Archiv der Kategorie: Rezensionen

Gilbert, David – Normalen, Die

Wenn man sich anschaut, mit wem die englischsprachige Presse David Gilbert nach seinem Debütroman „Die Normalen“ so alles in eine Schublade gestopft hat, dann fallen eine Menge großer Namen: Douglas Coupland, Bret Easton Ellis, T.C. Boyle, Don Delillo und noch einige andere mehr. Coupland selbst ist ein erklärter Fan von Gilbert, und Gilbert höchstselbst wurde die Ehre zuteil, für Don Delillos „Endzone“ das Drehbuch zu schreiben. Gilbert ist also ein Autor, der schon mit Erscheinen seines Debütromans für Furore sorgt und auch von den Kollegen seiner Zunft Respekt erntet. Grund genug, David Gilberts vielgepriesenen Debütroman einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Hauptfigur der Geschichte ist Billy Schine. Billy treibt ziellos durchs Leben. Er hat einen brillanten Harvard-Abschluss, ohne jemals etwas daraus gemacht zu haben. Er sitzt seine Zeit mehr oder weniger leidenschaftslos in einer Zeitarbeitsfirma ab, in einem Job, für den er hoffnungslos überqualifiziert ist. Das Verhältnis zu seiner Freundin Sally dümpelt ähnlich antriebslos vor sich hin. Obendrein ist Billy noch hochverschuldet, weil er sich mit seinem Harvard-Studium finanziell verhoben hat.

Billy entzieht sich gerne der Welt, bleibt gerne in den eigenen vier Wände und macht, wenn es um Krankheiten geht, aus einer Fliege einen Elefanten. Er liebt das Kranksein und die Bettruhe, aber natürlich nur, weil er sich bester Gesundheit erfreut und noch nie wirklich ernsthaft krank war. Doch Billys Leben kann nicht ewig so unmotiviert vor sich hin plätschern. Das merkt Billy, als die Geldeintreiber Ragnar & Sons einen zunehmend raueren Ton anschlagen und Billy in seiner Phantasie deren Schlägertrupp schon vor seiner Wohnungstür sieht.

Doch dann bietet sich Billy eine fantastische Gelegenheit, für einige Zeit abzutauchen. Er meldet sich beim Pharmakonzern Hargrove Anderson Medical als freiwillige Versuchsperson für einen Medikamententest. Zwei Wochen in einem hochgesicherten Medizinlabor mit Unterkunft, Vollverpflegung und 2.000,- Dollar Vergütung. Da lässt Billy sich gerne mal für vierzehn Tage mit einem atypischen Psychopharmakon zur Behandlung von Schizophrenie voll pumpen.

Wie Billy schon bald feststellt, ist er nicht der Einzige, der in der Klinik dem wirklichen Leben aus dem Weg zu gehen versucht. Was Billy in diesen vierzehn Tagen erlebt, ist sowohl schräg als auch absonderlich, tragikomisch und erschütternd …

Mit „Die Normalen“ ist David Gilbert ein wirklich erfrischender Debütroman geglückt, der bei Freunden moderner amerikanischer Literatur noch einigen Zuspruch finden dürfte. So leidenschaftslos Billy auf den Leser auch wirken mag, das bunte Treiben, das Gilbert anhand seiner Hauptfigur in den abgeriegelten Trakten der Versuchsklinik beschreibt, hält für den Leser so einiges bereit und ist durchaus mitreißend erzählt. Es ist sowohl die komische Seite des Lebens, die sich hier offenbart, als auch die tragische.

Es sind einige faszinierende Widersprüchlichkeiten des Lebens, die mit Billys Betreten der Versuchsklinik zutage treten. Auf der einen Seite ist seine Teilnahme an der Studie ein Versuch, sich dem Leben zu entziehen, auf der anderer Seite fordert er es auf provokante Art heraus. Einerseits zeigt er mit dem Verlassen seiner verfahrenen Lebenssituation den Ehrgeiz, sein Leben neu zu ordnen, andererseits setzt er sich mit seiner Teilnahme am Medikamententest in ebenso großem Maße einer gesundheitlichen Gefahr aus. Für Billy, den Hypochonder, ist der Klinikaufenthalt gleichzeitig eine Erfahrung, die er auf seine Art genießen kann. Er kann krank feiern, ohne krank zu sein.

Hinter den Türen trifft Billy auf eine ganze Reihe skurriler Figuren, die in erheblichem Maße zum Unterhaltungswert des Romans beitragen. Da wäre Lannigan, der überdrehte Schauspieler und Zimmergenosse von Billy, da wäre Do, der eigentümliche Hinterwäldler, die beiden aggressiven Cousins Ossap und Dullick, der abgehalfterte Trinker Rodney, der merkwürdige Frank, für den Schusswunden der größte Kick sind, und nicht zuletzt die geheimnisvolle Gretchen, die als einzige Frau in der Männerrunde stets faszinierend für Billy bleibt und zu der er ein ganz besonderes Verhältnis hegt.

Gilbert nutzt die Abgeschiedenheit seiner Hauptfigur vom Rest der Welt obendrein zu einem Blick auf die Gesellschaft insgesamt. Billys Nabel zur Welt ist der Fernseher, über den er an all dem teilhaben kann, was die Nation bewegt. Insbesondere das Spektakel und der Massenkult um einen Gehirntumorpatienten, dessen Gehirnscan dem Grabtuch von Turin ähnelt, wird stetig verfolgt und treibt immer absurdere Blüten. Gilbert erzählt seine Geschichte mit einem Blick für die Absurditäten der heutigen Gesellschaft und würzt sie mit einer großen Prise Ironie. Billy bleibt der stetige Beobachter, den kaum ein Ereignis aus seiner Lethargie zu reißen vermag. Das lässt das Absurde noch absurder erscheinen.

Die Versuchsreihe, an der Billy teilnimmt, das ganze Versuchsprozedere, das ständige Rätseln darüber, wer ein Placebo verabreicht bekommet und wer das wirkliche Medikament, das ständige Lauern auf Nebenwirkungen bei sich und anderen Probanden, dominiert die Schilderungen über das Leben in der Klinik. Billy erduldet all das weitestgehend teilnahmslos. Während um ihn herum so langsam alle verrückt zu werden scheinen, wirkt Billy wie ein ruhender, gleichgültiger Polt der Beständigkeit. Als solcher, herausgelöst aus Familie, Leben und Gesellschaft, eignet er sich hervorragend für Gilberts gesellschaftliche Betrachtungen und ironische Seitenhiebe.

Die Konstruktion der Geschichte ist gut durchdacht und geht voll und ganz auf, was den Roman besonders reizvoll macht. Nachdem sich der Leser an der Skurrilität der Welt der Versuchsklinik und der Testperson ergötzt hat, mischt Gilbert eine zunehmend tragische Komponente in die Geschichte. Billy versucht mit seinem Aufenthalt, der Welt und seinem Leben zu entrinnen, aber das Leben, das er draußen zurückzulassen glaubt, holt ihn schließlich ein und nimmt eine durchaus tragische und gleichsam glaubwürdige Wendung.

Zusammen mit Gilberts bravouröser und erfrischender Erzählart ergibt diese wohl überlegte Konstruktion der Geschichte einen wirklich stimmigen Roman. Gilberts Beschreibungen treffen den Nagel auf den Kopf und individuelle, absolut treffende Wortschöpfungen sind das Sahnehäubchen, mit dem Gilbert seine augenzwinkernde Erzählweise garniert.

Gilbert überzeichnet immer wieder, insbesondere bei der Beschreibung seiner teils grotesken Figuren innerhalb der Klinik, ohne dass diese Überzeichnung zu einem Makel wird. Die ganze Situation des Medikamententests, der ganze Alltag der Versuchskaninchen ist schließlich für sich genommen absurd genug, um diese Überzeichnung tragen zu können, und da die Schilderung nicht ins Lächerliche abdriftet, trägt sie obendrein erheblich zum Unterhaltungswert des Romans bei.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass David Gilbert mit „Die Normalen“ einen absolut lesenswerten Debütroman abgeliefert hat. Sein Stil ist flott und erfrischend, seine Schilderung gleichsam komisch wie tragisch. Gilbert hat einen Roman geschaffen, der trotz der Kuriosität seiner Handlung auch einen treffenden Blick auf Leben und Gesellschaft wirft. „Die Normalen“ dürfte all diejenigen erfreuen, die auch Douglas Coupland, T.C. Boyle und Jeffrey Eugenides schon mit Begeisterung gelesen haben.

Rankin, Ian – Ehrensache

Der Plan: Um sein von der Auflösung bedrohtes Polizeirevier Great London Road und natürlich die eigene Person den Medien, dem Steuerzahler und vor allem der Politik zu empfehlen, ordnet Chief Superintendent Watson eine Razzia in Edinburghs einzigem Bordell an. Leider stellt wie schon so oft der Zufall dem armen „Farmer“, wie ihn seine Untergebenen respektlos zu nennen pflegen, ein Bein: Unter den sündhaften Gästen, die unter großem Hallo der Presse das lasterhafte Haus verlassen müssen, befindet sich auch Gregor Jack, allseits beliebter Abgeordneter des schottischen Parlaments.

Dass dieser mächtige Freunde hat, denen diese Bloßstellung gar nicht gefällt, wird Watson bald schmerzlich bewusst. Trotzdem steckt Jack in einem peinlichen Dilemma. Zwar dürfte ihm die Gunst der meisten Parteifreunde und Wähler erhalten bleiben, doch ob dies auf seine Gattin, die unberechenbare Elizabeth, und ihren nicht zur Nachsicht mit dem Schwiegersohn neigenden Vater, den einflussreichen Geschäftsmagnaten Sir Hugh Ferrie, ebenfalls zutrifft, steht in den Sternen.

Oder hat man dem allzu beliebten und erfolgreichen Parlamentarier etwa eine Falle gestellt? Das ist die Theorie, der Inspector John Rebus anhängt. Der eigensinnige Polizist schätzt den Politiker Jack und beginnt, auf eigene Faust Recherchen anzustellen. Dabei entdeckt er, dass nicht Gregor, sondern Elizabeth das schwarze Schaf in dieser Ehe ist, schätzt sie doch ausschweifende Partys, die oft in lupenreine Orgien ausarten. Interesse erregt auch die Liste der Gäste, die im Hause der Jacks ein und aus gehen. Darunter befinden sich illustre Persönlichkeiten wie der Schauspieler Rab Kinnoul und seine Ehefrau Cathy, aber auch eher zwielichtige Gestalten wie der Antiquar Ronald Steele, den Rebus schon früher kennen gelernt hat, als er in einem Fall von Bücherdiebstahl ermittelte. Notgedrungen nur im Geiste kann ein weiterer Jugendfreund an den Zusammenkünften teilnehmen: Andrew Macmillan hat vor Jahren seiner Gattin den Kopf abgesägt und sitzt seitdem in einer Anstalt für geisteskranke Kriminelle ein.

Seltsame Leute sind sie alle, die sich überdies gegenseitig belügen und betrügen, wie Rebus offen legt. Er kann er sich dem Fall Gregor Jack nun offiziell widmen. Rückendeckung erhält er ausgerechnet von „Farmer“ Watson, dem der Druck von oben zu schaffen macht. Gern hätte er jetzt einen Beweis für Jacks Unschuld, den Rebus ihm beschaffen soll. Stattdessen identifiziert Rebus eine Leiche: Im Fluss unterhalb der Kinnoulschen Villa treibt mit zerschmettertem Schädel die allseits vermisste Elizabeth Jack – und entdeckt hat sie Cathy Kinnoul. Ein eigenartiger Zufall, findet Rebus, der sich allmählich fragt, wie lieb und teuer die Verblichene ihren Freunden eigentlich wirklich war, die sie offenbar gern gemeinsam mit einigen unschönen Geheimnissen tief begraben wüssten …

Die Welt ist schlecht – der Lektion vierter Teil. Eine eigentlich bitter schmeckende Medizin, würde sie nicht so formvollendend verabreicht wie in diesem neuen-alten Abenteuer des schottischen Querkopf-Polizisten John Rebus. „Ehrensache“ erschien hierzulande mit mehrjähriger Verspätung, aber das ist unwichtig, da Ian Rankin stets gültige Wahrheiten (oder Binsenweisheiten) zu einem ebenfalls nicht gerade neuen, doch immer wieder gern gelesenen Plot verknüpft: Reichtum und Einfluss korrumpieren quasi automatisch, und Gesetze und Regeln gelten primär für jene, deren Machtlosigkeit sie zur Befolgung zwingt. Immerhin macht Geld allein offenbar tatsächlich nicht glücklich.

Glücklicherweise ist es John Rebus, der die Fäden fester in der Hand hält, als dies seine immer offener zur Schau gestellte Überdrüssigkeit vermuten ließe. Inzwischen hat er den Gedanken an eine Karriere im Polizeidienst endgültig ad acta gelegt und macht sich einen (freilich selbstzerstörerischen) Spaß daraus, unfähige oder allzu ehrgeizige Vorgesetzte zu piesacken. Alkohol im Dienst ist für Rebus schon lange kein Tabu mehr, und auch den Feierabend genießt (oder erträgt) er lieber ein wenig angesäuselt. Wie nebenbei wird dem Leser deutlich, dass dieser John Rebus endgültig in ein schwarzes Loch zu fallen droht. Der Polizeidienst ist ihm wichtiger als er sich selbst zugestehen mag, denn sein Privatleben ist inzwischen ein kaum mehr existentes Desaster. Zwar lebt Rebus nicht mehr solo, aber es braucht keinen Wahrsager, um zu erkennen, dass diese Beziehung keine Zukunft hat.

Erwartet uns also eine recht schwerblütige Lektüre? Nicht im Geringsten, denn Ian Rankin versteht die Kunst, das Tragische immer wieder durch (keltischen?) Humor aufzulockern. Noch stärker als in den ersten drei Bänden der Rebus-Serie nutzt er die Tücke des Objektes als Element der Handlung. Zuverlässig regiert das Chaos in den baufälligen Mauern des Reviers Great London Road, und es scheint auf die dort arbeitenden Beamten abzufärben. „Farmer“ Watson agiert, von Alkohol und Koffein gleichermaßen angefeuert, wirrköpfiger denn je und muss von Rebus, seinem liebsten Feind, immer wieder unauffällig auf den halbwegs rechten Pfad zurückgelotst werden, denn schon sägt der schleimige Superintendent „Fart“ Lauderdale an des Farmers Stuhl, und den möchte nicht nur Rebus auf keinen Fall dort sehen. Der geheime Kleinkrieg hinter den Kulissen von Great London Road gehört zu den Höhepunkten dieses Romans und sorgt auch für den wunderbaren (hier nicht verratenen) Schlussgag, der Rebus einmal mehr als Opfer eines boshaften, aber immerhin sehr einfallsreichen Schicksalsgottes zeigt.

Die eigentliche Kriminalhandlung funktioniert, kann aber nicht durch Überraschungen oder wirklich Unerwartetes glänzen – oder gibt es unter uns Leser, die nicht davon überzeugt sind, dass jeder Politiker zum Lumpen prädestiniert ist? Deshalb hält sich das Mitleid in Grenzen, wenn der Himmel über der Welt des Gregor Jack einstürzt und er nach den Regeln des alten Kartenspiels „Strip Jack“ (hierzulande angeblich „Bettelmann“ genannt) Stück für Stück seiner Würden und seines Ansehens entkleidet wird. Es ist das wunderbare Ensemblespiel, das „Ehrensache“ wieder mit deutlichem Abstand über die Latte des Durchschnitt-Thrillers hievt.

Gruber, Andreas – fünfte Erzengel, Der

Verlassene Herrenhäuser, Nervenheilanstalten und Friedhöfe – Andreas Gruber weiß die klassischen Sujets der Horror-Story geschickt in ein modernes Umfeld einzupassen. Nicht auf den harschen Effekt kommt es ihm an, sondern auf das subtile Grauen, das sich allmählich der Herzen seiner Leser bemächtigt, sich durch die Hintertür in ihre Vorstellungswelt einschleicht und ihnen zu später Stunde den Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Neun Erzählungen und Novellen sind in „Der fünfte Erzengel“ enthalten, und dem geneigten Leser sei empfohlen, nicht alle auf einmal zu goutieren. Denn wie sagt Andreas Gruber in seinem Vorwort: „Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit den vorliegenden neun Geschichten – mögen sie Ihnen den Schlaf rauben …“

Die Erstausgabe erschien im August 2000 als neunter Band der Reihe |Medusenblut|. Für die vorliegende Neuausgabe wurde der Text vollständig überarbeitet und mit einem neuen Vorwort des Autors versehen. Das Buch ist eine Gemeinschaftsedition der Verlage |Medusenblut| und |Shayol|.

Andreas Gruber ist als Autor längst kein Insidertipp mehr – und das ist gut so! Das beweist „Der fünfte Erzengel“ von der ersten bis zur letzten Seite. Dieser Titel wurde dankenswerterweise neu aufgelegt, sonst wäre er an mir „vorbeigegangen“, was ein Verlust gewesen wäre. Und das nicht nur für mich, denn die Erstausgabe belegte beim Deutschen Phantastik-Preis in der Kategorie „Beste Anthologie“ den vierten Platz.

Das Vorwort der Neuauflage ist erstaunlicherweise eine Hommage des Autors an den |Medusenblut|-Verleger Boris Koch und nimmt mich schon sehr für Andreas Gruber ein. Durch die Art der Formulierung, aber auch, weil es mir aus der Seele spricht.

Doch widmen wir uns den phantastischen Düstertexten des Wiener Autors. Los geht es mit „Die Testamenteröffnung“, einer herrlich morbid-atmosphärischen Story, die dem Spiel mit dem Teufel – um das Leben und viel mehr – eine neue Sichtweise verleiht. Bevor Sie den ein oder anderen Verwandten zu Grabe tragen und ihn geweihter Erde übergeben, werfen Sie einen Blick in sein Testament – nein, besser sofort in seinen Sarg!

„In Gedenken an meinen Bruder“ ist die psychologische Variante einer Kindheitsbewältigung, wie sie leider nicht nur in Grubers Phantasie vorkommt, sondern mehr Realität beinhaltet, als man wahrhaben möchte. Sie macht betroffen, gerade weil sie so real ist. Somit ist sie für mich die beeindruckendste Story in dem Erzählband. „Der Antropophag“ erzählt die Leidens- und Lebensgeschichte eines Serienmörders und zeigt deutlich, wie lebendig und tiefsinnig Andreas Gruber zu fabulieren vermag. Man leidet mit dem Täter, durchlebt mit ihm in Rückblicken sein Kindheitstrauma – von der Mutter verlassen, von dem Urgroßvater gedemütigt –, das ihn zum Mörder werden lässt. Mehr noch, man verspürt Mitleid mit ihm, hat Verständnis für seine Taten, ganz so, als brauche man selbst das Ventil, als nehme man Mensch für Mensch Rache, stellvertretend an allen, die weggeschaut und nicht wahrgenommen haben.

Sollten Ihnen jedoch nachts „Im Treppenhaus“ spindeldürre Gestalten mit hohen Zylindern auf dem Korridor begegnen: Seien Sie auf der Hut und verschließen Sie fest Ihre Tür!

Gehen Sie gar dem Beruf des Fotografen nach und sind auf der Suche nach einer heißen Story, machen sie einen weiten Bogen um „Duke Manor“, dem Geisterhaus mit den lockenden „Rufen“ aus dem Keller, denen sich keiner entziehen kann, wie auch dem Haus als solchem nicht.

Es wundert nicht, dass auch die Titelstory zu überzeugen weiß. Nun mag der Überkritische sagen: Apokalypse, Siebtes Siegel, Erzengel – alles schon zigmal gehabt. Richtig! Doch man unterschätze nie einen Andreas Gruber, der auch dieser Variante seine ganz persönliche Nöte und neue Sichtweisen „aufdrückt“.

Andreas Gruber vermag in diesem Band eine dichte Atmosphäre zu erzeugen und fesselt den Leser durch seine Erzählweise und mit Charakteren, die den Namen auch verdienen, die nicht ins Flache, Seichte abplätschern. „Der fünfte Erzengel“ war für mich eines der Bücher der letzten Zeit, die mir mal wieder so richtig unter die Haut gingen.

Umso erfreulicher für den Autor und Leser, dass auch die Verlagsarbeit erfreulich gut ist. Sieht man einmal von der leider sehr kleinen Schrift ab (da hätte eine größere wohl getan), lässt sich auch die Aufmachung sehen. Das Covermotiv (Klappenbroschur) könnte nicht stimmungsvoller sein, das Papier ist edel und das Lektorat ist, bist auf die kleinen Kulanzfehlerchen, sehr gut. Leser, was willst du mehr? So wünsche ich es mir, und so bekomme ich es in diesem Fall.

Daher bin ich |Medusenblut| und |Shayol| dankbar für die Neuauflage, sonst wäre mir dieses Kleinod der düsteren Phantastik entgangen! Ich hoffe, es findet seinen Weg zu einer breiten Leserschaft! Also: KAUFEN!

http://www.epilog.de/shayol/index.html
http://www.medusenblut.de/

150 Seiten
Lektorat: Hannes Riffel
Titelbild: Rainer Schorm
Satz und Layout: Franziska Knolle
Umschlaggestaltung & Herstellung: Ronald Hoppe

Chrono, Nanae – Peace Maker Kurogane 01

In „Peace Maker Kurogane“ wird die Geschichte der beiden Brüder Tetsunosuke und Tatsunosuke Ichimura erzählt, die nach dem Mord an ihrem Vater auf sich selbst gestellt sind und auf diese Situation völlig unterschiedlich reagieren. Die Handlung dieses neuen Mangas von Nanae Chrono spielt im Japan der Edo-Periode 1860 und bezieht sich vornehmlich auf die politischen Intrigen sowie den Machtkampf im alten Japan. Mitten in einer brutalen Fehde zwischen den Anhängern des Kaisers und den Gefolgsleuten der Shogun, während der sich die Bevölkerung quasi schutzlos zwischen diesen beiden Lagern ausgeliefert fühlt, bildet sich dort eine Samurai-Schutztruppe namens Shinsengumi, deren Aufgabe es ist, die Straßen von Kyoto vor Unheil zu beschützen und die gefürchteten Rebellen von Choshu zu bekämpfen. Nur die besten Samurai-Kämpfer können bei den Shinsengumi einsteigen und müssen sich hierzu einem strengen Ehrenkodex unterwerfen. Auch die Hauptfigur Tetsunosuke und sein älterer Bruder streben danach, beim Clan der Shinsengumi mitzumischen, jedoch aus unterschiedlichen Motiven heraus.

_Inhalt Band 1:_

Tetsunosuke erhofft sich durch den Beitritt zur Samurai-Schutztruppe ‚Shinsengumi‘ Informationen zum Mord an seinen Vater zu bekommen und schließt sich gemeinsam mit seinem Bruder der Truppe an. Der Hass auf die Choshu-Rebellen, die für den Tod seins Vaters verantwortlich sind, ist so groß, dass Tetsu sich schwört, blutige Rache an ihnen zu nehmen. Sein Bruder hingegen will Tetsu zur Vernunft bringen. Er ist nicht so stark von diesen Rachegelüsten befallen und möchte lieber ein ruhiges Leben als Buchhalter der Samurai-Organisation führen. Dieselbe Ruhe wünscht er sich von Tetsu, aber der lässt sich nicht mehr umstimmen. Als er dann eines Tages den ebenfalls von Rachedurst getriebenen Suzu kennen lernt, ist sich Tetsu seiner Sache noch sicherer. Schnell werden die beiden beste Freunde und kämpfen gemeinsam für ihr individuelles Ziel. Tetsu weiß jedoch nicht, dass Suzus Lehrmeister der von ihm gesuchte Mörder ist.

Derweil macht ein mysteriöser Mann mit Rasta-Zöpfen das Lager der Samurai-Kämpfer unsicher. Beim Anblick von Tetsusonuke bemerkt er sofort, dass dies der Sohn seines ehemaligen Weggefährten „Peacemaker“ sein muss. Daher beschließt er, den angehenden Samurai abzuwerben, was die „Shinsengumi“ natürlich nicht so gerne sehen – zumal der mysteriösen Fremde ein landesweit gesuchter Verbrecher ist.

Während Tetsu in der Zwischenzeit bei den Burschen von „Shinsengumi“-Vize-Kommandeur Toshizo Hijikata heranwächst, startet Suzu gemeinsam mit seinem Meister einen blutigen Rachefeldzug und entblößt sein wahres Ich.

_Bewertung_

Ich bin heilfroh, dass Nanae Chrono zu Beginn des Buches die einzelnen Charaktere und ihre jeweilige Rolle kurz vorstellt. Ansonsten hätte ich beim Lesen von „Peace Maker Kurogane“ wohl sehr schnell den Überblick verloren, weil in kürzester Zeit eine Vielzahl von neuen Personen ins Geschehen eintritt. Aber auch so wird es dem Leser nicht gerade einfach gemacht, einen Einstieg in diesen ersten Band zu bekommen. Es dauert gut die halbe Seitenzahl des Buches, bis man die individuelle Motivation der Hauptcharaktere begriffen hat und ihr Handeln verstehen kann. Das dauert deswegen so lange, weil die einzelnen Subplots teilweise nicht richtig zu Ende geführt werden und zu viele Tatsachen im Raume stehen bleiben. Der Fakt, dass die Zeichnungen darüber hinaus manchmal ziemlich hektisch und überladen wirken, erschwert die Sache schließlich noch zusätzlich.

Hat man sich daran gewöhnt bzw. hat man sich in diesem verwirrenden Strang endlich mal zurechtgefunden, entwickelt sich langsam aber sicher eine weiterhin komplexe, aber sehr spannende Story, die einmal mehr von den verschiedenartigen Charakteren lebt, deren Beziehungen zueinander in diesem Buch nur teilweise angerissen werden. Aber man ahnt bereits, dass hier noch einiges im Busch ist und noch mehrere Intrigen während der Folgebücher gesponnen werden. Alleine die Wandlung des Suzu und die rein spekulativ erfassbare Rolle des stets coolen Rasta-Mannes namens Ryoma Sakamoto sprechen schon für eine solche Vermutung. Aber die meisten Personen sind auch noch nicht richtig zum Zuge gekommen, sondern wie gesagt, nur kurz ins Geschehen eingetreten, weil sich der erste Band vorrangig damit beschäftigt, die Freundschaft von Tetsu und Suzu zu beschreiben und die sich darin befindliche Dramatik ans Licht zu bringen. Und genau dies ist Nanae Chrono auch sehr gut gelungen, sieht man mal von den genannten Kritikpunkten sowie dem manchmal unpassenden zeichnerischen und verbalen Witz ab, der irgendwie nicht mit dem ernsten Hintergrund der Handlung vereinbar scheint.

Aber da sich das Buch nach und nach fortentwickelt und zum Ende hin sogar richtig klasse ist, sieht man von den ganzen kleinen Schönheitsfehlern gerne ab und behält lieber die Faszination, die von den Hauptdarstellern ausgeht, im Gedächtnis fest. Mit Freude erwarte ich jetzt bereits die Fortsetzung im bereits erhältlichen nächsten Band. Samurai-Fans sollten sowieso einmal mit „Peace Maker Kurogane“ beschäftigen, das ist trotz mancher Hektik ziemlich starker Stoff!

http://www.tokyopop.de/

Montillon, Christian – Vorstoß in die Intrawelt (Atlan – Intrawelt 2)

Band 1: [„Wächter der Intrawelt“ 1889

„Vorstoß in die Intrawelt“ ist der zweite Roman des zwölfbändigen Zyklus „Atlan – Intrawelt“. In dieser Schwesternserie zur großen Perry-Rhodan-Reihe geht es vor allem um die Abenteuer des Arkoniden Atlan, der seit seiner Entstehung eine unerklärliche Faszination auf die Leser ausübt.

_Christian Montillon_
ist der Autor des vorliegenden Romans, bisher beschränkte sich seine Tätigkeit im so genannten Perryversum auf Romane der Atlanserie. Diese Art von Einstieg gelang bereits einigen Perry-Rhodan-Autoren, die sich in der Atlanserie ihre Sporen verdienten und den Sprung in die Hauptserie schafften, zuletzt geschehen mit Michael M. Thurner, der mittlerweile sogar die Ideenfabrik für die Atlanserie bildet.

Atlan gelangt also unbekleidet in die Intrawelt, wo er gleich von zwei gewalttätigen Wesen attackiert wird. Eine verlogene Echse errettet ihn aus den Händen der Angreifer, nur um ihn seinem Herrn auszuliefern, für den Atlan fortan Sklavendienste zu leisten hat. Während seiner Arbeit erkundigt er sich nach Fakten über die Welt, bekommt aber nur Mythen zu hören. Immerhin scheint Jolo, die Echse, bereits etwas vom Flammenstaub gehört zu haben, doch schweigt er sich aus.

Die ursprünglichen Angreifer haben inzwischen ein größeres Heer gesammelt und greifen das Lager an, um sich zu rächen und Atlan zu töten. Im Handgemenge kann Atlan entkommen, ihm zur Seite soll nun Jolo stehen, als Gefährte und Führer, da er sich einigermaßen auskennt in der näheren Umgebung.

Zuerst kehrt Atlan zurück an den Ort seiner Ankunft, doch der Tunnel ist unpassierbar, Atlan vorerst gefangen in der künstlichen Hohlwelt. Ihm bleibt nur die Erledigung seiner Aufgabe …

_Tricks, Erfahrung, Stil_

Montillon müht sich auf den ersten Seiten erfolglos ab, eine transzendente Atmosphäre zu schaffen und den leider überstrapazierten |sense of wonder| zu beschwören – der Text wirkt gestelzt und abgerungen. Wer sich als Leser durch diese Seiten kämpft, wird aber belohnt: Der Großteil des Romans ist klassische Abenteuergeschichte, und hier zeigt Montillon sein Können. Die Geschichte liest sich flüssig und spannend, die Charaktere sind überzeugend gezeichnet, auch wenn wir sie leider zum Großteil nicht wiedersehen werden, da sie (wie so viele Seriencharaktere) frühzeitig und zu Atlans Gunsten das Zeitliche segneten.

Montillon setzt endlich mal glaubwürdig Atlans große Erfahrung im Zweikampf um, so dass er problemlos gegen einige Angreifer besteht, obwohl er nackt und unbewaffnet und die Schwerkraft ungewohnt hoch ist. Allerdings lässt er sich von Jolo täuschen, was wohl nötig ist, aber negativ zu Buche schlägt. Immerhin lässt Montillon ihn erkennen, dass er beeinflusst wurde und worauf er achten muss.

Erwähnenswert ist noch das Titelbild (was zum Leidwesen der Grafiker meist zu kurz kommt in Besprechungen): Arndt Drechsler ist als Künstler verantwortlich für die tollen Titelbilder der „Bas-Lag“-Romane von China Miéville bei Lübbe; mit dem Titelbild zu Intrawelt 2 zeigt er mal wieder seine Fertigkeiten. Bis auf das steril wirkende Gesicht Kytharas ist es ein gelungenes Bild.

_Fazit_

Zum ersten Band des Zyklus eine deutliche Steigerung, wenn auch mit Schwächen am Anfang. Der Sinn des Zyklus ist klar: Ausschöpfung des Potenzials „Atlan“ über möglichst interessante Abenteuergeschichten mit vielen unterschiedlichen Charakteren, eine Spielwiese für Jungautoren. Montillons Beitrag ist auf jeden Fall eines: sehr unterhaltsam.

|Infos| unter http://www.atlan.de/

Bionda, Alisha – Kuss der Verdammnis (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 2)

Gute Nachrichten für die Fans von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“: Die Geschichte von Dilara aus dem ersten Band der Chronik hat eine Fortsetzung bekommen. Band zwei knüpft an die Kurzgeschichte über eine junge, für ihre Zeit erstaunlich eigenständige Frau an, die im London des 17. Jahrhundert von furchteinflößenden Schattenwesen und einem mysteriösen, uralten Vampir verfolgt wird. In „Kuss der Verdammnis“ ist Dilara immer noch so eigenwillig, wie der Leser sie aus Hohlbeins Kurzgeschichte in Erinnerung hatte, jung ist sie allerdings mitnichten: Durch den Biss des Urvampirs Antediluvian ist aus der Heldin eine inzwischen 400 Jahre alte Vampirin geworden.

Alisha Bionda, die Autorin dieses Bandes, baut in ihrer Fortsetzung von Dilaras Geschichte nicht auf vordergründige Action, sondern legt großen Wert auf die Charakterzeichnung der Figuren. Mit Dilara portraitiert sie eine starke, faszinierende Frauengestalt, die gerade wegen ihrer Unsterblichkeit innerlich zerrissen ist.

Im London der Gegenwart macht sich die Heldin, die etliche gängige Klischees über Vampire widerlegt, auf die Suche nach ihrer Bestimmung und dem Sinn ihrer Unsterblichkeit. Von ihrem „Schöpfer“, dem Urnosferatu Antediluvian, entfremdet, trifft sie dabei auf zwei völlig unterschiedliche Männer, den jungen Calvin, den sie als Gefährten erwählt und den Anwalt Roderick Herrington, der selbst ein mysteriöses Geheimnis zu hüten scheint und auf Dilara eine ebenso seltsame Faszination ausübt wie sie auf ihn.

Auch bei den Nebenfiguren, vor allem bei dem sich selbst immer fremder werdenden Roderick Herrington, hat die Autorin viel Wert auf die Charakterentwicklung gelegt. Ganz nebenbei fließen dabei auch schöne Beschreibungen des heutigen London mit ein, wenn Dilara den Leser mitnimmt auf ihre Streifzüge. Doch Dilaras Reich geht über das moderne London, das wir kennen, weit hinaus und Biondas Beschreibungen des unterirdischen London, des Reichs der Vampire, atmet eine ganz eigene Atmosphäre.

Gegen Ende legt der eher ruhig beginnende Roman einiges an Tempo zu. Quälende Albträume und ein von ihr belauschtes Gespräch des Rates der Nosferati lassen Dilaras Lage langsam immer angespannter werden und zwingen sie endlich zu einer Entscheidung, die hier natürlich noch nicht verraten werden soll. Auf den letzten Seiten wird darüber hinaus eine weitere Person eingeführt, die für Fortsetzungen ebenfalls Potenzial haben könnte.

Der Roman endet mit einer Art „Cliffhanger“ und es bleiben eine Menge Fragen offen, vor allem natürlich die nach Dilaras wahrer Herkunft und Bestimmung und jener Kraft, die der Urvampir Antediluvian so an ihr fürchtet – aber der nächste Band der Schattenchronik erscheint ja in Kürze …

Anzumerken sei noch, dass wie bereits beim ersten Band die liebevolle Gestaltung des Buches überzeugen kann. Das sehr stimmungsvolle Cover hat wieder Mark Freier gestaltet und den einzelnen Kapiteln sind wieder inhaltlich passende Zeichnungen von Pat Hachfeld vorangestellt.

http://www.blitz-verlag.de

_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|

Barkawitz, Martin – Blutgräfin, Die

|Gräfin Vanessa ist sexy, intelligent, charmant – und seit Jahrhunderten tot. Jede Nacht liefert sich die rumänische Vampirlady gnadenlose Schlachten mit den grausamen Rattenleuten – mutierten Halbwesen aus der Kanalisation von Bukarest. Schließlich setzt sich die Gräfin mit ihrem treuen Erdgeist Wolopec nach New York ab, wo sie sofort in einen Kampf zwischen Vampirclans verwickelt wird. Und dort lernt sie den Blutsauger ihres ewigen Nachtlebens kennen: Vince Barrakuda.|

Wie in der Mathematik möchte ich mit dem Positiven beginnen: Martin Barkawitz weiß in diesem Roman zu unterhalten. In flottem, humorvollem Stil erzählt er die Geschichte der Blutgräfin Vanessa de Bradiscu, die von Budapest nach New York kommt und dort auf Großstadt-Vampire trifft, in einen Vampirclan-Krieg gerät und sich schließlich in einen attraktiven „jungen“ Vampir verliebt, den sie eigentlich im Auftrag der Gegenseite töten soll. Das alles ist flüssig im Heftromanniveau geschrieben und beschert einige amüsante Lesestunden.

Somit hat der Autor sein „Klassenziel“ auf jeden Fall erreicht. Nicht aber der Verleger. Und damit komme ich zum Negativen: Der Roman ist für stolze zehn Euro eine Beleidigung für jeden zahlenden Kunden, aber auch für jeden halbwegs bibliophilen Leser.
Das Cover passt nicht zur Handlung, die sich hauptsächlich in New York abspielt. Das in Anlehnung an die kaum auftreten Rattenmenschen erwählte Nagetier erinnert mehr an ein zahmes Meerschweinchen, das man auf den Schwanz getreten hat und ist künstlerisch eher kindlich naiv dargestellt, was zum Genre Grusel/Horror nicht passt.
Der Satz des Buches ist eine einzige Katastrophe. Hammellücken, wohin das Auge blickt, an einer Stelle hat sich der Blocksatz völlig verflüchtigt, durch die stoisch gesetzten Einrücker wird der Text auf 152 Seiten gequält, aber auch unnötig auseinandergerissen, was den Lesefluss enorm stört. Das Lektorat – soweit es erfolgt ist – hat auch allenfalls Heftromanniveau und ist, schlicht gesagt, grauenvoll.

Das Genre Grusel trifft auf den Roman auch nicht zu, da hier eine eher humoristische Vampirstory erzählt wird, die mehr Schmunzeln als Gruseln hervorruft. Wenn zum Beispiel die Blutgräfin eine Betrunkene aussaugt und dadurch selbst einen gehörigen Schwips hat …
Man hätte mit einem guten Lektorat in Zusammenarbeit mit dem Autor aus dem Plot viel mehr machen können und müssen – nämlich eine ordentliche Vampirhumoreske … So bleibt der schale Beigeschmack, dass man für sein gutes Geld zu wenig und schlecht verlegte Lesekost bekommt, die man in jedem günstigeren Heftroman auch erhalten hätte. Da täuschen auch die dilettantischen Innenillustrationen nicht drüber hinweg.

Vom Kauf dieses Buches kann ich daher nur abraten.

Ich wünsche dem [mgVerlag]http://www.mgverlag.de/ mehr Sorgfalt und Selbstkritik, dann werden sich die Bücher sicher verbessern. Und ich hege die Hoffnung, da dies mein erster Titel aus dem Verlag ist, den ich rezensiere, dass dieser eine unrühmliche Ausnahme bleibt. Ich lasse mich daher gerne durch die nächsten Exemplare eines Besseren belehren.

Kirstilä, Pentti – Nachtschatten

Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.

_Mord im Dunkeln_

Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.

Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.

Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.

Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …

_Wer bin ich?_

Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.

Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.

Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.

_Pluspunkte_

Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.

_Unterm Strich_

Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.

http://www.grafit.de

Bionda, Alisha / Borlik, Michael (Hrsg.) – ewig dunkle Traum, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 1)

Faszinierend vielseitig – das ist der erste Eindruck dieser morbiden Anthologie, in der die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik sechzehn Horrorgeschichten bekannter Genreautoren versammelt haben.
Unglaublich spannend – das ist der zweite Eindruck, den der erste Band der neuen Serie „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ aus dem [BLITZ-Verlag]http://www.blitz-verlag.de/ hinterlässt.

Doch halt – haben Sie das gehört? Dieses Kratzen und Knirschen? Dieser schleifende Laut auf dem Boden? Das Wispern in den dunklen Zweigen? Und waren da nicht Tropfen von Blut auf dem Teppich? Dann sollten Sie dieses Buch vielleicht nicht nach Einbruch der Dunkelheit lesen, denn einige der Geschichten, wie „Das Höllenwunder“ von _Mark Freier_ (von dem übrigens auch das sehr passend gestaltete Cover stammt) oder _Barbara Büchner_s „Die Nahrung der Toten“ sind wirklich nichts für schwache Nerven.

Der Band startet mit der zunächst eher konventionell anmutenden Story „Ein besonderer Geschmack“ von _Markus Heitz_. Die Geschichte eines Dämonenpärchens auf Rachefeldzug, das aus ureigensten Motiven auch mal das Werk des Herrn tut und sich dabei einer ganz besonders „explosiven Mischung“ bedient, entwickelt allerdings beim genaueren Hinsehen einen feinen unterschwelligen Witz.

_Eddie Angerhuber_s „Das Nachtbuch“ erzählt von einem seltsamen Folianten, dem einzigen Trost einer in ewiger Nacht Gefangenen. Am Ende der Geschichte ist nichts so, wie es am Anfang schien … mehr soll hier nicht verraten werden.

Überhaupt scheinen seltsame Bücher in der Anthologie eine besondere Rolle zu spielen, schließlich verdankt die Serie einem solchen auch ihren Titel, nämlich der „Schattenchronik“, aus _Wolfgang Hohlbein_s „Schattenchronik – der ewig dunkle Traum“. Der Meister der Fantasy verwebt in der Geschichte der jungen Dilara, deren Leben kurz vor ihrer Verlobung völlig aus den Fugen gerät, geschickt Gegenwart, Erinnerungen und Visionen der Zukunft, während Dilara in den Seiten des mysteriösen, alten Buches blättert. In Gedanken durchlebt sie noch einmal die vorhergegangene Nacht, an die sie nur bruchstückhafte Erinnerungen hat und in deren Verlauf ihr Verlobter auf grauenvolle Weise zu Tode kam. Oder ist auch das nur eine der verstörenden Visionen, die mit der Schattenchronik zu tun haben und Realität und Wahnsinn ineinander fließen lassen? Gibt es Antediluvian, den uralten Vampir aus dem Buch, wirklich? Was will er von ihr und wer ist die Frau aus dem Buch, die ihr so frappierend ähnelt?
Der Leser kann Dilaras Verwirrung gut nachempfinden, denn so wie es ihr beim Durchblättern der Schattenchronik geht, fühlt man sich als Leser dieser Anthologie gelegentlich auch.

Aber auch für diejenigen, die es weniger blutig mögen, ist gesorgt. _Boris Koch_s „Heiligabend bei Manfred“ ist mit knapp zwei Seiten ein echter Quickie und beleuchtet auf heiter-witzige Weise die Frage, ob Vampire eigentlich Weihnachten feiern.

Die Geschichte der Herausgeberin _Alisha Bionda_ fällt ebenfalls aus dem Rahmen. Sie erzählt mit überraschenden Perspektivwechseln von einer obsessiven Liebesbeziehung, der nur auf den ersten Blick etwas Vampirisches anhaftet und die den Leser recht nachdenklich zurück lässt.

Auch in _Frank Haubold_s „Stadt am Fluss“ wird kein Blut vergossen, der Leser fühlt sich trotzdem bei der Fahrt des heimkehrenden Ich-Erzählers durch seine offenbar (fast) verlassene Heimatstadt auf beklemmende Weise an „Die Mächte des Wahnsinns“ erinnert. Das Gegenteil einer Coming-of-Age-Geschichte und dazu gut geschrieben.

Soliden Horror bieten die Geschichten von _Armin Rößler_ über einen Grusel-Vergnügungspark, in dem einiges realer ist, als man denken sollte, und _Dominik Irtenkauf_ und _Javier Hurtado_s „Trauerflug aus dem Süden“, in dem ein in spanischer Sprache gewisperter Hauch eine ganz besondere Rolle spielt.

_Michael Borlik_, der andere Teil des Herausgeber-Duos, geht in „Engel der Nacht“ der Frage nach, wie ein Vampir versucht, seine sterbliche Angebetete zu erobern und wie diese darauf reagiert – Romantik auf Vampirart, garantiert nicht unblutig!

Zwei weitere Geschichten verquicken das Vampirthema mit ägyptischer Mythologie, nämlich die Geschichten von _Linda Budinger_, die den Leser mit der köstlichen Idee ( hoffentlich!?) einer „Auswickelparty“ überrascht, bei welcher einem vertrockneten englischen Lord seine Faszination für Mumien zum Verhängnis wird.

_Marc-Alastor E.E._ schafft das wirkliche Kunststück, die Vorgänge bei der Vorbereitung einer Mumie aus Sicht der Mumie selbst zu schildern – sehr gelungen! Eine Geschichte, nach der man gleich im Lexikon nachschlagen würde, wie das noch mal war, mit der Mumifizierung – wenn man sich nicht gerade zu sehr gruseln würde, versteht sich.

Zwei wirkliche Highlights hält der Band für den Leser noch zum Schluss bereit. _Markus K. Korb_s „Die Brut“ erinnert von der Grundidee her an Stephen Kings „The Boogeyman“, variiert das Thema aber sehr schön auf eine Weise, die eher an Poe oder gar Lovecraft denken lässt. _Christel Scheja_s „Der Verfluchte von Tainsborogh Manor“ beschwört gekonnt die Atmosphäre jener Gothic Novels herauf, die ihre Heldin so gerne liest und erzählt auf diese Weise eine eher romantische Vampirgeschichte.

Der Band wird durch verschiedene Essays zum Thema abgerundet.

Erwähnenswert ist noch, dass alle Storys mit exklusiven, inhaltlich passenden Ilustrationen des Wolfsburger Künstlers [Pat Hachfeld]http://www.dunkelkunst.de/ versehen sind – sehr ungewöhnlich für dieses Format und für den Leser noch ein zusätzliches „Sahnehäubchen“.

Ach ja: Das Preis-Leistungsverhältnis überzeugt ebenfalls: 387 Seiten praller Horror und mehrere Stunden wohlig-gruseliges Lesevergnügen plus Hintergrund-Informationen für 9,95 Euro – was will man mehr?

_Stefani Hübner-Raddatz_
|Verbrechen sind in der Realität selten so spannend wie in der Literatur. Das stellte Stefani Hübner-Raddatz während ihrer Zeit als Strafrichterin schnell fest. Seitdem weigert sie sich standhaft, eine klassische Juristenlaufbahn einzuschlagen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter, zwei Pferden und Katzen bei Hamburg und schreibt Kurzkrimis, Kinder- und Fantasy-Geschichten. Sie ist Mitglied bei den sisters in crime.|

Hillenburg, Steven / u. a. – SpongeBob Schwammkopf – Der Film

Neben den drei Cine-Mangas mit einzelnen Seriennachbildungen zum Thema SpongeBob Schwammkopf haben |Tokyopop| nun auch den Kinofilm um den gelben Schwamm mit einem Comic geehrt. In diesem Comic findet man folgerichtig eine etwas kürzere Fassung des bunten Lachmuskel-Trainers, der aber wegen der wirklich schönen Zeichnungen und aufgrund des glücklicherweise nur selten verloren gegangenen Wortwitzes sehr gut geworden ist.

_Story_

Mr. Krabs eröffnet eine weitere Filiale der „Krossen Krabbe“ und benötigt eigens hierfür einen Manager. Für SpongeBob steht bereits im voraus fest, dass er wegen seiner jahrelangen Treue und diverser betriebsinterner Auszeichnungen diesen Posten verdient hat und auch bekommen wird. Als sich sein Boss jedoch dann für Thaddäus entscheidet, beginnt für den kindlichen Schwamm eine längere Frust-Periode.

Zur gleichen Zeit stiehlt der fiese Plankton die Krone des Meereskönigs Neptun und schiebt die Schuld auf Mr. Krabs. Neptuns Zorn lässt nicht lange auf sich warten, und bevor sich Krabs herausreden kann, verwandelt er den Besitzer der „Krossen Krabbe“ in eine Eisstatue. Nur wenn SpongeBob und Patrick es schaffen, in fünf Tagen die Krone aus dem gefürchteten Shell City zurückzuholen, wird die rote Krabbe begnadigt.

Plankton nutzt diese Zeit, um das geheime Rezept für die berühmten Krabbenburger zu stehlen und selber Karriere als Fast-Food-Verkäufer zu machen. Seine neue Beliebtheit nutzt das kleine grüne Monster jedoch aus, um ganz Bikini Bottom zu unterwerfen. Nur wenn SpongeBob und Patrick auf dem beschwerlichen Weg nach Shell City Erfolg haben, besteht die Chance, dass sich die Lage in der friedlichen Unterwasserwelt wieder entspannt.

_Bewertung_

Anders als bei den Büchern zur Serie hatte ich bei diesem Cine-Manga befürchtet, dass die Geschichte in einem relativ kurzen Comic nicht adäquat nacherzählt werden kann. Und in gewissem Sinne habe ich auch Recht behalten, denn gegen das Kinoereignis kann das Büchlein von |Tokyopop| nunmal nicht ankommen.

Betrachtet man das Werk allerdings als das, was es ist, nämlich einen unterhaltsamen Comic, dann wird man an „SpongeBob Schwammkopf – Der Film“ in Buchform sehr schnell seine Freude haben; immerhin haben sich die Macher alle Mühe gegeben, die Handlung in dem begrenzten Rahmen lustig, kurzweilig und trotzdem vollständig nachzuzeichnen. Dass dabei so manche Szene aus dem Film nur kurz oder auch gar nicht angerissen werden kann, liegt in der Natur der hier vorherrschenden Idee und ist nur allzu verständlich. Schade ist halt nur, dass Gags wie der penetrante „Taube Nüsschen“-Song sich nicht entfalten können oder die peinliche Aktion mit den Seifenblasen in einer Rockerkneipe ganz wegfällt. Das sind meiner Meinung nach Schlüsselszenen, die dem Film erst die notwendige (alberne) Würze geben, und abseits von diesen beiden Beispielen gibt es noch eine ganze Hand voll solcher Momente, die man sich für die Kurzfassung hier geschenkt hat.

Das ist für Fans sicher nicht akzeptabel und verdient auch berechtigte Kritik, zumal man die Sache etwas ungünstig aufgeteilt hat. Die eigentliche Action auf dem Weg nach Shell City bekommt nämlich nur einen geringen Teil des vorhandenen Raumes geschenkt, während zum Beispiel die Stelle, in der Neptun Mr. Krabs verwandelt deutlich zu viel Platz eingeräumt bekommt.

Dies muss man schon alles beachten, weshalb ich auch ganz deutlich sagen muss, dass der Comic nur als Ergänzung empfehlenswert ist, wohingegen der Film definitiv Pflichtstoff ist. Als nette Unterhaltung mit albernen Witzen und sehr schönen und ziemlich bunten Illustrationen ist „SpongeBob Schwammkopf – Der Film“ aber ebenso stark wie die themenbezogenen Begleitbücher zur Serie – er ist eben nur nicht vollständig!

http://www.tokyopop.de/

Reaves, Michael / Pelan, John [Hg.] – Sherlock Holmes: Schatten über Baker Street

Arthur Conan Doyle meets H. P. Lovecraft: 18 neue Storys um Sherlock Holmes, der dieses Mal keinen Kriminellen das Handwerk legt, sondern mit den Umtrieben des außerirdischen Kraken-Gottes Cthulhu konfrontiert wird. Das Crossover funktioniert erstaunlich gut & vor allem dann, wenn sich die Autoren von den ursprünglichen Erzählmustern frei machen und den jeweiligen Mythos interpretieren: Insgesamt ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich unterhaltsamer Lese-Spaß für Krimi- und Horrorfans.
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Haensel, Hubert – Wächter der Intrawelt (Atlan – Intrawelt 1)

Mit dem vorliegenden Roman startet die Schwesterserie zu Perry Rhodan einen neuen Kurzzyklus: „Atlan – Intrawelt“ ist das Motto, unter dem sich zwölf Heftromane in zweiwöchiger Erscheinungsweise versammeln.

_Hubert Haensel,_
Perry-Rhodan-Autor und Redakteur der so genannten „Silberbände“, gibt mit dem ersten Intraweltroman ein Gastspiel bei |Atlan|. Informationen zu seiner Person und zur Perry-Rhodan-Serie finden sich unter http://www.perry-rhodan.net.

Der Intraweltzyklus schließt direkt an die Geschehnisse des letzten Zyklus um den „Dunkelstern“ an. Atlan und seine sexy Begleiterin Kythara werden von einer eigentlich belanglosen Opposition vor dem Zugriff der Machthaber (Lordrichter) gerettet und begeben sich aufgrund Atlans überragender Tauglichkeit in ein neues Abenteuer: In der Intrawelt sei |Flammenstaub| zu finden, mit dem der Opposition eine mächtige Waffe gegen die Lordrichter zur Verfügung stehen würde. Die Hohen Mächte des Kosmos haben allerdings ihre Finger im Spiel, so dass es nur privilegierten Persönlichkeiten möglich ist, die Intrawelt zu erreichen bzw. zu verlassen.

In einer sternentstehungsaktiven Interstellarstaubwolke werden Atlan und Kythara fündig: Die durch Abstoßfelder gesicherte Intrawelt taucht auf. Das Problem ist nur, wie man sie erreichen soll …

_Atlan, sein Extrasinn und Egozentrum_

Haensel liefert einen routinierten Roman ab, der Rückblicke auf die direkten Vorgängerzyklen gewährt und so ein gewisses Verständnis für neue Leser schaffen soll. Gleichzeitig muss der Roman selbst einen eigenen Reiz ausstrahlen, um neue Leser zu halten und alte Leser neu zu animieren. Das gelingt Haensel nur durch das auftretende Rätsel um die Intrawelt und den Wächter derselben, ansonsten ist der Roman nur brauchbar als Rückblick. Der Titel „Wächter der Intrawelt“ ist eher irreführend, da zwar der Wächter ein interessantes Wesen ist, aber nur eine untergeordnete Rolle spielt und in der Unendlichkeit des Weltraums verschwindet. So bleibt zwar die geschaffene Faszination, aber ob wir das Wesen wiedertreffen werden, bleibt fraglich.

In seiner großen Routine ist dem Autor ein durchaus gravierender Fehler unterlaufen, und zwar in der Darstellung von Atlans Verhältnis zu seinem Extrasinn. Natürlich ist es für Neuleser unverständlich, was der Extrasinn genau ist und wieso er als Logiksektor nur unqualifizierte Bemerkungen macht. Schlimmer ist aber die Hauptaussage des Sinns. Er nennt Atlan mehrfach „Barbar“, was zweifellos eine Verwechslung durch Haensel sein muss, denn wir wissen aus der frühen Perry-Rhodan-Serie, dass der Extrasinn den Arkoniden Atlan stets mit „Narr“ beschimpfte, Atlan selbst die gegen die Arkoniden junge Rasse der Terraner, allen voran Perry Rhodan selbst, als Barbaren tituliert.

Der entscheidende Wächter vor Atlans Eintritt in die Intrawelt ist ein krakenähnliches Wesen, das anscheinend in seiner Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt ist, denn es will erst nur Kythara den Zugang gewähren. Atlan und Kythara wehren sich vehement und verlangen eine erneute Prüfung, um zu zweit gehen zu können, doch das Wesen kehrt seine Entscheidung um hundertachtzig Grad und verwehrt nun Kythara den Weg. Atlans Ego ist beruhigt, er darf passieren und tut dies auch ungeniert ohne seine Begleitung. Schade für den männlichen Leser, denn die Passage ist nur im Adams- bzw. Evakostüm gestattet.

_Fazit_

Insgesamt ein Roman, der trotz einer gewissen Langatmigkeit noch lesbar ist, vor allem aber durch einen sehr kurzen Abschnitt Faszination für ein anscheinend doch irrelevantes Wesen und die Andeutung des behandelten Rätsels lebt. Eine Steigerung in den Folgebänden wäre wünschenswert.

|Infos| unter http://www.atlan.de/

Mommers, Helmuth W. (Hrsg.) / Eschbach, Andreas / Franke, Herbert W. / Marrak, Michael / u. a. – Atem Gottes, Der (und andere VISIONEN 2004)

Anthologien spalten die Nation der Verleger, Leserschaft und Rezensenten. Die einen bejubeln sie als Plattform für bekannte und eher unbekannte Autoren. Die anderen winken müde ab: „In dieser Zeit unverkäuflich“, klagen die Verleger. Ich bewege mich in der Mitte – aber immer mehr in Richtung Anthologien. Vor Jahren habe ich das Kreuz geschlagen, wenn mir einer damit kam. Ich fühlte mich nur von Romanen in epischer Länge angesprochen. Nunmehr finde ich diese Kurzgeschichtensammlungen immer interessanter, soweit sie gute Novellen beinhalten. Da sind wir auch schon bei der Krux dessen, denn nicht jeder, der einen guten Roman verfassen kann, ist in der Lage, ebensogute Kurzgeschichten abzuliefern (und umgekehrt).

Ich gebe zu, ich bin mit besonderer Erwartungshaltung an diese Anthologie herangegangen. Erstens, weil ich den Herausgeber persönlich kenne und weiß, wie ehrgeizig er seine Projekte verfolgt; zweitens, weil ich etliche der in Band 1 und 2 aufgenommenen Autoren kenne und schätze – sie teilweise auch in meinen Anthologien oder Projekten vertreten sind – und drittens, weil der Herausgeber in seinem Vorwort selbst eine sehr hohe Messlatte anlegt. Hat er dieses Nonplusultra erreicht? Das sollte jeder Leser selbst entscheiden!

Die Namen der Autoren in Band 1 der VISIONEN lesen sich erst einmal nicht schlecht. Eine Mischung von bekannt und auf dem Weg dahin, die gute Lesekost erwarten lässt. So weit – so gut.

Kommt der nächste Schritt: Was erwarte ich von dieser neuen Anthologie-Reihe, die unter der Flagge VISIONEN segelt? Nun ist die klassische Bedeutung der Vision (visio) die Erscheinung, die übernatürliche Erscheinung als religiöse Erfahrung, und es ist mehr als bezeichnend, dass gerade die Kurzgeschichten, die sich darum ranken, zu den besten dieses Bandes gehören.

Allen voran die |großartig| erzählte Story von Karl Michael Armer, die neben „Die unbefleckte Empfängnis“ von Rainer Erler mit Abstand die beste ist. Ich gebe zu, ich habe von Armer noch nie etwas gelesen, weil ich in der Zeit seiner ersten Schaffensphase (achtziger Jahre), eher Non-Fiction las. Aber „Die Asche des Paradieses“ ist das Kleinod dieser Anthologie! Definitiv! Stilistisch, visionär und philosophisch. Eine Geschichte, die man nicht nur einmal liest. Das steht fest. Sie ist polit-kritisch, temporeich und weiß vom ersten bis zum letzten Satz zu überzeugen, hinterlässt einen tiefen Eindruck und macht nachdenklich. Leserherz, was willst du mehr?
Nicht umsonst wurde sie mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2005 als beste Kurzgeschichte ausgezeichnet. Ich stehe – wie viele – solchen Preisen sehr kritisch gegenüber, |aber|: Wenn je ein Preis verdient vergeben wurde, dann dieser! Alleine wegen der Karl-Michael-Armer-Story bin ich dankbar für diese Anthologie.

Doch soll das die ein oder andere ebenso vortreffliche Story nicht schmälern. Wie z. B. die von Rainer Erler. In flüssigem Stil bietet dieser die „Unbefleckte Empfängnis“ einmal anders an. Dabei so menschlich lebendig geschildert, dass man mit dem Paar lebt, liebt – und staunt. Was so alles zwischen Himmel und Erde möglich scheint!

Den humorigen Part dieses Bandes übernimmt Uwe Hermann in „Die unwiderlegbare Wahrheit“. So abgedreht kann die Jagd auf den Weihnachtsmann also sein! Köstlich!

„Relicon“ von Michael Marrak bietet den gewohnt flotten Stil des Autors, brachte mich streckenweise zum Schmunzeln und glänzt durch die teilweise unwirklichen Fragmente. Leider fällt die Schlusssequenz vorhersehbar aus, was aber bei mir dennoch keinen schalen Nachgeschmack hinterlassen hat.

Andreas Gruber, ein großartiger Autor des phantastischen Genres, konnte mich mit „Parkers letzter Auftrag“ nicht vollends überzeugen. Erstmalig, was diesen Autor angeht. Wenn ich dagegen an seine düsteren Novellen in „Der fünfte Erzengel“ (auch bei |Shayol| – in Kooperation mit |Medusenblut| – erschienen) denke, wirkt seine Story in diesem Band eher weniger unter die (Leser)Haut gehend. Damit ich nicht missverstanden werde: Sie ist nicht schlecht, aber bei dieser Anthologie erwartet man nach der Ankündigung halt nur literarische Sahnehäubchen.

Kommen wir zu Malte S. Sembtens „Jagdausflug“. Sembten weiß zu unterhalten, das bezeugen Veröffentlichungen in anderen Anthologien. Auch seine Story ist routiniert erzählt, aber leider etwas vorhersehbar und mit einem eher dünneren Plot versehen. Bedauerlicherweise. Wenn man – wie ich – Sembtens-Texte kennt, weiß man, dass er es besser kann.

Jan Gardemanns „Case Modding“ ist von der Struktur her ausgefallen. Die Dialoge sind frisch und unterhaltsam. Diese Story bildet einen modernen Kontrast zu den eher klassischen – wirkt aber nicht völlig ausgereift.

Alle anderen Geschichten sind handwerklich gut erzählt, in einer literarischen Bandbreite, wie sie in allen Anthologien vorzufinden ist, daher gehe ich nicht näher darauf ein. Der geneigte Leser überzeuge sich selbst!

Und nun komme ich unvermeidbar zur Kehrseite der Medaille. Größtes Manko dieser Sammlung ist die miserable Story von Myra Çakan. Es ist ja bekannt, dass Cyperpunk ein weites Feld ist. Leider besonders, was das Niveau angeht. Myra Çakan hat, was das angeht, in die Vollen gegriffen und ganze Arbeit geleistet. Schlechter geht es fast nicht mehr. Leider hat gerade in dieser Story auch das Lektorat nicht genug eingegriffen; so hätte man zumindest stilistisch noch etwas „herausreißen“ können. Denn auch Schnodder-Cyberpunk unterliegt einem gewissen Qualitätsanspruch – den erwarte ich besonders in einer solchen Anthologie.
Warum es sich Herausgeber und Verlag angetan haben, diese bereits veröffentlichte „Geschichte“ erneut zu verlegen, bleibt mir schleierhaft. Besonders im Falle von Helmuth W. Mommers, den ich als |sehr| kritischen Beobachter und Bewerter dieses Genres kennen gelernt habe. Diese Story hätte man zum Wohle der Anthologie einsparen müssen, den Platz lieber dafür nutzen sollen/können, die anderen Geschichten exklusiv illustrieren zu lassen, was die Anthologie auch optisch abgerundet hätte. Hier wäre (textlich) weniger mehr gewesen.

Das Cover findet hingegen wieder meine volle Zustimmung, es spricht von der Farbgebung und dem eher ungewöhnlichen Motiv an und hebt sich von der breiten Masse ab. Ein großes Kompliment an den Herausgeber. Zumal der Künstler Julio Viera nicht einfach „irgendwer“ ist. Papier und Druck sind sehr gut, das Lektorat besser als bei vielen anderen Kleinverlagen, aber leider durch Stilblüten wie „Sein herrischer Tonfall ließ seinen Mundschutz beschlagen“ noch über der Kulanzgrenze. Das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, muss aber dennoch Erwähnung finden.

Alles in allem kann ich diese Anthologie wärmstens empfehlen. Sie macht Appetit darauf, von dem ein oder anderen Autor, auch in diesem Genre, mehr zu lesen, und sie macht neugierig auf Band 2, der bereits vorliegt. Wer die Reihe vollständig sein Eigen nennen will, sollte rasch zugreifen!

Wolfe, Tom – Ich bin Charlotte Simmons

Gerne wird Tom Wolfe als Amerikas „Mr. Zeitgeist“ tituliert. Ein Autor, der seinen Finger in die Wunden der heutigen Gesellschaft legt, der die gesellschaftlichen Strömungen auseinander nimmt und dadurch tiefere Einblicke vermittelt. Genau das will er auch mit seinem neuesten Roman „Ich bin Charlotte Simmons“ wieder erreicht haben. Ein Buch, das schon seinem äußeren Anschein nach den Eindruck vermittelt, dass Wolfe durchaus ein literarisches Schwergewicht ist – und das nicht nur, weil der Schmöker ein stolzes Kilo auf die Waage bringt.

Charlotte Simmons ist jung, beneidenswert intelligent und der Stolz von Lehrerschaft und Eltern. Sie schafft mittels Stipendium den Sprung aus einem kleinen 900-Seelen-Kaff in den Bergen North Carolinas an die traditionsreiche Elite-Uni Dupont in Pennsylvania. Für Charlotte geht damit ein Traum in Erfüllung. Endlich findet sie die richtige Heimstatt für ihren überragenden Intellekt. Sie wird auf den Olymp des Wissens ziehen, um mit unzähligen Gleichgesinnten Wissenschaft, Kultur und Bildung zu frönen.

Doch kaum hat das Provinzmädchen sein Studium angetreten, wird es auch schon von der grausamen Realität eingeholt. Der erhoffte Olymp des Wissens entpuppt sich als Paradies der Stumpfsinnigen, die Sex und Alkohol „studieren“. Charlotte ist entsetzt. Hier bringen nicht gute Noten Ansehen und Respekt, sondern nur die angesagtesten Klamotten, ungehemmter Alkoholkonsum bis zur Besinnungslosigkeit und sexuelle Freigiebigkeit. Charlotte, im so genannten „Bible-Belt“ aufgewachsenen und religiös erzogen, ist selbstverständlich noch Jungfrau und würde niemals auf die Idee kommen, Alkohol zu trinken.

Doch auch das Mauerblümchen Charlotte bleibt zu ihrem eigenen Entsetzen vor den Avancen männlicher Studenten nicht verschont, und so sieht sie sich schon nach wenigen Wochen von drei Verehrern umgarnt: Hoyt, dem coolsten Typen auf dem Campus, Jojo, dem weißen Star der Basketballmannschaft, und Adam, der sich für den letzten Intellektuellen am Campus hält. Charlotte entscheidet sich für den Falschen und braucht lange, um sich von der daraus resultierenden Depression zu erholen …

Der Plot klingt zunächst sehr vielversprechend. Wolfe verspricht schonungslos die vorherrschende Jugendkultur zu demaskieren und ganz nebenbei noch mit dem aktuell in Amerika schwelenden Kulturkampf zwischen dem Konservativismus des Mittleren Westens und dem Liberalismus von Ost- und Westküste abzurechnen. Damit packt Wolfe wieder mal ein heißes Eisen an und wird seinem Ruf als „Mr. Zeitgeist“ gerecht.

Wolfe, dessen Wurzeln im Journalismus liegen und der in den Sechzigern zu den Begründern des sogenannten „New Journalism“ gehörte, der den vorherrschenden Reportagestil mit literarischen Stilelementen versetze, scheint hier einen Themenkomplex gefunden zu haben, der genau nach seinem Geschmack ist. Allein optisch könnte der Kontrast zwischen dem Autor und seinen Figuren kaum größer sein: cremefarbene Maßanzüge gegen Schlabberhosen und schief sitzende Baselballkappen.

Der Stoff, der „Ich bin Charlotte Simmons“ zugrunde liegt, bietet in jedem Fall eine Menge Potenzial für eine gleichsam kritische wie auch provokante und ironische Betrachtung. Die ersten Kapitel scheinen dann auch diesen Eindruck zu bestätigen. Wolfe betrachtet zunächst Charlotte in der Provinz und vor allem die Distanz, die dort zwischen Charlotte und ihren Mitschülern herrscht: die Intelligente und der Provinz-Pöbel.

Schon Charlottes Umzug an den Campus von Dupont offenbart ganz neue Gegensätzlichkeiten. Charlotte tritt in eine völlig neue, völlig fremde Welt ein. Schon in ihrem Zimmer trifft sie auf einen Gegensatz, der größer kaum sein könnte. Zimmergenossin Beverly ist all das, was Charlotte nicht ist: reich, weltmännisch, attraktiv, ständig umworben, mit allem neumodischem Schnick-Schnack ausgerüstet und beliebt. Wie Wolfe diese beiden gegensätzlichen Charaktere und ihre Familien aufeinander prallen lässt, wie die Handelnden miteinander umgehen, das macht die ersten Kapitel durchaus zu einem gewissen Lesevergnügen.

Wolfe beobachtet des bunte Treiben am Campus von Dupont mit geradezu pedantischer Genauigkeit und mit einer Detailbesessenheit, die manchmal schon an die Grenze des Vertretbaren stößt. Seitenweise widmet er sich der Dynamik eines einfachen Basketball-Trainingsspiels. Haarklein nimmt er jede Bewegung der Spieler auseinander, seziert ihr Innerstes und beweist damit, dass er sich auf genaues Schildern versteht und dass er dem Leser damit tiefe Einblicke ermöglichen kann.

Dennoch hat man manchmal das Gefühl, er würde in seiner Pedanterie ein wenig über das Ziel hinausschießen. Viele Szenen wiederholen sich, bestimmte Themen werden immer wieder ausführlichst durchgekaut, wie z. B. die Verwunderung der Intellektuellen über die Sportbegeisterung der Mitstudenten. Manchmal hat man dabei das Gefühl, dass Wolfe irgendwie immer seinen eigenen Intellekt heraushängen lässt. Unzählige Beschreibungen durchtrainierter Basketballerkörper, in denen immer wieder alle möglichen Muskelpartien einzeln benannt werden. Ist ja schön, dass Tom Wolfe so gut Bescheid weiß, aber manchmal täte er gut daran, das nicht immer krampfhaft in die Geschichte einbinden zu wollen, um die Handlung mit einem etwas dynamischeren Erzählfluss zu versehen.

Die Thematik an sich bietet Stoff für jede Menge provokanten Witz, für die Ironie der Gegensätzlichkeiten des Alltags, aber durch Wolfes übertriebene Genauigkeit in seinen Schilderungen gerät der Erzählfluss mitunter ein wenig zäh. Seine genauen Beschreibungen mögen noch so meisterhaft sein, sein Blick mag noch so gnadenlos die Mechanismen des Campusgeschehens sezieren, irgendwie fehlt dem Ganzen in letzter Instanz dann doch der gewisse Biss. Etwas schnellere Schnitte und eine etwas flottere Gangart hätten sicherlich Wunder gewirkt und dem Roman seine teilweise kaum zu leugnende Langatmigkeit genommen.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Figuren. Wolfe wechselt immer wieder die Perspektive, schlüpft mal in die Rollen der drei Charlotte-Verehrer Hoyt, Jojo und Adam und erzählt dann wieder aus Charlottes Sicht. Alle vier Hauptfiguren wirken wie wandelnde Klischees: Hoyt, der Aufreißer, Jojo, der „Anabolika-Trottel“, Adam, der intellektuelle Streber und Charlotte, das Mauerblümchen und naive Landei. Eine Entwicklung lässt sich an den Hauptfiguren nur zum Teil und dann auch nur in Ansätzen ablesen, die meisten bleiben stumpfe Stereotypen.

Ein weiteres Problem bringt die Figur der Charlotte mit sich. Man mag ihr das Entsetzen über die ach so grausame, freizügige Realität des Campuslebens nicht so recht abkaufen. Wie weltfremd muss ein Mensch sein, um beim Anblick Tanzender auf einer Party schockiert festzustellen, dass auf der Tanzfläche quasi Geschlechtsverkehr simuliert wird? Auch die Simmons haben zu Hause schließlich einen Fernseher. Wie kann eine Charlotte also entsetzt sein, wenn jemand „Scheiße“ oder „Fuck“ sagt? Man wird das Gefühl nicht los, dass in Charlottes Kopf ein alter Mann hockt, der ihr das schockierte Entsetzen souffliert. Und dieser alte Mann kann dann eigentlich nur Tom Wolfe sein, der ja schließlich auch schon jenseits der Siebzig ist.

Diese Diskrepanz zwischen der konservativen Hauptfigur und der liberalen Realität mag vielleicht den aktuell in den USA tobenden Kulturkampf karikieren, aber ihn anhand einer Charlotte Simmons in dieser Form zu vollziehen, nimmt ihm ein wenig von der provokanten unterschwelligen Kritik. Und so wirkt das Ganze mehr wie der mahnende Zeigefinger der Großeltern, die über den Verfall von Kultur und Sittsamkeit der Jugend besorgt sind. Der Roman selbst verliert so einiges von seiner Schärfe.

Bleibt zusammenfassend ein etwas durchwachsener Eindruck im Gedächtnis. Tom Wolfe weiß mit Worten umzugehen, besitzt eine außerordentlich genaue Beobachtungsgabe und versteht sich darauf, das gesellschaftliche Leben messerscharf zu sezieren. Dennoch wird die Freude an „Ich bin Charlotte Simmons“ auch durch einige Schwächen getrübt. Stellenweise wirkt der Roman ein wenig langatmig, die Figuren sind wandelnde Klischees und bleiben auch am Ende nur als Stereotype in Erinnerung, und Wolfes „schonungsloses Demaskieren der Jugendkultur“ wirkt aufgrund der übergroßen Portion Naivität einer Charlotte Simmons nicht immer ganz glaubwürdig und bissig genug.

Gaiman, Neil / McKean, Dave – Wölfe in den Wänden, Die

_|Die kleine Lucy presst fest das Ohr gegen die Wand. Unter der Oberfläche knackt etwas. Und es klackt und huscht. Es knabbert und knistert, kratzt und knurrt. Lucy macht sich Sorgen. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie zu ihrer Mutter. „Das sind wahrscheinlich nur Mäuse“, winkt diese ab.| In seinem neuen Kinderbuch erzählt Comic-Legende Neil Gaiman die gruselige Geschichte von dem Mädchen Lucy, den Wölfen in den Wänden und Dingen, die anders sind, als man dachte._

Lucy lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem großen, alten Haus. Eines Tages – alles ist still – hört sie merkwürdige Geräusche. Hinter den Hauswänden kratzt und knurrt es. Gelbe Augen beobachten Lucy durch Risse und Löcher. Besorgt geht sie zu ihrer Familie. „Wir haben Wölfe in den Wänden“, sagt sie, doch niemand glaubt ihr. Stattdessen gibt man ihr eine allseits bekannte Weisheit mit auf den Weg, um ihre Phantasie im Zaum zu halten: „Wenn die Wölfe aus den Wänden kommen, ist alles vorbei. Jeder weiß das.“

Neil Gaiman macht es sich nicht leicht mit der Phantasie. Er weiß, was für ein schweres Los sie in einer Welt hat, die durch Vernunft, Rationalität und Nüchternheit geprägt ist. Für Kinder haben sachliche Erklärungen zum Glück keine absolute Gültigkeit. Es gibt noch etwas hinter dem Erklärbaren: das Vorstellbare. Lucys Angst vor den Wölfen perlt an ihren Eltern ab wie Wassertropfen von einer Glasscheibe. Aber sie kämpft, lässt sich nicht beirren und glaubt an das, was sie gehört und gesehen hat.

Neil Gaiman gilt als einer der prägenden amerikanischen Comic-Autoren der Neunzigerjahre. Berühmt wurde er durch die Comic-Serie „Sandman“. Während seiner Entwicklung tauchte immer wieder ein Name in seiner Nähe auf: Dave McKean, seines Zeichens Illustrator und Zeichner. Die beiden sind seit Jahren ein sicheres Erfolgsgespann in Sachen Fantasy. Phantastisch geht es auch in ihrem neuen Werk zu.

„Die Wölfe in den Wänden“ ist ein Kinderbuch, das durch sein ungewöhnliches Format und seine Aufmachung auffällt. McKean, der für seine Cover der „Sandman“-Serie von Kritikern hoch gelobt wurde, beschreitet mit seinem grafischen Können gerne ungewöhnliche Wege. Das große, quadratische Buch enthält eine Unzahl von surrealen Kollagen, bei denen sich der Leser nie sicher sein kann, ob es sich um eine Zeichnung oder um eine Fotographie handelt.

Im Grunde entspricht diese Doppeldeutigkeit dem Kern der Geschichte. Ist es eine Zeichnung oder eine Fotographie? Krabbeln in den Wänden Mäuse oder Wölfe herum? Hat Lucy eine blühende Phantasie oder besteht wirklich Gefahr? Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind, ist eine Fähigkeit, die Erwachsene manchmal verlieren. Kinder hingegen stellen alles in Frage, weil alles neu, unbekannt und phantastisch ist. Wenn die Phantasie in die Wirklichkeit einbricht, ist alles vorbei. Jeder weiß das. Sie haben doch nicht etwa Angst, oder?

Hohlbein, Wolfgang & Heike – Märchenmond

Seit Tagen liegt Kims Schwester Rebekka bewusstlos im Krankenhaus. Ihre Seele wird im Lande Märchenmond vom Zauberer Boraas, dem Herrn des Schattenreiches, gefangen gehalten. Kim ist der Einzige, der sie befreien kann.

Um seine kleine Schwester zu retten, macht sich Kim auf die abenteuerliche Reise ins Land Märchenmond. Um dorthin zu gelangen, muss jeder seinen eigenen Weg finden. Kim, begeisterter Leser von Science-Fiction-Büchern, wählt dafür ein Raumschiff, doch Zauberkräfte zwingen ihn zur Landung – inmitten einer unzugänglichen, schwarzen Bergwelt gerät er, ebenso wie seine Schwester, in Boraas‘ Hände. Doch Kim gelingt die Flucht aus Burg Morgon – gerade rechtzeitig, um die Bewohner Märchenmonds zu warnen: Die riesige Armee der schwarzen Reiter, angeführt von einem mysteriösen Unbekannten, überwindet die Pässe des Schattengebirgen und marschiert gegen Märchenmond. Ein Kampf um die gläserne Burg Gorywynn ist unvermeidlich.

Auf dem gefährlichen Weg zum König des Regenbogens, zur Burg am Ende der Welt, müssen Kim und seine Freunde – der Riese Gorg, der Bär Kelhim, der Golddrache Rangarig und Prinz Priwinn – zahlreiche packende Abenteuer bestehen. Und doch scheint der Sieg der schwarzen Ritter unabwendbar – bis Kim dem Schwarzen Lord ins Gesicht blickt. Was er dort sieht, wendet das Schicksal …

Ich gebe freimütig zu, bis ich 1985 erste Bekanntschaft mit Wolfgang Hohlbein machte, weil er, seine Familie und ich Nachbarn – und später Freunde – wurden, und mir seine Frau Heike „Märchenmond“ in die Hand drückte, war ich eher ein Gegner des Fantasy-Genres. Ich habe mich sowohl „Herr der Ringe“ als auch sonstigen Fantasy-Klassikern verweigert. Doch ich hatte gerade Urlaub und war neugierig, was der schreibende Nachbar so verfasst. Als ich im Auto in den sonnigen Süden saß – auf den unliebsamen Rang der Beifahrerin verwiesen –, dachte ich: Ach, risikiere doch einmal einen flüchtigen Blick in das Werk.

|Für alle, die das Träumen noch nicht verlernt haben!| war der erste Satz, der mir bei „Märchenmond“ ins Auge sprang. Und ich fühlte mich irgendwie angesprochen. Völlig zu Recht!

Dieser Roman war eines der Bücher, die mich zurück in meine (lesende) Kindheit versetzten. Hinzu kam der fesselnde und dennoch leichtfüßige Stil des Autors, von dem ich vorher nie etwas gehört, geschweige denn gelesen hatte. Und ich bin froh, dass das mit „Märchenmond“ ein Ende fand, denn seither lese ich jedes Hohlbeinbuch. Weniger, weil er anders ist als andere Autoren, sondern weil er einfach zu fabulieren versteht und den Leser mit auf eine Reise aus dem Alltag nimmt – in diesem Fall durch das Land Märchenmond. Sehr schnell ist man „mitten drin“, besteht Gefahren und Abenteuer in einem bunten, phantastischen Reigen von realen und weniger realen Charakteren und abenteuerlichen Schauplätzen. Umgeben von Drachen über Riesen, führt uns unser literarischer Weg bis an die Gläsernen Burgen.

Komme ich zurück zu meiner Beifahrerrolle, so war ich plötzlich dankbar dafür, denn ich konnte „Märchenmond“, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legen. Und habe es auch nicht. Auch wenn ich nicht mehr zu der Zielgruppe gehörte. Doch „Märchenmond“ ist, wie alle anderen Hohlbein-Fantasywerke, ein Buch für jede Altersklasse. Ich bin der beste Beweis dafür.
Alle Charaktere sind so phantastisch und liebevoll angelegt, dass man sich sofort in dieses märchenhafte Land versetzt fühlt. Dieser klassische und phasenweise etwas traurige Fantasy-Roman bietet eine (wohl eher übliche) Handlung von Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, und Freundschaft – |aber| (und das unterscheidet ihn von vielen) vor allem eine Geschichte hinter der Geschichte, die (hoffentlich) zum Nachdenken anregt, über unsere Welt und den Sinn des Lebens. Denn er ist nicht nur spannend, sondern auch philosophisch durchwirkt – wenn man es vermag, zwischen den Zeilen zu lesen!

Ich habe „Märchenmond“ im Laufe der Jahre mehrmals gelesen und finde immer wieder neue Perspektiven und zähle nicht zu den Kritikern dieses Romans, die ihm zu starke Parallelen zu „Der Herr der Ringe“ vorwerfen. Im Gegenteil.
Und |wenn| man einen derartigen Vergleich zieht, muss ihn „Märchenmond“ auf keinen Fall scheuen. Ich halte jedoch derartige Vergleiche für ebenso überflüssig wie einen Kropf, weil sich alle neuen Kunstrichtungen an Klassikern orientieren. Warum nicht auch gute Literatur? Und dazu gehört „Märchenmond“ ohne Zweifel.
Ich kann nur jedem Leser empfehlen, sich selbst davon zu überzeugen!

http://www.maerchenmond.de

Klönne, Gisa – Wald ist Schweigen, Der

_Die Autorin_

Gisa Könne wurde 1964 geboren. Sie studierte Anglistik und arbeitet als Journalistin sowie als Dozentin für kreatives und journalistisches Schreiben. Sie veröffentlichte Kurzkrimis und ist Herausgeberin der Weihnachtskrimi-Anthologie „Leise rieselt der Schnee“. Gisa Könne lebt in Köln und schreibt an ihrem nächsten Roman.

_Story_

Inmitten einer idyliischen Forstlandschaft im Bergischen Land findet die junge Försterin Diana Westermann eine grausam entstellte Leiche, die bereits mehrere Tage tot sein muss und seither von Krähen zerfressen wurde. Westermann ist starr vor Schock und weiß nicht, was sie tun soll. Da wird ihr die Entscheidung von einem vorbeispazierenden älteren Ehepaar abgenommen, das den Fund schließlich der Polizei meldet. Der Fall wird der Kölner Kommissarin Judith Krieger übertragen, einer arg gebeutelten Beamtin, die nach dem Tod ihres Kollegen, den sie selber nicht mehr vereiteln konnte, in einer sehr schweren privaten und beruflichen Krise steckt. Der Mord an dem nackten Mann auf dem Hochsitz stellt für sie so etwas wie die letzte Chance zur Rehabilitation dar, doch nach wie vor fällt es ihr schwer, die schreckliche Erinnerung zu verdrängen.

Mit einer chronischen Müdigkeit und der Hilfe von massenhaft Zigaretten begibt sich die Kettenraucherin trotzdem an die Arbeit und ist überzeugt davon, dass die Lösung des Falles mit dem Aussteiger-Yoga-Aschram „Sonnenhof“ zusammenhängt. Dort treiben sich mehrere seltsame Gestalten herum, die allesamt ein Geheimnis mit sich herumzutragen scheinen. Doch Judith unterlaufen bei den Ermittlungen einige Fehler – ganz im Gegensatz zu ihrem ungeliebten neuen Kollegen Manfred Korzilius, der schließlich erste Erfolge vorweisen kann und als unerfahrener Beamter die langjährige Kommissarin in den Schatten stellt. Für Judith hat dies ernsthafte Folgen: Sie wird für einige Zeit vom Dienst suspendiert. Erst jetzt findet sie wieder zu ihrem alten Biss zurück und beginnt, den Fall auf eigene Faust zu ergründen. Doch bevor sie damit so recht voranschreiten kann, wird im Wald eine weitere Leiche entdeckt …

_Meine Meinung_

Ein ganz normaler Krimi, das scheint „Der Wald ist Schweigen“ auf den ersten Blick zu sein. Es gibt eine Leiche inmitten einer spektakulären Kulisse, einige merkwürdige und schweigsame Verdächtige und Polizisten, die weit und breit keine Spur sehen. Alles wie gehabt. Doch dieser Roman ist weitaus komplexer, als die Inhaltsangabe es vermuten lässt. Gisa Klönne setzt sich nämlich nicht nur mit den kriminellen Aspekten auseinander, sondern verleiht der Geschichte erst so richtig Leben, indem sie die einzelnen Menschenschicksale der beteiligten Akteure sehr genau beleuchtet. Vor allem das Portrait der Hauptfigur Judith Krieger ist ihr dabei sehr gut gelungen. Klönne beschreibt das Bild einer Frau, die auf dem besten Wege zum psychischen Wrack ist und in den normalsten Lebenssituationen oft nicht weiß, wie genau sie handeln soll. Im Bezug auf ihre Arbeit ist sie aufgrund der grausamen Geschehnisse in ihrer beruflichen Vergangenheit stark gehemmt und kaum in der Lage, im Außendienst zu arbeiten. Und durch den neuen Fall und die damit verbundenen Fehlgriffe wird sie in ihrem Selbstbewusstsein noch stärker eingeschränkt, was beinahe zum totalen Kollaps führt. Doch Judith fängt sich und zeigt sich kampfeslustig, bereit, ihrem seelischen Empfinden zu trotzen und ihren Frust zu bekämpfen – so lange, bis der nächste Rückschlag folgt.

Im Wechselspiel mit dem eigentlichen Mordfall entwickelt sich so ein menschliches Drama mit ungewissem Ende, weil die Autorin sich überhaupt nicht in die Karten schauen lässt. Die Frage, ob die Hauptperson an ihrem Schicksal und dessen Folgen zerbrechen wird, ist somit ein weiterer zentraler Punkt in diesem Roman, dem eine gleichrangige Wichtigkeit wie der Mordserie beigemessen wird.

Doch die Kommissarin ist nicht die einzige Dame, der das Leben übel mitgespielt hat. Auch Diana Westermann lebt sehr unglücklich, wird in ihrer beruflichen Rolle nicht akzeptiert, kann ein zerrüttetes Liebesleben vorweisen und wird in ihrem Befinden durch die jüngsten Ereignisse zurückgeworfen. Zu dieser Liste gesellt sich schließlich auch noch die junge Laura, die im Yoga-Aschram glaubt, ihr zeitweiliges Heil gefunden zu haben. Doch das naive Mädchen leidet weiterhin unter seiner Vergangenheit und der verkorksten Kindheit und kommt auch nicht so recht zur Ruhe. Das sind alleine schon drei (und gleichzeitig die wichtigsten) Personen, auf deren Psyche im Verlauf des Buches immer wieder genauer eingegangen wird, doch es ist nur eine Auswahl der vielen Charaktere, mit denen die Autorin ihr Buch ausschmückt.

Der Mordfall an sich soll natürlich nicht außen vor bleiben. Aber auch hier wirkt Gisa Klönne hinsichtlich des Spannungsaufbaus und der mehrfachen Wendungen als Krimi-Autorin sehr souverän. Durch die Verknüpfung der beiden Hauptelemente – Tragik und Spannung – gelingt es der Autorin problemlos, den Leser an das Buch zu fesseln, zumal der Schreibstil sehr frisch und umgangssprachlich gewählt wurde. Kurze Sätze und die Betonung bestimmter prägnanter Begriffe helfen, den stellenweise komplexen Inhalt leichter zu verdauen. So entspricht „Der Wald ist Schweigen“ ganz klar auch dem modernen Zeitgeist – schließlich spielt das Buch auch in der Jetztzeit – und ist für sämtliche Altersgruppen geeignet. Ein wichtiger Aspekt heutzutage!

Und „geeignet“ heißt in diesem Falle auch „sehr empfehlenswert“, denn solch intelligent inszenierte und genreübergreifende Geschichten bekommt man im Bereich von Thriller und Krimi nur selten geboten. Für Liebhaber der Materie sollte „Der Wald ist Schweigen“ daher ganz klar auf der Liste für die Vorweihnachtszeit stehen!

http://www.ullsteinbuchverlage.de/
|Siehe auch: [„Unter dem Eis“ 3047 |

Blair, Jason L. – Kleine Ängste

Am Anfang dieses Textes steht eine ungewohnte Schwierigkeit. Fingerspitzengefühl über das normale Maß hinaus ist gefragt, um eine Rezension für das Rollenspiel „Kleine Ängste“ zu verfassen. Um das zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen.

Das Grundbuch löste unmittelbar nach dem Erscheinen eine Kontroverse aus, wie man sie nur selten unter Rollenspielern erlebt hat. Man stritt über Inhalte und Grenzen des Rollenspiels. Der hier vorliegende Text soll einen kleinen Beitrag zur Diskussion leisten. Die Heftigkeit, mit der für oder wider „Kleine Ängste“ gefochten wurde, ist nur zu erklären durch das Thema, welches das neue Spielsystem aufgriff. Erstmals thematisierte ein Rollenspiel auf dem deutschen Markt die Misshandlung von Kindern.

Nur selten sprachen Spieler, Autoren und Verleger so aufgeregt über ihr Hobby. Schnell polarisierten sich die Meinungen im Zuge der Debatte, wurden scharf und unsachlich. Für einige Spieler war |Kleine Ängste| „schlicht und ergreifend das gruseligste Rollenspiel“ überhaupt, andere hielten es für krank und abartig. Die üblicherweise recht liberale Rollenspielszene geriet in Bewegung. Bald war klar: Entweder mochte man „Kleine Ängste“, oder man verdammte es. Wie kam es zu solch einer heftigen Auseinandersetzung? Man stellte sich der Frage, ob ein Rollenspiel den Missbrauch von Kindern thematisieren darf.

_Worum geht es eigentlich? – Ein paar Fakten_

„Kleine Ängste“ ist ein Horror-Rollenspiel, in dem die Spieler in die Rollen von Kindern schlüpfen. Die Figuren stellen im Laufe des Spiels voller Entsetzen fest, dass die Monster ihrer Phantasie Wirklichkeit sind. Sie entstammen dem so genannten Land unter dem Bett, einer Hölle für Kinder. Die Herrscher dieser Hölle nehmen Einfluss auf das Diesseits und sind in der Lage, Menschen zu beeinflussen und sie zu schändlichen Taten zu bewegen. Die spieltechnischen Regeln sind simpel. Das ganze System basiert auf sechsseitigen Würfeln, Proben sind jedoch selten. Der Schwerpunkt liegt auf der Handlung und dem Erzählen. Wer sich für technische Einzelheiten wie Regelwerk oder Layout interessiert, kann dies an anderer Stelle leicht nachlesen (siehe Links).

„Kleine Ängste“ stammt aus dem Amerikanischen und wurde von Jason L. Blair geschrieben und entwickelt. Der Originaltitel lautet „Little Fears – The Roleplaying Game of Childhood Terror“ und erschien bei |Key 20 Publishing|. Der deutsche Herausgeber ist der Mannheimer Verlag |Feder und Schwert| (F&S), der das 122 Seite starke Büchlein im Oktober 2003 veröffentlichte. Die deutsche Ausgabe wurde von Oliver Graute (F&S) übersetzt und bearbeitet.

|Feder und Schwert| ist in der Rollenspielszene bekannt und gehört zu den größten deutschen Rollenspielverlagen überhaupt. Die Produkte des Verlages beschäftigen sich mit dunkler Fantasy und Horror. Spielsysteme wie „Vampire“, „Engel“ oder „Werwolf“ gehören zum Repertoire von F&S und blicken in Deutschland auf eine solide Fangemeinde. Im Gegensatz zu diesen verbreiteten Systemen war „Kleine Ängste“ nie von den deutschen Herausgebern als Großprojekt geplant. Es sollte ein Kleinod im Verlagsprogramm sein, nur interessant für eine spezielle Leserschaft. Die Auflage beschränkte sich auf 1000 Exemplare. Inzwischen ist „Kleine Ängste“ nur noch schwer zu bekommen. Bei eBay ging es schon für 50 Euro über den Tresen und erzielte damit mehr als das Doppelte des ursprünglichen Ladenpreises (22,95 Euro).

_Über Geschmack streiten – Standpunkte_

Spätestens nach dieser Einleitung wird deutlich, dass eine herkömmliche Besprechung für „Kleine Ängste“ nicht in Frage kommt. Genug Ansätze existieren, die im Rahmen der ausgelösten Kontroverse entweder auf die eine oder die andere Art und Weise Stellung beziehen. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten – oder doch? Hier ein kurzer Überblick der geleisteten Arbeit.

Die Gegner von „Kleine Ängste“ versuchen sich oftmals gegenseitig mit spitzen Formulierungen zu übertrumpfen. Es wird dabei maßlos übertrieben. Im Namen des Anstandes und des guten Geschmacks wird da so manches schwere Geschütz aufgefahren. Man hat Angst vor den Medien, fürchtet eine allgemeine Verrohung der Sitten und zieht gedankliche Linien zwischen Kindesmisshandlungen und LARP-Veranstaltungen. Die selbsternannten Apostel meinen es ernst und schwingen blind das Flammenschwert. Was dabei so an Gedankenmüll ins Internet geblasen wird, ist oft geschmackloser als das kritisierte Werk selbst.

Die Fans und Befürworter von „Kleine Ängste“ wettern nicht zurück, sondern bleiben eher ruhig. Es wird abgewiegelt. Sicherlich, Kindesmisshandlung sei ein Thema in „Kleine Ängste“, aber eben nicht das einzige Thema. Es ist ohne Schwierigkeiten möglich, „Kleine Ängste“ zu spielen, ohne dass Kindesmisshandlungen angesprochen werden. Das Argument, auf dem sich die Befürworter ausruhen, ist so alt wie AD&D: Wer sich an etwas stört, soll es einfach weglassen. Du spielst einen blutdurstigen Vampir, einen gnadenlosen Killer oder einen wahnsinnigen Wissenschaftler? Ich spiele ein traumatisiertes Kind – na und? Ein verbales Achselzucken.

Für den Verlag F&S war |Kleine Ängste| „von Anfang an ein Liebhaberstück“, so Oliver Graute. Man wollte nicht nur ein gutes Horror-Rollenspiel auf den Markt bringen, sondern gleichzeitig etwas Gesellschaftskritik üben. Man brüstet sich damit, dass sich die Kinderfiguren in „Kleine Ängste“ erfolgreich gegen ihre Peiniger wehren. Es sei keine Misshandlungs-, sondern eine Rettungsphantasie, die dem System zugrunde liege. Die Einführung des Bandes, das Nachwort sowie zahlreiche Einschübe im laufenden Text künden von diesem hehren Vorhaben.

_Fiktion und Realität_

Die Art und Weise, wie über „Kleine Ängste“ diskutiert wurde, erreichte qualitative Höhen und Tiefen. Die Herausgeber wollten vermitteln, wie man sich als Kind gegen Ängste erfolgreich zur Wehr setzt. Spieler, die sich im Internet zu „Kleine Ängste“ bekennen und es mögen, sagen damit nicht aus, dass sie die Misshandlung von Kindern gutheißen. Im Gegenteil: Viele Spieler wettern leidenschaftlich gegen solche Verbrechen.

Die durch „Kleine Ängste“ ausgelöste Kontroverse wurde so heftig, weil alle Beteiligten die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion verwischten. An erster Stelle ist da der Verlag |Feder und Schwert| zu nennen, dem die Hauptverantwortung anzulasten ist. In diesem Zusammenhang sind allen voran Autor Jason L. Blair und Redakteur Oliver Graute zu erwähnen. Mit der Veröffentlichung von „Kleine Ängste“ brachte man ein Spielsystem auf den Markt, das danach trachtet, die Grenze zwischen Phantasie und Realität aufzulösen. Die Abenteuer von „Kleine Ängste“ spielen nicht in einer imaginären Welt voller Drachen, Ritter und Magier, sondern in einem dunklen Abbild unserer Welt. Der Alltag wird mit phantastischen Elementen verbunden. Diese verzerrte Wirklichkeit ist Markenzeichen der meisten Produkte von |Feder und Schwert| („Wir veredeln die Wirklichkeit!“).

Sprach man im Rahmen der Kontroverse über die Realität, waren sich alle Beteiligten einig. Kindesmissbrauch ist ein furchtbares Thema, dem es mit aller Kraft entgegenzuwirken gilt. Kinder müssen um jeden Preis geschützt werden. Sprach man jedoch über Rollenspiele, schieden sich die Geister. Plötzlich stand die Frage im Raum, was ein Rollenspiel überhaupt zu leisten imstande ist.

_Was darf ein Rollenspiel?_

Zunächst ist ein Rollenspiel eine Form von Unterhaltung. Man trifft sich in kleiner Runde, unterhält sich, isst Chips und würfelt dabei. Rollenspielsysteme sind Produkte aus der Unterhaltungsbranche, und sie sollen in erster Linie Spaß machen. Auch Horror gehört dazu. Ob in der Geisterbahn, im Kino oder bei einem Rollenspielabend – sich zu gruseln, bereitet vielen Menschen einfach Freude.

Hauptelement der Unterhaltung im Rollenspiel ist ohne Frage die Entwicklung von Illusionen. Am Spieltisch entstehen in Zusammenarbeit von Autoren, Verlagen, Spielern und Spielleitern phantastische Welten. Man versetzt sich in eine fiktive Wirklichkeit. Über allem schwebt die Frage: Was wäre, wenn …? (… wenn ich ein Ork wäre? … wenn es einen Atomkrieg gegeben hätte? … wenn interstellares Reisen möglich wäre?) Die gestellten Fragen bestimmen maßgeblich das Setting und orientieren sich am Geschmack der einzelnen Spielgruppe. Spekulationen und das Spiel mit Illusionen sind einige der Hauptelemente des Rollenspiels allgemein.

Graute und Blair wollten aber nicht bloß ein gutes Horror-Rollenspiel machen. Das Potenzial dazu hat „Kleine Ängste“ gewiss. Gewissermaßen nebenher wollten sie auch Gesellschaftskritik betreiben. Um wirklich konstruktive Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu üben, bedarf es jedoch einer außerordentlich tiefgründigen und differenzierten Sichtweise. Illusionen sind da völlig fehl am Platz. Die Macher von „Kleine Ängste“ verbinden Dinge, die schon in der Struktur nicht zusammengehören. Sie banalisieren so den Missbrauch an Kindern und gehen verantwortungslos mit dem Thema um. Obendrein besitzen sie die Arroganz, sich selbst als außerordentliche Kritiker darzustellen, was sie ganz eindeutig nicht sind.

Ihr wahrscheinlich größer Irrtum liegt in der Annahme, dass der Missbrauch von Kindern ein allgemein bekanntes Thema ist. Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall. Den tatsächlich aufgeklärten Fällen von Kindermissbrauch steht eine hohe Dunkelziffer gegenüber. Engagement für Kinder in solchen furchtbaren Lebenssituationen bedeutet, die Verbrechen ans Tageslicht zu holen und Illusionen zu zerstören. Blair und Graute verstehen sich selbst als Aufklärer, sind jedoch das genaue Gegenteil: Illusionisten. Rollenspieler eben.

_Fazit_

Oliver Graute und Jason L. Blair arbeiten in der Unterhaltungsbranche und sollten wissen, was sie dem Medium Rollenspiel zutrauen können und was nicht. „Kleine Ängste“ war kein großer Wurf. Es war ein idiotischer Ausrutscher. Von der F&S-Redaktion hätte man zumindest eine kritischere Überarbeitung des Originaltextes für den deutschen Markt erwartet. Ein Rollenspiel darf den Missbrauch von Kindern nicht thematisieren. Weder den betroffenen Kindern noch dem Hobby Rollenspiel wird man damit gerecht.

_LINKS_

[Verlag Feder und Schwert]http://www.feder-und-schwert.de

Interview mit Oliver Graute (F&S) im Fanzine SONO
Download unter: http://www.link.avalon-projekt.com/action/gotolink.php?AML__linkid=14

[Forumsdiskussion zu Kleine Ängste – Palaver – Rollenspielverein Biberach e. V.]http://www.glyphen.de/projects/hosted/rollenspielverein/forum/viewtopic.php?t=609

[Kleine-Ängste-Fanpage]http://kleineaengste.de/

[Forum für Kleine Ängste]http://www.travar.de/koops/fantasyguide/index.php?board=806

Brunhoff, Jean de – Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten, Die

Wie könnte man die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten besser veröffentlichen als im Jumboformat? Dieses Buch beeindruckt schon auf den ersten Blick durch sein großes Format, die schöne Leinenbindung und das niedliche Coverbild. Ich möchte denjenigen Elefantenliebhaber kennen lernen, der an diesem Buch vorbeigehen könnte – mir ist es nicht gelungen.

Jean de Brunhoff schuf in den Jahren 1931 bis 1937 mit Babar einen Klassiker, der auch heute noch die Herzen der Kinder und Kindgebliebenen höher schlagen lässt. Einst war es Jeans Frau, die den kleinen Elefanten als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigenen Kinder erfand, ihr Mann gab dem Elefanten schließlich einen Namen, zeichnete die Bilder dazu und machte sich dadurch unvergessen.

Diesen Monat veröffentlicht der |Diogenes|-Verlag eine Neuauflage der vier Geschichten um Babar und seine Familie im wunderschönen aber leider nicht ganz preisgünstigen Jumboformat. Doch mit diesen Büchern ergänzt man seine private Bibliothek mit vier Werken, die in keinem Haushalt fehlen sollten. An diesen Geschichten werden Jung und Alt ihre helle Freude haben.

„Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ bildet den Auftakt zu der kleinen Buchreihe um Babar und stellt uns den kleinen Helden genauer vor. Der Inhalt ist schnell erzählt, denn im Vordergrund der nur 47 Seiten kurzen Erzählung stehen eindeutig die Bilder. Babar lebt zusammen mit vielen Freunden und Bekannten im Dschungel, bis ein Jäger eines Tages seine Mutter erschießt. Traurig und verzweifelt beschließt der kleine Babar, dass er in die Stadt auswandern möchte. Dort angekommen, ist er begeistert von der modernen Technik und vor allem von der schicken Kleidung.

Babar trifft auf eine vornehme alte Dame, die ihm Geld schenkt, damit der kleine Elefant sich einkleiden kann. Doch als er im Kaufhaus ankommt, fasziniert ihn der Fahrstuhl so sehr, dass er so lange auf und ab fährt, bis der Liftboy es ihm verbietet. Anschließend sucht Babar sich einen schicken grünen Anzug mit einem passenden Hut aus. Als modischer Elefant freundet er sich auch mit der alten Dame an und lebt sein eigenes Stadtleben. Eines Tages jedoch trifft Babar zwei Bekannte aus dem Dschungel wieder, die sich in die Stadt verirrt haben, und langsam bekommt der kleine Elefant Heimweh …

Auf der Inhaltsebene passiert im Grunde genommen nicht viel in diesem allzu dünnen Buch, sodass auch kleine Kinder schon alles verstehen dürften, wenn sie die Geschichte von ihren Eltern vorgelesen bekommen. Darüber hinaus sind die Sätze sehr einfach formuliert, es gibt keinerlei komplizierte Wörter, lange Satzkonstrukte oder Ausschmückungen. Für ältere Leser mag sich dieser Schreibstil daher sehr spartanisch und ungeschickt anhören, aber die Geschichte vom kleinen Elefanten ist natürlich vornehmlich für jüngeres Publikum geschrieben. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass der Text in Schreibschrift abgedruckt ist, wie Kinder sie in der Schule lernen. So eignet sich „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ nicht nur hervorragend zum Vorlesen, sondern auch zum Selbstlesen für ABC-Schützen, die sich alleine an die ersten Bücher heranwagen wollen.

Der Lerneffekt der erzählten Geschichte ist allerdings eher gering; nach dem Tod von Babars Mutter tauchen im Prinzip keine Schwierigkeiten mehr auf. Als Babar in die fremde Stadt kommt, trifft er sofort auf eine freundliche Dame, die ihm weiterhilft, und auch später löst sich vieles in Wohlgefallen auf. Die Geschichten um Babar sind daher nicht mit „Benjamin Blümchen“ zu vergleichen, der stets bei jedem Problem zur Stelle ist und den Kindern Werte wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft vermittelt. „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ ist recht einfach gestrickt und lebt von ihren Bildern.

Zum leichteren Verständnis für die junge Leserschaft tragen die herrlichen Zeichnungen bei, die den Text wunderbar dokumentieren. Jean de Brunhoff schafft es überzeugend, Stimmungen auszudrücken, seinen Elefanten sieht man stets an, wie sie sich gerade fühlen. So entdecken wir einen betrübten Babar, der gerade seine Mutter verloren hat, aber am Ende auch einen optimistischen, erfahrenen und glücklichen Babar, der mit seiner Verlobten zurück in den Dschungel kehrt. Durch den Fünffarbdruck erhalten die Zeichnungen ihren ganz eigenen Charme, man merkt ihnen an, dass ein menschlicher Maler mit viel Liebe am Werke war und nicht nur ein Computer, der die Bewegungen und Mimiken der Figuren simuliert hat. Heutzutage wären solche Zeichnungen natürlich viel perfekter und lebensechter, doch meiner Meinung nach wäre das dem Gesamteindruck gar nicht zuträglich. Babar ist genau so perfekt, wie wir ihn in diesem Buch bewundern dürfen.

Die Bilder sind bis ins kleinste Detail ausgestaltet; schauen wir uns zum Beispiel [Babar als modisch gekleideten Elefanten]http://www.celesteville.com/images/bafterdinner.jpg an, dann bemerken wir, dass sich mit seiner neuen Kleidung sogar seine Körperhaltung verändert hat. Er steht aufrecht und stolz da und steckt vornehm seine Hand in die Hosentasche. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen!

Auch etwa 70 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Babar immer noch lesenswert und eine Bereicherung für jede Büchersammlung; dieses Buch dürfte an Weihnachten so manches beschenkte Kind glücklich machen. Bei mir wird „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ jedenfalls einen Ehrenplatz einnehmen und ganz sicher keinen Staub ansetzen. Denn dieses Buch muss man immer wieder durchblättern, schon weil die Bilder allerliebst sind.

Wer sich selbst von der Schönheit der Zeichnungen überzeugen möchte, sollte dies [hier]http://www.celesteville.com/ tun.

Elrod, Patricia N. – Vampirdetektiv Jack Fleming

Das ist schon ein ziemlicher Schock, wenn man sich plötzlich an den Ufern des Lake Michigan wiederfindet und feststellt, dass man tot ist. Eigentlich ist es sogar ziemlich widersinnig. Nicht jedoch für Jack Fleming, dem genau das passiert: Irgendjemand im Chicago der 30er Jahre will ihm offensichtlich an die Gurgel und scheinbar ist ihm das auch gelungen. Doch Fleming steht wieder auf – dank einer Affäre und des dazugehörigen Blutaustausches mit der Vampirin Maureen. So ist er zwar dem Tod von der Schippe gesprungen, doch ist ihm dafür die Erinnerung an seine Todesnacht abhanden gekommen. Warum will das organisierte Verbrechen von Chicago ihn loswerden? Wer hat ihn umgebracht? Und was soll diese Blutliste sein, die die angeheuerten Schläger ihm abnehmen sollten?

Fleming beschließt, sich zunächst ein wenig an seinen neuen vampirischen Zustand zu gewöhnen (inklusive erster taktischer Besuche des berüchtigten Chicagoer Schlachthofs – schließlich ist er ein humanistischer Vampir) und dann seinen eigenen Mord aufzuklären. Immerhin ist er eigentlich Reporter, und verdeckte Machenschaften aufzudecken sein täglich Brot. Er erhält überraschende Hilfe von dem Privatschnüffler Escott, der allein durch penible Beobachtung auf Fleming und seinen außergewöhnlichen Zustand aufmerksam geworden ist und ihm seine Hilfe und seine Kontakte anbietet. Fleming nimmt dieses Angebot dankbar an und gemeinsam machen sich die beiden auf, das Geheimnis um den Mord an Fleming zu lösen und dessen verlorenes Gedächtnis wieder herzustellen. Und so wühlen sich Fleming und Escott durch die Unterwelt Chicagos und von einem Bandenboss zum nächsten, geraten in einige brenzlige Situationen, Verfolgungsjagden und Schießereien, logieren in illustren Kneipen und spielen – natürlich – Poker (und betrügen – das versteht sich wohl von selbst), bis sie nach kurzweiligen 250 Seiten endlich das Rätsel um die Blutliste gelöst haben. Ob sich der ganze Aufwand für zwei Blatt Papier tatsächlich gelohnt hat, bleibt abzuwarten, doch unterhaltsam war er allemal!

„Vampirdetektiv Jack Fleming“ von P. N. Elrod ist in seiner Plakativität ein ziemlich abstoßender Titel (das hat auch |Festa| schnell eingesehen und die Titel der Fortsetzungen mehr am US-Original orientiert), zeigt aber, worum es in dem Roman gehen soll. Autorin Elrod nimmt das Genre des Vampirromans und katapultiert ihren untoten Helden gnadenlos in eine hardboiled Detektivgeschichte à la Hammett und Chandler. Dabei bedient sie zunächst einmal eine ganze Reihe Klischees des Genres: Unser Held ist ein Reporter, die Story spielt im Chicago der 30er Jahre, es gibt eine schöne Frau (die unser Held, bevor der Roman zu Ende ist, natürlich mindestens einmal verführt haben muss), Männer haben dicke Kanonen und setzen sie gern ein. Es fehlt nur noch, dass die Hauptcharaktere Filzhüte tragen (immerhin sieht man einen auf dem Cover des Buches).

Doch Elrod hält die Fäden ihrer Handlung fest in der Hand und ihr Vampirkrimi droht nie wirklich, ins Klischee abzudriften. Stattdessen spielt sie mit viel Finesse mit den Eckpfeilern des Genres und streut eine ganze Reihe Anspielungen und Namen ein, die Fans der damaligen Pulp-Magazine sicher ein Begriff sein werden. Darüberhinaus präsentiert sie gerade mit den Hauptcharakteren Fleming und Escott zwei schillernde und unterhaltsame Figuren. Fleming akzeptiert seinen neuen Zustand mit trockener Ironie und findet schließlich sogar Gefallen daran, den bösen Bandenboss mit seinen vampirischen Tricks zu erschrecken (da er sich beispielsweise ganz dramatisch in Luft auflösen kann). Escott dagegen hat eine Theaterkarriere hinter sich, beweist Sinn für Theatralik und begegnet Fleming mit erfrischender Entspanntheit. Und auch wenn Elrod ziemlich unwahrscheinliche Haken schlägt, um die beiden zusammentreffen zu lassen, so verzeiht man ihr diesen Patzer recht schnell, da Fleming und Escott ein so effektives Paar abgeben.

„Vampirdetektiv Jack Fleming“ erschien in den USA bereits 1990, doch hier hat sich erst der |Festa|-Verlag der Romane von Elrod angenommen und bringt sie nach und nach als deutsche Erstausgaben auf den Markt. Mittlerweile besteht die Serie „The Vampire Files“ in den USA aus elf Titeln – Elrod ist also eine fleißige Schreiberin. Und als Bonus bleibt ihre Vampirmythologie gleich, sodass in Zukunft auch Crossover mit ihrer anderen Vampirserie um Jonathan Barrett möglich sein werden. Überhaupt, Jonathan Barrett, Elrods zweite Vampireserie. Wo Jonathan mit seinem Zustand als Vampir zunächst endlos überfordert ist und sich bei jedem neuen Einschussloch panisch fragt, ob er nun sterben muss, nimmt Fleming die ganze Sache viel entspannter. Er findet sich recht problemlos mit den neuen Gegebenheiten ab, beschafft sich einen Schrankkoffer, lässt sich per Taxi zu den berühmten Chicagoer Schlachthöfen fahren und setzt die Vorteile seines Zustandes gnadenlos ein, ohne dessen Nachteile zu beweinen. In dem Sinne thematisiert und problematisiert „Vampirdetektiv Jack Fleming“ den Vampirismus an sich viel weniger, als es in den Jonathan Barrett-Büchern der Fall ist. Was durchaus vorteilhaft sein kann, wirkt Fleming doch damit viel weniger weinerlich als Barrett. Seine schroffe und doch liebenswerte Art wird ihm schnell viele Leserherzen bescheren.

„Vampirdetektiv Jack Fleming“ ist eher ein Krimi mit Vampir-Held als ein Vampirroman mit Krimielementen. Gruslig wird es also nie wirklich. Dafür spart Elrod nicht mit Motiven des Detektivromans und der entsprechenden Brutalität. Da gibt es Folterszenen und genüsslich beschriebene Schlägereien. Wem das zu blutig anmutet, der sollte sich lieber an Elrods gemächlichere Jonathan-Barrett-Serie halten. Alle anderen werden am finsteren und gewalttätigen Chicago sicher ihre Freude haben!