Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Bunse, Rolf – Wo ist Dracula? Das außergewöhnliche Wimmelbuch

_Wimmelbuch: Lustiger Zeitvertreib für Entdecker_

Graf Dracula, der Unsterbliche, hat die Nase gestrichen voll vom langweiligen Transsilvanien. Warum immer nur in dunklen Schlössern und feuchten Kellergewölben sein Unwesen treiben (noch dazu in der tiefsten Provinz!), wo es doch noch so viel zu entdecken gibt?

Also nichts wie raus aus den engen vier Sargwänden und mitten hinein ins Menschengewimmel! War der Graf nicht eben noch auf einer Halloween-Party zu finden? Hat er sich etwa auch auf die Filmpremiere eines Vampirstreifens geschmuggelt? Wer genau hinsieht, merkt schnell: egal ob Karneval in Venedig, der Wiener Opernball oder das Metropolitan Museum in New York City – kein Schauplatz der Welt ist vor dem Blutsauger sicher … (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Zeichner_

Der Illustrator Rolf Bunse hat bereits mehrere Wimmelbücher veröffentlicht, darunter „Wo ist der Papst?“.

_Inhalt_

1) |Rummelplatz mit Geisterbahn|

Einleitungslos geht es gleich in die erste Szene, doch der Rummelplatz scheint aus den siebziger Jahren zu stammen: Schiffschaukel, Kettenkarussell, Zuckerwattestand, Wahrsager, Schießbude – all dies scheint heute, im Zeitalter der motorisierten Sensationsmaschinen, völlig antiquiert. Oder vielleicht gerade deshalb um so attraktiver für den Grafen. Insbesondere die Geisterbahn scheint für ihn Attraktionen bereitzuhalten: unheimliche Mönche, blutige Ritter, ein Scharfrichter mit Hackebeil, diverse Monstren. Da kommt Laune auf. Und ordentlich Gruseln. Der Graf indes hat ein Opfer gefunden …

2) |Der Spiegelsaal von Versailles|

Eine enorme Menschenmenge verliert sich zwischen den Spiegelwänden, Marmorstatuen und unter den enormen Kristallüstern. Der Graf ist leicht auszumachen.

3) |Eine Operninszenierung auf der Freilichtbühne einer Burg|

Es ist schwer herauszubekommen, um welches Schaustück es sich hier handelt, aber der Auftritt von degenfechtenden Musketieren gibt einen Hinweis. Sinds die „Meistersinger von Nürnberg“ auf der Burgbühne, so scheint im Vordergrund, der den Orchestergraben wie ein Amphitheater umgibt, eine ganz andere Geschichte dargestellt zu werden. Esel, Schafe, Ziegen treten ebenfalls auf. Mache sich jeder seinen Reim darauf. Der Graf verkneift es sich jedoch zu Singen.

4) |Im Naturhistorischen Museum|

Ein höchst sonderbares Museum: Im Vordergrund ragen furchteinflößende Skelette von Dinosauriern über die Köpfe der zahlreichen Besucher. Doch im angrenzenden Raum sind altägyptische Pharaonenstatuen und Sarkophage ausgestellt – eine Kombination aus Naturkunde- und Kulturgeschichtsmuseum. Rechts oben ist ein Rittergrab samt Statue zu erspähen, rechts unten mehrere Marmorstatuen. Nichts will so recht zueinander passen, wie eine Kreuzung aus Louvre und Senckenberg-Museum. Und Dracula natürlich mittendrin (aber gut versteckt).

5) |Auf dem Opernball|

Mehrere hundert Tanzpaare scheinen auf dem Parkett die Hufe zu schwingen, der Rest schaut von den dreistöckigen Rängen schampusschlürfend zu. Doch nicht alles ist hier Walzer! Mehrere ausgelassene Paare praktizieren den verpönten Rock’n Roll, und es ist nicht nur ein einsames Rebellen-Duo, sondern gleich mehrere. Der Graf hat auch hier ein Opfer gefunden.

6) |Karneval in Venedig|

Der Markusplatz vor dem Dogenplatz erstreckt sich zwischen gondelbesetztem Canale Grande und Säulenlöwen. Sie überblicken die bunt kostümierte Schar der Karneval Feiernden. Ein Festzug mit besonders bunt kostümierten Darstellern, manche auf Stelzen, zieht von rechts nach links, bestaunt und geknipst von modernen Touristen. Der ebenso wie ein Mann des 17. Jahrhunderts aufgetakelte Graf ist hier äußerst schwer auszumachen. Perfekte Tarnung, Euer Durchlaucht!

7) |Horrorfilmpremiere in Hollywood|

Sehr witzig: Hier treten gleich ein halbes Dutzend Draculas auf! Während die Schauspieler des DRACULA-Films den Roten Teppich entlangposieren, um von der versammelten Presse abgelichtet zu werden, betrachten Dracula-Plakate und ein Dracula-Darsteller das von Touristen bestaunte Defilee, das sich dem säulenbewehrten Eingang des Ritz Carlton nähert – vermutlich in Cannes, wo die Filmfestspiele stattfinden. Der richtige Graf – wo mag er sich versteckt haben, unter so vielen falschen …?

8) |Halloweenfeier im Schlossgarten|

Der Höhepunkt des Bandes und sicherlich eines der schwierigsten Suchbilder. Vor der Freitreppe des Schlosses erstreckt sich eine Grünfläche, auf der eine bunt kostümierte Menschenmenge zwischen Blutbrunnen und Orchesterpodium umherquirlt. Allerlei Horrorgestalten aus mindestens 20 verschiedenen Filmen, versuchen den Sterblichen einen Schrecken einzujagen: Knochenmänner, Mumien, Werwölfe, Totenkopfpiraten und viel Gelichter mehr. Leider auch der eine oder andere Vampir in Dracula-Verkleidung. Doch es kann nur einen Wahren geben! Wo ist er?

_Mein Eindruck_

Wozu ist so ein Wimmelbuch überhaupt gut, fragte ich mich vor dem Betrachten dieser acht Bilder. Schließlich sieht man ja bloß herumwimmelnde Figuren, nicht wahr? Aber bis man endlich das Gesuchte gefunden hat, vergeht doch einige Zeit, und bis dahin hat man vielfach Gelegenheit, anderes zu entdecken.

Es sind einfache Entdeckerfreuden, die es hier zu ernten gilt. Und natürlich ist die Freude am größten, wenn man diese Figuren und Dinge noch gar nicht kennengelernt hat. Dann sind sie alle neu und somit eine Überraschung. Der Betrachter müsste dann in unseren TV-gesättigten Breiten aber noch ziemlich jung sein, würde man meinen. Es gibt aber immer wieder Haushalte und vor allem Mütter, die völlig aufs Fernsehen verzichten, aus allen möglichen Gründen. Beispielsweise um ihre Kids vor Bildern der Gewalt und Verrohung zu schützen.

|Steckbrief unnötig|

Vielleicht fragt sich der eine oder andere nun, wie es gelingen soll, einen Mann zu finden, der sich unter Doppelgänger, Schauspieler und Geisterbahnfiguren zu mischen pflegt. Nichts leichter als das! Der Graf, übrigens ein sympathischer Bursche, ist stets mit einem roten Jabot angetan, dessen helle Farbe sich – in der Regel – leicht ausmachen lässt. Und hin und wieder hält er sich neben einer blonden Schönheit auf, der er gerade den Hof macht (warum wohl?). Wenn nur nicht seine Doppelgänger wären, hätte der Sucher leichtes Spiel.

_Unterm Strich_

Das Wimmelbuch lehrt den kleinen wie den großen Betrachter, das Einzelne im Vielen, das Besondere im allgemeinen Meer der Figuren zu suchen und auf dieser Forschungsreise viele Entdeckungen zu machen. So wird der Betrachter zum Navigator der Masse, zum Sucher der Besonderheit.

Diese Besonderheit ist nicht bloß der steckbrieflich gesuchte Graf, sondern auch all jene vertrauten oder unvertrauten Figuren, die sich auf der Geisterbahn, im Filmgeschäft (wo ist da der Unterschied?), auf der Halloweenparty sowie im Museum usw. dem Auge präsentieren. Gestört hat mich lediglich, dass der Graf meist allzu leicht zu finden ist. Das war beim Papst doch wesentlich schwieriger. Außerdem gab es allerlei Merkwürdigkeiten zu bestaunen, so etwa im Museum. Und warum findet sich im Gegensatz zu den Vorsatzseiten keine einzige Fledermaus weit und breit.

|Hardcover: 24 Seiten
ISBN-13: 978-3570139424|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

Interview mit J. J. Preyer

|Buchwurm.info| sprach mit J. J. Preyer, einem österreichischen Autor von Sherlock-Holmes- und Jerry-Cotton-Romanen – aber natürlich nicht nur.

_Buchwurm.info:_
Wie geht es Ihnen? Wo sind Sie? Was machen Sie gerade?

_Preyer:_
Es ist 4:40 Uhr. Ich habe soeben meinen Hund aus dem verschneiten Garten geholt und beginne jetzt zu schreiben, wie jeden Tag früh am Morgen. Mein Kopf muss ausgeruht sein, um vernünftig arbeiten zu können. Und ich bin ausgeruht heute morgen, voll Tatendrang.

_Buchwurm.info:_
Wie sind Sie zur Schriftstellerei gekommen? Haben Sie schon davor einen Beruf ausgeübt?

_Preyer:_
In meiner Kindheit lief nicht alles so, wie man sich das wünschen würde, also lernte ich, in eine Fantasiewelt abzutauchen, der ich durch das Schreiben Festigkeit verlieh. Die Zeitung unserer Stadt – es handelt sich um Steyr in Österreich – druckte, als ich vierzehn war, eine meiner Weihnachtsgeschichten. Ich las damals C. H. Guenters „Kommissar X“ und schrieb selbst einen ersten Krimi in ein liniertes Schulheft. Der Roman enthält schon viele Elemente meiner späteren Krimis.

Mit sechzehn erhielt ich das Angebot eines Redakteurs, bei seiner Wochenzeitung einzusteigen, er sehe Talent bei mir. Meine Eltern stellten sich quer, also beendete ich das Gymnasium, studierte Germanistik und Anglistik in Wien und wurde Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. Und diesem Beruf ging ich lange Jahre nach, mit gelegentlichen Versuchen auszubrechen, unter anderem einem Jahr in Großbritannien, wo ich erst so richtig Englisch sprechen und schreiben lernte.

_Buchwurm.info:_
Warum und wozu wurden Sie auch Verleger?

_Preyer:_
Verleger wurde ich im Jahr 1996, als ich mich meinem ursprünglichen Berufswunsch wieder annähern wollte. Ich verlegte übrigens auch einen Roman des Journalisten, der meine erste Weihnachtsgeschichte veröffentlichte; ich machte den Wohnort C. H. Guenters ausfindig und brachte seine späten Romane heraus. Aber jetzt bin ich am eigentlichen Ziel angelangt: Ich schreibe wieder selbst, und das sehr intensiv, in den frühen Morgenstunden. Siehe oben.

_Buchwurm.info:_
Was ist Ihr bevorzugtes Literaturgenre? Wahrscheinlich Belletristik – und welches Untergenre?

_Preyer:_
Belletristik. Kriminalromane.

_Buchwurm.info:_
Sie haben drei Sherlock-Holmes-Abenteuer veröffentlicht. Was finden Sie an dieser Figur besonders interessant und anziehend?

_Preyer:_
Mich reizt das gesamte Personal der von Conan Doyle erfundenen Geschichten: Gut – Böse, Gescheit – Dumm aufgeteilt auf verschiedene Personen, ausgemalt mit verschiedenen Farbtönen zwischen den Extremen. Die Paarung Holmes – Watson wiederholt sich ja oft in Literatur und Film. Denken wir an Don Quixote und Sancho Pansa, an Laurel und Hardy, an Wiener Doppelconferencen*, an Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar.

*: Die Wiener Doppelconference bestand und besteht aus Kabarettnummern, in denen ein Gescheiter gegen einen Dummen antritt, mit den köstlichsten Verwicklungen, wobei meist am Schluss der Gescheite die Nerven wegwirft. Die besten Nummern waren die mit Karl Farkas und Ernst Waldbrunn. Auch ein Wikipedia-Artikel widmet sich in knappen Worten diesem Phänomen: http://de.wikipedia.org/wiki/Doppelconf%C3%A9rence

_Buchwurm.info:_
Wollten Sie sich in die Annalen der Holmes-Literatur einschreiben?

_Preyer:_
Nein, das kann auf diesem Weg nicht gelingen. So etwas wäre nur mit völlig Eigenständigem möglich, an dem ich natürlich ebenfalls heftig arbeite. Weniger an schriftstellerischem Ruhm als an den Texten.

_Buchwurm.info:_
Wie ist es Ihnen gelungen, als Autor für die Jerry-Cotton-Heftromane schreiben zu können?

_Preyer:_
Ich schrieb einen Cotton-Roman und sandte ihn an die Redaktion. Dr. Florian Marzin sah Potenzial im Text, sandte mir exakte Anleitungen für einen nahezu perfekten Cotton zu, und ich versuchte das umzusetzen. Der Roman wurde veröffentlicht, und diesem folgten bisher drei weitere, die immer wieder in Kontakt mit dem Lektor auf Cotton-Linie gebracht wurden.

_Buchwurm.info:_
Was sind Ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen?

_Preyer:_
Ich bin ein unruhiger Mensch, ich muss in Bewegung sein. Ob dies innere Bewegung ist, wie beim Schreiben, beim Ausdenken von Geschichten, bei langen Spaziergängen oder meinen monatlichen Reisen. Der Hund und ich begeben uns jeden Monat eine Woche auf eine Reise, um neue Eindrücke zu gewinnen.

_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Woran arbeiten Sie gerade? Wann erscheint Ihr nächstes Buch?

_Preyer:_
Mein nächster umfangreicher Roman erscheint Ende März 2011 im Wiener Verlagshaus |Hernals|. Titel: „Ludwigsmord“. Thema: Eine moderne Auseinandersetzung mit den Rätseln um den Tod König Ludwigs II. (des „Kini“, der Neuwschwanstein erbauen ließ.)

Soeben abgeschlossen habe ich einen Krimi, der in meiner Heimatstadt spielt. Und jetzt befasse ich mich mit einem möglichen vierten Fall meines Sherlock Holmes. Die jeweils neuesten Projekte J. J. Preyers verrät meine Homepage: [www.oerindur.at/preyer.htm.]http://www.oerindur.at/preyer.htm

_Buchwurm.info:_
Werden Sie weitere Holmes-Abenteuer verfassen?

_Preyer:_
Wenn mir etwas Interessantes einfällt und wenn der jetzige Holmes ([„Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3898402916/powermetalde-21 die Red.) einigermaßen gut ankommt, wäre das möglich.

_Biografie:_

J. J. PREYER, geboren 1948 in Steyr, Österreich, als Josef Johann Preyer, laut Taufschein.

Ab dem 14. Lebensjahr literarische Veröffentlichungen.

Studium Deutsch, Englisch in Wien.

Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung.

1976 Auslandsjahr in Swansea in Wales.

1982 Initiator des Marlen-Haushofer-Gedenkabends, der durch die Teilnahme des Wiener Kulturjournalisten Hans Weigel den Anstoß zur Wiederentdeckung der Autorin gab.

Mitarbeit an der Kinderzeitschrift „KLEX“ von Peter Michael Lingens.

1996 gründete J. J. Preyer den |Oerindur|-Verlag, einen Verlag für lesbare Literatur und Krimis.

J. J. Preyer schreibt seit Jahresbeginn 2010 für die Romanserie JERRY COTTON im [|Bastei|-Verlag.]http://www.bastei-verlag.de/

_J. J. Preyer auf |Buchwurm.info|:_
[„Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5513

MacBride, Stuart – Dying Light

_McRae, der Loser: Erfolgreich gegen jede Hoffnung_

In Abderdeen ist Detective Sergeant Logan McRae mit gleich drei Fällen befasst. Es beginnt mit Rosie Williams, ausgezogen und zu Tode geprügelt, die man unten an den Docks findet. Am anderen Ende der Stadt verbrennen sechs Menschen in einem Haus – jemand hat die Haustür zugeschraubt und Benzinbomben in die Fenster geworfen. Menschen verschwinden spurlos. Und schließlich muss sich Logan fragen, wie so sich ein angesehener Journalist wie sein Freund Colin Miller mit einem Typen einlässt, der offenbar für einen Gangsterboss aus Edinburgh arbeitet …

_Der Autor_

Stuart McBride war schon alles Mögliche: ein Grafikdesigner, dann ein Anwendungsentwickler für die schottische Ölindustrie und jetzt Kriminalschriftsteller. Mit seiner Frau Fiona lebt er in Nordostschottland. Seine Krimis um Detective Sergeant Logan McRae spielen in Aberdeen. Mehr Infos finden Sie unter [www.stuartmacbride.com]http:// www.stuartmacbride.com

|Werke:|

1) „Cold Granite“ (2005) = [„Die dunklen Wasser von Aberdeen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2917
2) „Dying Light“ (2006) = [„Die Stunde des Mörders“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3739
3) „Broken Skin“ (2007) = [„Der erste Tropfen Blut“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4940
4) „Blind Eye“ = „Blinde Zeugen“
5) „Flesh House“ (2008) = [„Blut und Knochen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5792
6) „Halfhead“ (2009) – noch ohne dt. Titel
7) „Dark Blood“ (2010) – noch ohne dt. Titel
8) „Shatter the Bones“ (2011) – noch ohne dt. Titel

_Handlung_

Zuerst schraubt der Pyromane die Haustür zu, solange keiner was merkt, dann wirft er die Benzinbomben durch die Fenster im oberen Stockwerk des heruntergekommenen, besetzten Hauses. Während die Schreie anfangen und das Dach nach unten zu sinken beginnt, öffnet er seinen Hosenschlitz und holt sich munter einen runter. Ah, wie sie brutzeln und schreien …

Detective Sergeant Logan McRae von der Polizei in Aberdeen hat sich schon mal besser gefühlt, als er diesen Morgen seinen Dienst antritt. Bei seiner letzten Aktion gegen Diebe oder Hehler – es gab nur einen Tipp – ist sein Kollege Trevor Maitland schwer verwundet worden und liegt auf der Intensivstation. Die Dienstaufsicht in Gestalt von Mr. Napier droht, ihm den Arsch aufzureißen, gibt ihm aber noch eine letzte Chance: In der Vermassler-Schwadron, die von Detective Inspector Steel befehligt wird. Steel ist nicht nur eine Kettenraucherin, sondern auch eine Lesbe, die an ihren männlichen Kollegen stets etwas auszusetzen hat. Kann es schlimmer kommen? Es kann.

Unten bei den Docks, nahe dem Straßenstrich, wurde die Leiche von Rosie Williams gefunden, einer Prostituierten, die Logan kannte. Der Killer hat sie ausgezogen und zu Tode geprügelt. Als sie Rosies Freund Jamie McKinnon suchen, stoßen Logan und Steel erst auf Susie, Jamies Schwester. Die führt sie unwissentlich direkt zu Jamie, dessen Flucht sie zu verhindern wissen. Haben sie ihren Prostituiertenkiller?

Kurz nach diesem Erfolg ruft Inspector Insch Logan zu der Sache mit dem niedergebrannten Haus hinzu. Logan fällt sofort auf, dass dies genau jene Gegend ist, in der die Bande, die Maitland niederschoss, ihr Hauptquartier hatte. Logan verfügt über die seltene Fähigkeit, sich in den Täter hineinzuversetzen. Was würde er tun, wenn er Feuer gelegt hätte und auf die Schreie lauschte? Genau. Logan findet das vollgespritzte Taschentuch in der einzig möglichen Ecke. Immerhin haben sie jetzt eine DNS-Probe.

Wenige Tage später findet eine Spaziergängerin im „Wald der Skulpturen“ eine weitere erschlagene Prostituierte, Michelle Wood. Nicht weit davon liegt ein toter Labrador in einem Koffer – eine Fingerübung, wie Logan es nennt: Der Killer hat die Hurenmorde geübt. Mittlerweile ist der Straßenstrich in Aufruhr: Warum tun die Bullen nicht endlich was? Das Einzige, was Logan einfällt und was er Steel vorschlagen kann: Als Prostituierte verkleidete Polizistinnen sollen den Täter anlocken und so fangen. Steel, die Ketteraucherin mit dem faulen Mundwerk, wird sofort sarkastisch und tauft diese Schnapsidee „Operation Cinderella“. Sie haben maximal fünf Tage Zeit.

Unterdessen wird in einem weiteren Haus Feuer gelegt. Während sich beim Ersten herausstellte, dass ein bekannter Drogendealer dabei ums Leben kam, ist es diesmal eine scheinbar völlig unbescholtene Familie. Logan ist der Erste, der die Leiche hinter der eingeschlagenen Haustür findet. Mittlerweile befindet sich Jamie McKinnon im Krankenhaus: Er hat versucht, sich im Gefängnis umzubringen. Aber er kommt vom Regen in die Traufe: Zwei Gentlemen statten ihm einen Besuch ab, den er nicht so schnell vergisst, wie Logan und Steel finden. Jamies Finger sind gebrochen und in seinem Enddarm befindet sich ein Viertelkilo bestes Crack-Kokain. Offenbar möchte jemand, dass er das Gefängnis damit versorgt, wenn er dorthin zurückkehrt. Das wissen die Cops zu vereiteln.

Auf dem Ü-Video des Hospitals kommt Logan eines der beiden Gesichter bekannt vor. Er hat den hochgewachsenen Kerl, der Jamie die Finger gebrochen hat, schon in einem Pub im Gespräch mit Colin Miller gesehen. Colin ist Journalist bei der Tageszeitung von Aberdeen und ein Freund. Colin hat auch Logans Ex, die Pathologin Isobel McAlister, „geerbt“. Der Kerl, den Logan, kommt entsprechend seinem Akzent nicht aus der Stadt, sondern aus Edinburgh, wo bekanntlich der Gangsterboss Malcolm Maclennan das Sagen hat, den alle nur „Malk das Messer“ nennen. Was wollen Malks Abgesandte in Logans Stadt aufziehen? Wohl keinen Verein der christlichen Wohlfahrt, sondern eher ein Drogengeschäft.

Während sich Operation Cinderalla hinzieht, kann Logan Colin breitschlagen, ihm die Adresse der beiden Gangster zu verraten. Mit Großaufgebot lässt Steel auffahren und die beiden hopsnehmen. Sie darf sie nach schottischem Recht sechs Stunden ohne Anklage verhören und ohne ihnen einen Anwalt zu geben. Die Zeit wird knapp, als die beiden mauern. Die Cops ahnen nicht, dass sie die beiden Ziehsöhne Maclennans vor sich haben.

Um die Wartezeit totzuschlagen, nimmt sich Logan einer Vermisstenanzige an. Mrs. Ailsa Cruickshank Manns Gavin sei spurlos verschwunden, heißt es. Bei dieser Ermittlung stößt Logan unerwartet auf eine heiße Spur im Fall der toten Nutten …

_Mein Eindruck_

Ermittlungen sind einander in aller Welt etwas ähnlich, was wohl in der Natur der Sache liegt. Deshalb muss ein Krimiautor darauf achten, wer die Ermittler sind und vor allem, wo und unter welchen Umständen sie ihre Arbeit tun. Logan McRae, genannt Lazarus, arbeitet in Aberdeen, einer der reichsten und zugleich mörderischsten Metropolen des Vereinigten Königreichs. Die Ölindustrie hat jede Menge Kohle in die Stadt gebracht, die explosionsartig ins ländliche Umland wuchert, doch das Geld lockt auch Drogenhändler und andere Verbrecher an, die ihren Anteil absahnen wollen. Ob es wohl nur am schlechten Wetter liegt, dass es hier mehr Morde pro Kopf gibt als in Wales und England zusammen?

Ein weiterer wichtiger Unterschied, der Logans Arbeit bestimmt, ist das spezielle Strafverfolgungs- und Justizsystem, das in Schottland gilt. Mehrmals im Buch weist Logan seine „Kunden“ süffisant darauf hin, dass alle die Krimis, die sie so eifrig lesen, nur für England Gültigkeit haben, nicht aber im schönen Schottland. Hier bläst buchstäblich ein anderer Wind. Nur Val McDermid lässt er noch gelten, denn sie stammt aus Kirkcaldy, Schottland.

Eine der Folgen dieses andersartigen Systems ist die, dass ein Verhafteter keinen Anwalt gestellt bekommt. Nein, Sir! Erst wenn es den braven Polizisten gefällt, ihm oder ihr einen Anwalt zuzugestehen. Klingt absurd, ist aber Realität. Eine weitere Besonderheit ist der Titel des Staatsanwalts, der einen Haft- oder Durchsuchungsbefehl ausstellen muss, bevor die Bullen tätig werden können: Procurator Fiscal. Klingt eher nach einem Finanzbeamten als nach dem Vertreter der Anklage. Aber keine Angst: Die Assistentin eines solchen PF kann richtig süß und humorvoll sein, wie Logan bald am eigenen Leib zu spüren bekommt. Und hab ich schon erwähnt, dass (drittens) alle Cops unbewaffnet sind? Nun, das erweist sich, als es hart auf hart kommt, als strategischer Nachteil.

Logan, Steel, Insch und all die anderen sind keine perfekten Ermittlungsmaschinen, sondern vielmehr allzu menschliche Vermassler. Sie können von Glück sagen, wenn sie eine Maus in einer Falle fangen. Hartnäckigkeit und Verbohrtheit scheinen eher die Stärke der hochwohlgeborenen Inspectors zu sein, unter denen Logan zu dienen hat. Sie weisen deutliche Macken auf: Steel ist eine kettenrauchende, lesbische Zynikerin, die an nichts mehr glaubt außer an die Privilegien ihres Standes. Und Insch futtert am laufenden Süßigkeiten, bis er so fett wie ein Elefant ist.

Glasklar, dass solchen Figuren eigentlich kein Erfolg zuzutrauen ist, deshalb tut Logan sein Bestes, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen – was so viel Absurditäten schon schwer genug ist. Er schiebt 22-Stunden-Schichten, bis er halbtot ins Bett fällt, und selbst am Wochenende, wenn er mit der Polizistin Jackie Watson shoppen geht, lässt er sich noch „überreden“, seine Pflicht zu tun. Und es gibt immer ein Druckmittel gegen ihn, beispielsweise die Dienstaufsicht.

|Gewalttätigkeit|

Die Umgebung, in der er sich wie ein Fisch im Wasser bewegt, ist ein raues Pflaster. Aberdeen war schon immer eine Seefahrerstadt, aber jetzt kommen auch noch Neureiche und Drogendealer hinzu. Logan ist an Brutalität gewöhnt und kann selbst mal zuschlagen (wenn keiner zuschaut), aber was er nun zu sehen bekommt, übersteigt jedes Maß: abgefackelte Häuser mit Menschen darin; zu Tode geprügelte Prostituierte; gefolterte Menschen wie seinen Freund Colin Miller. Kein Wunder also, dass ihn Albträume heimsuchen. Es sei denn, Jackie bringt ihn auf andere, interessantere Gedanken.

|Drastische Sprache |

Diese Brutalität ist ein Markenzeichen der Krimis von Stuart MacBride. Der Leser sei gewarnt. Er akzeptiert die grausigen Szenen oder er lässst die Finger davon. Das gilt auch für die raue Sprache des Originals (über die Übersetzung kann ich mir kein Urteil erlauben). Da wird am laufenden Band „shite“, „fuck“ oder „bloody“ gerufen und geflucht, dass ein Henker schamrot werden würde. Hinsichtlich des drastischen Fluchens hält sich der Autor aber auffällig zurück.

|Furien in Mariengestalt|

Das eigentlich so attraktive Markenzeichen, das mir die Lektüre zu einem Vergnügen gemacht hat, ist der sarkastische Sprachwitz. Es gibt jede Menge Beispiele, aber sie hier aufzuführen wäre eine Zumutung für den guten Geschmack. Auffällig fand ich jedoch, dass die drastischsten Sprachbilder von weiblichen Figuren verwendet werden. Die Frauen in diesem Roman stehen den Kerlen in keinster Weise nach, wenns ums Fluchen und Schimpfen geht. Wenn schon mit den Schotten nicht gut Kirschen essen ist – wie ich anno 1984 selbst festgestellt habe – so gilt das für die Frauen aus der Arbeiterklasse noch viel weniger.

Aber der Autor will nicht diskriminierend sein. Frauen der angeblich besser verdienenden Klasse führen sich letzten Endes ebenso mörderisch auf wie die angeblich unter ihnen stehenden Evastöchter. Und das sorgt am Schluss für eine oder zwei schockierende Wendungen.

Dies wäre kein schottischer Krimi, wenn nicht wenigstens ein oder zwei Honoratioren Federn lassen müssten. Ian Rankin hat es mehrfach vorexerziert, z. B. in „Ehrensache“. Der eine Ehrenmann ist Andrew Marshall, ein Stadtrat, der in der Zeitung gerne über die Fehler der Polizei herzieht. Doch wie sich herausstellt, besucht er Prostituierte, um mit ihnen harte Pornospiele zu treiben. Auch wenn die betreffende Prostituierte erst 13 Jahre alt ist. Der andere „Ehrenmann“ ist der vergötterte Ehemann Gavin Cruickshank, der es aber nicht nur mit der Göttergatin trieb, sondern auch mit der Rezeptionistin und einer Stripperin. Der Autor erspart dem bürgerlichen Leser wirklich nichts. Auch nicht in seinen anderen Krimis.

_Unterm Strich_

Logan McRaes drei simultane Ermittlungen sind spannend, abwechslungsreich und grenzen mitunter an Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen. Wie in einer absurden Komödie tricksen sich die Figuren gegenseitig aus und einer ist immer der Dumme: Logan natürlich. Er merkt sogar selbst, dass er den anderen dabei hilft, doch als er dann auf eigene Faust ermittelt, Erfolg hat und gelobt werden soll, stellt er sich selbst ein Bein. Sieht so aus, als wäre dieser sympathische Loser selbst sein größter Feind. Aber wozu hat er Freunde wie seine patente und kuschelige Jackie?

|Gewalt|

Die drei Fälle, die ihm (und somit uns) so undurchsichtig erscheinen, sind mehr oder weniger miteinander verwickelt. Und dennoch gilt der alte Ermittlergrundsatz: Es ist alles anders, als es scheint. Die Details mögen blutig erscheinen, doch die Gewalt, wenn sie mal ausgeübt, ist es nicht: Keiner wird aufgeschlitzt, um Tonnen von Blut zu verspritzen. Solche Szenen gehören in Splatter-Romane, und „Dying light“ ist gewiss keiner. Der Grusel entsteht vielmehr im Kopf des Lesers, der sich vorstellen soll, was die Täter – es sind ja mehrere – alles mit ihren Opfern angestellt haben. Diese Vorstellung ist schon schlimm genug.

|Sprachwitz|

Ich möchte nicht verschweigen, dass ich diesen spannenden Krimi in nur zweieinhalb Tagen gelesen, weil er auch sehr witzig ist. Abgesehen von der Absurdität, ist es vor allem der Sprachwitz des Originals, der mir ausnehmend gut gefiel. Die sprachlichen Witze ließen zwar im letzten Drittel zugunsten der Spannung nach, sind aber immer noch sehr ausgefallen.

|Taschenbuch: 528 Seiten
ISBN-13: 978-0007193165|
[www.harpercollins.com]http://www.harpercollins.com

McDermid, Val – Ein kalter Strom

_Rauhe Sitten in Berlin & eine verhängnisvolle Lüge_

Deutschland. Ein Psychopath, der als Kind von seinem Großvater schwer misshandelt wurde, quält aus Rache seine Opfer und ertränkt sie anschließend. Mit Vorliebe bestraft er Psychologen dafür, dass sie in anderer Leuten Seele herumpfuschen. Der Profiler Tony Hill soll den Wahnsinnigen aufspüren und gerät selbst ins Visier des Serienmörders. Zur gleichen Zeit ist Kommissarin Carol Jordan, Tonys Freundin, einem internationalen Drogenring mit Sitz in Berlin auf den Fersen. Das Ermittlerduo stößt bei seinen Nachforschungen auf Grausamkeit und Gewalt. Durch eine tragische Verkettung von Umständen bringt Tony Carol in Lebensgefahr …

_Die Autorin_

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association.

„Tony Hill & Carol Jordan“-Reihe:
1) [„Das Lied der Sirenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1498
2) „Schlussblende“
3) „Ein kalter Strom“
4) „Tödliche Worte“

Weitere Romane:

5) [„Echo einer Winternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=703
6) [„Die Erfinder des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2602
7) [„Das Moor des Vergessens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6607
8) „Ein Ort für die Ewigkeit“
9) [„Nacht unter Tag“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6201

„Kate Brannigan“-Fälle (in chronologischer Reihenfolge):
1) „Abgeblasen“ (1992)
2) „Skrupellos“ (1994)
3) „Das Kuckucksei“ (1996)
4) „Clean Break“ (1997)
5) „Das Gesetz der Serie“ (1998)
6) „Luftgärten“ (1999)

_Handlung_

Kommissarin Carol Jordan bewirbt sich bei Europol und gerät an Morrigan. Der will jedoch keine gewöhnliche Polizistin, sondern eine Geheimagentin, die undercover ermittelt. Carol ist einverstanden, als Eignungstest an einem Rollenspiel mitzumachen. Allerdings könnte sie ein wenig psychologische Beratung gut gebrauchen, findet sie und wendet sich an ihren Exfreund Tony Hill, den sie zuletzt vor zwei Jahren sah.

|Schottland|

Tony Hill hat seine Impotenz an der Seite der netten Lehrerin Frances in St. Andrews überwinden. Deshalb trifft er sich mit ihr in der Kneipe, um ihre Befehle von Morrigan zu lesen. Sie soll sich in eine andere Person hineinversetzen. Das musste sie bislang noch nie tun. Aber Tony ist sicher, dass sie das draufhat. Dann begeht er einen schweren Fehler: Er stellt sie Frances vor. Die Lehrerin checkt sofort, dass sie eine alte Flamme Tonys vor sich hat. Schon nach wenigen Tagen, als Carol erneut auftaucht, wirft sie Tony hochkant hinaus, bevor er noch „Moment mal!“ sagen kann.

|London|

Carol hat den Test bestanden, jetzt geht wirds ernst. Morrigan legt ihr das Foto eines Drogenringleiters vor: Tadeusz Radecki, Pole aus altem Adel, aber weltgewandt und westeuropäisch orientiert, lebt in Berlin. Zusammen mit dem Serben Darko Krasic organisiert er den Schmuggel von Drogen, Waffen und illegalen Migranten in ganz Europa. Hochlukratives Geschäft, aber wie wickelt er es ab? Jetzt der Clou: Radeckis Geliebte Katharina Basler starb vor wenigen Wochen, aber Carol sieht aus wie deren Zwillingsschwester! Wenn sich also Carol an den Typen ranmacht, um einen Deal einzufädeln, soll er sich in sie verlieben und so eine Blöße geben, die die Cops ausnützen können. Das Risiko für Carol: maximal. Aber das sagt ihr Morrigan natürlich nicht ins Gesicht.

Tony besucht Carol in ihrer Londoner Wohnung, bevor sie nach Berlin abreist. Sie skizziert ihm ihren Plan, als Menschenschmugglerin bei Radecki aufzutreten. Obwohl Tony sie vor der Belastung warnt, ist sie bereit, das Risiko einzugehen. Sie stärken einander emotional, und wer weiß – vielleicht wird sogar mehr draus.

|Den Haag, Europol-Hauptquartier|

Petra Becker ist die deutsche Europol-Kontaktfrau aus Berlin und besucht Carol vor dem Einsatz, um tagelang alles mit ihr vorzubereiten. Petra outet sich als Lesbe, womit Carol kein Problem hat, und kennt eine andere Lesbe: die niederländische Kommissarin Marijke van Hasselt. Die habe einen ähnlichen Mann wie Tony Hill tot in Rotterdam aufgefunden: Den experimentellen Psychologen Pieter de Groot. Petra ist die Parallele zu einem anderen Mord aufgefallen, der in Bremen an Margarethe Schiller begangen wurde, eine Psychologin an der dortigen Uni. Könnte es sich um den Beginn einer Serie handeln? Carol gibt ihr den Tipp, sich an Tony zu wenden, um ein Täterprofil zu erstellen.

Wie sich herausstellt, hat Tony die Ermordete in Bremen gekannt und kommt selbst an den Tatort. Sofort schaut er sich Beckers Unterlagen über die zwei Morde an und erfährt wenige Tage später, dass es einen dritten Mord in Köln gegeben hat. Dieser Täter kommt ganz schön was rum, und immer trifft es Kollegen aus seiner eigenen Zunft. Das macht ihn besorgt. Denn nun ist diese Sache persönlich. Doch in Köln hat sich der Killer einen Ausrutscher erlaubt: Aus Wut hat er das Opfer vergewaltigt.

|Berlin|

Unterdessen hat Carol den großen Boss kennengelernt, doch Radecki gibt sich keine Blöße: Er spielt den unschuldigen, ahnungslosen Videothekenbetreiber, der er auch noch ist. Natürlich lässt er inzwischen Krasic den Hintergrund dieser angeblichen „Catherine Jackson“ überprüfen, die seiner toten Geliebten wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Im Laufe der Wochen lernen sich Carol und Tadeusz immer besser kennen und bauen Vertrauen auf. Carol spielt mit dem Feuer, während sie ihn aushorcht. Er schmuggelt Drogen, Waffen und Menschen mit einem unauffälligen Verkehrsmittel: Mit Binnenschiffen, die auf Europas weitverzweigtem Kanalnetz überallhin gelangen – und kaum kontrolliert werden. Verdammt clever, findet Carol. Aber wann kommen wir endlich ins Geschäft?

|Den Haag|

Petra Becker informiert Tony, dass der Täter zwar vielleicht etwas mit der finsteren Stasi-Vergangenheit zu tun haben könnte, dass aber die Verbindung zu den psychologischen Experimenten noch viel tiefer reichen könnte: Zu den Nazis. Es dürfte wohl bekannt sein, dass die braunen Schweine alle möglichen Experimente mit Menschen aller Gruppen anstellten, von Dr. Mengele bis zu ganz speziellen Instituten. Alle Unterlagen darüber lagern auf Schloss Hohenstein, das selbst Stätte solcher Rassenversuche war. Die Opfer erzählten und wiederholten das, was man ihnen angetan hatte. Vielleicht rächt sich der Killer nun an allen Angehörigen der Folterergruppen, nämlich den Psychologen? Aber dann müsste sein Großvater eines der Opfer der Versuche gewesen sein.

|Köln|

Auf Schloss Hohenstein darf Tony die Listen der Kinder kopieren und sie mit Verdächtigen abgleichen, die unter den Binnenschiffern in Europa zu finden sind. Denn alle Taten wurden in Städten an Flüssen oder an der Küste begangen. Der Täter ist also offenbar ein Seemann. Doch als er den Gesuchten endlich findet, gerät er in Kontakt mit der Organisation, die Tadeusz Radecki leitet. Und der sieht einen solchen Schnüffler gar nicht gern. Besonders dann nicht, wenn dieser seine Nase auch noch in das Berliner Hotelzimmer einer gewissen „Catherine Jackson“ gesteckt hat …

_Mein Eindruck_

Ein erstaunlicher Wechsel des Schauplatzes überrascht den Leser als Erstes: Es geht nach Deutschland. In jenes finstere Reich, wo einst Stasi und Nazis schalteten und walteten und dabei bekanntlich ein schreckliches Erbe hinterließen, das jedes Jahr aufs Neue ins Gedächtnis gerufen wird, egal ob durch Prozesse oder Skandale. Nun reckt diese Hydra erneut einen ihrer Köpfe: den Serienmörder, der es auf experimentelle Psychologen abgesehen hat.

Das ist natürlich das Stichwort für einen Fachmann wie Tony Hill, der unter seinen Kollegen natürlich auch engere Bekannte hat, so etwa Dr. Margarethe Schiller in Bremen. Es ist also ein nachvollziehbares persönliches Interesse, das ihn nach Deutschland bringt. Aber auch Petra Becker und natürlich Carol Jordan gilt sein teils berufliches, teils privates Interesse. Nur wegen dieser Verquickung seiner Interessensebenen kann es dazu kommen, dass seine Schnüffelei überhaupt die Interessen von Tadeusz Radecki tangiert und diesem verdächtig und bedrohlich erscheint: Was will dieser Typ auf seinen Schiffen, wenn nicht die Ladung untersuchen? Ironischerweise liegt Tony nichts ferner als das.

Durch diese Kontingenz geraten sowohl Tony Hill als auch Carole Jordan in Lebensgefahr. Tadeusz will die Probe aufs Exempel machen und schließt mit dem gefangengesetzten Tony quasi eine Wette ab. Wenn Tonys Lüge stimmt, dann wird Carol mit Tadeusz schlafen. Wenn sie aber ablehnt, dann ist sie ebenfalls eine Schnüfflerin und Tony muss, weil er gelogen hat, sterben. Das kann man doch verstehen, oder? Es kommt zu einem ziemlich spannenden Abend, bei dem Carols Verhalten über Tonys Lüge entscheidet.

VORSICHT, SPOILER!

Zartbesaitete Gemüter seien eindringlich vor der Brutalität gewisser Szenen gewarnt, die nach Carols und Tonys Enttarnung folgen. Eine Autorin wie Val McDermid, die in der englischen Krimiszene eine bedeutende Schlüsselstellung innehat, gibt sich nicht mit Scheinheiligkeiten und Kinkerlitzchen ab. Vielmehr setzt sie auf eine realistische, geradezu detailgetreue Darstellung der Polizeiarbeit, zeigt aber auch das gewalttätige Verhalten der Gegenseite.

In Carols Fall gehört dazu die mehrfache Vergewaltigung, die uns aber LIVE erspart bleibt. Nicht so hingegen die Folter an Tony: Die spannende Frage, ob Carol wie Tony liquidiert wird, bleibt bis zum Höhepunkt offen. Doch danach gilt es noch, den Serienmörder zu fassen. Oder soll er etwa davonkommen? Und obendrein hat Carol noch eine Rechnung mit Morrigan offen – er hat sie reingelegt.

Am Schluss steht die Frage, welche Folgen die Gewalt, die man ihren Körpern angetan hat, haben wird. Werden sie aussteigen und sich zur Ruhe setzen, um Lachse zu züchten? Wohl kaum, denn dazu liegt ihnen Recht und Ordnung viel zu sehr am Herzen. Aber als Geheimagentin werden wir Carol Jordan wohl nicht so bald wieder sehen. Und wir sind froh zu erfahren, dass Tony wieder als Profiler arbeiten will.

_Unterm Strich_

Jeder Fall von Tony Hill und Carol Jordan stellt die Autorin vor die Herausforderung, wie sie es schaffen soll, dass sie die beiden Welten, in denen sich die beiden Ermittler unabhängig voneinander bewegen, sich einander berühren lässt. Diesmal ist der Kontakt dieser Welten derart tragisch und verhängnisvoll, dass beide Ermittler in Lebensgefahr geraten. Ist es Ironie des Schicksals oder grandiose Blödheit zu nennen, dass Tony Hill den Gangster in die Quere kommt, gegen die Carol in Berlin ermittelt? Alles hängt vom Wissensstand ab, über den Tony verfügte. Und der war nun mal denkbar gering.

In ihrer ungewohnten Opferrolle laufen jedoch Tony und Carol zu großem Format auf: Sie decken einander, ertragen übelste Gewalt, stehen dennoch zueinander – von Helden kann man nicht mehr verlangen, höchstens noch die Opferung des Lebens. Aber da sie beide keine Soldaten sind, kommt das nicht infrage. Und so geht die Aufarbeitung der Nazi-Altlasten doch noch weiter.

|Taschenbuch: 624 Seiten
Originaltitel: The Last Tempatation (2002)
Aus dem Englischen übersetzt von Doris Styron
ISBN-13: 978-3426502495|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

García-Clairac, Santiago – unsichtbare Buch, Das

_Kein Märchen: das Entstehen des Buches beim Lesen_

Der zehnjährige César ist schlecht gelaunt – schon wieder hat er mit seiner Familie umziehen müssen. Bloß weil sein Vater Kinderbuchautor ist und nicht zwei Bücher in einer Stadt schreiben kann. In der neuen Schule setzt sich ausgerechnet Lucía neben ihn, die selbst Schriftstellerin werden will. Schlimmer hätte es ja wohl nicht kommen können, oder? Doch Lucía entpuppt sich als mutige Helferin, als César vom Schulrowdy Lorenzo getriezt und verprügelt wird.

Zum Dank gibt er Seiten von Papas neuestem Manuskript, das den Titel „Das unsichtbare Buch“ trägt und noch gar nicht gezeigt werden darf – niemandem! Lucía ist davon überaus begeistert. Und im Verlauf dieser verwickelten Diebstahl-und-Lese-Aktion beginnt sich Césars ablehnende Haltung gegen Bücher allmählich zu ändern – mit ungeahnten Folgen …

_Der Autor_

Vom spanischen Autor Santiago García-Clairac erschienen im Baumhaus-Verlag:

1) Die Schwarze Armee: „Das Reich der Träume“
2) Die Schwarze Armee: „Das Reich der Dunkelheit“
3) Die Schwarze Armee: „Das Reich des Lichts“

_Handlung_

Von der neuen Schule erwartet César Durango auch nichts Gutes. Er ist gerade mal eine Woche mit seiner Familie in der Stadt und kennt niemanden – und niemand kennt ihn. Es stinkt ihm inzwischen gewaltig, dass sein Vater, der Kinderbuchautor, sofort in eine andere Stadt umzieht, sobald er ein Buch fertiggestellt und veröffentlicht hat. Das brauche er für seine Inspiration, behauptet Papa. Und keiner in der vierköpfigen Familie wagt dagegen aufzumucken. Nur dass César dabei jedes Mal seine Freunde verliert. Er fühlt sich entwurzelt, wie ein Stück Treibholz. Inzwischen hasst César Bücher und alles, was damit zu tun hat. Aber das soll sich radikal ändern.

Da setzt sich eine neue Mitschülerin neben ihn, und mein Gott, ist die hässlich! Die riesige Brille auf ihrer Nase wirkt wie eine Maske, hinter der sie sich versteckt. Aber sie kriegt den Mund nicht zu, fragt ihm Löcher in den Bauch und stellt sich sogar selbst vor. Sie nennt sich Lucía und will Schriftstellerin werden. Ausgerechnet! Nach einer Weile seines mürrischen Schweigens merkt selbst diese Quasselstrippe, dass sie gefälligst verduften soll.

In der Pause geht César raus auf den Schulhof, um seine Ruhe zu haben. Doch die bleibt ihm verwehrt, denn der Schulrowdy Lorenzo hat es mit seinen Kumpanen auf den Neuen abgesehen. Wird der Neue aufmucken oder sich unterbuttern lassen und ihnen sein Taschengeld überlassen? Aber zu einem Kampf kommt es gar nicht, denn auf einmal stellt sich Lucía vor den friedfertigen César und keift die Rowdies an, bis diese Leine ziehen. Auf ein andermal, drohen sie. Der ältere Javier bringt César nach Hause; auch er hat sich geprügelt.

Um sich erkenntlich zu zeigen, bringt César die ersten Seiten von Papas neuem Manuskript mit und gibt sie Lucía zu lesen. Er hat ihr verraten, dass sein Vater Bücher schreibt. Und als er in einem unbeobachteten Moment den Drucker das Manuskript ausspucken sah, hat er einfach zugegriffen. Lucía ist hingerissen, denn die Geschichte handelt von einer Prinzessin Hanna, die ein unsichtbares Buch findet. Sie will unbedingt herausfinden, was in dem Buch steht und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um den Ort zu finden, wo das geht: Dieser Ort, so stellt sich heraus, hat sehr viel Ähnlichkeit mit der Hölle …

Lucía will unbedingt erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Doch Lorenzo macht ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Sie mögen sich selbst in den Heizungskeller der Schule zurückziehen – was streng verboten ist – er findet sie dennoch und verpetzt sie. Eine ernste Verwarnung vom Direx ist die Folge, der von der Geschichte kein Wort versteht. Was soll sie denn bedeuten, um Himmels willen? Hat man so etwas schon gehört? Ein Buch, das unsichtbar ist – welchen Sinn hat es denn?

Auch César war bisher der Meinung, dass nur Dinge, die man sehen kann, existieren. Aber Javier und Lucía belehren ihn eines Besseren. Denn Luciás Mut und ihre Neugier sind unübersehbar. Und deshalb will auch er jetzt den Rest der Geschichte erfahren. Bis sein Vater sie beide vor seinem Computer ertappt, wie sie sein Manuskript lesen …

_Mein Eindruck_

Der junge Leser mag sich fragen, ob Senor Durango wirklich Märchen erzählt. Unsichtbare Bücher – wie kann es die denn geben? Doch der Leser wird unerwartet mit einer tiefen Einsicht überrascht: Unsichtbare Bücher gibt es wirklich – überall! Und warum? Ganz einfach, weil ihr Inhalt erst dann sichtbar wird, wenn sie gelesen werden. Erst dann erwacht ein Buch quasi zum Leben: im Geist des Lesers.

Das sieht sogar ein Materialist wie César ein. Bis er zu dieser Erkenntnis gelangt, muss er allerdings einen weiten Weg der inneren Reifung zurücklegen. Denn am Anfang seines Weges sind Bücher ja seine Feinde, und er tut alles, um ihnen fernzubleiben. Als Lucía sagt, sie wolle Bücher schreiben, ist sie deshalb sofort bei ihm unten durch.

Doch Lucías Begeisterung wendet das Blatt ebenso wie ihr Mut im Kampf gegen Lorenzo. Nach einigem hin und her nimmt sie ihn mit auf das Abenteuer, das jedes Buch bereithält: die Entdeckungsreise. Und da Vaters Buch erst im Entstehen ist, gestaltet sich die Entdeckung mindestens so abenteuerlich und spannend wie jene Reise, auf die sich Prinzessin Hanna mit ihrem getreuen Sigfrido begibt. Wie Hanna wollen auch César und Lucía ein Geheimnis entdecken. Und dass das Spicken in ein Buch, das erst geschrieben wird, streng VERBOTEN ist, macht die ganze Sache des Entdeckens umso reizvoller.

Lucías Auftauchen in Césars Familie ändert vieles. Nicht nur César erscheint nicht mehr als Störenfried, sondern sie hat auch einen Draht zu seinem Vater – Schriftsteller quasi unter sich. Deshalb ist sie diejenige, die die Haltung von Senor Durango ändert, als er ihre „Untat“ entdeckt. Wie kann er ihnen böse sein, wenn sie neugierig auf den Schluss seines Buches sein? Na, bitte. Und (ganz) vielleicht wird Senor Durango fortan nicht mehr wegziehen, wenn er ein neues Buch schreiben will. Hoffen darf man ja. Aber dann ist da ja noch Lorenzo …

|Die Illustrationen|

Die Schrift ist so groß gedruckt (etwa 12 Punkt), dass sie sich selbst für Omas bestens zum Vorlesen eignet. Auch die Illustrationen, die Katherina Lindenblatt beigesteuert hat, sind kindgerecht: sehr einfache Motive, stets mit einem Kind oder zweien darauf. So ist die Zeichnung auf das Wesentliche reduziert, und es kann zu keinen Missverständnissen kommen. Das Niveau ist insgesamt selbst für Acht- oder Neunjährige kein Problem.

_Unterm Strich_

Das schmale Büchlein mit der großen Schrift nimmt den jungen Leser ab neun oder zehn Jahren mit auf das, was man beim Lesen am liebsten unternimmt: auf eine Entdeckungsreise. Die Reise setzt sowohl für die Figuren der Binnengeschichte als auch für die beiden Leser und Entdecker César und Lucía eine Entwicklung in Gang, die zur Reifung führt – und zu einer wichtigen Einsicht über die wahre Natur eines Buches: Es ist solange unsichtbar, wie es sich nicht im Geist eines Lesers befindet.

Das leuchtet mir völlig ein. Denn man kann nicht aufrichtig über ein Buch sprechen, solange man es nicht gelesen und erlebt hat. Erst dann erwacht es zum Leben. Ganz nebenbei erzählt der Autor eine Geschichte über das Verhältnis des Unsichtbaren zum Sichtbaren in der Welt und unserem Leben – und was für uns eigentlich wichtiger ist.

Solch ein lehrreiches Büchlein sollte man auch mehr Menschen in die Hand drücken. Oder es einfach zu Weihnachten an die Lieben verschenken. Oder solche, die es noch werden sollen.

|Taschenbuch: 143 Seiten
Originaltitel: El libro invisibile (1999)
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Iillustriert von Katherina Lindenblatt
ISBN-13: 978-3833935985|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

McDermid, Val – Lied der Sirenen, Das

_Fesselnd: der verhängnisvolle Gesang der Sirene_

Vier Männer werden in Bradfield tot aufgefunden, alle vor ihrer Ermordung auf das Grausamste gefoltert und verstümmelt. Als der Profiler Tony Hill zum Ermittlungsteam von DCI Carol Jordan hinzugezogen wird, gerät er plötzlich selbst ins Visier des Wahnsinnigen und muss ein ganzes psychologisches Können aufbieten, um sein Leben zu retten.

Der Krimi gewann den Gold Dagger Award für den besten Kriminalroman des Jahres 1995.

_Die Autorin_

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association.

„Tony Hill & Carol Jordan“-Reihe:
1) [„Das Lied der Sirenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1498
2) „Schlussblende“
3) „Ein kalter Strom“
4) „Tödliche Worte“

Weitere Romane:

5) [„Echo einer Winternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=703
6) [„Die Erfinder des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2602
7) [„Das Moor des Vergessens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6607
8) „Ein Ort für die Ewigkeit“
9) [„Nacht unter Tag“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6201

_Handlung_

Detective Inspector Carol Jordan steht neben Detective Sergeant Don Merrick im Regen und starrt auf die grausam verstümmelte Leiche eines Kollegen: Sie weiß es noch nicht, aber es handelt sich um Damian Connolly. Dies ist schon die vierte derart verstümmelte Männerleiche in Bradfield, und immer am Montag taucht alle acht Wochen so eine auf. Connolly wurde zwischen Müllcontainern hinter der Schwulenbar „Queen of Hearts“ gefunden. Gegenüber liegen Künstlerateliers. Hat keiner was gesehen?

Jordans Ermittlergruppe wird zum Versuchskaninchen für die Anwendung der Theorien von Profiler Tony Hill gemacht. Das schmeckt nicht jedem, aber Jordan ist bereit, es mit Hills Serientätertheorien zu versuchen. Vielleicht kommen sie ja damit weiter. Tom Cross hingegen hält nichts von Hills Methode, und das wird zu tragischen Konsequenzen führen.

Während Jordan und Hill die vier Fälle durchgehen, kommen sie einander näher, denn beide sind ledig. Als sie ihn einmal besucht, und eine Frau mit einer verführerischen Stimme auf seinen Anrufbeantworter spricht, ist sie peinlich berührt und will gehen, weil sie nicht in sein Privatleben eindringen will. Er wehrt ab, denn bei der Frau, mit der er Telefonsex hat, handle es sich um ein wissenschaftliches Projekt. Er sagt nicht, dass es für ihn auch eine Therapie seiner Erektionsprobleme darstellt. Das sagt er ihr erst, als alles vorüber ist.

Als Don Merrick in einer Sadomaso-Bar einen Typen ablehnt und von einem anderen angesprochen wird, wird dies zu einem Durchbruch. Fitnessstudiobetreiber Stevie behauptet, er habe alle vier Opfer gekannt; da sie alle nicht schwul waren, halte er die Morde für „Betriebsunfälle“. Na, so was. Ist er vielleicht der Schwulenkiller, den die Sensationspresse „Handy Andy“ getauft hat? Kaum hat Don mit Stevie das Lokal verlassen, um ihn aufs Revier zu nehmen, wird er jedoch von hinten niedergeschlagen.

Zum Glück sind Kollegen ganz in der Nähe, die sowohl den Angreifer als auch Stevie festnehmen. In der Vernehmung sieht es immer schlechter aus für Stevie, und die Durchsuchung seiner Wohnung fördert noch mehr belastendes Material zutage. Dabei wollte er der Polizei doch bloß helfen. Assistant Chief Constable Brandon lässt ihn frei, weil die Beweise nicht ausreichen.

Tom Cross ist schwer frustiert und wird sogar suspendiert. Er ist sicher, „Handy Andy“ erwischt zu haben und sagt dies auch gegenüber einer Sensationsreporterin: Eine Herausforderung an den wahren Killer, falls es ihn gibt. Nach einem Fluchtversuch kommt Stevie in U-Haft und wird dort vergewaltigt.

Eine fünfte Leiche taucht auf, die sich als Werk eines Trittbrettfahrers erweist. Die Lage in Bradfield gerät offenbar außer Kontrolle. Unterdessen sieht Stevie McConnell nur noch einen Ausweg, Jordan erzielt einen Durchbruch und Tony Hill erhält überraschenden Besuch von der verführerischen Frau am Telefon: Angelica will jetzt mehr als nur mit ihm reden …

_Mein Eindruck_

In diesem Krimi führt die bekannte britische Autorin das Gespann Carol Jordan und Tony Hill erstmals zusammen. Und die beiden erweisen sich als äußerst effektiv in ihrer Zusammenarbeit. Zudem kommen sie sich auch privat recht nahe, doch Tony Hill ist kein einfacher Charakter, er verbirgt etwas vor ihr. Nicht nur wird er als empfindsamer Mensch (wie wir alle) dargestellt, sondern auch noch mit einer verhängnisvollen Neigung: Telefonsex. Er ist keineswegs süchtig, doch was die Dame Angelica ihm bietet, ist zu gut, um es ablehnen zu können. Dass er bereits auf ihr „Lied der Sirenen“ hereingefallen ist, bemerkt er leider zu spät. Mehr darf nicht verraten werden.

Carol hat von ihm den Tipp bekommen, dass der wahre Täter – und nicht etwa Stevie McConnell – etwas mit Computern und Kommunikationselektronik zu tun haben könnte. Zum Glück ist Carols Bruder Michael einschlägig vorbelastet und vermittelt entsprechende Kontakte. Es geht um ein interessantes Spiel namens 3D-Discovery, bei dem der Spieler die Köpfe der Figuren durch Fotos von realen Personen ersetzen kann. Cool, nicht wahr? Doch wenn diese Personen bereits getötete Opfer sind, erhält das Spiel seinen ganz eigenen, makaberen Charakter.

Die Autorin zeichnet sich durch ein besonders tiefes Verständnis für die Polizeiarbeit aus, wie sie schon mehrfach bewiesen hat. Diesmal zeigt sie, wie sich bestimmte Polizisten so in eine falsche Annahme verrennen und auf einen falschen Verdächtigen festlegen können, dass nicht nur die Arbeit der Cops behindert wird, sondern auch ein Unschuldiger zu Tode kommt. Die (sehr realistisch dargestellten) Schreie des vergewaltigten Stevie McConnell hätten verhindert werden können, wenn gewisse Cops nicht so stur gewesen wären – oder wenn der Druck der Öffentlichkeit geringer wäre.

Hier spielen die Medien eine ganz besondere Rolle. In ihrer Jagd nach einer heißen Story übt die Reporterin Penny Burgess nicht nur Druck auf die Polizeiführung aus, sondern interviewt auch die Leute mit der falschen Meinung. Sie scheut sich auch nicht, mit Cops ins Bett zu gehen. Dabei erfährt sie dann auch noch, wie die Polizeiführung die Presse an der Nase herumführt. Prächtig! Dass Penny Burgess davon nicht entzückt ist, kann man sich denken. Leider ist ihre Arbeit alles andere als konstruktiv bei der Auffindung des wahren Täters. Ja, perfiderweise gibt sie auch noch einem Trittbrettfahrer den nötigen Vorwand, um einen Mord einem anderen in die Schuhe zu schieben.

Die Handlung gipfelt in einer packenden Szene, in der Tony Hill alle seine kunstvolle Psychologie aufbieten muss, um seinen Hals zu retten. Denn Angelica ist eine Sirene, die wie in Homers Odyssee auf einer Insel lebt, die mit Knochen bedeckt ist …

_Unterm Strich_

Die Handlungsbeschreibung klingt nicht so, als ginge es hier um etwas Weltbewegendes, doch der Eindruck täuscht. Es geht um eine Art Justizirrtum, dem ein Unschuldiger zum Opfer fällt. Die Ermittlungen in der Randgruppe der Homosexuellen und Sadomasos fordert die Cops ganz besonders heraus, auch im physischen Einsatz. Mit einem sehr ungewöhnlichen Täter führt die Autorin nicht nur die Cops lange an der Nase herum.

Und in diesem Krimi führt die Autorin erstmals das erfolgreiche Ermittlergespann Tony Hill, seines Zeichens Profiler, und Carol Jordan, die taffe und aufstrebende Polizistin zusammen, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Wenn ich mich nicht täusche, bekam „Tony Hill“ im britischen Fernsehen mit „Die Methode Hill“ eine eigene Fernsehserie, die auch bei uns erfolgreich im ZDF lief.

|Taschenbuch: 479 Seiten
Originaltitel: The Mermaids Singing (1995)
Aus dem Englischen von Manes H. Grünwald
ISBN-13: 978-3426624296|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

McDermid, Val – Erfinder des Todes, Die

_Der Autorenkiller: eine makabre Art von Literaturkritik?_

Eine Mordserie rafft einen bekannten Krimiautor Englands nach dem anderen dahin, pikanterweise nach genau jener Methode, die die Betroffenen zuvor in ihren Büchern so eloquent geschildert haben. Verwechselt der Täter etwa Dichtung und Wahrheit?
Profilerin Fiona Cameron bangt zunehmend um ihren Lebensgefährten, den Thrillerautor Kit Martin. Schon bald bewahrheiten sich ihre schlimmsten Alpträume. Und die Polizei ist natürlich wieder mal auf dem Holzweg …

_Die Autorin_

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association.

„Tony Hill & Carol Jordan“-Reihe:
1) [„Das Lied der Sirenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1498
2) „Schlussblende“
3) „Ein kalter Strom“
4) „Tödliche Worte“

Weitere Romane:

5) [„Echo einer Winternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=703
6) [„Die Erfinder des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2602
7) [„Das Moor des Vergessens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6607
8) „Ein Ort für die Ewigkeit“
9) [„Nacht unter Tag“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6201

_Handlung_

Fiona Cameron ist Profilerin und hat als Täterpsychologin mit ihren Tipps der Metropolitan Police schon so manchen Serientäter finden helfen. Seit ihr kleine Schwester Leslie vor Jahren ermordet wurde, ohne dass man den Täter aufspüren konnte, lastet ein dunkler Schatten – ihre Dämonen – auf Fionas Seele. Die Tätigkeit als Profilerin verschafft ihr Erlösung. Bislang hat sie hervorragend mit Steve Preston zusammengearbeitet, doch seit dem letzten Fall gehen sie getrennte Wege.

Als der „Hampstead-Heath-Mörder“ soll Francis Blake in diesem Londoner Park Susan Blanchett, Mutter von Zwillingen, vergewaltigt und ermordet haben. Allerdings wird Blake vor dem Gericht Old Bailey freigesprochen. Der Grund: Die Polizei, also Preston, habe unlautere Ermittlungsmethoden eingesetzt. Blake, der acht Monate lang in Haft war, fordert Entschädigung für die Zerstörung seines Lebens. Kann man ihm nicht verdenken, deshalb wird er überwacht. Er wird später noch wichtig.

Während Steve Preston also immer noch den wahren Mörder Susan Blanchetts und anderer Vergewaltigungsopfer sucht, beunruhigt Fiona Cameron eine andere Serie von Morden. In Edinburgh wurde der schwule Krimiautor Drew Shand ermordet aufgefunden. Seltsamer folgte der Tathergang fast genau jenem Szenario, das Shand in seinem Serienkiller-Roman „Copycat“ gezeichnet hatte – die Morde Jack the Rippers. Dieser Mord erschüttert Fionas Lebensgefährten: Kit Martin ist selbst Krimiautor und war Shands Kumpel. Erst Fionas Besorgnis um ihn führt ihm die Möglichkeit vor Augen, selbst zum Ziel des Killers zu werden.

Als sowohl er als auch seine Kollegin Georgia lester einen Drohbrief erhalten, ist Fiona verständlicherweise alarmiert. Angeblich sollen die beiden Arbeiten kopiert haben – Blödsinn. Im Internet findet sie die Site „Murder behind the headlines“ (Mord hinter den Schlagzeilen) und stößt auf weitere Informationen. Weniger später wird die Autorin Jane Elias tot aufgefunden – ermordet nach einem Schema aus ihrem Roman „Death on arrival“.

Als auch Georgia vermisst wird, schaltet Fiona Chefinspektorin Duvall von der Metropolitan Police ein. Doch die springt auf einen Typen an, der ihre Pressekonferenz massiv stört, indem er sich als Urheber der Mordserie an Krimiautoren denunziert. Dieser Charles Radford lenkt die Duvall derartig ab, dass sie wichtige Hinweise in andere Richtung missachtet. Steve Preston ist es mit Hilfe einer von Fiona empfohlenen Profilerin, Terry Fowler, gelungen, einen Verdächtigen, einzukreisen: Gerard Coyle könnte der wahre „Hampstead-Heath-Mörder“ sein.

Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als Fiona in Edinburgh weilt: Ihr Geliebter Kit Martin wird entführt und soll nach dem Schema aus seinem Roman „The blood painter“ in einem Ferienhaus sterben: Der Täter will ihm das Blut so lange abnehmen und damit die Wände bemalen, bis das Opfer stirbt. Als Fiona die Gefahr erkennt, in der Kit schwebt, ist es schon fast zu spät.

Kann sie noch rechtzeitig zu Kit gelangen, um seinen Tod zu verhindern? Und wer verbirgt sich hinter seinem Entführer?

_Mein Eindruck_

„Die Erfinder des Todes“ ist ein wirklich ausgefuchst clever konstruierter Thriller, der aber einem bekannten Strickmuster folgt. Man führe den Leser auf eine Fährte, die sich zunächst als Irrweg erweist. Dann stelle man eine zweite, scheinbar separate Serie von Taten in den Vordergrund, der von Fährte Nummer 1 ablenkt. Irgendwann werden sich die beiden Handlungsstränge derartig negativ stören, dass der Leser wirklich mit der Hauptfigur – in diesem Fall Fiona – zu zweifeln beginnt, ob das alles noch gut ausgehen kann. An diesem Punkt lasse man der Action sämtliche Zügel schießen, bis es einen oder besser noch zwei Showdowns geben kann.

Val McDermid folgt dem vielfach erprobten Strickmuster auf sehr erfolgreiche Weise. Allerdings ist ihr Anliegen ein ganz anderes, als irgendwelche blutigen Morde bis ins Detail zu schildern, zu sezieren und aufzuklären, wie das etwa Thomas Harris („Das Schweigen der Lämmer“) gemacht hat.

Denn diesmal geraten die Krimiautoren als „Erfinder des Todes“ selbst in die Schusslinie. Und die letzten Absätze, in denen Fiona Resümee zieht, machen klar, warum der Täter die Autoren auf dem Kieker hat. Sie machen die Profiler zu allmächtigen Halbgöttern, die zu allem fähig sind. Und wenn sie dann bizarrste Serienmorde aufklären, glauben die Leser – und später die Kino- und TV-Zuschauer der Verfilmungen – sogar noch, dass die Morde nicht so schlimm sein können: Es gibt ja Leute, die sie aufklären und die Täter der Gerechtigkeit zuführen können.

Der Autorenkiller übt eine makabre Art von Literaturkritik: Er demonstriert den Autoren am eigenen Leibe, wie es sich anfühlt, selbst à la livre ermordet zu werden. Das hat einen gewissen ironischen Charme. Aber es verdeckt das ernsthafte Anliegen der Autorin, die Leser aufzurütteln, zwischen erfundenen und realen Morden und Polizisten bzw. Profilern zu unterscheiden. Man kann ihr zum Vorwurf machen, sie setze selbst die kritisierten Methoden ein. Das haut aber nicht hin, denn weder schildert sie die Greueltaten noch werden diese schon verfilmt.

_Unterm Strich_

„Die Erfinder des Todes“ ist ein ungewöhnlich spannendes Krimiwerk. Geschrieben von einer Kennerin sowohl der Polizeiarbeit wie auch der Krimischreibergemeinde, weiß das Buch sowohl zu unterhalten als auch aufzuklären. Und der actionreiche Showdown in den schottischen Bergen schadet auch nicht. Ich kann das Buch jedem Krimi- und natürlich jedem McDermid-Fan wärmstens empfehlen.

|Taschenbuch: 540 Seiten
Originaltitel: Killing the Shadows (2000)
Aus dem US-Englischen von Doris Styron
ISBN-13: 978-3426622476|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

McDermid, Val – Schlussblende

_Die Methode Hill: vorhersehbar, aber spannend & beklemmend_

Es gibt nichts Schrecklicheres, als die Wahrheit zu kennen, und niemand hört zu. Die junge Polizistin Shaz Bowman ist Mitglied eines Elite-Polizeiteams, das das Verschwinden von 30 Mädchen aufklären soll. Als sie einen berühmten TV-Star verdächtigt, wird sie ausgelacht – und wenig später ermordet. Für den Profiler Tony Hill beginnt ein persönlicher Rachefeldzug, bei dem nicht klar ist, wer Jäger und wer Gejagter ist.

_Die Autorin_

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association.

„Tony Hill & Carol Jordan“-Reihe:
1) [„Das Lied der Sirenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1498
2) _“Schlussblende“_
3) „Ein kalter Strom“
4) „Tödliche Worte“

Weitere Romane:

5) [„Echo einer Winternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=703
6) [„Die Erfinder des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2602
7) [„Das Moor des Vergessens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6607
8) „Ein Ort für die Ewigkeit“
9) [„Nacht unter Tag“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6201

_Handlung_

Die Polizistin Carol Jordan und ihr Exfreund, der Profiler Tony Hill, gehen wieder getrennte Wege. Carol leitet eine Polizeidienststelle im ländlichen Seaford, West Yorkshire, als dort eine Serie von Brandstiftungen erfolgt und „die Neue“ ganz schlecht dastehen lässt. Sie wird sowieso von ihren Kollegen kritisch beäugt. Ihr Förderer und Mentor, Polizeichef John Brandon, empfiehlt ihr, einen Profiler hinzuzuziehen, doch beim Gedanken an eine Wiederbegegnung mit Tony sträubt sich alles in ihr. Sie setzt vorerst auf Überwachung und Beschattung, doch als dabei eine Polizistin vom Brandstifter getötet wird, regt sich ihr Gewissen, und sie gibt sich selbst die Schuld.

|Der Profiler|

Unterdessen kommt Tony Hill mit seinem Lehrkurs „Profiling von Serientätern“ ganz gut voran. Er ist jetzt einer Sondereinheit zugeteilt. Die Polizisten in seinem Kurs sind jung und ehrgeizig, jedenfalls die meisten. Er ahnt nicht, dass Sharon „Shaz“ Bowman in ihn verliebt ist und herausgefunden hat, dass er in Bradfield selbst zum Opfer eines Sexualmörders geworden ist (siehe „Das Lied der Sirenen“). Er gibt den Kursteilnehmern eine knifflige Aufgabe aus dem echten Leben.

Carols Besuch überrascht ihn positiv, doch er lädt sie gleich dazu ein, als kompetente Frau vom Fach an dem Kurs teilzunehmen und die Leistungen zu beurteilen. Leon Jackson, einer der Teilnehmer, liefert keine besonders überzeugende Analyse ab, doch Shaz Bowman tritt mit einer überzeugenden Analyse auf: Sieben Teenagermädchen wurden in den letzten sechs Jahren ermordet, die alle Ähnlichkeiten aufweisen, so etwa in ihrem sozialen Umfeld und in ihrem Aussehen. Hinzukommt ein bemerkenswerter externer Faktor: Sie alle besuchten kurz zuvor eine der Wohltätigkeitsveranstaltungen des ehemaligen Spitzensportlers Jacko Vance.

Leon und Co. finden diesen Verdacht absurd. Seine Frau hätte doch was merken müssen oder? Na, also. Vergessen wir’s. Aber Shaz vergisst nicht. Vielmehr ruft sie Chris Devine an, eine Freundin, die schon mal mit Jacko Vance zu tun hatte und dessen Sekretärin Betsy kennt: Chris und Betsy sind lesbisch. Als Shaz die Telefonnummer von Vance erbittet, warnt Chris sie vor möglichen Folgen.

Am Montag darauf will Simon McNeal, Shaz‘ Freund, Tony Hill sprechen: Er sorgt sich um Shaz. Sie ist nicht zu vereinbarten Dates gekommen. Sie fahren zusammen zu Shaz‘ Wohnung und entdecken eine grausam zugerichtete Leiche. Der toten Shaz fehlen die Augen und die Ohren. Auf ihrem Bauch liegt ein Computerausdruck: Er zeigt die drei weisen Affen, die nicht sehen, nichts hören und nichts sagen. Eine deutliche Warnung!

|Die Gefangene|

Unterdessen hockt Donna Doyle, eine junge Schülerin aus Northumberland, wimmernd vor Angst in einer finsteren Zelle. Sie tadelt sich selbst, dass sie ins Auto dieses Mannes gestiegen ist, angetan mit ihrem besten Kleid. Aber was er dann in seiner Werkstatt mit ihr getan hat … Ihr zerquetschter Unterarm beginnt sich zu entzünden. Sie hat Hunger und Durst. Wird sie jemand rechtzeitig finden?

_Mein Eindruck_

Der Fall führt Tony Hill und seine Schüler auf die Spur eines Serienmörders, der sich hinter seiner Fassade eines prominenten TV-Stars und Exspitzensportlers verschanzt. Kein Wunder, dass sich unterbelichtete Superintendents wie der Schotte McCormack – wunderbar borniert dargestellt von Detelf Bierstedt – nicht an den Promi rantraut, und wenn überhaupt, lässt er sich gleich einwickeln. Er hat vielmehr die Klasse von Tony Hill auf dem Kieker, und nur weil er Hill nichts anhaben kann – Hill ist kein Cop – lässt er ihn (vorerst) laufen. Stattdessen gibt er eine Fahndung nach Shaz Bowmans Freund Simon raus. McCormick ist ein typischer Aktionist: Solange es so aussieht, als täte er was, ist alles in Ordnung, auch wenn es das Falsche ist.

Der Fall führt aber auch Tony Hill und Carol Jordan erneut zusammen, und das auf eine unerwartet romantische Weise. Sie stellen erstaunt fest, dass sie nicht nur einiges füreinander übrighaben, sondern dass sie sich gegenseitig in der Bewältigung der Arbeit helfen können. Schließlich führt dann die letzte heiße Spur zum Versteck des Mörders, und dieses liegt, wie es der Zufall und die Autorin wollen, beinahe im Zuständigkeitsbereich von Carol Jordan.

Die Spannung steigt bis zum Finale, denn nicht nur fragt sich der Leser, ob die Hilfe für Donna Doyle noch rechtzeitig eintrifft, sondern auch, ob die drei Jungprofiler Simon, Leon und Kaye vom Mörder überrascht werden, als sie dessen Versteck betreten, um Donna zu suchen!

_Unterm Strich_

Diese Story, die vor 13 Jahren veröffentlicht wurde, ist sicher eine prima Vorlage für eine Folge in der „Tony Hill“-TV-Serie und funktioniert hinsichtlich aller Abläufe ziemlich glaubwürdig und glatt. Das Problem ist nur, dass der Ausgang schon lange vorher feststeht: Der Mörder, dem wir seine Lügen nicht abnehmen, wird gefasst, soviel ist klar.

Natürlich müssen alle Beteiligten erhebliche Widerstände, mitunter auch aus den eigenen Reihen (McCormack), überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Doch dieses Ziel steht von vornherein fest und wird meiner Ansicht nach auch allzu rasch erreicht. Doch wer spannende Unterhaltung sucht und denkt: „In der Kürze liegt die Würze“, der wird mit „Schlussblende“ ausgezeichnet bedient.

|Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Wire in the Blood (1997)
Aus dem Englischen von Klaus Fröba
ISBN-13: 978-3426502488|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

Price, Susan – Erbe der Krone, Der (Elfling 1)

_Der |Elfling|-Zyklus:_

Band 1: _“Der Erbe der Krone“_
Band 2: [„Das Heer der Toten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6591

_Einfallsreich: Action-Fantasy aus England_

Elfling ist von unmenschlicher Schönheit und zieht alle in seinen Bann, denn seine Mutter war eine Elfenfrau. Doch er ist auch der Sohn eines englischen Königs, und jetzt hat Elflings sterbender Vater ihn zu seinem Erben bestimmt. Doch Elfling hat Brüder, die als legitime Kinder des Königs bei Hofe aufgewachsen sind. Kein dreckiges Elfenbalg wird sie ihres Geburtsrechtes berauben! Sie glauben, mit ihm leichtes Spiel zu haben, doch er hat eine Verbündete, eine Kriegsmaid aus der Schar von Wodens Walküren. Und mit ihr ist er bereit, sein Recht einzufordern. (abgewandelte Verlagsinfo)

_Die Autorin_

Susan Price hat in Großbritannien 50 Bücher, meist für jüngere Leser, veröffentlicht. Sie wurde v. a. bekannt durch ihren Roman „Die Starckarm-Saga“, der den renommierten Guardian Children’s Fiction Award erhielt und für die Carnegie Medal nominiert wurde.

_Handlung_

Der im Sterben liegende König Eadmund bestimmt auf mit seinem letzten Atemzug seinen unehelichen Sohn Elfling zum Nachfolger. Nicht nur sein Bruder Athelric ist erstaunt, sondern noch viel mehr seine drei ehelichen Söhne Unwin, Hunting und Wulfweard. Der christliche Mönch Vater Fillan fürchtet, dass der christliche Glaube, zu dem er die tote Königin und ihre drei Söhne bekehrt hat, unter einem Elfenherrscher dem Untergang geweiht ist. Und noch unheilvoller scheint ihm, dass sich die Könige dieses Reiches als Söhne Wodens, des obersten nordischen Gottes, betrachten – Heiden!

Während Athelric, nunmehr der Vornehmste unter den 1200 Adligen des Angelsachsen-Reiches, dem Ältestenrat die Verfügung des gestorbenen Königs mitteilt, schmieden Eadmunds Söhne ein Komplott gegen diesen unliebsamen Konkurrenten. Gezeugt mit einer dahergelaufenen Elfenfrau, pah, so ein DING! Niemals darf es den Thron besteigen. Als Ersten bestimmt Unwin, der hünenhafte Älteste, Hunting dazu, Elfling den Garaus zu machen. Man sagt, der Bastard lebe als Heiler in Hornsdale.

|Hornsdale|

Elfling wird nicht ohne Grund als Heiler betrachtet und von vielen Menschen aus nah und fern auf seinem bescheidenen Bauernhof besucht. So auch heute. Die leibeigene Magd Ebba, die in Elfling verknallt ist und mit ihm ab und zu das Lager teilt, beobachtet, wie ein vornehmer Kaufmann aus dem dänischen Danelaw anreist, um seine angeblich unfruchtbarer Frau heilen zu lassen. Die Hausverwalterin Hild stößt ihm schnell Bescheid, dass ihr Herr auf den Feldern arbeite.

Das Warten im Dreck und unter den Flöhen des Hofes zerrt schwer an Kaufmann Morac Sweynssens Nerven, und deshalb ist er ungehalten, als der Herr des Hauses endlich eintrifft. Als Reaktion wirft Elfling sämtliche Kissen und Decken Moracs um ein Haar ins Feuer. Nur Hild gelingt es, die Wogen zu glätten, sodass Morac klein beigibt. Am nächsten Morgen umarmt der Hausherr Moracs Gattin und verkündet, sie sei ihrem Gatten stets treu gewesen. Will heißen: nicht sie ist schuld, dass der Kindersegen ausblieb, sondern ihr Gatte! Der wutentbrannte Kaufmann wird jedoch von Elflings magischem Blick in die Schranken gewiesen. Der Elfling beschließt, auf die Jagd zu gehen. Morac ist er ein Rätsel.

Ebbas hört weitere Reiter ankommen: Bewaffnete eines hohen Fürsten, den wertvollen Rüstungen nach zu urteilen. Doch als ihr Anführer, kein anderer als Hunting, den Hausherrn nicht vorfindet, lässt er vorsichtshalber alle Augenzeugen niedermetzeln. Nur Ebba entgeht dem Massaker durch eine List. Dann legt sich Hunting auf die Lauer.

|Die Walküre|

Elfling hat die Nacht im Freien verbracht. Ein unnennbarer Schmerz am vorigen Tag hat ihm gesagt, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein muss. Geht es ihn etwas an, fragt er sich. Möglicherweise, aber andererseits sind die Menschen nicht so wie er. Als er die Gestalt in Rüstung und Umhang neben sich erblickt, als er erwacht, glaubt er zunächst, einen Soldaten vor sich zu haben. Doch sie ist eine Frau. Ein sechster Sinn sagt ihm, dass sie ein höheres Wesen ist und behandelt sie mit größter Ehrerbietung.

Daran tut er gut, denn es handelt sich um eine Walküre, ein Schildmaid Wodens, die in der Schlacht die Gefallenen zur Halle ihres Herrn bringt. Aber wie Elfling herausfindet, ist die Walküre noch wesentlich mehr: Sie entfacht die Schlacht selbst! Und deshalb führt sie ihren Schützling zu seinem Bauernhof zurück und zeigt ihm, was vorgefallen ist. Will er sich nicht an seinem Bruder rächen? Und ob!

Schon bald stößt die Walküre auf dem Dach seines Haupthauses einen markerschütternden Schrei aus, der selbst Tote geweckt hätte. Die aufgescheuchten Krieger Huntings rennen in ihr Verderben, als Elfling sie mit Pfeilen niederstreckt. Doch wie soll er gegen den schwerbewaffneten Königssohn wehren, ohne Rüstung und ohne Schwert und Schild? Auch dafür hat die Walküre bereits einen Plan parat …

_Mein Eindruck_

Ich habe das Buch in nur wenigen Stunden gelesen, denn die Autorin (die mir bis dato unbekannt war) wartet mit einigen kuriosen Einfällen auf. Dass der Erbe der Krone im Abseits, also quasi im Exil, lebt, kennen wir ja schon von Aragorn hr. Aber dass er so mir nichts, dir nichts Hilfe von einer echten Walküre bekommt, wäre mir neu. Walküren tauchen nämlich üblicherweise erst während der Schlacht auf, nicht davor.

|Die Walküre|

Daher hat Jarnseaxa, die Walküre Eisenschwert, eher die Funktion, die in der griechischen Antike einer Göttin zukamen. Als da wären: Den Helden zu beschützen, zu erziehen, auszubilden und, sofern er alle gestellten Aufgaben besteht (und überlebt), zu lieben. Außerdem verhilft sie ihm zu einer Geheimwaffe, dem ehernen Schwert „Wodens Versprechen“, das leider, wie der Gott selbst, verräterische Eigenschaften aufweist: Einmal gezogen, muss es Blut trinken, und wenn es das seines Trägers wäre. Diese Waffe erinnert stark an Elrics schwarzes Schwert Sturmbringer, das Seelen trinkt.

All dies geschieht im Mittelteil des Buches und macht diesen recht kurzweilig, denn die Walküre ist wahrhaftig unberechenbar – eine starke Frauenfigur, wie man sie in amerikanischer Fantasy, die bei uns überwiegt, leider nur selten findet. Zum Glück ist die Autorin Engländerin und kennt sich mit ihren nordischen und altenglischen Quellen offenbar bestens aus.

|Seelenwanderung|

Ein weiteres interessantes Element ist die Seelenwanderung in die Anderswelt. Bekanntlich betrachteten die nordischen Völker – und somit offenbar auch die Sachsen und Dänen im Buch – die Welt der Menschen als die Mittelerde. Daneben gab es noch acht weitere Welten, so etwa die der Götter (Asen), Risen und natürlich die Unterwelt von Hel. Sie werden im Anhang zu Joanne Harris‘ Roman „Feuervolk / Der leuchtende Stein“ genau beschrieben.

Wie auch immer: Es gibt Mittel und Wege, dass ein sterblicher Mensch dorthin gelangen kann. Zumindest mit seiner Seele. Dieses Wagnis unternimmt Wilfweard, der jüngste der drei Königsöhne, denn aus Ebbas Bericht über das Massaker auf Elflings Bauernhof weiß inzwischen das gesamte Königreich von den mysteriösen und blutigen Vorgängen dort. Und dass sie den Prinzen die Rache Elflings androht, macht Ebbas Schicksal nicht unbedingt leichter.

Bevor es also dazu kommt, macht sich Wulfweard auf den Weg. Die Priesterinnen Eostras singen die Runenlieder, die seine Seele entbinden und auf den Weg schicken. In der Anderswelt tritt er dann tatsächlich Elfling gegenüber, doch gegen dessen verzaubertes Schwert hat er eigentlich keine Chance. Oder doch? Der Kampfverlauf ist voller überraschender Wendungen, denn Elfling will seinen Bruder gar nicht töten. Er will einen Bruder, keinen Feind.

|Der Schreiende Stein|

Ein weiteres originelles Element ist der Schreiende Stein. Dieser Fels mit der Mulde in Form eines Fußes dient dazu, den wahren König auf mystische Weise zu prüfen. Die Götter müssen ihren Segen dazugeben, den erwählten König auf den Thron zu heben. Einen solchen Stein gibt es in Schottland, den Stone of Scone. Er zählt zu den schottischen Nationalheiligtümern und in den alten Sagen und Legenden zu den Artefakten der Götter (neben Schwertern, Speeren, Kesseln usw.).

Natürlich ist genau der Moment, wenn der gewählte König Athelric seinen Fuß auf den Stein setzt, von entscheidender Bedeutung. Und deshalb erscheint genau in diesem Moment auch der Widersacher, der ihm den Thron streitig macht: Aber ist Elfling wirklich der wahre König, fragen sich Adlige und versammeltes Volk? Oder ist er nicht vielmehr der Teufel in Person, wie Unwin und seine Christen glauben? Der folgende Handlungsverlauf soll es erweisen. Mehr darf nicht verraten werden.

_Übersetzung _

Auf Seite 141 heißt es: „eine Schar kräftiger Mann“. Es müsste entweder „Mannen“ oder Männer“ heißen. Ich würde Letzteres vorziehen, denn „Mannen“ sagt man nur noch ironisch. Ansonsten finden sich hier und da vereinzelte Druckfehler, aber nur sehr wenige.

_Unterm Strich_

Ich habe das Buch in nur wenigen Stunden gelesen. Es enthält originelle Elemente, unterhält den männlichen Leser durch Spannung und Action, die Leserin aber durch faszinierende Frauenfiguren, so etwa die Walküre und die junge Prophetin Ebba. Das Alltagsleben der Menschen ist detailliert eingefangen, sodass wir uns in die Szenen direkt hineinversetzen können.

Die hier geschilderten politischen Verhältnisse unter den Sachsen Mittelenglands stimmen mit den überlieferten Chroniken überein, die ein England nach dem fünften Jahrhundert und vor dem neunten Jahrhundert beschreiben, das von Sachsen und Dänen besiedelt worden ist. Deshalb ist es ein wenig kurios, wenn der Verlag ausgerechnet Ornamente der von den Sachsen verdrängten Kelten verwendet.

|Schwächen und Anforderungen|

Zwar werden die meisten Frauenfiguren gut charakterisiert, nicht jedoch alle Männer. Zwar kann man sich den Helden Elfling und seinen Widersacher Unwin gut vorstellen, aber Hunting und Wulfweard sind praktisch unbeschriebene Blätter, ebenso ihr Onkel Athelric. Dieses Defizit wird hoffentlich im Folgeband ausgeglichen, wenn Unwin und Elfling aufeinandertreffen.

Der Leser bekommt die nordische Mythologie kommentarlos vorgesetzt, das heißt, sie wird bereits als bekannt vorausgesetzt. Ständig werden die sächsischen Hauptgötter Woden (Obergott), Eostra (Fruchtbarkeitsgöttin, daher Oster-Fest), Thunor (Thor, Donar) sowie Ing (= Baldur) angerufen und erwähnt. Dass es kein Glossar dafür gibt, macht aber nichts. Denn es kommt nur darauf an, welche Eigenschaften die Menschen diesen Gottheiten zuweisen. Und daraus ergibt sich deren Charakteristik und Funktion.

Woden beispielsweise ist nicht zu trauen: Er ist ein einäugiger Verräter, der Krieger begünstigt und sie mit seinen Geschenken, wie etwa Zauberschwertern, verrät, um sie zu sich zu holen. (Woden ist bis heute im Wort „Wednes-day“ verewigt. Und „Thurs-day“ ist Thors Tag. Tues-day ist Tius Tag. Fri-Day ist der Tag von Freyr oder Freya.)

Aufgrund dieser Anforderungen und des hohen Gewaltgehalts würde ich das Buch ab 14 Jahren empfehlen.

|Taschenbuch: 224 Seiten
Originaltitel: Elfgift (1995)
Aus dem Englischen von Edda Petri
ISBN-13: 978-3404206247|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Price, Susan – Heer der Toten, Das (Elfling 2)

_Der |Elfling|-Zyklus:_

Band 1: [„Der Erbe der Krone“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6590
Band 2: _“Das Heer der Toten“_

_Wg. „Blutadler“: Craig Russell, mach Platz!_

Elfling ist von unmenschlicher Schönheit und zieht alle in seinen Bann, denn seine Mutter war eine Elfenfrau. Doch er ist auch der Sohn eines englischen Königs, und jetzt hat Elflings sterbender Vater ihn zu seinem Erben bestimmt. Doch Elfling hat Brüder, die als legitime Kinder des Königs bei Hofe aufgewachsen sind. Kein dreckiges Elfenbalg wird sie ihres Geburtsrechtes berauben! Sie glauben, mit ihm leichtes Spiel zu haben, doch er hat eine Verbündete, eine Kriegsmaid aus der Schar von Wodens Walküren.

In Band 1 hat Elfling die Krone errungen, doch der wichtigste Widersacher ist entkommen; Unwin, der älteste der legitimen Söhne von König Eamund. Nun hebt dieser im Schutz der christlichen Kirche unter Waliser, Sachsen und Dänen ein Heer aus, um sein Erbe zurückzuerobern. Er hat der Teufelsbrut Elfling einen grausamen Tod geschworen. Und er ist sogar bereit, den heiligen Frieden des Julfestes zu brechen, um seinen Schwur zu erfüllen … (abgewandelte Verlagsinfo)

_Die Autorin_

Susan Price, hat in Großbritannien 50 Bücher, meist für jüngere Leser, veröffentlicht. Sie wurde v.a. bekannt durch ihren Roman „Die Starckarm-Saga“ (The Sterckarm Handshake, 1998), der den renommierten Guardian Children’s Fiction Award erhielt und für die Carnegie Medal nominiert wurde. Mit „The Ghost Drum“ errang sie dann die begehrte Carnegie Medal. Sie lebt in den westlichen Midlands.

Serien:

|Ghost World|
1. „The Ghost Drum“ (1987)
2. „Ghost Song“ (1992)
3. „Ghost Dance“ (1993)

|Olly Spellmaker|
„Olly Spellmaker and the Hairy Horror“ (2004)
„Olly Spellmaker and the Sulky Smudge“ (2004)
„Elf Alert!“ (2005)

|Odin-Trilogie|
1. „Odin’s Voice“ (2005)
2. „Odin’s Queen“ (2006)
3. „Odin’s Son“ (2007)

_Handlung_

Elfling, der uneheliche Sohn von König Eamund, hat nach dessen Tod trotz allen Widerstands die Krone gewonnen – die Krone eines Elfengeborenen. Eine Walküre hat ihm erheblich dabei geholfen, den Widerstand der drei legitimen Königssöhne Unwin, Hunting und Wulfweard zu überwinden. Dabei tötete er Hunting, bekehrte Wulfweard und vertrieb Unwin ins dänische Exil.

Doch um das Leben des schwer verwundeten Wulfweard jat Elfling ein folgenreiches Opfer gebracht: Er hat seinem Liebes- und Kampfbund mit der Walküre entsagt und sich in die Hände Wodens, des Obergottes gegeben. Denn Woden hat bereits die Seele Wulfweards für sich beansprucht. Als Elfling auf Unwins Anwesen eintrifft und es für sich beansprucht, kann Wulfweard hier genesen. Die Hausherrin und Unwins Ehefrau, die Königstochter Kendidra, pflegt den Prinzen zusammen mit Elfling gesund. Sie ist erstaunt, dass der neue König sie und ihre Kinder am Leben lässt. Und er scheint wirklich nicht der Unmensch oder Teufel zu sein, als den ihn ihr Mann hingestellt hat. Nur ihr Sohn Godwin lehnt die „Elfenbrut“ von vornherein ab. Er wünscht sich seinen Vater zurück.

|Unwin Eamundssohn|

Und Woden, der nichts anbrennen lässt, kümmert sich bereits um Unwins Rückkehr. Schließlich hat Woden Aussicht auf viele Seelen von Kriegern, die er nach Walhalla rufen kann. In der Gestalt eines einäugigen Harfners begibt er sich an König Loverns nordsächsischen und vor allem christlichen Thron. Hier wartet Unwin auf seine Gelegenheit.

Sie scheint endlich gekommen zu sein, als der dänische Jarl Ingvald, der Bruder der dänischen Geisel Ingvi, überlegt, ob sich in diesem Land Beute machen ließe. Ingvald ist jedoch extrem vorsichtig, auch in seinen Tributzahlungen an Lovern. Doch kaum hat Woden seine Harfe erklingen lassen und sein Lied gesungen, als alle Herzen wie betäubt zur Schlacht streben. Und König Lovern, so scheint es, gibt frohgemut seinen Segen zum Kriegszug Unwins. Hinterher wundert sich der König allerdings, ob er all dies selbst gesagt hat …

|Die Insel|

Unwin brandschatzt und verwüstet Elflings Land, bis er nach Kingsborough gelangt, eine Stadt, die dem König selbst Pacht zahlt – daher ihr Name. Auch hier massakriert er sämtliche Männer und plündert die Vorräte. Es ist hier, wo Elflings Angebot eines Waffenstillstands ihn erreicht. Auf einer Flussinsel handeln Unwin, die Dänen und Elflings Sachsen die Bedingungen des Waffenstillstands aus, den Elflings unbedingt braucht, damit seine Männer die Ernte einbringen können. Tun sie dies nicht, droht eine Hungersnot. Er lässt sich neben der Geldforderung auf eine ungewöhnliche Bedingung Unwins ein: Dass er am Julfest in Julburg am Grab seiner Mutter Ealdfrith, einer Heiligen, beten darf. Elfling willigt ein. Der Harfner sieht es zusammen mit seiner Begleiterin, der wahnsinnigen Ebba, mit Genugtuung.

|Das Julfest|

Invi und Ingvald erkennen mit Entsetzen, dass Unwin ein für sie bislang unvorstellbares Verbrechen begehen will: den heiligen Frieden des Julfestes durch Waffengewalt zu brechen und den König zu ermorden. Er fühlt sich nicht an die Schwüre, die er einem Heiden gegenüber geleistet hat, nicht gebunden. Doch die beiden Dänen haben Unwin den Treueid geleistet und müssen nun mitmachen, ob sie wollen oder nicht.

Der Harfner Woden und Ebba, die wahnsinnige Prophetin, haben mitgeholfen, dass sich die Tore der Halle, in der Kendridas Leute das Julfest feiern wollen, unter dem Ansturm von Unwins Kriegerns öffnen. Woden hat Elflings Wachen in den Schlaf gesungen. Nun hofft er auf reiche Beute unter den Kriegern der nichtsahnenden Sachsen. Die Bluternte ist mehr als reichlich. Doch wo ist der König?

|Das Gräberfeld|

Es ist eine klirrend kalte Dezembernacht, als sich Elfling und Wulfweard, sein Bruder, der wie sein Zwilling aussieht, auf dem Gräberfeld hinter Unwins Brug einfinden. Sie entkleiden sich, um die ehrenvollen Toten zu ehren, wie es zu Jul bei den Sachsen Brauch ist. Nackt tanzen sie den Schwerterkampf, damit ihr Blut die Toten nähre.

Doch diesmal ist alles anders. Das gaffende Volk wird unversehens von hinten angegriffen und niedergemacht. Selbst vor dem Onkel des Königs macht Unwins Hass keinen Halt. Am Schluss stehen Elfling und Wulfweard, zwei nackte Männer, gegen einen ganzen Trupp Krieger. Was können sie schon ausrichten? Und doch wagt es Unwin nicht, sie selbst anzugreifen, wie die beiden Dänen verächtlich bemerken. Unwin hat geschworen, Elfling durch den Blutadler sterben zu lassen, doch selbst Hand anzulegen, dafür ist er sich zu fein. Auch hier muss Woden mit seiner Zauberharfe auftreten und Elfling mit den Runen der Macht bezwingen.

So kommt es, dass die beiden letzten Überlebenden des Gräberfeldes lebend gefangengenommen werden. Doch dies ist noch längst nicht das Ende vom Lied …

_Mein Eindruck_

Dieser Roman ist völlig anders aufgebaut als sein Vorgänger. Wo dort eine episodische Darstellung vorherrscht, bei der der Blickwinkel hin und her springt sowie zwischen den Episoden erhebliche Zeitunterschiede sichtbar werden, gibt es hier eine homogene Entwicklung. Das führt zu zwei Wirkungen: Die Katastrophe entfaltet eine viel stärkere Wucht, aber wir müssen lange darauf warten und geduldig sein.

|Frauenperspektive|

Wie zuvor sehen wir das Geschehen häufig aus der Perspektive von Frauen. Die „verrückte“ Prophetin Ebba, die Elfling liebend verehrt und daran verzweifelt, tritt auch hier wieder auf und begleitet den Gott Woden, der als Harfner auftritt, bei dessen magischem Treiben. Die Gegenfigur ist Unwins Frau Kendrida, die sich nach dem Verlust ihres geflohenen Mannes um Leib und Leben nicht nur ihrer selbst, sondern vor allem ihrer Kinder sorgt. Wir folgen ihrem Schicksal durch die ganze Geschichte hindurch, und es ist wahrlich kein leichtes Schicksal, das Woden und Unwin für sie vorgesehen haben. Unwin will alles Heidnische mit Stumpf und Stiel ausrotten. Weil Kendrida am Glauben ihrer Ahnen festhält, schwebt sie in Gefahr.

|Hauptfiguren|

Neben diesen langsamen Entwicklungen ist es unerlässlich, die Wandlungen der Hauptfiguren zu verstehen. Elfling hat seiner Walküre entsagt und sich in die Hand Wodens gegeben, um auf diese Weise Wulfweards Seele vor Walhalla retten zu können. Wulfweards Körper, durch Elflings Heilkunst am Leben gehalten, genest mit Hilfe der wiedergewonnenen Seele. Wir müssen verstehen, warum Elfling so viel für einen Bruder riskiert, den er nie zuvor gesehen hat: Er will einen Seelengefährten, der ihm in der Not beisteht. Dieser Wunsch setzt aber auch das sagenhafte Bild der Zwillingsbrüder Wodens um, die einander schützen. In der Stunde der Not zeigt sich, dass Elfling völlig im Recht ist.

Dieser Roman hält am heiligen Julfest Szenen größten Frevels ebenso wie größter Brutalität bereit. Das Massaker an den Bewohnern Julburgs ist schon schlimm genug, aber dann muss Elfling auch noch den Tod durch den Blutadler erleiden. Beim Blutadler werden die Rippen gebrochen und die Lungen auf den Rücken gezerrt, als wären sie Flügel. Das Opfer stirbt qualvoll. Elfling widerfährt dieses Schicksal, und er sieht dabei aus wie Woden selbst, der neun Tage an der Weltenesche hing.

Doch dann folgt wie bei Woden auch Elflings Wiederauferstehung. Wodens göttliche Magie beherrscht nämlich nicht nur das Leben, sondern auch den Tod. Als Elfling an der Spitze eines Heeres der Toten aus dem Gräberfeld und an Wulfweards Seite vor Unwin erscheint, scheint die Welt den Atem anzuhalten …

|Jesus vs. Woden|

Die Parallelen zur christlichen Mythologie vom Opfertods des Gottessohns und seiner Wiederauferstehung sind unübersehbar. Auch Elfling weiß wie Jehoschua von Nazareth, dass die Stunde und Weise seines Todes vorbestimmt ist und es ihm nichts nützt, sich dagegen zu wehren. Der Leser fragt sich unwillkürlich, ob sich Wodens oder Christie „Magie“ als stärker erweisen wird, wenn es darum geht, den Glauben der Sachsen festzulegen. Die Autorin hat sich dafür entschieden, dass Christi Verfechter Unwin nicht nur ein Frevler, sondern ein blutiger Verbrecher ist, der ganz besonders gegen Frauen und Kinder keine Gnade walten lässt – ganz im Gegensatz zu Elfling etwa.

|Todesmagie|

Dem Anhang ist zu entnehmen, dass Wodens Runenmagie, die Elfling wiedererweckt, in der Lieder-Edda zu finden ist. Aber die Erweckugn der Toten, die Wodenssohn Elfling vornimmt, ist Folkmusic-Freunden recht bekannt: Es ist das alte englische Volkslied von John Barleycorn (wie es z. B. die Gruppe TRAFFIC so schön interpretierte). John Barleycorn ist der Gerstenmann, und er wird natürlich zur Gerstensaft, also Alkohol verarbeitet. Als in John Barleycorn ist eine ältere Gottheit verewigt, nämlich Ing, der sächsische Gott der Fruchtbarkeit und der Jahreszeiten. Und an Jul, seinem Feiertag, kehren die Toten zurück – diesmal buchstäblich …

_Die Übersetzung _

Der Übersetzer hat nun gewechselt. War es zuvor Edda Petri, heißt er nun Marco Bülles. Das macht die Sache nicht besser. Bülles hat Probleme mit den alten Vergangenheitsformen von Verben wie „erschallen“. Auf Seite 96 schreibt er deshalb „erschall“ statt „erscholl“ und auf Seite 208 „verborg“ statt „verbarg“.

Auf Seite 130 lässt er ein Wort weg, vermutlich erschien es ihm überflüssig. „Er (…) nur hier, um seinen Vater zu sehen.“ Es ist anzunehmen, dass das fehlende Wort „war“ lautet.

Offensichtlich unbekannte, weil längst in Vergessenheit geratene Ortsbezeichnungen werden nicht erklärt. „Miklagard“ auf Seite 133 etwa war der Wikingername für Konstantinopel. Solche Dinge hätten in die Anmerkungen aufgenommen werden sollen.

_Unterm Strich_

Der Folgeband schließt die Duologie um den Elfling ab. Der Aufbau ist völlig anders als der des ersten Bandes, organischer und harmonischer. Deshalb mag so mancher Actionfreund das langsame Tempo des ersten Drittels bedauern, und so erging es auch mir. Doch die Wende im zweiten Drittel wird sorgfältig vorbereitet und wirkt deshalb sowohl wuchtiger als auch nachhaltiger. Gewalt, Blut und Empörung mischen sich in der Eroberung von Julsburg. Das Finale bildet dann den Ausgleich zu diesem negativen Tiefpunkt im Schicksal der Titelfigur: Der Gerechtigkeit wird mit Hilfe der Götter zum Recht verholfen.

Viele kleine Glanzpunkte machen diesen Roman sogar noch besser als seinen Vorgänger. Allerdings verlangen die metaphysischen Szenen, die uns die Autorin hier präsentiert, eine Offenheit des Geistes, zumal gegenüber der nordischen Mythologie und Religion. Hier ist der Obergott Woden kein Herrscher jenseits der Wolken, sondern ein aktiv Mitwirkender und Lenkender, der nicht nur seinen Schützling erst umbringt, sondern ihn dann auch noch wiederbelebt und zurück in die Welt schickt. Die Parallelen zum Christentum sind unübersehbar, die Botschaft ebenfalls: Wenn ihr schon einen Erlöser finden wollt, dann braucht ihr nicht nach Palästina fahren, um ihn zu suchen – es gab ihn schon lange in Skandinavien und Germanien (denn dort kamen die Sachsen her).

Im finalen Duell zwischen Unwin und Elfling stehen sich auch zwei Religionen gegenüber. Leider schneidet der christliche Vertreter nicht nur nach Punkten viel schlechter ab als sein „heidnischer“ Kontrahent: Unwin verliert wortwörtlich den Kopf. Solche Details wie abgeschlagene Köpfe und der gefürchtete Blutadler – denn wir aus Craig Russells gelichnamigem Thriller kennen – machen die Lektüre erst ab 14 Jahren geeignet.

|Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: Elfking (1995)
Aus dem Englischen von Marcel Bülles
ISBN-13: 978-3404206254|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Banscherus, Jürgen – Geheimnis von Nr. 7, Das (Jimmi Nightwalker 3)

_Die „Jimmi Nightwalker“-Serie:_

01 – [„Das Rätsel der schwarzen Herren“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6214
02 – „Der Verrat“
03 – _“Das Geheimnis von Nr. 7″_
04 – „Das unheimliche Schiff“

_Astronomische Rätsel an Bord geheimnisvoller Schiffe_

Als JoJo und seine Freunde Murat und Mai Lyn einen merkwürdigen Jungen namens Jimmi kennenlernen, steht ihr Leben plötzlich Kopf. Der grauhaarige Junge weiß weder, wer er ist, noch woher er kommt. Woher stammt er bloß? Eine Spur führt die Freunde nach Hamburg, wo sie auf alte Bekannte treffen: die Kakamura-Brüder (aus Band 1)! Nur mit einem Trick gelingt es ihnen, ihre geheimnisvollen Verfolger abzuhängen, um weiter nach dem roten Schiff zu suchen, das auf Jimmis Karte verzeichnet ist. Doch kaum haben sie es entdeckt und sind an Bord gegangen, schnappt die Falle zu … (Verlagsinfo)

Vom Hersteller empfohlenes Alter: 8 – 9 Jahre.

_Der Autor_

Jürgen Banscherus, geb. 1949, arbeitete nach geistes- und sozialwissenschaftlichem Studium als Journalist, Lektor und Dozent in der Erwachsenenbildung. Er ist Mitglied im PEN und Vorsitzender der Jury beim Bundesentscheid des Vorlesewettbewerbs. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er erfolgreich für Kinder und Jugendliche. Seine Bücher wurden vielfach ausgezeichnet und sind in 19 Sprachen übersetzt. Er lebt mit seiner Frau und seiner Familie im Ruhrgebiet.

_Handlung_

JoJo, Murat und Mai Lyn vom Geheimen Buchklub haben in Jimmi einen neuen Freund gefunden. Er ist grauhaarig und hat das Gedächtnis verloren, und das findet auch JoJos 90-jährige Uroma etwas merkwürdig. Noch seltsamer, weiß JoJo, sind jedoch die Brüder Kakamura, die ganz in Schwarz gekleidet sind und sie verfolgen. Was wollen sie bloß von Jimmi, fragt sich JoJo. Schon einmal haben er und seine Freunde den Finsterlingen ein Schnippchen geschlagen. Danach mussten sie Jimmi gegen die Hammer-Boys verteidigen.

Diesmal hat Jimmi eine Zeichnung angefertigt, auf der ein rotes Schiff zu sehen ist. Aber wo ist es zu finden? Als sie genauer hinsehen, entdecken sie das Autokennzeichen HH darauf: Hamburg. Dort sollen sie hin? OK, aber erst nachdem sie Uromas köstliche Brathühnchen gefuttert haben. Köstlich!

Es ist vor allem Murats türkischem Onkel und seinen Taschengeldspenden zu verdanken, dass sie sich die Fahrkarten nach Hamburg leisten können. Doch auch im ICE sind die Kakamuras sehr sonderbar. Im Hafen von Hamburg-Harburg finden sie kein rotes Schiff, sondern bloß Containerschiffe. Ein alter Seebär mit Zöpfen fragt sie, was sie suchen. Er nennt sich Winnetou und ist schon 82 Jahre alt. Sie zeigen ihm die Zeichnung mit dem roten Schiff darauf. Das müsse im Alten Hafen sein, meint er – und ist so freundlich, sie hinzuführen.

Da springt Jimmi auf einmal ins dreckige Hafenwasser! Er hat das Schiff erspäht! Mit einem geliehenen Motorbott fischen sie ihn wieder aus dem schmutzigen Nass und fahren ihn hin. Das rote Schiff heißt WEGA und scheint völlig verlassen zu. Niemand antwortet auf ihre Rufe. Sie gehen einfach an Bord, was den alten Seebären maßlos empört. „Das ist ja wie Hausfriedensbruch!“ schimpft er.

Aber das ist noch gar nichts gegen den Fund, den sie an Bord machen. Das Schiff hat keinen Motor, aber dafür in jeder Kajüte einen schwarzen Klotz. Was hat es damit wohl auf sich, fragt sich JoJo und fasst den Klotz in Kabine Nr. 7 an. Ein Gefühl unendlicher Traurigkeit überkommt ihn, genauso Murat, der den Klotz ebenfalls berührt. In jeder Kajüte ist ein Bild vom Sternbild Leier aufgehängt, dessen Hauptstern bekanntlich die WEGA ist. Aber wie heißt der Nachbarstern, der der durch eine Linie mit der WEGA verbunden ist?

Murat begibt sich in den Laderaum, und da liegt auch so ein schwarzer Klotz. Seltsamerweise ist nur der geheimnisvolle Jimmi in der Lage, den Klotz emporzuheben. Und dabei war doch Winnetou mal Meister im Schwergewichtheben! Plötzlich wird die Leiter aus dem Laderaum emporgezogen und die Luke geschlossen. Warum funktionieren ihre Handys auf einmal nicht?! Kurze Zeit später legt das Schiff ab – mit unbekanntem Ziel!

_Mein Eindruck_

Ich habe das Buch in nur einer Stunde gelesen. Nicht nur, weil es flott erzählt und spannend geschrieben ist, sondern auch, weil die Schrifttype wirklich groß ist und so nur wenig Text auf die Seite passt. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Zeichnungen Thilo Krapps, die unsere Helden zeigen. Die Seiten können also nur so vorüberrauschen. Bevor es zum Finale kommt, kann man praktisch keine Pause einlegen.

Die Geschichte ist für acht- bis neunjährige Jungs und Mädchen geschrieben, und zwar so, dass diese alles verstehen. Ein wenig erinnert der Plot auch an „Momo“, und zwar ähneln die Herren in Schwarz ein wenig den grauen Männern von der Zeitkontrolle. Vor solchen Finsterlingen ist die alsbaldige Verdünnisierung angesagt, das versteht sich von selbst.

Das größte Rätsel ist allerdings Jimmi selbst. Er scheint unter Gedächtnisverlust zu leiden, denn er weiß nicht, wie er auf die Erde kam. Von wo? Das ist die Preisfrage. Und er kam obendrein nackt! Kein Wunder, dass er nicht dran denken will … So viele Rätsel, die es zu lösen gilt, sorgen, das ist klar, für jede Menge Folgebände in dieser neuen Serie. Die Nähe zu den „Drei ???“ und der „Ferienbande“ liegt nahe.

Gut finde ich allerdings, dass diese brandneue Reihe ganz im 21. Jahrhundert spielt und nicht auf Ursprüngen aus den sechziger und siebziger Jahren basiert. Ein durchschnittlicher Jugendlicher wie JoJo ist also standardmäßig mit Mobiltelefon, MP3-Player und Kaugummis ausgerüstet. Jimmi weist nichts davon auf, was ihn schon mal bemitleidenswert macht. Genau deshalb muss man ihm helfen.

Zur Aktualität gehört auch der Multikulti-Hintergrund, vor dem der Geheime Buchclub existiert: Murats Vater ist offenbar Türke, wenn auch ziemlich wohlhabend, und Mai Lyns Eltern sind Boat People: Vietnamesen, die mit einem Boot aus ihrer Heimat flüchteten. Inzwischen sind sie in Deutschland erfolgreiche Leiter einer Großwäscherei. Hartz IV ist demnach also kein Thema. Daraus ergeben sich einige Unterschiede auch zu Amelie Frieds Kinderbuchserie „Taco & Kaninchen“ (siehe meinen Bericht dazu), die in einer Stadt in einem Problem-Viertel spielt.

JoJos Umgebung ist etwas idyllischer, denn er wohnt in einem schönen Haus mit Garten. Und seine Uroma bemuttert ihn, was die Frage aufwirft, wo eigentlich Oma und seine Eltern abgeblieben sind. Diese Frage wurde vielleicht im zweiten Band beantwortet, den ich nicht gelesen habe.

_Unterm Strich_

Auch wenn sich der Plot dieser neuen Serie wohlbekannter Kniffe wie Amnesie, astronomischer Rätsel und anonymer Finsterlinge bedient, so halten die Geheimnisse doch das Interesse an der Geschichte wach. Diesmal tritt ein Rätsel auf, das eher an Sciencefiction denken lässt: die schwarzen Klötze an Bord des roten Schiffes WEGA. Sie haben sonderbare Eigenschaften. Kommen sie nicht von unserer Welt, sondern wie der Meteorit, der in Band 2 gefunden wurde, von einer anderen? Wer weiß schon, wohin die WEGA fährt – oder fliegt?

Keine Frage gibt diese Geschichte Stoff für viele weitere Bände her, wie man hoffen darf. Jedes Buch lässt sich von erfahrenen Lesern wie mir in etwa einer Stunde lesen, eignet sich aber auch gut zum Lesenlernen – dank der großen Schrift. Druckfehler fand ich keine.

|Hardcover: 112 Seiten
Illustriert von Thilo Krapp
ISBN-13: 978-3570135785|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch
[www.juergen-banscherus.de]http://www.juergen-banscherus.de

Horin, Niki – Entdeckungsreise zum Südpol

_Vom Leser zum Entdecker: Die Eroberung des Südpols_

„Die größten Antarktis-Expeditionen … Robert Scott, Ernest Shackleton und Roald Amundsen hatten ein gemeinsames Ziel: den bisher unerforschten Südpol zu erreichen. Ihr atemberaubender Wettlauf durch das ewige Eis und ihre gefährlichen Expeditionen machten sie zu legendären Helden.

Faszinierende Fotos, topographische Karten und Originaldokumente laden alle angehenden Polarforscher dazu ein, die berühmten Entdecker auf ihren abenteuerlichen Reisen durch die Antarktis zu begleiten.“ (Verlagsinfo)

Über die Verfasserin ist im Buch leider nichts zu erfahren, aber sie meldet sich mit einer Anmerkung zu Wort. Darin lässt sie sich über die Bezeichnungen der Expeditionen ab 1901 aus: Sie werden alle nach den Schiffen der Teilnehmer benannt.

_Inhalte_

Das Buch ist wie ein Bilderbuch aufgebaut: möglichst wenig Text, möglichst viele Bilder – aber auch Dokumente und Aufstellbilder. Schon der Innenumschlag birgt zwei Broschüren, die den Leser über die Antarktis-Forschung von 1820 (Entdeckung) bis 1901 (Discovery-Expedition) und über die am Südpol lauernden Gefahren aufklären.

Die Nationale Antarktis-Expedition, die die „Discovery“ einsetzt, wird im Hafen verabschiedet. Robert F. Scott nimmt den erst 27-jährigen Ernest Shackleton mit. Ein Büchlein beschreibt den Veranstalter und die zwei Expeditionsleiter.

Die „Discovery“ in der Antarktis: erstes Aufstellbild. Es zeigt einen riesigen Eisberg mit Pinguinen, davor Robben, gesehen von Bord aus.

1907 sticht Shackleton mit der „Nimrod“ auf seiner ersten eigenen Expedition in See. Die Expedition erreicht als Erste den magnetischen Südpol, man besteigt den Vulkan Mt. Erebus. Zu diesem Vulkan gibt es ein sehr schönes Ausziehbild. Zieht man an der seitlichen Lasche, enthüllt man einen eruptierenden Vulkan!

Für diesen Triumph schlägt der König den Forscher zum Ritter. Shackleton schreibt sein erstes Werk. Dies spornt Robert F. Scott an, es ein zweites Mal zu wagen. Im Winter 1911 legt er die Depots an, die ihn zum geographischen Südpol führen sollen. Erste Fotos von dieser Unternehmung sowie ein Telegramm aus Melbourne.

Der Zweikampf mit Roald Amundsen beginnt, der schon seit Anfang 1911 vor Ort ist. Wie bekannt, siegt Amundsen in diesem Wettlauf, und Scott, sowie seine Begleiter verhungern und erfrieren im Eis. Hier gibt es das zweite Aufstellbild: ein Schlittenhundegespann der Norweger.

Shackletons dritte Expedition beginnt am 5.12.1914: das Abenteuer mit der „Endurance“, trotz des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Ziel ist die erste Durchquerung des Südkontinents mit Passieren des geographischen Südpols. Es soll anders kommen!

Schon bald ist die ENDURANCE vom Packeis eingeschlossen, die Vorräte gehen zur Neige, und die Forscher müssen jagen gehen. Fotograf Frank Hurley beginnt seine einzigartigen Aufnahmen zu machen, die seinen Ruhm und den Shackletons begründen werden. Schon bald muss die Besatzung das Schiff verlassen, weil es zerquetscht wird.

|“Leben auf dem Treibeis“|: Die Besatzung hat sich auf dem Treibeis ein Camp geschaffen, in dem es sich überleben lässt. Aber nicht für immer. Deshalb fällt der Beschluss, dass die Schiffbrüchigen zur Elefanteninsel aufbrechen. Auch hier gibt es ein Ausziehbild. Zieht man an der seitlichen Lasche, kann man ein Boot fahren lassen.

|“Ein verwegener Plan“|: Nach 497 Tagen im Eis erreichen die Männer erstmals wieder Land! Sie fallen auf die Knie und küssen den kalten Kies. Doch hier kann nicht das Ende der Expedition sein, oder? Neun, Shackleton und seine besten Männer wollen weiter, um ein rettendes Schiff zu Hilfe zu holen. Aber nicht irgendwo, sondern 1300 Kilometer entfernt auf Süd-Georgien. Dort gibt es die Walfängerstation Stromness. 1300 Kilometer durch die rauheste See der Welt – in einer sieben Meter langen Nussschale! Am 16. April 1916 erklärt der Leiter seinen Entschluss, wenige Tage später sticht er in See. Ein Himmelfahrtskommando?

|“Eine mutige Mission“|: Am 2. Mai 1916 erwischt eine gigantische Riesenwelle – siehe das dritte Aufstellbild – das Langboot, das um ein Haar kentert und untergeht. Wie durch ein Wunder überleben alle und können weitersegeln. 30 km vor dem Ziel gerät die „James Caird“ in einen Hurrikan, der das Boot neun Stunden lang beutelt. Mit der Landung sind 16 Tage Todeskampf zu Ende. Am 10. Mai gibt es in einer Höhle Möweneintopf.

Aber sie sind am falschen Ende von Süd-Georgien gelandet und müssen die Insel überqueren. In einem gewagt konstruierten Schlitten aus dicken Seilen (!) schlittern Shackleton, Worsley und Crean die Gletscherhänge hinunter – siehe die Karte in einer Einstecktasche. An Schlaf ist drei tage lang nicht zu denken. Am 29. Mai hören sie die Dampfpfeife eines Schiffes. Endlich in Stromness, endlich am Ziel!

Doch Shackleton, dessen Haar vor Sorge schon grau wird, sorgt sich um seine Leute auf der Elefanteninsel. Nach Verhandlungen mit der Regierung in Chile fährt er mit dem Dampfer „Yelcho“ zur Elefanteninsel, die er am 30. August 1916 erreicht. Dort haben alle 22 Mann die fünf Monate als Schiffbrüchige überlebt.

|Hinterer Innenumschlag|: Karte der Antarktis mit eingebauter Drehscheibe. Dreht man daran, werden im Ausschnitt mehrere Expeditionsangaben sichtbar, inklusive Fotos des jeweiligen Leiters. Die gegenüberliegende Seite berichtet von Entdeckungen für die Wissenschaft und vom Tod Shackletons, der bei den Vorbereitungen zu einer weiteren Expedition am 5. Januar 1922 verstarb.

_Mein Eindruck_

Die Machart dieses Buches folgt dem von Büchern über Piraten und Legenden wie Bob Dylan oder John Lennon. Es verbindet die visuelle Darstellung mit dokumentarischem Ansatz, der sich in den Faksimiles von alten Dokumenten wie etwa Broschüren oder Fotoalben zeigt. Auf diese Weise wird dem jungen Leser Historie nicht nur per Text und Bild vermittelt.

Die Präsentation der Geschichte der Antarktis-Expeditionen verläuft vom Allgemeinen zum Besonderen, das heißt von der Naturbeschreibung über die Ausrüstung und Anfänge der Erforschung bis hin zu den drei Expeditionen, auf die es ankommt: Erst Scott und Shackleton zusammen auf der „Discovery“, dann Shackleton auf der „Nimrod“, darauf 1912/13 Scott vs. Amundsen, schließlich Shackleton auf der „Endurance“.

Das Übergewicht, das auf der Darstellung Shackletons liegt, setzt sich auch in der zweiten Buchhälfte fort. Woher die Dominanz dieses Forschers rührt, wird nicht begründet. Vielleicht lag der Autorin entsprechend viel Material vor. Oder Shackleton eignet sich als Held weitaus besser als Robert Falcon Scott, der in der Antarktis ums Leben kam, weil er der Technik zu sehr vertraute.

Wie auch immer, an Dramatik ist die Expedition der „Endurance“ nicht mehr zu überbieten, und die Darstellung unternimmt alles, um dieses Drama in Szene zu setzen. (Es wurde inzwischen erfolgreich mit Kenneth Brannagh als Shackleton verfilmt.) Die Aufstellbilder verstärken für den jungen Leser noch die Dimension der Gefahren: die Riesenwelle etwa. Auch die Wunder des sechsten Kontinents werden sichtbar, so etwa ein Vulkan wie der Mt. Erebus.

Aufgrund der Dokumente, die es zu öffnen, und der Aufstellbilder, die es aufzuklappen gibt, wird der junge Leser selbst zum Entdecker. Und das ist genau die Aufgabe dieses Buches: Lernen durch Entdecken. Die Unterhaltung kommt durch das Drama und die Spannung ebenfalls nicht zu kurz.

_Die Übersetzung _

In Shackletons Todesmeldung auf der letzten Innenseite verbirgt sich der einzige Datenfehler, den ich im Buch entdecken konnte: Wenn Shackleton im September 1921 mit der QUEST aufbricht, wieso stirbt er dann im „Januar 1920“? Ist er ein Zeitreisender? Mitnichten. Es handelt sich einfach um einen doofen Tippfehler in der Bildunterschrift. Nobody’s perfect.

_Unterm Strich_

Der junge Leser, dem dieses schöne Buch geschenkt wird, kann hierin vieles entdecken und beim Entdecken zugleich lernen, wie die Bedingungen in der Antarktis sind und welche Expedition sie überwunden hat. Die Helden tragen leider nur englische Namen wie Shackleton und Scott, denn der Norweger Roald Amundsen, der den geographischen Südpol zuerst erreichte, wie nur am Rande erwähnt. Offenbar ist er kein Heldenmaterial, ebenso wenig wie Scott.

Deshalb widmet das Buch dem siegreichen Forscher Shackleton die ganze zweite Hälfte. Die Geschichte von der ums Haar scheiternden Fahrt der „Endurance“ bestens fotografiert von Frank Hurley, ist denn auch ein exemplarischer Triumph des Menschen, seiner Willenskraft und Opferbereitschaft. Wer könnte ein größerer Held sein, scheint das Buch zu fragen.

Durch Aufstellbilder, doppelseitige Gemälde und Faksimiles alter Dokumente wirkt das Buch sowohl visuell als auch haptisch. Entdeckungen lassen sich mit Laschen von Einsteckbildern machen, so etwa vom Vulkan Mt. Erebus. Allerdings bleibt die Dokumentation im historischen Bereich und geht nicht auf die Moderne ein, die ja völlig unromantisch zu sein scheint.

|Hardcover: 30 Seiten
Originaltitel: The Search for the South Pole (2009)
Aus dem Australischen Englisch von Cornelia Panzacchi
ISBN-13: 978-3-570-13811-3|
[www.randomhouse.de/cbjugendbuch]http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch

Meyer, Kai – Sieben Siegel 08: Teuflisches Halloween

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

_Die vier Level: Showdown mit dem Schulmeister _

Es ist der 31. Oktober. Ganz Giebelstein feiert Halloween. Bis das Licht ausgeht in der alten Schule – und ein unheimlicher Besucher durch die schwarzen Gänge des Gebäudes streift. Er ist auf der Suche nach Schülern. Denn er ist ihr Direktor – auch wenn er seit vielen Jahren tot ist …

Kyra, Lisa, Nils und Chris ahnen nichts Böses, als sie Nils‘ Monstermasken aus der Schule holen wollen. Doch plötzlich verschwindet Lisa vor den Augen der anderen. Und ein schrecklicher Albtraum nimmt seinen Lauf … (abgewandelte Verlagsinfo)

Dieser achte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u.a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

|Die vier Freunde:|

1) Kyra Rabenson ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

2) Lisa Morgenthal ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

3) Nils Morgenthal, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

4) Chris (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht, soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

|PROLOG|

Es ist der 31. Oktober, und nicht nur in Giebelstein selbst, sondern auch an der alten Schlossschule feiert man Halloween auf möglichst gruselige Weise. Es ist schon spät, doch der Schüler Toby hat noch Wachdienst in den Gängen des Altbaus, der schon lange von einem Neubau abgelöst worden ist. Die Mumien und PSYCHO-Duschkabinen sind alle verlassen, draußen im Hof spielt eine Heavy-Metal-Band.

Auf einmal fegt ein Windstoß durch die dunklen Gänge. Toby folgt ihm in das Zimmer, in dem Mrs. Bates, die Mutter des PSYCHO-Schlitzers Norman Bates, in einem Lehnstuhl sitzen soll – eigentlich nur tagsüber, dargestellt von einer grässlich fauchenden Schülerin. Doch jetzt sollte der Stuhl leer sein. Doch darin sitzt ein Mann! Er steht auf und stellt sich als Tobys Direktor vor. Die Tür fällt zu, und er ist eingesperrt. Der Mann behauptet, Toby müsse bestraft werden, weil er einem Mädchen nachgehechelt habe. Der Stock des „Direktors“ saust auf Toby hernieder – und der Junge sieht sich in eine Albtraumwelt versetzt: endlose Reihe von Schulbänken und eine endlose Tafel. „Schreib: Ich bin ein böser Junge“, fordert der Direktor …

|Haupthandlung|

Lisa, Kyra, Nils schauen zu, wie Chris eine beeindruckende Show als Zauberer gibt, und die versammelten Schüler der Schloss-Schule applaudieren ebenfalls begeistert. Lisa holt ihren Schwarm Chris hinter der Bühne ab, dann gehen sie los, um sich um Nils‘ Monstermasken zu kümmern, die noch in der Ausstellung sein müssen. Bei ihrem Gang stoßen sie auf den alten Schulmeister, der schon vor hundert Jahren gestorben sein soll. Er wirkt viel zu lebendig. Und zu allem Überfluss melden sich auch noch ihre magischen Siegel: Er ist definitiv böse!

Auf ihrer Flucht durch den Altbau stoßen sie auf eine Feuertreppe, auf der ein Feuer ihnen entgegenlodert – sehr witzig, finden sie. Es ist nur scheinbar vorhanden. Sie eilen weiter auf der Suche nach einem Ausgang und gelangen in das Hexenhaus, das sehr aufwendig gestaltet ist. Unversehens plumpst Lisa in die Öffnung einer Falltür, und diese schließt sich. Lisa ist gefangen. Sie kann die Rufe der anderen hören, sich aber nicht befreien. Auf einmal sieht sie die gelben Augen des alten Schulmeisters nahen und hört ihn rufen: „Böses Mädchen! Du verdienst Strafe!“ Schon bald endet sie am gleichen Ort wie der bedauernswerte Toby …

Kyra, Nils und Chris suchen weiter im Hexenhaus nach dem Ausgang, als sie auf eine Schülerin stoßen, die sie schon im Hof wegen ihres merkwürdigen Benehmens bemerkt haben. Doch Mara ist die Hüterin aller Zimmerschlüssel und hat somit eine gute Ausrede, sich hier aufzuhalten. Keiner glaubt ihr, denn sie scheint nervös zu sein – und etwas hinter ihrem Rücken zu verbergen. Chris schnappt danach und fördert einen Blumentopf zutage: eine Pflanze.

Aber keine Gewöhnliche, erkennt Kyra, die Tochter einer Hexe. „Es ist eine Alraune!“ Allmählich geht ihr ein Licht auf: Mara hält sich selbst für eine Hexe. Sie erklärt Nils, was es mit der Alraune auf sich hat: Im Mittelalter glaubten die Leute, die Wurzeln von Alraunen könnten lebendig werden und einen Geist aufnehmen, beispielsweise von Gehängten unter dem Galgen. Alles Blödsinn, schon klar. Aber warum trägt dann die Wurzel dieser Alraune ausgerechnet das Gesicht von Kyra?!

_Mein Eindruck_

Das Thema dieses achten Abenteuers ist offensichtlich Halloween, aber auch zwei andere Themen: echte und falsche Hexen sowie natürlich superstrenge Schulleiter.

In der Halloween-Dekoration der Schule bietet es sich geradezu an, dass sie lebendig wird und sich verselbständigt. Das Titelbild deutet es bereits an: Eine Schar von Kürbisköpfen macht sich daran, die beiden Mädchen zu „vernaschen“. Und auch das Ungeheuer aus der schwarzen Lagune setzt unseren Freunden heftig zu, ein Werwolf bricht durch die Mauern – alles recht ungemütlich. Doch welche Kräfte stecken dahinter? Der Schulleiter ist offenbar auch nur eines der Ungeheuer, wenn auch dasjenige, das die meiste Furcht verbreitet.

|Vorsicht, Spoiler!|

Das bringt uns zum Thema der echten und der falschen Hexen. Kyra ist die Tochter einer Hexenjägerin und kennt sich mit Hexenmagie bestens aus. Sie weiß, dass man mit solchen Mächten nicht spaßen darf und dass es leicht mit den bösen Hexen des Arkanums zu tun bekommen kann. Mara hingegen hat von alldem keinen blassen Schimmer, aber mit ihrem Übereifer, eine Hexe werden zu wollen, immensen Schaden angerichtet.

Sie ist auf den Rat einer alten Chronik hereingefallen – geschrieben von der Schwester des gelynchten Schulmeisters – und hat vier Alraunen in verschiedenen Ecken des Schulhauses versteckt. Diese magischen Kraftquellen hat nicht Mara geweckt, sondern Kyra. Daher tragen die Alraunen ja auch ihr Gesicht. Nun geht es darum, diese vier Alraunen zu zerstören. Leichter gesagt als getan, wenn einem die Monster zusetzen!

Wie in einem Jump-and-run-Spiel müssen die dreieinhalb Freunde (inkl. Mara) die vier Alraunen und Kraftquellen beseitigen. Doch das letzte Level ist natürlich das schwierigste. Und wo ist überhaupt Lisa abgeblieben?

|Die Illustrationen|

Wahed Khakdan wurde 1950 in Teheran geboren, verrät die Verlagsinformation am Schluss des Buches. Schon mit zwei Jahren sollen er von Farben und Stiften fasziniert gewesen sein. Nachdem 1984 nach Deutschland gekommen war, betätigte er sich als freiberuflicher Künstler und Illustrator, auch im Kinder- und Jugendbuchbereich.

Seine Professionalität und Erfahrung zeigen sich immer wieder in der Handhabung von Perspektive und „Beleuchtung“, die den schwarzweißen Stiftzeichnungen eine Dynamik und Plastizität verleiht, wie man sonst nur in teueren Comic-Books zu Gesicht bekommt. Pro Kapitel gibt es mindestens eine Zeichnung, sodass das Buch erheblich aufgewertet wird. Die obligatorische doppelte Seite im Innenumschlag wird auch diesmal von einer Ansicht Giebelsteins bestritten.

_Unterm Strich_

Einerseits funktioniert dieses Abenteuer wie schon Folge 6 „Die Nacht der lebenden Scheuchen“, indem nämlich ein Verbrechen, das in der Vergangenheit begangen wurde, in der Gegenwart seine bösen Früchte trägt. Die Träger der Sieben Siegel müssen das wieder zum Leben erwachte Böse erneut in die Finsternis zurückschicken, woher es gerufen wurde. Und zwar durch eine ahnungslose Möchtegernhexe namens Mara.

Damit dies gelingt, sind die Kinder gezwungen, wie in einem alten Spiel vier Level an Gefahren zu bewältigen. Das letzte Level erweist sich natürlich als das schwierigste. Das macht die ganze Sache ja so spannend. Und schließlich müssen sie auch noch die verschwundene Lisa finden. Diese hat sich inzwischen dem ebenfalls entführten Toby angefreundet: In der Not ist man eben zusammen weniger allein.

Insgesamt ist diese Episode unerwartet abwechslungsreich und spannend, mit vielen gruseligen Szenen und einem actionreichen Showdown mit dem Schuldirektor. Und der junge Leser lernt auch gleich, dass es nicht gut ist, sich als Dilettant mit magischen Dingen einzulassen.

|Hardcover: 133 Seiten
ISBN-13: 978-3785536926|
[www.loewe-verlag.de]http://www.loewe-verlag.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Meyer, Kai – Sieben Siegel 09: Tor zwischen den Welten

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

_Mit der Hexe in die Anderswelt: Showdown im Feenreich_

Sie sind betörend schön. Und sie sind Geschöpfe des Bösen. Die Nymphen, die im Schatten der uralten Grabsteine Gestalt annehmen, kennen kein Erbarmen: Sie werden Kyra in die Anderswelt entführen, zu Morgana, der schwarzen Königin des Feenreiches. Doch an Kyras Seite kämpft eine Frau, die der Siegelträgerin wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ihr Name ist Dea, und sie ist eine Hexe … (Verlagsinfo)

Dieser neunte Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u.a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

|Die vier Freunde:|

1) Kyra Rabenson ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

2) Lisa Morgenthal ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

3) Nils Morgenthal, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

4) Chris (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht, soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

Kyra will eigentlich bloß ihren Vater, Prof. Rabenson, besuchen, aber dann erlebt sie doch wesentlich mehr. Er ist an einer Ausgrabung im englischen Tintagel beteiligt, in Cornwall an der Küste Südwestenglands. Hier sollen der Sage nach König Artus und seine böse Schwester Morgana geboren worden sein. Zusammen zeugten sie Mordred, der seinen Vater tötete. Kyra merkt gleich, dass hier Artusland ist: Der ganze Ort ist für Touristen eingerichtet.

Leider hat Daddy gerade keine Zeit, und so folgt Kyra einem Tip seines Assistenten Derek, mal das Hexenmuseum in Boscastle zu besuchen. Dort hat sie eine bemerkenswerte Begegnung. Eine rothaarige Frau erzählt ihr, sie sei etwas Besonderes und erklärt, dass die keltische Anderswelt, von der sie hier ein bemerkenswertes Beispiel gefunden hat, überall um sie herum sei – keineswegs das Jenseits der Christen, sondern eine Parallelwelt, in die man, wie weiland Artus von den neun Feen Morganas, leicht entführt werden könne. Kyra solle auf sich achtgeben.

Die Kassiererin hat die rothaarige Besucherin nicht bemerkt. Merkwürdig. Obwohl es bereits spät, will es Kyra erneut bei Daddy versuchen: Sie will unbedingt herausfinden, was mit ihrer Mutter, der Hexenjägerin, passiert ist. Denn allmählich machen sich in Kyra die gleichen Kräfte bemerkbar. Doch auch diesmal wird Kyra abgewiesen. Auf dem Rückweg ist es dunkel und sie verirrt sich. Auf dem Friedhof sieht sie sich plötzlich umringt von nebelhaften Geistern: Nymphen, wie es scheint. Doch Kyras Siegel brennen: Gefahr!

Kyras Flucht scheitert an einem Bach, und die Nymphen tragen sie durch die Luft zu einem kleinen See im Bodmin-Moor. Dort soll sie offenbar Morgana geopfert werden. Allerdings kommt Kyra eine mächtige Kämpferin zu Hilfe: die rothaarige Hexe aus dem Hexenmuseum. Doch kann dies die schwarze Königin der Feen wirklich aufhalten?

Unterdessen versuchen Kyras drei Freunde zu ihr zu gelangen. Doch der Zug wird auf offener Strecke gestoppt: von Dämonenhunden, die aus keltischen Sagen stammen, wie Nils weiß. Und sie sind viel zu bissig, als dass man sie aus dem Weg scheuchen könnte …

_Mein Eindruck_

Diese Episode in der Reihe präsentiert einen vorläufigen Höhepunkt in Kyras Leben. Endlich begegnet sie jener legendären Frau, die sie bislang nur als Jägerin von abtrünnigen Hexen und von Dämonen kennengelernt hat – ihre Mutter. Sie nennt sich Dea und lebt eigentlich in der Anderswelt. Dadurch verletzt sie nicht das Prinzip des Gleichgewichts, das die Megie kontrolliert: sie selbst in der Anderswelt, aber ihre Tochter in der Realwelt. Folglich sind auch ihre Besuche bei Kyra in Tintagel stets recht kurz. Dennoch ist Kyra sehr glücklich, sie gefunden zu haben.

Doch Dea hat in Morgana eine Gegnerin, die angsteinflößend ist. Die Gebieterin über Nymphen, Trolle und anderes Gesocks wird von Dea bereits seit einem Jahrtausend bekämpft, doch nun soll es zu einer Entscheidungsschlacht kommen. Nach einem Flug auf einem fliegenden Teppich gelangt Kyra mit ihrer Mutter, die einen Mistelzweig als Fluggerät benutzt, zum Dozmary Pool der Anderswelt. Hier erhebt sich die Turmfestung der Zauberin Nimue, die einst Merlin unterrichtete. Diesen Turm belagert Morganas Heer seit Jahrhunderten. Nun bringt die vereinte Hexenkraft von Dea und Kyra die Entscheidung …

Der Leser braucht sich über mangelnde Abwechslung oder Spannung nicht zu beklagen. Das Finale mit der bösen Morgana nimmt eine überraschende Wendung – aber natürlich ein gutes Ende. Und so rettet es auch Kyras drei Freunde, die im Zug festsitzen, von einem Drachen zum Frühstück verspeist zu werden.

|Die Illustrationen|

Wahed Khakdan wurde 1950 in Teheran geboren, verrät, die Verlagsinformation am Schluss des Buches. Schon mit zwei Jahren sollen er von Farben und Stiften fasziniert gewesen sein. Nachdem 1984 nach Deutschland gekommen war, betätigte er sich als freiberuflicher Künstler und Illustrator, auch im Kinder- und Jugendbuchbereich.

Seine Professionalität und Erfahrung zeigen sich immer wieder in der Handhabung von Perspektive und „Beleuchtung“, die den schwarzweißen Stiftzeichnungen eine Dynamik und Plastizität verleiht, wie man sonst nur in teueren Comic-Books zu Gesicht bekommt. Pro Kapitel gibt es mindestens eine Zeichnung, sodass das Buch erheblich aufgewertet wird. Die obligatorische doppelte Seite im Innenumschlag wird diesmal nicht von einer Ansicht Giebelsteins bestritten, sondern von Nimues Turm in der Anderswelt.

_Unterm Strich_

Das Geheimnis, das bislang die ganze Reihe durchzogen hat, ist nun endlich gelüftet: das Schicksal von Kyras Mutter. Kyra hat immer wieder von ihr gelesen und gehört, doch alle Quellen haben hartnäckig die Auskunft verweigert, sei es ihr Vater oder Tante Kassandra oder gar der Stadtarchivar Herr Fleck. Dass ihre Mutter seit einem Jahrtausend in ders Anderswelt lebt und kämpft, hätte sich Kyra nie träumen lassen. Doch nun weiß sie auch, woher ihre eigenen magischen Kräfte stammen. Und bei einem Besuch in der Anderswelt erhält sie Gelegenheit, diese auch nutzbringend einzusetzen.

Dies ist die erste Episode, die sich nur um ein einziges Mitglied der Viererbande dreht. Die drei anderen sitzen im Zug fest und werden belagert. Sehr schön finde ich aber, dass sie ein klein wenig für Abwechslung durch Humor sorgen. Nils und Lisa kabbeln sich ja sowieso ständig, und dass jetzt Lisa mit Toby (aus Band 8) einen neuen Freund hat, hält sie ein wenig auf Abstand zu Chris. Auch dies ist eine neue Entwicklung der Figuren, wie ich sie bereits oben angedeutet habe.

Das Setting dieses Abenteuers ist diesmal die Artus-Legende. Dabei handelt sich keineswegs um eine einzelne Geschichte, sondern um ein ausuferndes Geflecht von Geschichten, die noch heute Stoff für Bearbeitungen bieten. Diesmal treten Morgana, die Feenkönigin, und Nimue auf, aber keiner der Recken der Tafelrunde, was ich persönlich ein wenig schade finde. Nur Artus spielt eine kleine Statistenrolle in der Szene, die im Hexenmuseum spielt. Ich muss sagen, dass die Bearbeitung, die der 2009 verstorbene Robert Holdstock in „Avilion“ (siehe meinen Bericht) geboten hat, mir wesentlich interessanter erscheint.

|Hardcover: 135 Seiten
ISBN-13: 978-3785538272|
[www.loewe-verlag.de]http://www.loewe-verlag.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Meyer, Kai – Sieben Siegel 06: Die Nacht der lebenden Scheuchen

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

_Die Rache der Vergangenheit: Giebelstein ist umzingelt!_

Nur eine Vogelscheuche, denken Kyra, Chris, Lisa und Nils. Nichts als ein Holzstock und ein altes Hemd. Dann aber entdecken sie den Totenschädel auf dem hölzernen Hals der Scheuche. Und plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Mehr und mehr Scheuchen tauchen rund um Giebelstein auf. Reglos, leblos. Und doch scheinen sie näherzukommen. Die Stadt zu belagern. Die Stadt zu bedrohen. Die Freunde müssen ihnen Einhalt gebieten, ehe Schreckliches passiert … (Verlagsinfo)

Dieser sechste Band der elfbändigen Reihe wird vom Verlag ab zehn bis elf Jahren empfohlen. Die Protagonisten sind aber schon zwölf Jahre alt …

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u.a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen.

Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei Loewe erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis CORINE ausgezeichnet. Er lebt am Rande der Eifel.

|Die vier Freunde:|

1) Kyra Rabenson ist 12 Jahre alt, hat rotes Haar wie ihre Tante Kassandra, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter wohnt, und ist die Tochter des bekannten Wissenschaftlers und Bestsellerautoren Professor Rabenson. Sie ist mutig und sehr neugierig.

2) Lisa Morgenthal ist elf Jahre alt, blond und furchtbar verliebt in Chris. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Nils im größten und unheimlichsten Gebäude Giebelsteins, dem alten Hotel Erkerhof, auch genannt Kerkerhof. Sie ist manchmal zurückhaltend und sensibel.

3) Nils Morgenthal, ein Jahr älter, ist ihr Bruder und wohnt ebenfalls im Kerkerhof. Er besitzt einen makaberen Sinn für Humor, sammelt Monstermasken und erzählt mit Vorliebe blutige Schauergeschichten. Zunächst ist er draufgängerisch, aber das ändert sich im Laufe der Ereignisse.

4) Chris (= Chrysostomus Guldenmund) ist 12 Jahre alt und der Sohn eines Diplomaten, hat in sechs verschiedenen Ländern gelebt und spricht fünf Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, ein bisschen Italienisch und schlecht Griechisch. Er ist sportlich, immer schwarz gekleidet, isst gerne alles, was ihm in die Finger kommt, wird aber – zum Ärger der Mädchen – nicht dick davon. Er ist sehr selbstbewusst und risikobereit; in Kyra verknallt, mag aber auch Lisa gern.

Alle Jugendlichen verändern sich durch ihre Abenteuer, aber in welcher Hinsicht, soll hier noch nicht verraten werden.

_Handlung_

Die vier Kinder streifen durch die Umgebung Giebelsteins, als sie auf den alten Schäfer Kropf stoßen. Er berichtet jammernd, dass sein Lieblingsschaf Henrietta tot sei. Aber was das Merkwürdigste daran ist: Gleich daneben steht eine Vogelscheuche. Als die vier Freunde neugierig nachschauen, ob das mit dem Schaf stimmt, stoßen sie auf eine grausige Entdeckung: Das Schaf wurde geradezu durchbohrt – von einer Vogelscheuche? Klingt nicht sehr wahrscheinlich, denn Vogelscheuchen bewegen sich normalerweise nicht. Aber was könnte es sonst gewesen sein?

Als sie sich einmal eine dieser Scheuchen näher anschauen, benutzt Chris, der Mutigste unter ihnen, lieber eine Stange. Der Hut lässt sich leicht genug entfernen, aber die Sackhülle des Kopfes ist schon schwieriger zu heben. Darunter kommt zu ihrem Entsetzen ein Totenschädel zum Vorschein. Das ist nun sicherlich nicht Standardausstattung einer Scheuche, sondern wohl eher eine Spezialanfertigung. Aber wer würde so etwas herstellen? Ihre magischen Siegel beginnen zu prickeln: Diese Scheuche ist dämonischen Ursprungs. Hat sie sich nicht gerade bewegt?

Kyra hat scharfe Augen und erspäht ein weiteres Extra dieses sonderbaren Gebildes: Im Schädel steckt ein Nagel, dessen Kopf ein Muster aufweist. Trickreich fertigt sie mit einem auf Chris’ Stange gesteckten Lehmklumpen eine Kopie dieses Zeichens an – perfekt. Damit eilen sie zu dem einzigen Mann in Giebelstein, der sich intensiv und ausgiebig seit Jahrzehnten mit der Vergangenheit beschäftigt: zu Meister Fleck, dem Archivar des Rathauses.

Umgeben von hohen Bücherstapeln, Regalen voller Papier und in Düsternis getauchten Zugängen zu den Katakomben des Stadtarchivs, erkennt der alte Mann seine jungen Besucher wieder. Sie haben vor einiger Zeit sein Archiv gefunden, als sie sich von einer Lehrveranstaltung ihrer Schule „abseilten“. Freundlich betrachtet er den Lehmklumpen, den sie ihm entgegenhalten. Das eingeprägte Zeichen besteht aus einem Kreis mit einer Sonne in der Mitte. Herr Fleck brummt erst und verkündet dann: „Das Zeichen des Schwarzen Todes.“

Die vier Freunde schnappen erschrocken nach Luft. Meint Fleck etwa die Pest? Ganz genau. Sie wütete im 14. Jahrhundert in ganz Europa, forderte Millionen Opfer und verschonte offenbar auch Giebelstein nicht. Nachdem er eines seiner vielen Bücher konsultiert hat, erzählt Herr Fleck, dass die Nägel den bösen Geist der Krankheit, für die man keine Erklärung hatte, bannen sollte. Ein gewisser Medicus namens Boralus half den Giebelsteiner bei der Bekämpfung der Seuche, offenbar erfolgreich. Allerdings ließ man die Opfer nicht wie üblich verbrennen, sondern in einem Massengrab im Wald verscharren. Chris hält es für möglich, dass dieser Boralus, der zugleich mit der Seuche auftauchte, gar kein Medicus war, sondern ein Dämon. Was, wenn er irgendwo überdauert hat?

Auf einer uralten Karte aus dem 15. Jahrhundert zeigt ihnen der Archivar genau die Stelle, wo das mittelalterliche Massengrab liegt. Und ja, ganz in der Nähe liegt der Hof des Einödbauern Samuel Wolf. Den sollten sie sich vielleicht mal näher anschauen, rät Fleck. Er werde unterdessen mehr über die Vogelscheuchen und ihre Bekämpfung nachlesen. Denn sie haben ihm berichtet, dass sie inzwischen Dutzende davon rings um die Stadt gesehen hätten.

Das alte Massengrab ist mitten im Wald gar nicht so leicht zu finden. Doch dann stoßen sie auf die drei Meter tiefen Gräben, gefüllt mit Gebeinen. Sie schauen mit prickelnden Siegeln nach, was das Geheimnis dieses Ortes ist – und geraten in einen Hinterhalt der Scheuchen. Unterdessen erhält auch Herr Fleck in seinen Katakomben unerwünschten Besuch …

_Mein Eindruck_

Dieser tiefgründige Gruselthriller beginnt wie alle solche Geschichte relativ harmlos: mit einem jammernden Schäfer und einem getöteten Schaf. Dass der Verdacht auf die in der Nähe lauernde Vogelscheuche fallen soll, liegt nun aber nicht gerade nahe, schließlich sind solche Holzgestelle nicht gerade für ihre affenartige Beweglichkeit bekannt. Dennoch weist die Scheuche drei gruselige Details auf, die zu tieferen Nachforschungen einladen: Sie bewegt sich doch; ihr Kopf besteht aus einem Totenschädel; und drittens steckt in diesem Schädel ein höchst seltsamer Nagel.

|Detektive unterwegs|

Wie auf dem Krümelpfad von Hänsel und Gretel bewegen sich die vier Freunde mit prickelnden Siegeln in jene Vergangenheit zurück, aus der dieser Nagel stammt. Dabei folgt die Geschichte dem Muster des Detektivromans. Auch der erste Verdächtige kristallisiert sich heraus: Boralus. Leider lässt er sich nach all den Jahrhunderten nicht mehr ins Kreuzverhör nehmen. Oder doch?

|Die Sünden der Vergangenheit|

Wie es scheint, hat der zwielichtige Medicus aus der Pestzeit in irgendeiner Form überlebt, und dabei hat Kyras ruhmreiche Hexenmutter ihre Finger im Spiel gehabt. Es ist bemerkenswert, wie stark sich die Fähigkeiten und Kenntnisse dieser Mutter in ihrer Tochter manifestieren. So etwas kennt man vor allem aus den „Wüstenplanet“-Romanen Frank Herbert, in denen die Hauptfiguren immer wieder von genetisch weitergegebenen Erinnerungen heimgesucht werden. Aber auch in dem einen oder anderen Horror-Roman soll so etwas schon vorgekommen sein, denn dieses Genre dient dazu, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen. Durch Sühne oder Vergeltung wird Gerechtigkeit herbeigeführt. Falls es dies gibt.

Das Unrecht, das es zu sühnen gilt, besteht nun in dem Verbrechen des Boralus an der Bevölkerung von Giebelstein: Er führte offenbar die Pest ein, ums ich dann als Heiler und retter aufspielen zu können. Eines der Mittel, um mit dem „Übel“ fertigzuwerden, bestand, nach Angaben des Archivars Flecks, darin, den Toten einen Nagel in den Schädel zu hauen, damit „das Böse“, also die Krankheit, darin gebannt bleiben möge. Purer Aberglaube, gewiss, aber magischer Aberglaube, der nun wiedekehrt und sich gegen die Stadt zu kehren scheint. Giebelstein ist von Vogelscheuchen umzingelt …

|Showdown|

„Das ist nicht tot, was ewig liegt“, heißt es bei H.P. Lovecraft immer wieder in den Romanen seines Cthulhu-Mythos. Und so verhält es sich auch in den „Sieben Siegel“-Romanen Kai Meyers, ganz besonders in dem vorliegenden Band. Doch gegen jedes Übel ist ein Kraut gewachsen, und sobald Herr Fleck es schafft, den Kindern dieses Geheimnis zu übermitteln, ist die Katastrophe ausgestanden. Doch bis ihm dies mit Tante Kassandras Hilfe gelingt – er braucht ja einen fahrbaren Untersatz – müssen sich die vier Freunde wacker gegen eine ganze Armee von Feinden zur Wehr setzen. Und nicht alle sind aus Holz und Fetzen …

|Die Illustrationen|

Wahed Khakdan wurde 1950 in Teheran geboren, verrät, die Verlagsinformation am Schluss des Buches. Schon mit zwei Jahren sollen er von Farben und Stiften fasziniert gewesen sein. Nachdem 1984 nach Deutschland gekommen war, betätigte er sich als freiberuflicher Künstler und Illustrator, auch im Kinder- und Jugendbuchbereich.

Seine Professionalität und Erfahrung zeigen sich immer wieder in der Handhabung von Perspektive und „Beleuchtung“, die den schwarzweißen Stiftzeichnungen eine Dynamik und Plastizität verleiht, wie man sonst nur in teueren Comic-Books zu Gesicht bekommt. Pro Kapitel gibt es mindestens eine Zeichnung, sodass das Buch erheblich aufgewertet wird.

_Unterm Strich_

Auch diese Episode der magischen Abenteuer um die vier Freunde von Giebelstein hat mir wieder ausnehmend gut gefallen. Natürlich gehorcht die Geschichte der Regel des Gruselromans, ist aber wesentlich unheimlicher als etwa ein Harry-Schotter-Roman. Dort kommen ja auch immer hilfreiche Freunde vor, aber auch Gegner, die einen vorzeitigen Sieg des Helden oftmals verhindern. So auch bei Kai Mayer, wo sich die Geschwister Lisa und Nils ständig in den Haaren liegen. Nur Chris und Kyra scheinen konstruktive Vorschläge vorzubringen, die dann von den Geschwistern beifällig begrüßt oder angeekelt abgelehnt werden. Das macht die Geschichte aber auch in menschlicher und emotionaler Hinsicht befriedigender, als bei einer reinen Detektivgeschichte.

Vorkenntnisse braucht der Leser nur wenige mitzubringen. Der Erzähler verweist natürlich auf die Herkunft der sieben Siegel und welche Taten die vier Kinder bislang vollbracht haben. Aber das wars dann auch schon. Hexen werden nur am Rande erwähnt. Das soll sich aber im nächsten Band gründlich ändern, der den Titel „Dämonen der Tiefe“ trägt.

|Hardcover: 139 Seiten
ISBN-13: 978-3785535998|
[www.loewe-verlag.de]http://www.loewe-verlag.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

Kai Meyer – Dämonen der Tiefe (Sieben Siegel 7)

„Die Sieben Siegel“

„Die Sieben Siegel“:
01 „Die Rückkehr des Hexenmeisters
02 „Der schwarze Storch
03 „Die Katakomben des Damiano
04 „Der Dornenmann
05 „Schattenengel
06 „Die Nacht der lebenden Scheuchen
07 „Dämonen der Tiefe
08 „Teuflisches Halloween
09 „Tor zwischen den Welten
10 „Mondwanderer

SONDERBAND: Jenseits des Jahrtausends: Die Sieben-Siegel-Saga (Gebundene Ausgabe)

Alle zehn Bände sind ursprünglich im |Loewe|-Verlag erschienen, doch die ersten fünf Bände gibt es in einer preiswerten Taschenbuch-Ausgabe im CBT-Verlag von Bertelsmann sowie als Hörbücher.

Mehr von Kai Meyer auf Buchwurm.info:

Interview mit Kai Meyer
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
„Dschinnland“ (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
„Wunschkrieg“ (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
„Wunschkrieg“ (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
„Die Wellenläufer“ (Hörbuch)
„Die Muschelmagier“ (Hörbuch)
„Die Wasserweber“ (Hörbuch)
„Der Brennende Schatten“ (Hörspiel)
„Die Vatikan-Verschwörung“ (Hörspiel)
„Frostfeuer“ (Hörbuch)
„Die Alchimistin“
„Das Haus des Daedalus“
„Der Schattenesser“
„Die Fließende Königin“
„Das Buch von Eden“ (Hörbuch)
„Das Buch von Eden“
„Der Rattenzauber“
„Faustus“
„Seide und Schwert“ (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
„Lanze und Licht“ (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
„Drache und Diamant“ (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ (Graphic Novel)

Die Alchimistin – Das Hörspiel:
1) „Der Stein der Weisen“
2) „Das Erbe des Gilgamesch“
3) „Die Katakomben von Wien“
4) „Das Kloster im Kaukasus“
5) „Die Unsterbliche“
6) „Die Schwarze Isis“
7) „Der Schatz der Templer“
8) „Der Alte vom Berge“

Kai Meyer – Dämonen der Tiefe (Sieben Siegel 7) weiterlesen

Eschbach, Andreas – Black*Out

_Spannende Zukunftsvision: Warnung vor dem Upgrade!_

Christopher Kidd ist auf der Flucht. Nicht vor dem FBI, sondern vor den Upgradern. Sie wollen ihn zu einem der Ihren machen: per Chip aufgerüstet, um übers Internet von Gehirn zu Gehirn zu kommunizieren. Aber sie dürfen sein Geheimnis nicht finden. Er schlägt sich zu der Untergrundgruppe von Jeremiah Jones durch, dem von den Upgradern zum Terroristen erklärten Kulturkritiker. Nur im Untergrund hat Chris die Chance, gegen die sich ausbreitende Upgrader-Organisation etwas zu unternehmen. Sollte er scheitern, wird keiner mehr allein sein – aber auch niemand mehr lachen …

_Handlung_

(Hinweis: Die Geschichte wird keineswegs chronologisch erzählt, sondern mit vielen Rückblenden. Mein Handlungsabriss ist lediglich eine Annäherung.)

Der weltbeste Computerhacker Christopher Kidd ist ein 17-jähriger Junge aus Deutschland, der weltweit als „Computer Kid“ berüchtigt ist. Gerade befindet er sich in den USA auf der Flucht. Seine Begleiter sind die Kinder des Mannes, dem er sich anschließen möchte. Der Vater von Kyle und Serenity Jones, Jeremiah Jones, war bis vor Kurzem ein unbescholtener Architekturprofessor und Kulturkritiker, bis ihn das FBI zum Terroristen erklärte und zu jagen anfing. Er soll an der Ostküste ein Rechenzentrum in die Luft gejagt haben.

Ob solch ein Mann wohl die passende Gesellschaft für einen Hacker darstellt? Doch Christopher bleibt keine Wahl mehr, denn er wird nicht vom FBI gejagt, sondern von etwas viel Schlimmerem: von den Upgradern. Diese weltweite Organisation hat auch Christopher einen Chip eingepflanzt, mit dessen Hilfe er von Gehirn zu Gehirn kommunizieren könnte. Sein Bewusstsein wäre so Teil einer weltumspannenden Superwesenheit, in der keiner mehr allein ist und jeder alles weiß, weil er auf alle öffentlichen und geknackten Datenbestände der weltweiten Datensysteme Zugriff hat. Niemand verirrt sich mehr, jeder weiß, wo die anderen sind. Alle außer Christopher. Denn er hat seinen Chip deaktiviert. Als einziger Upgrader der Welt. Abtrünnig! Klar, dass die Upgrader ihn wieder in ihre Reihen aufnehmen wollen, koste es, was es wolle.

„Doch wie konnte es dazu kommen?“, fragen ihn Kyle und Serenity auf einer Landstraße in Nevada. Bislang lebten sie friedlich in der Bay Area von San Francisco, sie als Oberschülerin kurz vorm Abitur und Kyle als Student der Umweltbiologie. „Das ist eine lange Geschichte“, warnt sie Christopher. Aber das macht nichts, denn sie haben Zeit. Glauben sie.

|Die Vergangenheit|

Christopher ist als Sohnes eines englischen Softwareentwicklers und einer deutschen Investmentbankerin in Frankfurt/Main aufgewachsen. Sein Großvater stellte Prothesen von menschlichen Gliedern her und seine Oma war bis zu ihrer Erblindung Kunstmalerin. Chris konnte schon mit fünf Jahren lesen und mit acht sein erstes Programm schreiben. Kein Wunder, dass ihm die Schule stets langweilig vorkam. Schon bald knackte er Passwörter und Systemzugänge – nur nicht in der Bank seiner Mutter.

Richtig illegal wurde seine Tätigkeit jedoch erst, als seine Mutter mit dem Banksystem einen Bedienungsfehler machte, der die gesamte Familie aufgrund ihrer persönlichen Haftung ruinieren würde – um Punkt Mitternacht. Der Ausweg bestand in Christophers Hilfe. Leider konnte er die Ausführung dieser Investment-Order nicht mehr rückgängig machen, denn sonst hätten alle anderen beteiligten Systeme die Manipulation bemerkt.

Doch mit 13 denkt Christopher schon seit Langem in größeren Zusammenhängen, in Systemen. Das einzige System, das seine Familie noch vor dem Ruin bewahren kann, ist die Welt. Das Programm, das auf jedes Konto der Welt den Betrag von 1 Milliarde (hier Währung einsetzen) überweist, ist kurz und knackig – die Folgen seiner Ausführung jedoch gigantisch. Was Chris vorausgesehen hat, tritt ein: Um die Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, müssen die Regierungen alle Systeme vor den Tag X zurückdrehen. Voilà! Natürlich kam die Sache raus, und Mama verlor ihren Job.

Die Familie zog nach England, wo sein Vater begann, Prothesen und Programme zu verbinden. Im Projekt von Dr. Stephen Connery sollte eine Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und einer Maschine (Prothese mit Software) entwickelt werden. Allerdings machte sich der Mitarbeiter Linus Meaney mit den Forschungsergebnissen selbständig und entwickelte den Upgrader-Chip. Bei einem denkwürdigen Besuch, zu dem Linus die Familie von Christopher nach Singapur einlud, demonstrierte er die Gehirn-Gehirn-Kommunikation mit seiner Frau Ayumi: Die beiden sprachen im Chor! Christopher und seinem Vater lief es kalt den Rücken runter. Klammheimlich setzten sich die Kids noch in der gleichen Nacht ab.

Doch den Upgradern entkommt man nicht so leicht. Sie erwischten seinen Vater, dann seine Mutter. Und als sie auch noch Christopher den Chip verpassten, durfte er sich erst nicht anmerken lassen, dass er die Fähigkeit hat, den Chip abzuschalten. Aber er bereitete seine Flucht vor – und landete erst in Mexiko, dann in Kalifornien, bis er auf Kyle und die süße Serenity traf.

|Verfolgt|

Als das Trio in Nevada mal eine Rast an einer Tankstelle einlegt, verrät sich Christopher aus Versehen, indem er mit seiner Fingerspitze einen Sensor berührt. Sofort wird die Information über die Datennetze an den nächsten Upgrader weitergeleitet, der Alarm auslöst. Chris ahnt, was los ist und will schnellstmöglich verduften. Zu spät! Hinter ihnen tauchen vier Hubschrauber auf, die sie auf der Straße verfolgen. Und sie stellen sich keineswegs als harmlose Übungsflieger heraus. Sie beginnen, mit Bordkanonen auf Kyles Geländewagen zu feuern.

Doch als die Ausweichmanöver nichts mehr nützen und Kyle stoppen muss, weiß Christopher noch ein letztes Mittel, um sein Leben und das seiner Freunde zu retten. Er muss sich der „Kohärenz“ stellen, dem weltweiten Verbund aus Gehirnen und Datensystemen. Doch die Gefahr, dass die Kohärenz sein Bewusstsein überwältigt und wieder in sich aufsaugt, ist immens …

_Mein Eindruck_

Ich habe das Buch an nur einem Nachmittag und Abend gelesen. Es ist spannend bis zum Schluss, abwechslungsreich, raffiniert erzählt und enthält sogar Romantik, etwas, das man bislang bei Eschbach etwas vermisst hat. Außerdem entwirft er eine Welt, die wirklich furchteinflößend ist: Wenn alle vernetzt sind und keiner mehr allein, dann sind alle gleichgeschaltet und so etwas wie Gefühle gar nicht mehr nötig. Denn alle müssen bloß noch funktionieren wie Rädchen in einem Getriebe.

Welche Folgen dies haben könnte, erkennt Christopher, der Hacker, der nie mit anderen Menschen als seinen Eltern und Großeltern zusammenlebte, bei der entscheidenden Besprechung mit Jeremiah Jones. (Die Namensähnlichkeit zu „Jeremiah Johnson“, dem Trapper aus dem Film, ist sicher gewollt.) Denn Christopher muss erst noch erkennen, welchen Wert zwischenmenschliche Gefühle haben. Erst als ihm Serenity Jones sagt, dass sie auf gar keinen Fall gleichgeschaltet werden möchte, um ein Upgrader zu werden, wird ihm klar, dass sie ihm bereits zuviel bedeutet, um sie an die Upgrader zu verlieren. Er hat sich verliebt. Und Serenity hat auch eine Menge für ihn übrig – wenn er sie nur etwas mehr beachten würde!

|Cyberspace|

Selbst Leser, die sich nur wenig mit Computern und dem Internet auskennen, dürften durch Eschbachs Erklärungen wenig Mühe haben, den Darlegungen Christophers zu folgen. Die Ideen aus den achtziger Jahren, als SF-Autoren und Designer von der Zusammenschaltung des Gehirns mit der Maschine träumten (und diese Forschung wird bis heute im Medizinbereich vorangetrieben, um bei Prothesen und Locked-in-Syndrom zu helfen), kommen in „Black*Out“ wieder zum Tragen – der sogenannte „Cyberspace“ ist Realität: Der menschliche Geist taucht ein ins Datenmeer.

Und mehr als einmal musste ich bei Christophers Hackereskapaden an William Gibsons bedeutende Hackererzählung „Chrom brennt“ (in der Sammlung „Cyberspace“ und anderswo) denken. Scheinbar mühelos durchbricht der Hacker die Schutzvorrichtungen selbst der gehärtetsten FBI – und NSA-Rechner. Doch eine Glossar-Erläuterung oder Fußnote, was unter einer solchen „brute force“-Attacke zu verstehen ist, sucht man vergeblich. Dabei ist dieser Punkt für den Showdown mit den Upgradern von entscheidender Bedeutung.

|Vorsicht, Spoiler!|

Überhaupt der Showdown. War schon die anfängliche Erzählstruktur der ersten Hälfte ziemlich raffiniert, so ist es das Finale erst recht. Hin und her hüpft die Perspektive, bis der Leser reichlich irregeführt ist und nicht erkennt, was in Wahrheit passiert. Nicht der bis ins letzte Detail eingeübte Plan Christophers wird hier in die Tat umgesetzt, sondern etwas völlig anderes: Christopher hat seinen Vater, einen Upgrader, hierher nach San Francisco gelockt, um ihn mit der Hilfe von Jones’ Männern vom Chip zu befreien. Deshalb war ihm auch der Punkt, dass ein Medomobil, ein fahrbarer Operationsraum, mit von der Partie ist, so wichtig. Bevor die Upgrader es verhindern können, ist Daddys Chip bereits entfernt. Aber wird sich sein Geist von dieser Tortur erholen? Das ist die bange Frage.

(Ende Spoiler)

|Widerstandskampf|

In einer gewissen Weise ist dieses Buch für Eschbachs Sohn geschrieben (ich werde seinen Namen nicht verraten). Schon mit acht oder neun Jahren programmierte dieser kluge Bursche an heimischen PC mit BASIC und anderen Sprachen, wie ich bei Besuchen mitbekam. So verwunderte es mich nicht, dass er später Informatik studierte und heute Computerwissenschaftler ist – schließlich war auch sein Vater Softwareprogrammierer und hatte seine eigene Firma.

Das legt die Vermutung nahe, dass der Roman eine Zukunft für Eschbachs Sohn ebenso entwirft wie eine erschreckende Fehlentwicklung, gegen die der Sohn ankämpfen muss. Wer jetzt an Paul Muad’dib Atreides denkt, liegt nicht völlig verkehrt, andererseits gibt es unzählige Geschichten über junge Männer, die in den Widerstand gehen, um den Tyrannen zu stürzen.

Worauf es jedoch bei der Guerilla ankommt, ist das Ziel und sind die Mittel. Das Ziel besteht löblicherweise darin, zu verhindern, dass ein geliebter Mensch wie Serenity gleichgeschaltet und in die „Kohärenz“ absorbiert wird. Wer dabei an Stephen Baxters „Kinder der Zukunft“ denkt, liegt nicht ganz daneben. Und welchen besseren Grund als die treue Liebe könnte ein junger Mann brauchen?

Die Mittel des Kampfes sollten natürlich über jeden Zweifel erhaben sein. Dass sich die Jones-Leute, bislang unschuldig, aber als Terroristen verleumdet, einfach so mit Sprengstoff anfreunden und diesen auch einsetzen, finde ich dubios. Aber die Praxis sieht dann doch besser aus: Der Sprengstoff soll nur Tür und Tor öffnen, damit Christopher befreit werden kann. Denn natürlich haben die Upgrader ihm eine Falle gestellt. Sie sind mit ihren Millionen Recheneinheiten, vulgo: Humanressourcen, viel zu schnell im Denken, um seinen Plan nicht vorausgesehen zu haben.

Wie die Sache für Christopher ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Aber der Text verrät uns, dass es eine Fortsetzung geben wird.

|Schwächen des Textes|

Ein Satz auf Seite 75 bereitete mir Kopfzerbrechen: „Man konnte förmlich hören, wie er sich wandte.“ Das er gibt erst dann einen Sinn, wenn es „wand“ statt „wandte“ heißt. Der Sprecher windet sich nämlich statt sich abzuwenden.

Seite 355: „Serenity, Senior-Schülerin kurz vor dem Anschluss“. Es sollte natürlich „Abschluss“ heißen.

Seite 445: Christophers Dad soll seinen Sohn in San Francisco treffen, doch an dieser Stelle fliegt er zuerst nach Los Angeles. Sinnvoll oder Fehler, ist die Frage. Sinnvoll ist der Umweg nur dann, wenn Daddy keinen Direktflug nach Frisco bekommen hat und den Umweg über L.A. nehmen musste. Kann man also gelten lassen.

_Der Autor_

Andreas Eschbach, Jahrgang 1959, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, bevor er als Software-Entwickler und Berater arbeitete. Schon als Junge schrieb er seine eigenen Perry-Rhodan-Stories, bevor er mit „Die Haarteppichknüpfer“ 1984 seine erste Zeitschriftenveröffentlichung landen konnte.

Danach dauerte es noch elf Jahre bis zur Romanfassung von „Die Haarteppichknüpfer“, danach folgten der Actionthriller „Solarstation“ und der Megaseller „Das Jesus Video“, der mit dem renommierten Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschsprachigen Sciencefiction-Roman des Jahres 1998 ausgezeichnet und fürs Fernsehen verfilmt wurde.

Seitdem sind die Romane „Eine Billion Dollar“, „Perfect Copy“, „Exponentialdrift“, „Die seltene Gabe“, „Das Marsprojekt 1-5“ sowie „Der Letzte seiner Art“ erschienen, einige davon zudem als Hörbuch. Auch das Sachbuch „Das Buch der Zukunft“ gehört zu seinen Publikationen. Eschbach hat mehrere Anthologien herausgegeben und eine Reihe von literarischen Auszeichnungen erhalten. Heute lebt mit seiner Familie als freier Schriftsteller in der Bretagne.

_Unterm Strich_

Dieser Roman ist spannend bis zur letzten Seite, zeichnet ein Schreckensszenario und spendet doch Hoffnung – eben ein typischer Eschbach für die junge Generation. Wie schon beim fünfteiligen „Mars-Projekt“ finden sich hier Jugendliche angesprochen, nicht mit Pappkameraden, sondern mit Jugendlichen, die die gleichen Sorgen haben wie der Leser selbst.

Allerdings sind die Hauptfiguren keineswegs Durchschnitt. Serenity ist eine Amerikanerin, die ohne Handy und MP3-Player aufgewachsen ist, weil ihr Vater ein Kulturkritiker und Naturfreund ist. Christopher selbst ist durchweg zweisprachig aufgewachsen und ein richtiger Computerfreak – wie „normal“ kann er also sein? Doch genau darin liegt seine Überlegenheit, wenn es darum geht, es mit der sich ausbreitenden „Kohärenz“-Bewegung aufzunehmen. Er ist zwar weder Hellseher noch Telepath wie Paul Muad’dib, aber viel fehlt nicht mehr: Chris kann einen doppelbödigen Plan bis ins letzte Detail allein im Kopf austüfteln.

Ich habe nur einen Nachmittag und Abend benötigt, um die 460 Seiten zu lesen. Die Schrift ist groß, viel Text also nicht auf der Seite, und die Story verlangt dank vieler Rätsel und Geheimnisse danach, in einem Stück gelesen zu werden. Ich bin schon auf die versprochene Fortsetzung gespannt.

|Hardcover: 464 Seiten
ISBN-13: 978-3401060620|
[www.arena-verlag.de]http://www.arena-verlag.de
[www.andreaseschbach.de]http://www.andreaseschbach.de

Unsere Rezension zum Hörbuch von „Black*Out“ finden Sie [hier]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6574 .

Über 25 weitere Besprechungen zu Titeln von _Andreas Eschbach_ finden Sie in unserer [Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Sterling, Bruce – Visionary in Residence. Erzählungen

Visionen der nahen Zukunft und der Vergangenheit

Die jüngste Erzählungssammlung des interessantesten amerikanischen SF-Autors der letzten 30 Jahre präsentiert 13 Beiträge. Bis auf zwei sind alle Storys für jeden deutschen Leser mit mittleren Englischkenntnissen leicht lesbar. Doch besagte zwei Storys haben es wirklich in sich.

– Die Story einer verbotenen Liebe
– Storys über Design und Architektur der nahen Zukunft
– Über das Ende der Welt und der Menschheit
– Über die Zukunft, die jetzt Vergangenheit ist: in Alt-Ägypten, in der Türkei und in Palästina
– Über die Zukunft des Schwarzen Kontinents
– Über die Zukunft des Silicon Valley
– Und vieles mehr.

Der Autor

Bruce Sterling, der Mitbegründer der Cyberpunk-Bewegung der achtziger Jahre, ist der Autor von neun Romanen, wovon er einen, „Die Differenz-Maschine“, zusammen mit William Gibson schrieb. Er veröffentlichte drei Storysammlungen (darunter „A Good Old-fashioned Future“) und zwei Sachbücher, darunter das bekannte „The Hacker Crackdown“ (1992) über die Verfolgung von Hackern und Crackern.

Er hat Artikel für die Magazine Wired, Newsweek, Fortune, Harper’s, Details und Whole Earth Review geschrieben. Den Hugo Gernsback Award für die beste Science-Fiction-Novelle gewann er gleich zweimal, u. a. für „Taklamakan“. Er lebt in der Universitäts- und Industriestadt Austin in Texas und hat schon mehrmals Deutschland besucht. Eine seine Storys spielt in Köln und Düsseldorf. Ich habe ihn 2007 persönlich in München bei einem Interview kennengelernt.

Die Erzählungen

1) In Paradise (2002)

Felix Hernandez, ein junger Klempner, sieht das Muslimmädchen das erste Mal an der Sicherheitsschleuse zum Gebäude, in dem er einen Auftrag erledigen soll. Während ihre zwei erwachsenen Begleiter – Vater und Onkel? – auf sie warten, fällt der Strom und ihr Akku streikt. Felix ist so nett, ihr den Akku seines eigenen Handys der gleichen Marke zu geben und erhält dafür ihren. Dabei merkt er sich nicht nur ihre Telefonnummer, sondern auch ihr wunderschönes Gesicht. Sein Herz ist entflammt.

Später ruft er sie wieder an und – oh Wunder der Technik – ihr finnisches Handy übersetzt seine poetische Liebeserklärung automatisch in Farsi, also die persische Sprache. So schöne Worte hat der 19-jährigen Perserin noch niemand gesagt, und sie ist bereit, mit ihm auszureißen. Zehn paradiesische Tage im Bett und am Handy folgen. Dann kommt die kalte Dusche, sozusagen die Schlange.

Ein Agent des Heimatschutzministeriums meint es gut mit Felix, doch seine zwei Begleiter vom iranischen Geheimdienst weniger. Enttäuscht darüber, dass das Mädchen nicht da ist, stellen sie Felix’ Wohnung auf den Kopf, bevor sie wieder abziehen. Der DHS-Agent macht Felix klar, dass das Mädchen, die Tochter eines Mullahs, sich illegal in den USA aufhält und alle Ausgänge und Transportwege sowie Kreditkarten überwacht werden. Der Agent schaltet sich später sogar in das Gespräch zwischen Felix und seiner Herzensdame ein – und schaltet per Fernsteuerung ihre Handys aus!

Nun ist guter Rat wahrlich teuer, doch wahre Liebe findet stets einen Weg, sogar in einer Republik der totalen Überwachung …

Mein Eindruck

Eine warnende und ironische Story über Liebe in Zeiten der totalen Überwachung. Wenn sogar die Handys per Fernsteuerung ausgeschaltet werden können (vom Abhören ganz zu schweigen), dann haben es Adam und Eva nicht leicht, der Schlange in ihrem Eden zu entkommen. Aber es geht – mit Hilfe primitiver Mittel, auf die die Agenten nie im Leben kommen würden.

Im Übrigen ist die automatische Sprachübersetzung im Handy durchaus eine Technik der nahen Zukunft, und die Fernabschaltung sowie Speicherlöschung lässt sich bereits heute bei vielen Smartphones und Handys realisieren.

2) Luciferase (2004)

Vinnie ist ein Leuchtkäferchen, das in der Nacht hell leuchtet. Jedenfalls solange es nicht gefressen wird, und diese Gefahr lauert überall. Da wäre beispielsweise sein alter Bekannter Peck, die Spinne. Peck ist hungrig, aber auch unglücklich. So ein einsamer Wolf hat’s eben nicht leicht bein den Frauen. Da ist der helle Vinnie schon besser dran: Die Frauen fliegen auf ihn! Nach ein paar Ratschlägen für Peck saust er weiter.

Auf einer Nesselblüte erspäht er eine kesse Braut, die ihn besonders hell anstrahlt. Zu spät erkennt er, dass es sich um eine Falle handelt. Sie ist eine Photuris, die auf das Fressen von Photinussen wie Vinnie spezialisiert ist. Zunächst balgen sie sich, doch dann herrscht Stillstand: Matt beide. Sie heißt Dolores und ist scharf ihn. Natürlich nur auf seine Fleisch. Aber er bringt ihr bei, dass es mehr gibt als nur fleischliche Gelüste, nämlich Kunst.

Als ein männlicher Photuris eintrifft, der von Dolores verlangt, sie solle Vinnie töten und ihm die Hälfte abgeben, weil er ja so toll ist, hat Vinnie ein ausgezeichnetes Ziel, um Dolores zu demonstrieren, was er meint. Dieser Geck ist ein Dampfplauderer – und gleich darauf ein Opfer von Peck, der Spinne …

Mein Eindruck

Man könnte die witzige Geschichte für eine Fabel halten, wenn sie bloß auch eine Moral hätte, Aber davon ist weit und breit nichts zu sehen. Vielmehr unterhalten sich die Tierchen so, als befänden sie sich in einer texanischen Bar (der Autor ist Texaner) über die Frauen, das Leben und den ganzen Rest. Das tun sie im typisch amerikanischen Umgangston. Vinnie behält die Oberhand, was uns richtig aufbaut – er ist ein authentischer Künstler, nicht wie die anderen Imitatoren und Epigonen. Möge ihm eine lange Nacht vergönnt sein!

Luciferase ist übrigens eine im Text vorkommende chemische Substanz, die der biologischen Lichterzeugung dient.

(3 kurze Stücke für die Zeitschrift NATURE)

3) Homo sapiens declared extinct (1999, „Menschen für ausgestorben erklärt“)

Im Jahr 2350 wird die Menschheit für ausgestorben erklärt – na und? Kein Grund sich aufzuregen, finden die posthumanen KIs und Entitäten, schon gar nicht die Blutbader in der Oort’schen Wolke, die seit jeher auf die „federlosen Zweibeiner“ herabgeschaut haben. Eine Grabrede wäre jedoch angebracht, findet die Poetware: „Sie waren sehr, sehr sonderbar und nicht sonderlich mit Weitsicht gesegnet.“

Mein Eindruck

Nicht gerade eine Story, aber wenigstens ein Nachruf auf die Menschheit. Allerdings erfahren wir nicht, was zum Aussterben des Menschen geführt hat.

4) Ivory Tower (2005, Elfenbeinturm)

Im Jahr 2050 stürzen sich die Net-Geeks auf das Gebiet der Quantenphysik – natürlich in ihrer typischen Manier. Erst googeln sie alles Wissen zusammen, speichern alles in Storage-Einheiten, tauschen sich in sozialen Netzwerken und Blogs aus. Schließlich errichten sie irgendwo in Rajastan, Indien, ihre eigene Forschungseinrichtung, einen Teilchenbeschleuniger. Ihre Programme sind Open-Source und kostenlos, ihre Hardware ist Abfall, ebenso wie die Technik, die sie für die Errichtung des Supercolliders nutzen. Ihr Essen ist ebenso recycelt wie ihre Möbel und alles andere.

Man sollte erwarten, dass eine derart auf Lösungen fixierte, geradezu mönchische Männergemeinschaft die Frauen abschrecken würde, aber weit gefehlt! Die Ladys finden die Sache cool und machen schon bald einen großen Teil der Kolonie aus – natürlich nicht unter den Physikern. Das war ja schon immer so. Und was nachts passiert, geht keinen was an.

Das Einzige, was man hier nicht haben will, sind Typen, die an der Atombombe forschen. Diese 100 Jahre alte Technik ist nun wirklich nicht cool.

Mein Eindruck

So ein moderner Elfenbeinturm ist auch nicht mehr das, was er mal war. Diesmal haben sich die Geeks die Hochtechnologie der Teilchenbeschleunigung vorgenommen, sozusagen den teuersten Bereich der Physik – siehe CERN bei Genf. Dass man solch eine Forschungseinrichtung auch ganz anders aufziehen kann als bisher, zeigen die modernen Geeks aus Kalifornien. Dass sie das erst 2050 tun sollen, ist das einzige Unwahrscheinliche an der Geschichte.

5) Message found in a bottle (2006)

Diese „Flaschenpost“ stammt aus dem Tank eines Warmwassersboilers aus einer Bibliothek in Schottland, gefunden unter dickem Eis. Geschrieben hat sie ein Klimawissenschaftler, der uns berichtet, dass er Wissenschaftsmagazine wie NATURE verbrannt hat, um heizen zu können. Denn über Europa ist durch den Treibhauseffekt nicht die Hitzewelle gekommen, sondern die Eiszeit.

Der Grund für die Eiszeit ist ebenso simpel wie tödlich: Die Wälder Russland und Brasiliens sind niedergebrannt und haben dabei Unmengen von Ruß und CO2 freigesetzt, so dass sich daraus eine dicke Wolkendecke ergab, die keinen Sonnenstrahl mehr durchlässt – ähnlich wie ein Nuklearer Winter. Deshalb gibt es in Schottland Eis, von Deutschland ganz zu schweigen. Der wärmende Golfstrom scheint völlig versiegt zu sein, wird aber nicht erwähnt.

Die geistige Verfassung der Überlebenden sieht jetzt offenbar so aus, dass der kleine Stamm, dem der Klimawissenschaftler angehört, inbrünstig zu Gott um Vergebung seiner Sünden betet. Ein bisschen spät, findet er. Denn die Sünden wurde ja schon weit in der Vergangenheit begangen, als man den Klimawandel noch hätte dämpfen können.

Mein Eindruck

Sterling ist ein Schelm: Er schrieb diesen Text für das Magazin NATURE und lässt doch den Urheber der Flaschenpost, Magazine wie NATURE verbrennen, um heizen zu können. Ein weiteres ungewöhnliches Merkmal dieses Textes ist die Theorie, dass uns der Klimawandel nicht die große Hitzewelle bringt, sondern die Eiszeit.

Diese Prophezeiung hat durchaus etwas für sich, wenn man die ungeheuren Rußmengen bedenkt, die das Abfackeln der Wälder des Amazonas, Indonesiens und der Taiga Russlands bedenken. Dieser Prozess hat bereits begonnen, wie im Sommer 2010 in Russland beobachtet werden konnte, als dort die Wälder brannten und über 1700 Kilometer hinweg den Himmel verdunkelten. Das gleiche Schicksal könnte das Amazonesbecken ereilen, das ja ebenfalls schon unter ein oder zwei Dürren hat leiden müssen – ungewöhnlich für eine so regenreiche Region.

Obwohl die „Flaschenpost“ mit 2,5 Seiten ziemlich kurz ist, bietet sie doch eine Menge Stoff zum Nachdenken.

6) The Growthing (2004)

Im Jahr 2045 steht irgendwo im ausgetrockneten West-Texas eine sehr sonderbare Anlage: Der einzige Ort weit und breit, wo sich Feuchtigkeit findet, denn sie wird von genetisch veränderten Bakterien im Treibhaus erzeugt, der Wind wird gefangen und die Feuchtigkeit im ganzen Wohngebäude verteilt. Die ganze blasenförmige Architektur erhebt sich über einem Brennstoffreservoir, dessen Hüter Milton ist, ein Architekt und Designer.

Heute ist der letzte Tag, an dem seine Tochter Gretel ihn besuchen darf, die sonst in New Jersey bei seiner geschiedenen Frau leben muss. Der Zeppelin holt sie ab, ohne zu landen. Aber wenig später taucht ein weiteres Mädchen auf, dem Gretel eine E-Mail geschickt hat. Dieses Mädchen gehört zu einem wandernden Stamm von Westtexanern, die Wasser suchen, und sie sucht das blasenförmige Gebäude Miltons. Hier will sie Schafe züchten. Milton ist nicht abgeneigt, den Stamm aufzunehmen.

Mein Eindruck

Die Zukunft von West-Texas, die der Texaner Sterling hier entwirft, ist wahrlich nicht wünschenswert: die unterirdischen Wasserläufe sind versiegt, ebenso das Erdöl (deshalb der Zeppelin), und deshalb muss es neue Wege geben, die geringen Ressourcen zu nutzen und neue zu erzeugen. Ganz nebenbei stellt er die Objekte seines Bekannten, des Öko-Architekten greg Lyn vor. Denn dieser Text wurde für das Architekturblatt „Metropolis“ geschrieben.

7) User-Centric (1999, „Benutzerorientiert“)

Das 21. Jahrhundert lässt eine bestimme US-Firma sich fragen, was sie mit der neuen MEMS-Technologie anfangen könne. MEMS sind heute besser als RFID-Funketiketten bekannt, also als Chips, die per Funk Daten liefern, empfangen und speichern können. Das siebenköpfige Designteam wird vom Chefkoordinator dazu angehalten, an den Nutzer zu denken: Welche Nutzung wäre welchem Nutzer am liebsten – und welche Vorteile könnte man daraus ziehen? Dazu muss man erstmal eine geschichte erfinden sowie zwei Nutzertypen – nennen wir sie Al und Zelda. Er ist etwa 34 und technikorientiert, sie ist über 65 und haushaltorientiert. Zusammen sind sie daran interessiert, alle ihre Besitztümer mit Funkchips zu versehen und zu überwachen.

Soweit, so schön, doch dann setzt der Autor den Entwurf in die fiktionale „Realität“ um. Al muss eine Maske aufsetzen, die ihn älter macht als seine Zelda. Sie hat zwar einen göttlichen und stark verjüngten Body, doch wer würde ihr den jungen Gatten abnehmen, wenn sie schon Enkelkinder hat? Er spielt den Sugardaddy, der sie aushält, aber nur mit Maske. Zusammen sorgen sie dafür, dass das Haus in Tiptop-Zustand ist und alles per Funkchips überwacht wird. Al verzweifelt, hat Albträume, doch Zelda tröstet ihn: Es gibt keine Happy-Ends, Lieber, es gibt nur Methoden, mit den Dingen fertigzuwerden.

Mein Eindruck

Das Brainstorming per E-Mail zeigt eine typische amerikanische Hitschmiede, komplett mit Marketing, Programmierer, Rechtsberater, Designerin, Grafikerin und sogar einer Sozialanthropologin. Doch der ganze Prozess führt lediglich zu einem Entwurf, dessen Absurdität und Inhumanität sich sofort anhand der fiktionalen Umsetzung zeigt. Das ist Satire in Reinkultur, ohne den belehrenden Zeigefinger zu heben. Die Botschaft ist deutlich: Wer im Elfenbein entwirft, braucht sich nicht zu wundern, wenn Müll herauskommt, den niemand kaufen will, ja, der sogar antihuman ist.

8) Code (2001)

Die Gegenwart, Austin, Texas. Louis, der Hauptprogrammierer der Softwarefirma Vintelix, hat den Löffel abgegeben: Herzinfarkt. Kein Wunder bei 150 Kilo Lebendgewicht, denkt sich Van, sein wichtigster Stellvertreter. Was soll er jetzt bloß mit der Leiche machen? Da tritt das Mädchen vom Empfang ein, Julie, sie denkt praktischer: Er soll die Cops rufen. Ach ja, und den Vorstandsvorsitzenden (CEO) informieren. Aber vorher durchsuchen sie noch Louis’ massiven Schreibtisch: Bingo – Tabletten von LSD, vulgo: Acid. Sie teilen sich die 400 Trips.

Der CEO gibt ihnen frei, aufgrund besonderer psychischer Belastung. So können sie sich per Webcam und Telefon unterhalten. Julia ist wagemutig. Wie viele Trips soll sie einwerfen – vier oder fünf? Van ist eher vorsichtig und vernünftig: einer dürfte erstmal reichen. Und tatsächlich: Schon bald schüttet ihm Julia ihr Herz aus. Und wie romantisch sie ist! Liest und empfiehlt Liebesratgeber. Sie wird richtig aufgedreht. Dann muss er ins Fitness-Studio. Als er zurückkehrt, steht sie vor seiner Tür. Klar darf sie mir reinkommen. Aber sie schlafen nicht miteinander. Noch nicht.

Am nächsten Tag befördert der CEO Van zum Chefprogrammierer, was zwar mehr Aktienoptionen einbringt und einen neuen, wertlosen Titel, aber auch mehr Arbeitsbelastung. Und der Code, den Louis hinterlassen, ist ein Tohuwabohu – sein Baby. Und keiner blickt da durch. Alles auslagern, nimmt sich Van vor, bevor ihm die zwei bestellten Ehe-Ratgeber geliefert werden. „The Code“ – wertloser Schmonzes, doch „The Rules“ ist bitter und grimmig, eine wahre Gebrauchsanleitung zur Selbstbehauptung der geplagten, unterdrückten Frau gegen das brutale Regime des Mannes.

Genau das Richtige, um ein neues Betriebssystem zu schreiben und Julia zu seiner wichtigsten Mitarbeiterin zu machen, auch privat.

Mein Eindruck

Die Story könnte direkt aus einem Kapitel von Douglas Couplands Klassiker „Mikrosklaven“ stammen, so exakt werden die Arbeitsverhältnisse in der Softwarefirma beschrieben. Aber dann kommt der praktische Sterling-Touch hinzu: Wie sich menschliche Beziehungen nutzbringend mit der Arbeit verbinden lassen. Arbeit und Liebe müssen einander nicht ausschließen, ganz im Gegenteil.

(Kollaborationen)

9) The Scab’s Progress (mit Paul Di Filippo, 2001)

Nach dem Zusammenbruch der planetaren Ökosphäre und der Ölindustrie mussten die Überlebenden andere Technologien finden, um erstens Ernährung sicherzustellen und zweitens Informationstechnik. In der Verbindung aus beiden Anstrengungen entstand die fortgeschrittenste Biotechnologie, die man sich vorstellen kann.

Natürlich haben auch die Halb- und Unterwelt sowie die semilegalen Selbständigen ihren Anteil an der „Immunosance“, wie die Gesamtheit aller Bio- und Gentechniker jetzt genannt wird. Fearon und Malvern sind zwei solche halblegale „Scabs“, und als Malvern an Fearons Tür klopft, herrscht Alarmstufe Rot: In dem Slum Liberty City am Rande von Miami ist ein Biotechlabor explodiert, das ihren Kunden gehörte. Sie müssen schnell hin, um zu retten, was noch zu retten ist, bevor die Cops und Behörden Asche daraus fabrizieren, um eine Kontamination der Umgebung zu verhindern.

Wie sich schnell zeigt, ist das interessanteste Objekt bei Mixogen die Chefin. Ihr Gehirn ist, wie man an dem angeschwollenen Schädel erkennen kann, genetisch aufgemöbelt worden. Sie entnehmen dem Gehirn eine Gewebeprobe und verduften, denn schon ist der erste Cop-Späher eingetroffen. Leider ist Fearons Labor nicht in der Lage, aus der Gehirn-DANN einen Sinn herauszulesen. Deshalb schlägt Malvern, den alten Kemp Kingseed zu konsultieren. Er lebt in einer aufgelassenen Erdölraffinerie, bewacht von seiner Riesenspinne Shelon (aus „Herr der Ringe“).

Kemp Kingseed erinnert die beiden Möchtegern-Genies an jene heroischen Zeiten, als Linux, Napster und Freenet erfunden wurden – lang ists her. Aber Kemp kann die Botschaft aus der Hirn-DANN der Mixogen-Chefin lesen, mit Hilfe eines entsprechenden Raben. Demzufolge wurde die wertvollste DNA des Planeten, nämlich die der letzten Wildtiere des im Chaos untergegangenen Kontinents Afrika, in einem geheimnisvollen Gebilde namens Panspecific Mycoblastula. Sie müsse sich in Sierra Leone befinden.

Weil Fearon die Datenverbindung zu seinem gentechnisch aufgemotzten Hausschwein Weeble offengelassen hat, konnte jedoch sein härtester Konkurrent, Ribo Zombie, alles, was der Rabe sprach, mithören. Mist! Wegen Fearons Blödheit könnte ihnen der Rivale den DNS-Schatz vor der Nase wegschnappen. Kemp, der alte Kämpe, beruhigt die beiden junge Biotechkämpfer: Sein Mann vor Ort erwartet sie bereits und werde ihnen helfen.

Fearon und Malvern machen sich auf in ein Wettrennen um einen Schatz, der in einer der unzivilisiertesten Gegenden des Planeten liegt: im Herzen der Finsternis, wo unbekannte Gefahren lauern …

Mein Eindruck

Die turbulente Novelle spielt in einer radikal veränderten Welt, die vielleicht aber nur 30 oder 40 Jahre entfernt liegt und beängstigende Umwälzungen ahnen lässt. Der Treibhauseffekt hat voll zugeschlagen, die Ölindustrie ist nur noch Erinnerung, dafür hat die Biotechnologie die Informationstechnik abgelöst. Vor diesem Hintergrund rackern sich unsere zwei wackeren Helden redlich ab, um sich über Wasser zu halten – obwohl: Fearon hat mit seiner Frau Tupper, einer reichen Erbin, wirklich das große Los gezogen.

Und dennoch will er alles aufs Spiel setzen? Auf der Jagd nach etwas, was der Leser nur als eine Art MacGuffin bezeichnen kann, begegnet Fearon nicht nur Fossilien wie Kemp Kingseed und dessen afrikanischem Klon Herbie Zoster, sondern, viel schlimmer, einem Despoten, der alle Albträume von afrikanischen Tyrannen in sich vereint: menschliche DNS ist kaum noch vorhanden, sondern dominiert von Ameisen-Erbgut, ebenso wie bei seinen Untergebenen. Denn wenn eine Spezies das aufgegebene Afrika erobert hat, dann ist es die Ameise. (Diese Idee erinnert an gewisse postviktorianische „Tarzan“-Abenteuer.)

Diese Welt ist post-human, aber auch post-natürlich – komplett überarbeitet von Biotechnologie, die aus dem Ruder gelaufen ist. Die einzigen, die damit noch gut zu Rande kommen werden, sind die Kinder von Fearon und Tupper. (Siehe dazu auch die schöne Geschichte über die Nekropole von Theben.) Ach ja – Ribo Zombie! Er hat seinen großen medienwirksamen Auftritt. Mehr darf darüber nicht verraten werden.

10) Junk DNA (mit Rudy Rucker, 2003)

Silicon Valley ist auch nicht mehr das, was es mal war: das Tal der vergoldeten Träume eines digitalen Goldrauschs. Selbst Leute mit Ideen müssen sich jetzt als sterbliche Angestellte ausbeuten lassen, klagt Janna Gutierrez, die informationelle Gentechnik studiert hat. Sogar ihr Dad muss sich in der Wetware-Industrie abrackern. Der einzige Freund, den Janna abzubekommen schien, war ein Koreaner – jedenfalls solange, bis dessen Mutter eine nordkoreanische Erbin als Braut anschleppte. Die Zukunft sieht trübe aus.

Da schneit Veruschka Zipkin aus St. Petersburg in Jannas Firma herein. Obwohl Veruschkas Angebot eines gemeinsamen Gentechnikprojekts abgelehnt wird, tut sie sich doch mit ihrer neuen Freundin Janna zusammen, um eine neue Firma aufzuziehen. Veruschka zieht bei Janna und ihrem Dad ein, und als sie entdecken, dass Dad eine halbe Million Dollar für seine Rente zurückgelegt hat, dauert nicht sehr lange, bis sie den Start einer eigenen Firma finanzieren können. Alle drei sind gleichberechtigte Teilhaber.

Veros Idee besteht in folgendem: Sie kann eine formbare Biomasse mit menschlicher DNS und dem patentierten Universellen Ribosom imprägnieren und auf diese Weise süße kleine Wonneproppen erschaffen, die beliebige Eigenschaften haben können. Mit Dads Hilfe lassen sich die „Pumptis“ färben und verformen, wie es dem Benutzer gefällt. „Tamagotchis“ und „Pokémons“ sind Hühnerdreck dagegen! Das beste ist jedoch, dass die benutzte menschliche Erbsubstanz nicht diejenige ist, die einen Menschen formen – das wäre ja illegal und unmoralisch – sondern aus den unterdrückten und ungenutzten Stücken des Erbguts besteht, wie der homo sapiens sie aus seiner Evolution übrigbehalten hat: Junk-DNS. Wie sich zeigt, wird diese Art der Neuschöpfung von den Behörden genehmigt.

Nach einem vielversprechenden Start durch Straßenverkauf, Mundpropaganda und virales Marketing kommt es allerdings zu fatalen Geschäftsfehlern: Die Qualität stimmt nicht, Betrüger und Raubkopierer schnappen sich die Ideen und Profite, schon bald steht die kleine Firma Magic Pumpkins vor dem Aus. Doch wer könnte ihnen aus der Patsche helfen, wenn sich kein Risikokapitalgeber dazu bereitfindet? Die Antwort besteht in Ctenephore Industries. Janna und Vero müssen sich verkaufen – und werden nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen. Ihnen bleibt die Aussicht auf ein Angestelltengehalt mit einem nichtssagenden Titel.

Haben sie das verdient, fragen sie sich. Niemals! Dieses Unrecht schreit nach RACHE. Und Veruschkas, stets die praktische und unverwüstliche des Dynamischen Duos, hat die Lösung: Gentherapie für die beiden Feinde, Revel Pullen und Tug Mesoglea. Und nach ein paar Wochen der Rekonvaleszenz ihrer Firma – die Pumptis können auch digitale Daten empfangen, senden und verarbeiten – ist der Moment der Vergeltung gekommen. Die Wirkung ist jedoch nicht ganz die erwartete. Junk-DNS folgt eben ihren eigenen Gestzmäßigkeiten …

Mein Eindruck

Keine Angst, dieses Märchen geht wie alle Märchen gut aus, nur eben nicht auf die erwartete Weise. Denn es ist ein Silicon-Valley-Märchen, in dem Valley-Träume auf eine Russin treffen, die Erfahrung mit der russischen Mafia hat. In Russlands Genetiker-Schwarzmarkt werden die Dinge etwas anders gehandhabt als im Goldenen Westen.

Die Novelle weiß den entsprechend beschlagenen Leser, der sich mit Biotechnologie, Genetik, Mathematik und Software auskennt, mit etlichen witzigen Einfällen zu erfreuen. Dazu gehört die Idee mit der Junk-DNS, dem Universellen Ribosom und den süßen kleinen Pumptis. Der Schauplatz San Francisco ist mir bestens vertraut: Wer es hier nicht schafft, um den neuesten technischen Schnickschnack zu erschaffen, der wird es weder an der Ostküste noch in Hongkong schaffen – das sind die Orte, auf die es heutzutage ankommt. (Von Europa ist kaum die Rede, außer eben als Veruschkas Herkunft.)

Richtig bizarr sind die Ideen, die den beiden Inhabern von Ctenophore einfallen. Der eine, Pullen, will eine Hochsicherheitszone für das bürgerliche Zuhause verwirklichen; der andere will berührungsempfindliche Geldnoten entwickeln, die von ihren Benutzern DNS-Proben nehmen – wunderbar in der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung, oder? Zu blöd, dass heute kaum noch mit Geldscheinen bezahlt wird.

Der groteske Höhepunkt der Entwicklung, dem Janna mit Grausen entgegensieht, besteht in der Gentherapie für Tug und Revel, die beiden vermeintlichen Feinde. Hier zeigt die Junk-DNS, was sie wirklich draufhat. Mehr darf hier nicht verraten werden, um nicht das Vergnügen zu schmälern. Rudy Rucker, von Haus aus Mathematiker, lässt aber auch die Sau raus, und das gibt der Story eine unverwechselbare Note. Ich habe sie mit großem Spaß gelesen.

(Historische Fiction)

11) The Necropolis of Thebes (2003)

Am Westufer des Nils liegt die Totenstadt von Theben, und der alte Shabti-Figurenschnitzer Apepi fährt mit einem Streitwagen zum Pharaonengrab, um es wie stets seines Metalls zu berauben. Denn Apepi ist zum Steuereintreiber der Eroberer, der Hyksos, ernannt worden und muss sein Soll erfüllen. Da sein Volk aber schon längst bis zum letzten ausgequetscht ist, muss er nun auch die Toten berauben.

Das Gold ist längst fort, ebenso das Silber, aber die Shabti-Figuren wird er niemals anrühren. Nicht nur, weil sonst der Pharao niemanden hat, der ihm Jenseits dient, sondern weil die Hyksos für die ägyptischen Totenriten nur Verachtung übrig haben. Und eines Tages wird Apepis Sohn eine Shabti-Figur schnitzen, die einen Wagen und seinen Lenker zeigt und dann …

Mein Eindruck

Die Erzählung ist ein Beispiel dafür, wie der Zukunftsschock den Historiker getroffen hat, sagt der Autor in seiner Anmerkung. Die historische Erzählung zeigt nicht nur dies, sondern den Weg, wie man den Zukunftschock, den die Hyksos bedeuteten, durch eine neue Generation Kinder überwindet: Sie kennen nichts anderes. Und sie werden die neue Technologie der Eroberer dereinst gegen sie verwenden (und so geschah es auch).

12) The Blemmye’s Stratagem (2005)

Im Heiligen Land ist Jerusalem gefallen, und Saladins Krieger jagen die Kreuzritter, bis diese sich nur noch in ihren Festungen verkriechen können. Der Oberste der Assassinen, der Alte vom Berge, trägt seinen Teil dazu bei, die Christen zu verjagen, die fast 90 Jahre lang Palästina besetzten. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass seine engste Vertraute eine Christin ist, die Äbtissin Hildegart. Sie ist nicht nur das Oberhaupt des Ordens der Hospitaller (nicht der Templer), sondern auch eine Kauffrau, die Investitionen von Sevilla bis Sumatra ihr Eigen nennt. Mit Zahlen kann sie viel besser umgehen als Sinan, der Assassine, doch der bessere Poet ist sicherlich er.

Beide stehen in Diensten jenes seltsamen Diplomaten und Kaufmanns, der ihnen vor vielen Jahrzehnten den Trank des langen Lebens zuteilwerden ließ: der Blemmye. Gerüchte besagen, dieses Wesen komme aus dem afrikanischen Königreich von Prester John. Es trägt keinen Kopf, sondern sein Gesicht im Oberkörper, mit Augen, Nase und Mund. Da es nicht sprechen kann, schreibt es alle Botschaften auf, und Hildegart ist die beste Leserin dieses Gekritzels. Mit seinen ausgedehnten Handelsniederlassungen verständigt sich der Blemmye per Brieftaube, genau wie es seine Diener Hildegart und Sinan tun.

Das Ende des Alien

Er hat sie zu sich gerufen, denn sein Ende sei gekommen, schreibt er. Was seine zwei Diener verstört, ist der Befehl, die Pferde zu töten – sie hätten dann kein Mittel mehr, aus der Wüstenei am Toten Meer, wo der Blemmye seine Oase geschaffen hat, wegzukommen. Doch das Rätsel wird gelöst, als er ihnen offenbaren will, was ihn all die Jahre hier gehalten hat: seine Geliebte von den Sternen und ihre Brut. Sie hat das Zeitliche gesegnet, doch ihre Brut vermehrt sich – unter anderem durch Futter in Form von Pferdefleisch. Hildegart traut sich nicht ins Innere der Bruthöhle, doch Sinan beschreibt es als eine Art Hölle, voller Skelette und Dämonen. Dämonen mit Panzern, scharfen Zangen und giftigen Schwänzen. Nach dieser Enthüllung seiner außerirdischen Herkunft begibt sich der Blemmye in die giftigen Wasser des Toten Meeres zum leeren Panzer seiner Geliebten.

Aber Hildegart hat ein gefährliches Problem erkannt: Die Dämonenbrut werde sich über die Erde verbreiten, sollte man ihr nicht Einhalt gebieten. Sinan ist ganz ihrer Meinung. Er kennt die alte Sage vom König, der zuließ, dass ein Schachbrett mit einer sich verdoppelnden Menge von Reiskörnern bedeckt wurde. Für das letzte Feld des Bretts wurde das ganze Königreich geplündert. Eine letzte Schlacht soll die Dämonenbrut vernichten. Doch wer wird sich bereitfinden, solch einen Kampf zu wagen? Eigentlich bloß die verzweifelten Glücksritter unter den Kreuzfahrern, oder? Aber Sinan hat einen Trumpf im Ärmel …

Mein Eindruck

Auf gänzlich unerwartete Weise behandelt der Autor in dieser Novelle das Problem des Fremden und des Fremdlings. Im Heiligen Land treffen die unterschiedlichsten Völkerschaften aus Okzident und Orient aufeinander, ohne einander zu verstehen. Und doch gibt es abseits der Schlachten und Gemetzel eine funktionierende Infrastruktur für die Telekommunikation: Brieftauben. Sie gehören dem Blemmye und seinen zwei Dienern. Sie ermöglichen Handel und Reichtum trotz des Krieges. Und dabei stört es gar nicht, dass der Blemmye ein Außerirdischer ist. Er kann sich immerhin wie ein Mensch verständigen.

All dies ändert sich mit dem Ende des Aliens. Der Handel bricht zusammen, die Investitionen lösen sich in Luft auf, die Ernten werden vernichtet und so weiter. Offenbar hat er geahnt, was der Welt fehlt. Kein Wunder, denn er ist selbst vor einem Krieg mit einer Alienrasse zur Erde geflohen, und seine Geliebte gehörte eben dieser Rasse an, quasi wie Romeo und Julia. Doch ihre Dämonenbrut, die eine Metapher für den fehlenden Frieden darstellt, droht nun die Welt zu verschlingen. Es liegt nahe, dass die Sachwalter des Blemmyes die Aufgabe ihrer Vernichtung übernehmen, damit der Erde wenigstens die Heimsuchung der gefräßigen Aliens erspart bleibt.

Die Erzählung ist leicht zu lesen, aber es lohnt sich, die Geschichte des Heiligen Landes und der Kreuzzüge wenigstens rudimentär zu kennen, um die zahlreichen Namen zuordnen zu können. Erstaunlich, welche detaillierte Sachkenntnis der Autor an den Tag legt, der doch früher für abegfahrene SF-Ideen bekannt war. Die Story unterhält selbst den SF-Freund und ist spannend bis zum Schluss.

13) The Denial (2005, „Die Leugnung“)

Die Türkei im 15. oder 16. Jahrhundert, nur wenige Jahrzehnte nach der Eroberung Konstantinopels. In Yusufs kleiner Stadt leben Muslime neben Juden, Katholiken und orthodoxen Christen friedlich zusammen. Nur die Gnostiker, christliche Ketzer, wurden in die Berge getrieben und fristen ein kümmerliches Dasein.

Als eine große Flut das Dorf überschwemmt, gelingt es Yusuf, den Fassmacher, seine Kinder auf den höhergelegenen Grund von Onkel Mehmets Hütte zu bringen und so zu retten. Doch seine Frau hat ihm den Gehorsam versagt und wurde von den Fluten mitgerissen. Er findet sie danach im Uferschlamm und bringt sie zurück ins Dorf. Dort schlägt sie plötzlich Augen auf und ist wieder quicklebendig. Sofort macht sie sich an den Wiederaufbau des Hauses und seines Unternehmens.

Doch Yusuf wird trotz des erneuten Aufschwungs immer unglücklicher. Diese Frau ist offensichtlich nicht seine Frau, denn die erste Frau war eine zeternde Furie, diese aber ist sanft und lieb wie ein Lämmchen. Diese Frau hier muss eine Wiedergängerin sein. Was ist zu tun? Nur der jüdische Rabbi weiß Rat: Yusuf soll die Gnostiker in den fernen Hügeln aufsuchen. Sie sind die einzigen, die sich mit Geistern auskennen.

Nachdem ihm der Pastor der Bogomil-Familie erklärt hat, wie der gnostische Glaube aussieht, rät er ihm, seiner Frau einen Pflock durchs Herz zu treiben. Das lehnt Yusuf kategorisch ab. Der Pastor erklärt, wie es sich mit der Trennung von Körper und Seele verhält und gibt ihm einen Talisman: eine hölzerne Handfessel.

Nach seiner Rückkehr führt Yusuf seine Frau auf den Gottesacker, der einzige Ort, wie sie ungestört sind. Er legt ihr die Fessel an, die sie wie verbrannt wieder abstreift – ein gutes Zeichen. Aber er legt sie sich aus Trotz ebenfalls an: keine gute Erfahrung. Denn nun schwant ihm, was er längst hätte erkennen müssen und was ihm seine tote Frau nun wütend unter die Nase reibt: Er ist nämlich in jener Flut ebenfalls gestorben. Tja, und wie kommen sie aus diesem Schlamassel wieder raus?

Mein Eindruck

Ist dies eine Geistergeschichte, fragt man sich. Möglicherweise, denn um Magie geht es ebenfalls. Aber die Wahrheit liegt tiefer: Das eigentliche Thema ist nämlich die Entfremdung von einer Unperson, die man nicht als sich selbst zugehörig wahrnimmt. Diese Entfremdung kann in tödlichen Hass umschlagen, wenn die richtigen Faktoren und Mittel hinzukommen. Aber hätte Yusuf einmal sein Herz erforscht, dann hätte er den Splitter im eigenen Auge erkannt – dass er genauso ist wie seine Frau.

Unterm Strich

Diese Erzählungssammlung des bekannten Autors und Beraters umfasst eine große Vielfalt von Themen und Stilen, aber die verschiedenen Sektionen sind folgerichtig aufgebaut. Von „Science Fiction“ geht die Fahrt zu „Fiction about Science“ und „Fiction for Scientists“. Danach widmet sich Sterling seinen Interessensgebieten, insbesondere Architektur und Design.

Nach einer Verschnaufpause im Mainstream dreht er jedoch voll auf: „Cyberfunk to Ribofunk“ heißt die Überschrift für seine zwei großen Kollaborationen mit den Kollegen Paul Di Filippo und Rudy Rucker. Diese zwei Storys sind sowohl in der Sprache als auch hinsichtlich ihres geistigen Hintergrunds höchst anspruchsvoll für den deutschen Leser.

Lediglich ihr Plot und ihre Aussage könnte simpler nicht sein. „The Scab’s Progress“ schildert eine Expedition in ein zukünftiges Afrika, und „Junk DNA“ ist ein Märchen über die biotechnische Zukunft des Silicon Valley, das bis dahin schon seine besten Tage gesehen hat. Auch wenn dies die beiden sprachlich anspruchsvollsten Texte der Sammlung sind, so haben sie mir doch am meisten Spaß gemacht: das Vergnügen des Intellektuellen an abgefahrenen Ideen.

Die letzte Sektion trägt den Titel „The Past Is a Future That Already Happened“. Hier finden sich also Erzählungen über die Vergangenheit. Neben der Geschichte über Apepi und Yusuf beeindruckte mich besonders die Novelle über die Kreuzfahrerzeit, in der ein Alien eine offenbar segensreiche Role spielt. Die Aussage lautet mehr oder weniger, dass richtig organisierte Kommunikation für ein gewisses Maß an Frieden sorgt. Ganz gleich, ob diese Kommunikation von einem unabhängigen Fremdwesen oder von einem parteiischen Menschen organisiert wird.

Unterm Strich liefert die Collection dem SF-Interessierten und dem, der neugierig auf neue Ideen ist, einen bunten Strauß von meist gelungenen Erzählungen, in denen Unterhaltung, Einfallsreichtum und vor allem Humor und Menschlichkeit (sogar bei Leuchtkäferchen) spannend und anrührend präsentiert werden. Obwohl der Preis mit 16 US-Dollar ziemlich hoch ist, so habe ich doch den Kauf zu keiner Zeit bereut.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Taschenbuch: 294 Seiten
Originaltitel: Visionary in Residence
ISBN-13: 978-1560258414

_Bruce Sterling bei |Buchwurm.info|:_
[„Inseln im Netz“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=736
[„Die Differenzmaschine“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1339
[„Brennendes Land“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1542
[„The Zenith Angle“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1574

Stephen R. Donaldson – Die wahre Geschichte. Der Schritt in den Konflikt (Amnion 1)

Cliffhanger par excellence – Suchtgefahr

Stephen R. Donaldson ist einer der berühmten, aber merkwürdigen Autoren, merkwürdig in dem Sinne, dass alle seine Werke, die nur in großen Abständen erscheinen, von Charakteren erfüllt sind, die irgendeine Art von seelischem Defekt besitzen: sei es ein Leprakranker wie Thomas Covenant der Zweifler, sei es eine depressive einsame Frau wie Terisa Morgan in „Der Spiegel ihrer Träume“ und ihr Freund, Prinz Geraden – oder wie die Weltraumpolizistin Morn Hyland im neueren Amnion-Zyklus.

Unfreiwillig löst diese neueste „Heldin“ eine Katastrophe aus, in der ihre Familie stirbt, als sie ein Opfer des Hyperspatium-Syndroms wird, das darin besteht, dass sie bei Hochschwerkraft von dem unstillbaren Verlangen erfüllt wird, den Selbstzerstörungsmechanismus ihres Raumschiffs zu aktivieren.

Alle diese Romangestalten wirft Donaldson in eine kritische Situation, so etwa in einer andersartigen Realität, um sie dort einem Verhaltensexperiment auszusetzen – das bis zur Zerstörung ihrer bislang bekannten Realität führen kann. Donaldson ist bekannt für seine extremen Personenkonstellationen und Gefühlslagen – genau das macht den Reiz der meisten seiner Bücher aus. Im Amnion-Zyklus führt er seine Kunst – und die Leser – zu einem neuen Extrem.

Band 1 von 5: „Die wahre Geschichte“

„Die wahre Geschichte“ ist, obwohl in ihrer Kürze untypisch für den Zyklus, ein vielversprechender Auftakt. In einer Dreiecksgeschichte um Morn Hyland, die junge Raumpiratenpolizistin, wechseln die Figuren ihre Rollen: vom Opfer zum Retter, vom Retter zum Bösewicht zum Opfer usw. In diesem „Kammerspiel“ im Weltraum sucht der Außenstehende vergeblich, die „wahre Geschichte“ zu ergründen – diese Spannung bleibt bis Band 5 erhalten!

Der Erzähler/Autor enthüllt sie in Teilen dem gespannten Leser, als würde er die Schichten einer Zwiebel abschälen, um von der Sensationsstory, die den Voyeur anmacht, über die Geschichte der flüchtigen Bekannten des Trios zur eigentlichen Wahrheit vorzudringen, die in keiner Weise zur Befriedigung von Sensationslust geeignet ist: Hier warten Grauen, Leiden und Schmerz, wie man sie in dieser Häufung und Intensität selten in der Literatur findet, allenfalls in einem Thriller von Andrew Vachss. Zartfühlende Gemüter sollten sich auf das Schlimmste gefasst machen.

Angus Thermopyle ist als skrupelloser Raumpirat im Humankosmos gefürchtet. Bei seiner Verfolgung zerstört Morn Hyland unter dem Einfluss des Hyperspatium-Syndroms, das bei hoher Beschleunigung auftritt, ihr eigenes Schiff, wobei sie vor der völligen Vernichtung nur durch ihren Vater bewahrt wird. Thermopyle betritt das Schiffswrack, erschießt Morns Vater und nimmt Morn, die einzige Überlebende, gefangen. Als er von ihrer Krankheit erfährt, setzt er ihr eine verbotene Gehirnelektrode – das sog. Zonenimplantat – ein, mit der er sie komplett fernsteuern kann – teils um sich zu schützen, teils um seine sadistischen Gelüste zu befriedigen. Morn ist ihm willenlos ausgeliefert.

Als sie zu einer Raumstation des Bergwerkkonzerns VMK zurückkehren, dessen Polizei VMKP Morn angehört, erregt ihre Schönheit die Aufmerksamkeit eines anderen Raumpiraten, Nick Succorso (vielleicht von ital. soccorso: Hilfe, Rettung), der als Doppelagent für die VMK und für die Amnion-Aliens arbeitet. Ihr Schicksal hängt davon ab, ob sie die beiden Rivalen gegeneinander ausspielen kann. In einem furiosen Finale besiegt Succorso Thermopyle, und mit Hilfe eines Komplotts zwischen Succorso und einem korrupten Mitarbeiter der Stationssicherheit gelingt es, Thermopyle zu verhaften.

Zum Erstaunen der Polizisten hat er allerdings zu diesem Zeitpunkt das Kontrollgerät für Morns Implantat nicht mehr bei sich. Dadurch, dass sie das Gerät an sich nimmt, versteckt und eisern schweigt, rettet Morn ihrem Peiniger das Leben – und verrät ihren Ehrenkodex als Polizistin. Angus aber wird der VMK übergeben.

Unterm Strich

Donaldsons Amnion-Zyklus (im Original heißt die Serie der Gap-Zyklus, weil „das Gap“ das Hyperspatium ist, das Morn in die Katastrophe geführt hat) ist zweifelsohne ein weiterer Höhepunkt in seinem Schaffen, aber auch für das Genre – darin sind sich fast alle Kritiker einig. Hier hat der Autor nicht nur hohes Drama verwirklicht, sondern auch die niedrigsten wie auch besten Kräfte im Menschen in Extremsituationen sichtbar und erlebbar gemacht. Dieser Stoff macht süchtig!

Hinweis: Später hat der Autor Band 1 und 2 zusammengelegt. Ergibt Sinn!

Taschenbuch: 237 Seiten
O-Titel: The Gap into Conflict: The Real Story, 1991
ISBN-13: 9783453109384

www.heyne.de

Kruschel, Karsten – Vilm 1: Der Regenplanet

_Die |“VILM“|-Reihe:_
1. „Der Regenplanet“
2. „Die Eingeborenen“

_Ausgezeichnet mit dem [|Deutschen Science Fiction Preis 2010!|]http://www.dsfp.de/preistraeger/2010-2 _

_Robinsons Enkel: Besuch bei den Regendrachen_

Eigentlich hatten sich die Siedler an Bord der VILM VAN DER OSTERBRIJK ihr Unternehmen anders vorgestellt. Doch statt sie zu einer entfernten Kolonialwelt zu bringen, war der Weltenkreuzer auf einen namenlosen Planeten gekracht, auf dem es nur eines im Überfluss zu geben scheint: Regen.

Die wenigen Überlebenden, unter ihnen die Kommandantin Eliza Simms, improvisieren zwischen Schrott und Schlamm eine Zivilisation, der nicht nur Kaffee fehlt. Der Planet scheint nur auf sie gewartet zu haben. Allerdings nicht, um sich erobern zu lassen … (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

„Karsten Kruschel wurde 1959 in Havelberg, DDR, geboren, brach nach dem Besuch der Erweiterten Oberschule in Magdeburg und der Facharbeiterausbildung als Agrotechniker / Mechanisator ein Studium der Pflanzenproduktion ab, bevor er kurzzeitig als pflegerische Hilfskraft in der Nervenklinik der Medizinischen Akademie Magdeburg tätig war. 1980 bis 1984 studierte er Pädagogik an der PH Magdeburg, wo er auch seine Diplomarbeit „Wesen und Spezifik der Science-Fiction in der DDR, dargestellt an Romanen zwischen 1977 und 1982″ verteidigte. Seit August 1984 arbeitet er als Lehrer für Deutsch und Geschichte in Leipzig-Grünau; seit November 1985 absolviert er seinen Ehrendienst in der NVA.“ Soweit seine Biografie laut „Lichtjahr 5“ aus dem Jahr 1986, herausgegeben von Erik Simon.

Nun zur Bibliografie. „Seine ersten Veröffentlichungen waren Gedichte und die beiden SF-Geschichten „Aussage des Assistenten“ und „Theorie der Kugelblitze“ (in „Neues Leben“). Seit 1982 hat er zahlreiche Rezensionen zur in der DDR erschienenen SF in der Magdeburger „Volksstimme“ und der Leipziger „Volkszeitung“ veröffentlicht. In der wissenschaftlichen Zeitschrift der PH Erfurt/Mühlhausen (Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, Nr. 2/84) erschien sein Aufsatz „Verfremdeter Alltag in Werken der Science-Fiction-Literatur der DDR“. Seine jüngsten Publikationen sind die SF-Erzählungen „Schach mit Otto“ (in der Anthologie „Aus dem Tagebuch einer Ameise“, 1985) und „Raumsprünge“ (1985 in der Heftreihe „Das neue Abenteuer“).

In „VILM 2. Die Eingeborenen“ gibt der Autor selbst drei weitere Veröffentlichungen an, die als Erzählungen in seine beiden „VILM“-Romane eingeflossen sind. Sie stammen aus den Jahren 1988, 1989 sowie 1999.

_Handlung_

Später kann sich die Offizierin Eliza Simms nur mit Schaudern an die Ereignisse auf der Kommandobrücke des Weltenkreuzers VILM VAN DER OSTERBRIJK erinnern. Da war der unscheinbare Maschinentechniker She Tsi unerwartet aufgetaucht. Ebenso unerwartet eröffnete er das Feuer auf den ersten Offizier, der ihm vor die Nase kam, dann auf den zweiten, der aufsprang, während alle anderen noch wie gelähmt das Ungeheuerliche zu begreifen versuchten. Erst dem dritten Offizier, Gregoire Lafayette, Elizas Geliebtem, gelang es, She Tsis drittem Schuss um eine Mikrosekunde zuvorzukommen und ihm den Kopf wegzuschießen. Fortan sucht Elias Verstand jenes Horrorbild zu verarbeiten, das entstand, als der kopflose Körper vornübersank und einen letzten Schuss abfeuerte …

Wie lang sie auf der Krankenstation gelegen hat, weiß sie nicht. Aber es ist unerheblich, weil sie dort gar nicht aufwacht. Sie sieht zunächst über sich vielmehr eine Zeltplane statt einer Kunststoffdecke und fragt sich, wo sie sich befindet. Schwester Gerda beugt sich über sie, um sie zu pflegen, bis sich endlich erholsamer Schlaf einstellt statt grausamer Albträume. Erst in mehreren Gesprächen erfährt Eliza, was passiert ist: Der Weltenkreuzer VILM VAN DER OSTERBRIJK ist auf einem namenlosen Planeten abgestürzt, auf dem es ständig regnet. Das Gebirge, das sie in einiger Entfernung erblicken kann, tja, das ist der gewaltige Schrotthaufen des Sternenschiffes. Er hat einen Durchmesser von etwa 40 Kilometern …

|Ein Notsignal|

Barbara Brewka und der muskelbepackte Karnese Jonathan Vliesenbrink haben bereits mehrere Kameraden verloren, als sie sich erneut in das Labyrinth der Trümmerstücke wagen. Es ist voller Schluchten, Abhänge, Schutthalden – und scharfkantiger Objekte. An einem davon schneidet sich Jonathan, doch Barbara kann ihn notdürftig verbinden. Dann stoßen sie auf das große Landungsboot, zu dem sie einen Hinweis erhalten haben.

In diesem befindet sich noch ein intakter Gleiter, den sie starten. Als sie jenseits der Atmosphäre sind, gelingt es ihnen, sechs Notsignale zur nächsten, 1500 Lichtjahre entfernten Welt abzusetzen, bevor das Virenprogramm, das bereits die VILM zum Absturz gebracht hat, auch ihrem eigenen Bordcomputer einen Streich spielt. Der Gleiter schmiert ab und bohrt sich Kilometer vom Camp der Überlebenden entfernt in den Boden. Beide werden so schwer verletzt, dass jede Rettung zu spät kommen würde. Schon bald macht sich die gefräßige einheimische Fauna über sie her.

|Aussätzig|

Eliza, die vormals so Privilegierte, wird in das provisorische Verwaltungszentrum geführt, wo jetzt Tina das Sagen hat, eine einfache Siedlerfrau vom Planeten Serafim, die beim Absturz 46 Angehörige verloren hat. Sie hat deshalb auch eine Stinklaune, und ganz besonders die ehemalige Zentralierin Eliza erregt ihre Wut. Eliza ist die letzte ihrer Spezies, die durch Implantate direkten Zugang zum Bordcomputer eines Sternenschiffes hatte. Was nun, Eliza?, spottet Tina. Du wirst von nun an genauso behandelt wie alle anderen. Will heißen, noch mieser.

|Die zweite Expedition|

Tina hat Eliza zu einer weiteren Expedition verdonnert, nachdem Barbara Brewka und Jonathan Vliesenbrink in der Trümmerstadt spurlos verschwunden sind (niemand hat den Gleiter und dessen Absturz bemerkt). Zusammen mit dem schwulen Marek, in den sie sich verliebt hat, und zwei anderen Männern besteigt sie erneut das Gebirge aus Schrott. Wider Erwarten stoßen sie auf einen unzerstörten Trakt von Kabinen, in denen sich kostbare Medikamente finden. Doch die anderen kehren mit einer beunruhigenden Nachricht zurück: Sie haben einen Unterschlupf von Überlebenden gefunden. Alle waren erstickt.

Wie kann das sein, fragen sich alle. Solange die Klimaanlage läuft, konnten die Überlebenden nicht ersticken. Also muss sie abgeschaltet worden sein. Aber von welcher Instanz, die noch das Kommando haben könnte, fragt sich Eliza. Später erklärt sie Tina und dem Verwaltungsrat von VILM, was sie annimmt: Dass die zentrale Künstliche Intelligenz (KI) der VILM den Absturz in Teilen überstanden habe und sich nun mit Hilfe des Selbst-Belebungsprogramm rekonstruiere. Dabei klassifiziere sie Lebewesen jedoch als störend und hinderlich. Deshalb wurde den Überlebenden die Luftzufuhr abgestellt.

Elizas Worte erhalten schon bald ihre Bestätigung, als Roboter und andere Automaten in den Schluchten des Schrottgebirges auftauchen, die Trümmer plündern und daraus ihrerseits neue Automaten zusammenbauen. Es mag siebzig Jahre dauern, bis die VILM-KI ein neues Schiff gebaut habe, aber das sei für eine KI unerheblich. Bis dahin kann sich das Gebirge für Menschen jederzeit erneut als Todesfalle erweisen …

_Mein Eindruck_

Die erste Hälfte des Romans ist ganz klar eine Robinsonade. Die Schiffbrüchigen versuchen sich zu orientieren und wie ihr Vorläufer aus dem 18. Jahrhundert das gestrandete Schiff auszuschlachten, um sich mit allem Nützlichen eine Existenz auf der fremden Welt aufzubauen. Die Suche nach der Ursache des Absturzes ist Nebensache und interessiert eigentlich nur Eliza Simms, die letzte Zentralierin, die Verbindung zur KI des Schiffes hatte. Wie es scheint, wurde dem Attentäter She Tsi ein Gehirnparasit eingepflanzt, der ihn fremdsteuerte und zum Amoklauf brachte. Elizas Verdacht fällt auf die Goldene Bruderschaft, eine Terroristengruppe auf der Zentralwelt. Und diese könnte auch das Selbstzerstörungsprogramm in die Rechner der VILM eingeschleust haben. Sie spielen verrückt und brachten so das Schiff zum Absturz.

Wie dem auch sei, es spielt für die Nachkommen der Schiffbrüchigen keinerlei Rolle. Sie werden nämlich fast alle krank. Dr. Mechin bezeichnet die Krankheit als Pseudo-Diphtherie, und nicht wenige sterben daran. Aber wie sich später zeigt, ist die Krankheit eine wichtige Stufe in der Anpassung der Menschen an den Planeten und dessen Lebewesen. Nur Überlebende der Krankheit sind in der Lage, mit den „Eingesichtigen“, tierischen Pelzträgern von freundlicher Natur, einen empathischen Kontakt herzustellen.

Fortan beobachten Eliza und Dr. Mechin überall solche empathischen Paare, die ihre Gedanken und Gefühle teilen. Dieses Teilen erstreckt sich auch auf andere so verbundene Paare, so dass sich schnell ganze Gruppen und Gemeinschaften von VILM-Kindern und Eingesichtigen herausbilden. Was Eliza noch durch Implantate herstellen konnte – sie sind nach einem Unfall ausgebrannt, so dass sie nun die Einarmige Eliza heißt -, können diese Kinder mit biologischen Mitteln erlangen.

Die menschliche Evolution auf VILM beginnt und hört natürlich nicht so schnell wieder auf. Hierin folgt der Roman dem Vorbild von John Brunners „Die Pioniere von Sigma Draconis“: Der Mensch muss einen evolutionären Schritt weg von der Erde machen, um auf der Siedlerwelt überleben zu können – und dabei nicht verrückt zu werden. Genau wie bei Brunners Hauptfigur essen die VILM-Kinder jede Menge einheimischer Früchte und nehmen so Stoffe auf, die ihre Abwehrkräfte optimieren: Sie werden nach ihrer Genesung von der Pseudo-Diphtherie nie wieder krank.

Ihr größter Wunsch besteht darin, mit dem System der Fauna und Flora – da gibt es Übergangsformen – zu verschmelzen. Wie Eliza, die Lehrerin der Kinder, in einem langen Gespräch mit dem Jüngling Sdevan herausfindet, führen die Kinder ein Forschungsprogramm durch, in dessen Verlauf sie herausfinden, welche psychotrope Wirkung die diversen Früchte der Vegetation auf ihren Geist haben. So gibt es nicht nur eine Droge, die ihre Gedanken beschleunigt, so dass ihnen die Wahrnehmung sagt, alles außerhalb ihrer selbst verlangsame sich. Und es gibt eine Droge, die eine Gestalt-Ansicht der gesamten Umwelt erlaubt. Daher befinden sich die Kinder auf einer ganz anderen geistigen Stufe als die sogenannten Erwachsenen. Und sie wachsen viel schneller.

Die bewegendsten Kapitel drehen sich um diese Anpassung. Mal gelingt sie, mal scheitert sie auf tragische Weise. Um der geheimnisvollen Umwelt des fremden Planeten ein Symbol zu verleihen, erfinden die Kinder die sogenannten „Regendrachen“. Die mythischen Wesen verkörpern das bestimmende Element des Planeten, eben Regen, aber auch dessen formende Kraft, die in der Biosphären VILMs eine prägenden Wirkung auf alles ausübt – nur dass die VILM-Kinder dies erst im Verlaufe ihrer Forschung herausfinden. Auch den Ort, wo der Regen erzeugt wird …

|Sozialistische Utopie, oder was?|

In all diesen mehr oder weniger dramatischen oder bewegenden Entwicklungen, so sollte man annehmen, bildet sich eine neue Gesellschaft heraus. Da die ersten beiden Erzählungen, die in diesen Roman einflossen (über Dr. Mechin und die Regendrachen), schon 1988 und 1989 veröffentlicht wurden, entstanden sie in einem sozialistischen Gesellschaftsumfeld. Man könnte erwarten, dass der Autor eine idealisierte sozialistische Gesellschaft entwirft.

Das könnte durchaus der Fall sein. Es gibt kein Kapital, denn es werden lediglich Werte getauscht und nicht gehortet. Es gibt keine Landwirtschaft oder Industrie im irdischen Sinne, denn entweder lebt man von den Früchten des Landes oder man plündert den Schrottberg. Nur selten werden Werte wie etwa ein geländegängiges Fahrzeug hergestellt, aber sein Konstrukteur stellt diesen Dienst der Gemeinschaft kostenlos zur Verfügung.

Es gibt zwar Tinas Verwaltung der drei Dörfer auf der nördlichen Hemisphäre (der Zugang zum Süden ist blockiert), und Eliza arbeitet als Lehrerin und Wissenschaftlerin, doch ansonsten scheint es weder Bürokratie noch eine Hierarchie zu geben. Tinas Anspruch, Arbeiten zuteilen zu dürfen, wird nie in Frage gestellt, sondern durch Gewohnheitsrecht zementiert.

Aus diesen Puzzleteilen entsteht das Bild einer amorphen Gesellschaft, die allein auf dem guten Willen basiert, das Überleben für die größtmögliche Zahl zu sichern. Ausfälle aufgrund schlechter Anpassung an s Umwelt werden fatalistisch hingenommen. Man kann diesen Entwurf unrealistisch, naiv oder fehlgeleitet nennen, aber er hat seinen eigenen Charme, dieser evolutionäre Kommunismus.

Eliza hat auf Seite 75 die Angst, diese Siedlung könne sich zum Eiland in Goldings Roman „Herr der Fliegen“ entwickeln. Dazu kommt es zum Glück nicht, weil keine kontroverse Parteienbildung stattfindet – noch nicht. Die Erwachsenen spielen noch „Robsinson Crusoe“ (S. 85) und fürchten, zu einer Art „Gollum“ (S. 152) zu werden, während sich ihre Kinder schon weiterentwickeln, um Bestandteil s zu werden.

Die Fortsetzung im 2. Band „: Die Eingeborenen“ wird zeigen, wie weit die Abspaltung der Kinder von der Erstgeneration geht und welche Verwerfungen dadurch entstehen. Der Klappentext suggeriert jedoch, dass die Außenwelt größere Probleme mit der Gesellschaft s hat, als diese mit sich selbst. Darin erinnert der VILM-Doppelroman an Ursula K. Le Guins Klassiker „Planet der Habenichtse / Die Enteigneten“ und „Die linke Hand der Dunkelheit“. Diese amerikanische Autorin wurde in der DDR – das legen ihre vielen Beiträge zu den „Lichtjahr“-Anthologien nahe – sehr geschätzt.

_Unterm Strich_

Nach einem actionreichen Auftakt gerät der Roman zunächst in das Fahrwasser einer Robinsonade, entwickelt sich aber nicht zum Schreckensszanrio eines „Herrn der Fliegen“, sondern bekommt nach dem Vorbild von John Brunners „Die Pioniere von Sigma Draconis“ die Kurve, indem sich die zweite Generation der Siedler vollständig auf die neue Umgebung einlässt und eigene Strukturen aufbaut. Eine Utopie?

Phantastische Romane zu gesellschaftlichen Entwürfen zu verwenden, hatte in der DDR durchaus (von der Zensur genehmigte) Tradition. So sei etwa an den Roman „Andymon“ von Angela und Karlheinz Steinmüller erinnert, in dem sich Siedler auf ihrer Zielwelt gegen alle äußeren und inneren Widrigkeiten einrichten müssen, um gegen die feindliche Umwelt bestehen zu können – ein zunächst recht ähnliches Szenario wie in „“.

Doch die Evolution der VILM-Kinder verläuft bei Kruschel viel optimistischer und ist nicht von internen Zwistigkeiten beeinträchtigt. Trotz diverser Rückschläge findet sich immer ein Mittel, um weiterzukommen – die Umwelt selbst hält die Lösung bereit. Das ist nicht utopisch gedacht, finde ich. Denn Utopia bedeutet ja auch einen gesellschaftlichen Entwurf, wie schon bei Thomas Morus im 16. Jahrhundert. Dieser Entwurf ist bei Kruschel recht unscharf gezeichnet, eher angedeutet. Dafür kann seine Geschichte auf der Seite der Darstellung von Einzelschicksalen deutlich Punkte sammeln – die Szenen sind anrührend und einfallsreich, vielfach auch humorvoll gezeichnet.

Es ist sicher ein wenig frustrierend, dass der vorliegende Band einfach abbricht, aber dadurch wird dem Leser klargemacht, dass er unbedingt die Fortsetzung lesen sollte, um ein befriedigendes Ende der gesamten Geschichte erfahren zu können.

|HINWEIS|

Wer mehr über die Unterschiede zwischen „VILM 1+2“ und „Andymon“ herausfinden möchte, sollte das Nachwort der Steinmüllers in der Ausgabe des Argument-Verlags lesen. Darin natürlich keine Rede von „VILM“, es dient aber als Anregung für einen Vergleich.

|Broschiert: 220 Seiten
ISBN-13: 978-3938065365|
[www.wurdackverlag.de ]http://www.wurdackverlag.de
[Homepage des Autors]http://www.fksfl.de/FKSFL/Autoren/Kruschel/Kruschel.htm