Archiv der Kategorie: Sachbuch

Ballard, Robert D. / Archbold, Rick – Entdeckung der Bismarck, Die

Sie galt als der Stolz der Reichsmarine, 260 Meter lang, 32 Meter breit. Ein Ehrfurcht gebietender Stahlkoloss, gepanzert mit dreizehn Zentimeter starken Platten, ausgerüstet mit vier Waffentürmen zu je zweimal 380-mm-Geschützen, auch die „mittlere Artillerie“ entsprach in ihrem Kaliber in etwa dem, was auf anderen Schiffen großteils schon als Hauptbewaffnung galt. Ein Monstrum, gebaut und vom Stapel gelaufen zu nur einem Zweck: Tod und Vernichtung zu speien – vorzugsweise auf den Handelsrouten der Briten, um England im zweiten Weltkrieg auszuhungern. Die Rede ist von Deutschlands damaligem Prestige-Schlachtschiff „Bismarck“. Ihre einzige Fahrt der Operation „Rheinübung“ sollte gleichzeitig ihre letzte sein.

Auch ihr Schwesterschiff „Tirpitz“ stand unter keinem guten Stern und liegt heute – versenkt von Flugzeugen und Kleinst-U-Booten – im skandinavischen Osta-Fjord. Mit dem Verlust der Titanen fror Hitlerdeutschland den Bau weiterer Superschlachtschiffe ein, deren Ära eigentlich schon längst mit Erfindung des trägergestützten Flugzeugs ohnehin obsolet geworden war. Die alliierte Hetzjagd auf die |Bismarck| ist legendär und sie endete mit ihrer Versenkung im Ostatlantik. Der umtriebige Meeresgeologe Robert D. Ballard machte sich in den Achtzigern auf die Suche nach dem berühmtesten deutschen Wrack.

_Historisches_

19. Mai 1941 – Die |Bismarck| und ihr Begleitschiff |Prinz Eugen| versuchen in einer Nacht-und-Nebelaktion, unbemerkt von ihrem Stützpunkt im norwegischen Grimstadfjord zu ihrem Einsatzort im Atlantik zu gelangen. Operation „Rheinübung“ hat begonnen. Kurz zuvor wird das Kommando vom erfahrenen und besonnen Kapitän Lindemann an den bärbeißigen und großkotzigen Admiral Lütjens übertragen. Der wohl erste fatale Fehler in diesem Einsatz überhaupt. Zu ihrem weiteren Unglück bemerkt eine Aufklärungs-Spitfire der britischen Admiralität zufällig und trotz dichter Bewölkung die Kampfgruppe bei Bergen am Nachmittag des 22. Mai. In London schrillen verständlicherweise die Alarmsirenen: Die Hunnen haben ihr Monster tatsächlich von der Kette gelassen und es ist klar, dass es über Scapa Flow und die Dänemark-Straße (bei Grönland) durchzubrechen versucht.

24. Mai 1941 – Die Kreuzer |Suffolk| und |Norfolk| halten Fühlung mit dem Gegner, das gefürchtete Schlachtschiff |Hood| – der Nationalstolz der Briten – und sein Pfadfinder, die neue (und sehr unerprobte) |Prince of Wales|, preschen heran, um die deutsche Kampfgruppe zu stellen, nehmen aber versehentlich zuerst das Führungsschiff – die |Prinz Eugen| – statt des Hauptgegners |Bismarck| am frühen Morgen aufs Korn. Diese bleibt wie durch ein Wunder jedoch fast unbeschädigt. Nach sechs Minuten des Distanzgefechts erzielt eine Salve der |Bismarck| auf der |Hood| einen schweren Treffer, der das Schiff innerhalb von Sekunden auseinanderreißt und versenkt.

Doch auch die |Bismarck| kommt nicht ungeschoren davon. Nachdem die britischen Schiffe ihren Irrtum bemerken, können sie einige Treffer landen, die sie auf etwa 28 Knoten verlangsamen und ihren Treibstoffvorrat drastisch reduzieren. Der Einsatz des britischen Flugzeugträgers |Victorious| verläuft wie das Hornberger Schießen: Weder gelingt es den Briten, einen „Aal“ ins Ziel zu bringen, noch schafft es das frenetische Abwehrfeuer der |Bismarck|, einen der zerbrechlichen Flieger herunterzuholen. Pattsituation einstweilen. Die |Bismarck| ermöglicht durch eine Finte das Entkommen der |Prinz Eugen|.

25. und 26. Mai 1941 – Die britische Admiralität detachiert starke Kampfverbände, um die waidwunde |Bismarck| endgültig zu versenken, auch die britischen Träger |Ark Royal| und |Victorious| sind mit von der Partie, zudem das neue Flaggschiff |King George V| sowie kleinere Einheiten der Homefleet – genannt „Force-H“. Zwischendurch verliert man die Fühlung zu beiden Deutschen, doch Gevatter Zufall schlägt ein weiteres Mal zu: Ein Catalina-Flugboot der Coastal Guards spürt die beiden Schiffe auf, wird vom erbitterten Flak-Feuer zwar erwischt, jedoch nicht abgeschossen.

Die |Ark Royal|, der zweite Flugzeugträger im Operationsgebiet, entsendet ihre Doppeldecker des Typs Swordfish, diese sind je mit einem einzelnen Torpedo ausgerüstet. Die ersten Angriffswellen schlagen fehl, doch ein einziger Aal trifft die |Bismarck| an ihrer empfindlichste Stelle: dem Ruder. Es verkeilt sich und der ohnehin angeschlagene Titan kann nur noch im Kreis fahren – ganz wehrlos ist er deswegen noch nicht. Durch die Biskaya zu kommen und den rettenden Hafen von Brest zu erreichen, scheint immer unwahrscheinlicher.

27. Mai 1941 – Am frühen Morgen sichten das Großkampfschiff |King George V| und sein schwerer Begleit-Kreuzer |Rodney| dank des Fühlungshalters |Norfolk| die |Bismarck| und preschen heran. Das Gefecht startet auf 25 Seemeilen Entfernung und zieht sich über knapp drei Stunden hin, wobei die Distanz der Kontrahenten auf wenige Meilen schrumpft, sodass gegen Ende die Geschossbahnen sogar waagerecht ausfallen statt – wie sonst üblich – ballistisch. Während Treffer an oder unterhalb der Wasserlinie aufgrund des schweren Panzergürtels wirkungslos zu verpuffen scheinen, zeitigen die Einschläge auf dem Deck ihre Wirkung auf der |Bismarck|.

Ihr Abwehrfeuer verstummt nach und nach, je mehr die Aufbauten schweren Granatenbeschuss wegstecken müssen, um irgendwann gänzlich zu schweigen. 10:22 Uhr stellen die Briten das Feuer ein, die |Bismarck| ist ein loderndes, glühendes Wrack – doch sie schwimmt unvermindert. Lütjens erteilte unlängst den Befehl zur Selbstversenkung. Die |Dorsetshire| eilt heran, um aus nächster Nähe drei Torpedos abzufeuern, welche dem Schiff endgültig den Garaus machen sollen. Ob diese für den Untergang maßgeblich waren, erhitzte die Gemüter seither – Fakt: Um 10:39 kentert die |Bismarck| nach Backbord und sinkt Bug voran auf den 4,5 Kilometer tiefen Grund und ins Reich der Legenden.

_Meinung_

Robert D. Ballard – der Entdecker der |Titanic| – überkam es, eine weitere Expedition zu einem berühmten Wrack zu unternehmen, und die Duplizität der Ereignisse ist erstaunlich, denn wieder erweist sich ein verdammt fetter Pott als überaus scheues Reh, das sich den Blicken des Forscherteams zu entziehen vermag, gleichwohl sind auch wieder zwei Anläufe nötig, bis sich der Erfolg einstellt. Die erste Exkursion 1988 war ein Schlag ins Wasser und brachte bis auf das Wrack eines alten Segelschiffes nicht viel mehr als Hohn und Spott. Davon ab ist der Meeresgrund mit seinen Bergen, Tälern, tiefen Schluchten und Schlickfeldern – und das in ewiger Finsternis der Tiefsee in 4700 Metern – auch kein leicht zu erkundendes Terrain. Das Wetter und der Seegang in der Biskaya tun ihr Übriges. Expedition I wird gefrustet gecancelt. 1989 bricht das Team erneut auf – mit weiteren erbettelten Geldern. Natürlich gebraucht Ballard sein Rasenmäher-System, um die vermutete Sinkposition Streifen für Streifen abzufahren, diesmal jedoch mit einem anderen und moderneren Forschungsschiff. Am 8.6.1989 ist Neptun mit ihnen: Das bemerkenswert gut erhaltene Wrack taucht vor den Kameralinsen auf.

Ballards Bücher zeichnen sich vor allem durch eines aus: Das Hohelied auf die US Navy (deren Equipment er benutzt), die nicht enden wollende Litanei technischer Pannen und Erklärung seiner Suchmethode, also in der Summe: Ballard, Ballard und nochmals Ballard. Das kann ganz schön nervig sein auf die Dauer, denn kennt man eines seiner Bücher, kennt man, was das angeht, alle (mit wenigen Ausnahmen) – ein ausgesprochen publicitygeiler Selbstdarsteller und deswegen auch oft in die Kritik geraten. Dennoch: Ein fähiger Experte auf seinem Gebiet, dessen Suchoperationen im Endeffekt immer von Erfolg gekrönt werden. Das muss man ihm lassen. So nimmt leider auch in diesem Band das Drumherum ungebührlich viel Platz in Anspruch. Dabei meine ich jedoch nicht die historische Aufarbeitung seitens Co-Autor Rick Archbold, die gewohnt akkurat und neutral ausfällt. Bis das Wrack endlich auch bildtechnisch untersucht wird, sind gut zwei Drittel des Buches herum. Der Anfang zieht sich wie der sprichwörtliche Kaugummi, sieht man – wie gesagt – von den historischen Fakten zur Schiffsgeschichte einmal ab, die sehr interessant sind.

Ab dem Fund kann der Bildband dann auch endlich richtig punkten, denn auch das ist Ballard: Die Analyse der Schäden, Rekonstruktion der Ereignisse nach dem Untergang sowie die Verpflichtung seines Illustratoren Ken Marschall, ein exaktes Abbild des Ist-Zustandes grafisch festzuhalten, sind superb. Mit dabei sind auch wieder die ausklappbaren, großformatigen Panoramaansichten, welche die |Bismarck| damals und heute gegenüberstellen. Marschall zeichnet ein stimmungsvolles Bild des aufgefundenen Ground-Zero, sowohl auf dem Cover als auch später im Inneren des Buches. Die verwendeten Fotos sind selbst gemessen an heutigen Standards scharf und aussagekräftig, allerdings reichte die restliche Zeit der Expedition nicht ganz dafür aus, alle wichtigen Punkte zu klären, die für den Untergang der |Bismarck| verantwortlich gewesen sein mögen.

Ballard resümiert jedoch aus den gewonnen Daten, dass die Selbstversenkung und nicht die Torpedos letztendlich verantwortlich waren. Dass er damit Recht gehabt hat, beweist James Camerons ausführliche Dokumentation, dessen jüngst auf DVD erschienene Tauchfahrt zum Wrack die Thesen Ballards untermauert. Somit ist klar: Ballard mag ein Brusttrommler sein, ein unfähiger Idiot ist er ganz sicher nicht – im Gegenteil: Seine Analysen treffen trotz der spärlichen Informationen ins Schwarze. Obwohl Ballard diesmal nicht – anders als bei der |Titanic| – selbst in einem bemannten Tauchboot dem Wrack einen Besuch abstattet, sind seine Schlussfolgerungen aufgrund der gelieferten Bilder seines Tauchroboters sehr präzise und gelten heute als Lehrmeinung. Vollkommen zu Recht.

_Fazit_

Die Aufarbeitung des Bildbandes kann nicht an allen Stellen überzeugen, für mich ist da ab und zu ein wenig zu viel Brimborium drin, das nur mäßig interessant ist – zumindest für diejenigen, die den Sermon mit dem ballardschen Suchsystem schon kennen. Hier und da blitzt auch ein wenig unnötiger Pathos auf, darüber kann man aber hinwegsehen. Lichtblick ist Co-Autor Rick Archbold, der in späteren Werken gottlob auch mehr Gewicht bekommt. Klasse sind wie immer die Illustrationen Ken Marschalls und die Fotos von Wrack und Trümmerfeld. Leider ist dieser Tage nur noch die inhaltlich identische Taschenbuchausgabe problemlos erhältlich, der großformatige Bildband ist derzeit leider out of print und rarer. Schade, denn grade die Bilder wirken im Taschenbuch nicht annähernd so gut, dafür ist es wesentlich billiger zu haben. Als Nachschlagewerk sehr empfehlenswert, bekommt es aber leichte Abzüge in der B-Note.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Originaltitel: „The Discovery Of The Bismarck“
Ersterscheinung: 1990 – Madison Publishing Inc. / NY
Deutsche Ersterscheinung: 1990 – Ullstein / Berlin
Übersetzung: Karl-Otto von Czernicki und Ralf Friese
Zugrunde liegende Version: Hardcover / 8. Auflage 1994
Seiten: 236 / durchgängig bebildert + 2 ausklappbare Panoramen
ISBN: 3-550-06443-8 (Hardcover)
ISBN: 3-548-23298-1 (Taschenbuch)

Volker Gallé & Nibelungenmuseum Worms (Hrsg.) – Siegfried – Schmied und Drachentöter (Nibelungenedition 1)

Die Nibelungen erleben seit einigen Jahren eine große Renaissance und dies spiegelt sich in unzähligen Publikationen zu diesem Thema wider. Selbst in der Fantasy sind sie seit Wolfgang Hohlbeins „Hagen von Tronje“ und „Der Ring der Nibelungen“ populär geworden, nachdem diese früher ausschließlich von angelsächsischen Themen beherrscht war. Vor allem Worms, die Stadt des Nibelungenliedes, setzt in den letzten Jahren ihren touristischen Schwerpunkt auf die Nibelungen und ihr ist es mit den jährlichen Nibelungen-Festspielen im Sommer gelungen, Worms als Theaterfestspielstadt neben Bayreuth mit Wagners „Ring der Nibelungen“ international zu etablieren. An Fachliteratur erscheinen die Wormser Nibelungensymposien, veranstaltet von der Nibelungenlied-Gesellschaft, in jährlichen Bänden. Diese sind jedoch recht wissenschaftlich aufbereitet, und eine populärere Publikation, die auch für die breite Masse interessant ist, fehlte bisher. Dies hat sich nun mit der Gründung des |Worms|-Verlages geändert, welcher in Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung künftig die vielfältigen Thematiken, die sich aus der Sage ergeben, in Einzelbänden erarbeiten wird. Als Erstes erschienen ist der Band zu Siegfried, was durchaus gegen den Trend in der Gesellschaft zu sehen ist. Denn die Favorisierung von männlichen Heldenfiguren ist trotz der Filmindustrie eher unpopulär. Normalerweise wird das schon fast tabuisiert und speziell im Nibelungenlied richtet sich der Blick heutzutage normalerweise auf Hagen oder neuerdings auch aufgrund der feministischen Sichtweise auf die Frauenfiguren Brunhild und Kriemhild und deren Königinnenstreit.

Volker Gallé & Nibelungenmuseum Worms (Hrsg.) – Siegfried – Schmied und Drachentöter (Nibelungenedition 1) weiterlesen

O’Hanlon, Redmond – Ins Innere von Borneo

Natürlich ist ein Urlaub der etwas extremeren Art heutzutage auch für den Herausgeber der „Literarischen Beilage“ (Ressort Naturgeschichte) einer so ehrwürdigen Zeitung wie der britischen „Times“ nichts Außergewöhnliches mehr. Dennoch stellt sich der Leser dieses Reiseberichtes bald die Frage, wieso die Wahl Redmond O’Hanlons ausgerechnet auf den Dschungel der Insel Borneo fiel. So genau geht er selbst auf diesen Punkt nicht ein, aber wenn man zwischen den Zeilen nach einem Motiv sucht, wird es wohl dasselbe ein, das sein ehrgeiziger Landsmann George Mallory einst vor seiner letzten Reise zum Mount Everest so in Worte fasste: Weil er da ist.

Zur Everest-Expedition von 1924 gibt es noch eine bemerkenswerte Parallele: Mit Redmond O’Hanlon und seinem Freund und Begleiter, dem Lyriker (!) James Fenton, begeben sich zwei Männer auf große Fahrt, die man mit Fug und Recht (sie würden es selbst sogleich zugeben) auch als Gewinner eines Wettstreits der inkompetentesten Reisenden dieser Welt bezeichnen könnte. Dabei ist auch das Borneo des 20. Jahrhunderts (O’Hanlon & Fenton unternahmen ihren Ausflug bereits 1984) kein ungefährliches Pflaster; nur die Medikamente sind inzwischen besser geworden, was zu preisen unsere Reisenden mehr als eine Gelegenheit finden werden.

Nicht dass der Bücherwurm und der Dichtersmann völlig ahnungslos im Land des Orang-Utans gelandet wären. Sie betreten es sogar mit recht dezidierten Vorstellungen, die man wiederum als romantische Selbstmord-Phantasien umschreiben könnte: Was O’Hanlon über Borneo zu wissen glaubt, entnahm er großzügig den Reiseberichten seiner Vorgänger. Zwar dunkel ahnend, dass in den vielen Jahrzehnten, die seither verstrichen, sich einiges geändert haben könnte, freut er sich dennoch auf und fürchtet sich vor einer feuchtheißen Tropenhölle, die von blutrünstig-primitiven Kopfjägern und tückisch-faszinierendem Fabelgetier bevölkert wird.

Darauf will er lieber vorbereitet sein, trainiert mit den britischen Ledernacken und reist später wie jeder europäische Entdecker von altem Schrot und Korn schwer bewaffnet in die Wildnis, was auf dem Flughafen von Singapur unter reger Beteiligung der örtlichen Polizeibehörden für eine erste aufregende Episode sorgt. Endlich trotzdem auf Borneo (bzw. in Sarawak, einer Provinz des malaysischen Inselreiches) angekommen, wird zudem rasch deutlich, dass es nicht mehr weit her ist mit der insgeheim erträumten kolonialen Herrlichkeit vergangener Zeiten, als O’Hanlon und sein Gefährte sehr prosaisch im örtlichen „Holiday Inn“- unterkommen: Die Zivilisation hat die Tropeninsel längst erreicht.

Glücklicherweise findet sie dann doch unweit der wenigen größeren Städte ihr rasches Ende. Mit dem Wagemut der absolut Ahnungslosen haben sich O’Hanlon und Fenton für eine Expedition die Flüsse Rejang und Baleh hinauf in jenes Land entschieden, in dem das seltenste Tier der Welt (vielleicht) sein sagenhaftes Dasein fristet: das (ironischerweise nach seiner eigentlichen Heimat benannte) Sumatra-Nashorn. Klein, dunkel und mit einem Fell (!) bekleidet ist es dank der über Jahrzehnte ungeteilten Aufmerksamkeit von Wilderern und Jägern aus aller Welt heute so selten, dass jede Sichtung als Sensation gefeiert wird.

Sollte dieses Unternehmen scheitern, bleibt ja noch immer der aufregende Kontakt mit den Iban, den menschlichen Bewohnern Borneos, die nach Ansicht O’Hanlons stets ein wenig zu laut bekräftigen, die Kopfjagd inzwischen aufgegeben zu haben. Allerdings ist der echte Horror Borneos eher im Mikrokosmos angesiedelt. Dort warten u. a. 250 Fleisch fressende Ameisenarten und 1.700 höchst unterschiedliche Parasitenwürmer auf unvorsichtige Besucher. O’Hanlon spart nicht an gruseligen Details, die das Schicksal jener schildern, die sich nicht wie er und Fenton an jedem Morgen in Insektenpulvern und -sprays buchstäblich wälzen.

Überbordende Fruchtbarkeit auf der einen und ständiger Zerfall und Verwesung auf der anderen Seite machen auch den übrigen Teilnehmern der Expedition tüchtig zu schaffen: Alfred Russell Wallace, James Keppel, Charles Hose und Tom Harrisson sind nur die wichtigsten aus dem Kreise derer, die zumindest im Geiste allzeit um O’Hanlon sind; in Gestalt ihrer Bücher über Borneo nämlich, die der unverbesserliche Romantiker in großer Zahl dorthin geschleppt hat, wo ihre Lebensdauer arg begrenzt ist und aus denen er gern und oft zitiert. Von der Kritik ist ihm dies zum Vorwurf gemacht worden, doch hier gilt es wohl eher den Stil des Autoren zu achten. Die Zitate sind nicht nur klug gewählt und informativ, sondern sie konterkarieren auch das Dilemma, dem sich O’Hanlon ausgesetzt sieht: In Borneo ist die Steinzeit zwar an vielen Orten noch nicht zu Ende gegangen.

Trotzdem ist die Insel nicht das magische Wunderland, das er sich im heimischen Elfenbeinturm zu Oxford erträumt hat. Dort, wo die Vergangenheit noch fortlebt, enthüllt sie immer wieder recht hässliche Seiten. So muss der Reisende feststellen, dass die ihn bezaubernde weibliche Jugend in den Dschungeldörfern schlicht deshalb in der Überzahl ist, weil die meisten Einheimischen einer der vielen schrecklichen Krankheiten zum Opfer fallen, bevor sie alt werden können. O’Hanlon und Fenton bereisen Borneo nicht in Slapstick-Manier als zwei Männer im Boot (vom Rhinozeros ganz zu schweigen), wie der Klappentext suggeriert, sondern durchaus offenen Auges und wachen Geistes. Deshalb entgehen ihnen auch keineswegs die allgegenwärtigen Schrecken eines ungehemmten Raubbaus an der Natur: Es gibt keine Bodenschätze auf Borneo, nur das Edelholz des Dschungels, der deshalb rücksichtslos niedergeholzt wird. Die Menschen sind sich der Folgen durchaus bewusst, doch sie sehen keine Alternativen – und sie haben auch keine Lust, zum Frommen naturromantischer Westler ein tarzanoides Naturkinder-Dasein zu fristen.

Anlass zu echter Negativ-Kritik gibt indes ein Verdacht, der sich schon auf den ersten Seiten einstellt und im Verlauf der weiteren Lektüre schnell zur Gewissheit wird: O’Hanlon mischt Fakten und Fiktion um des Effektes vielleicht etwas zu freizügig in dem Bemühen, eine an sich interessante, aber eben nicht spektakuläre Reise für den Leser dramatischer zu gestalten, und inszeniert, übertreibt und überspitzt. James Fenton, O’Hanlons Begleiter, ist beispielsweise keineswegs der weltfremde Barde, der sich ebenso wagemutig wie ahnungslos ins Abenteuer stürzt, sondern ein erfahrener Kriegsberichterstatter, der in der Vergangenheit einigen Mut bewiesen und wohl nicht von ungefähr auf dem ersten nordvietnamesischen Panzer gesessen hat, der 1975 nach dem Fall von Saigon in die von den Amerikanern aufgegebene Stadt rollte. Auch mit dem Sumatra-Nashorn ist das so eine Sache; So selten es ist, man kann es immer noch finden, nur eben nicht dort, wo O’Hanlon es angeblich versucht hat. Das muss er auch gewusst haben, aber natürlich ist es im Nachhinein publikumswirksamer, eine Reise, die ihr Ziel aus verschiedenen Gründen verfehlt hat, zu einer romantischen Queste zu verklären.

So verbissen darf man aber vielleicht gar nicht an „Ins Innere von Borneo“ herangehen. Die Übergänge zwischen dem klassische Reisebericht und dem Abenteuerroman sind seit jeher fließend; wenn unsere beiden wackeren Briten auch nicht gerade viel Neues entdecken, lesen sich ihre Abenteuer doch amüsant, zumal O’Hanlon wirklich schreiben kann und seine wohl gesetzten Worte ihren Umweg zum deutschen Leser über die Übersetzung gut überstanden haben.

Übrigens hat der Autor die vielen drastischen Zwischenfälle der Borneo-Reise wohl besser verkraftet als er dies 1984 selbst gedacht hätte: Seither ist Redmond O’Hanlon noch mehrfach in anderen Dschungeln dieser Welt unterwegs gewesen und hat auch diese Reisen literarisch aufgearbeitet. „Kongofieber“, die Bilanz eines fünfmonatigen Aufenthaltes in den Tiefen des afrikanischen Kongos im Jahre 1989, hat in Form und Inhalt sogar die Ausmaße eines echten Epos‘ angenommen und gilt inzwischen als echter Klassiker der Reiseliteratur; ein Werk, das die O’Hanlons der Zukunft mit auf ihre Entdeckungsreisen nehmen werden.

Ballard, Robert D. – Geheimnis der Titanic, Das

Die Riege der Unterwasserforschungs- und Wrack-Publikationen des Titanic-Entdeckers Robert D. Ballard wäre alles andere als komplett, wenn ich nicht auch seinen Bestseller und zugleich sein Erstlingswerk unter die Lupe nähme, das ihm seinen heutigen Ruf erst verpasst hat. Das Objekt seiner damaligen Begierde hingegen brauche ich ich wohl nicht näher vorstellen: Die RMS Titanic (RMS steht für „Royal Mail Ship“) manchmal in alten Quellen auch als SS Titanic bezeichnet (für „Steam Ship“, also Dampfschiff). Kaum ein Schiff und die es umwabernden Legenden hat die menschliche Phantasie in Sachen tragischer Unglücke so beflügelt wie diese eine Katastrophe. Mich fasziniert die Geschichte bereits seit meinen frühen Kindertagen. Bis heute ist das Interesse daran ungebrochen – und nicht nur meines.

_Der Autor_
Robert Dwayne Ballard ist eine feste Größe geworden, der besagte Fund hat den Grundstein gelegt für den umtriebigen Doktor der Woodshole Oceanographic Institution. Dabei ist er eigentlich Meeresgeologe, der einst das Terrain der Unterwasserlandschaften kartographierte und erforschte. Zum ruhmreichen Titel des Godfathers unter den heutigen Wrackfindern kam er wie die Jungfrau zum Kind. Seine Tätigkeit für die US-Navy und die Entwicklung damals revolutionärer Tiefsee-Forschungs-U-Boote brachte ihm die Anfrage ein, ob er sich – gesponsort vom amerikanischen Militär und einigen anderen – mit seinem hierfür zweckentfremdeten Equipment statt doofe Steine, sturzlangweilige Felsen und an Ödnis kaum zu übertreffende Unterwassergräben zu erforschen, nicht lieber auf die Suche nach dem berühmten Liner machen wolle. Zuvor war 1983/84 schon der Milliardär Jack Grimm zweimal mit seinen privat finanzierten, medienwirksamen Expeditionen gescheitert, wie Ballard später nicht müde wird hämisch zu sticheln.

Er hat es grade nötig. Ballard ist nicht unumstritten, vor allem die Franzosen werfen ihm vor, sie bei der Titanic-Expedition (die man gemeinsam unternahm, der Ruhm jedoch ging alleine an ihn) herzlichst über den Löffel barbiert zu haben. Zumindest waren sie die ersten, die es wagten, seinem neu erworbenen Hochglanzimage ein paar fiese Dellen zu verpassen. Übersteigerte, mediale Geltungssucht ist das Schlagwort. Wer dieses und seine anderen Bücher mehr oder weniger aufmerksam liest, wird feststellen, dass dies gar nicht so weit hergeholt ist. In der Tat ist Ballard ein tüchtiger und fähiger Wissenschaftler, doch der stetige Erfolg seines gepriesenen Suchsystems ist ihm seit damals irgendwie zu Kopf gestiegen. Und wie das so ist, dreht sich die Spirale seither munter weiter: Mit jedem weiteren Wrack wächst sein Ego näher heran an den schmalen Grat des Größenwahns. Kein Wunder, dass er von vielen einer Kollegen mittlerweile geschnitten wird. Derzeit sucht er übrigens die Arche Noah … Petri Heil.

_Unsinkbar – Das Schiff und seine Geschichten_
Eine Menge Mythen ranken sich um das berühmteste Passagierschiff seiner Zeit, das seine Jungfernfahrt von Liverpool nach New York am 14./15. April 1912 denkbar außerplanmäßig beendete. Die unsanfte Begegnung mit dem Eisberg und die darauf folgende Tragödie ist hinlänglich bekannt. Ihre Berühmtheit hat sich bis heute gehalten, zudem kann der Untergang als sicheres Ende des „vergoldeten Zeitalters“ angesehen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Technikgläubigkeit gerade in England schier grenzenlos. Beinahe täglich neue Erfindungen, die das Leben einfacher und komfortabler gestalteten. Der Mensch im sicheren Glauben, die Natur mit Ingenieurskunst auf ewig besiegen zu können – das musste ja irgendwann schief gehen. Ihre Erbauer haben sich eine Menge pfiffiger und bahnbrechender Details einfallen lassen und doch hat es nicht gereicht, um alle Eventualitäten auszuschließen.

Die Titanic war das ikonische Sinnbild dieser euphorischen Ära: Gebaut nach dem letzten Schrei der Technik, mit viel Wert auf pompösen Luxus – weniger jedoch auf Geschwindigkeit und (wie sich in der schicksalsträchtigen Nacht überdeutlich zeigt) auch weniger sicher respektive „unsinkbar“, als man glaubte. Dieses oft bemühte Adjektiv stammt übrigens aus der Presse seinerzeit, die Reederei widersprach dem Superlativ aus Werbegründen natürlich absichtlich nicht. Im Nachhinein konnten sie mit Fug und Recht behaupten, so etwas nie gesagt zu haben. Der Legendenbildung ist das fehlende Dementi aber vollkommen wurscht. Die Realität hat den Nimbus, dass „nicht mal Gott persönlich dieses Schiff versenken“ könne, zerstört. Quid ad est demonstrandum. Gott war dazu nicht nötig, ein popeliger Eisberg reichte vollkommen. Eine ganze Epoche ging nicht nur metaphorisch mit der Titanic baden und beendete die bedingungslose Technikgläubigkeit.

Eine ganze Latte Falschinformationen und Halbwahrheiten hat sich hartnäckig gehalten; so wird sogar heute noch vielenorts unterstellt, Captain E. J. Smith und der Vertreter der White-Star-Reederei Bruce Ismay wären auf das Blaue Band (die Auszeichnung für die schnellste Atlantiküberquerung) aus gewesen. Das ist mit Blick auf die vergleichsweise schwachen Triebwerke der Titanic ausgekochter Dummfug. Dazu wäre sie niemals in der Lage gewesen – wenngleich Ismay nachweislich wohl mehr als einmal gedrängt haben soll, etwas mehr Tempo zu machen, um früher als geplant in NY anzukommen. Das kann man nachvollziehen, bedeutete es doch eine gute Werbung im hart umkämpften Markt, wenn der prachtvollste Pott aller Zeiten das Manko, dafür aber eine eine lahme Schnecke zu sein, ein wenig ablegen könnte. Das Blaue Band jedoch war niemals ein Thema oder auch nur annähernd in Gefahr. Das hielt die Cunard Line mit ihren viel stärker motorisierten Schiffen „Mauretania“ und „Lusitania“ jahrzehntelang.

Klassendenken, zu wenige Rettungsboote (kurios, aber mehr als der Gesetzgeber damals forderte), ein zu nördlicher Kurs, ein fataler Denkfehler in der Konstruktion, fehlende Ferngläser im Ausguck, spiegelglatte See, ein Fahrfehler des Ersten Offiziers, ein Schiff, das nicht zur Rettung erschien – die oft strapazierte „unglückliche Verkettung von Ereignissen“-Liste ließe sich fast beliebig fortführen, um diese Tragödie zu erklären, die vor allem in den Reihen der Zweite- und Dritte-Klasse-Passagieren dem Sensenmann eine große Ernte bescherten, ja ganze Familien auslöschte. Geschichten von Heldenmut, Tragödien, „Be British!“-Gedröhn und eine Band, die bis zum allerletzten Vorhang spielte, sind durch Zeugenaussagen überliefert und haben die Zeit überdauert. Der eigentlichen Grund für das rasche Absaufen konnte nie befriedigend geklärt werden.

Die Untersuchungskommission kurz nach dem Desaster konnte kein Licht ins Dunkel bringen oder wollte es zum Teil auch gar nicht. Mochten sich Zeugen auch noch so widersprechen, man ignorierte es. Man hing einem sehr falschen Schadensbild nach, doch man konnte es in diesem speziellen Punkt wirklich nicht besser wissen. Woher auch? Zu guter Letzt beschuldigte man sogar den Kapitän eines offensichtlich in der Nähe befindlichen Schiffes der unterlassenen Hilfeleistung. Beweisen konnte man Captain Lord sein vermeintliches Fehlverhalten nie so recht. Aber man hatte immerhin schon mal einen publikumswirksamen Sündenbock, den man zumindest für einen Teil der Opfer verantwortlich machen konnte. Man beeilte sich seinerzeit auffällig, die Untersuchung zu einem schnellen Abschluss zu bringen, es ging aus wie das Hornberger Schießen.

Heute weiß man mehr. Der Schaden war eigentlich gar nicht so riesig. Kein 90 Meter langer Riss im Rumpf, sondern „nur“ viele kleine. Diese dafür an besonders prekären Stellen. Das reichte, um den Titanen zu Fall zu bringen. Der Rumpf ist entzwei gerissen, dessen Teile stehen 600 Meter voneinander entfernt auf Grund. Ballard rekonstruierte anhand der Fundlage und Schäden den Ablauf des Untergangs zum ersten Mal schlüssig. Eine ausgefeilte Theorie, die aufgrund ihres sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrades weiterhin Gültigkeit hat. Es kommt nach Bergung einiger Stahlproben vom Wrack (durchgeführt Mitte der 90er vom Discovery Channel – ohne Ballard) sogar eine neue Komponente hinzu: Der Werkstoff soll minderwertig und kältespröde sein, dass heißt bei Temperaturen unter 0° C besonders zum Bersten neigen. Ein weiterer Sargnagel für das Ende des Schiffes in jener kalten Nacht mit Wassertemperaturen um -2° C.

Wie man es dreht und wendet, lange Zeit gab die sagenumwobene Titanic massig Stoff für Spekulationen und ungelöste Rätsel her. Je weiter die Zeit voranschritt, desto wilder wurden die Phantasien. Clive Cussler hebt die Titanic in seinem gleichnamigen Roman gar und lässt sie – logischerweise „etwas“ verspätet, aber immerhin – gesteuert von seinem Lieblingshelden Dirk Pitt in New York einlaufen. In seinem Kielwasser hatten Hebe-Hypothesen Konjunktur, das „Wie?!“ reichte hier vom klassischen Ponton bis hin zu äußerst schrägen Lösungen. Die Japaner kamen auf die Idee, das Wrack mit Tischtennisbällen zu füllen und ihm dadurch Auftrieb zu verleihen. Das ist schon mal schräg. Getoppt wird dieser Plan aber davon, das gesamte Schiff mittels flüssigem Stickstoff in einen künstlichen Eisberg zu verwandeln und diesen dann nach dem Auftauchen in einen Hafen zu schleppen. Das ist zwar kreativ, aber schon nicht mehr schräg, sondern höchst skurril. Einen kleinen Schönheitsfehler hat diese ganze Vorschuss-Kreativität allerdings: Zu diesem Zeitpunkt ist das Wrack noch immer verschollen.

Finden wollte man sie seit langem, doch erst nach 77 Jahren wird der zerschmetterte Leib der Königin der Meere am 1.9.1985 aufgespürt – auch Ballard braucht zwei Anläufe, bis er das dunkle Massengrab in fast 4000 Metern Tiefe fast auf den letzen Drücker seiner Expedition ortet. Endlich ein paar greifbare und belastbare Fakten, die aus dem Schlick des Meeresbodens ans Tageslicht gelangen. Man könnte nun annehmen, dass jetzt mit der Gewissheit endlich Ruhe im Gerüchte-Karton herrschen würde. Weit gefehlt. Robin Gardiner und Dan van der Vat gossen zum Beispiel auch lange nach dem Fund noch viel Atlantik-Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker und fabulierten von einem gewaltigen Versicherungsbetrug der Reederei. Statt der Titanic soll ihr Schwesterschiff Olympic vor Neufundland liegen. Absichtlich versenkt. Klar. Man sieht, Unmengen an Publikationen und Ideen. Manches gut recherchiert, anderes purer Humbug.

Mit der Totenruhe des Wracks ist es seit Ballards erstem Besuch Essig. Unvorsichtigerweise posaunte er gleich nach dem Fund die tatsächliche Sinkposition gegenüber einem seiner Sponsoren aus, was diese nicht für sich behielten. Dank moderner Technik hat sich das Wrack seitdem zu einem ziemlichen Touri-Magneten entwickelt – sofern man die Kohle dafür hat. Telly Savallas moderierte eine Fernsehshow von dort aus und James Cameron tauchte hinab, um an authentisches Filmmaterial für seinen verkitschten Streifen zu kommen. (Die Untergangssequenz stützt sich aber zu hundert Prozent auf Ballards Theorie, was ihn alleine deswegen sehenswert macht.) Russen sowie die Franzosen haben sich auch schon mehrfach dort unten getummelt; obwohl die Wissenschaft gerne vorgeschoben wurde, nicht immer zum Besten der alten Lady. Die Schatzjäger haben Teile gehoben und durch schiere Unachtsamkeit vermeidbare Schäden verursacht. Die oft postulierten Schätze hat man trotzdem nie gefunden.

Dabei haben sie sich den Zorn der internationalen Gemeinschaft zugezogen, die der Meinung ist, dass die Grabschänderei ein Ende haben muss. Hier muss man Ballard zugute halten, dass er von Anfang an gegen eine kommerzielle Ausschlachtung des Schiffes war. Denn um nichts anderes handelt es sich. Mal abgesehen davon, dass solche Plünderungen auch immer gefährlicher werden. So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Wrack begünstigt durch den starken Rostbefall unter seinem Eigengewicht zusammenbrechen wird. Schätzungen zufolge verwandelt sich die bis jetzt noch halbwegs ansehnliche Bugsektion in einigen Jahren in einen unförmigen Trümmerhaufen. Der Zerfallsprozess hat ein fortgeschrittenes Stadium erreicht. Das infolge einer Implosion beim Untergang schon arg gebeutelte (und dadurch wesentlich schlechter erhaltene) Heck gleicht jetzt bereits einem Schlachtfeld aus verdrehtem, rostigem Metall.

Noch reckt die Titanic stolz und trotzig ihren steilen Bug aus dem Schlamm, in welchem sie in aufrechter Lage ihre vorletzte Ruhe gefunden hat. Ein gespenstisches Bild. Irgendwann wird sie auch den allerletzten Kampf verlieren: den gegen die omnipräsente Korrosion. Die Natur lässt sich nicht nur nicht besiegen, sie fordert unerbittlich auch alles wieder zurück, was man ihr entnommen hat. In diesem Fall vielleicht sogar mit einem ironischen, siegessicheren Lächeln. Der Kreis hat sich dann geschlossen, und nur noch ein riesiger Rostfleck in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee wird zurückbleiben. Doch solange es eine Geschichtsschreibung gibt, existiert die gefallene Titanin in den Köpfen weiter und wird immer wieder zu ihrer schicksalsträchtigen Jungfernfahrt aufbrechen, von der es keine Wiederkehr gibt – als sinnbildliche Mahnung gegen menschliche Überheblichkeit und überkommenes Klassendenken.

_Das Buch_
Selbstverständlich rekapituliert ein solches Werk die Vorgänge von der Kiellegung über markante Wegmarken in ihrem recht kurzen Leben bis hin zum Untergang. Bis man allerdings bis zum fraglichen Teil des Fundes vorstößt, dauert es eine Weile und man muss Ballards Schwadroniererei hinsichtlich der Vorbereitung der Expedition und seines von ihm entwickelten Suchsystems über sich ergehen lassen. Inklusive einer ganzen Reihe technischer Defekte und der ersten fehlgeschlagenen Expedition unter seinem Kommando. Der Leser wird dröge in die hohe Kunst des „Rasenmähens“ eingeführt, ein guter Vergleich, wie ich finde. Hierbei wird der Meeresgrund tatsächlich streifenweise mit Sonar abgegrast. Ausgebrachte Transponder erlauben eine exakte Positionierung des eigenen Schiffes innerhalb dieses Sonar-Netzwerks, zusätzlich vertraut man auf GPS. Das hätte man aber getrost kürzen können und/oder stattdessen dem Wrack mehr Aufmerksamkeit widmen können. 252 Seiten sind für eine so umfangreiche Thematik, allein zur Titanic selbst, knapp bemessen.

Zugute halten muss man Ballard, dass diese ersten Suchfahrten zwar das Wrack zutage brachten, jedoch aufgrund widriger Umstände eine ausgiebige Begutachtung nicht zuließen. Erst 1989 kehrte er mit besserem Equipment noch einmal zurück und konnte zusätzliche Untersuchungen durchführen. Drucklegung der Erstveröffentlichung war aber schon 1987, also gut zwei Jahre nach dem spektakulären Fund und Auswertung der bisherigen Ergebnisse. Spätere Auflagen wurden mit den neueren Erkenntnissen bereichert und aktualisiert. Viel war das nicht, fügte aber weitere Puzzlesteinchen ins Bild, über die man vorher nur spekulieren konnte, die nun aber beweisbar wurden. Legendär ist Ballards Ausflug mit dem Tauchroboter „Jason“ in den großen Ballsaal, der erstmals faszinierende Einblicke ins Innere des Wracks gewährte. Vorher waren ihm nur Außenaufnahmen möglich gewesen.

Das Buch ist reichhaltig bebildert und lebt zum Teil alleine davon. Dies ist Ballards erste (und bis heute andauernde) Zusammenarbeit mit Illustrator Ken Marschall. Ein Glücksgriff. Niemand sonst versteht es, Wrack-Panoramen so akribisch-detailreich und stimmungsvoll mit dem Airbrush auf Leinwand zu bannen. Und das nur anhand von Beschreibungen und Bildausschnitten, denn man darf nicht vergessen, dass die Sichtweite des Lichtkegels in dieser Tiefe mit dem damaligen Equipment nur rund 15 Meter betrug. Zwei ausklappbare Panoramabilder zeigen seine eindrucksvolle Arbeit und auf den Rückseiten die Schnittzeichnung bzw. den Originalaufriss des Schiffes und eine Fotomontage des Ist-Zustandes aus der Draufsicht. Neben Marschalls zahlreichen Illustrationen sicher ein Highlight der Publikation. Der Text beinhaltet eine Menge interessanter Informationen und zeitgenössischer Darstellungen, hat aber einen leicht hochnäsigen und selbstdarstellerischen Unterton.

_Fazit_
Sieht man von der typisch Ballardschen Selbstbeweihräucherung mal ab, ist dies ein lohnenswertes Buch für alle, die sich für das berühmte Schiff und insbesondere das Wrack interessieren. Ballards Stil ist gewöhnungsbedürftig, das ändert sich mit erst mit späteren Projekten, bei denen er Rick Archbold als Redakteur, historischen Berater und Co-Autor stärker einbindet. Dieses Werk hier ist noch ziemlich Ballard pur, ohne Archbolds Feinschliff, mit allen seinen schon damals erkennbaren Schrullen – wenngleich der Vorfall mit den düpierten Franzosen immerhin Erwähnung findet und teilweise von ihm entschuldigt wird. Das muss man anerkennen, obwohl es sich aus seiner Feder naturgegeben anders darstellt. Bleibt zu erwähnen, dass die wertigere Hardcover-Ausgabe wegen der größeren Bilder vorzuziehen ist – beide Versionen sind mittlerweile out of print, jedoch sowohl als Hardcover als auch Taschenbuch immer noch recht problemlos erhältlich. Ein Dauerbrenner, wie das Thema an sich und Pflichtlektüre für Freunde („Fans“ erscheint mir in diesem Zusammenhang doch etwas pietätlos) der alten Lady.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Discovery Of The Titanic“
Ersterscheinung: 1987 – Madison Publishing Inc. / NY
Deutsche Ersterscheinung: 1987 – Ullstein / Berlin
Übersetzung: Ralf Friese und Jutta Wannenmacher
Zugrundeliegende Version: Hardcover / 7. Auflage 1993
Derzeit letzte Drucklegung: November 2000
Seiten: 252 / durchgängig bebildert + 2 ausklappbare Panoramen
ISBN: 3-550-07653-3 (HC) – out of print
ISBN: 3-548-23280-9 (TB) – out of print

Haines, Tim / Riley, Christopher – Weltraum-Odyssee. Eine Reise zu den Planeten

Die fünfköpfige Besatzung des Raumschiffs „Pegasus“ begibt sich auf eine mehr als sechs Jahre währende Reise durch das Sonnensystem. Planeten, Monde, die Sonne und ein Komet werden be- und untersucht, unzählige Experimente durchgeführt, gefährliche Unfälle gemeistert, bis man, das zerbeulte Schiff bis unters Dach mit Daten und Proben vollgepackt, im Triumph zur Erde zurückkehrt.
Wobei eine imaginäre Reise ins Weltall nicht gerade ein taufrischer Plot ist. Auch im Sachbuch hat es das schon gegeben. Das eigentlich Neue ist die verblüffend gut gelungene Verklammerung, welche die Grenze zwischen Fiktion und Fakten praktisch aufhebt. Die Reise der „Pegasus“ wurde von der BBC in Zusammenarbeit mit echten Wissenschaftlern so ‚realistisch‘ wie möglich geplant und ‚durchgeführt‘. So intensiv wie es eben im Rahmen einer TV-Show machbar und praktikabel ist, orientierte man sich an den Raumflügen der Vergangenheit, deren Realität man unter Berücksichtigung dessen, was in mehr als drei Jahrzehnten unbemannte Raumfahrt erkundet wurde, auf das „Pegasus“-Unternehmen projizierte.

Auf eine Expedition zu sämtlichen Planeten unseres Sonnensystems wird deshalb verzichtet: Die Physik verbietet es, da ein direktes Ansteuern derselben gar nicht möglich ist. Sonden und potenzielle Raumschiffe müssen die Gravitation anderer Planeten oder großer Monde nutzen, um zu beschleunigen oder abzubremsen, sonst reicht der Treibstoff nicht. Also wurde die Reiseroute gemäß der zum Zeitpunkt der „Pegasus“-Reise aktuellen Planetenkonstellation festgelegt. Sie lautet wie folgt: Venus (Landung) – Mars (Landung) – Sonne (Umkreisung in geringer Entfernung) – Planetoidengürtel – Jupiter (Vorbeiflug) – Jupitermond Io (Landung) – Saturn (Vorbeiflug und Ring-Untersuchung) – Pluto (Landung) – Komet Yano-Moore (Rendezvous).

„Weltraum-Odyssee“ ist das angebliche Protokoll dieser Reise. ‚Authentische‘ Einsatzbeschreibungen (in welche aktuelles Forschungswissen mehr oder weniger unauffällig einfließt) und persönliche Kommentare der Planetenforscher wechseln sich mit Artikeln zur realen Weltraumforschung in Vergangenheit und Gegenwart ab. Diese sind an den astronomischen Laien gerichtet, der sich anschließend tatsächlich informiert vorkommt, woran klare, einleuchtende Grafiken und vor allem eine verschwenderische Fülle großformatiger, meist farbiger ‚Fotos‘ (= tatsächliche Aufnahmen, die oft farbbereinigt, nachgeschärft oder sonst wie bearbeitet oder gleich vollständig digital geschaffen wurden) großen Anteil haben.

Doch nicht Information oder informative Unterhaltung allein lockt die Leser. Es geht auch um einen Traum: Was wäre, wenn … die Menschen endlich wieder selbst Raketen & Raumschiffe besteigen würden, um persönlich die Rätsel und Wunder des Alls in Augenschein zu nehmen, statt dies Raumsonden & Robotern zu überlassen? Natürlich können es die Maschinen besser und billiger. Eine Flut bemerkenswerter Daten und Bilder wurde gerade in den letzten Jahren vom Mars oder vom Jupitermond Europa gefunkt. Astronauten müssen sich nicht ewig in winzige Blechbüchsen quetschen, von kosmischer Strahlung rösten lassen, sich in permanente Lebensgefahr bringen.

Ein echter Fortschritt also – und doch … Der Mensch ist ein seltsames Tier: Ihm genügt der Eindruck aus zweiter Hand nicht. Er will die Welt be-greifen. Ohne diesen Drang säße er wohl immer noch in einer Höhle und würde einen Stock anbeten, wie es einst in einer klassischen TV-Comedy hieß. Allen berechtigten Einwänden zum Trotz will er selbst hinauf ins All, was natürlich gar nicht so dumm ist, weil sich ferngesteuerte Forschungsdrohnen trotz Hightech stets sehr beschränkt geben, was vor allem die Suche nach außerirdischem Leben frustrierend gestaltet. Diesen Zwiespalt zwischen Vernunft und Vision versucht das Team Tim Haines und Christopher Riley mit seinem aktuellen Filmprojekt zu schließen. Bisher ließ der britische Sender diverse Donnerechsen („Dinosaurier – Im Reich der Giganten“) und deren säugetierischen Nachfolger („Die Erben der Saurier – Im Reich der Urzeit“) digital wiederbeleben und außerordentlich quotenträchtig über die Bildschirme stapfen. Weil sich der daraus resultierende Aha-Effekt inzwischen abgenutzt hat, brach man buchstäblich zu neuen Ufern auf. Schon in früheren Serien hatte man sich unauffällig vom Konzept der strikt wissenschaftlichen Rekonstruktion verabschiedet und immer neue Gimmicks einfließen lassen; so konnte es beispielsweise durchaus geschehen, dass einem interviewten Forscher während seines Referats ein Digitaldino über die Schulter schaute oder ein Kollege eine Zeitreise in die Urzeit unternahm („Monster der Tiefe“).

Das Prinzip Brot & Spiele bzw. Infotainment, wie man diese Mischung aus Science und Fiction heute nennt, prägt auch und noch viel mehr als zuvor die „Weltraum-Odyssee“. Dieses Mal schlagen die Fakten die Fiktion indes um Längen. Selten zuvor ist eine Reise durch das Sonnensystem so faszinierend und langweilig zugleich gewesen. Der Spagat ist insofern misslungen, als der gut gemeinte und kluge Versuch, den ‚Faktor Mensch‘ in die fiktive Weltraumfahrt zu integrieren, auf TV-Format und mit politisch geradezu aggressiv korrekten Mustermensch-Schauspielern realisiert wurde, während die Bilder Kinoformat besitzen. An Bord eines Raumschiffs setzt sich trotz der permanenten Krisensituation, in der man sich eigentlich befindet, eine gewisse Routine durch, denn der Mensch ist anpassungsfähig. Routine fesselt freilich keine Fernsehzuschauer. Also werden diverse dramatische Zwischenfälle konstruiert. Diese sehen am Bildschirm spannend aus, lesen sich aber denkbar unspektakulär, weil sie in demselben pseudo-offiziellen, um Sachlichkeit bemühten Stil wie die Tagesberichte beschrieben werden. ‚Private‘ Aufzeichnungen der Raumfahrer sollen dagegen deren Einsamkeit, innere Ängste, Trauer etc. deutlich machen. Leider wurde auch hier jeglicher Funken echter Emotion getilgt – sei es absichtlich, um ein unpassendes Star-Trek-Feeling zu vermeiden, oder sei es, weil die Autoren mit der Niederschrift einer echten Rahmenstory schlicht überfordert waren.

Bleiben die eingeschobenen Sachartikel mit ‚echten‘ Bildern von Planeten und Monden und den dazu geleisteten Erläuterungen. Hier klappt die Vermittlung von Weltraumforschung ohne Schwierigkeiten, hier spielt das Team von „BBC Worldwide“ seine langjährige Erfahrung bei der Herausgabe inhaltlich auf den Punkt gebrachter, perfekt layouteter Sachbücher voll aus. „Weltraum-Odyssee“, der Film, ließ sich am besten genießen, wenn man (auch wegen der kriminell zu nennenden deutschen Synchronisation) den Ton abdrehte und sich auf die Bilder konzentrierte. Die sind einfach unglaublich. Der modernen Tricktechnik sind offensichtlich keine Grenzen mehr gesetzt – die Schauspieler stehen überzeugend auf fremden Planeten, deren Eigenheiten im Rahmen der bekannten Fakten jederzeit glaubhaft inszeniert werden. Für die Zukunft bzw. die weiteren Projekte der BBC in Sachen (Re-)Konstruktion des Unmöglichen wünscht man sich deshalb – egal ob Film oder Buch – ein Zurück zum Dokumentarischen & den Verzicht aufs allzu Zirzensische.

Volker Dehs – Jules Verne. Biographie

Zum 100. Todesjahr erschien diese Biografie des Schriftstellers Jules Verne (1828-1905) Volker Dehs stellt Verne nie als isoliertes Individuum, sondern als Bürger Frankreichs dar, das während des 19. Jahrhunderts gewaltigen Veränderungen und Entwicklungen unterworfen war. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich Vernes Leben und Werk wirklich deuten. Das geschieht in diesem Buch überzeugend; es darf daher mit Fug und Recht als Standardwerk bezeichnet werden (das sich manchmal ein wenig anstrengend liest, weil der Verfasser auf kein biografisches Detail verzichten mag). Mehr als 35 s/w-Abbildungen und umfangreiche Anhänge runden das Werk ab.
Volker Dehs – Jules Verne. Biographie weiterlesen

Ferreras, Pipín – Tiefenrausch

Francesco „Pipín“ Ferreras ist nach eigener Auskunft schon als Kind mehr Fisch als Mensch gewesen. Im bereits revolutionär angegammelten Kuba der 1960er Jahre bleibt ihm trotz castrogläubiger Eltern der Glanz des realen Sozialismus‘ verborgen. Pipín geht lieber tauchen und entwickelt dabei rasch bemerkenswerte Talente, die indes lange brachliegen müssen: Kuba ist kein Ort, an dem man wassertaugliche Bürger schätzt; Miami, die Höllenstadt des Erzteufels USA, liegt verführerisch nahe am Horizont.

Aber zum Ruhme Kubas lässt Fidel Castro den jungen Mann schließlich doch seine Tauchkunststücke auf der ganzen Welt vorführen. Pipín entwickelt sich rasch zu einem der besten Apnoetaucher der Welt: Mit nur einem Atemzug taucht er möglichst rasch und tief ins Meer, um erst Minuten später wieder aufzutauchen – „No Limits“ nennt sich dieses nutzlose, ja lebensgefährliche Gladiatorenspiel, das die Medien zunehmend fasziniert. Pipín will endlich an die Weltspitze, will viel Geld verdienen. 1993 flieht er aus Kuba und fängt ein neues Leben als professioneller Extremtaucher an.

Nach schwierigen Anfangsjahren kann er an seine früheren Erfolge anknüpfen. Er tritt im Fernsehen auf, wird interviewt, von Sponsoren umworben – und taucht tiefer und tiefer. Privat sieht es eher düster aus. Der junge Mann kann ist bereits zweimal geschieden und gilt als jähzorniger Kotzbrocken. 1996 lernt Pipín die deutlich jüngere Meeresbiologin Audrey Mestre kennen. Eine Liebe epischen Ausmaßes entspinnt sich, zwei Herzen schlagen fürderhin im Einklang & was der Hollywood-Klischees mehr sind. Vor allem aber findet Audrey Geschmack am Apnoetauchen. Sie übertrifft ihren Seelenverwandten, bald Ehemann und Lehrmeister bald deutlich.

Diese Gunst der Stunde will der in die Jahre kommende Pipín nutzen. Statt selbst zu tauchen, vermarktet er seine zunehmend erfolgreiche Frau. Audrey ist jung, hübsch und ertaucht zuverlässig Spitzentiefen. So kommt sie dem Weltrekord für Männer und Frauen immer näher. Eines Oktobertages im Jahre 2002 will sie ihn endgültig brechen und 170 Meter Wassertiefe erreichen. Sie schafft es, aber zurück an die Oberfläche findet sie nicht mehr …

Die Geschichte von Pipín & Audrey adelt ein Buch, für das sich ansonsten wohl nur die kleine Schar der Extremsportler interessieren würde. Aber „Tiefenrausch“ kann mit einer grandiosen Lovestory prunken – mit einer tragischen sogar, was ja den Kaufdrang der Tränendrüserdrücker-Fraktion seit jeher beflügelt. Gut, dieser Pipín Ferreras ist nicht gerade Brad Pitt – er bezeichnet sich selbst treffend als „glatzköpfigen, machohaften Kubaner“. Seine Ungeduld, seinen alle Grenzen der Vernunft sprengenden Ehrgeiz, seinen Neid auf – womöglich erfolgreiche – Konkurrenten spart er in der Aufzählung seiner Unarten lieber aus und lässt sie vorsichtig in seine biografische Rückschau einfließen.

Audrey dagegen muss wohl ein Engel auf Erden (bzw. unter Wasser) gewesen sein. Pipín sagt es uns in jedem Satz und wer’s immer noch nicht glauben mag, für den gibt es unzählige ganzseitige Fotos – farbig und schwarzweiß -, die immer wieder Audrey, Audrey, Audrey zeigen: beim Training, beim Gewinnen, bei Tanz mit einem erstaunten Rochen … Es will kein Ende nehmen, „Tiefenrausch“ ist ein gedruckter Audrey-Schrein.

Da gibt es freilich einige Schönheitsfehler. Vor allem müssen wir uns darauf verlassen, was Pipín Ferreras uns über seine Liebe und seine Tauch-Obsession erzählt. Audrey können wir ja leider nicht mehr fragen. Der Skeptiker weiß: Engel auf Erden gibt es eigentlich nicht. Kein Mensch ist ohne Fehler und Tadel, sonst wäre er ziemlich langweilig. Was Pipín selbst angeht, so spart er (s. o.) nicht mit Schlägen gegen die eigene Stirn. Er übernimmt sogar die Mitschuld für ihren Tod. Offensichtlich ist „Tiefenrausch“ einer von vielen Versuchen Ferreras, den tragischen Tod von Audrey zu verarbeiten.

Zumal dieser einerseits auf ein banales Versehen zurückzuführen ist: Der Luftsack, der Audrey an die Oberfläche tragen sollte, war nur teilweise gefüllt. Niemand hatte das nachgeprüft, stattdessen verließ sich ein Teammitglied auf das andere. Unter Wasser fehlte ein Begleittaucher; der Rekordversuch fand trotzdem statt – bisher war ja stets alles gut gegangen. So ging es weiter; eine Kette von minimalen Versäumnissen führte direkt in die Katastrophe. Man war eingelullt von der spielerischen Eleganz, mit der Audrey immer neue Rekordtiefen erreichte. Das machte leichtsinnig, was kein guter idealer Zustand ist, wenn einem 170 Meter unter Wasser die Luft wegbleibt.

Andererseits ist Pipín Ferreras die treibende Kraft hinter Audrey Mestre – und oft genug wohl ihr Dämon. Sie tauchte nach eigener Auskunft einfach gern, er machte daraus ein Rekordgeschäft. Wieso sie sich dagegen nicht wehrte, muss offen bleiben; Ferreras drückt sich in diesem Punkt recht vage aus und schwadroniert von der Macht der Liebe, die sich für ihn und Audrey vor allem unter Wasser entfaltete und das delfingleiche Paar als kosmische Einheit funktionieren ließ. (Allerdings merkt er sehr richtig an, dass er seiner lungenstarken Gattin keinen Sack mit Steinen um den Hals gebunden und sie dann ins Meer gestoßen hat; Audrey war erwachsen.) Außenstehende, d. h. Nicht-Apnoeisten, könnten das sowieso nicht verstehen. Damit liegt er zweifellos richtig; der boshafte Skeptiker mag zum Beispiel einwenden, man könne sich auch einen Backstein auf den Kopf schlagen, um Gott und viele Sterne zu sehen – und das ohne besondere Lebensgefahr. Genau die ist aber integraler Bestandteil des Extremsports, auch wenn das lieber nicht so deutlich formuliert wird.

Wie jeder Paulus blickt auch Pipín Ferreras mit wehmütigem Stolz auf seine Saulus-Jahre zurück. Natürlich findet er die weltweite Jagd nach immer neuen „No Limits“-Rekorden verwerflich, seit Audrey umkam und er nicht mehr mittun kann und mag. Bis er zu dieser Einsicht gelangte, war Ferreras jedoch die treibende Kraft unter den Apnoe-Extremtauchern dieses Planeten. Endgültig „geheilt“ von seinem Tauchwahn ist er wohl doch nicht; die Grenzen zwischen Sport und Spinnerei sind meist fließend.

Was man nicht Ferreras sondern eher seiner (nur auf dem inneren Titelblatt erwähnten) „Mitautorin“ Linda Robertson (Pipín hat übrigens schon mehrere Bücher „schreiben lassen“, da er sich eigentlich nicht zum Literaten berufen fühlt, aber kein Problem damit hat, seine erzählten Tauch- und Lebensgeschichten in gut honorierte Prosa verwandeln zu lassen) ankreiden muss, das ist sicherlich der schauerliche Auftritt Audreys als glücklicher Geist aus dem Jenseits, der dem gebrochenen Pipín bei dessen Gedächtnis- Rekordtauchgang von 2003 unter Wasser ein letztes Hallo zuwinkt. Solcher Schwachsinn wäre ansonsten nur verzeihlich, wenn der arme Pipín doch ein wenig zu lange die Luft angehalten hätte … Vielleicht ist diese Passage auch nur ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung von James Cameron. Der Regisseur von „Titanic“, der seit 1997 keinen Spielfilm mehr gedreht hat (bis auf zwei Dokumentationen), aber dem Meer treu geblieben ist, plant angeblich, Pipín und Audrey zu Helden eines neuen, nassen Blockbusters zu erheben (worauf man sich lieber nicht verlassen sollte).

Park, Robert – Fauler Zauber. Betrug und Irrtum in der Wissenschaft

„Voodoo Science“: Dieser wunderbare Begriff – im Deutschen nur unzulänglich mit „Fauler Zauber“ übersetzt – kennzeichnet ein Phänomen, das zwar so alt ist wie die menschliche Zivilisation selbst, aber erst in den letzten Jahrzehnten eine wahrhaft weltweite Dimension erreicht hat: Im Gewand der seriösen Wissenschaft erscheinen Scharlatane auf der Bildfläche und verheißen ihren Mitmenschen allerlei Wunder, die sie reich machen und ewig leben lassen werden. Doch hinter ihren aufregenden Versprechungen verbergen sich nur Dummheit, Selbsttäuschung oder gar Betrug. Sie täuschen nicht nur ihre Opfer mit oft traurigen Folgen, sondern fügen der Wissenschaft ernsten Schaden zu, indem sie ihren Ruf untergraben, ihr finanzielle Mittel und intellektuelle Kapazitäten entziehen und somit den echten Fortschritt verhindern. (Achtung: Ich warne gleich – Ihr Rezensent ist zwar dem Neuen gegenüber durchaus aufgeschlossen, reagiert aber trotzdem allergisch auf Maté-Tee & Sandelholz und zieht bei Grippe einen ordentlich Antibiotika-Stoß jedem Stussmorchel-Sud vor.)

Der Autor

Robert Park war bis 1981 ein Rädchen im Gefüge der Naturwissenschaften, die herauszufinden versuchen, wie die Welt tickt, in der wir leben. Obwohl er sich gut aufgehoben fühlte im Schoße der Forschung, war er kein weltfremder Reagenzglas-Schwenker, sondern durchaus vertraut mit der Realität außerhalb des Labors, die geprägt wurde von einem Werteverfall, der nicht nur das Ansehen der Wissenschaft, sondern sogar ihre Existenz bedrohte. Mittel wurden gekürzt, Forschung war „out“ und wurde besonders im Umfeld einer erstarkenden Umweltbewegung (gut) und eines anschwellenden „New Age“-Gewabers (ganz, ganz übel) geradezu verteufelt.

Statt sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen, trat die Wissenschaft die Flucht nach vorn an – und das bedeutete schon 1981, die Medien und damit die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. So sah sich Professor Park schließlich in Washington, der Schaltzentrale der Macht in den USA, wo er dem neu gegründeten Büro für Öffentlichkeitsarbeit der „American Physical Society“ vorstand. Nur ein Jahr wollte er eigentlich bleiben – es wurden zwei Jahrzehnte daraus. Park gibt selbst offen zu, dass er, der sich bis dato mit der „Molekularstruktur kristalliner Oberflächen“ beschäftigt hatte, den aufregenden Alltag an der Publicityfront nicht mehr missen mochte. Zu wichtig ist ihm außerdem der Kampf gegen Voodoo Science, dem er sich inzwischen verschrieben hat.

Inhalt

In zehn Kapiteln öffnet Park sein Gruselkabinett des Pseudo-Wissens, das manchmal erheitert, noch öfter allerdings erschreckt, weil so mancher Mosaikstein, den der Leser fest ins Gefüge seines Weltbildes zementiert hat, ins Bröckeln gerät. In welchem Maße wir alle uns manipulieren lassen und Opfer von Voodoo Science werden, ohne uns dessen bewusst zu sein – das ist schon eine deprimierende Erfahrung!

„Wie Voodoo Science verpackt wird“ belegt die alte Weisheit, dass sich seit den Tagen der Marktschreier & Rosstäuscher eines nicht geändert hat: Die meisten Menschen glauben dem am liebsten, der ihnen etwas erzählt, das sie hören möchten und sich dabei möglichst kurz fasst. Komplexe Erklärungen und Erläuterungen sind aber nicht nur dem Pöbel, sondern auch viel beschäftigten Politikern, (scheinbar) kühlköpfigen Geschäftsleuten und vor allem den Medien ein Gräuel. Davon profitieren seit jeher Betrüger, denen es bis auf den heutigen Tag immer wieder gelingt, zahlende Anhänger der eierlegenden Wollmilchsau, des Perpetuum Mobiles oder der „kalten“ Kernfusion zu gewinnen.

In „Das Gen des Glaubens – Die Strategien der Wissenschaft zur Wahrheitsfindung“ macht Park die Schwierigkeiten deutlich, vor denen umgekehrt die Wissenschaft steht, wenn sie – konfrontiert mit angeblichen Wundern, die clevere Köpfe ohne Schlaumeier-Diplom kreiert haben – quasi mit einem auf den Rücken gebundenen Arm erläutern muss, wieso trotzdem nicht ist, was naturgesetzlich nicht sein kann. Nach wie vor funktioniert der Fortschritt primär so: „Wissenschaft ist der systematische Versuch, möglichst viel Wissen über die Welt zu sammeln und dieses Wissen durch überprüfbare Gesetze und Theorien umzusetzen.“ (S. 53) Das ist in der Regel ein mühsamer, langwieriger und vor allem langweiliger Weg, denn „1. Neue Gesetze und Ergebnisse müssen zur unabhängigen Überprüfung durch andere Wissenschaftler freigegeben werden“, und „2. Anerkannte Fakten und Theorien müssen aufgrund neuer, verlässlicher Einsichten korrigiert werden.“ (S. 54) So und nicht anders ist die Prozedur, doch sie ist unbeliebt in einer Gesellschaft, die über den Geldbeutel denkt bzw. lieber dem Herzen (oder dem Bauch) folgt als dem Hirn: „Der Glaube an etwas, das jeglicher Vernunft zuwiderläuft, wird als Standfestigkeit und Courage interpretiert, während Skepsis zumeist als Zynismus einer schwachen Persönlichkeit angesehen wird.“ (S. 51) Hinzu tritt das übliche Misstrauen gegen „die da oben“, die sich hinter schwer verständlichen Worten und weißen Kitteln verbergen und den einfachen und daher redlichen Mann um sein schwer verdientes Geld bringen wollen.

Wie besagter Mann (und natürlich auch die Frau) sich auf diese Weise erst recht übers Ohr hauen lässt, verdeutlicht Park im Kapitel „Placebos haben Nebenwirkungen, die Menschen zur ‚Naturmedizin‘ bringen“. Hier dürfte ihm die Aufmerksamkeit seiner Leser – Freunde wie Feinde – sicher sein, ist die Homöopathie doch eine regelrechte Industrie mit Milliardenumsätzen. Welche Mechanismen ausgefeilten Schwachsinns es möglich machen, den gesunden Menschenverstand davon zu überzeugen, dass ein Tropfen Schlangenöl in drei Millionen Litern „erinnerungsfähigen“ Wassers ein unfehlbares „Heilmittel“ erzeugen, stellt der Verfasser ebenso knapp wie drastisch vor.

Mit „Der virtuelle Astronaut lässt die Menschen von künstlichen Welten träumen“ wird sich Park ebenfalls keine Freunde schaffen. In den USA ist er in Raumfahrtkreisen schon lange gefürchtet und verhasst für seine (gut begründete, aber halt unromantische) These, dass der Mensch im Weltraum nichts verloren habe, da er dort rein gar nichts ausrichte, das hoch entwickelte Roboter und Sonden nicht sehr viel besser erledigen können.

„Wir brauchen endlich ein Gesetz gegen die Thermodynamik“ umschreibt ironisch den Zorn der Pseudo-Wissenschaftler und ihrer Anhänger angesichts der Tatsache, dass es manchmal eben doch Kontrollinstanzen und sogar Gesetze gibt, die Deppenfang und Sektierertum und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten ärgerlich einschränken.

„Perpetuum Mobile – Der Menschheitstraum von frei verfügbarer Energie“ wird auch im 21. Jahrhundert mit derselben Inbrunst geträumt wie im Mittelalter. Die Konzepte für eine sich selbst in Gang haltende Maschine mögen zwar moderner anmuten, doch die Negierung der Naturgesetze und der inbrünstige Glaube von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten, an das Unmögliche sind klassische Größen, auf die sich Voodoo Science stets verlassen kann.

„Der Strom der Angst – Verursachen Hochspannungsleitungen Krebs?“ – Eine Mode-Furcht der jüngsten Vergangenheit, geboren aus Irrtümern, entwickelt von Toren und am Leben gehalten von skrupellosen Möchtegern-Forschern zum Erhalt von Fördergeldern und Arbeitsplätzen – und von jenen unverbesserlichen Predigern, die davon überzeugt sind, dass aller technischer Fortschritt letztlich von Übel ist und den Tag förmlich herbeisehnen, an dem sich Mutter Erde gegen ihre unverfrorenen Mieter wendet.

In „Am Tag des Jüngsten Gerichts wird die Pseudowissenschaft angeklagt“ beschreibt Park die infame Verbindung zwischen Voodoo Science, ihren verblendeten Opfern und opportunistischen Anwälten, die besonders in den USA die Eigenheiten eines Rechtssystems, das zwölf geistig möglichst schlichten Bürgern ein verbindliches Urteil selbst in hochkomplexen Tatbeständen zubilligt, eiskalt ausnutzen, um profitable Klage gegen die Naturgesetze zu führen.

„Nur Pilze wachsen im Dunkeln – und geheimgehaltene Voodoo Science“ – und natürlich ihre vielleicht hartnäckigsten Jünger: die UFO-Gläubigen, deren Adel jene Zeitgenossen bilden, an denen wissbegierige Außerirdische geni(t)alische Experimente vornahmen. Am Beispiel des „Untertassen-Absturzes“ von Roswell 1947 zeigt Park die absurden Automatismen auf, die ein Geheimnis oder eine Verschwörung genau dort am besten gedeihen lassen, wo keinerlei handfeste Beweise existieren.

„Wie seltsam ist das Universum? Wie alter Aberglaube als Pseudowissenschaft wiedergeboren wird“ markiert Parks fast hilflosen Versuch, noch einmal sachlich zu erklären, wieso die Sterne nicht den geringsten Einfluss auf die Menschen nehmen und Astrologie reiner Humbug ist. Aber gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens, lautet ein altes Sprichwort, und Park ist klug genug, diesen Faktor in seine Darstellung einzubeziehen.

Bücher wie dieses sind rar: kundig recherchiert, klug gegliedert, ebenso informativ wie unterhaltsam in Worte gegossen. Menschen wie Robert Park verdanken wir es, dass ein frischer Wind durch unsere Hirne weht, der so manche Spinnweben davonbläst. Natürlich werden dies nur jene zu schätzen wissen, die sich im Vollbesitz jenes zarten Pflänzchens wissen, das wir den gesunden Menschenverstand nennen. Park selbst weist resignierend darauf hin, dass er diejenigen Zeitgenossen, denen ein wenig Nachhilfe in Sachen Vernunft und Objektivität bitter Not täte, wohl nicht erreichen wird. Er erinnert an den Verschwörungs-Fetischisten Fox Mulder, in dessen Büro ein Poster mit der Aufschrift „I want to believe“ hängt. Es ist nicht ohne Grund im realen Leben ein unerhörter Verkaufsschlager geworden, denn es spricht ein Grundbedürfnis des Menschen an: In einer zunehmend konformen, globalisierten, kommerzialisierten Welt bietet Voodoo Science ein willkommenes Hintertürchen, der schnöden Realität zu entfliehen. Da gleichzeitig nicht nur die Schere zwischen Reich und Arm, sondern auch die zwischen Wissen und Ignoranz immer weiter klafft, gewinnen die Pseudo-Wissenschaften weitere Anhänger. Sie bieten einfache Lösungen für komplexe Fragen an, die immer weniger Menschen verstehen können – oder wollen. So beginnt der schlichte Glaube das Wissen, das man sich nun einmal erarbeiten muss, zu verdrängen – mit verhängnisvollen Folgen.

Dankbar muss man Park auch für seine offenen Worte zur Verteidigung der Wissenschaft sein. Heutzutage neigt man als Mitglied dieser scheinbar so elitären Kaste, der indes Menschen wie du und ich angehören, sehr oft dazu, sich selbst klein zu machen, sein Wissen zu verbergen und sich quasi dafür zu entschuldigen, von gewissen Dingen mehr zu verstehen als seine Zeitgenossen. Park stellt klar, dass dies der falsche Weg ist, der nur der Voodoo Science in die Hände spielt. Er findet damit die Zustimmung Ihres Rezensenten, der schon lange fest davon überzeugt ist, dass echte, unverfälschte und unheilbare Dummheit eigentlich selten ist, während Unwissenheit häufiger vorkommt, aber keine Schande ist – es sei denn, sie ginge einher mit der aus Faulheit geborenen Weigerung etwas zu lernen. (Das Talent, Geld zu scheffeln, gilt nach dieser Definition übrigens nicht zwangsläufig als Indiz für Intelligenz.) Park bietet diese Chance zum Lernen und zum Überdenken; in der Einleitung gibt er bekannt, dass er sich nicht in Expertendunst hüllen, sondern in klaren Worten die Dinge beim Namen nennen möchte. Er hält sich daran und zerstört damit womöglich manchen Traum – ein Preis, den man (trotz der nach Ansicht fachlich kundigerer Kritiker mäßigen, weil diverse Fachtermini falsch oder missverständlich wiedergebenden Übersetzung) gern zahlt, weil man den wahren Lumpen dieser Welt nach der Lektüre nicht mehr gar zu leicht auf den Leim kriecht!

Taschenbuch: 255 Seiten
ISBN-13: 978-3203810058
Europa

Patricia Cornwell – Wer war Jack the Ripper?

Thriller-Autorin Patricia Cornwell, weltberühmt durch die Serie um die kriminalistisch aktive Pathologin Kay Scarpetta, wartet in Sachbuch mit einem Knüller auf: der Entlarvung des historischen Super-Serienmörders Jack the Ripper! Ein deutscher Maler sei er gewesen, dämonisch schlau und nach dem Ende der West End-Mordserie weiterhin aktiv … – Jahre der aufwändigen Recherche in den Archiven und Labors der westlichen Welt und viele Millionen Dollar brachten dieses Buch hervor, das sich nahtlos einreiht in die lange, lange Reihe jener Werke, die immer neue Ripper-Gestalten in die Welt setzen, ohne jedoch liefern zu können, was allein überzeugen könnte: den ultimativen, schlüssigen Beweis. Patricia Cornwell – Wer war Jack the Ripper? weiterlesen

Bastian Sick – Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

Deutsche Sprache – schwere Sprache. Das weiß jeder Ausländer, der die Mühe auf sich nimmt, sie zu lernen. Aber im Grunde wissen wir Deutschen das auch selbst ganz gut. Wie oft ist schon über Spezialitäten der deutschen Grammatik diskutiert worden, wie oft fallen einem die regionalen sprachlichen Unterschiede auf und wie oft ist man schon selbst über so manche hinterlistige Gemeinheit des deutschen Sprachdschungels gestolpert.

Bastian Sick – Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod weiterlesen

Michael Benson – Jenseits des Blauen Planeten

Aus den Augen in den Sinn

Seit mehr als vierzig Jahren erforscht der Mensch das Weltall. Die relativ nahe am Heimatplaneten gelegenen Ziele nahm er noch persönlich unter die Lupe. Gleichzeitig drangen jedoch bereits unbemannte Raumsonden immer weiter vor. Bis zum heutigen Tag verdanken wir diesen technischen Dienern das Bild eines Sonnensystems, das beinahe bei jeder neuen Mission teilweise oder ganz auf den Kopf gestellt wird.

Satelliten und Sonden umkreisen fremde Planeten, Monde, Asteroiden, landen auf ihnen, nehmen Proben, machen Fotos. In vielen Jahren hat sich ein Archiv von Informationen und Bildern angesammelt, das wohl niemals vollständig ausgewertet werden kann – und die Flut steigt ständig höher. Michael Benson hat es unternommen, diese Archive zu durchforsten. Nicht weniger als eine Foto-Reise durch das Sonnensystem schwebte ihm vor. Solche Bildbände gab es schon oft, aber wohl niemals zuvor ging ein Autor so unbeeindruckt vom Wust scheinbar lebenswichtiger Fakten an seine Aufgabe heran. Michael Benson – Jenseits des Blauen Planeten weiterlesen

Erhard Schütz/Eckhard Gruber – Mythos Reichsautobahn

Schütz Gruber Reichsautobahn Cover 2006 kleinZwischen 1933 und 1941 realisierten die nationalsozialistischen Machthaber die „Reichsautobahn“. Nach 1945 wurde sie zum Mythos verklärt und galt als ‚gutes‘ Erbe der Nazi-Zeit. Die Autoren rücken dieses Bild nachdrücklich gerade, indem sie die Autobahn als Propaganda-Schöpfung und nur bedingt gelungenes Bauwerk entzaubern: ein faktenreiches, logisch gegliedertes, mit zahlreichen Fotos illustriertes Werk, das auch dem historischen Laien ein wichtiges Kapitel der zeitgenössischen Geschichte vor Augen führt.
Erhard Schütz/Eckhard Gruber – Mythos Reichsautobahn weiterlesen

Remy, Maurice Philip – Mythos Bernsteinzimmer

Ein kundiger Blick auf das Bernsteinzimmer bzw. den Mythos, der sich nach dessen von Geheimnissen umwitternden Verschwinden in den letzten Tagen des II. Weltkriegs darum entwickelt hat, präsentiert in fünf Kapiteln:

„Spuren“ (S. 7-18) leitet mit der aktuellen Geschichte des Bernsteinzimmers ein. Um die Jahrtausendwende schien es, als ob dieser Schatz nicht nur noch existiere, sondern die Wiederentdeckung unmittelbar bevorstehe. Plötzlich tauchten diverse Bestandteile des komplexen Meisterwerks auf dem (schwarzen) Kunstmarkt auf und fügten dem bizarren „Nachleben“ des Bernsteinzimmers ein neues Kapitel an. Alte und neue Legenden schossen ins Kraut – für Maurice Philip Remy der Anstoß den Versuch zu wagen, den Mythos zu entkleiden und dahinter die Realität zum Vorschein zu bringen.

Er beginnt mit der gesicherten Geschichte: „Das Kunstwerk“ (S. 19-74) zeichnet den Weg des Bernsteinzimmers nach: Entstanden um 1705 im Auftrag des Preußenkönigs Friedrichs I., schmückte es die Wände des Schlosses Charlottenburg. Sein sparsamer Sohn, der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., schenkte es mit diplomatischen Motiven dem Zaren Peter I., der es einlagern ließ, bis es seine Tochter und Nachfolgerin Katharina die Große endlich einbauen ließ. 1755 landete es in ihrem Sommersitz in Zarskoje Selo, dem Zarendorf vor den Toren von St. Petersburg. Dort blieb es und verfiel allmählich, überlebte den Untergang des Zarenreiches und den Bildersturm der Bolschewisten

„Der Ortswechsel“ (S. 75-136) rekonstruiert den letzten Weg des Bernsteinzimmers. 1941 fiel es nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion den Nazis in die Hände, die es in die Ordensburg von Königsberg, der Hauptstadt Ostpreußens, schafften. Dort verliert sich in den Wirren der letzten Kriegswochen 1945 seine Spur. Die viel versprechenden Fährten greift der Verfasser auf, der die lückenhaften, einander oft widersprechenden Belege so interpretiert, dass die Bernstein-Kleinodien mit dem Königsberger Schloss zu Grunde gingen.

„In eigener Sache“ (S. 183-202) nennt Remy das letzte Kapitel, in dem er seine eigene Verwicklung in die „Geschichte“ des Bernsteinzimmers nach 1945 darlegt. Seine Erlebnisse, Fehlschlüsse und Erkenntnisse spiegeln die bizarre „Schatzsuche“ wider, die seit sechs Jahrzehnten von gestandenen Historikern, Lokalpolitikern, Träumern und Spinnern betrieben wird. Jeder versunkene Nazibunker, jeder gesprengte Stollen, jeder staubige Keller zwischen St. Petersburg und den Alpen wurde ausgegraben und durchwühlt – vergeblich, da vom originalen Bernsteinzimmer nur der Traum geblieben ist. Der ist freilich unverwüstlich.

Ein ausführlicher Anhang listet Fußnoten auf und legt die Quellen offen, aus denen Autor Remy schöpfte. Ein nützliches Register fehlt ebenso wenig wie ein Abbildungsverzeichnis und eine Karte. Zahlreiche, oft großformatige und farbige Abbildungen – moderne und zeitgenössische Fotos, Wiedergaben alter Stiche, Karten etc. – illustrieren den Text und ergänzen ihn gleichzeitig.

Das Bernsteinzimmer ist also dahin – wer dieses Buch liest, wird daran kaum mehr zweifeln – solange er oder sie sich offenen Geistes dem heiklen Thema widmen möchte oder kann. Wie der Titel des hier vorgestellten Buches deutlich macht, ist das Bernsteinzimmer nicht nur ein historisches Kunstobjekt hohen Ranges. Mehr noch ist es inzwischen ein Mythos geworden, von dem viele Mitmenschen nicht lassen können oder wollen. So schön ist es gewesen, dass es einfach nicht zerstört sein d a r f.

Die Wirren der Vergangenheit kommen dieser Sichtweise entgegen. Obwohl das Zimmer erst vor sechs Jahrzehnten verschwand, geschah dies auf eine Weise, die praktisch jeglicher Spekulation Tür & Tor öffnet. Dazu kommen die geeigneten Finsterlinge: die Nazis, hier verkörpert durch den dämonischen Gauleiter Erich Koch und seine Schergen. Aber auch in den Jahrhunderten zuvor tummelte sich allerlei Prominenz in den geschnitzten Bernsteinwänden. Friedrich Wilhelm I. von Preußen, sein Sohn – der „Alte Fritz“ -, Peter der Große, Katharina die Große – gekrönte Häupter und zwielichtige Gestalten verkörpern lebendige Geschichte sowie den Hang des Menschen zum romantischen Goldfieber!

Die historische Realität sieht weniger glanzvoll aus. Das prächtige Bernsteinzimmer wurde quasi auf Sand erbaut – Material sparend schnitt man den kostspieligen Bernstein in Scheiben und klebte ihn ganz prosaisch auf Gipsplatten. Außer hui, innen pfui, denn für das raue Klima Preußens oder gar Russlands war solch’ filigrane Kunst definitiv zu empfindlich. Schon kurze Zeit nach Fertigstellung fing das schöne Werk zu bröckeln an, was es fortan bis zu seinem Untergang fortsetzte. Die Ironie dabei: Das Bernsteinzimmer, das 1945 verschwand, war längst nicht mehr das Bernsteinzimmer von 1705 – man hatte es bereits mehrfach zur Gänze restaurieren müssen und dabei ständig verändert.

Nicht einmal eine Spitzenposition unter den Meisterwerken der Kunstgeschichte wollte man ihm zubilligen. Die Zeitgenossen gingen jeweils recht rüde mit dem Bernsteinzimmer um. Erst als es verloren war, wollte es jede/r haben. Dabei weiß Remy anschaulich zu machen, dass es egal ist, ob es nun verbrannt ist oder in einem Versteck überdauert hat: Feuchtigkeit und Kälte haben ihm ohne ständige Pflege längst den Garaus gemacht. Doch die Beweise für die Vernichtung im Königsberger Schloss sind überzeugend. Remy hat sich die Mühe gemacht, hinter Gerüchte und Legenden zu blicken. Vor allem ging er an die Originalquellen und förderte dabei Erstaunliches zutage. Es sind halt doch nicht alle Unterlagen verschwunden. Man muss sie nur suchen – und finden wollen! Dann verkünden sie die traurige Wahrheit, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existiert.

Was wiederum auch nicht stimmt: Im Katharinenpalast zu Zarskoje Selo kann es seit 2003 in seiner vollen Pracht besichtigt werden. Mehrere Jahre der Planung, der Arbeit und der Finanzkrisen hat es gekostet, aber dann war es wiedererstanden: das neue Bernsteinzimmer, eine Eins-zu-eins-Kopie des Originals, das selbst die meiste Zeit so großartig nicht ausgesehen hat.

Doch weiterhin wird viel Zeit und Geld in die Suche nach dem „richtigen“ Zimmer investiert. Jeder Strohhalm wird ergriffen. Ist Schliemanns Schatz von Troja, ebenfalls 1945 verschwunden, nicht unlängst unversehrt in russischen Museumsarchiven zum Vorschein gekommen? Ist das nicht der „Beweis“ dafür, dass es dem Bernsteinzimmer ebenso ergangen ist? Und so geht die Jagd weiter – mit neuen komischen und tragischen Kapiteln, die sich nahtlos an die Historie und die Histörchen reihen, die Verfasser Remy mit bewundernswerter Sachlichkeit zu präsentieren weiß.

Maurice Philip Remy wurde 1962 in München geboren. Nach Abitur und dem Studium der Kommunikationswissenschaften leistete er Pressearbeit für das Volkstheater München und arbeitete als freier Journalist. Später wechselte er zum Dokumentarfilm, wurde Redakteur, Aufnahmeleiter, dann Redaktionsleiter bei „Top Video Film- und Fernsehproduktion“. Der nächste Schritt: Remy schrieb und inszenierte selbst. Ihm verdanken wir u. a. Episoden unsterblicher (bzw. nicht umzubringender) TV-Dauerbrenner wie „Vorsicht Kamera“ und „Verstehen Sie Spaß?“

Für das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen dreht Remy aber auch historische Dokumentationen, wobei er seine Themen meist im Umfeld des „Dritten Reiches“ und des II. Weltkriegs findet. Darüber hinaus veröffentlichte Remy diverse Publikationen; neben „Mythos Bernsteinzimmer“ die Bücher „Mythos Rommel“, „Mythos Widerstand“ und „Dimension PSI“.

Robert D. Ballard – Rückkehr nach Midway

Schiffswracks interessieren mich nicht nur vom historischen / archäologischen Kontext her, sie umgibt als düstere Zeugen von Katastrophen und Tragödien etwas gespenstisch Düsteres & Geheimnisvolles, das mich seit jeher in seinen Bann schlug. Angefangen hat diese Manie, als ich zum ersten Mal vom Unglück der Titanic in meinen Kindertagen hörte, seither stapelt sich Buch um Buch in meinem erklecklichem Fundus. War meine Sammelwut zuerst nur auf dieses wohl berühmteste Schiffswrack der Geschichte fokussiert, habe ich mittlerweile ein zweites Steckenpferd entdeckt – meine Vorliebe für Seeschlachten – und dadurch eine ganze Menge anderer Titel meiner kleinen Bibliothek einverleibt.

Robert D. Ballard – Rückkehr nach Midway weiterlesen

Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach

Inhalt:

Der 27. August 1883 ist ein Tag, den nicht nur Augenzeugen nie vergessen werden. Krakatau ist ein unbedeutendes Eiland in der ostindischen oder besser indonesischen Inselwelt zwischen Sumatra und Java. Batavia, die koloniale Handelsmetropole, liegt zwar nur einige Schiffsstunden entfernt an der javanischen Nordküste, aber auch dort hat seit jeher kaum jemand einen Gedanken an die von sich hin rumpelnde Vulkaninsel verschwendet. Hier und da hat die Erde in den letzten Monaten zwar gezittert, aber was soll schon geschehen? Die geschäftigen und geschäftstüchtigen niederländischen Kolonialherren haben Ostindien fest im Griff und sonnen sich im Glanz ihrer politischen, wirtschaftlichen und (angeblich) kulturellen Überlegenheit.

Tief unter der Erdoberfläche staut sich seit geraumer Zeit ein Gemisch aus heißem Gas und Magma an, das keinen Raum zum Entweichen findet. Als die Erdkruste dem Druck nicht mehr standhalten kann, kommt es zur Katastrophe: Krakatau, eine Insel von 130 qm Größe, fliegt in die Luft, wird in Myriaden kleiner Stücke zerrissen. Der Knall ist noch 4700 Kilometer entfernt vernehmbar. Die Druckwelle rast siebenmal um den Erdball. Das Wasser des Ozeans türmt sich zu mörderischen Wasserwänden auf, die den indonesischen Archipel heimsuchen und ganze Inseln tier- und menschenleer spülen. 36000 unglückliche Insulaner verlieren ihr Leben. Das Klima der gesamten Erde wird auf Monate in Mitleidenschaft gezogen. Knapp 40 km hoch hat der sterbende Vulkan Asche, Staub und Steine geschleudert. Gigantische Wolken werden über den halben Globus getrieben, sorgen für einen quasi atomaren Winter und spektakuläre Sonnenuntergänge. Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach weiterlesen

Stone, Richard – Mammut – Rückkehr der Giganten?

Pelzige Elefanten stapfen durch sibirisches Schnee und Eis, während sich in Nordägypten erschöpfte Bürger des Feierabends am Anblick der Pyramiden erfreuen – das ist keine Science-Fiction, sondern Realität: Das Mammut ist tatsächlich erst vor 3.700 Jahren ausgestorben.

Ist es das wirklich? Diese Frage wird uns in diesem spannenden Buch gleich mehrfach gestellt. Autor Richard Stone stellt die Rüsseltiere des Pleistozäns als Zeitzeugen, aber auch als Mysterium der Gegenwart vor: Eine bizarre Laune der Natur führt dazu, dass Mammuts in ewigem Eis und Permafrost ihrer seit jeher kalten Heimat fast komplett erhalten blieben. Wir müssen sie anders als die Dinosaurier nicht aus zusammengepuzzelten Knochen mühsam rekonstruieren (oder digital neu erschaffen), sondern können sie uns anschauen, sie berühren und erforschen. (Sogar ihr Fleisch haben wahrlich wagemutige Forscher probiert – sie überlebten es, konnten das Experiment aber niemals weiterempfehlen.)

So kennt die Wissenschaft das Mammut beinahe genauso gut wie den Afrikanischen oder Indischen Elefanten der Gegenwart. Stone lässt es in allgemein verständlicher Sachbuch-Sprache in seiner eiszeitlichen Umwelt wieder durch Europa, Asien und Nordamerika ziehen, von Urmenschen gejadt werden (oder war es eher umgekehrt?) und allerlei zeitgenössischen Unbilden trotzen.

Im Mittelpunkt des Beschriebenen steht dann die Frage, wieso ein so perfekt an seine Umwelt angepasstes und keineswegs „primitives“ Tier aussterben konnte. War es der schon damals böse Mensch (eine lieb gewonnene Theorie weltverbesserischer Naturapostel), ein Supervirus, eine Klimaveränderung (noch kälter oder zu warm stehen zur Auswahl) oder gar von allem ein bisschen? Jede Theorie hat ihre Anhänger.

Weiterhin rankt sich Stones Mammutbuch um die spannende Frage, ob es gelingen könnte, die Pelzrüssler zurück ins Leben zu rufen. Das erinnert sehr an die „Jurassic Park“-Filme Hollywoods, denn auch hier soll „Cloning“ das Zauberwort sein: Jede Zelle enthält die kompletten Informationen, die ein neues Lebewesen für seine Entstehung braucht. Also suchen wir einfach ein gut gefrostetes Mammut, entnehmen ihm eine intakte Zelle, pflanzen sie einer (bei Gelingen zweifellos erstaunten) Elefantenkuh ein – und zwei Jahre später (so lange dauert es bis zur Geburt) steht ein langmähniger Jumbo vor der versammelten Weltpresse!

So dachte sich das jedenfalls der Genetiker Kazufumi Goto, der mit mehr Geld als Verstand ausgestattet durch Sibirien reiste, um einen geeigneten Spender-Kandidaten zu finden. Aber wie heißt ein Mammutsucher-Sprichwort so schön: „Du kannst kein Mammut finden – es muss dich finden.“ Hohn und Spott und ein ausgetrockneter Fetzen Rhinozeroshaut waren daher der einzige Lohn für den Pionier.

Mehr Glück war dem Franzosen Bernard Buigues beschieden. Sicher wird sich so manche/r noch an die Bilder erinnern, die damals durch die Medien gingen: Unter einem Hubschrauber hängt ein gewaltiger Eisklotz, aus dem vorne theatralisch zwei geschwungene Stoßzähne ragen.

Dass diese mit Eisenklammern nachträglich befestigt wurden, um dem Sponsor „Discovery Channel“ einprägsamere Bilder zu bescheren, wurde damals nicht so deutlich angesprochen wie Stone dies nun nachholt. Er selbst war mehr als einmal in Sibirien und hatte auch die Buigues-Expedition besucht. (In dem Klotz steckten außer viel Frostmatsch übrigens nur ein paar Knochen.)

Also gilt es weiter zu hoffen, zu forschen und zu klonen. Gern hätte Stone sein Buch mit dem Knalleffekt einer bevorstehenden Auferstehung ausklingen lassen; er muss sich mit spannenden Fakten und spinnenden Träumern zufrieden geben.

Falls die Vorstellung des Buches im Rahmen dieser Besprechung dem Leser etwas sprunghaft vorkommt, so liegt dies durchaus in der Absicht des Rezensenten. Auch Stone mäandert durch sein Thema, springt von (trotz der düsteren Umgebung farbenfrohen) Impressionen diverser Reisen durch den Wilden Osten der zerfallenen Sowjetunion zur Entdeckungsgeschichte berühmter Mammut-Kadaver, weiht uns in die Geheimnisse des Klonens ein, lässt dann die Welt der Eiszeit neu erstehen, erzählt von weiteren Reisen, weiß noch etwas übers Klonen … Es fehlt ein wenig der rote Faden, was indes wenig ausmacht. Das unsterbliche Mammut erledigt seinen Teil; von seiner Wiederkehr als Ei(s)spuk mag man gern weiterlesen.

Richard Stone hatte in der Tat gewisse Schwierigkeiten mit der Niederschrift dieses Werkes. Sein ausführliches Nachwort deutet dies nicht nur an. Mit einjähriger Verspätung legte er es schließlich vor. Strukturell hat es weiterhin deutliche Schwächen. Inhaltlich könnte man ihm höchstens eine gewisse Leichtgläubigkeit vorwerfen. Aber das würde den Kern der eigentlichen Kritik verfehlen: Stone ist in Sachen Mammut Mulder & Scully in Personalunion: Er will glauben, aber er kann es nicht. Die harten Fakten kollidieren immer wieder mit seinem Traum, das Mammut dereinst wieder durch die Eissteppe schlüren zu sehen. Der Traum obsiegt, aber es klingt hohl, wenn Stone seinen Glauben an den zukünftigen Sieg der Genetik über den Artentod bekräftigt.

Kein Wunder, denn Stone selbst hat die Karten offen auf den Tisch gelegt: Es ist faktisch unmöglich, ein Mammut zu klonen. Es funktioniert ja nicht einmal bei einem lebenden Säugetier mit blutfrischen Zellen. Wer erinnert sich nicht an Klonschaf „Dolly“, Überlebende einer langen Reihe gruselig fehlgeschlagener Experimente. (Hat jemand „Alien 4“ mit den eingedosten Ripley-Klonen gesehen?) Kaum sechs Jahre nach ihrer Geburt begann Dolly auseinander zu fallen und musste eingeschläfert werden.

Es ist also ein langer Weg bis zur Rückkehr des Mammuts. „Pleistocene Park“ wird noch geraume Zeit leer stehen. Aber „Mammut“ ist auch die Geschichte sympathischer und exzentrischer Visionäre, die unsere Welt so dringend braucht, damit sie nicht den Sparschweinen und Spielverderbern in die Hände fällt.

Richard Stone ist ein mehrfach preisgekrönter Wissenschafts-Journalist, der für Magazine und Zeitungen wie „Discover“, „Washington Post“, „Moscow Times“ und zahlreiche andere Publikationen geschrieben hat. Er hat an der Cornell University und dank eines Stipendiums in Russland studiert.

Ballard, Robert D. / Archbold, Rick – Versenkt im Pazifik – Schiffsfriedhof Guadalcanal

Ein Schauplatz erbitterter Kämpfe zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sind die Pazifik-Insel Guadalcanal und der darauf befindliche Flughafen „Henderson Field“ von Japan und Amerika während des WK II heiß umkämpft, doch in der Konsequenz ziemlich unwichtig gewesen – Als eine tragische Ironie des Krieges lieferten diese taktisch eigentlich unsinnigen Kämpfe den größten bekannten Schiffsfriedhof, der dem Meeresgrund dort auch den treffenden Namen „Eisen-Sund“ einbrachte, weil unzählige Wracks sich dicht an dicht in der Tiefe quasi aneinander reihen. Die dort abgehaltenen Seeschlachten standen seit jeher im Schatten der Land- und Luftkämpfe, die dieses idyllische Eiland immer wieder heimsuchten.

Bekannt geworden ist Guadalcanal daher auch eher durch Serien wie „Pazifik-Geschwader 214 – Die schwarzen Schafe“ oder neuerlich mit dem Anti-Kriegs-Streifen „Der schmale Grat“. Dass sich dort ganze Kriegsschiff-Flotten unerbittlich beharkt haben, ist dagegen zumindest hierzulande fast in Vergessenheit geraten. Robert D. Ballard hat sich 1993 wieder einmal mit seinem beispiellosen Tiefsee-Equipment aufgemacht, um den dort liegenden stummen Zeugen des Wahnsinns einen Besuch abzustatten … Ganze 13 gespenstische Wracks wurden von seinem Team gefunden und erforscht, was der vorliegende Bildband „Versenkt im Pazifik – Schiffsfriedhof Guadalcanal“ eindrucksvoll illustriert.

_Historischer Hintergrund_
Die Schlachten um die Salomonen-Insel Guadalcanal im süd-östlichsten Ende des von Japan kontrollierten Pazifiks fanden über mehr als drei Monate hinweg statt (August – November 1941). Primär war dabei die Kontrolle des auf der Insel befindlichen „Henderson Airfield“, den man als Ausgangsbasis für den gesamten südlichen Raum gut nutzen konnte. Sowohl die Japaner als auch die Amerikaner sahen in der unscheinbaren Insel den Schlüssel zur Nierderringung des Gegners, da beide davon ausgingen, dass eine jeweilige Invasion nicht durch den Zentral-Pazifik, sondern über die bewohnten Inselgruppen erfolgen müsse. Wenn man so will, ein kriegerisches Island-Hopping, das sich in der Nachlese der Geschichte aber als falsch erwies, da die wirklich elementaren Gefechte beispielsweise genau dort erfolgten, wo keiner der beiden Kontrahenten (aufgrund der bescheidenen Versorgungslage) sich mit dem anderen duellieren wollte.

Waren die Gefechte bei Midway und Truk noch zeitlich auf wenige Stunden oder Tage ziemlich begrenzte Einzelgefechte zwischen Marineverbänden, die den Krieg letztendlich entscheiden sollten, handelte es sich beim Konflikt um die Salomonen-Insel laut einem Zeitzeugen eher um eine „blutige Kaschemmen-Prügelei“, bei der keine Seite trotz sämtlicher aufgebotener Truppengattungen (nicht nur Schiffe, sondern auch Flugzeuge, Panzer und Infanterie) wirklich einen Sieg erringen konnte. Dementsprechend häufig wechselte Guadalcanal dann auch immer wieder den „Besitzer“. Trafen Flottenverbände mal auf keine maritimen Gegner oder gegnerischen Frachter, feuerten die Schlachtschiffe auch gern auf Landziele und unterstützten somit ihre Bodentruppen mit der Schiffs-Artillerie oder deckten mit ihren FLAK-Kanonen den Luftraum ab, während man wieder mal versuchte, die Insel einzunehmen und/oder zu verteidigen.

Der Schiffsfriedhof von Guadalcanal ist die direkte Konsequenz dieses Hin und Hers und verdeutlicht wie kaum ein zweiter Ort die Sinnlosigkeit, einen völlig unwichtigen Flecken Erde mit allerhand Menschen und Technik zu umkämpfen, nur um anschließend festzustellen, dass die wirklich entscheidenden Schlachten ganz woanders geschlagen werden. So war das Gerangel um Guadalcanal, gemessen am taktischen Nutzen, reine Verschwendung von Mensch und Material auf beiden Seiten, dem nicht wenige Schiffe, Flugzeuge, Panzer und Fußtruppen zum Opfer fielen. „Gewonnen“ haben diesen Konflikt die Amerikaner; nach der Versenkung des japanischen Superschlachtschiffes |Kirishima| war der Widerstandswille der japanischen Invasionsflotte ziemlich gebrochen und es begann nunmehr die Zeit der Bodentruppen, versprengte und verschanzte Nester des Gegners auszuheben … Bei den erlittenen Verlusten der Amerikaner kann man aber wahrlich nicht von einem „Sieg“ reden.

_Die Mitwirkenden_
Dr. Robert D(uane) Ballard ist Meeresgeologe an der |Woods Hole Oceanographic Institiution|, Mitglied der |National Geographic Society| und seit seiner Entdeckung der |Titanic| schon eine Berühmtheit unter den Tiefseeforschern, wenn auch nicht überall wohl gelitten. Sein zweiter Geniestreich war das Auffinden des deutschen Schlachtschiffes |Bismarck| und dessen Erforschung. Ballard steht in dem Ruf, viel Wert auf Publicity zu legen – einige seiner Wissenschaftskollegen mögen ihn dafür nicht sonderlich. Auf der anderen Seite ist eine solche Expedition mit einem immensen Kostenaufwand verbunden, also was Wunder, wenn er seine Funde entsprechend vermarktet und die Werbetrommel für die US Navy rührt, auf Basis deren Technik er seine Forschungen durchführt. Man kann über ihn denken, was man will – er ist und bleibt der Shooting-Star unter den heutigen Unterwasser-Archäologen, der mit seinem System schon so manches verschollene Wrack aufspüren konnte.

Rick Archbold, ein angesehener Historiker, dessen berühmtestes eigenes Werk „Hindenburg“ ist, eine minutiös geschriebene Recherche über die Tragödie des deutschen, gleichnamigen Luftschiff-Stolzes LZ119, welches in den 30er Jahren bei Lake Hurst verunglückte. Auch in diesem Band sorgt Archbold wieder dafür, dass sich Ballard ganz auf die Schilderung der eigentlichen Suche in den Tiefen des Pazifiks beschränken kann, den historischen Part setzt er gewohnt neutral in Text- und Bildform um, was sich allerdings auf alle Waffengattungen und die politischen Hintergründe bezieht und nicht nur auf die Seeschlachten (diese nehmen aber den größten Teil ein). Dabei kommen auch wieder unzählige Geschichten zusammen, die das Ausmaß der Sinnlosigkeit der Zerstörung rund um Guadalcanal verdeutlichen und illustrieren.

Ken Marshall ist der Illustrator, der auch schon einen ganzen Bildband mit Titanic-Motiven herausbrachte – Ich kenne niemanden, der gerade diese Art bedrückender Wrackbilder so plastisch per Airbrush und Pinsel darstellen kann. Auch er ist seit dem Titanic-Band für Ballard in jedem seiner Bücher für die Illustration der Wracks zuständig und hat auch hier (wieder einmal) das Titelbild erschaffen, wobei er bei „Versenkt im Pazifik“ einen Teil des Wracks des australischen Kreuzers |Quincy| zusammen mit dem Tauchboot „Sea Cliff“ verwendet hat. Sehr düster und bedrohlich, ein Bild, das mir wieder mal eine Gänsehaut über den Rücken jagt.

_Das Buch_
Ballards dritte große Expedition zu gesunkenen Schiffen führte ihn also 1992 nach Guadalcanal; diesmal bedient er sich wieder seiner gerühmten „Rasenmäher“-Such-Technik, wobei er mittels GPRS seine Position ständig auf den Meter genau feststellen kann und dabei einen Sonarschlitten im Schlepp knapp über dem Meeresboden hinter sich herzieht. Dieser liefert Bilder und Sonarreliefs der Umgebung in die Leitzentrale des Forschungsschiffes. Ballard wird nie müde, den Lesern dieses Suchmuster unter die Nase zu reiben, allerdings sind die Wracks im Suchgebiet diesmal so dicht gedrängt und auch der „Eisen-Sund“ längst nicht so tief wie die Fundstellen der Titanic und der Bismarck, daher ist ein Auffinden irgendwelcher Wracks diesmal wahrlich nicht das Problem. Die Exkursion bleibt Wunder-Oh-Wunder weitgehend von den sonst Ballard-üblichen Pannen verschont.

Auch hier, wie bei der Titanic, greift Ballard nicht nur zu seinen ferngesteuerten Video-Augen, sondern begibt sich selbst in seinem tiefseefesten Minitauchboot „Sea Cliff“ (dem Nachfolger seines legendären „Alvin“) zu einigen der interessanteren Wracks hinunter – das hat den Vorteil, dass er dort sein ferngesteuertes Tauchboot „Scorpio“ zusätzlich in Winkel schicken kann, die sonst nicht bildtechnisch zu erfassen oder für das bemannte Boot zu gefährlich sind. Dementsprechend detailliert kann dann auch hernach Ken Marshall seine Arbeit aufnehmen und die einzelnen Schiffe sehr stimmungsvoll und genau darstellen. Glücklicherweise finden sich in diesem Bildband wieder die ausklappbaren Seiten, welche die perfekten Illustrationen auf ein dreifaches Panorama ausbreiten – meist sind noch markante Fakten darauf verzeichnet, die in der Bild-Legende erklärt werden, d.h. hier wird auf besonders interessante Fundstellen hingewiesen.

Rick Archbold ist für die Aufbereitung der geschichtlichen Hintergründe zuständig. So besteht das Buch zwar aus einem großen Teil Wrackbildern und den Tauchgängen, die Hintergründe werden aber dennoch ausführlich von ihm dargestellt. Zu beinahe jedem Wrack gibt Archbold Augenzeugenberichte oder andere Quellen betreffend des Schicksals zum Besten. Er beschränkt sich aber nicht nur auf die Seeschlachten selbst, sondern liefert gleichzeitig noch interessante Nebeninformationen; sei es der Kampf an Land oder in der Luft, wenn’s geht sogar mit genauem Datum und Uhrzeit, damit man sich vom zeitlichen Zusammenhang der Ereignisse ein gutes Bild machen kann. Archbold heroisiert keine Seite und verhält sich bei seinen Recherchen sehr neutral, Ballard setzt dagegen manchmal etwas mehr auf Showmanship und Pathos, weswegen er wohl auch wieder Überlebende der Schlachten an Bord seines Forschungsschiffs eingeladen hat.

_Fazit_
Reich an verschiedenen Schiffen und die Sinnlosigkeit dieses Krieges durch die gut präsentierten geschichtlichen Hintergründe verdeutlichend, kann man dieses Buch als eines der besten Ballards bezeichnen, vor allem durch das Fehlen größerer Pannen und deren sonst so melodramatische Beschreibung, konzentriert sich „Versenkt im Pazifik“ auf die Geschichte der einzelnen Wracks. Der Leser bleibt diesmal von ausladenen Erklärungen, wie, wo und warum man genau |so| nach versunkenen Schiffen sucht (und nicht anders) verschont, die sonst Ballards Werke schmücken. Das zeigt, dass Ballards Bücher am besten sind, wenn der notorische Selbstdarsteller mal ein wenig zurücksteht und sich sein Co-Team hauptsächlich um den Inhalt kümmert.

Archbold liefert erneut einen akkuraten historischen Hintergrund ohne Pathos und sehr neutral, während der einfach geniale Ken Marshall wieder einmal seine Klasse beweist, die Unterwasserszenen bildlich darzustellen. Einen besseren Illustrator für die Unterwasser-Stilleben wird man heutzutage kaum finden. Daher kann mein Urteil sowohl für den mittlerweile schwer erhältlichen |out of print|-Bildband als auch das immer wieder neu aufgelegte Taschenbuch (wobei der großformatige Bildband mir wesentlich lieber ist) auf „absolut lesenswert“ lauten.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „The Lost Ships of Guadalcanal“
Erscheinungsjahr: 1993 Madison Press, New York
Deutsche Ausgabe: 1993 Ullstein
Übersetzung: Uwe D. Minge
ISBN: 3-550-06384-4 (HC)
ISBN: 3-548-24695-2 (TB)
Illustrationen: Ken Marshall
Ausführungen: HC (OOP) und TB; 228 bzw. 232 Seiten
zahlreiche S/W- und (ausklappbare) Farbbilder

Sarah Murgatroyd – Im Land der grünen Ameisen

Im August 1860 bricht in Melbourne eine große Expedition auf, die den Kontinent Australien durchqueren und die Nordküste erreichen soll. Die Reise durch 5000 Kilometer unwirtliches, kaum besiedeltes, feindseliges Land endet in einer Katastrophe, die acht Menschen das Leben kostet und sich in einen nationalen Skandal verwandelt … – Kritische Neubewertung einer historischen ‚Großtat‘, die das zeitgenössische Denken berücksichtigt, die Wahrheit hinter verklärenden Worten sucht und zu einem eher bestürzenden Resultat kommt: gut recherchiertes, spannend geschriebenes und mit trockenem Witz belebtes Sachbuch.
Sarah Murgatroyd – Im Land der grünen Ameisen weiterlesen

Lene Gammelgaard – Die letzte Herausforderung

Seit der Lektüre von Jon Krakauers Buch „In eisige Höhen“ übt das Thema Mount Everest und insbesondere die Katastrophe vom Mai 1996, bei der mehrere Menschen während eines Unwetters in Gipfelnähe erfroren sind, eine gewisse Faszination auf mich aus. Inzwischen sind bereits einige Bücher zu diesem Thema von weiteren Bergsteigern erschienen, die die Katastrophe ebenfalls miterlebt haben. Die bekanntesten dürften neben der Veröffentlichung von Krakauer die Berichte von Anatoli Boukreev, Beck Weathers und auch von Lene Gammelgaard sein.

Auf zum Gipfel

Lene Gammelgaard – Die letzte Herausforderung weiterlesen

Müller, Ulrich / Panagl, Oswald (Hrsg.) – Ring und Gral

Eine respektable Entscheidung, Beiträge, die Autoren von 1988 bis 2001 für die Programmbücher der Bayreuther Festspiele verfassten, in einem einzigen Band zusammenzufassen. Schwerpunkt bildet dabei Richard Wagners Arbeit an den Themenkomplexen Nibelungen-Sage und Gralswelt. Die Beiträge sind nicht populär gedacht, sondern durchaus wissenschaftlich. Immerhin handelte es sich bei den Erstveröffentlichungen auch schon um keine gewöhnlichen Programmhefte, sondern um Festspielbücher. Unüblich an solchen Festspielprogrammen ist eigentlich, wenn die Texte nicht assoziativ oder von vornherein auf die Inszenierung selbst abgestimmt sind, sondern wie in diesen Fällen tatsächlich eine unabhängige Rezeption des Stoffes an sich darstellen.

Vorab dargestellt sind die alten mittelalterlichen Quellen im Original mit der Prosaübersetzung und zwar in den Teilen, auf die Wagner in seinen Musikdramen Bezug nimmt: Textstellen aus dem Nibelungenlied, der Edda, der Snorra Edda, Thidrek-Saga und der Völsungen-Saga mit den unterschiedlichen Namensformen bzw. Personen im Nibelungen, im Altnordischen und bei Wagner.

So entfernt uns Wagner auch sein mag, ist doch zu bedenken, dass ohne ihn viele hervorragende Stoffe des europäischen Mittelalters nur noch einem kleinen Kreis von Kennern bekannt wären. Vor allem für die Geschichte von Siegfried und den Nibelungen und Parzival und dem Gral hat er mit seinem Werk mehr bewirkt als Generationen von Philologen, und er steht daher im Bereich dessen, was die moderne Wissenschaft als „schöpferische Rezeption des Mittelalters“ bezeichnet, ganz vorne an. Natürlich hat er in seinen Werken viel verändert. Im „Ring“ konzentriert er sich als Thema ganz auf Brunhild und Siegfried, übernahm dabei alles aus dem Altnordischen, was zu finden war und ließ den zweiten Teil um Etzel und Kriemhilds Rache ganz weg. Im Gegensatz zu seinen anderen mittelalterlichen Musikdramen hat er den „Ring“ aber am allerwenigsten verändert. Es bleiben auch bei ihm die Gegensätze zwischen Eros und Machtpolitik, zwischen dem unruhigen zerstörerischen Prinzip des Männlichen und dem bewahrenden Prinzip des Weiblichen. Aber da das Nibelungenlied als mittelalterliches Nationalepos der Deutschen gilt, geriet er bekannterweise wegen des rein germanischen Stoffes in den Sog der nationalen, schließlich nationalsozialistischen und chauvinistischen Interpretation und Ideologie. Wagners „Ring“ wurde zum Indikator der späteren deutschen Geistes- und Ideologiegeschichte, wenn auch sehr oberflächlich und paradox interpretiert.

Musik war schon immer bedeutsam für mittelhochdeutsche Texte. Die strophischen Texte sind singbar, aber leider sind Melodien des Nibelungenliedes und der Edda-Lieder nicht überliefert. Man hat versucht, das zu rekonstruieren, und der Hildebrand-Ton scheint einer Lösung formal am nächsten zu kommen. Im späteren Mittelalter wurde die Strophenform dieses Tones auch für eine Bearbeitung des Nibelungenliedes (so genannte „Fassung k“) sowie das Lied vom Hürnen Seyfried verwendet. Der Sänger Eberhard Kummer aus Österreich singt heute das gesamte Lied in dieser Weise in 31 Stunden. Gerade durch den musikalischen Vortrag erhalten viele stilistische Eigenarten des Nibelungenliedes erst einen einsichtigen Sinn, der der Literaturwissenschaft verborgen bleibt.

Wenig bekannt ist ein anderer Ort, wo heute noch in ununterbrochener Tradition seit dem späten Mittelalter die Geschichte von Siegfried und den Burgundern gesungen wird. Auf der Färöer-Insel im Atlantik wird innerhalb dreier Stunden in den Nibelungen-Balladen (Regin Smidhur, Brinhild, Högni) die gesamte Geschichte von Jung-Siegfried bis zum blutigen Ende am Hunnenhof erzählt.
Wagner dürfte dies sicher eher nicht bekannt gewesen sein, aber eine Ähnlichkeit ist schon erstaunlich, denn auch er hatte ja den alten hermetischen Stab-Reim wiederentdeckt und angewandt, den er als Instrument der semantischen Verdeutlichung sehr schätzte. Dabei griff er auch auf alte archaische urtümliche Wortbedeutungen zurück, die seine Kritiker als Neuschöpfungen hielten und ihm Missbrauch der deutschen Sprache vorwarfen.

Sehr aufschlussreich werden innerhalb des Buches tief gehendere Vergleiche zwischen den eingangs erwähnten Quellen zu spezifischen Handlungspassagen gezogen, wie dem Tod Siegfrieds, dem Vergessenstrank, mit dem Siegfried Brunhild vergaß (in der Nibelungensage nicht enthalten), und dem Streit der Königinnen. Dieser Streit kommt im „Ring“ nicht vor, dafür hat Wagner ihn in den zweiten Akt seines „Lohengrin“ integriert. Diese Textvergleiche zeigen auf, dass die mittelalterliche Stofftradition verschiedene Begründungen für die Geschehnisse bietet, die teilweise miteinander verbunden sind, sich aber teilweise ausschließen. Darüber hinaus finden im Zusammenhang dieser Gegenüberstellungen auch die im 19. und 20. Jahrhundert entstandenen Nachdichtungen Beachtung, wie die „Nibelungen“ von Friedrich Hebbel, das nach langer Nichtbeachtung ab Anfang der 80er Jahre fürs Theater wieder interessant und wichtig wurde; oder auch Henrik Ibsens „Nordische Heerfahrt“ (1858).

Interdisziplinär wird auch etwas über den Tellerrand geblickt und in einem größeren Kontext werden – neben dem zur gleichen Zeit entstandenen mittelalterlichen Rolandslied – die vergleichbaren Götter- und Helden aus der indogermanischen Frühzeit, bei den Griechen, Römern, Indern und Kelten und die Mythen des russischen Sprachraums noch hinzugezogen. Damit verlieren sich die Autoren aber nicht in der Vergangenheit, sondern kehren mit Betrachtungen über die Darstellung der zeitgenössischen Kunst, die bis hin zu den Nibelungenbildern von Johannes Heinrich Füssli geht, entstanden zwischen 1798 – 1820, in die Gegenwart zurück. In einem ähnlich gegliederten Schlussteil widmet sich das Buch noch einer umfangreichen Betrachtung des Gralsmythos.

[Richard Wagner]http://de.wikipedia.org/wiki/Richard__Wagner
[Nibelungenlied]http://de.wikipedia.org/wiki/Nibelungenlied
[Der Ring des Nibelungen]http://de.wikipedia.org/wiki/Der__Ring__des__Nibelungen
[Richard-Wagner-Festspiele]http://de.wikipedia.org/wiki/Richard-Wagner-Festspiele