Merlau, Günter – Whitechapel (Die Schwarze Sonne VI)

Folge 1: [„Das Schloss der Schlange“ 2317
Folge 2: [„Böses Erwachen“ 4022
Folge 3: [„Weißes Gold“ 4023
Folge 4: [„Vril“ 4308
Folge 5: [„Akasha“ 4915
Folge 7: [„Goldene Morgenröte“ 5102

_Story_

1838: Die Nationalsozialisten navigieren den amerikanischen Nordpolexperten Richard Evelyn Byrd auf ihre Seite, um ihn in eine weitere Expedition mit der |Schwabenland| einzubinden. Allerdings verfolgen die Deutschen insgeheim gänzlich andere Ziele und spotten bereits über Byrds Qualifikationen. Insbesondere der hinterhältige Weissthor plant in Indien bereits den nächsten großen Schlag, der unter Ausschluss der auf den Nordpol fixierten Öffentlichkeit in aller Ruhe ausgebrütet werden soll.

Unterdessen bekommt Arthur Salton im Jahre 1848 in seiner neuen, unfreiwillig gewählten Heimat enorme Schwierigkeiten. Der Rat des Dorfes lädt ihn zu einer Versammlung, in der über die mysteriösen Unfälle im Moor von Derbyshire beratschlagt werden soll. Mit ungutem Gefühl folgt Arthur der Einladung und soll auch Recht behalten. Das Rad soll erneut gedreht werden, was für Arthur so viel bedeutet, dass seine glückliche Zeit in der Vergangenheit sich dem Ende zuneigt.

Jules Verne fehlt derweil immer noch jegliche Spur von Nathaniel; dieser wiederum reist nach seinem Indien-Trip nach London, wo er die Jagd auf einen Prostituiertenmörder beginnt. Gemeinsam mit dem Yard und einem gewissen Arthur Doyle startet die Suche nach dem Mann, der sich Jack the Ripper nennt und die gesamte Öffentlichkeit in Unruhe stürzt. Als sich schließlich einige Informationen über einen Geheimbund alter Tage in die Ermittlungen einschleichen, nimmt der Fall eine erschreckende Wendung …

_Persönlicher Eindruck_

Mit der sechsten Folge der inhaltsschwangeren Mystery-Serie „Die schwarze Sonne“ scheint sich der Kreis der teils verwirrenden, insgesamt jedenfalls sehr weit reichenden Story langsam zu schließen. Erstmals werden direkte Antworten auf die Ereignisse in der ersten Episode angerissen, und auch wenn sich der Kreis der Akteure im Laufe der letzten Geschichten merklich vergrößert hat, scheinen einige Verbindungen und Stränge kontinuierlich mehr Sinn zu ergeben und der Lösung des großen Puzzlerätsels ein ganzes Stück näherzukommen.

Nichtsdestotrotz bleibt der Plot auch in „Whitechapel“ ein harter Brocken mit zahlreichen Verstrickungen, schwerwiegenden Wendungen und undurchsichtigen Mysterien, die nach wie vor nach konkreteren Zusammenhängen schreien. Entgegen der bisherigen Vorgehensweise hat das Team des |Lausch|-Verlags nun aber eine geordnete Struktur gewählt, die den Zugang zu den neusten Entwicklungen merklich erleichtert. Die drei Hauptstränge sind nicht mehr willkürlich vermischt, sondern werden in dieser Episode Schritt für Schritt abgearbeitet, wobei zwischen ihren Protagonisten und Persönlichkeiten immer noch eine kaum zu durchdringende Distanz vorhanden ist, die nach einer logischen Aufklärung verlangt. Aber wieder einmal wird der Hörer diesbezüglich auf die nächsten Kapitel von „Die schwarze Sonne“ verwiesen, die des Rätsels Lösung erneut einen Schritt näher kommen sollten.

Trotz der klareren Linie in dieser Folge scheuen die Autoren aber nicht davor zurück, die Story mit zusätzlichem Stoff zu versorgen. Der Nazi-Plot wird zwar einerseits wieder in den Fokus gerückt und als wichtiges Element in Erinnerung gerufen, doch fast noch eine Spur wichtiger scheint hier die Mordserie im London des 19. Jahrhunderts, deren Spuren zu einem berüchtigten Geheimbund führen. Dies ist schließlich auch der Abschnitt, der weiteren Zündstoff in die Geschichte einbringt und die Komplexität der bisherigen Episoden noch einmal nachhaltig bestätigt. Mittlerweile muss man ja schon fast enttäuscht sein, wenn nicht wieder namhafte Persönlichkeiten (in diesem Falle Doyle) bzw. frische Figuren in die Handlung eingreifen …

Andererseits versinkt die Geschichte in „Whitechapel“ so manches Mal zu stark in ihren erprobten Klischees. Die gesamte Geschichte des 19. Jahrhunderts, besonders was ihre Literatur betrifft, wird hier noch einmal auf phantastische Weise aufgerollt, mit anderen zeithistorischen Ereignissen gemischt und durch den fiktiven Fleischwolf gedreht. Bis dato war diese Masche ständig von Erfolg gekrönt, hier scheint sie jedoch ein wenig aufgesetzt und bemüht, da sie etwas routiniert dargebracht wird. Außerdem sind die Ideen auch nicht mehr ganz so revolutionär, geschweige denn mit einem derartigen Überraschungseffekt versehen, wie dies noch in den Folgen Nr. 3 & 4 der Fall war. Man weiß inzwischen, woran man ist und was man erwarten darf – und diesbezüglich besitzt die sechste Veröffentlichung im Bunde nicht ganz die Dynamik früherer Folgen.

Fans dürfen aber getrost durchatmen, denn von ihrem ganz besonderen Reiz büßt die Serie auch mit den teils stagnierenden Entwicklungen in „Whitechapel“ nicht ein. Womöglich ist es ja auch mal notwendig, die rasanten Verwirrspielchen ein wenig auszubremsen, um wieder ein bisschen Bodenhaftung zu bekommen. Hierüber wird die siebte Episode Auskunft geben, möglicherweise ja auch mit noch detaillierter Aufklärungsarbeit. Bis dahin bleibt mit „Whitechapel“ ein solides Kapitel, das man aber trotzdem erleben sollte und muss, damit der Faden nicht verlorengeht – und natürlich weil der Unterhaltungswert dank der ambitionierten Sprecher und der immer noch raschen Progression keinesfalls zu leugnen ist.

|ISBN-10: 3-939600-18-0
ISBN-13: 978-3-939600-18-3|
http://www.die-schwarze-sonne.de
http://www.merlausch.de

Sick, Bastian (Buchautor) / Gruber, Fritz (Spielidee) – Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Der – Das große Spiel

Mit seinen |Zwiebelfisch|-Kolumnen begann für Bastian Sick vor einigen Jahren ein steiler Aufstieg, der schließlich in mehreren Ausgaben seiner Buchreihe [„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ 952 mündete und ihn in Kreisen begeisterter (Hobby-)Germanisten zu einer der populärsten Figuren seit etlichen Jahren aufsteigen ließ.

2006 folgte dann auch die [erste Adaption 3053 fürs Spielbrett, die in Form eines simplen Frage-Antwort-Spiels bereits einzelne Wirrungen im Irrgarten der deutschen Sprache anschnitt und damit die Themen der Bücher noch einmal nachempfand. Ein Jahr später, zur |SPIEL ’07|, veröffentlichte der |Kosmos|-Verlag nun eine weitere Ausgabe dieses Spiels, jedoch in einer etwas üppigeren Aufmachung – und mit gesteigertem Anspruch.

_Spielidee_

Der Irrgarten der deutschen Sprache, hier ist er bereits auf dem Spielbrett sinnbildlich dargestellt. Ziel der Spieler ist es nun, sich ihren Weg aus jenem Labyrinth zu bahnen und der Gefangenschaft inmitten dieses Gartens zu entfliehen. Hierzu müssen sie sich zu Multiple-Choice-Fragen über den gesamten Bereich der (deutschen) Sprache äußern, dabei ein wenig Risikobereitschaft beim Einsatz von Punkte-Chips zeigen und schließlich die Konkurrenz nach 20 Fragekarten hinter sich lassen. Wem dies frühzeitig gelingt, der hat das Spiel bereits vor dem eigentlichen Ende gewonnen. Ansonsten siegt derjenige, der dem Ausgang des Irrgartens in 20 Runden am nahsten gekommen ist.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 6 Spielfiguren
• 170 beidseitig bedruckte Fragekarten
• 25 beidseitig bedruckte Risiko-Fragekarten
• 25 beidseitig bedruckte Lingotaurus-Karten
• 30 Einsatzschips in 6 Farben mit den Werten 1-5
• 18 Tippkärtchen in 6 Farben, jeweils mit den Buchstaben A, B und C
• 3 Lingotaurus-Plättchen
• 1 Spielanleitung

Das Spielmaterial ist ziemlich neutral gehalten, überzeugt aber mit einer gewissen Effizienz. Alle Karten sind beidseitig bedruckt und werden in die Farben Grün und Gelb unterteilt. Vor jeder Runde wird nun entschieden, welche Farbe gespielt wird, sodass sich die Karten über mehrere Partien vermischen und trotz des begrenzten Kartenschatzes allzu schnelle Wiederholungen bzw. gleiche Konstellationen weitestgehend ausgeschlossen werden können. Ein Blickfang ist übrigens das Spielfeld, welches das Thema mit Humor aufgreift und somit den Kreis des Konzepts zumindest äußerlich makellos schließt.

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie werden die drei unterschiedlichen Fragekarten in Stapel getrennt und unabhängig voneinander gemischt. Anschließend nimmt man 17 normale Fragekarten und drei Risiko-Fragekarten und mischt diese zum Zugstapel für die kommende Partie zusammen. Außerdem werden die Lingotaurus-Karten bereitgelegt.

Danach wird das Spielmaterial aufgeteilt. Alle Spieler bekommen Tippkärtchen und Einsatzchips in ihrer Farbe. Die Lingotaurus-Plättchen werden zuletzt auf die dafür vorgesehenen Felder auf dem Spielplan gelegt. Jeder Spieler setzt nun seine Spielfigur auf das Startfeld in der Mitte des Spielplans. Wer nun weiß, mit welchen Worten Schillers „Glocke“ beginnt, darf anfangen.

_Spielablauf_

Vor der Partie einigen sich die Spieler darauf, mit welcher Kartenfarbe gespielt werden soll. Der Startspieler nimmt nun den Zugstapel an sich, zieht die obere Karte und liest die entsprechend farbige Frage vor. Bei einer Multiple-Choice-Frage nennt er alle drei möglichen Antworten und wartet nun die Reaktionen der Mitspieler ab. Diese entscheiden sich zunächst für einen Einsatz, legen anschließend verdeckt ihren Tipp vor sich ab und decken ihr Resultat schließlich gleichzeitig mit allen anderen Befragten auf. Wer nun richtig getippt hat, darf seine Figur um so viele Felder vorwärts bewegen, wie er einzusetzen bereit war. Im umgekehrten Fall muss man ebenso viele Felder zurückziehen. Das gerade gesetzte Einsatz-Plättchen wird zur Seite gelegt, bis alle Einsätze einmal verwendet wurden. Anschließend übernimmt der linke Nachbar die Rolle des Fragestellers.

Sollte nun ein Risiko-Fragekärtchen gezogen werden, müssen alle Spieler bereits vorab bieten, ohne die Frage gehört zu haben. Dies ist gerade in Situationen, in denen nicht mehr viele Chips zur Verfügung stehen, verdammt knifflig, da man häufig von den Fragen überrannt wird. Mehr Lohn gibt es bei den Risiko-Fragen hingegen nicht.

Während der Reise durch den Irrgarten wird man zwangsläufig auch die Lingotaurus-Felder passieren müssen. Hier wacht ein wild schnaubender Sprachstier, dessen Zitate auf Komplettierung warten. Ein Spieler, der nun eines dieser Felder übergehen möchte, muss zunächst eines dieser Zitate vervollständigen. Andernfalls bietet sich für die Mitspieler die Chance, wertvolle Punkte einzusammeln und den prestigeträchtigen Bösewicht aus dem Weg zu räumen.

Nach 20 Karten endet das Spiel schließlich, wenn nicht vorher jemand die frühzeitige Flucht bewerkstelligen konnte. Der Spieler, der nun am weitesten vorangeschritten ist, darf sich für den Moment mit dem Titel des gewieftesten Germanisten schmücken.

_Persönlicher Eindruck_

Die Spielidee zum „großen Spiel“ weicht inhaltlich kaum von derjenigen des kleinen Vorgängers ab, macht aber alleine schon wegen des Symbolismus auf dem Spielbrett sowie dessen grafischen Designs einiges mehr her als die erste spielerische Umsetzung des Spiels. Das kann die neue Fassung zu „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ auf jeden Fall schon einmal auf der Haben-Seite verbuchen.

Andererseits ist der Spielspaß über weite Strecken ein wenig durch den immensen Schwierigkeitsgrads eingeschränkt. Die Fragen sind zumeist ziemlich hart, und es ist zu bezweifeln, dass die jüngste Zielgruppe – das Spiel ist empfohlen ab 14 Jahren – sich hier schon einigermaßen zurechtfinden wird, ohne raten zu müssen. Das Argument, dass hier sehr viele Feinheiten der deutschen Sprache erörtert werden, mag zwar in diesem Zusammenhang berechtigt sein und den hohen Anspruch rechtfertigen, aber dennoch werden hier oft auch skurrile Themen angesprochen, bei denen der Weg zur Lösung oft nur über Raten führt – und das macht das gesamte Spiel dann doch zu einem Erlebnis, das nur für einen kleinen, elitären Kreis von Interesse sein dürfte.

Genau dies sollte man sich dann auch bei einer eventuellen Investitions-Überlegung vor Augen führen. Das Spielsystem ist klasse, der Mechanismus mit den Einsätzen an dieser Stelle auch völlig willkommen, aber der Härtegrad ist so manches Mal doch unverschämt knifflig, nicht zuletzt, da die gefragten Wortstämme auch nicht immer unmittelbar mit der Muttersprache in Verbindung stehen. Der Irrgarten der deutschen Sprache bleibt deswegen auch weiterhin für viele passionierte Brettspieler ein Buch mit sieben Siegeln. Schade eigentlich, denn durch die besonders hohen Anforderungen wird eine ziemlich gute Spielidee leider unnötig negativ beeinträchtigt.

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Seamark – Das Kokainschiff

seamark kokainschiff cover kleinIn London treiben Rauschgiftschmuggler ihr Unwesen. Kopf der Bande ist ein verschlagener Kapitän aus dem Fernen Osten, der vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt, bis ihm wackere Polizisten und mutige Bürger das Handwerk legen … Reizvoll naiver Groschen-Krimi, der politisch völlig unkorrekt aber spannend zeitgenössische Klischees in eine schaurig-schöne, rasante Story packt und die Hafenkulisse Londons gut zu nutzen weiß: ein Lesevergnügen aus eindeutig vergangener Zeit. Seamark – Das Kokainschiff weiterlesen

Massimo Marcotullio – Das Blut des Skorpions

Im Rom des 17. Jahrhunderts treibt ein Attentäter und Serienmörder sein Unwesen. Ein cholerischer Maler und seine Gefährten geraten erst in sein Visier und dann in eine politische Intrige, die Herrscherhäuser in ganz Europa ins Wanken bringen könnte … – Anspruchsloser, ausschließlich der Unterhaltung verpflichteter und historische Akkuratesse nie in den Vordergrund stellender Thriller mit wüsten Morden, simpel gestrickten Figuren und stetigem Druck aufs erzählerische Gaspedal.
Massimo Marcotullio – Das Blut des Skorpions weiterlesen

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 1: Der Stein der Weisen (Hörspiel)

_Story:_

Der Waisenjunge Christopher hofft, auf dem Anwesen der Familie Institoris ein neues, glücklicheres Leben führen zu können. Hausherrin Charlotte hat sich seiner angenommen und präsentiert den erst 17-jährigen Knaben bei ihrer Rückkehr auf die Insel an der Ostseeküste ihrer Familie. Dort jedoch wird Christopher misstrauisch aufgenommen und scheint nicht wirklich erwünscht. Besonders Aura, Charlottes leibliche Tochter, ist über die Aufnahme des Jungen überhaupt nicht erfreut und straft ihn mit Missachtung.

Allerdings hat das Mädchen gerade mit seinem eigenen Schicksal zu kämpfen; sie soll in den kommenden 38 Monaten ein Internat besuchen und von ihrer Familie und ganz besonders Daniel getrennt werden. Christopher versucht dennoch, sich in die trügerische Harmonie des Institoris zu integrieren und seine Wünsche endlich wahr zu machen, stößt aber auf immer heftigeren Widerstand.

Die Situation spitzt sich zu, als Nestor Nepomuk Institoris sich in den Gemächern des Schlosses sehen lässt und die Aufmerksamkeit des zugezogenen Waisen erregt. Der Schlossherr erwähnt in einem heimlichen Gespräch mit dem Weltenbummler Friedrich von Vehse, dass er dringend neues Drachenblut benötigt, und obschon die Worte nicht für ihn bestimmt waren, wird Christophers Interesse geweckt. Als er bei seiner Spionage im Dachgeschoss des Anwesens auf frischer Tat ertappt wird, nutzt Nepomuk das Interesse seines neuen Stiefsohns, um ihn in die Künste der Alchemie einzuweihen – ganz zum Unmut von Aura, die ebenfalls vom Stein der Weisen, den ihr Vater beschwören möchte, weiß und nun befürchtet, Christopher könne ihr in die Quere kommen.

Unterdessen plant Institoris‘ alter Feind Lysander ein Attentat auf den ambitionierten Alchemisten. Hierzu entsendet er seine rechte Hand Gillian, einen Wiener Auftragsmörder, der Nestor Nepomuk Institoris meucheln und auch seine Tochter auslöschen soll, um das vermeintliche Teufelswerk der Familie ein für allemal zu unterbinden. Nur wenige Tage später erreicht Gillian die verlassene Insel der Institoris‘, um die finsteren Absichten seines Meisters in die Tat umzusetzen …

_Persönlicher Eindruck_

Dass ein bedeutender Teil der bisher veröffentlichten Kai-Meyer-Romane definitiv für den Hörspielsektor prädestiniert scheint, sollte aufmerksamen Lesern und Liebhabern des außergewöhnlichen Kult-Autors spätestens nach der Veröffentlichung der grandiosen Adaption zu [„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 bewusst sein. Daran anknüpfend, wird nun eine komplette Serie auf Basis zweier Meyer-Romane auf den Markt gebracht, die sich mit einer seiner wohl fantastischsten Romanfiguren überhaupt auseinandersetzt: Aura Institoris. Sie ist die Hauptdarstellerin der insgesamt achtteiligen Serie „Die Alchimistin“, deren üppige Aufmachung bereits läuten lässt, dass sich hier möglicherweise das definitive Hörspiel-Highlight des Jahres 2008 ankündigt. Und was diesen Anspruch betrifft, soll die erste Episode, „Der Stein der Weisen“, definitiv nicht enttäuschen!

Allerdings ist der Komplex, der hier in beachtlichen 77 Minuten angerissen wird, definitiv nichts für sanfte Gemüter. Die Story bietet von Anfang an einen enormen Tiefgang, zeigt sich äußerst weitreichend und führt bereits eine ganze Reihe entscheidender, tragender Charaktere ein, die den Zugang zur ersten Inszenierung zu einer ziemlich kniffligen Aufgabe machen. Gerade die häufigen Szenenwechsel in den Anfangssequenzen, in denen sich das Tempo der Handlung bereits mehrfach überschlägt, sind hier ein Hindernis, das es zu bewältigen gilt, um langsam in den Plot hineinzukommen.

Je weiter man dann jedoch in die Geschichte eindringt, desto faszinierender gestaltet sich all das, was in „Der Stein der Weisen“ eigentlich nur grob angerissen und kontinuierlich erweitert wird. Einzelne Mythen werden bereits angeschnitten, zwiespältige Personen gibt es ebenfalls en masse, und da die Rolle eines Sympathieträgers auch noch nicht gradlinig in ein vorhandenes Charakterprofil hineinpassen will, ist alleine schon auf dieser Basis ein Höchstmaß an Spannung geboten, weil man einfach keine der vielen Figuren adäquat einschätzen kann.

Derjenige, dem dieser Status noch am ehesten zukommt, ist zweifellos Christopher, aus dessen Augen auch das Gros der Story erzählt wird. Er berichtet von seiner Ankunft, den Antipathien und den Geheimnissen im Schloss der Familie Institoris, vor allem aber von seiner Faszination für die hübsche, allerdings stets missgestimmte Aura, hinter der sich scheinbar eine Menge mehr verbirgt, als zu diesem Zeitpunkt schon gesagt werden kann. Diese eigenartige Beziehung avanciert in diesem ersten Kapitel zu einem der wichtigen Knackpunkte, mit dem die Story wächst und die Spannung erste Höhepunkte erreicht.

Gleichzeitig wird aber auch das Erzähltempo immer deutlicher angezogen, so dass nach Beendigung der ersten Abschnitte wirklich Zeit zum Luftholen angebracht ist, die dann aber mit Auras Reise ins Internat auch gewährt wird. Nichtsdestotrotz werden ständig neue, brisante Wendungen in die Geschichte eingeflochten, um bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen permanent hohen Spannungslevel zu erzeugen.

Untermalt vom berauschenden, düsteren Soundtrack, ergibt sich somit ein Ambiente, das in dieser Sparte absolut beispielhaft ist und gemeinsam mit den Titeln des |Gruselkabinetts| wohl zu den besten Inszenierungen zu zählen ist, die derzeit auf dem düsteren Hörspielmarkt zu haben sind. Und da wir es hier erst mit dem Auftakt zu Serie zu tun haben, lässt sich bereits jetzt prognostizieren, dass „Die Alchimistin“ auch dank der bombastischen Aufarbeitung eine echte Hausnummer in ihrer Sparte werden wird.

|77 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3546-6|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

|Kai Meyer auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

Homes, A. M. – Dieses Buch wird Ihr Leben retten

Der Titel von A. M. Homes‘ Roman – „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ – mag im ersten Moment eher abschreckend wirken und an Bücher wie „Sorge dich nicht, lebe!“ erinnern. Darauf jedoch seine Erwartungshaltung aufzubauen, wäre völlig falsch. Hinter dem vermeintlichen Lebensratgeber verbirgt sich ein wunderbar warmherziger und liebenswerter Roman.

Die Geschichte dreht sich um Richard Novak. Reich geworden durch den Aktienhandel, lebt er zurückgezogen in den Hügeln von L.A. Er ist geschieden und hat zu seiner Familie und vor allem zu seinem Sohn Ben kaum Kontakt. Das Essen bringt die Ernährungsberaterin ins Haus, seine Putzfrau kümmert sich um den Haushalt und ansonsten kriegt er eigentlich nur noch von seiner Fitnesstrainerin Besuch.

Richard Novak tut sich selbst zwar jede Menge Gutes, ernährt sich gesund und hält sich fit, aber alles, was sich auf zwischenmenschlicher Ebene abspielt und soziale Interaktion erfordert, meidet er weitestgehend. Kurzum, er führt ein irgendwie steriles Leben. Das ist ihm selbst nicht wirklich bewusst, zumindest so lange, bis ein vermeintlicher Herzinfarkt ihn dazu zwingt, die Notrufnummer zu wählen.

Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, wird Richard plötzlich bewusst, dass es niemanden in seinem Leben gibt, mit dem er über sein Leid reden könnte. Als er dann auch noch sein geliebtes Haus verlassen muss, weil es in einem Erdloch zu versinken droht, beginnt Richard sein Leben umzukrempeln. Er schließt Freundschaften und hilft anderen, doch vor die schwierigste Aufgabe stellt ihn immer noch sein Sohn Ben, an den Richard einfach nicht heranzukommen scheint …

Richard präsentiert sich zu Beginn des Romans nicht gerade als sonderlich sympathischer Protagonist. Er lebt in seiner eigenen Welt. Er arbeitet nicht, sondern kontrolliert nur jeden Tag brav, wie seine Aktien stehen. Er pflegt keine nennenswerten zwischenmenschlichen Kontakte – zumindest nicht mit persönlicher Komponente und verlässt so gut wie nie das Haus. Er lebt wie unter einer Glasglocke und wahrt dabei stets die Distanz nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zu sich selbst. Und so ist Richard eben auch kein Protagonist, in den man sich hineinversetzen kann. Er bleibt auf Distanz und es dauert eine Weile, bis man ihn ins Herz zu schließen beginnt.

Als Richard dann eines Abends wegen heftiger Schmerzen den Notruf wählt und ins Krankenhaus verfrachtet wird, ist das für ihn ein höchst einschneidendes Erlebnis. Im Krankenhaus weiß er nicht recht, wen er überhaupt anrufen sollte, um mitzuteilen, dass es ihm sehr schlecht geht und er vielleicht bald sterben wird: Seine Ex-Frau? Seinen Anwalt? Oder seine Putzfrau?

Und so reift in Richard schließlich die Erkenntnis, dass seinem Leben etwas ganz entscheidendes fehlt. Ganz langsam und ohne, dass er selbst großartig merkt, was er da eigentlich tut, beginnt er sein Leben zu ändern. Er beginnt auf andere Menschen zuzugehen. Er schließt Freundschaften, die er vorher nie für möglich gehalten hätte. Seiner Ex-Frau und seinem Bruder ist diese Verwandlung fast schon ein bisschen unheimlich. Richard tritt aus seinem eigenen Schatten und fängt an etwas zu tun, von dem er vorher zwar immer geglaubt hat er würde es tun, es aber nie wirklich getan hat: Er fängt an zu leben.

Es ist schön mit anzusehen, wie Richard sich zunächst ganz zaghaft und dann mit zunehmend festerem Schritt in die Welt hinauswagt, wie er Anteil am Leben anderer nimmt und dafür etwas zurückbekommt, von dem er sich früher niemals hätte eingestanden, dass es ihm fehlt: Menschliche Wärme und Zuneigung. Dankbarkeit und Mitgefühl.

Und so entwickelt sich „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ mit seinem Protagonisten zu einer einfühlsamen und warmherzigen Geschichte ohne dabei in kitschige Gefilde abzugleiten. Richard entwickelt gar heldenhafte Züge und sammelt beim Leser wie auch bei seinen Mitmenschen massig Sympathiepunkte. Dennoch schießt A.M. Homes in der Wandlung Richards nicht über das Ziel hinaus. Es gibt nicht das überzogene Friede-Freude-Eierkuchen-Finale, das man im Verlauf des Romans vielleicht schon mal befürchten mag.

Die Autorin beweist ein feines Gespür dafür, die richtige Balance zu finden und die Wandlung von Richard nicht zu sehr zu überzeichnen. Er wird eben nicht zu einem komplett neuen Menschen. Er streift seine Ängste und Gewohnheiten nicht einfach über Nacht ab.

Zu sehen, wie Richard sich langsam aus seinem Schneckenhaus hinauswagt, macht auch deswegen Spaß, weil A.M. Homes einen so lockeren und eingängigen Schreibstil hat. Obwohl die meiste Zeit nicht so wahnsinnig viel passiert und das Buch ohne Spannung im engeren Sinne auskommt, hält Homes den Leser bei Laune. Das Buch lässt sich wunderbar flott herunterlesen. Homes weiß auch mit einfachen Mitteln zu unterhalten und erzählt so eine Geschichte, die man gerne weiterverfolgt und die auch immer wieder mit einem Augenzwinkern daher kommt.

Bleibt unterm Strich insgesamt ein positiver Eindruck zurück. „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ ist ein wunderbar warmherziger Roman, eingängig geschrieben und voller liebenswerter, teils gar skurriler Figuren. A.M. Homes schafft es, stets glaubwürdig zu bleiben. Nirgends gleitet die Geschichte in kitschige Gefilde ab, nichts wirkt überzeichnet. Ein leiser, aber durchaus sehr unterhaltsamer Roman, dessen Figuren man mit der Zeit immer mehr ins Herz schließt.

http://www.heyne.de

Oury, Nicolas – Mykerinos

„“Mykerinos“ hatte zur Erstveröffentlichung einige heftige Hürden zu überspringen. Der große Verlagsbruder „Caylus“ war gerade im Begriff, sämtliche prestigereichen Preise abzuräumen, und mit [„Ys“ 4270 hatte man im Hause |Ystari| ebenfalls schon ein echtes Schwergewicht auf den Markt gebracht, welches den Namen der bis dahin noch kleinen französischen Firma allerorts bekannt machte. Mit dem dritten Spiel im Bunde, dem bis hierhin auch unscheinbarsten und kleinsten, galt es also pünktlich zur |SPIEL ’06|, den guten Ruf zu verteidigen und weiter auszubauen. Skeptisch wurde das Spiel dereinst von Kritikern verfolgt, anschließend jedoch für würdig befunden, den hohen Qualitätsanspruch an |Ystari| zu vertreten.

_Spielidee_

Wie der Name schon erahnen lässt, werden die Spieler in „Mykerinos“ ins alte Ägypten entführt, genauer gesagt in das Jahr 1899. Jeder Spieler schlüpft in die Rolle eines europäischen Ägyptologen, der im Auftrag eines Mäzens die Wüstenei Nordafrikas nach kostbaren Artefakten und wertvollen Gegenständen durchsucht. Ziel ist es ferner, diese Gegenstände für eine neue Museumsausstellung aufzubereiten und in den prestigeträchtigen Räumlichkeiten der Ausstellungshallen zu postieren.

Das Spiel ist dabei in vier Runden zu jeweils drei Phasen aufgeteilt, in denen man innerhalb der sechs Spielzonen Einfluss gewinnen muss, weitere Mäzene auf seine Seite ziehen sollte und anschließend diesen Einfluss auf das Museum zu übertragen hat, um dort das nötige Prestige zu gewinnen. Geschickt gilt es, seine Archäologen Runden für Runde in den Zonen einzusetzen und Mehrheiten zu gewinnen, die einen für die jeweilige Zone zum ersten Entscheidungsträger machen. Man hat anschließend die Wahl, entweder den jeweiligen Mäzen zur Hand zu nehmen und künftig auf dessen Unterstützung zurückzugreifen, oder aber in seinem Flügel des Museums eine weitere Halle zu besetzen. Stets gilt es abzuwägen, inwiefern man seine Archäologen einsetzt und unter welchen Umständen die meisten Siegpunkte zu erzielen sind – wer von ihnen nämlich am Ende die meisten eingeheimst hat, wird zum Sieger gekürt.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 36 Parzellen-/Mäzenkarten
• 100 Archäologen in vier Farben
• 12 Markierungsscheiben für die Spieler
• 7 Punktemarker +50
• 1 Startspielermarker
• 5 Markierungsscheiben für die Mäzene
• 1 Spielregel

Das Spielmaterial ist in erster Linie zweckdienlich gehalten und macht optisch zunächst einmal nichts her. Sobald das Spiel allerdings aufgebaut ist, entwickelt sich ein durchaus stimmiges optisches Konzept, welches die Spielatmosphäre fein unterlegt. Davon abgesehen, setzt man einmal mehr auf Stabilität beim Spielmaterial. Die Karten und Marker sind absolut solide und zeigen auch nach mehreren Runden keine Verschleißerscheinungen, und da „Mykerinos“ durchaus zu den Spielen gehört, die regelmäßig auf den Tisch kommen, ist dies ein bedeutender Aspekt. Insgesamt also macht das Material einen sehr guten Eindruck – auch wenn der erste Blick noch eine gewisse Skepsis rechtfertigt.

Vor dem Spiel werden die beidseitig bedruckten Karten mit den Mäzenen respektive den Parzellen gemischt und zu einem Nachziehstapel ausgelegt. Für die erste Spielrunde werden nun acht dieser Karten gezogen und zu insgesamt vier Zonen aus jeweils zwei Parzellenkarten zusammengelegt. Anschließend werden die Markierungsscheiben für die Mäzene zufällig in den Museumsflügeln ausgelegt. Die Archäologen werden zu einem allgemeinen Vorrat beiseite gelegt. Als Letztes wird ein Markierungsstein für jeden Spieler auf das Startfeld der Siegpunktleiste gesetzt. Nun kann das Spiel beginnen.

_Spielablauf_

„Mykerinos“ ist in vier Spielrunden aufgeteilt, in denen die Spieler jeweils um die Vorherrschaft in den Parzellen und Zonen streiten, Mäzene auf ihre Seite ziehen und Einfluss in den Hallen des Museums gewinnen. Dabei ist jede Runde noch einmal in drei separate Phasen unterteilt, in denen die Archäologen zum Einsatz kommen und fleißig taktiert werden darf.

|Phase 1 – Neue Runde|

Vor jeder neuen Runde erhalten alle Spieler elf neue Archäologen aus dem allgemeinen Vorrat. Sollte man aus der vorherigen Runde noch Archäologen aufbewahrt haben, können diese nun als Bonus eingesetzt werden. Der aktuelle Startspieler zieht nun acht Parzellen (bzw. zwölf in der letzten Runde) und legt diese zu einem großen Gebiet aus.

|Phase 2 – Ausgrabungen|

Die Ausgrabungen sind das entscheidende Element im Spielverlauf. Die Spieler setzen nun ihre Archäologen ein und lassen sie in den lukrativsten Gebieten des ausgelegten Gebietes graben. Lukrativ sind dabei besonders die Parzellen, die mit zusätzlichen Siegpunkten bestückt sind. Hier eine Vormachtstellung zu erlangen, scheint daher umso sinnvoller.

Wer nun eine neue Ausgrabung starten mag, legt einen Archäologen in einer der Zonen ab. Im weiteren Verlauf kann man dort nun auch eine bestehende eigene Ausgrabung erweitern. Für diesen Fall darf man bereits zwei Archäologen-Steine an diese Ausgrabung anlegen. Wichtig ist hierbei, dass man nur an benachbarte Felder anlegt; zu diesen gehören aber auch Felder in angrenzenden Zonen.

Wer in einer vorherigen Runde eine Parzelle gewonnen hat, darf ab der nächsten Runde auf die Unterstützung des Mäzens, der auf der Rückseite dieser Parzelle abgebildet ist, zurückgreifen. Insgesamt sind fünf Mäzene im Spiel, die verschiedene Sonderaktionen erlauben. So darf man beispielsweise gesperrte Felder in den Parzellen besetzen, eine Ausgrabung direkt mit drei Archäologen erweitern oder zusätzliche Figuren aus dem allgemeinen Vorrat bemühen. Wer letztendlich glaubt, dass er genügend Archäologen ausgelegt hat, kann als letzte Aktion passen. Der Spieler, der dies zuerst tut, darf einen Markierungsstein auf das erste Feld der Leiste zur Auflösung von Gleichständen positionieren. Sollte es nun in einer späteren Auswertung zu einem Remis kommen, ist dieser Spieler dann im Vorteil.

|Phase 3 – Auswertung|

Bei der Auswertung der Zonen werden nun die Mehrheiten berücksichtigt. Der Spieler, der die meisten Archäologen untergebracht hat bzw. bei einem Gleichstand in der zugehörigen Leiste die Nase vorne hat, darf als Erster eine Aktion wählen. Er darf nun eine Parzelle aussuchen und diese zur Hand nehmen oder aber ein passendes Feld im Museumsteil des zugehörigen Mäzens besetzen. Entscheidet er sich für die Parzelle, legt er diese nun mit der Seite des Mäzens in seinen Vorrat und streicht, falls vorhanden, die damit verbundenen Siegpunkte ein. Der Spieler mit den zweitmeisten Archäologen kann nun auf dieselben Aktionsmöglichkeiten zurückgreifen. Auch die eventuell Dritt- und Viertplatzierten könnten noch eingreifen, solange Parzellen übrig bleiben. Sie dürfen jedoch nicht mehr im Museum vorstellig werden.

Nachdem alle Siegpunkte verrechnet und Parzellen verteilt wurden, geht das Spiel in die nächste Runde. Die überschüssigen Parzellen werden aus dem Spiel genommen und ein neues Gebiet ausgelegt. Die in Anspruch genommenen Mäzene werden wieder in die rechte Position gerückt und können in der folgenden Runde wiederverwendet werden.

_Spielende_

Nach vier Runden folgt die Schlusswertung. Die Gebiete im Museum werden ausgewertet und zu den Punkten auf der Siegpunktleiste addiert. Der Spieler, der nun das beste Punkteergebnis erzielt hat, hat das Spiel gewonnen.

_Persönlicher Eindruck_

„Mykerinos“ ist, wie bereits angesprochen, ein ziemlich unscheinbares Spiel, welches sich bei vielen bekannten Mechanismen anderer Titel bedient, diese aber zu einem ganz eigenen, durchaus ansprechenden Konglomerat kombiniert. Das Mehrheitensystem ist sehr fein ausgeklügelt, der aktive Anteil sowie die Entscheidungsgewalt jedes Spielers mit einer großen Priorität in das System mit eingebunden. Außerdem ist die Idee mit den Parzellen/Mäzenen – die man nach der Auswertung nicht dringend annehmen muss, andererseits aber auch dringend benötigt, um im Spiel weiterzukommen – sehr stark. Hierin besteht vor allem der intuitive Part des Spiels, der sich schließlich auch auf die strategischen Anteile von „Mykerinos“ niederschlägt und gerade diesen Aspekt äußerst hoch einstuft. Nur sehr wenig wird dem Glück überlassen, da jeder hier seine Geschicke jederzeit selber in der Hand hält. Mäzene aufgreifen oder ins Museum starten? Immer wieder steht man vor folgenschweren Entscheidungen, die man später schnell wieder bereuen kann. Und da man mit manchen Entscheidungen auch direkt für das Schicksal seiner Mitspieler verantwortlich ist, gewinnt das Spiel in jeder Phase kontinuierlich an Spannung.

Letzten Endes wird die Skepsis, die sich anfänglich noch einzuschleichen gedachte, sehr schnell ad acta gelegt und von einem sehr starken, zwar nicht innovativen, aber gut aufeinander abgestimmten Mechanismus abgelöst. „Mykerinos“ führt die Serie überzeugender Strategietitel aus den Hause |Ystari| eindrucksvoll fort und mausert sich neben Hausreferenzen wie „Caylus“ und [„Yspahan“ 4385 zu einer durchaus lohnenswerten Alternative aus dem hochwertigen Verlagsprogramm.

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Binding, Tim – Cliffhanger

|“Neuerdings glotzt du mich nur noch an. Weiß Gott, was du dabei denkst.“ Gott wusste es allerdings. Zum Glück sonst niemand. Das hoffte ich zumindest.|

Denn Al Greenwood hat keinen anderen Gedanken als seine Frau, die er neuerdings nur noch anglotzt, um die Ecke zu bringen!

Der britische Autor Tim Binding war bis vor kurzem ein unbeschriebenes Blatt für mich – bis ich im Börsenblatt eine Anzeige zu seinem aktuellen Roman „Cliffhanger“ fand und sofort von der kurzen Inhaltsbeschreibung begeistert war. Manchmal findet man ganz zufällig eben auch noch kleine literarische Schmückstückchen …

_Am Abgrund stehen_

Al Greenwood hat ein Problem, nämlich seine Frau Audrey. An ihr hasst er jeden schwabbeligen Zentimeter, ihre gehässige Art ist ihm verhasst, er mag nicht, wie sie isst, spricht oder sich verhält – kurz: Er kann sie nicht ausstehen. Deswegen hat er beschlossen, sie umzubringen. An einem regnerischen Abend schickt er sie los zu einem Spaziergang zu den Klippen. Eingehüllt in ihren gelben Regenmantel, stapft sie los, während Al sich auf einem Nebenweg zu den Klippen schleicht. Als er dort eine weinende Frau im gelben Regenmantel entdeckt, stößt er sie kurzerhand in den Abgrund. Freudestrahlend tänzelt er beinahe nach Hause, stößt euphorisch die Haustür auf, stürmt in sein neues eigenes Heim – und entdeckt dann seine Frau Audrey, die putzmunter und ziemlich rollig im Wohnzimmer auf ihn wartet.

Schockschwerenot! Wen hat er bloß die Klippen hinunter gestürzt und wo war Audrey in der Zwischenzeit? Denn sie taucht durchnässt und in ungewohnter Stimmung zu Hause auf … Was ist bloß in der Zwischenzeit passiert? Al versteht die Welt nicht mehr. Nur einen Tag später erfährt er, dass die junge Miranda spurlos verschwunden ist. Miranda ist die Tochter seiner ehemaligen Affäre und somit mit großer Wahrscheinlichkeit auch seine eigene Tochter! Al ist verzweifelt; Miranda war ihm näher als irgendjemand sonst. Regelmäßig hat er sich mit ihr in seinem Wohnwagen getroffen, um zu reden und sie besser kennenzulernen. Wie konnte er bloß seine über 50-jährige beleibte Frau mit der jungen und schlanken Miranda verwechseln? Al versteht die Welt nicht mehr, doch scheint alles darauf hinzudeuten, dass es Miranda war, die ihr Ende an den Klippen gefunden hat.

Doch noch mehr Überraschungen warten auf Al: Seine Nachbarin, von ihm eher weniger liebevoll Mrs. Schnüffelnase getauft, stürzt nach vielen Schnäpsen und einigen Joints die heimische Treppe hinunter. Wieder ist Al dabei, auch wenn er dieser Frau keinen Schubs gegeben hat. Er lässt seine Nachbarin leblos liegen, aber kurze Zeit später sitzt auch sie in seinem eigenen Hause! Sie war nur bewusstlos, kann sich aber nicht richtig bewegen und quartiert sich daher im Hause Greenwood ein, um sich wieder zu erholen. Das geht allerdings nur mit großzügigem Grasnachschub, den Al im nachbarlichen Haus in den Sofakissen eingenäht findet. Nach einer Taxifahrt entdeckt Al eine vergessene Sporttasche in seinem Taxi. Der Herr Major hat sie dort vergessen, allerdings enthält die Tasche nicht die vermuteten Sportsachen, sondern lauter Dessous. Al behält das Corpus Delicti kurzerhand und will sich einen Spaß aus der ganzen Sache machen.

Derweil lebt seine Ehe wieder auf. Audrey ist wie ausgewechselt, fällt fast täglich über ihn her, ist bester Laune und geht inzwischen sogar ins Fitnessstudio. Al beschließt, die Frau von den Klippen zu vergessen, denn dieser misslungene Klippenstoß war offensichtlich das Beste, was seiner Ehe passieren konnte. Noch ahnt er aber nicht, was den wahren Sinneswandel bei Audrey bewirkt hat …

_Von Fischen, bekifften Nachbarinnen und gefährlichen Klippen_

Schade, dass ich Tim Binding noch nicht früher entdeckt habe, denn „Cliffhanger“ ist ein wahrer Schatz britischen schwarzen Humors. Glücklicherweise versucht Binding nicht, den mysteriösen Klippensturz durch übersinnliche Phänomene zu erklären, sondern klärt am Ende alles logisch auf. So bleibt der Leser breit grinsend und zufrieden zurück.

Was das Buch auszeichnet, sind zunächst seine Charaktere, die alle irgendwo einen kleinen oder auch großen Schatten haben. Al Greenwood beschließt einfach mal so, seine verhasste Ehefrau loszuwerden und sie in die Tiefe zu stürzen. Gewissensbisse hat er erst, als er vermuten muss, dass er stattdessen seine Tochter aus dem Leben befördert hat. Als seine Frau aber immer zugänglicher wird, verdrängt er auch dieses schlechte Gewissen schnell. Seine größte Leidenschaft sind die zwei Kois im Gartenteich, die leben wie Gott in Frankreich. Ihnen zuliebe hat er einen künstlichen Wasserfall angelegt, der einem Kunstwerk gleicht. Die Fische schwimmen in einem perfekt temperierten Becken und bekommen stets die leckersten Köstlichkeiten zu essen. Seinen Karpfen widmet Al mehr Zeit als seiner Frau, seinem Job oder irgendetwas sonst. Sie sind sein Hobby und seine große Liebe.

In Detective Inspector Rump findet er einen Gleichgesinnten. War Rump eigentlich zu seiner Befragung bei den Greenwoods, so geht das Gespräch bald in ein Fachgesimpel über Karpfen über, als Rump erfährt, dass Greenwood zwei wahre Prachtstücke im eigenen Teich zu schwimmen hat. Die Ermittlung wird schnell zur Nebensache, was auch gut ist, denn Audrey hält sich bei der polizeilichen Befragung nicht an die Version, die Al vorher mit ihr abgesprochen hatte, und behauptet kackfrech, sie wäre den ganzen Abend zu Hause gewesen. Auweia, das stimmt doch nun wirklich nicht, und angesichts der überneugierigen Nachbarin ist Al sich sicher, dass diese Lüge schnell auffliegen muss, denn keinen Schritt können die Greenwoods tun, ohne dass die benachbarte Alice Blackstock es mitbekommt. Und tatsächlich hat sie sogar Al an den Klippen bemerkt, als sie auf einem Baum herumgeklettert ist, um ihre Wäscheleine zu retten.

Doch die liebe Frau Blackstock hat nicht nur scheußliche Angst vor ihrem Zahnarzt, sondern vor allem ein schweres Drogenproblem. Mit ihrem heimischen Grasvorrat könnte sie eine ganze Kompanie über Monate hinweg versorgen. Sie ist auch nicht geizig und gibt gerne von dem guten Stoff ab; so überrascht sie die Greenwoods mit interessanten Gemüsekroketten, die eher aussehen wie „behaarte Männerhoden“, weil die „Petersilie“ nicht fein genug gehackt ist. Erst als Al in ganz anderen Welten schwebt, geht ihm auf, dass es keine Petersilie war, sondern das gute Gras aus Mrs. Blackstocks Kissen.

Audrey hat eine mysteriöse Wandlung durchgemacht, dennoch wird sie dem Leser nur wenig sympathisch, denn als Menschenfreundin kann man sie nicht gerade bezeichnen. Auch die Nebencharaktere haben Potenzial, allen voran der frisch verliebte Inspector, der seine Befragungen dazu nutzt, um mehr über Karpfen zu erfahren. Sein Job wird da schnell zur Nebensache. Auch der Major, der statt Joggingsachen Damenwäsche mit sich führt, oder Mirandas Exlover Kim, der seine Frau an ein Seil bindet, um des nachts mit ihr spazieren zu gehen, gefallen gut.

Bei Binding gibt es keine normalen Menschen, alle haben ihre Ticks, aber es sind lustige Spleens, die einem zum Lachen bringen und von Bindung hervorragend komisch dargestellt werden.

_Witz komm raus, du bist umzingelt_

Der zweite Aspekt, der „Cliffhanger“ zu einem wahren Leseschatz macht, ist Bindings genialer Schreibstil. Sein Buch lässt sich nicht nur wunderbar flüssig lesen, sondern der Autor verwendet herrliche Metaphern, die den Leser immer wieder zum Schmunzeln verleiten. Die Bilder, die Tim Binding verwendet, sind natürlich überzeichnet, aber dennoch passen sie meist wie die Faust aufs Auge; zwei Beispiele:

|Obendrein war sie helle, auf Draht, interessiert, hatte einen super Schulabschluss und konnte so geschmeidig vom zweiten in den dritten Gang schalten, wie ein Vaselinefinger in den Verdauungskanal fluscht.| Oder: |“Ich bin ziemlich sicher, dass es die Bauchwassersucht war. Alle ersten Anzeichen sprachen dafür, aufgeblähter Leib, Glotzaugen.“ Hörte sich an wie Audrey nach anderthalb Flaschen Merlot.|

Dieser herrliche Schreibstil, der stete Wortwitz und die Situationskomik sorgen für ein kurzweiliges und erheiterndes Lesevergnügen. In Al Greenwoods Leben geht alles schief, und Tim Binding findet die richtigen Worte, um diese kuriosen und absurden Szenen zu beschreiben. Fast nie verwendet er Metaphern, wie man sie schon tausendmal zuvor gelesen hat, immer fällt ihm etwas Neues ein, auf das man selbst nie gekommen wäre. Und trotzdem sind die Bilder stimmig. Auch wenn die Handlung ab der Hälfte des Buches angesichts der chaotischen Zustände etwas zu zerfransen droht, liest man gerne weiter, weil man sich in Bindings Sätzen und Beschreibungen verlieren und in sie verlieben kann.

Ich bin wirklich froh, dass ich diesen kleinen Schatz durch Zufall entdeckt habe, denn jedem Satz, jeder Beschreibung merkt man Tim Bindings Schreibtalent an, jede Zeile liest man gerne – manche sogar noch lieber als andere. Schräge Figuren, skurrile Geschichten und köstliche Situationskomik – das sind gleich drei Wünsche auf einmal. Aber bei Tim Binding geht das!

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Gordon D. Shirreffs – Der Silberschatz von La Barranca

Shirreffs Silberschatz Cover kleinDrei Männer ziehen im Jahre 1868 durch die Wüste von Mexiko, um in einer sagenhaften Silbermine reich zu werden. Stattdessen finden sie Hitze, mörderische Indianer und Wahnsinn: den Fluch von La Barranca … – Western vor ungewöhnlicher aber authentischer Kulisse; in einer grandios geschilderten Landschaft spielt sich ein fast kammerspielartiges Drama um Freundschaft, Gier und Verrat ab: ein kantiger Roman mit viel Spannung und ohne Sentimentalitäten.
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Adams, Poppy – Wer die Ruhe stört

Die siebzigjährige Virginia Stone lebt von Geburt an auf Bulborrow Court, dem ländlichen Herrenhaus ihrer Eltern. Wie ihr Vater, hat auch sie ihr Leben der Schmetterlingsforschung verschrieben. Clive Stone war ein ehrgeiziger Wissenschaftler, Mutter Maud eine naturverbundene Umweltaktivistin. Virginias jüngere Schwester Vivien hat das Elternhaus bereits in jungen Jahren verlassen und ist nach London gegangen.

Schon früher waren die Schwestern, obwohl eng befreundet, sehr gegensätzlich – Ginny die ordnungsliebende Forscherin, Vivi die impulsive Chaotin. Jetzt kommt Vivien überraschend nach Jahrzehnten wieder zu Besuch. Nach der ersten Wiedersehensfreude ist Virginia vor allem misstrauisch. Sie fühlt sich durch die Anwesenheit ihrer Schwester irritiert; zu sehr hat sie sich an die Einsamkeit gewöhnt und hasst jede Störung ihrer Ruhe.

Während Virginia über den wahren Grund der Wiederkehr ihrer Schwester nachgrübelt, versinkt sie in Erinnerungen an ihr Leben mit Vivien vor über vierzig Jahren. Sie erinnert sich an glückliche Tage in ihrer Kinderzeit und Jugend – aber auch an dunkle Familiengeheimnisse, die sie längst verdrängt geglaubt hat und die nie wieder an die Oberfläche kommen sollten …

Ein abgelegenes Herrenhaus, eine verschrobene Besitzerin und dunkle Familiengeheimnisse – dies sind die bewährten Zutaten, die sich Poppy Adams für ihren Debütroman zurechtgelegt hat.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Gleich mehrere Fragen fesseln den Leser, sowohl in der Gegenwart als auch im Handlungsstrang, der in der Vergangenheit spielt. Schon früh ist erkennbar, dass Virginia sich zwar über das Wiedersehen mit Vivien freut, dass aber auch Spannungen und viel Unausgesprochenes in der Luft liegen und es womöglich zu einem Streit mit ungewissem Ausgang kommen mag. Nach und nach wird das anfänglich gezeichnete Bild von der Idylle einer wohlhabenden Forscherfamilie zerstört, indem immer mehr Enthüllungen aus der Vergangenheit ans Tageslicht geholt werden. In ihrer Liebe zu Vivi verwickelt sich die junge Ginny in eine verhängnisvolle Aufgabe, und man ahnt, dass das Vorhaben der beiden Schwestern ein böses Ende nehmen muss. Auch über dem Tod der Mutter liegt ein Schatten und Ginny muss sich nach all den Jahren mit einer möglichen neuen Ursache auseinandersetzen.

|Interessante Charaktere|

Lange Zeit sind es vor allem die Gegensätze zwischen den Schwestern, die für Faszination sorgen. Da ist die lebhafte Vivien, stets unbekümmert und spontan, die eindeutige Anführerin, obwohl drei Jahre jünger als Virginia. Keine zehn Jahre ist sie alt, als sie beim Spielen von einem Glockenturm stürzt und nur knapp überlebt. Doch anstatt sich zurückzunehmen, bleibt sie ihrer energischen Linie treu, immer die ergebene Schwester im Schlepptau, die gar nicht auf die Idee kommt, der geliebten Vivi einen Wunsch abzuschlagen.

Erfreulicherweise ist Virginia trotz dieser Ergebenheit alles andere als langweilig geraten. Schon früh entdeckt sie ihren Forscherdrang und eifert ihrem berühmten Vater nach. Stundenlang beobachtet sie Raupen und Schmetterlinge, katalogisiert sie, tötet sie zu Untersuchungszwecken. Was Vivien mit der Zeit öde wurde, bleibt bis an Virginias Lebensende ihre Leidenschaft. Auch dem Leser wird die bunte Welt der Schmetterlinge nahegebracht, immer wieder lässt sich Ich-Erzählerin Virginia zu kleinen Abschweifungen hinreißen, die nie ins Belehrende gleiten, sondern eindrucksvoll ihre Liebe zu dieser Wissenschaft unterstreichen.

Die Darstellung der Familienverhältnisse ist angenehm vielschichtig geraten. Anfangs erscheint das Bild harmonisch, doch allmählich beginnt es zu bröckeln. Maud Stone greift vermehrt zum Alkohol, was die entsetzte Virginia krampfhaft vor dem Rest der Verwandtschaft verbergen möchte; Vivien verlässt ihr Elternhaus und bricht mit dem Vater. Trotz der teilweise dramatischen Verwicklungen gibt es auch amüsante Szenarien, vor allem im Zusammenspiel mit Arthur, Vivis Freund und späterem Ehemann. Völlig ahnungslos steht er der Schmetterlingsforschung gegenüber und registriert erstaunt, wie intensiv sich sein Schwiegervater in spe mit dem scheinbar staubtrockenen Thema auseinandersetzt – während dieser nur über die naiven Äußerungen des Schwiegersohns müde lächeln kann.

|Kleine Schwächen|

Ein paar Mankos sind Poppy Adams bei ihrem Debüt dennoch untergekommen. Zum einen vermisst man ein wenig mehr Zeitgeist im Handlungsstrang der Vergangenheit. Die Schwestern werden in den turbulenten Vierzigerjahren geboren, doch von Krieg oder Nachkriegszeit ist nicht viel zu spüren; stattdessen macht die Handlung einen durchweg modernen Eindruck. Zudem kann das Ende nicht ganz die geweckten Erwartungen bestätigen. Die finale Wendung ist zwar schlüssig, lässt aber in der Umsetzung Atmosphäre vermissen, und vor allem Virginia erscheint in ihren Handlungen seltsam steril. Aufgrund der vorherigen Enthüllungen und der sich stetig steigernden Spannung erhofft man sich unwillkürlich einen Knalleffekt am Schluss – aber vergebens, denn eine wirkliche Überraschung tritt nicht ein.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Debütroman, der eine dramatische Familiengeschichte mit Thrillerelementen verbindet. Die Charaktere sind gut gelungen, die Handlung ist spannend inszeniert. Kleine Abzüge gibt es für das verhältnismäßig unspektakuläre Ende.

_Die Autorin_ Poppy Adams, Jahrgang 1974, studierte Naturwissenschaften und arbeitete als Dokumentarfilmerin für |BBC|, |Channel 4| und |The Discovery Channel|. Das vorliegende Buch ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihrer Familie in London.

|Originaltitel: The Behaviour of Moths
Übersetzung von Rita Seuß
368 Seiten, gebunden|
http://www.hoca.de

Henn, Carsten Sebastian – Tod und Trüffel

Spätestens seit dem tierisch guten Tierkrimi [„Glennkill“ 1583 oder dem Klassiker „Felidae“ sind uns Tiere als Krimi- und Romanhelden nicht mehr fremd. Was lag da näher, als den besten Freund des Menschen zum ermittelnden „Beamten“ zu erheben, und dies zudem noch in einer ausgesprochen idyllischen Gegend? Genau diese Idee hat Carsten Sebastian Henn mit seinem Hundekrimi aus dem Piemont in die Tat umgesetzt, doch die Messlatte liegt seit den liebenswerten schafigen Krimihelden ausgesprochen hoch …

_Die Spürnasen ermitteln_

Das [Italienische Windspiel]http://de.wikipedia.org/wiki/Italienisches__Windspiel Niccolò lebt bei einer Familie im beschaulichen Örtchen Rimella im Piemont. Doch eines Tages ist alles anders: Die Menschen sind verschwunden! Niccolò macht sich auf die Suche nach seinen Freunden und Bekannten und findet – nichts! Als er seine Hundefreundin Cinecitta schließlich doch noch entdeckt, stürzt über den beiden die Welt zusammen. Niccolò kann sich retten, doch Cinecitta wird verschüttet. In jenem Moment, in dem Niccolòs Welt buchstäblich zusammenbricht, tauchen Wölfe auf und jagen das junge Windspiel. Niccolò rennt um sein Leben und kann seine Verfolger schließlich abschütteln. Allerdings verirrt er sich dabei und findet den Weg nicht mehr zurück nach Rimella. Bald fällt ihm aber die Lösung ein: Er muss Giacomo finden, den legendären Trüffelhund, der mit seiner Spürnase praktisch alles findet. Also begibt Niccolò sich nach Alba, wo er Giacomo aufsucht.

Giacomo führt ein angenehmes Leben in Alba; zwar findet er nicht immer Leckereien zum Naschen, doch kennt er eine Weinhändlerin, die ihm abends den köstlichsten Wein bereitstellt, der tagsüber nicht ausgetrunken wurde. So schwelgt Giacomo oftmals in weinseligen Träumen, die ihm der edle Barolo beschert hat. Als das aufgeregte Windspiel bei ihm auftaucht, braucht es daher einige Überredungskunst, um Giacomo aus seinem Leben herauszureißen. Als er jedoch einen Menschen beißt und selbst verfolgt wird, verlässt er Alba freiwillig und begibt sich mit Niccolò zusammen nach Rimella.

Dort haben derweil die Wölfe die Stadt erobert. Nirgends ist ein Mensch zu finden, dafür vergrößern die Wölfe ihr städtisches Territorium. Über allem wacht der gefährliche Grarr, der nicht einmal vor Brudermord zurückschreckt. Aber die Leitwölfin Laetitia beginnt Grarr zu durchschauen. Sie sucht nach ihrem Geliebten Aurelius, den Bruder Grarrs, der dessen teuflischen Plänen zum Opfer fiel, doch das weiß Laetitia zunächst noch nicht.

Die Biologin Isabella hat gemeinsam mit ihrer verwöhnten Hündin Canini ihr Lager nahe Rimella aufgeschlagen, um die Wölfe zu beobachten und vor allem vor den fiesen Attacken Tarcisio Burgnichs zu bewahren. Als Niccolò ihr das Leben rettet und sie im Gegenzug das Gleiche für ihn tut, entdeckt das junge Windspiel die perfekte Verbindung zwischen sich und der Biologin: Er kann ihre Gedanken lesen, doch was er da entdeckt, gefällt ihm gar nicht, denn er möchte Rimella lieber wieder für sich, die Hunde und die Menschen haben, vor den Wölfen hat er schreckliche Angst. Wieso will Isabella diesen gefährlichen Tieren also helfen? Was er nicht ahnt, ist, dass Burgnich ganz eigene Pläne für das kleine Städtchen hat, und nicht alle Lebewesen haben Platz in seinen Plänen …

_Tierische Helden_

„Tod und Trüffel“ spricht schon auf den ersten Blick an. Das farbenfrohe Cover zieren die beiden Helden unserer Geschichte – der legendäre Trüffelhund Giacomo mit seiner verschrobenen Nase und das kleine, zierliche und etwas ängstliche Windspiel Niccolò. Im Hintergrund sehen wir noch Teile der Stadt Rimella, die ein großes Unglück ereilt hat. Im gleichen Maße, wie die Menschen verschwinden, breiten die Wölfe sich dort aus und sichern ihr Territorium gegen Mensch und Hund.

Das gefällt Niccolò natürlich überhaupt nicht. Unterstützt von Giacomo und seinen alten hündischen Freunden, die sich noch aus der Stadt retten konnten, sagen sie den Wölfen den Kampf an, erst recht, nachdem Niccolò erfährt, was aus seinem Herrchen geworden ist. Während Niccolò manchmal etwas verzagt ist, wirkt Giacomo mitunter etwas phlegmatisch, was durchaus auch am Genuss diverser Köstlichkeiten wie Trüffel und Wein liegen kann, die ihm die Sinne benebeln.

Carsten Sebastian Henn präsentiert uns hier tierisch gute Helden, wie man sie leider nur selten zu lesen bekommt. Obwohl es bis auf wenige Ausnahmen nur tierische Charaktere gibt, tragen sie doch alle allzu menschliche Züge. Da wäre das kleine Windspiel Niccolò, das alles verliert, aber trotzdem nicht aufgibt. Niccolò trottet durch die Lande, um den Trüffelhund zu finden, der ihm helfen kann, zurück in seine Heimat und zu seinen Menschen zu finden.

Niccolò mausert sich im Laufe der Geschichte zu einem mutigen Helden, der am Ende sogar eine ganze Hundemeute anführt, die Rimella zurückerobern will. Als er schließlich die perfekte Verbindung zu Isabella entdeckt, scheint fast alles makellos, wäre da nicht die überaus eifersüchtige und verzogene Hündin Canini, die Isabella natürlich für sich allein haben möchte. Auch diese Zickereien dürften aus dem wahren Leben nicht allzu unbekannt sein.

Ganz anders Giacomo, der in seinem Hundeleben schon einige harte Schicksalsschläge erleiden musste. Erst verliert er sein Herrchen, mit dem er immer die allerbesten Trüffel gefunden hat, um dann zu einem Herrchen zu kommen, das ihn misshandelt. Aber Giacomo lässt sich nicht unterkriegen und flüchtet in ein Leben ohne Menschen. Ihm reicht es schon, ab und an verschiedene Leckereien aufzutun und das Leben und all seine Vorzüge zu genießen. Hier treffen also die unterschiedlichsten Charaktere aufeinander, die man einfach auf Anhieb liebgewinnen muss.

Den Hunden gegenüber stehen die Wölfe, die natürlich deutlich gefährlicher und rücksichtsloser charakterisiert werden. Aber auch bei den Wölfen gibt es Ausnahmen, wie zum Beispiel den weisen Aurelius, der allerdings den Intrigen seines Bruders zum Opfer fällt, doch Laetitia will ihn rächen und Grarrs Herrschaft beenden. Auf sich allein gestellt, trotzt sie den Schergen Grarrs und findet Unterstützung durch ihren Sohn Vespasian, der nicht ahnt, dass Aurelius sein Vater war.

_Verstricktes_

Rimella hat ein großes Unglück ereilt, die Menschen sind verschwunden und die Wölfe haben Einzug in die Stadt genommen. Doch was ist eigentlich wirklich passiert? Was steckt hinter all dem? Das sind die Fragen, um die sich praktisch alles dreht, denn die Hunde der Stadt verstehen nicht, was vorgefallen ist und wohin ihre Menschen einfach verschwinden konnten, ohne sie mitzunehmen. Um zu verstehen, was vorgefallen ist, braucht es allerdings erst Isabella und ihr menschliches Gespür.

Carsten Sebastian Henn macht viele Baustellen auf, um die sich seine Romanhandlung dreht. Wir lernen die verschiedensten handelnden Figuren kennen und erfahren, was sie vorhaben, denken und planen. Allerdings dauert es arg lange, bis wir beginnen, hinter die Fassade zu schauen und zu verstehen, was vorgefallen ist. Mir persönlich waren es deutlich zu viele Handlungsstränge für das mit gut 300 Seiten doch recht schmale Büchlein.

So verfolgen nicht nur die jeweiligen Rassen ihre eigenen Pläne, sondern sie splitten sich auch untereinander auf. Die Hunde wollen nahezu geschlossen ihre alte Heimat zurückerobern. Isabella möchte die Wölfe retten, durchschaut allerdings noch nicht ganz Burgnichs Pläne. Am schlimmsten ist es bei den Wölfen, die völlig auseinanderdriften. Da ist einmal Grarr, der alle anderen Wölfe befehligt und stets begleitet wird von seinen schaurigen Schergen. Wie wir später erfahren, verfolgen diese allerdings ihre ganz eigenen Pläne. Sie alle hören aber auf die Mutter aller Wölfe, deren Stimme in einer Höhle zu ihnen spricht und sie an die Legende von Romulus und Remus erinnert. Laetitia will Grarr stürzen und die Wölfe zurück in den Wald locken. Vespasian, der zunächst ein treuer Gefährte Grarrs ist, hilft Laetitia später mehr und mehr. Aber auch Aurelius verfolgte bereits eigene Pläne.

Insgesamt ist das alles kaum zu durchschauen. So findet die Handlung an zu vielen Schauplätzen statt, wodurch man leicht den roten Faden zu verlieren droht. Sicherlich waren nicht alle Handlungsstränge notwendig, um eine spannende Geschichte zu stricken. Sinnvoller wäre es meiner Meinung nach gewesen, sich auf wenige Handlungsstränge zu beschränken und dafür viel früher Informationen einzustreuen, die den Leser auf die Fährte einer möglichen Lösung locken. Doch Henn tut dies leider nicht. Er verfolgt die verschiedenen Geschichten und verliert dabei aus den Augen, dem Leser mitzuteilen, was eigentlich in Rimella geschehen ist. Das mindert dann auch irgendwann die Spannung, weil man zwar mit den tierischen Charakteren mitfiebert, aber gar nicht mehr genau weiß, was eigentlich Sache ist.

_Tierisch gut?!_

Unter dem Strich gefällt „Tod und Trüffel“ trotzdem gut. Insbesondere die tierischen Charaktere überzeugen auf ganzer Linie. Mit den beiden sympathischen Hunden Niccolò und Giacomo steht und fällt alles, und da man sie richtig ins Herz geschlossen hat, funktioniert auch das Buch als Ganzes irgendwo. Inhaltlich wäre weniger aber durchaus mehr gewesen. Lesen lässt sich das Buch dennoch prima; die Sprache ist einfach, beschreibt die Situationen aber immer so treffend, dass man sich in die Szenen hineinversetzen kann. Der Roman macht neugierig auf weitere Hundekrimis, denn wie es mit unseren beiden Hundehelden weitergeht, möchte ich jetzt natürlich schon wissen!

|336 Seiten, gebunden|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/listhc/

Baden, Michael / Kenney, Linda – Skalpell N° 5

Michael Baden und Linda Kenney, die Autoren von „Skalpell N° 5“, wissen, wovon sie reden: Er ist Gerichtsmediziner und sie Anwältin für Bürgerrechte – genau wie die gegensätzlichen Protagonisten des ersten gemeinsamen Krimis.

Diese sind die junge, energische Bürgerrechtsanwältin Manny mit Herz und verwöhntem Hund sowie der erfahrene, bedächtige Pathologe Dr. Jack Rosen. Manny kann Jake eigentlich nicht mehr riechen, seit er sie in einem Prozess, bei dem sie sich auf verschiedenen Seiten der Anklagebank befanden, blamiert hat. Als er sie jedoch um Hilfe bei einem verzwickten Fall bittet, hilft sie ihm nicht nur, weil ihre anwaltlichen Fähigkeiten gefragt sind. Immer wieder ertappt sie sich bei Gedanken, die mit der Verführung von Jake zusammenhängen, auch wenn ihre schlagfertigen Antworten zumeist etwas anderes zeigen.

Der Fall rückt bei der gegensätzlichen Liebelei zum Glück nicht in den Hintergrund. Dr. Pete Harrigan, der Gerichtsmediziner von Turner und Jakes ehemaliger Mentor, ruft Jake an, damit er ihm hilft, die Knochen zu identifizieren, die beim Bau eines Einkaufszentrums in Turner gefunden wurden. Es stellt sich heraus, dass die Knochen eben kein alter Indianerfriedhof, sondern relativ jung sind und zu vier verschiedenen Gerippen gehören.

Bei seinen Ermittlungen entdeckt Jake, dass einer der Toten ein ehemaliger Soldat ist, der nach dem Krieg in eine psychiatrische Anstalt kam. Er sucht die Angehörigen des Opfers auf und kann sie überzeugen, mit Mannys Hilfe Klage gegen den Staat einzureichen. Doch der Kampf für Gerechtigkeit währt nicht lange. Erst stirbt Pete Harrigan, dann wenig später seine Haushälterin, und schließlich ziehen die Angehörigen die Klage zurück. Es scheint, als ob jemand Druck auf sie ausgeübt hat, doch wer? Die Bauherren des Einkaufszentrums, die die zeitliche Verzögerung nicht unbedingt schätzen? Oder gibt es jemandem im Hintergrund, der unbedingt verhindern möchte, dass die Wahrheit über die Skelette zum Vorschein kommt? Würde dieser Jemand so weit gehen, Pete und dessen Haushälterin brutal zu ermorden?

Zugegeben, am Anfang wirkt „Skalpell N° 5“ so langweilig und zäh wie viele amerikanische Krimis. Es dauert einige Seiten, bis die Geschichte in Schwung kommt und die Figuren nicht mehr wie abgekupfert wirken. Hat man diese Durststrecke hinter sich gebracht, findet man einen sehr spannenden, wendungsreichen Kriminalroman vor, der häufig überrascht. Die Frage nach dem Mörder wird erst am Ende geklärt, wie es sich gehört, obwohl es genug Fährten in diese Richtung gibt. Die Autoren legen zusätzlich noch andere Spuren aus, so dass der Leser mit seinen Verdächtigungen zwischen den einzelnen Personen hin und her springt. Jeder scheint Dreck am Stecken oder ein Motiv zu haben. Das Autorenduo schafft es zwar nicht immer zu fesseln, aber die Handlung ist sauber und spannend konstruiert und lädt zum Weiterlesen ein. Die Schnipsel aus dem Privatleben der Autoren – hauptsächlich romantischer Natur – werden elegant eingebaut und wirken nicht störend, wie das in anderen Büchern dieser Machart der Fall ist.

Die Personen bedürfen ebenfalls einer gewissen Aufwärmzeit. Der Einstieg in das Buch gelingt Baden und Kenney nicht besonders gut. Manny wird als arrogante, luxusverliebte Zicke mit eiskaltem Mundwerk dargestellt, Jake als ruhiger, langweiliger Wissenschaftler. Damit unterscheiden sie sich nur wenig von Charakteren ähnlicher Bücher. Erst mit der Zeit durchbrechen die Autoren diese anfängliche Oberflächlichkeit und zeigen, dass die beiden Hauptpersonen eben nicht nur reine Klischees sind. Manny ist nicht so luxusverwöhnt, wie es scheint, und Jake kein vertrottelter Gerichtsmediziner. Diese Unterschiede zu den gängigen Klischees hätten ruhig ein wenig besser herausgearbeitet werden können, da sie immer noch zu schwach sind, um „Skalpell N° 5“ wirklich originell zu machen.

Der Schreibstil an und für sich ist sehr nüchtern. Dank der guten Recherche der Autoren können sie mit vielen Fachbegriffen aufwarten und erklären diese auch. Überhaupt ist die sorgfältige Ausarbeitung der Obduktionen und Jakes Wissen ein großer Pluspunkt der Geschichte. Baden schafft es tatsächlich, interessante Dinge, die dem Leser nicht unbedingt bekannt sind, einzuflechten und so das Interesse wachzuhalten. Das ist insbesondere deshalb gut, weil der Roman sehr trocken und sachlich wirkt und sprachlich kaum berührt – wenn es nicht die Dialoge und Mannys Gedanken gäbe. Die Dialoge sind spritzig und schlagfertig, Mannys Gedanken sind sarkastisch und häufig angenehm überdreht. Die quirlige junge Frau bringt dadurch eine Menge Leben in das Buch, was dieses von der anfänglichen Lethargie befreit.

Hat man den trockenen Anfang erst einmal überwunden, kann man „Skalpell N° 5“ nur schwer aus der Hand legen. Die Handlung ist wider Erwarten spannend und überraschend, während die Personen sich, wenigstens stellenweise, originell präsentieren. Vor allem Mannys Charakter und ihre Dialoge hieven das Buch über die Hürde des guten Durchschnitts und machen Hoffnung auf weitere Bände mit dem gegensätzlichen Ermittlerduo.

|Originaltitel: Remains Silent
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Taschenbuch, 318 Seiten|
http://www.heyne.de

Dorn, Rüdiger – Reise zum Mittelpunkt der Erde (Brettspiel)

[„Reise zum Mittelpunkt der Erde“ 2282 – bei diesem Titel wird vor allem jugendlichen Abenteurern ganz warm ums Herz, gehört der Roman von Jules Verne doch nach wie vor zu den wichtigsten Werken der weltlichen Literatur und gilt gemeinhin sogar als eine der besten Arbeiten des legendären Schriftstellers. Ein großer Fan dieser Vorlage ist zweifelsohne auch Rüdiger Dorn, der das Thema für ein neues Brettspiel aufgegriffen hat und sich damit in die Serie der spielerischen Literatur-Adaptionen des |Kosmos|-Verlags einreiht. In drei Etappen reisen Otto Lidenbrock, sein Neffe Axel und der isländische Bergführer Hans hier an besagten Mittelpunkt und bergen auf dem Weg dorthin viele Schätze und wertvolle Fossilien. Doch nicht alle Passagen der Reise sind so angenehm wie die wertvollen Ausgrabungen …

_Spielidee_

„Reise zum Mittelpunkt der Erde“ ist für zwei bis vier Spieler konzipiert, die durch drei wichtige Stationen der Erzählung reisen müssen und sich hierzu der drei Forscher bedienen, die das Abenteuer in der Vorlage miterlebt haben. Dabei erfolgt jedoch keine klare Zuteilung, denn jeder Spieler kann auch jeden Forscher bewegen und seine Ausrüstung dazu nutzen, Hindernisse zu überschreiten und Entdeckungen zu machen, die den Wert seiner Ausbeute kontinuierlich steigern.

So steigen unsere Helden ins Erdinnere ab, navigieren vom Pilzwald über den Lidenbrocksee und erklimmen schließlich den Gipfel des Vulkans von Stromboli, der von zahlreichen Lavaströmen umgeben ist und wo es noch einmal so richtig ans Eingemachte geht. Ziel des Spieles ist es unterdessen, Fossilien von größtmöglichem Wert einzusammeln und auf der Reise nicht wieder zu verlieren. Wer am Zielpunkt, an der Spitze des Vulkans, nämlich die meisten Punkte für Fossilienkarten einheimst, hat das Spiel gewonnen.

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan
• 3 Forscher
• 1 Floß
• 20 Wassersteine
• 10 Meeresabenteuerkarten
• 2 Bonuskarten ‚Pilzwald‘ und ‚Ruinenstadt‘
• 63 Forscherkarten
• 45 Ausrüstungskarten
• 64 Fossilienkarten
• 16 Ereigniskarten

„Reise zum Mittelpunkt der Erde“ ist definitiv ein echter Hingucker: Das Spielmaterial ist optisch eine absolute Wucht; angefangen beim hervorragend nachempfundenen Spielplan über die sehr stimmungsvoll und düster ausgearbeiteten Karten bis hin zu den liebevollen Designs von Spielfiguren und Floß, die in Sachen Individualität erneut klare Maßstäbe setzen. Dennoch verliert man bei der sehr vielseitigen Aufarbeitung der Gesamtausstattung nie die Übersicht, da die Struktur eindeutig ist und auch das Kartenmaterial bei all den Parallelen untereinander gut unterschieden werden kann. Zeichnerisch ist das gesamte Paket dementsprechend erstklassig, spieltechnisch dazu in jedweder Hinsicht optimal. Beste Voraussetzungen also für ein atmosphärisch dichtes, starkes Abenteuerspiel …

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie wird der Spielplan ausgelegt und mit den Spielfiguren bestückt. Die drei Forscher werden auf das Startfeld gesetzt, das Floß indes positioniert sich schon einmal an den Beginn der zweiten Etappe. Die unterschiedlichen Kartentypen werden getrennt, gemischt und auf die entsprechenden Felder auf dem Spielplan gelegt. Drei Ausrüstungskarten werden dann gezogen und gehen offen in die Auslage. Jeder Spieler erhält nun sechs Forscher- und drei Ausrüstungskarten auf die Hand. Weiterhin erhält jeder einen Wasserstein, der wichtig ist, um die Fossilien später auch in die nächste Welt zu befördern. Die übrigen Wassersteine werden auf den zugehörigen Feldern des ersten Spielabschnitts abgelegt. Nachdem ein Startspieler bestimmt wurde, kann es dann losgehen.

_Spielablauf_

Angesichts des strukturellen Aufbaus des Spiels ist dieses auch in drei unabhängig voneinander aufgebaute Spielabschnitte unterteilt, in denen wiederum individuelle Regelmodifikationen zu beachten sind. Lediglich die Handlungsoptionen für die jeweils aktiven Spieler bleiben immer gleich: Entweder nutzen sie die Bewegungsphase, indem sie Forscherkarten einsetzen und einen der Forscher vorwärts bewegen oder aber ziehen sie drei Karten aus dem Ausrüstungs- oder Forscherstapel nach und füllen somit ihren Vorrat wieder auf.

Das Spiel beginnt dann beim Einstieg ins Erdinnere, den die drei Forscher zunächst noch zusammen vornehmen. Die Spieler bestimmen nun abwechselnd, ob sie einen der Forscher näher an den Pilzwald, das erste Etappenziel, heranführen, oder ob sie für Nachschub auf der Kartenhand sorgen. Die Forscher werden bewegt, indem man die zugehörigen Karten ausspielt. Jedem Forscher ist eine Kartenfarbe zugeordnet, und für jede dieser Karten darf der Forscher nun um ein Feld weitergesetzt werden. Wichtig ist dabei, dass er sich in jedem Zug dem ersten Ziel nähert. Rückwärts zu ziehen, ergibt nämlich nicht nur wenig Sinn, sondern ist auch nicht erlaubt – auch wenn dafür der eine oder andere Schatz schon mal auf der Strecke bleiben muss.

Auf der Reise müssen nun aber auch Hindernisse überwunden werden: Schluchten erfordern ein Seil, Felsengebiete kosten Bewegungspunkte und Granit kann sogar überhaupt nicht überwunden werden. Allerdings gibt es im Rucksack der Ausrüstung auch reichlich Hilfreiches: Ein Zwieback beispielsweise erweitert den Bewegungsspielraum, mit der Spitzhacke lässt sich Geröll beiseite räumen, der Kompass ermöglicht diagonale Züge und mit allen Ausrüstungsgegenständen kann man auf den Entdeckungsfeldern Fossilienkarten im Tausch gewinnen.

So zieht man die Forscher nun bergab ins Innere der Erde, sammelt Fossilien und Wassersteine zur Konservierung der Artefakte und versucht dabei, selbst den ersten Forscher ans Ziel zu bringen. Mit dem Erreichen des Pilzwaldes endet nämlich nicht nur die erste Etappe, sondern derjenige, dem dies zuerst gelungen ist, bekommt auch die Karte des Waldes, die einige Bonuspunkte bedeutet.

Der zweite Abschnitt führt nun durch die Wasserwelten des Lidebrocksees. Hier warten nicht nur weitere Fossilien auf die Forscher, sondern auch Gefahren wie Kugelblitze, die eventuell sogar großen Schaden anrichten können. Die drei Abenteurer reisen nun jedoch wieder zusammen auf einem Floß, können sich aber diesmal auch nur mithilfe der Forscherkarten fortbewegen. Nach jedem Zug steht jedoch ein zusätzliches Meeresabenteuer an, welches sowohl positive (Extra-Ausrüstung) als auch negative Folgen (Kugelblitz) haben kann. Mit dem Erreichen des Vulkaneinstiegs endet jedoch auch dieser Teil der Reise relativ zügig.

Der Lavastrom ist zum Finale der gefährlichste Abschnitt der Reise. Weiterhin reisen die Forscher auf dem Floß, müssen sich nun jedoch ihrem Schicksal fügen. Statt nämlich selbst die Fortbewegung beeinflussen zu können, müssen die Spieler nun Karten vom Forscherstapel ziehen. Das Floß wird anschließend auf das nächste Feld der gezogenen Farbe bewegt; möglicherweise wartet hier auch gleich eine weitere hitzige Bedrohung, die einem eine Fossilienkarte raubt. Mit ein wenig Pech kann man hier sogar noch einen sicher geglaubten Sieg verspielen.

Mit dem Erreichen der Vulkanspitze endet schließlich das Spiel. Die Punkte für Fossilien, gelöste Meeresabenteuer und Bonuskarten werden addiert und mit den überschüssigen Wassersteinen verrechnet. Der Spieler mit der höchsten Gesamtsumme gewinnt das Abenteuer im Inneren der Erde.

_Persönlicher Eindruck_

Bereits beim ersten Einblick in die Spielanleitung manifestierten sich erste Zweifel an der Dynamik des Spielablaufs, die sich leider auch sehr bald bestätigen sollten. Die Einteilung in drei Spielabschnitte nämlich ergibt zwar themenbezogen Sinn, allerdings will das Spiel wegen der etwas holprigen Übergänge nicht so recht in abenteuerliche Fahrt kommen, so dass gerade Strategen sich nach einiger Zeit nicht mehr ganz so wohlfühlen sollten. Zwar sind gezielte Planung und eine gewisse Spieltaktik auch hier das Maß aller Dinge, aber letztendlich hängt auch viel vom Glück beim Nachziehen ab.

Abseits dessen sind die einzelnen Episoden des Spiels nicht sonderlich spannend aufgebaut. Der Auftakt im Bergmassiv ist zwar noch recht ansprechend, da man hier auch noch genügend Einfluss ausüben kann, doch schon das Abenteuer auf dem Meer ist in seinen Aktionsmöglichkeiten recht begrenzt. Die Meeresabenteuer sollen hier noch einiges herausschlagen, wirken aber zuletzt ein wenig aufgesetzt und sind in ihrem Effekt nicht konsequent genug. Es tut jedenfalls nicht wirklich weh, wenn man eines dieser Abenteuer nicht bewältigt, wohingegen der Kugelblitz auch nicht ganz hält, was er verspricht. Die Reise durch den Lavastrom stellt sich schließlich als der liebloseste Abschnitt des Spiels heraus, da man hier regelrecht vom Spiel gespielt wird. Nur noch das Glück entscheidet, und man muss akzeptieren, wie das Schicksal einem mitspielt. Sonderlich einladend ist dies dementsprechend nicht.

Bedauerlich ist somit das nicht ganz so positive Resümee im Hinblick auf die durchweg fantastische Spielatmosphäre. Die Grafiken alleine vermittelt schon ein authentisches Feeling, aber auch die eigentliche Konzeption ist richtig prima auf das Romanwerk abgestimmt. Leider jedoch stimmt der sehr positive Eindruck ob der Aufarbeitung des Spiels nicht so ganz mit den Erfahrungen überein, die man aus dem Spielgeschehen mitnimmt. Als Romanadaption mag „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ sicher toll sein; spieltechnisch indes ist der neueste Titel von Rüdiger Dorn („Jambo“) sehr enttäuschend – insbesondere, wenn man zumindest ein bisschen auf Strategie steht.

http://www.kosmos.de

Sylvain, Dominique – Letzte Show

Das Duo Infernale, das bereits in [„Die Schöne der Nacht“ 3246 das Pariser Kriminellenleben unsicher gemacht hat, ermittelt erneut. Dominique Sylvains Debütkrimi konnte auf ganzer Linie überzeugen, was vor allem dem genialen Ermittlerduo – bestehend aus der pensionierten Kriminalkommissarin Lola Jost, die ihre Nase einfach überall reinstecken muss, und der Masseurin und Stripperin Ingrid Diesel – geschuldet war, die sich einfach herrlich ergänzten und wunderbare Eigenarten offenbarten. Umso gespannter und erwartungsfroher war ich nun, als ich Sylvains zweiten Krimi aufgeschlug.

_Ein letzter Tanz_

Alice Bonin ist eine geniale Tänzerin, wenn auch nur eine durchschnittliche Schauspielerin. Ihr Geld verdient sie sich als Britney-Spears-Double, und ihr jüngster Auftrag führt sie in den Hochhausturm des Astor Maillot Luxushotels. Noch ahnt sie nicht, dass sie bald für Schlagzeilen sorgen wird, und zwar durch ihren Sturz aus dem 34. Stock, der live auf Video gebannt wird. Nichts deutet auf einen Mord, doch warum sollte sich die junge Frau das Leben nehmen? Das fragt sich auch Lola Jost recht bald, die zudem mit Alices Vater befreundet ist und ihm daher diesen Freundschaftsdienst tut und ihre eigenen Ermittlungen anstellt. Das geht natürlich nicht ohne ihre Freundin Ingrid, die nach wie vor als Stripperin des Nachts für Aufsehen sorgt.

Die Ermittlungen führen die beiden in hohe Kreise der Pariser Gesellschaft. Die beiden scheuen sich wieder einmal nicht, sich auch mit mächtigen Personen anzulegen, und so ist Ingrid Diesel auch bald ihren nächtlichen Job los, da sie den falschen Herren auf den Schlips getreten ist. Ein Tatverdächtiger ist Alices Exfreund Diego, dem sie immer noch hinterhertrauerte und der als Krankenpfleger seine Brötchen verdient. Der rassige Südländer fällt auch Ingrid gleich ins Auge, sodass sie gut nachvollziehen kann, dass Alice ihn nicht vergessen konnte. Doch die Dinge sind kompliziert, erst recht, als Ingrid eines Tages in ihrem Kühlschrank eine Hand findet, die von einem dicken Nagel durchbohrt wurde. Alle Spuren führen in genau jenes Krankenhaus, in dem Diego arbeitet. Aber was soll die Hand im Kühlschrank bezwecken und wer hat sie dorthin gelegt? Fragen über Fragen, die sich zu denen gesellen, die Lola und Ingrid sich bereits über Alice stellen.

Neben Alices Exfreund befragen die beiden wagemutigen Frauen natürlich auch Alices ehemaligen Kolleginnen und Chefs, doch nirgends findet sich eine heiße Spur. Bald darauf erwachen Ingrid und Lola gefesselt und wehrlos in einem kargen Raum. Eine mysteriöse Stimme spricht zu ihnen und befragt sie nach Alices Auftraggebern. Zwei Männer haben sie entführt und quälen sie nun mit Elektroschocks, um die beiden Frauen zum Reden zu bringen. Doch so leicht geht das bei ihnen natürlich nicht! Mit einer schauspielerischen Meisterleistung gelingt es Ingrid, sich zu befreien und gemeinsam mit Lola die beiden Männer in Schach zu halten. Einer der Entführer ist schnell identifiziert, und seine Identität führt die beiden Ermittlerinnen endlich auf die richtige Spur. Lola und Ingrid sind schockiert, als sie erkennen, mit welchen Kreisen sich Alice angelegt hat, sodass sie mit ihrem Leben zahlen musste …

_Abgestürzt?_

Endlich versorgt uns Dominique Sylvain mit spannendem Kriminachschub. Wie hatte ich mich auf das Wiedersehen mit dem unvergleichlichen Ermittlerduo Lola Jost und Ingrid Diesel gefreut! Kaum könnten zwei Frauen unterschiedlicher sein als diese beiden. Während Lola eher ein paar Pfunde zu viel durch die Lande schleppt, ist Ingrid durchtrainiert bis zum kleinen Zeh, denn sonst könnte sie schlecht als Stripperin arbeiten. Offiziell fungiert sie weiterhin als Masseuse, doch ihre eigentliche Leidenschaft lebt sie als Gabriella Tiger des Nachts aus. Um Lola Jost nach ihrer Pensionierung wieder zum Ermitteln zu bringen, braucht es nur wenig Überredungskunst. Ihr Sohn und die Enkel leben im fernen Japan, und sie vertraut ohnehin nicht wirklich auf die ermittlerischen Fähigkeiten ihres Nachfolgers, und tatsächlich findet die Polizei im Hotelzimmer Alice Bonins keinerlei Hinweise auf einen Mord. Ganz im Gegenteil, die Badewanne ist voller Wasser, auf dem unzählige Blüten schwimmen, alles sieht nach einem romantischen Szenario aus. Aber Lola Jost nimmt das lieber selbst in die Hand und wird am Ende selbstverständlich triumphieren und die wahren Täter an den Pranger stellen.

Getragen wird „Letzte Show“ wieder einmal von Lola und Ingrid. Die beiden ergänzen sich einfach hervorragend. Mit unglaublicher Penetranz befragen sie die verdächtigen Leute und lassen sich auch wirklich nicht eher abwimmeln, bis sie die gewünschten Informationen erhalten haben. Nichts kann sie abschrecken, nichts von ihren Ermittlungen abbringen, auch nicht die Entführung und die Tatsache, dass anschließend nicht nur sämtliche Klamotten und Papiere verschwunden sind, sondern dass darüber hinaus auch noch alle ihre Konten gesperrt wurden. Als sie die Wohnung eines betuchten Verdächtigen durchsuchen und einen gut sortierten Weinschrank entdecken, beschließen die beiden – ganz à la Robin Hood -, den kostbaren Wein mitgehen zu lassen und an bedürftige Menschen zu verteilen. Und natürlich wird diese Idee auch in die Tat umgesetzt. Einzig Ingrids permanente englische Flüche nerven auf die Dauer etwas, ebenso wie die Tatsache, dass Ingrids „Deutsch“ (im Original natürlich Französisch) nicht perfekt ist und Lola sie daher ein ums andere Mal korrigiert. Da kann man nur hoffen, dass sie ihre Sprachkenntnisse für die weiteren Fälle auffrischt und solche Ärgernisse dann nicht mehr auftreten.

_Undurchsichtig_

Natürlich ist es von Anfang an klar, dass Alice Bonin keinen Selbstmord begangen hat, sonst gäbe es ja schließlich auch keinen Fall zu lösen, doch wie verwickelt am Ende wirklich alles gewesen ist, ahnt der Leser selbstverständlich noch nicht. Lange dauert es, bis Lola und Ingrid für uns alles entwirren und uns Schritt für Schritt der Lösung des Falls näherbringen. Was sie dabei zutage fördern, hätte der Leser nicht selbst erraten können, zu unklar sind die Zusammenhänge, zu vage Sylvains Andeutungen. Was sie am Ende daraus gesponnen hat, konnte mich nicht vollends überzeugen, und auch Lolas und Ingrids Aktivitäten, um ihr Leben und ihre Konten zurückzugewinnen, habe ich zugegebenermaßen nicht vollkommen durchschaut. „Letzte Show“ ist sicherlich kriminaltechnisch gesehen nicht der gelungenste und am besten konstruierte Fall, auch wenn am Ende schon alle Puzzlestücke zusammenpassen. Dennoch überzeugt das vorliegende Buch wieder einmal durch seine Charaktere, durch deren Eigenarten und auch durch manch nette Metapher, die Sylvain an den passenden Stellen einstreut.

So ist „Letzte Show“ unter dem Strich ein unterhaltsames Lesevergnügen, das durchaus Lust auf mehr macht, obwohl man zugegebenermaßen einige Abstriche machen muss, was den reinen Kriminalfall betrifft. Manches wirkte auf mich zu konstruiert, zu aufgesetzt, um wirklich schlüssig aufgelöst werden zu können. Dennoch möchte ich Lola Jost und Ingrid Diesel als furioses Ermittlerduo ganz sicher nicht missen!

|Originaltitel: La fille du Samourai
Aus dem Französischen von Brigitte Lindecke
336 Seiten, kartoniert|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/listtb/

Wilson, F. Paul – Handyman Jack – Der letzte Ausweg (Folge 2)

_Das Hörbuch_ [„Schmutzige Tricks“ 4939 stellte den Actionliebhaber Handyman Jack vor, den Mann, der nie existierte. Jack lebt außerhalb der Gesellschaft. Er besitzt etliche Pässe, aber keinen echten Nachnamen. Er hat keine Sozialversicherungsnummer und keine Rentenansprüche. Er zahlt keine Steuern, es gibt von ihm keine Fingerabdrücke und er hat offensichtlich keinen ordentlichen Beruf gelernt. Jack ist nämlich ein Mann für alle Gelegenheiten: Ihn ruft man an, wenn man erpresst wird, wenn die geliebte Ehefrau entführt wurde, wenn man Schutzgeld bezahlen soll oder wenn verlorene Dinge wieder aufzufinden sind. Kurzum, wenn Probleme nur noch mit Gewalt und Schießpulver zu lösen sind, dann ist Handyman Jack genau der richtige Mann für den Job!

|LPL records| bringt mit „Der letzte Ausweg“ nun eine weitere Sammlung mit Abenteuern um Handyman Jack zu Gehör. Wiederum finden sich auf den drei CDs (mit ansprechenden dreieinhalb Stunden Laufzeit) drei Geschichten, in denen Jack seine vielen Talente unter Beweis stellen darf.

_Los geht es diesmal_ mit der Kurzgeschichte „Der lange Weg nach Haus“ (engl. „The long way home“, 1992), in der Jack – mal wieder ganz zufällig – in einen Überfall verwickelt wird. Er will einfach nur sein Sixpack Bier nach Hause tragen und sich einen gemütlichen Abend machen, als er aus Costins kleinem 24/7-Laden einen Schuss hört. Da vor dem Laden bereits ein Streifenwagen parkt, ist Jack versucht, einfach weiterzugehen, denn Begegnungen mit den Bullen sind auf jeden Fall zu vermeiden, wenn man offiziell gar nicht existiert. Doch bevor er sich’s versieht, ist eine der Kanaillen tot, während Jacks Hand knöcheltief im Hals des Cops steckt, um die stark blutende Schlagader abzudrücken. Klar, dass dies eine ziemlich kompromittierende Position und die eintreffende Verstärkung daran interessiert ist, Jack erstmal festzunehmen. Nun muss Jack die Polizei von seiner Unschuld überzeugen und schlussendlich auch noch die Geiselnahme im Laden beenden. Und als er nach einem ereignisreichen Tag dann endlich zu Hause eintrifft, muss er natürlich feststellen, dass sein Sixpack Bier dabei auf der Strecke geblieben ist.

„Der letzte Rakosh“ (engl. „The last Rakosh“, 1990) schlägt in eine ganz andere Kerbe als die bisherigen Geschichten um Jack. Wir treffen seine Freundin Gia und deren Tochter Vicky wieder, die schon einen kurzen Auftritt in „Ein ganz normaler Tag“ hatten. Diesmal machen die drei einen Sonntagsausflug zu einem Kuriositäten-Kabinett. Jack debattiert zwar kurz mit sich, ob zusammengewachsene Zwillinge und Männer mit Ganzkörperbehaarung wohl der richtige Zeitvertreib für die kleine Vicky sind, doch das Mädchen besteht lautstark darauf, die Show zu besuchen. Zunächst gibt es das Übliche: Schlangen- und Krokodilmenschen sowie einen Jungen, der menschliche Stimmen überzeugend echt nachmachen kann. Jack ist bereits fast überzeugt, dass es doch keine so schlechte Idee war, das Kuriositäten-Kabinett zu besuchen, als ein gellender Schrei von Vicky ihn vom Gegenteil überzeugt. In einem Käfig hat sie einen Rakosh entdeckt, ein Ding, das halb Hai, halb Mensch ist, und an das sie keinerlei guten Erinnerungen hat!

Die letzte Erzählung des Hörbuchs ist auch die längste. „In der Mangel“ (engl. „The Wringer“, 1996) konfrontiert Jack mit dem Angestellten Mounir Habib, dessen Frau und Sohn von einem vermeintlich Irren entführt worden sind. Der Mann verlangt kein Lösegeld von Mounir, stattdessen zwingt er ihn ständig, sich in peinliche und moralisch fragwürdige Situationen zu bringen. Er zwingt den gläubigen Moslem, Schweinefleisch zu essen oder an einem öffentlichen Platz zu urinieren. Kommt Mounir den Forderungen nicht nach, droht der Entführer, seiner Familie Gewalt anzutun. Durch seinen Nachbar kommt Mounir an Jacks Telefonnummer. Dieser ist zunächst nicht von dem Fall angetan und will Mounir stattdessen zur Polizei schicken, die seiner Meinung nach besser im Stande ist, Mounirs Frau und Sohn zu befreien. Doch der weinerliche Mounir ist nicht mehr loszuwerden, und so findet sich Jack bald mitten in dem Entführungsfall wieder und muss nun auf eigene Faust die Identität des unbekannten Entführers herausfinden.

_Wie bereits das Auftakthörbuch_ „Schmutzige Tricks“, so steigt auch „Der letzte Ausweg“ geradlinig ein. „Der lange Weg nach Haus“ ist kaum kompliziert, bietet dafür aber einen gut aufgelegten Jack, der es gern ordentlich krachen lässt. Außerdem darf der Leser erleben, was passiert, wenn Jack doch zufällig in die Hände der Polizei gerät, wobei es etwas weit hergeholt wirkt, dass der diensthabende Offizier ihn schlussendlich tatsächlich wieder laufen lässt. Einen Typen mit fünf verschiedenen Ausweisen, unauffindbaren Fingerabdrücken und nicht zugelassenen Waffen? So einen einfach wieder auf die Gesellschaft loszulassen, erscheint etwas abwegig, und man fragt sich zwangsläufig, ob die amerikanische Polizei gern solche haarsträubenden Bauchentscheidungen trifft. Natürlich weiß der Hörer, dass Jack durchaus die Freiheit verdient hat, und dieser beweist seine Loyalität auch sofort, indem er versucht, die Geiselnahme in dem kleinen Laden zu beenden. Trotzdem erscheint es mehr als seltsam, dass die Polizei einen einsamen Rächer, der offensichtlich Lynchjustiz betreibt, einfach laufen lässt.

Die zweite Geschichte, „Der letzte Rakosh“ ist ein ziemliches Rätsel. Zuerst einmal bezieht sie sich offensichtlich in weiten Teilen auf eine frühere Geschichte, in der die kleine Vicky von dem Haimenschen, den sie nun im Kuriositäten-Kabinett sieht, entführt und bedroht worden ist. Schon diese Tatsache führt dazu, dass man sich als Hörer etwas allein gelassen fühlt, schließlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einem wichtige Hintergrundinformationen fehlen. Viel schwerer wiegt jedoch, dass sich auf der CD nur ein Auszug aus der Erzählung findet. Wir erfahren nur, dass Jack den Haimenschen wiedersieht, von dem er dachte, er wäre tot. Was passiert dann? Geht er nach Hause und nimmt sich ein Bier? Bricht er nachts in das Kabinett ein und liefert sich einen blutigen Kampf mit dem Rakosh? Befreit sich das Ding von selbst und macht sich auf die Suche nach Vicky? Man wird mit einem Stück Geschichte angefüttert und dann hängen gelassen. Hoffentlich handelt es sich dabei um ein Experiment, das |LPL| nicht wiederholen wird, denn dieser Einfall ist gründlich in die Hose gegangen!

„In der Mangel“ ist geneigt, den Hörer wieder versöhnlicher zu stimmen. Es gibt einige kleine Schockmomente, die für wohlige Schauer sorgen dürften, außerdem ein genüssliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Entführer und Mounir. Und es bereitet dem Hörer ein – zugegebenermaßen – sadistisches Vergnügen, wenn Jack den Entführer endlich gefasst hat und ihn seinerseits in die Mangel nehmen kann. Da fällt kaum ins Gewicht, dass die Identifikation des Entführers sich eigentlich schon zu einfach gestaltet – offensichtlich will Wilson mit echter detektivischer Arbeit keine Zeit verschwenden. Es ist praktisch ein Glückstreffer, und man ist fast überrascht, als sich schlussendlich herausstellt, dass es sich bei der vermuteten Person tatsächlich um den Täter handelt. Aber mit solchen Kleinigkeiten hält sich Jack nicht auf. Seiner Vorstellung von Gerechtigkeit ist genüge getan.

„Der letzte Ausweg“ bleibt leicht hinter „Schmutzige Tricks“ zurück, vor allem auch wegen des vollkommen verpatzten Mittelteils mit „Der letzte Rakosh“. Doch mit der letzten Geschichte, „In der Mangel“ kann das Hörbuch wieder Boden gutmachen.

|3 Stunden und 34 Minuten auf 3 CDs
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Plogmann|
ISBN-13: 978-3-7857-3580-0|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de

_F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375
[„Die Gruft“ 4563
[„Handyman Jack – Schmutzige Tricks“ (Folge 1) 4939

Richard Stark – Fragen Sie den Papagei [Parker 23]

Nach einem Raubzug auf der Flucht, muss Berufsverbrecher Parker in der US-Provinz mit sehr unsicheren Komplizen einen neuen Coup versuchen. Sorgfältige Planung löst sich im Chaos auf und sorgt für ein spektakuläres Ende … – Endlich ist Parker, Kultfigur des Gangsterkrimis, wieder mit neuen Abenteuern in Deutschland präsent. Er ist der alte Profi geblieben, der in kleine, schmutzige Verbrechen verwickelt wird und dem nicht selten am Ende nur das nackte Leben bleibt: ein angenehm altmodisches, spannendes, routiniert geschriebenes Lesevergnügen. Richard Stark – Fragen Sie den Papagei [Parker 23] weiterlesen

Pelikan, Andreas – Fangfrisch

Auf dem Fischmarkt geht es mitunter hektisch zu, gerade wenn man in Fisch-Weltstädten wie Hamburg gastiert, wo der frischeste Fang von unzähligen Marktschreiern an den Mann respektive an die Frau gebracht wird. Genau auf diesem hanseatischen Fischmarkt setzt nun auch „Fangfrisch“ an, ein etwas eigenwilliger Titel aus dem letztjährigen Messeprogramm von |Queen Games|, in dem es vor allem um eines geht: einen ruhigen Kopf bewahren. Im regelmäßigen Wechsel preisen die Spieler nämlich neue Waren an. Doch in der gleichen Zeit, in der sich das Angebot erweitert, schrumpft auch der Lagerraum für neuen Fisch. Und Fisch, der nicht gelagert wird, wandert schließlich in die Mülltonne. Kein Wunder also, dass man sich hier gleich doppelt überlegen muss, zu welchem Zeitpunkt man am besten auf dem Markt zuschlägt. Immerhin will die Mülldeponie auch bezahlt werden …

_Spielidee_

In „Fangfrisch“ liebäugeln drei bis fünf Spieler mit dem relativen Reichtum, der sich als Fischverkäufer erzielen lässt. Abwechselnd bietet man entweder selber Fisch an und freut sich über die Erlöse des Verkaufs, oder aber man bietet munter mit, um den eigenen Bestand zu erweitern und schließlich gewinnbringend zu verkaufen. In jeder Runde bietet ein Marktschreier eine wachsende Zahl bestimmter Fischarten zum Verkauf an, und je länger sein Angebot unangetastet bleibt, desto kniffliger gestalten sich die Lagerungsmöglichkeiten für den potenziellen Käufer. Doch irgendwann muss man auch unter schlechtesten Vorzeichen zuschlagen, um das Angebot überschaubar zu halten. Dafür bleibt der Preis für das gesamte Paket immer bei zehn €uro, ganz egal, welche Mengen man nun anschafft. Ziel ist es nun, von gewissen Sorten möglichst viele Fische weiterzukaufen, um so den Einsatz wieder potenzieren zu können. Wer auf diese Weise nun zum Ende des Angebotstags das meiste Geld heranschafft, gewinnt das Spiel. Doch sollte dies nur gelingen, wenn man auf dem Weg hierhin nicht zu viele Fische im Müll hat entsorgen müssen. Die Strafen für verschwendeten Fisch sind auf dem Markt in Hamburg nämlich ziemlich groß.

_Spielmaterial_

• 104 Spielkarten
• Ein Satz Spielgeldscheine
• 5 Spielertableaus
• 6 Preislisten
• 1 Glocke
• 1 Spielanleitung

Das Spielmaterial zu „Fischfang“ ist solide und zweckdienlich, grafisch hingegen aber sicherlich nicht die beste Arbeit im Verlagsprogramm. Die Farben sind nicht sonderlich ansprechend, und auch der unverhältnismäßige Mix zwischen illustrierten Skizzen und realitätsnahem Bildmaterial ist ein wenig befremdlich. Immerhin: Im Spiel selber ist durch die klare Strukturierung der Ausstattung eine gute Übersicht gewährleistet.

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie wird ein Spieler zum Bankhalter erklärt und verwaltet nun im Namen aller Beteiligten die Finanzen. In dieser Funktion händigt er allen Mitspielern zu Beginn bereits 30 €uro Startkapital aus. Darüber hinaus bekommt jeder Spieler noch ein Tableau und eine Preisliste. Die Fisch- und Sonderkarten werden zu einem Stapel vermischt, an dessen Ende die beiden Karten ‚Endphase‘ und ‚Marktschluss‘ einsortiert werden. Anschließend darf der erste Marktschreier loslegen.

_Spielablauf_

Eine Runde in „Fangfrisch“ ist in zwei hauptsächliche Phasen untergliedert, die größtenteils vom aktuellen Marktschreier geleitet werden. Dieser hat zunächst die Möglichkeit, eine oder mehrere Fischsorten an die Bank zu verkaufen, und übernimmt dann seinen aktiven Posten, um selber Fisch an seine Konkurrenten zu veräußern.

Der wichtigste Part für die eigene Bereicherung ist dabei sicherlich der Verkauf eigener Fische. Man darf dabei so viele Sorten verkaufen, wie das Tableau hergibt (also insgesamt drei), muss aber jedes Mal auch den kompletten Bestand dieser Sorte abgeben. Der Preis steigt dabei exponenziell: Je mehr Fische man besitzt, desto größer ist der Endbetrag, den man pro Fisch aus der Bank erhält. Allerdings wird man für maximal zehn Fische entlohnt; der Überschuss wird ohne Gewinn abgegeben. Manchmal sollte man aber auch kleinere Bestände eintauschen, denn immerhin ist der Platz auf den Tableaus begrenzt.

Sobald man nun eine oder gleich mehrere Fischsorten verkauft hat, übernimmt man den Marktschreier-Posten. Hierzu zieht man nun eine Karte nach der anderen vom Nachziehstapel der Fischkarten und legt diese offen aus. Alle anderen Spieler begutachten das neuen Angebot und überlegen, ob und wann sie am besten zuschlagen. Währenddessen legt der Marktschreier immer weitere Karten nach, bis sich schließlich ein Spieler entschließt, das Gesamtpaket zu kaufen. In diesem Fall versucht er, als Erster die Glocke zu betätigen, die diese Investition bestätigt. Manchmal kommt es hier allerdings auf Hundertstelsekunden an, da zwei oder gar noch mehr Spieler gleichzeitig den rechten Zeitpunkt für eine Investition gekommen wähnen und im selben Moment auf die Glocke hauen wollen. Kurzentschlossene brauchen zusätzlich daher auch noch die nötige Durchsetzungskraft! Ist das Angebot verkauft, bekommt der Marktschreier nun noch für jede verkaufte Karte (egal, wie viele Fische sie anzeigt) einen Euro als Erlös für seine Mühen. Er sollte also daran interessiert sein, möglichst schnell nachzulegen, um ein großes Paket zu verkaufen.

Anschließend wechselt die Position des Marktschreiers an den linken Nachbarn, usw. Es wird weiter gezockt und gesammelt, gehortet und verkauft, wobei man immer darauf achten sollte, seinen Mülleimer – also die Ablage der Fische, die keinen Platz mehr in einem der drei Lagerräume gefunden haben – nicht zu voll zu stopfen. Am Ende des Spiels kostet dies nämlich pro Fisch einen €uro Strafe. Außerdem sollte man versuchen, Sonderkarten, die ebenfalls versteigert werden, gewinnbringend einzusetzen. Der Fischdieb beispielsweise kann einen Fisch bei der Konkurrenz stehlen, wohingegen man mit dem Dosenfisch fälschlich deponierte Mülleimerware teilweise aussortieren kann.

Sobald die Endphase per Karte eingeläutet wird, dürfen alle Spieler ihren Fisch verkaufen, auch wenn sie selber nicht aktiv am Zug sind. Mit dem Marktschluss wird dann der Markt sofort beendet. Der Fisch auf dem Tableau wird zur Hälfte des Preises verkauft, der verdorbene Fisch im Mülleimer wiederum mit einem €uro pro Fisch auf die Soll-Liste gesetzt. Derjenige, der nach Berechnung aller Vor- und Nachteile das meiste Geld übrig hält, gewinnt das Spiel.

_Persönlicher Eindruck_

Das Thema Fischverkauf wurde im vorletzten Jahr bereits einigermaßen ansprechend bei |Clementoni| verarbeitet. Der Verlag brachte pünktlich zur |SPIEL ’06| einen ganz anständigen Titel namens „Fischmarkt“ in die Läden, der mangels Konkurrenz bisher auch das Highlight in dieser ganz besonderen Sparte darstellt. Ein Jahr später haben |Queen Games| schließlich mit einem richtig witzigen, temporeichen Spiel ganz ordentlich nachgelegt und – das ist nach nur wenigen Partien bereits mehr als deutlich – den bisherigen Spitzenreiter auf dem Fischmarkt von seinem Stand verdrängt.

„Fangfrisch“ überzeugt dabei als sehr ausgewogene Mischung aus Strategie, Tempo und Rechenkünsten, die gerade dann notwendig sind, wenn man in kürzester Zeit überdenken muss, ab wann eine Investition lukrativ ist bzw. wann man wieder draufzahlen muss. Derartige Überlegungen spielen nämlich in nahezu jeder Auktion des Marktschreiers eine gewichtige Rolle, können aber manchmal überhaupt nicht lange bedacht werden, da man innerhalb von Hundertsteln Entscheidungen treffen muss – und gerade dieser Aspekt gefällt letzten Endes wirklich sehr gut.

Allerdings hat die Geschwindigkeit auch ihre Laster, die sich besonders in den ganz hektischen Situationen ergeben. Wenn man beispielsweise parallel auf die Glocke schlagen möchte, kommt es schon mal zu unbewussten Rangeleien, die Mensch und Material in Anspruch nehmen. Aber dies ist man ja von Spielen mit einer Glocke schon gewohnt …

Insofern hält sich die Kritik wirklich in Grenzen und soll keinesfalls die sehr guten, teils überraschend packenden Eindrücke des Spiels überschatten. „Fangfrisch“ mag grafisch zwar nicht gerade die erste Wahl sein, erweist sich spielmechanisch aber ganz klar als lohnenswerte Ergänzung im Verlagsprogramm.

http://www.queen-games.de

Edwardson, Åke/Ake – Rotes Meer (Hörbuch)

_Rätselhaft: Dreifachmord im Asylantenviertel_

Es ist Mittsommer in Göteborg, und Kommissar Erik Wintersteht steht vor drei Leichen und einem Meer aus Blut. Der einzige Zeuge der Morde, ein kleiner Junge, versteckt sich vor dem Kommissar. Der kommt mit seinen Ermittlungen in einem Milieu am Rande der Gesellschaft, in dem der Kampf ums Überleben zusammenschweißt, nur mühsam voran. Seine einzige Hoffnung ist es, den Jungen zu finden.

_Der Autor_

Åke Edwardson, Jahrgang 1953, lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Göteborg. Bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete, arbeitete er als erfolgreicher Journalist u. a. im Auftrag der UNO im Nahen Osten, schrieb Sachbücher und unterrichtete an der Uni Göteborg „Creative Writing“. Er schrieb bislang zwölf Kriminal- und drei weitere Romane, zuletzt erschienen „Segel aus Stein“ (2003), „Winterland“ (2003), „Geh aus, mein Herz“ (2004), „Samuraisommer“ (2005)und [„Zimmer Nr. 10“ 2792 (2006).

_Der Sprecher & Die Sprecherin_

Boris Aljinovic, geboren 1967 in Berlin, war nach dem Schauspielstudium an der Hochschule „Ernst Busch“ am Berliner Renaissance-Theater und am Staatstheater Schwerin engagiert. Es folgten zahlreiche Rollen in Film und Fernsehen, so etwa 1999 in „Drei Chinesen mit dem Kontrabaß“ und 2004 in Ottoo Waalkes‘ Filmerfolg „Sieben Zwerge – Männer allein im Wald“. Seit 2001 spielt er den Kommissar Felix Stark an der Seite von Dominic Raacke im Berliner „Tatort“. Der Schauspieler lebt in Berlin. Er liest eine gekürzte Fassung.

Ulrike Grote hatte sich bereits als Schauspielerin einen Namen gemacht, bevor sie sich als Regisseurin auch hinter die Kamera stellte. Ihr Kurzfilm „Ausreißer“ wurde 2006 für den |Oscar| nominiert. Seit 2001 hat sie diverse Film- und Fernsehrollen gespielt, zuletzt in „Kanzleramt“.

Regie führte Gabriele Kreis im |studio-wort|, Berlin 2007.

_Handlung_

Kommissar Erik Winter kommt gerade nach einem halben Jahr in Marbella mit seiner Familie nach Göteborg zurück, als ihn eine Meldung zu einem besonders grausigen Verbrechensschauplatz ruft. In einer der für Migranten errichten Mietsiedlungen fand in einem Krämerladen ein Blutbad statt. Winter zählt drei männliche Leichen, die in einem Meer aus Blut schwimmen.

Ihnen allen wurde das Gesicht weggeschossen, offenbar um die Identifizierung zu erschweren oder als eine besondere Art der Demütigung. Und natürlich zur Einschüchterung der Angehörigen. Winter kommt der Schauplatz wie eine inszenierte Bühne vor. Und trotzdem will der Taxifahrer Jakke Rejnholds, der die Tat meldete, die Täter nicht gesehen haben?

Wenig später trudeln die Identitäten ein. Der Laden gehörte dem Nigerianer Jimmy Foro, sein Assistent war der Kurde Hiwa Aziz, aber wieso befand auch der Iraker Zaid Rizai frühmorgens in dem Laden? Die Lautsprecher lassen kurdische Musik erschallen. „Kamel-Jazz“, wie einer der Polizisten abfällig meint. Die zwei Täter, das ergibt die Spurensuche, trugen Einmal-Überziehschuhe wie aus dem Krankenhaus. Kein Zweifel: Auftragsmörder, Profis. Wer hat sie geschickt und aus welchem Grund?

Winter folgt einem Pfad, der zu einem Platz zwischen den Mietshäusern führt. Es ist niemand zu sehen, aber arabische Musik erklingt. Zufällig erhascht er aus dem Augenwinkel einen Blick auf einen etwa zehnjährigen Jungen, der Rad fährt und mit einem Tennisball spielt. Schon ist er wieder weg, verschwunden. Hat Rejnholds nicht „leichte Schritte“ erwähnt, Schritte wie von einem Kind vielleicht? Es soll mehrere Tage dauern, bis Winter den Wohnort dieses Jungen ausfindig gemacht hat und ihn befragen kann.

In Rizais Wohnung stoßen Winter und seine Kollegen auf die Leiche von Rizais Frau Shahnaz. Ihr wurde allerdings die Kehle durchgeschnitten, offenbar eine Tat der Rache, nicht die von Profis. Winter ist sicher, dass ein Zusammenhang mit dem Dreifachmorden besteht, tippt aber zunächst auf Zaid als Täter. Er könnte nicht falscher liegen.

Im Mietsviertel laden eine Reihe von Cafés und Pizzerien ein. Hier redet Winter mit den Kollegen über die Abschiebungspraxis, der die Ausländer dieser Gegend wehrlos unterworfen seien. Täglich verschwänden Menschen, die sie abschieben müssten, neue kämen ins Viertel. Es ist alles ständig im Fluss. Sie erspähen Hiwa Aziz‘ 17-jährige Schwester Nasrín, aber sie kann wie der Junge auf dem Rad spurlos verschwinden. Das Ganze wird Winter allmählich unheimlich.

Rumsitzen bringt nichts, also nimmt Winter die Familie Aziz aufs Korn, die immerhin schon fünf Jahre hier lebt. Als er vor deren Wohnung eintrifft, wartet dort bereits der kurdische Dolmetscher Muzafa Kerím, der bei der Verständigung helfen soll. Wie sich zeigt, ist Nasrín jedoch bestens in der Lage, sich verständlich zu machen. Von ihr hört Winter erstmals von einem Mitarbeiter Jimmy Foro, einem Mann namens Hussein Hussein. Winter und Haldersch sind verblüfft, lassen den Mann aber sofort zur Fahndung ausschreiben – die seltsamerweise ergebnislos verläuft. Einer der Gründe dafür: Alle Befragten haben maßlose Angst nach den Morden.

Bei einem Pizzeria-Gespräch mit Kerím wird Winter klar, dass Hiwa dessen Freund war. Er fragt Nasrín danach. „Was hat Hiwa getrieben? Was wusste Hiwa, dass er sterben musste?“ Doch sie schweigt hartnäckig. Hat auch sie Angst oder weiß sie mehr?

Kaum haben sie das ausgebrannte Fluchtauto und die Leiche eines verschwundenen Polizeispitzels entdeckt, hört Winter erstmals von Polizeichef Sievertsen die elektrisierende Nachricht, es gebe Gerüchte, dass es einen schwunghaften Menschenhandel mit blutjungen Mädchen gebe, die als Prostituierte hier arbeiten müssten. Kerím hatte etwas von Kindern erwähnt, die in den Wohnungen der Migranten versteckt gehalten würden. Aber wie finden die Mädchen den Weg zu ihren Kunden, fragt sich Winter, denn noch fehlen ihm viele Puzzleteilchen.

Dann erspäht er aus einer Pizzeria heraus, wie ein Taxi hält. Nasríns Freund Alan Darvish steigt aus, doch ein Mann bleibt im Taxi sitzen und fährt weiter. Zu Winters Überraschung ist es Muzafa Kerím. Die Taxifahrer dieser Gegend wissen offensichtlich viel mehr, als Winter und seine Kollegen bisher herausgefunden haben …

_Mein Eindruck_

Flüchtlinge und Asylanten spielen diesmal die Hauptrolle in Edwardsons neuestem Krimi, und der Autor führt den Leser nur langsam an deren Elend heran. Erst weit in den Roman hinein lässt der Autor Schockmomente in feiner Dosis auf den Leser los. Es geht um Menschenhandel von Schleuserorganisationen, Prostitution von jungen Mädchen, deren Kunden allesamt weiße Schweden sind. Der Unterschied zu den einheimischen Banden liegt jedoch darin, dass die Zuhälter aus den Kreisen der Migranten selbst kommen. Kein Wunder, dass sie als Verräter der eigenen Volksgruppe verachtet werden. Denn damit treten sie das, was die Migranten durchgemacht haben, in den Dreck.

|Die Geschichte einer Flucht|

Und die Migranten haben Unmenschliches durchgemacht. In die Szenen der Ermittlung Erik Winters sind Impressionen von der Flucht einer Kurdin eingeflochten. Es handelt sich um eine polizeiliche Aussage, die auf Tonband mitgeschnitten wird. Die Flucht der Familie der Sprecherin begann in der Wüste, wo die Nächte kalt waren und so mancher morgens tot aufgefunden wurde. Aber es war immer noch besser, als von den Soldaten im Heimatdorf abgeschlachtet zu werden.

Schleuser brachten sie in Lastwagen und Viehwaggons über Grenzen und Länder hinweg bis in den kalten Norden, wo die Winter eisig sind und der Nachthimmel im Sommer nie dunkel wird. Was für ein seltsames fremdes Land, dieses Schweden. Es gab im Mittelalter die Strafe der Vierteilung, und wie eine so Zerrissene fühlt sich die Sprecherin jetzt. In der Heimat war die kurdische Sprache verboten, man durfte nicht mal kurdisch denken, doch im fremden Land versteht niemand die Sprache, wenn man sie auch wieder sprechen darf. Deshalb ist die Musik so wichtig: einst zwar verboten, aber ein Stück Identität, endlich frei. Und traurig, unendlich traurig.

|Brainstorming|

Was mir sehr gut gefiel, waren die Szenen, in denen sich Erik Winter und sein Kollege Bertil Ringmar die Einfälle und Urteile wie Spielbälle zuwarfen. Es ist eine Art Brainstorming unter Gleichgestimmten auf gleicher Wellenlänge. Sie schließen Möglichkeiten aus und stellen Verbindungen her, die vorher nicht bestanden. Das ist eine faszinierende Sache und sie kommt zweimal vor.

|VORSICHT, SPOILER|

Auf diese Weise kommen sie zu der Einsicht, dass es sich bei den Dreifachmördern vielleicht gar nicht um gedungene Auftragsmörder gehandelt haben könnte, sondern um eine Art Racheakt, der als Befreiungsschlag dienen sollte. Aber wer hätte die Waffen und den Mumm dafür, fragen sich die Kriminaler. Asylanten verfügen für gewöhnlich nicht über Bewaffnung, wenn sie irgendwo über die Grenze gelassen werden. Sie müssen sich in Göteborg bewaffnet haben. Ein Spitzelbericht bestätigt diese Vermutung. Bewaffnete Banden gibt es in Göteborg genügend, und sie alle bekämpfen einander an den Reibungspunkten.

Nun braucht man nur noch Leute, die genügend Mumm haben. Oder ausreichend verzweifelt, meint der andere. Was, wenn es eine der Prostituierten selbst war? Dann würden aus den Mordopfern plötzlich die eigentlichen Schurken werden, nämlich die Zuhälter, die die Asylantenmädchen zu ihren Opfern machten. Die Kategorien „gut“ und „böse“ würden dann überhaupt keinen Sinn mehr ergeben.

_Der Sprecher & Die Sprecherin_

|Aljinovic|

Dass Boris Aljinovic einen „Tatort“-Kommissar spielt, gereicht ihm in vielerlei Hinsicht zum Vorteil. Die Aufgabe, die verschiedenen Figuren stimmlich und sprachlich auf erkennbare Weise zu charakterisieren, bewältigt der Sprecher mit Bravour – ohne sich jedoch zu Karikaturen hinreißen zu lassen. Man merkt aber nach einer Weile, dass ihm die Einzelfiguren nicht so sehr liegen wie das Kollektiv des Ermittlungsteams. Ich bewundere, wie es ihm gelingt, die einzelnen Figuren auseinanderzuhalten und stets die gleiche Ausdrucksweise für die jeweilige Figur zu finden.

So spricht Winter, der immer im Mittelpunkt steht, mit besonders tiefer Stimme, wohingegen seine Kollegen Ringmar und Brur sich ganz anders anhören. Der Taxifahrer Rejnhold hingegen klingt stets nervös und sogar ängstlich, spricht entsprechend hektisch. Am klarsten unterscheidet sich Muzafa Kerim von diesen Figuren: Er hat einen ausländischen Akzent, klingt wie ein Türke, der deutsch spricht.

|Grote|

Alle weiblichen Figuren und die kleinen Jungs weisen eine höhere Stimmlage auf, was ja naheliegt. Ulrike Grote spricht einen weiblichen Part – wen genau, ist teil des Geheimnisses, dessen Schleier erst ganz am Schluss gelüftet wird. Ihre Stimme ist also genau angemessen. Dennoch ergeht sie sich nicht in Emotionalität, sondern spricht kontrolliert und gleichmäßig selbst über die schrecklichsten Begebenheiten. Es handelt sich um eine Aussage vor der Polizei, und doch ist es auch ein Einblick in eine Seelenlandschaft. Der Hörer muss sich sozusagen seinen Teil denken und wird nicht vermeiden können, von dieser in Häppchen verabreichten Erzählung angerührt zu sein.

|Schwächen|

Eine Schwäche Aljinovics hat mich jedoch mehrmals verwirrt und meine Aufmerksamkeit abgelenkt. Seine Aussprache schwedischer Namen schwankt von Fall zu Fall. So sagt er mal Jellbö, dann wieder Jällbo. Und auch die Aussprache des Namens „Muzafa Kerím“ ist zwischen den beiden Sprechern nicht abgestimmt worden. Grote spricht das Z in „Muzafa“ deutsch aus (als TS), Aljinovic spricht hingegen ein stimmhaftes S aus.

Musik und Geräusche gibt es nicht, daher brauche ich kein Wort darüber zu verlieren.

_Unterm Strich_

Wie in einer Art Einkreisung dringt Kommissar Erik Winter immer weiter in die Gedanken- und Gefühlswelt der der kurdischen Einwanderer vor, bis sich ein Geflecht von Abhängigkeiten und Abneigungen offenbart, das sich zu einem verhängnisvollen Konflikt hin entwickelte. In einem gewalttätigen Ausbruch wurden drei Männer nicht nur hingerichtet, sondern auch noch ihrer Identität, ihrer Ehre beraubt. Kein Wunder, dass alle Asylantenfamilien vor Angst wie erstarrt sind und kaum jemand den Mund aufmacht.

Erik Winter kommt sich vor wie auf einem unheimlichen anderen Planeten und offenbart so das eigentliche Thema des Romans: die Entfremdung der Asylantenfamilien von ihren eigenen Wurzeln, die dazu führt, dass die jungen Männer nur an den Gott des Geldes glauben und die jungen Frauen ausbeuten. In zwischengeschalteten Impressionen einer dieser Frauen erleben wir das Elend und die Schrecknisse dieser Flucht ins Asyl mit und können erst nach dem Ende dieses Berichtes verstehen, was es mit der Hinrichtung der drei Männer auf sich hat. Mehr soll nicht verraten werden.

|Das Hörbuch|

Sowohl Boris Aljinovic als auch Ulrike Groten erledigen ihre Arbeit auf beeindruckende Weise und vermitteln einen Eindruck von den Emotionen, die im Spiel sind. Besonders Erik Winter ist mir im Gedächtnis geblieben, ebenso wie Grotes Impressionen der namenlosen Berichterstatterin. Vor dem Finale, einem Showdown, muss der Hörer wie ein Luchs aufpassen, um alle Zusammenhänge richtig auf die Reihe zu bekommen. Aber es lohnt sich. (Wer nicht so scharf aufpassen will, sollte das Buch lesen.)

Erst ganz am Schluss wird der Name der Berichterstatterin enthüllt. So lange muss sich der Hörer gedulden, aber ein Hörer, der mitdenkt, kann den Namen des Täters schon frühzeitig herausbekommen. Gestört haben mich die Inkonsistenzen in der Aussprache Aljinovics und zwischen beiden Sprechern. Sie hätten sich hinsichtlich der Aussprache von Namen absprechen sollen.

|Originaltitel: Vänasta Land, 2006
Aus dem Schwedischen übersetzt von Angelika Kutsch
301 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-89903-477-6|
http://www.hoerbuch-hamburg.de

Savage, Sam – Firmin – Ein Rattenleben

So manch einer musste sich in Kindheitstagen und sicherlich auch als Erwachsener noch als Bücherwurm oder Leseratte betiteln lassen – vielleicht als Vorwurf gedacht, sicherlich überwiegend aber augenzwinkernd und manchmal auch verwundert. Der Wissensdurst oder die Spannung an der Geschichte, die Möglichkeit, teilzuhaben am Schicksal der Protagonisten, entführen den Leser, der dies zulässt, in eine ganz eigene Welt.

In diesen Geschichten können wir verwegene Helden sein, romantische und stürmische Liebhaber, oder in die Gedankenwelt von bösen Charakteren eintauchen; all dies ganz gefahrlos, es sei denn, man verliert dabei den Bezug zur Realität. Bücher können Waffen sein in den Händen ihrer Autoren oder Leser, sie können Existenzen erklären, aufbauen und vernichten, sie können uns viel lehren und unser Leben bereichern, manchmal sogar Schlüsselerlebnisse für das weitere Leben erzeugen.

Der Autor Sam Savage zeigt uns in seinem Debütroman „Firmin – Ein Rattenleben“, dass belesene langschwänzige Ratten durchaus auch zwischen den Zeilen lesen können und die Literatur uns manchmal genauso real erscheint wie die Wirklichkeit.

_Inhalt_

In der Heimat des Jazz, Boston in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts erblickt Firmin eines von dreizehn Rattenbabys das Licht der Welt. Seine Geburtsstätte ist eine Buchhandlung in der auch seine Jugend verbringt. Firmin ist sonderbar, nicht nur für seine Geschwister oder seine alkoholabhängige Mutter.

Sein Verhaltensmuster entspricht nicht unbedingt seinem Wesen. Firmin ist neugierig und entdeckt dabei sein Faible für die Literatur. Das Nest, in dem er und seine Geschwister aufwachsen, ist isoliert und ausgelegt mit den losen Seiten eines dicken Buches, wohl einer Enzyklopädie. Firmin verschlingt diese Seiten quasi, sprich: Er isst sie ganz einfach auf. So werden in frühen Kindheitstagen schon viele Seiten aus Büchern der Philosophie, der Linguistik, Astronomie und Astrologie ebenso verschlungen wie abscheuliche Gräueltaten, Bekenntnisse, Geständnisse und Apologien.

Im Verlauf seines Heranwachsens ist die ‚Beschäftigung‘ mit der Literatur eine prägende Phase seiner Bildungsbiographie, und Firmins absonderliche Essgewohnheiten beginnen sich zu wandeln. Er nutzt die vielen Bücher nun nicht für seine Gier nach Essbarem, sondern beginnt diese auch zu lesen. Zudem weitet er langsam seine Expeditionen aus und erforscht die Räume und Ecken der Buchhandlung. Er beobachtet die Menschen dabei, wie sie gleich der Suche nach einem Schatz die Regale voller Bücher sichten, und verfolgt, wie Norman, der Besitzer des Bücherladens namens „Pembroke Books“, routiniert seinem Tagesablauf nachgeht.

Firmin lernt neben der Literatur auch das Lichtspielhaus „Rialto“ kennen und lieben. Seine Helden sind neben Charlie Chan und Gene Autry auch Western, Krimis, Musicals und Filme mit Joan Fontaine, Abbott und Costello. Fred Astaire entwickelt sich ebenso zu einem Vorbild wie wenig später Ginger Rogers.

Firmin wird zu einem Einzelgänger und lebt seine gelesenen und gesehenen Helden nach. Seine Welt verwandelt sich ein Universum von Gefühlsstürmen und miterlebten Schicksalsschlägen, mit Augenblicken dramatischer Gewalt und unerfüllten Liebesbekenntnissen. Zu Norman Pembroke entwickelt die kleine Ratte eine tiefgehende Zuneigung; schon am Frühstückstisch nimmt Firmin die stille Rolle eines Voyeurs ein, der aus einem Loch in der Decke die morgendliche Zeitung mitliest und sich so über das politische Geschehen, den Sport und natürlich auch den Klatsch und Tratsch informiert.

Eines Tages aber wird Firmin von Norman entdeckt, was Firmin nichtsahnend fast zum Verhängnis wird. Das Rattengift hält Firmin für ein Geschenk und fällt naiv und unbedarft darauf herein. Firmin überlebt jedoch den feigen Mordanschlag und will nun seinen eigenen Weg gehen …

_Kritik _

Sam Savage versteht es gekonnt, in seinem Debütroman „Firmin – Ein Rattenleben“ eine philosophische Geschichte zu erzählen. Firmin ist kein typischer Roman, der eine offensichtliche Botschaft präsentiert. Bei Firmin muß man viel zwischen den Zeilen lesen, um zu verstehen, was der Autor uns zu sagen hat. Man merkt, dass Sam Savage selbst ein Literat ist. Unzählige Zitate finden sich in seinem Roman wieder, und das überhaupt nicht deplatziert oder aufdringlich, sondern ausgesprochen gut eingesetzt.

Firmins Geschichte ist im Grunde eine ernste und traurige, zugleich berührt sie aber und lädt uns dazu ein, vielleicht das Leben ein wenig ernster und zugleich freundlicher anzunehmen. Zudem wird klar: Die „Realität“ ist für jeden individuell und jeder schafft sie sich ähnlich wie unser Protagonist „Firmin“ selbst.

Die Grundstimmung des Romans ist melancholisch und Firmin als „Leseratte“ in diesem Rahmen formidabel konzipiert. Seine Bestrebungen und Hoffnungen, etwas anderes sein zu wollen als eine kleine unscheinbare Ratte, an die er sich verzweifelt klammert, sind rührend. Sein Schicksal ist eher tragisch; er ähnelt darin Don Quichotte, dem Ritter von der traurigen Gestalt. Seine ganze Motivation, geliebt, geachtet und wahrgenommen zu werden, führt letztlich zu nichts anderem als der Einsicht, dass man nicht aus seiner eigenen Haut kann.

_Fazit_

„Firmin“ ist ein philosophischer Exot für Querdenker mit einer außergewöhnlichen dichten Sprache. Für Leser, die aufgrund der Aufmachung vermuten, dass „Firmin“ ein eher witziges Buch wäre, wird die Lektüre möglicherweise eine Enttäuschung sein. Wer sich aber Zeit nimmt und das Buch, wenn es denn geht, in einem Stück durchliest, wird schnell erkennen, dass es darin weit mehr zu entdecken gibt als vielleicht ursprünglich gedacht.

Der Roman ist auch äußerlich wunderbar gestaltet. Das Cover zeigt eine traurige, mit nach unten sinkenden Mundwinkeln über einem Buch sitzende Ratte. Die Buchseiten sind etwas vergilbt und nicht gleichmäßig geschnitten, wodurch das Buch angenagt wirkt. Das passt natürlich zu Firmin, und auch sicher zu Sam Savage, der ein großartiges, dezent augenzwinkerndes Werk geschaffen hat. Es gibt noch eine kleine Besonderheit bei „Firmin“: Es wurde in drei Teilen von verschiedenen Personen übersetzt, jede Passage in ihrem ganz eigenen Stil.

„Firmin – Ein Rattenleben“ ist empfehlenswert für Menschen stillen und melancholischen Gemütes, für neugierige Leser, die gern Träumen hinterherjagen und den einen oder anderen auch wirklich einfangen können, für Menschen, die es verstehen, ihr Dasein zu akzeptieren, aber trotzdem dafür kämpfen, etwas erreichen zu wollen.

_Der Autor_

Sam Savage wurde in South Carolina geboren und lebt heute in Madison, Wisconsin. Er promovierte in Philosophie, unterrichtete kurzzeitig arbeitete als Tischler, Fischer, Drucker und reparierte Fahrräder. „Firmin – Ein Rattenleben“ ist sein erster Roman.

|Originaltitel: Firmin. Adventures of a Metropolitan Lowlife
Deutsch von Susanne Aeckerle, Marion Balkenhol und Hermann Gieselbusch
213 Seiten, gebunden, Buchschnitt mit Rattenzahnung|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/

Heumann, Hans-Günter – Meine ersten Piano-Stücke

Hans-Günter Heumann hat in den vergangenen Jahren einen enormen Beitrag zur Verbreitung von Partitionen der Populärmusik geleistet und gilt mittlerweile sogar als einer der Publisher, die man zum Start am modernen Piano gerne als erste Anlaufstelle wählt. Seine Werke auf dem Gebiet der Klavier-Unterrichtsliteratur sind geschätzt und beliebt, was Heumann letztendlich zum Tasten-Äquivalent des angesehenen Peter Bursch hat aufsteigen lassen.

Seine neueste Publikation richtet sich erneut an das Anfängerpublikum und enthält sage und schreibe 50 Notationen aus ganz unterschiedlichen Gebieten. Den größten Anteil nehmen nach wie vor Stücke der Klassik ein, aus der Heumann Ausschnitte aus den Werken von Bach, Mozart, Strauß und Brahms entnommen hat. Sowohl populäre Stücke wie der ‚Radetzky-Marsch‘ und Brahms‘ ‚Wiegenlied‘ als auch Ausschnitte aus Händels Suiten, Haydns Sätzen und Bartholdys ‚Lieder ohne Worte‘ werden in einfachen Arrangements aufgefahren. Dazu gibt es Teile aus Verdis Opernwerk sowie einen Abschnitt aus Mozarts Klassiker ‚Die Hochzeit des Figaro‘ und zuletzt sogar ein komplettes Thema aus einer seiner Klaviersonaten.

Abseits dessen ist das Programm überraschend vielfältig: Party-Kracher wie ‚I will Survive‘ von Gloria Gaynor und Kaomas Sommerhit ‚Lambada‘ sind ebenso vertreten wie das stille ‚Imagine‘ von John Lennon und der Simon-&-Garfunkel-Klassiker ‚Scarborough Fair‘. Dazu gibt es dann Gassenhauer wie ‚Mourning has broken‘ (Cat Stevens) und ‚When the Saints go marching in‘ sowie im erweiterten Programm sogar Nummern von Fats Domino und The Animals.

Oberste Prämisse bei dieser (auf den ersten Blick) ungewöhnlichen Zusammenstellung war ganz klar die Simplizität der Piano-Arrangements, auf Basis derer sowohl ein kurzer Einblick in die Welt der Klassik als auch in den Sektor der populären, weltlichen Musik gewährleistet wird. Zwar fehlen besonders bei den klassischen Stücken noch die detaillierten Feinheiten, aber gerade für den Anfang, also in der Zeit, in der man eh noch sehr ergebnisorientiert musiziert, sind die hier gebotenen Arrangements völlig ausreichend und ein wirklich guter, vor allem aber abwechslungsreicher Lernstoff für den angehenden Pianisten. Und wie es sich für ein Werk des Autors mittlerweile schon fast gehört, darf man „Meine ersten Piano-Stücke“ daher auch jedem Einsteiger in den Tastenstoff empfehlen. Vielseitigere Werke – man blicke nur mal in die nachfolgende Übersicht – wird man nämlich gerade in diesem hart umkämpften Terrain schwerlich finden!

_Inhalt_

1. Barkarole (J. Offenbach)
2. Andante Grazioso (W. A. Mozart)
3. Prélude (M. A. Charpentier)
4. When the Saints go marching in (Traditional)
5. Musette (J.S. Bach)
6. Radetzky-Marsch (J. Strauß, Vater)
7. Zither-Ballade (A. Karas)
8. Morning has broken (Cat Stevens)
9. Wiegenlied (J. Brahms)
10. Am Brunnen vor dem Tore (F. Schubert)
11. What shall we do with the drunken Sailor (Traditional)
12. Melodie in F (A. Rubinstein)
13. Nun vergiss leises Flehn, süßes Kosen
14. Scarborough Fair (Simon & Garfunkel)
15. Santa Lucia (Traditional)
16. Down by the Riverside (Traditional)
17. Stars and Stripes forever (J. P. Sousa)
18. Frühlingslied (F. M. Bartholdy)
19. Rondo (W. A. Mozart)
20. Walzer Op.39 Nr.15 (J. Brahms)
21. All my Loving (The Beatles)
22. Menuett (W. A. Mozart)
23. Rondo (D. G. Türk)
24. Blueberry Hill (Fats Domino)
25. Wiener Blut (J. Strauß, Sohn)
26. Schwanen-Thema (P. I. Tschaikowsky)
27. Amboss-Polka (A. Parlow)
28. Sinfonie mit dem Paukenschlag (J. Haydn)
29. Wilhelm Tell (G. Rossini)
30. Aloha Oe (Q. Liliuokalani)
31. Militär-Marsch (F. Schubert)
32. Chim Chim Cher-Ee (R. M. Sherman, R. B. Sherman)
33. House of the Rising Sun (The Animals)
34. Michelle (The Beatles)
35. Air (J. S. Bach)
36. Chor der Zigeunerinnen (G. Verdi)
37. Baby Elephant Walk (H. Mancini)
38. Der Schwan (C. Saint-Saens)
39. Die Schlittschuhläufer (E. Waldteufel)
40. Der harmonische Grobschmied (G. F. Händel)
41. Siciliano (J. S. Bach)
42. San Francisco (Scott McKenzie)
43. Italienisches Konzert (J. S. Bach)
44. Gefangenenchor (G. Verdi)
45. Stenka Rasin (Traditional)
46. Imagine (John Lennon)
47. Menuett (L. Boccherini)
48. Zillertaler Hochzeitsmarsch (Traditional)
49. Llorando Se Fue – Lambada (Kaoma)
50. I will survive (Gloria Gaynor)

|95 Seiten
ISBN-13: 978-3-86543-337-4|
http://www.bosworth.de