit jemandem unter einer Decke steckt, müssen allerdings die Ermittlungen der A-Gruppe ergeben. Die Kritik des Autors gilt eindeutig der Hochfinanz, der neuen Generation von Geldschiebern der 90er Jahre, deren Gewinne keinem realen wirtschaftlichen Gegenwert mehr entsprechen, sondern auf dem Aktienmarkt gezaubert werden – und dort genauso leicht wieder verpuffen können. Und die schwedische Regierung hat ihnen kräftig dabei unter die Arme gegriffen.

In der A-Gruppe macht uns der Autor mit mehreren Charakterköpfen bekannt, doch Kerstin Holm und Paul Hjelm stehen dabei im Mittelpunkt. Aus ihnen wird im Verlauf der nächsten Romane ein Paar, doch wie fest die Bindung ist, soll hier nicht verraten werden. Besonders beeindruckt hat mich der Gruppenleiter Jan Olof Hultin, der mit seinem unspektakulären, aber effizienten Führungsstil für schnelle Ergebnisse und stetigen Rückhalt sorgt. Sein bester Auftritt ist der vor den Mitarbeitern der Sicherheitspolizei, die den Fall mordsmäßig verbockt haben und die er nun alle einen Kopf kürzer machen wird. Verspricht er jedenfalls.

|Das Hörbuch|

Till Hagen ist es zu verdanken, dass dieser Hultin besonders eindrucksvoll gezeichnet wird. Man kann Hultin bedingungslos vertrauen, auch wenn er seine menschlichen Schwächen (Inkontinenz) aufweist. Hultin wird uns bis „Ungeschoren“ begleiten, wo ihm eine denkwürdige und folgenreiche Verabschiedungsfeier ausgerichtet wird. Aber Hagen weiß auch leise Töne anzuschlagen, so etwa bei der Schilderung des titelgebenden Jazzstücks, und stellt seine Vielseitigkeit vielfach unter Beweis. Die ideale Besetzung für Dahls Krimis, kein Zweifel.

Fazit: ein Volltreffer.

|Originaltitel: Misterioso, 1999
Aus dem Schwedischen übersetzt von Maike Dörries
461 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-88698-772-6|
http://www.sprechendebuecher.de

Carlotto, Massimo – dunkle Unermesslichkeit des Todes, Die

Silvano Contin ist der Vater eines ermordeten Kindes und der Ehemann einer ermordeten Frau. 15 Jahre nach dem Verbrechen erhält er einen Brief aus dem Gefängnis, mit der Bitte des Mörders, Raffaello Beggiato, sein Gnadengesuch zu unterstützen. Bei einem schlecht geplanten Raubüberfall erschossen Beggiato und sein Komplize im Koksrausch den achtjährigen Jungen und seine Mutter. Während der zweite Täter unerkannt mit der Beute fliehen konnte, musste Beggiato als Raubmörder lebenslänglich hinter Gitter. Nun, da bei ihm eine tödliche Krankheit diagnostiziert wurde, lässt er nichts unversucht, um zumindest in Freiheit zu sterben. Nur bedarf es dazu einer Stellungnahme Silvano Contins.

Contins Leben hat sich nach dem Tod seiner Familie drastisch geändert. Er hat seinen Beruf aufgegeben, alle sozialen Kontakte abgebrochen und lebt seit 15 Jahren mit der Erinnerung an seine Liebsten in „der dunklen Unermesslichkeit des Todes.“ An Verzeihen ist freilich nicht zu denken, doch mit der Freilassung des ohnehin todgeweihten Mörders bietet sich Silvano Contin endlich die Chance, auch den zweiten Täter zu finden und ihn einer gerechten Strafe zuzuführen.

Mit „Die dunkle Unermesslichkeit des Todes“ hat Massimo Carlotto keinen gewöhnlichen Krimi geschrieben. Nicht das Verbrechen, sondern dessen Auswirkungen auf den Täter und die Hinterbliebenen der Opfer stehen im Mittelpunkt des Romans. Die eigentliche Handlung des Buches plätschert gemächlich vor sich hin und nimmt erst in der zweiten Hälfte etwas Fahrt auf. Das Entscheidende jedoch passiert in den Köpfen der beiden Gegenspieler. Kapitelweise lässt uns der Autor abwechselnd in die Gedanken- und Gefühlswelt von Contin und Beggiato blicken. Obwohl von Seiten des Mörders oft wenig zu berichten ist – was den Aufbau zuweilen etwas künstlich wirken lässt -, hat Massimo Carlotto damit die richtige Form für sein Thema gefunden.

Spannend, kalt und mitunter in derber Sprache schafft er es, den Leser an beide Personen heranzuführen. Das Opfer Silvano Contin ist gefangen in den Erinnerungen an seine ermordete Familie. Er lebt verzweifelt und jedes schönen Gefühls beraubt vor sich hin. Erst die Aussicht auf Rache und Gerechtigkeit lässt ihn seinen täglichen Trott abschütteln. Nicht viel besser geht es dem nach 15 Jahren Knast zermürbten Täter, Raffaello Beggiato. Von Krebs zerfressen und von der Erinnerung an seine Tat gequält, bleibt ihm nur noch die Hoffnung, wenigstens noch die ihm verbleibende Zeit in Freiheit zu verbringen.

Wem die Sympathie der Leser gehört und wer hier Opfer und wer Täter ist, scheint zu Beginn des Buches noch sehr klar. Doch diese Kategorien werden nach und nach aufgelöst. Dabei geht der Roman weit über die persönlichen Schicksale seiner Akteure hinaus. Teils implizit und beiläufig, teils direkt fragt Carlotto nach dem Verhältnis von Mörder und Opfer in unserer Gesellschaft. Kann oder darf man mit Mördern Mitleid empfinden? Kann Rache gerecht sein? Oder kann sie wenigstens dem Opfer Gerechtigkeit verschaffen? In düsterer Atmosphäre wird diesen Gedanken nachgegangen, wobei 200 Seiten wohl leider etwas zu knapp sind, um ein solches Thema anzugehen.

Eine besondere Erwähnung verdient schließlich noch die beeindruckende Beschreibung des Gefängnisalltags. Massimo Carlotto, Jahrgang 1956, wurde in den 70ern selbst wegen eines Mordes, den er nicht begangen hatte, zu 18 Jahren Haft verurteilt und erst 1993 wieder freigelassen, woraufhin er sich der Schriftstellerei zuwandte. Radikal und bedrückend schildert er das Essen, den Drogenkonsum und die Sprache im Gefängnis, vor allem aber, wie Beggiato krampfhaft versucht, seinen Tag zu strukturieren, damit er nicht völlig den Verstand verliert.

„Die dunkle Unermesslichkeit des Todes“ ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch. Es hat eine ungewöhnliche Geschichte, ungewöhnliche Charaktere und ist überdies ungewöhnlich spannend. Wer einen Kriminalroman erwartet, wird nicht unbedingt enttäuscht sein. Und doch ist dies viel mehr als nur ein einfacher Krimi. Carlotto schreibt nicht über irgendein Verbrechen, er schreibt über das Verbrechen an sich.

|Originaltitel: L’oscura immensita della morte
Übersetzung: Hinrich Schmidt-Henkel
188 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-608-50200-8|
http://www.klett-cotta.de/tropen.html

_Wolfgang Roidl_

Roth, Silvia – Querschläger

Im April 2002 wurde Deutschland durch ein Ereignis erschüttert, das man bislang eher aus den Vereinigten Staaten kannte: Der neunzehnjährige Robert Steinhäuser lief in seiner ehemaligen Schule Amok und tötete dabei sechzehn Menschen. Die Autorin Silvia Roth verarbeitet in ihrem neuen Roman „Querschläger“ genau dieses Thema. Sie lässt das Ermittlungsteam Hendrik Verhoeven und Winnie Heller im Fall eines Amoklaufs ermitteln, der allerdings alles andere als „gewöhnlich“ anmutet.

Am Wiesbadener Clemens-Brentano-Gymnasium erschießt ein Schüler elf Menschen und nimmt sich anschließend selbst das Leben – so die offizielle Version der schrecklichen Tat. Doch schnell wird klar, dass der Täter, ein Außenseiter, der von seinen Mitschülern gemobbt wurde, nicht vorhatte, sich selbst umzubringen. Dafür spricht die Tatsache, dass er die Schuld einem Mitschüler in die Schuhe schieben wollte und sich vermummte, um nicht erkannt zu werden. Außerdem gibt es einen Zeugen, der ihn mit einer anderen Person hat reden hören. Ein Mittäter? Und wenn ja, hat dieser Nikolas Hrubesch mit Absicht getötet?

Die Wiesbadener Polizei ermittelt auf einmal nicht nur wegen des Amoklaufs, sondern auch wegen vorsätzlichen Mordes. Hendrik Verhoeven und seine junge Kollegin Winnie, die sich immer noch nicht so recht im neuen Team eingelebt hat, suchen nach möglichen Motiven für den Amoklauf und überprüfen die These eines zweiten Täters. Dabei stochern sie in einem Sumpf von Mobbing und Intoleranz herum. Da zwei der getöteten Schüler dafür bekannt waren, gerne auf ihren Mitschülern herumzuhacken, vermuten die Polizisten, dass der Zweittäter es explizit auf die beiden abgesehen hätte. Sie beginnen, im Umfeld der Getöteten zu ermitteln, doch es ist schwierig, durch den Mobbingsumpf durchzublicken …

Silvia Roth schreibt nicht alleine über den Tathergang und die Ermittlungen, sondern widmet auch dem Privatleben der Ermittler und den Überlebenden sehr viel Raum. Daraus ist ein über 500 Seiten starkes Buch geworden, dem man vorwerfen kann, ab und an den roten Faden zu verlieren. Gerade am Anfang geht die Autorin mehr auf das Leben der Ermittler als auf die Tat ein, und auch danach widmet sie den Gedanken und Gefühlen der Überlebenden beinahe mehr Raum als den eigentlichen Ermittlungen. Der Kriminalfall an und für sich ist daher eine zweischneidige Sache. Obwohl der Ausgangspunkt – die Vermutung eines zweiten Täters – sehr interessant ist, wird er nicht besonders konsequent umgesetzt. Der Verlauf der Geschichte deutet kaum auf den richtigen Täter hin, weshalb die Auflösung des Rätsels reichlich überraschend kommt – und auch nicht unbedingt glaubwürdig wirkt.

Die belletristischen Einschübe lassen das Talent der Autorin erkennen, denn sie zeichnen sich durch präzise Charakterbeschreibungen aus. Gefühle und Gedanken der Personen werden sehr anschaulich dargestellt, so dass man sie gut nachvollziehen kann. Besonders Winnie Heller ist interessant, da sie eine bewegte Vergangenheit hat und ihre inneren Konflikte gut dargestellt werden. Immer wieder lustig sind auch Hendrik Verhoevens Gedanken über den dicken, verzogenen Freund seiner fünfjährigen Tochter Nina. Ansonsten bleibt der Kommissar im Gegensatz zu seiner Kollegin leider etwas farblos. Auch andere Charaktere hätten etwas mehr Trennschärfe vertragen können. Zwei der Überlebenden des Amoklaufs sind beispielsweise nur schlecht voneinander zu unterscheiden, da ihre Gedankengänge zu ähnlich wirken.

Lobenswert ist der Schreibstil, der alle Elemente des Buches – den Kriminalfall, die Personenstudien, den Tathergang – gekonnt verbindet, ohne dass Bruchstellen entstehen. Silvia Roth flicht bei den Kapitelanfängen häufig Zitate von Mitschülern oder fiktive Zeitungsüberschriften ein und erweitert so den Blick auf das Geschehen um eine weitere Perspektive. Die Autorin schreibt eher nüchtern, ihre Wortwahl ist sicher und lässt keine Wünsche offen.

An und für sich bietet sie dadurch eine gute Grundlage für einen spannenden Kriminalroman, der sich auf die Lösung des Falls konzentriert. Leider franst „Querschläger“ aufgrund der ermittlungsirrelevanten Episoden stark aus. Obwohl diese stellenweise ein hohes literarisches Niveau vorweisen können, stimmt die Mischung zwischen Belletristik und Krimi in diesem Fall nicht ganz.

|511 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-455-40128-8|
http://www.hoca.de

Savage, Sam – Firmin – Ein Rattenleben

Ratten sind eigentlich nicht sonderlich beliebte und gern gesehene Geschöpfe, sieht man mal von den beiden rein fiktiven Artgenossen Rizzo (die „Muppets“-Ratte) und Rémy (die kochende Ratte aus „Ratatouille“) ab. Dieser Liste sympathischer Ratten kann man nun eine weitere hinzufügen: Firmin.

Firmin wächst im Keller einer Buchhandlung am Bostoner Scollay Square auf, als jüngstes von dreizehn Geschwistern. Als Kleinster und Schwächster des Wurfs hat Firmin keine leichte Kindheit. Im Kampf um eine freie Zitze bleibt er meist auf der Strecke, und während seine Geschwister groß und stark und (dank des stetigen Alkoholpegels von Mama Ratte) beschwipst werden, bleibt Firmin dürr und schwach. Seine Nahrung werden fortan die Bücher.

Firmin knabbert sich von Buch zu Buch, bis er eines Tage feststellt, dass auf den Seiten der Bücher Worte gedruckt stehen, die er nicht nur versteht, sondern die ihn auch sein Elend vergessen lassen. Und so frisst er sich fortan nur noch im übertragenen Sinne durch die Bücher. Er verschlingt Sachbücher und Belletristik gleichermaßen und ist fasziniert von der Welt der Menschen.

Er beobachtet das bunte Treiben in der Buchhandlung und ist überzeugt, dass ihn dank der gemeinsamen Liebe zu den Büchern schon bald eine innige Freundschaft mit Buchhändler Norman verbinden wird. Firmin macht sich auf, die Freundschaft der Menschen zu suchen, und bis er das erreicht hat, träumt er sich halt im Keller mithilfe der Bücher in die Welt der Menschen. Doch irgendwie stellt Firmin sich das alles ein wenig zu einfach vor …

Man mag erwarten, dass Firmin eine komische Figur und die Geschichte, wie er die Freundschaft der Menschen sucht, zwangsläufig lustig sein muss. Doch wer einen witzigen Roman über eine komische Ratte mit bibliophilen Neigungen erwartet, der dürfte etwas enttäuscht sein. Firmin hat zwar durchaus komische Züge, aber insgesamt bietet die Geschichte weit weniger Anlass zur Heiterkeit, als man auf den ersten Blick vermuten mag.

Sam Savage hat mit „Firmin – Ein Rattenleben“ vielmehr eine gleichermaßen melancholische wie liebenswürdige Geschichte geschrieben. Firmin ist der große Sympathieträger, der den Plot zusammenhält, und für manch einen mag Firmins Welt enttäuschend klein sehr. Er ist halt nur eine Ratte, und so kennt er nicht viel mehr als die Buchhandlung und das ebenfalls am Scollay Square gelegene Kino „Rialto“, in das er sich gerne zwecks Nahrungssuche und Horizonterweiterung begibt.

Der Plot bleibt damit auch stets sehr überschaubar, aber was den Roman eben so sympathisch macht, ist Sam Savages feinfühlige Art, nicht nur seinen ungewöhnlichen Protagonisten Firmin zu skizzieren, sondern auch die übrigen Figuren. Und so kommt die Geschichte eben größtenteils ohne Spannung im eigentlichen Sinne aus, und es ist mehr die charmante Hauptfigur, die den Leser durch den Roman zieht, als die Geschichte an sich.

Das mag manchem Leser zu wenig sein, aber wer die Muße hat, sich darauf einzulassen, der wird mit einer durchaus unterhaltsamen und warmherzigen Geschichte belohnt. Erst ungefähr ab der Hälfte ändert sich Weltbewegendes in Firmins Leben, und damit wird auch die Geschichte interessanter, musste sie doch vorher lediglich mit Andeutungen Firmins bezüglich zukünftiger Ereignisse auskommen.

Dass dennoch keine Langeweile aufkommt, ist sicherlich auch Sam Savages ebenso einfacher wie bildhafter Sprache zu verdanken. So kann sich der Roman trotz seines eher belanglos anmutenden Plots in wahres Kopfkino verwandeln und wird zu einem schönen Leseerlebnis.

Anhand von Firmin dokumentiert Sam Savage ein Kapitel der Stadtgeschichte Bostons, als der Scollay Square mit all seinen schummrigen Bars, kleinen Läden und schmierigen Kinos in den 60er Jahren der Moderne weichen musste. Firmin lebt genau zu dieser Zeit dort und sieht den Niedergang des Stadtteils von seinem Beobachtungsposten in der Buchhandlung.

Besonders ansprechend ist übrigens die Optik des Buches gelungen. „Schlampiger“ Buchschnitt, „schmuddeliger“ Schutzumschlag – man könnte fast glauben, der Roman hätte lange Jahre im Keller der Buchhandlung Staub angesetzt, bis eine dürre, bibliophile Ratte das Buch aus dem Regal gezogen hat …

Insgesamt bleibt von „Firmin – Ein Rattenleben“ ein durchaus positiver Eindruck zurück. Ein sehr leiser Roman – lebendig und charmant -, der die traurige Geschichte eines verkannten Außenseiters erzählt. Firmin muss man einfach ins Herz schließen. Wer die Muße hat, sich auf einen feinfühlig skizziert Roman mit sympathischen Figuren und einer wunderbar melancholischen Art einzulassen, der dürfte seine Freude daran haben. Wer aber Bücher vor allem nach Faktoren wie Spannung und Tempo misst, der dürfte sich langweilen und dabei ein herrlich warmherziges Kleinod verpassen.

|Originaltitel: Firmin. Adventures of a Metropolitan Lowlife
Deutsch von Susanne Aeckerle, Marion Balkenhol und Hermann Gieselbusch
213 Seiten, gebunden, Buchschnitt mit Rattenzahnung|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/

Dean Lorey – Das Portal des Barakkas (Monsterjäger-Akademie 1)

Dämonen durchstreifen die Finsterwelt: kleine Gremlins im ersten Kreis, Drachen im vierten Kreis und die Dämonenfürsten im inneren Kreis. Portaler bewachen diese Welt und schützen die Menschen davor, wenn einer von ihnen durch ein Portal hinüberschlüpfen will. Dumm nur, wenn ein kleiner Junge unwissentlich Tore in diese Welt öffnet – keine Tore in die äußeren Kreise, sondern gleich direkt ins Innere, wo Riesenspinnen und ausgewachsene Dämonen die Einladung in die Menschenwelt dankenswert annehmen.

Inhalt

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Kay Hooper – Jagdfieber

Zynisches Mörderspiel

Ein grauenvoller Mord versetzt eine amerikanische Kleinstadt in Aufruhr. Ein skrupelloser Kidnapper kassiert hohe Lösegelder und ermordet die Entführten dennoch. Die Lage wäre aussichtslos, gäbe es nicht die Spezialeinheit von Noah Bishop und seinem Profiler Lucas Jordan. Denn der besitzt die Fähigkeit, vermisste Personen aufzuspüren … (Verlagsinfo)

_Die Autorin_

Kay Hooper wurde in Kalifornien auf einer Luftwaffenbasis geboren. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften, wechselte dann zu Geschichte und schließlich zu Literaturwissenschaft. Bald begann sie, eigene Geschichten zu verfassen und am Beruf der Autorin Gefallen zu finden. Ihr erster Roman wurde 1980 veröffentlicht, mittlerweile blickt sie auf ein Werk von 60 Büchern zurück. (Verlagsinfo)

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Bruce Coville – Mr Morleys Monster

Ein altes Gemäuer, ein gute bewahrtes Geheimnis und zwei neugierige Kinder auf der Suche nach Abenteuern: Aus diesem Stoff bastelt Bruce Coville eine Gruselgeschichte für Kinder. Der Name ist Programm: „Mr Morleys Monster“ warten darauf, endlich losgelassen zu werden.

Inhalt

Fox Hill, eine Kleinstadt irgendwo in Nebraska, wie es sie in ganz Amerika gibt. Viel Interessantes passiert nicht, und wenn doch, dann ist die ganze Stadt in Aufruhr. So auch beim Tod von Mr Morley, den alle nur Mumie Morley nennen. Weniger bedeutsam ist dabei Mr Morleys Tod, viel eher ist es sein Haus, das er hinterlässt. Denn mit seinen hohen Türmen, der maroden Fassade und den unheimlichen Geschichten, die jedes Kind in Fox Hill kennt, steht es im Zentrum des Interesses.

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Schweitzer, Gregor – Hautnah USA. Vom Wahnsinn einer Traumgesellschaft

_Auf der Suche nach dem amerikanischen Traum_

Amerika – unendliche Weiten, furchtlose Helden, unendlich viele Möglichkeiten, Gerechtigkeit und Freiheit für alle, die es mit ehrlicher harter Arbeit zu einem besseren Leben bringen wollen; so sieht das Bild eines Amerika aus, welches unzählige Western nicht nur bei Gregor Schweitzer in dessen Kindheit und Jugend geprägt haben. Auch ein Austauschjahr als Schüler, die Jahre bei der Bundeswehr und sein Studium können diesen kleinen Funken Hoffnung darauf, dass Amerika in den Tiefen seines Herzens noch immer den Geist der Pionierjahre in sich trägt, nicht zum Erlöschen bringen – und auch nicht den Wunsch, nach diesem ursprünglichen Amerika auf die Suche zu gehen, wie schon einige vor ihm.

Er ist 33 Jahre alt, als in die Staaten fliegt und sich Steinbeck gleich einen Camper besorgt, um mit seinem Hund „Goldbär“ Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts für 405 Tage „In Search of Amerika“ durch die USA zu reisen und den „Wahnsinn einer Traumgemeinschaft“ (so der Untertitel) am eigenen Leibe zu erfahren. Seine Odyssee ist geprägt von Schwierigkeiten mit seinem ständig in irgendeinem Bauteil versagenden Wohnmobil und den Bekanntschaften mit den unterschiedlichsten Menschen. Der schmierige Autoverkäufer, kundenunfreundliche Werkstattbesitzer, allen Fremden gegenüber feindlich und abwehrend eingestellte Privatgrundbesitzer stehen Menschen gegenüber, die wenig bis gar nichts besitzen und sich dennoch Menschenwürde, Neugier und ein freundliches Wesen bewahrt haben. Auf Seiten der Weißen wie der Schwarzen entdeckt er die gleichen historisch gewachsenen und immer noch nicht überwundenen Vorurteile, in deren nimmermüder Wiederholung und gegenseitigem Hass sich beide Seite so ähnlich sind, wie sie es in ihren kühnsten Träumen nicht vermuten würden.

Die Dimensionen des Landes erlebt Schweitzer so unbegreiflich wie die alten Maße (Acre/Section), welche eine Masse an Landbesitz eines Menschen ausdrücken, wie sie halb Deutschland ausfüllen würde. Und doch zeigt sich der amerikanische Nationalstolz letztendlich als aufgesetzte Fassade, wenn die Rancherin im Nationalpark die Bevölkerung Amerikas als in einer Illusion von Freiheit und Einheit lebend beschreibt: |“Bei uns werden immer nur die Guten getötet. (…) Und weil in Amerika jeder Angst hat, irgendwann einmal von einem Idioten abgeknallt zu werden, sind wir alle still. (…) Wir haben die Aufgabe, das Bild von einer unbegrenzten, sogenannten demokratischen Freiheit aufrechtzuerhalten, das uns stolz macht, hier leben zu dürfen. Deshalb will auch niemand weg, das heißt, es traut sich niemand wegzugehen, weil wir alle uns gegenseitig glauben machen, nur in Amerika gäbe es Freiheit und alle anderen Länder auf dieser Welt lebten in Unfreiheit.“| Solchermaßen stellen sich auch die Anfeindungen dar, welche Schweitzer als „herumvagabundierendem Tramp und Tagedieb“ oder als Weißem entgegenschlagen, immer resultierend aus der Angst vor dem „Anderen“; nur mit dem gefährlichen Hintergrund, dass in Amerika die Gesetze auf der Seite des Besitzenden sind und praktisch jeder Einwohner eine voll funktionsfähige Waffe besitzt, ohne die man sich scheinbar nicht sicher fühlt, mit ihr aber auch nicht wirklich.

Auf der anderen Seite begegnet dem reisenden Autor auch die zweite Seite der Medaille, welche diese Regel des Schutzes der Besitzenden außer Kraft setzt, wenn es sich um die Ureinwohner des Landes handelt, deren Rechte immer noch dem Willen des Staates der einstigen Eroberer gemäß gebeugt werden können. Das Unrecht, welches man ihnen angetan hat, wird am Beispiel des Gedenksteins am Ort des Massakers von Wounded Knee und der Tatsache geschildert, dass die Indianer sogar ihnen zugesprochenes Land räumen müssen, wenn ein Filmteam dort Aufnahmen machen will. Solche Widersprüche und Absurditäten des amerikanischen Alltags und die tiefen Einblicke in die unterschiedlichsten Lebensweisen und Charaktere dieses riesigen Landes machen das Buch zu einem Lesevergnügen – vor allem, wenn der Autor mit einer lockeren ungekünstelten Schreibe seinen persönlichen Ton findet.

Natürlich kann Schweitzers Suche nach Amerika kein allgemein gültiges Ergebnis bringen – zu groß ist das Land, zu verschieden sind die Menschen, die Meinungen sowie die Lebensentwürfe. Wie Steinbeck auf seiner dreimonatigen Reise durch Amerika, entwickelt Schweitzer ein facettenreiches Bild des Amerikas der 90er Jahre. Es dürfte spannend zu lesen sein, welche Erfahrungen man auf einer solchen Reise jetzt nach 9/11, verschärften Einreise- und Aufenthaltsbedingungen sowie paranoider Angst vor Terrorismus machen würde; sind doch die politischen und gesellschaftlichen Tendenzen bereits zu Schweitzers Reisezeiten deutlich ablesbar und werden vom Autor in einem der letzten Kapitel über das ihm immer wieder das Reiseleben erschwerende Neighbourhoodwatch-System – als System eines durch Abgrenzung, Rassenvorurteile sowie Fremdenfeindlichkeit geprägten Denunziantentums, welches eher Hass und Angst schürt als Sicherheit bringt – zusammengefasst. Solchermaßen werden die lebendigen Schilderungen der Menschen und Begegnungen auch bei Schweitzer immer wieder in kleine Reflexionen über die Landschaft, über Literatur, Politik und Geschichte eingebettet.

Auffällig und gewollt ist dabei der Schreibstil, welchen Schweitzer an den der Beat Generation angelehnt hat. Er verweist selbst auf Kerouacs Roman „On the Road“, dem ebenso das Motiv einer Reise durch die Staaten zugrunde liegt. |“Wie einen Cowboy, der das Pferd gegen ein Auto getauscht habe“|, beschreibt Kerouac seinen Freund und Fahrer seines Autos Neal Cassady. Solch ein Cowboy will auch Schweitzer sein. Mehr als deutlich wird das im ersten Kapitel, dessen eigentlicher Prosatext durchzogen ist von Westerntiteln. Was auf den ersten Seiten noch amüsant wirkt, wird jedoch schnell anstrengend; überhaupt ist der an spontaner Prosa orientierte Schreibstil nicht immer einfach zu lesen, denn der Autor springt dabei von einer Erzählweise in die nächste. Manches wird nur fragmentarisch angerissen; anderes dem Leser bewusst cool aus der Perspektive eines Dritten in Satzfetzen um die Ohren gehauen, Gereimtes mischt sich mit Verkehrsschildersprache. Andeutungen stehen flüssigen Schilderungen gegenüber. Dann wieder tauchen Kapitel im szenischen Schreiben auf. Man findet neben einer bewusst gewählt gehaltenen Sprechkultur beispielsweise der Zeugen Jehovas auch gelegentlich den unverfälschten Ton der amerikanischen Gosse. Besonders originell und gelungen ist vom Aufbau her das Kapitel „Intermezzo“, in dem ein Mittagessen einer Familie am Rande der Gesellschaft und ein Essen in einem noblen Restaurant bzw. die Eintrittspreise von |Disneyland| vermischt werden und sich dennoch kontrastierend gegenüberstehen. Der Subjektivität der Prosa wirkt die Vielzahl der geschilderten Begegnungen entgegen, welche ebenso vielfältig wie die verwendeten literarischen Formen sind, mit denen der Autor in „Hautnah USA“ arbeitet, und die in der Summe ein recht objektives und komplexes Bild der amerikanischen Gesellschaft ergeben. Dabei schildert Schweitzer die Menschen überwiegend beobachtend und nicht wertend, dafür mit Sympathie und Humor.

Neben dem Inhalt muss bei diesem Buch aus dem |Conbook Medien|-Verlag auch auf die liebevolle Aufmachung hingewiesen werden. Neben dem braunen Kunstledereinband findet man ein Lesebändchen und vielfältige Illustrationen von Susanne Schweitzer wie die Reiseroute auf der ersten Umschlagseite, Fotos und Zeichnungen. Damit sind die 350 Seiten jeden ihrer knapp 15 Euro wert. Dass das Interesse an Amerika, den Amerikanern und dem Leben in Amerika in Deutschland immer noch groß ist und der Funken Hoffnung auf die Grenzenlosigkeit und Freiheit Amerikas in den Träumen vieler Deutsche herumspukt, beweisen neben der vorliegenden Neuerscheinung auch das große Interesse an Sabrina Fox‘ Buch „Mrs. Fox will wieder heim“ (2008) und die zahlreichen Urlaubskataloge, welche Individualreisen mit dem Auto über mehrere Wochen anbieten. „Hautnah USA“ sollte bei allen Idealisten als amüsante, ambitionierte, spannende und teilweise erschreckende Vorlektüre auf dem Pflichtprogramm stehen.

|348 Seiten, gebunden, Kunstledereinband mit Lesebändchen
mit Illustrationen und Fotos
ISBN-13: 978-3-934918-30-6|
http://hautnah-usa.conbook.de
http://verlag.conbook.de