Archiv der Kategorie: Rezensionen

Berndorf, Jacques – Eifel-Kreuz

_Überraschend – Berndorf liest selbst vor!_

Drei Monate nach dem Erscheinen der Buchausgabe wurde der Roman nun als Hörbuch im Dauner Verlag |Technisat Digital Division Radioropa Hörbuch| vertont.

Jacques Berndorf heißt eigentlich Michael Preute und lebt seit der Mitte der achtziger Jahre in der Eifel. Ende der Achtziger schuf der frühere Journalist seine Serie um den freiberuflichen Journalisten Siggi Baumeister, der vorrangig in der Eifel abenteuerliche Geschichten recherchiert.

Berndorfs aktuelles Hörbuch „Eifel-Kreuz“ konfrontiert den Journalisten Siggi Baumeister mit einem absurden Mord, denn in einer verlassenen Villa entdeckt Baumeister einen jungen Mann namens Sven Dillinger, der wie Jesus Christus gekreuzigt wurde. Zeitgleich wird die ermordete Gabriele Sikorkski aus Köln in der unmittelbaren Nähe entdeckt. Die Polizei stellt bald fest, dass die beiden Fahrzeuge der Ermordeten nebeneinander abgestellt wurden. Ein Zusammenhang scheint deutlich und wird dadurch bewiesen, dass beide Toten auf dem Foto einer Radarfalle erkannt werden. Beide saßen im Porsche der Gabriele Sikorski.

Bald stellt Siggi Baumeister fest, dass der ermordete Schüler Sven Dillinger an seiner von Patres geführten katholischen Schule als Querulant und Stimmungsmacher galt, der die biblischen Überlieferungen immer wieder anzweifelte. Baumeister stellt bei seinen Recherchen fest, dass der Tote den Geistlichen wegen seiner Führungsrolle unter den Schülern ein Dorn im Auge war. Bald stellt sich Baumeister die Frage, ob die Lehrer der Schule so weit gehen würden, den Schüler durch eine Kreuzigung zu bestrafen …

Das Verschweigen von kirchlichen Skandalen und auch den Missbrauch von jungen Schulkindern durch Geistliche, wie es immer wieder bekannt wurde, stellt Berndorf ohne Wenn und Aber in den Mittelpunkt. Besonders erschreckend wirkt, wie Rat suchende junge Menschen immer wieder an einer Mauer des Schweigens scheitern. Berndorf scheut sich nicht, düstere Kapitel der katholischen Kirche anzusprechen, kritisiert als Autor die teils verschwiegenen Machenschaften der Kirche zu Zeiten der Hexenverbrennungen und der Inquisition, Dinge, die bis heute oft lieber ausgesessen als aufgearbeitet werden.

Berndorf als Vorleser ist eher eine Überraschung. In der Regel werden Schauspieler oder Synchronsprecher mit entsprechender Stimmausbildung für das Einlesen von Hörbücher verpflichtet. Die Wahl, den Autor selbst zum Vorleser zu machen, wird vor allem die Liebhaber der Eifelkrimi-Serie erfreuen. Aber auch objektiv betrachtet überrascht Jacques Berndorf: Seine sanft brummige Stimme und seine Modulation beweisen ein bislang noch unbekanntes Talent des Autors: vorzulesen. Währende beispielsweise der Nobelpreisträger Heinrich Böll beim Vorlesen eigener Werke wie „Ansichten eines Clowns“ durch seinen rheinischen Dialekt mehr als gewöhnungsbedürftig ist, brilliert Berndorf durch sprachliche Perfektion. Zudem weiß der Autor, durch feine Modulation den Zuhörer zu bannen.

Berndorfs mittlerweile 70 Lebensjahre haben seine literarische und inhaltliche Qualität nicht verändert. Nach einigen Romanen ohne große Höhepunkte, auch wenn sie trotzdem lesenswert waren, dreht der Autor nochmals richtig auf, bewegt den Zuhörer durch eine Geschichte, die neben kritischen Gedanken auch echte Krimikunst vermittelt.

Berndorf vermischt Offenheit für die Kirche und deren Historie mit harscher Kritik an Geistlichen, die weltfremd und herrisch den Glauben vertreten. Privat erlebt Berndorfs Titelheld Siggi Baumeister ein „Coming Out“ – seine Tochter offenbart sich als lesbisch. Doch mit ihrer Homosexualität haben Gesellschaft, Kirche und Freunde offenbar mehr Probleme als der weltoffene Siggi Baumeister. Berndorf scheut sich nicht, den Finger in die Wunde zu legen, wenn Intoleranz und religiöse Fanatiker sich der Moderne und den gesellschaftlichen Veränderungen verschließen.

Fast zehn Stunden dauert das von Berndorf gelungen eingelesene Manuskript. Erhältlich ist es auf acht Audio-CDs zum Preis von 17,80 Euro. Günstiger ist eine Alternative im mp3-Format zum Preis von 9,80 Euro.

|8 Audio-CDs|
http://www.hoerbuchnetz.de/

Wilson, Kevin – Descent: Reise ins Dunkel (Journeys in the Dark)

_Gefahren in der Dunkelheit_

Mächtige Monster, unsterbliche Hexenmeister und Oger, gewaltige Riesen – in der Dunkelheit lauern die größten Gefahren auf eine Gruppe von mutigen Abenteurern. Ihre Waffen: Zauberstäbe, Schwerter, Dolche und die eigenen Fäuste. Doch gegen den finsteren Overlord selbst braucht es mehr als das. Mit Geschick tritt man gegen ganze Horden von mörderischen Gegnern an, durchforstet die Düsternis und vollendet die schwierigsten Questen. Die Reise ins Dunkel hält viele Aufgaben bereit, doch wer den Mut, den Willen und die Bereitschaft zur Kooperation mit seinen Gefährten zeigt, der wird selbst die hinterhältigsten Fallen des Overlords bestehen und in diesem umfangreichen Spiel den Sieg erringen.

_Spielziel_

In „Descent: Reise ins Dunkel“ wird alles von der Queste bestimmt. Sie ist das Herz des Spiels und legt sowohl den Weg als auch die Bestimmung der Helden fest. Im Basisspiel sind insgesamt zehn verschiedene durch die Questen bestimmte Abenteuer enthalten. Der Overlord schlüpft dabei in die Rolle des Spielleiters und baut den Spielplan individuell auf, rekrutiert neue Monster, setzt Fallen sowie Schätze ein und versucht mit aller Macht zu verhindern, dass die Helden bei ihrer Reise durch das finstere Dungeon (Verlies) in das letzte Gebiet gelangen, wo es meist darum geht, einen mächtigen Gegner zu vernichten. In der ersten Quest zum Beispiel geht es darum, den Riesen Narthak aufzuspüren und ihn zu besiegen. Dabei gilt es jedoch zuerst, den verborgenen Schlüssel zum Tor des Endgegners zu finden und sich an zahlreichen Auswüchsen der Finsternis vorbeizuschlängeln. Gewonnen haben die Helden, sobald der letzte Gegner, also der Riese Narthak, besiegt ist. Sollten sie dabei jedoch ihre im Laufe des Abenteuers eingesammelten Questmarker komplett verlieren, trumpft der Overlord auf und gewinnt das Spiel.

_Spielmaterial_

• 1 Regelheft
• 1 Questhandbuch
• 20 Charaktertafeln
• 20 Heldenfiguren
• 39 weiße Monsterfiguren
• 21 rote Monsterfiguren
• 12 Spezialwürfel
• 24 Monsterkarten
• 36 Overlordkarten
• 36 Fertigkeitskarten
• 24 Ausrüstungskarten
• 56 Schatzkarten
• 4 Reliktkarten
• 1 Kompassmarker
• 1 Stadtmarker
• 61 Spielplanteile
• 10 Türen plus Plastikstandfüße
• 49 Ausstattungsmarker
• 55 Lebensmarker
• 24 Ausdauermarker
• 52 Geldchips
• 16 Befehlsmarker
• 32 Drohmarker
• 24 Questmarker
• 1 Schablone Feueratem
• 55 Effektmarker
• 39 Schatzmarker
• 4 Spielzugmarker
• 12 Trainingsmarker
• 6 sonstige Marker

Nun, spricht diese Liste nicht für sich? Einmal mehr entpuppt sich ein Spiel aus der amerikanischen Brettspiel-Schmiede als absolute Materialschlacht. Unzählige pompös aufgemachte (leider nicht bemalte) Monster, Marker ohne Ende, eine riesige Auswahl an Puzzleteilen für den Aufbau der jeweiligen Dungeons und dann noch einmal haufenweise Karten und noch mehr Marker. Wahnsinn, was in dieser riesigen Spielschachtel aufbewahrt wird, und dies dann auch noch bei einer durchgängig hochwertigen Materialqualität. Lediglich die Kompatibilität der einzelnen Spielplanteile ist arg bescheiden und beschert einem im Laufe des Dungeonaufbaus so manchen nervigen Moment. Ähnliches hatte ich zuletzt noch bei [„Doom“ 3099 erlebt, welches überhaupt gravierende Ähnlichkeiten zu „Descent“ aufweist. Der Grund hierfür ist jedoch auch schnell gefunden. Autor Kevin Wilson ist für beide Spiele verantwortlich, hat die grundlegenden Ideen und Regeln daher auch für sein neues Projekt übernommen, dabei allerdings einige Mechanismen erneuert und zuletzt noch viele Optionen eingebaut. Doch damit gehen wir schon aufs Fazit zu, und das wäre zu diesem Zeitpunkt noch etwas verfrüht. Festzuhalten bleibt bis hierhin, dass das Spielmaterial in jeglicher Hinsicht vom Feinsten ist und optisch und zweckmäßig absolut überzeugt.

Einen Kritikpunkt gibt es allerdings doch noch, und das betrifft erneut die Aufteilung der Spielmittel in der riesigen Schachtel. Zwar gibt es drei größere Fächer und einige kleine, transparente Schatullen, doch um dem gesamten Material gerecht zu werden, führt die schlechte Ausstaffierung des Kartons einmal mehr zu einer Überforderung beim Einsortieren.

_Die Monster_

Monster trifft man bei der Reise durchs Dungeon fast mit jedem Schritt. Der Overlord kann mithilfe seiner Karten sehr oft neue Figuren ins Spiel bringen und verfügt diesbezüglich über derart viele Möglichkeiten, dass das Bestehen einer Quest für die Helden zu einer wirklich kniffligen Aufgabe werden kann. Sich den Monstern im Kampf zu stellen, muss dabei nicht immer die beste Lösung sein, denn die meisten dieser Figuren sind dem einzelnen Helden hinsichtlich ihrer Fähigkeiten um einiges überlegen.

Insgesamt gibt es in „Descent: Reise ins Dunkel“ zwölf verschiedene Monstercharaktere in den Farben weiß und rot, die je nach Fähigkeit seltener vertreten sind. Gerade in den ersten Quests ist es aber so, dass zunächst nur die (relativ betrachtet zumindest) etwas leichter zu besiegenden Monster am Spiel teilnehmen, wohingegen Drachen und Dämonen erst in den späteren Profi-Quests eingreifen. Doch für die Einführung ins Spiel reicht dies auch völlig aus, zumal es manchmal auch enorm schwierig werden kann, gegen eine Vielzahl von vergleichsweise schwächeren Monstern wie Tiermenschen oder Skeletten zu bestehen.

Je nach Spielerzahl variieren die Fähigkeiten der Monster, das heißt sie werden mit wachsender Anzahl der Helden immer stärker, so dass in allen Spielvariationen immer dafür gesorgt wird, dass die Voraussetzungen für beide Seiten ungefähr gleich sind – wobei es schon manchmal so ausschaut, als wären die Monster im Vorteil. Unterschiede bestehen auch zwischen den Monstern selber; sie sind unterteilt in Standard- (weiß) und Elite-Monster (rot), wobei sich die Einteilungen schon durch die Namen erklären. Die roten Elite-Monster haben stärkere Rüstungen, mehr Lebenskraft und zudem eine besondere Eigenschaft zusätzlich. Daher sollte man sich dieser stärkeren Monster auch zuerst entledigen, denn wenn sie einmal zum Angriff ansetzen, kann dies bereits tödlich sein.

Insgesamt sind die Fieslinge des Overlords sehr gut ausgestattet, was den Anspruch des Spiels auch gehörig anhebt. Doch das ist auch gut so und macht selbst eine bereits bestandene Quest nicht langweilig. Selbst wenn man den Aufbau und die verschiedenen Verstecke kennen gelernt hat, ist das Spiel immer noch taktisch und spannend genug, so dass sich auch weitere Versuche am selben Abenteuer lohnen. Und schon wieder wären wir bei einem Teil des Fazits, der hier nicht hingehört …

_Die Helden_

Insgesamt stehen den Heldenspielern 20 Charaktere zur Verfügung, die normalerweise vom Spieler des Overlords ausgehändigt bzw. verdeckt gezogen werden. In einer Sonderregel ist jedoch auch erwähnt, dass man seinen Helden selber auswählen darf. Dies sollte besonders dann erwogen werden, wenn es sich beim Overlord um einen Spieler mit mehr Erfahrung handelt.

Ähnlich wie Monster haben auch die Helden ganz unterschiedliche Fähigkeiten sowie jeweils drei Zusatzfertigkeiten, die sich aus ihren zu Beginn gezogenen drei Fertigkeitskarten ergeben. Im weiteren Spielverlauf dürfen die Heldenspieler ihre Figuren jedoch mit stärkeren Rüstungen, Waffen, Zaubern und Gegenständen ausrüsten, müssen dabei jedoch beachten, dass jeder Held nur ein gewisses Ausrüstungskontingent mit sich bzw. im Rucksack für den späteren Gebrauch führen kann. Diese Gegenstände können sie entweder in der Stadt kaufen oder sie werden in einer der vielen versteckten Schatztruhen aufbewahrt, auf die man an verschiedenen Stellen des Dungeons stößt. Ähnlich wie für die Monster, so gilt auch für die Helden, dass sie dank ihrer vielfältigen Waffen und der später auch noch hinzustoßenden externen Gefährten sehr gut für den Kampf im Dunkeln gewappnet sind.

_Spielvorbereitung_

Vor jedem Spiel findet zunächst einmal die Rollenverteilung statt. Während die Heldenspieler sich mit ihren Charakteren vertraut machen, die entsprechenden Karten ziehen, sich mit Lebens-, Geld-, Befehls- und Ausdauermarkern bestücken und schließlich in der Stadt ihr Geld gegen Waffen, Rüstungen und dergleichen eintauschen, baut der Overlord-Spieler nach Auswahl der Quest den Spielplan samt Türen und allen Utensilien (Monster, Marker, Hindernisse, usw.) des Startgebiets auf. Anschließend wird um das Spielfeld herum das üppige Kontingent an Karten, Markern und generell allen Gegenständen, die im Spiel benötigt werden, in Griffbereitschaft ausgelegt. Der Overlord nimmt einen Satz Monsterkarten, deckt sie der Spielerzahl entsprechend offen vor sich auf und legt auch die Overlord-Karten sowie die Drohmarker in der Nähe seines Platzes ab. Weiterhin sollte er alle Materialien, die er für den Aufbau weiterer Gebiete benötigt, bereithalten, damit es nicht zu unnötig langen Unterbrechungen bei der Entdeckung eines neuen Spielabschnitts kommt. Sobald alle Vorbereitungen getroffen sind, kann das Spiel nun mit dem ersten Heldenspieler beginnen.

_Spielablauf_

In jeder Spielrunde beginnen zunächst die Heldenspieler die Erkundungsreise durchs Dunkel. Sie dürfen dabei Runde für Runde neu entscheiden, in welcher Reihenfolge sie agieren und dadurch eventuell angeschlagene Spieler schonen bzw. ihnen den Weg freiräumen oder Bedrohungen fernhalten und besiegen.

Der Zug eines Helden setzt sich nun aus folgenden Schritten zusammen:

|1.) Karten auffrischen|

Alle im letzten Spielzug verwendeten Karten gelten als erschöpft und werden nach ihrer Benutzung zunächst umgedreht. In der nächsten Runde werden sie nun wieder aktiviert und offen vor den Heldenspieler ausgelegt. Er kann sie nun wieder für den aktuellen Spielzug zum Einsatz bringen.

|2.) Ausrüstung zusammenstellen|

Jeder Spieler darf pro Zug nur ein gewisses Kontingent an Ausrüstungsmaterialien mitnehmen. Erlaubt sind hierbei Waffen mit einer Gesamtzahl von zwei Händen (schließlich hat jeder Held auch nur zwei Hände), eine Rüstung, drei Tränke und zwei Gegenstände. Außerdem darf jeder Held in beliebiger Anordnung noch drei weitere Ausrüstungsteile in seinem Rucksack bei sich führen, die er jedoch in dieser Runde nicht aktiv einsetzen kann. Es gilt also, schon vorher abzuwägen, mit welcher Ausstattung man in jedem Spielzug durch die Dunkelheit zieht.

|3.) Eine Aktion durchführen|

Der aktive Teil einer Heldenspielphase beginnt eigentlich erst in der letzten Aktion. Insgesamt stehen ihm vier verschiedene Aktionskombinationen zur Verfügung, wobei er jedes Mal gemeinsam mit den übrigen Helden abwägen muss, welcher Schritt in der aktuellen Phase der sinnvollste ist. Ein Fluchtversuch oder eine beschleunigte Entdeckung lassen sich am besten mittels ‚Rennen‘ ermöglichen. Der Held kann mit dieser Aktion die doppelte Anzahl der auf der Charakterkarte angezeigten Schritte horizontal, vertikal oder diagonal über den Spielplan ziehen oder aber spezielle Bewegungen über bestimmte Hindernisse oder durch Portale wie die Glyphen oder Treppen durchzuführen. Weiterhin kann er Ausdauermarker einsetzen, um noch weitere Schritte zu gehen. Das andere Extrem ist der pure Kampf. Entsprechend den Möglichkeiten seiner Waffenausrüstung kann er im Nah-, Fern- oder Zauberkampf den Monstern gegenübertreten und mit den auf den Waffenkarten abgebildeten Würfeln (plus durch weitere Fertigkeiten oder Ausdauermarker ergänzte Machtwürfel) gleich zwei Angriffe durchführen. Dies empfiehlt sich besonders dann, wenn man einen vernichtenden Schlag gegen ein stärkeres Monster durchführen möchte und möglicherweise gleich mehrere Versuche benötigt, um den Gegner in die Knie zu zwingen. Mit ‚Vorrücken‘ kann man diese beiden Aktionen auch kombinieren und in beliebiger Reihenfolge kämpfen und seinen Helden bewegen. Die letzte Option ist die ‚Alarmbereitschaft‘ Mit ihr kann man entweder kämpfen oder eine Bewegung durchführen und zusätzlich einen Befehlsmarker ausspielen. Auch hier kann man noch einmal zwischen vier verschiedenen Möglichkeiten wählen, und zwar ‚Zielen‘ (Kampfwürfel nach dem Wurf eventuell durch neues Auswürfeln verbessern), ‚Ausweichen‘ (bei einem Angriff des Overlords beliebige Angriffswürfel neu werfen lassen), ‚Absichern‘ (bei einem feindlichen Angriff selber zuerst einen Angriff starten) und ‚Ausruhen‘ (das Gesamtkontingent der eigenen Ausdauermarker wieder auf die Hand nehmen).

|Overlord|

Der Spieler des Overlords führt in seinem Zug ebenfalls drei Schritte durch. Zunächst zieht er abhängig von der Mitspielerzahl jeweils einen Drohmarker. Mit genau diesen Drohmarkern muss er anschließend die Aktionen auf seinen Overlord-Karten bezahlen. Allzu mächtige Aktionen sind also somit nicht sofort zu Beginn eines Spiels möglich, sondern müssen erst erarbeitet werden. Sollte der Overlord-Spieler keine spezielle Karte ausgespielt haben, darf er nun in jeder Runde zwei neue Karten ziehen, muss jedoch das Maximum von acht Handkarten beachten. Weiterhin darf er nun auch Karten abwerfen, was ihm ebenfalls Drohmarker beschert.

Sollte sich unter den gezogenen oder den Handkarten eine Entstehungskarte befinden, kann diese nun ausgespielt werden. Dies ist jedoch kein Muss, aber für den weiteren Spielverlauf höchstwahrscheinlich sehr förderlich. Jede dieser Karten ermöglicht dem Spieler, zusätzliche Monster ins Dungeon zu bringen und die Helden noch stärker einzukesseln. Pro Runde darf man diese Aktion jedoch nur einmal wählen.

Nun beginnt auch die tatsächliche Aktionsphase des Overlords. Jedes seiner Monster darf er nun einmal aktivieren, das heißt er darf mit jeder Figur genau eine Bewegung und einen Angriff starten. Und natürlich kann er dabei auch weiterhin Karten ausspielen, sofern die nötigen Drohmarker zur Begleichung der Kosten vorhanden sind.

Eine zusätzliche Aufgabe des Overlord-Spielers ist der weitere Aufbau des Spielfelds. Sobald ein Heldenspieler eine Tür zu einem neuen Gebiet geöffnet hat, baut er dieses neue Gebiet den Anordnungen im Questhandbuch entsprechend mit Markern, Monstern und weiteren Gegenständen auf und liest auch die dazugehörigen Aufgaben, Hintergrundgeschichten und Zielvorgaben vor.

_Der weitere Verlauf_

Runde für Runde erkunden die Helden nun das Dungeon, während der Overlord ihnen immer neue Monster in den Weg stellt, Schatztruhen und Schlüssel bewacht und versucht, ihnen durch den Tod der einzelnen Helden die Questmarker zu rauben. Sobald ihm dies tatsächlich gelungen ist, müssen die Heldenspieler sich geschlagen geben. Allerdings ergeben sich im Lauf des Spiels zahlreiche Möglichkeiten, neue Questmarker aufzusammeln, sei es nun durch das Überschreiten von Transportglyphen oder eben durch Aufspüren von Schatztruhen, die außerdem häufig noch wichtige Waffen, Zauber oder andere Gegenstände enthalten, mit denen sich die Kraft der Helden verstärken lässt.

Dennoch ist das Spiel für die Helden hart; je näher man auf das Ziel zusteuert, desto stärker werden die Monster, und wenn ein Oger mit der Fähigkeit ‚unsterblich‘ trotz seiner Vernichtung mit viel Glück immer wieder neu belebt wird und man schier verzweifelt mit ansehen muss, wie der Overlord ohne großes Zutun die Helden dezimiert, kann das Ganze schon frustrierend sein. Doch wäre es nicht langweilig, wenn die Reise ins Dunkel ein einziger Durchmarsch und die tatsächliche Herausforderung gar nicht so schwer wäre? Aber, das kann man schlussendlich schon nach den ersten Partien konstatieren, dem ist bei „Descent“ durch die höheren Anforderungen an das Heldenteam schon entscheidend vorgebeugt worden. Die Aufgaben sind von einem erhöhten Schwierigkeitsgrad geprägt und gerade für die Heldenspieler tatsächlich die ersuchte Herausforderung.

Meist entscheidet sich das Spiel erst in der entscheidenden Schlacht gegen den Endgegner, doch der Weg dorthin ist manchmal wirklich lang, garantiert spannend und nicht selten sehr schwierig zu bewältigen – für den Laien genauso wie für den Profi.

_Meine Meinung_

Ich habe in der Beschreibung des Spiels schon Vieles vorweggenommen, und ich denke, man hat meinen teils begeisterten Schilderungen auch schon angemerkt, dass ich „Descent: Reise ins Dunkel“ bislang jedes Mal mit größer Freude und völliger Faszination ob der großartigen Idee auf den Tisch gebracht habe. Egal ob man nun nur zu zweit spielt – in diesem Fall hat der Heldenspieler zwei Charaktere auf seiner Seite) – oder im ultimativen Fünfkampf gegeneinander antritt, das Spiel hat in jeder Version seinen Reiz, zehrt dabei sicherlich auch vom Einsatz der vielen, logisch miteinander verknüpften Materialien, fesselt einen aber jedes Mal wieder an das finstere Dungeon, welches das Spielfeld des Fantasy-Games beschreibt.

Dennoch wird das Spiel jetzt keinen Originalitätspreis bekommen, denn Autor Kevin Wilson hat insgesamt recht viel von seiner Brettspiel-Adaption des PC-Klassikers „Doom“ übernommen. Die Spielzüge sind sogar nahezu gleich, ebenso der Aufbau der Spielfläche und das Prinzip des „Einer gegen alle“-Kampfes und natürlich die in einem zusätzlichen Handbuch aufgeführte Differenzierung in verschiedene Abenteuer. Doch der wesentliche Unterschied besteht darin, dass man wirklich jeden Spielzug und jede erdenkliche Spieloption durch zusätzliche Möglichkeiten ergänzt und so die grundlegenden, ohnehin schon sehr umfassenden Spielprinzipien noch einmal um ein Vielfaches erweitert hat. Es gibt unterschiedliche Kampfhandlungen (zum Beispiel den interessanten und teils sehr effektiven Zauberkampf), die Monster haben ganz individuelle Fähigkeiten und Besonderheiten, die Marker offenbaren komplexere Aufbauten, das Mehr an Karten und dadurch ausgelöste Aktionen macht das Ganze zudem unberechenbarer, als das Spiel samt der zunächst verborgenen Gebiete sowieso schon ist, und durch die Wahl der Ausrüstung und der Zugreihenfolge gewinnt auch die taktische Komponente noch mehr an Bedeutung. Nicht zu vergessen die Drohmarken, die den Overlord bei seinen Aktionsmöglichkeiten ein wenig einschränken und ihm so verbieten, seinen leichten Vorteil durch die insgesamt etwas stärkere Monsterfraktion noch weiter auszubauen. Und damit wäre nur ein kleiner Teil der ausgebauten Ideen beschrieben …

Letzten Endes kann man also sagen, dass der Spielcharakter von „Doom“ die Idee zu „Descent“ sicher vorangetrieben und auch Pate für den Aufbau des Spielverlaufs gestanden hat, aber weil „Doom“ sich längst bewährt und auch rundum begeistert hat, ist dagegen ja erstmal nichts zu sagen. Weil „Descent“ die Ideen jedoch auch nur aufnimmt, um das Prinzip zu forcieren und schließlich eine weitaus umfangreichere Variante eines derart aufgebauten Spiels zu kreieren, all das zudem auch vollkommen legitim ist, weil hier nicht abgekupfert, sondern tatsächlich nur aus dem Fundus desselben Designers verbessert wird und „Descent“ mit all seinen Möglichkeiten, seiner beachtenswerten Optik und dem fantastisch umgesetzten Spielsystem wirklich pausenlos für Begeisterung sorgt, ist man am Ende sogar froh, dass Wilson sich stellenweise in der kreativen Vergangenheit bedient hat – zumal die wiederum sehr anschaulich aufgeführten Spielregeln für eingefleischte „Doom“-Fans von Beginn an nur noch Formsache sind.

Der Rahmen wird schließlich durch die unbegrenzte Abenteuervielfalt, die sich mittlerweile auch im Internet ausbreitet, gesprengt. Erst kürzlich hat man zum großen Wettbewerb ausgerufen, um neue innovative Questen vorzustellen, die man sich nun auf der Seite des |Heidelberger Spieleverlags| gesondert anschauen und natürlich nachspielen kann. Und natürlich ist jedem auch freigestellt, eigene Questen zu erfinden und sie gegebenenfalls mit Gleichgesinnten zu teilen. Bei all dem, was sich hier visuell und spielmechanisch bietet, kann man als Fazit nur eines sagen: Wilson hat mit „Descent“ die Brettspielwelt ein weiteres Mal revolutioniert und eines der besten, wenn nicht vielleicht sogar das beste Fantasy-Spiel der letzten Jahre entworfen. Ich kenne jedenfalls kein Spiel, bei dem Quantität und Qualität so sehr in Einklang waren oder sind wie beim Inhalt dieser riesigen, lilafarbenen Spielschachtel. Bei einem (für das üppige Spielmaterial) noch recht günstigen Preis von 45 € bei |amazon.de| bzw. 60 € empfohlenem Ladenpreis kann man hier nichts, aber auch wirklich gar nichts falsch machen.

http://www.hds-fantasy.de/
http://www.heidelberger-spieleverlag.de

Thiesler, Sabine – Kindersammler, Der

In unserer heutigen Zeit, und das nicht nur in unserem Land, gibt es, glaubt man den Medien, immer mehr Fälle von Serienmorden. Die Opfer: meist wehrlose Kinder, und finden sich Berichte dieser Morde oftmals detailliert und grausam geschildert in der Presse und in den verschiedenen Nachrichtenmagazinen sowie im Fernsehen wieder. Die Täterprofile ähneln sich; meist unscheinbare, unauffällige Männer, zumeist Einzelgänger. Die meisten werden gefasst, die meisten begehen zum Glück Fehler in dem Versuch, entweder Aufmerksamkeit zu erlangen oder die Taten zu vertuschen.

Psychologen, Polizisten, Politiker versuchen die Psyche dieser oftmals krankhaften Mörder zu ergründen. Vieles wird versucht zu erklären, oftmals durch die Presse bis in grausamste Detail transparent gemacht, nicht nur der Verlauf der Morde, vielmehr geht es um die Frage, warum dieser allen Anschein nach „harmlose“ Mann eine solche Tat begangen hat, die ihm kein Mensch zugetraut hätte.

Ist der Mensch von sich aus „böse“ oder beeinflussen verschiedene Mechanismen, Erlebnisse in der Kindheit den Täter so sehr, dass er nicht mehr unterscheiden kann zwischen Grausamkeit und individueller Auslebung seines devianten Charakters?

|Was macht einen Menschen zum Mörder?|

Der Roman von Sabine Thiesler mit dem Titel „Der Kindersammler“ greift ein Thema auf, das wie oben schon beschrieben immer wieder Schrecken und Angst hervorruft. Gerade junge Eltern können ihre alptraumhaften Ängste gar nicht greifbar machen und denken immer wieder, dass dies nur anderen widerfahren kann, auf gar keinen Fall ihnen selbst.

„Der Kindersammler“ ist ein Roman, der der wahrscheinlichen Realität viel zu nahe kommt. Er berührt, aber zumeist erschreckt er und ein Grauen breitet sich im Leser aus, wie man es selten erlebt. Oftmals fragte ich mich bei der Lektüre: Musste das wirklich so erzählt werden? Musste aus diesem grausamen Muster an Fällen der Vergangenheit ein Roman entstehen?

_Die Geschichte_

Berlin 1986. Alfred, ein junger Mann Anfang dreißig, unauffällig und ein Einzelgänger, lebt vor sich hin. Ein Überlebenskämpfer in der anonymen Größe einer Stadt, immer bereit, dieser so schnell wie es geht den Rücken zu kehren. Er hat schon gemordet, nicht nur Menschen, krampfhaft versucht, dieser Unruhe Herr zu werden, dem Drang zu widerstehen, Kindern seine Macht aufzuzwingen und sie später fast schon in einer theatralischen Szene zu töten.

Seine Kindheit ist ein einziger lang anhaltender Schrecken. Die einzige Bezugsperson ist sein älterer Bruder, der ihn beschützt, nicht nur vor Mitschülern, die ihn hänseln, sondern er gibt Alfred auch Rückendeckung gegenüber der chronisch kranken und sozial schwachen Mutter. Aber dieser erkrankt schwer und stirbt schließlich. Alleine gelassen, glaubt er zu erkennen, dass er die Macht über Leben und Tod hat. Nur er bestimmt, wann der Tod ihn einholt, nur er hat die Kontrolle über sich und andere. Ein Gotteskomplex.

Ein Zufall lässt Alfred in der Gegenwart wieder töten. Bei einem Spaziergang hilft er einen kleinen Jungen, der von zwei Jugendlichen ausgeraubt werden soll. Er verjagt diese und gewinnt dadurch das Vertrauen des kleinen Benjamin. Benjamin Wagner ist kein guter Schüler. Seine Familie ist in Schwierigkeiten, der Vater hoffnungslos damit überfordert, dass seine Frau unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt und durch einen erneuten Schub an den Rollstuhl gefesselt ist, seine Abende verbringt er in Kneipen und entflieht mit Alkohol der Gegenwart und der Zukunft. Eine zerstörte Familie, die dem fast schon Zwölfjährigen keinen Rückhalt bietet. Nachts lauscht er den Gesprächen seiner Eltern und morgens geht er übermüdet in die Schule.

Alfred vergewaltigt Benjamin Wagner und tötet diesen, danach präpariert er dessen Leiche. Er versteckt sie nicht, sondern setzt den Körper an einen Tisch und stellt ihn dort gewissermaßen aus. Eine Szene für die Nachwelt; er will jedem zeigen, wer der Herr über Leben und Tod ist. Aber nicht, ohne ein „Souvenir“ des toten Kindes zu behalten.

Doch Alfred wird der Boden zu unsicher, nicht nur in Berlin auch in anderen Städten hat er gemordet. Die Polizei fahndet mit Hochdruck und zusammen mit einer Frau, die ihm nur zur Vertuschung dient, wandert er in die Toskana aus, wo beide mit bescheidenen Mitteln leben.

Aber auch hier mordet Alfred, der jetzt in der Toskana unter dem Namen Enrico weiterlebt. Doch die italienische Polizei verfolgt die Spuren nach einer gewissen Zeit nicht weiter. Sein nächstes Opfer wird wieder ein kleines Kind – Felix, Sohn einer kleinen Familie, die in der Toskana Urlaub macht.

Nach dem Verschwinden ihres Sohnes kehren Anne und Harald wieder zurück nach Deutschland. Doch Anne hat nach zehn Jahren noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben und kehrt an den Ort ihres Verlustes zurück. Sie will auf eigene Faust herausfinden, was damals passiert ist, und bei aller Angst und Ungewissheit ahnt sie nicht, wie nahe sie dem Serienmörder kommt …

_Meine Meinung_

Sabine Thiesler erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, und genau das ist das Erschreckende an diesem Roman. Den Mord aus der Sichtweise des Opfers, des zwölfjährigen Benjamin Wagner zu schildern, mitsamt all seiner Empfindungen und Ängste, weckt im Leser eine solche düstere Beklemmung, dass er fast schon überlegt, ob es ratsam ist, diesen Roman weiterzulesen. Aber nicht nur diese Sichtweise ist fast schon brutal; die Kindheit des Mörders, die für die Autorin wohl der Auslöser für die Morde ist, ist ebenso deutlich gezeichnet.

Die Autorin spielt mit verschiedenen Varianten des Schreckens. Als Elternteil liest man den Roman wahrscheinlich mit einer ganz anderen Empfindung. Gerade die Sichtweise der besorgten und verängstigen Eltern, die darauf warten, dass der Sohn zur Türe reinkommt, ist gnadenlos. Auch hier musste ich manches Mal den Roman beiseitelegen. Sabine Thiesler spielt mit unseren Urängsten, unseren Beschützerinstinkten, die ein jeder Vater oder eine jede Mutter hat.

Ich gebe zu, der Roman ist spannend, die Story ist jedoch von Klischees überfüllt. Der Mörder, der eine zerstörte Kindheit vorzuweisen hat; die Kinder, die ermordet wurden, kommen entweder aus zerstörten oder zu glücklichen Familien. Ein jeder Leser wird diese „Geschichten“ aus den Medien wiedererkennen. Spannend, aber zugleich viel zu brutal schildert Sabine Thiesler die Sichtweisen der Charaktere: des Mörders – des Opfers – der Eltern.

Brutal ist dieser Roman nur durch die Ängste, mit denen er spielt. Die Morde werden nicht im Detail geschildert, nicht blutig beschrieben. Ganz im Gegenteil. Ist es das, was diesem Roman auf den Bestsellerlisten einen solch hohen Rang einbringt? Ich denke schon. Unsere Zivilisation ist abgestumpft und träge geworden. Aufregung bieten nur die Medien mit ihren täglichen Schreckensbildern, die sich, gleich, aus welchem Land sie kommen, ähneln. Heute ein Mord, morgen eine Naturkatastrophe, übermorgen ein Krieg mit unzähligen Opfern. Aber nichts ist darunter, was uns wirklich schockiert, nur krankhaft fasziniert.

Ich kann diesen Roman nicht guten Gewissens empfehlen, und dies aus vielen Gründen. Unter anderem, weil Kinder die Opfer sind, weil mit ihren Ängsten gespielt wird und mit unserem Voyeurismus. Weil man zwar Nervenkitzel bei der Lektüre erlebt, dies aber weniger der fiktiv-erzählerischen Güte wegen als vielmehr, weil die Darstellung viel zu real gehalten wird. Der Roman zeigt uns, dass jedes Kind verletzlich ist und zum Opfer werden kann, egal, wie viel Liebe und wie viel Sicherheit wir innerhalb der Familie geben können. Wann wird aus einer fiktiven Geschichte Realität, wann wird aus dieser Geschichte erbarmungslose Brutalität? Der Roman schildert nur die Tat und erklärt nicht die Morde, wenn diese ebenso wie die Beweggründe nur als Klischees zu empfinden sind.

_Die Autorin_

Sabine Thiesler wurde in Berlin geboren und wuchs in der Hauptstadt auf. Sie studierte Theaterwissenschaft und Germanistik. Einige Jahre arbeitet sie als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne. Außerdem war sie Ensemblemitglied der „Berliner“ |Stachelschweine|. Sie verfasste Drehbücher fürs Fernsehen, z. B. für die Reihen des Tatorts und Polizeiruf 110.

„Der Kindersammler“ ist ihr Debütroman.

|527 Seiten|
http://www.heyne.de

Connolly, John – Nocturnes

In zwei Novellen und 13 Kurzgeschichten erkundet Connolly, sonst als Meister des psychologischen Thrillers bekannt, die Abgründe nicht nur menschlicher Seelen:

– „Der Krebscowboy reitet“ (The Cancer Cowboy Rides), S. 5-83: Die moderne Pest hat Köpfchen und lässt ihren unglücklichen Wirt dafür sorgen, dass stets frische Opfer ihren tödlichen Weg kreuzen …

– „Mr. Pettingers Dämon“ (Mr. Pettinger’s Daemon), S. 84-99: Gräbst du unter einer alten Kirche nach einem Geheimnis, kann es sein, dass es sich dir entgegenwühlt …

– „Der Erlkönig“ (The Erlking), S. 100-110: Er haust im Wald, hat Kinder zum Fressen gern und lässt sich gar nicht gern um sein Opfer betrügen …

– „Die neue Tochter“ (The New Daughter), S. 111-125: Elfen mögen klein sein, sind aber gar nicht niedlich & gehen des Nachts gern auf Kinderfang …

– „Das Ritual der Knochen“ (The Ritual of the Bones), S. 126-140): Der englische Arbeiter ist nicht nur das Salz, sondern auch das Blut der Erde, das die Oberschicht zur Wahrung ihrer Privilegien lieber vergießt als den eigenen Lebenssaft …

– „Der Heizungskeller“ (The Furnace Room), S. 141-154: Der Eingang zur Hölle ist für manchen Sünder näher, als er sich vorstellen mag – bis es zu spät ist …

– „Die Hexen von Underbury“ (The Underbury Witches), S. 155-198: Eine echte Hexe ist durch ihren Tod nicht aufzuhalten …

– „Der Affe auf dem Tintenfass“ (The Inkpot Monkey), S. 199-210: Ein bisschen Blut im Austausch gegen Tinte, die Bestseller entstehen lässt? Der erfolglose Schriftsteller denkt nicht lange nach, doch sein dämonischer Helfer hat eigene Pläne …

– „Treibsand“ (The Shifting of the Sands), S. 211-225: In diesem Küstenstädtchen halten sich die Bürger lieber an ihre seit Urzeiten bekannten Götter, auch wenn hier und da ein Menschenopfer fällig wird …

– „Manche Kinder laufen aus Versehen weg“ (Some Children Wander by Mistake), S. 226-237: Der Zirkus kommt in die Stadt, und als er sie verlässt, hat er eine neue Attraktion …

– „Dunkles Grün“ (Deep Dark Green), S. 238-247: Manches Übel ist nicht dadurch zu stoppen, dass man es zu ertränken versucht …

– „Miss Froom, Vampirin“ (Miss Froom, Vampire), S. 248-260: Vampire sind gar keine garstigen Untoten, erfährt ein verliebter Jüngling; nur neigen sie leider zur Lüge …

– „Nocturne“ (Nocturne), S. 261-273: Wie kämpft man gegen einen Mörder, wenn dieser längst tot ist, aber nicht in Frieden ruhen mag?

– „Die Wakefordschlucht“ (The Wakeford Abyss), S. 274-288: Meidet diesen Ort, warnt der alte Bauersmann, was zwei wackere Wanderer natürlich nicht abhält, genau dorthin zu gehen – mit den üblichen Folgen …

– „Das spiegelnde Auge“ (The Reflecting Eye: A Charlie Parker Novella), S. 289-410: Ein ertappter Kindermörder meint den idealen Zufluchtsort gefunden zu haben, doch der Teufel ist einfallsreich, wenn es gilt, ihm zustehende Sünderseelen einzutreiben …

John Connolly gehört zu den großen Stars des aktuellen Buchthrillers. Seine Romane um den vom Schicksal hart geprüften Privatdetektiv Charlie „Bird“ Parker gehören zu den modernen Klassikern ihres Genres. Selten gelingt es einem Schriftsteller – zumal auf dem gern verachteten Sektor der Unterhaltung – so gut, die dunklen Seiten der Psyche in Worte zu fassen.

Dabei sieht Connolly das Böse als reale Kraft, die nicht zwangsläufig dem menschlichen Hirn entspringt, sondern in einer Sphäre außerhalb der Welt, wie wir sie kennen, beheimatet ist. Immer wieder entstehen „Portale“, durch die es in Gestalt von Dämonen und anderen Kreaturen der Finsternis ins Diesseits vordringt, wobei diese Durchgänge oft in den Köpfen derjenigen Zeitgenossen entstehen, die wir als Sadisten oder Serienmörder bezeichnen. Hier scheint der Durchbruch einfacher zu sein, da es zwischen diesen Unmenschen und den Kräften von „draußen“ eine eigene Affinität zu geben scheint: |“Es gibt Mythen, und es gibt die Realität. Wir erschaffen Ungeheuer und hoffen, dass die Moral, die in den Geschichten verpackt ist, uns leiten wird, wenn wir dem größten Schrecken im Leben begegnen. Wir geben unseren Ängsten falsche Namen und beten, dass wir möglichst nichts Schlimmes erleben werden als das, was wir selbst erschaffen haben.“| (S. 101) Was geschieht, wenn diese Rechnung nicht aufgeht, beschreibt der Autor in den hier vorgelegten Storys.

Diese eigenwillige Definition des Bösen belegt, dass Connolly den Thriller mindestens so liebt wie die Phantastik. In der Tat schreibt er schon seit vielen Jahren Kurzgeschichten um Gespenster und Gruselwesen, die er u. a. auf seine Website gestellt hat. Mit dem Erfolg der Charlie-Parker-Serie wuchs das Interesse an diesen Storys, aus denen sich womöglich ebenfalls Profit schlagen ließ. In seinem Nachwort erläutert Connolly, wie die ehrwürdige BBC ihn beauftragte, für eine Reihe von Grusel-Hörspielen Vorlagen zu schreiben – ein Vorhaben, das von großem Erfolg gekrönt und wiederholt wurde. Neun der hier versammelten Geschichten gehen auf diese Projekte zurück. (Eine Forderung scheint übrigens gewesen zu sein, dass diese Storys in den Jahren nach dem „Großen“, d. h. dem I. Weltkrieg von 1914-18, spielen, als die klassische angelsächsische Geistergeschichte ihre letzten Höhepunkte erreichte.)

„Erinnert an Stephen King – aber Connolly schreibt besser“, liest man auf der Rückseite des Buchumschlags. Es ist eine dieser wie gekauft wirkenden, völlig nutzlosen „Kritiken“, der man in einem Punkt indes zustimmen kann: Storys wie „Der Krebscowboy reitet“ oder „Der Erlkönig“ lesen sich in der Tat wie vom Horrorkönig aus Maine verfasst. Das bedeutet freilich nicht, dass Connolly diesen imitiert, sondern bezieht sich auf die Meisterschaft, mit der es ihm gelingt, das Grauen in einer ansonsten fast aufdringlich durchschnittlichen Alltagswelt zu erden. Connollys Kreaturen drängt es nicht zur Weltherrschaft. Sie tun, was sie tun müssen, und haben die Regeln der Welt, in die es sie verschlagen hat, gut begriffen: Verhalte dich unauffällig, meide das Licht der Öffentlichkeit, vergreife dich an denen, die niemand vermisst.

In unserer unmittelbaren Nachbarschaft gibt es diffuse aber sehr aktive Wesen, die unsere Ahnen noch sehr gut kannten und fürchteten, während wir „modernen“ Menschen nicht mehr an sie glauben. Eine Ausnahme gibt es: Kinder besitzen in ihrer „irrationalen“ Unschuld einen besonderen Sinn für diese Eindringlinge. Deshalb schweben vor allem sie in Gefahr. Nicht, weil sie „wissen“: Diesen Kreaturen ist es gleichgültig, ob man an sie „glaubt“. Sie „sind“ – und sie nutzen die Chancen, die ihnen die ihre Anonymität bietet („Treibsand“, „Dunkles Grün“, „Die Wakefordschlucht“). So breitet sich das Böse nicht unbedingt aus; es fristet sein Dasein und richtet örtlich begrenzt seinen Schaden an, bis es entdeckt, aber nicht unbedingt unschädlich gemacht wird.

Dabei nimmt es viele Gestalten an. Viele sind klassisch: Gespenster („Nocturne“), Hexen („Die Hexen von Underbury“), Vampire („Miss Froom, Vampirin“), Dämonen („Mr. Pettingers Dämon“), das „kleine Volk“, das so gar nichts gemeinsam hat mit den liebenswerten Elfen, wie wir sie heute „kennen“ („Die neue Tochter“). „Der Erlkönig“ ist die weitere Variante einer Natur, deren Palette des Lebens weitaus breiter ist, als wir Menschen wissen oder wissen möchten. Wie es eine gute Gruselgeschichte auszeichnet, kommt der Schrecken manchmal umso besser an, wenn er mit grimmigem Humor dargeboten wird („Miss Froom, Vampirin“, „Der Affe auf dem Tintenfass“).

Die Fans der erwähnte Charlie-Parker-Serie wird aufhorchen lassen, dass Connelly seinen „Nachtstücken“ – so die Übersetzung von „Nocturnes“ – eine bisher unbekannte, 120-seitige Novelle um seinen beliebten Anti-Helden beifügt. Sie verschärft die Neuorientierung der Reihe, die viele Leser, die Connolly als Meister des Psychothrillers schätzen, vor ein Problem stellt: Charlie Parker bekommt es als Detektiv nicht mehr nur mit „normalen“ Kriminellen, sondern mit den Ausgeburten des Jenseits zu tun. Diese Wendung ist nicht ohne Risiko, da Connolly damit zwischen den Stühlen steht: Rationale Krimi-Freunde und Geisterfans stehen meist in unterschiedlichen Leser-Lagern. Allerdings hält Connolly die Balance auf dieses Messers Schneide mit erstaunlicher Souveränität. „Das spiegelnde Auge“ spielt kurz nach den Ereignisse des vierten Romans (dt. „Die weiße Straße“) und ist daher ein wichtiger Mosaikstein, der dem düsteren Universum des Charlie Parker eine weitere Fassette hinzufügt. „Das spiegelnde Auge“ ist außerdem die mit Abstand beste Geschichte dieser Sammlung. Sie spielt in der Gegenwart, der Connolly meisterhaft die Regeln der phantastischen Literatur anzupassen weiß, und komplettiert den rundum positiven Eindruck dieser „Nocturnes“, die zu den angenehmen Überraschungen gehören, die das noch junge Buchjahr 2007 den deutschen Gruselfreunden bieten konnte.

John Connolly ist ein waschechter Ire, der nicht nur in Dublin geboren wurde (1968), sondern dort auch aufwuchs, studierte und (nach einer langen Kette von Aushilfsjobs, zu denen standesgemäß einer als Barmann gehörte) als Journalist (für „The Irish Times“) arbeitete; Letzteres macht er weiterhin, obwohl sich der Erfolg als freier Schriftsteller inzwischen eingestellt hat. Die amerikanischen Schauplätze seiner von der Kritik gelobten und von den Lesern geliebten Charlie-Parker-Thriller kennt Connolly indes durchaus aus eigener Erfahrung; schon seit Jahren verbringt er jeweils etwa die Hälfte eines Jahres in Irland und den Vereinigten Staaten.

Verwiesen sei auf die in Form und Inhalt wirklich gute [Connolly-Website,]http://www.johnconnollybooks.com die nicht nur über Leben und Werk informiert, sondern quasi als Bonus mehrere Gruselgeschichten und Artikel präsentiert.

http://www.ullstein.de/

_John Connolly bei |Buchwurm.info|:_

[„Das dunkle Vermächtnis“ 2251
[„In tiefer Finsternis“ 1803
[„Die weiße Straße“ 3098

[„Die Insel“ 1646

Koontz, Dean / Anderson, Kevin J. – Frankenstein: Das Gesicht

_Handlung_

Deucalion hat nach über 200 Jahren der Verfolgung in einem buddhistischen Kloster im Himalaja seinen Frieden gefunden. Von den dortigen Mönchen wird er respektiert und vor allem akzeptiert. Doch als ein Bote eine Nachricht ins Kloster bringt, ist die Ruhe vorbei: Der Brief enthält ein Bild seines Schöpfers, der nach all der Zeit immer noch am Leben ist …

Eine schreckliche Mordserie erschüttert New Orleans. Allen Mordopfern fehlen bestimmte Teile des Körpers. Detective Carson O’Connor und ihr Partner ermitteln in dem Fall, der immer merkwürdiger wird, als ein narbengesichtiger Mann auftaucht und behauptet, dass sein Schöpfer an der Mordserie Schuld sein soll.

_Die Autoren_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane – Thriller und Horrorromane – wurden sämtlich zu internationalen Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat er bislang über 250 Millionen Exemplare verkauft. Seine letzten Veröffentlichungen waren „Der Wächter“, die „Frankenstein“-Reihe, „Die Anbetung“ und „Trauma“. Im März 2007 erscheint „Todesregen“.

Kevin J. Anderson, geboren 1962 und studierter Physiker, ist einer der populärsten amerikanischen Science-Fiction-Autoren. Er wurde durch seine Star-Wars-Romane und -Anthologien international bekannt. Seine High-Tech-Thriller und Akte-X-Romane stürmen die Bestsellerlisten. Die Romanreihe um die „Young Jedi Knights“ schrieb er gemeinsam mit seiner jungen Ehefrau Rebecca Moesta. Zudem schrieb er die „Saga der sieben Sonnen“ sowie einige |Wüstenplanet|-Romane zusammen mit Brian Herbert.

_Mein Eindruck_

Eigentlich klingt ein Remake von Mary Shelleys „Frankenstein“ nicht besonders spannend. Zu oft wurde der Stoff verfilmt, durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen und veralbert. Doch Dean Koontz wäre nicht Dean Koontz, wenn er dem Stoff nicht eine völlig neue Sichtweise hinzufügen könnte: Was wäre, wenn ein Viktor Frankenstein die technischen Möglichkeiten unserer heutigen Zeit zur Verfügung hätte? Und genau hier wird der Stoff langsam richtig interessant. Der Frankenstein in Koontz‘ Roman hat es geschafft, sich über die 200 Jahre am Leben zu erhalten, und lebt mittlerweile in New Orleans. Dort ist er ein reicher Mann und betreibt seine Studien. Er gräbt zwar keine Leichenteile oder ähnliches aus, aber er bedient sich der Möglichkeiten der modernen Wissenschaft: Klonen und Genmanipulation.

Hier schlägt Dean Koontz eine ähnliche Richtung ein wie in seinem Roman „Die zweite Haut“: Er befasst sich mit der ethischen Problematik des Klonens und beschreibt, dass ein Mensch mehr ist als die Anzahl seiner Gene. Und diese Botschaft verstärkt sich noch, indem er das allseits bekannte frankensteinsche Monster als geläuterte Person darstellt, die ihrem diabolischen Erschaffer das Handwerk legen will.

Selbstverständlich ist dieser Roman keine wissenschaftlich-ethische Abhandlung, sondern ein spannender und sehr lesenswerter Horror-Roman, wie man sie von Dean Koontz nur zu gut kennt. Die Handlung ist rasant, es gibt einige sehr unerwartete Wendungen, und das Tempo ist hoch. Das liegt auch daran, dass einige Handlungsstränge nebeneinander herlaufen. Da die Kapitel sehr kurz sind, springt der Leser von Strang zu Strang, was eine ungeheure Spannung aufbaut. Dem Tempo merkt man an, dass die Reihe eigentlich eine Serie fürs Fernsehen werden sollte, mit keinem Geringeren als Martin Scorsese als Executive Producer. Da dies aber nicht zustande kam, hat sich Koontz entschieden, sein Projekt in Buchform zu verwirklichen. Und das hat er wie gesagt sehr gut gemacht. Der Roman hat zwar schon ein gewisses Tempo, doch sind die Beschreibungen und die Ausgestaltung der Personen nicht von fersehtypischer Konturlosigkeit geprägt. Die Charaktere sind sehr interessant gestaltet, auch wenn mich Detective O’Conner doch sehr an andere Protagonistinnen aus früheren Romanen des Autors erinnert. Sie ist stur, selbstbewusst, ein wenig bärbeißig aber nichtsdestotrotz attraktiv. Hier wühlt er mir ein wenig zu tief in Klischees oder eben in seinen älteren Romanen wie „Unheil über der Stadt“ oder „Drachentränen“, die sehr ähnliche Polizistinnen präsentieren. Ansonsten sind die Charaktere aber sehr interessant gestaltet und die Dialoge teilweise äußerst amüsant geworden.

„Frankenstein: Das Gesicht“ ist kein abgeschlossener Roman, sondern nur der Auftakt zu einer Frankenstein-Trilogie, die sich mit „Frankenstein: Die Kreatur“ fortsetzt. Wenn sich die Qualität in diesem Band auch auf die nachfolgenden Bände erstreckt, können wir einer sehr gelungenen Reihe entgegenblicken.

_Fazit_

Nicht umsonst ist Dean Koontz neben Stephen King einer der wenigen Horror-Autoren, die regelmäßig die US-Bestsellerlisten anführen. Hier zeigt er mal wieder, wie es geht. Dass er sich mit Kevin J. Anderson einen starken Autor an seine Seite geholt hat, bringt einige sehr interessante und frische Ansätze in den Roman. Bester Popcornlesegenuss, bei dem man das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen möchte. Man darf auf die Fortsetzung gespannt sein

|Originaltitel: Dean Koontz‘ Frankenstein 1: Prodigal Son
Aus dem Amerikanischen von Ursula Gnade
Taschenbuch, 384 Seiten|

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Evers, Harald – 7. Buch der Schatten, Das – Das Amulett

Eigentlich müsste Marie tot sein! Nachdem der grausame, kleine Mann – dem es völlig unerwartet gelungen ist, Maries Herrin Sharica mit deren eigenem Schwert niederzustrecken – verschwunden ist, ist Marie zu ihrer Herrin geeilt, in der Hoffnung, sie könnte noch etwas für sie tun. Doch es ist zu spät! Alles, was Sharica noch tun kann, ist, Marie ein Amulett anzuvertrauen, das sie um den Hals trägt, dann stirbt sie. Doch der Mörder war noch in der Nähe. Und jetzt will er das Amulett. Marie, in der völligen Überzeugung, dass der Mann sie auf jeden Fall töten wird, ist nicht bereit, ihm auch noch diesen Triumph zu lassen. Lieber stürzt sie sich von der Spitze des Felsens mehrere hundert Meter in die Tiefe! Um danach in einer einfachen Holzhütte zu erwachen …

Thoren, Sharicas Gemahl, erfährt von ihrem Tod erst bei seiner Rückkehr aus Dhangras, dem Nachbarreich auf dem Kontinent. Sharicas Tod trifft ihn zutiefst. Doch es ist nicht der einzige Schlag, der ihn trifft! Es stellt sich heraus, dass die Bitte seines Nachbarkönigs Vender um Unterstützung durch Thorens Truppen eine hinterhältige Falle war. Die Freiheit und Sicherheit Turmalins sind in Gefahr, und Thoren sieht nur einen Weg, sein Inselreich zu retten: Magie!

|Charaktere|

Sharica scheint eine schier übermenschliche Persönlichkeit gewesen zu sein. Nicht nur äußerlich von unübertrefflicher Schönheit, sondern auch innerlich. Ein charakterliches Wunder ohne jeden Fehl. Das erscheint umso erstaunlicher, als sie auch eine mächtige Magierin war.

Marie fühlt sich dagegen wie eine graue Maus. Sie ist klein, schmächtig, schüchtern und besitzt kaum Selbstvertrauen. Aber ihre Herrin hat sie so vergöttert, dass sie alles tut, um ihren letzten Willen zu erfüllen. Des Amuletts wegen springt sie von einer hohen Felsenklippe, legt sich mit einem Charakterschwein unter den Soldaten an und wagt sich in Thorens Nähe, um „auf ihn aufzupassen“, was zu diesem Zeitpunkt nicht ungefährlich ist. Und zu guter Letzt erklärt sie sich bereit, die Welt zu retten, indem sie das siebte Buch der Schatten findet. Ein erstaunlicher Mut für ein so ängstliches Mädchen …

Thoren ist im Grunde ein kluger und vernünftiger Mann, aber auch stolz und leicht zu erzürnen. Sharica hat er abgöttisch geliebt. So treffen der Verlust seiner Frau und eines großen Teils seines Heeres ihn an seinen empfindlichsten Punkten. Kein Wunder, dass er regelrecht rast vor Wut! Doch schon bald werden seine Wutausbrüche von Gewalttätigkeiten begleitet, er sieht überall Verschwörungen. Immer wieder scheint die Vernunft bei ihm völlig auszusetzen, dann denkt er wieder geradezu erschreckend klar, allerdings hauptsächlich dann, wenn es um die Vorbereitung des Krieges gegen Dhangras geht.

Damit wäre die Riege der wichtigen Personen bereits erschöpft. Alle weiteren sind Nebenfiguren und nur wenig detailliert beschrieben.

Thorens Brüder sind zwar noch bei Vernunft, dennoch unterstützen sie Thoren, was sie wahrscheinlich nicht mehr täten, wenn sie wüssten, was er plant!

Marosh, der Schmied, in den Marie sich verliebt, ist ein naturverbundener und außerordentlich schwärmerischer Poet, aber nur deshalb von Belang, weil er Marie mit Yvven bekannt macht.

Yvven ist der einzige, wichtigere Protagonist der Geschichte, dessen Charakterzeichnung allerdings dadurch begrenzt ist, dass es sich um eine Katze handelt. Genauer gesagt einen Tierdämon, der aber offenbar einen Narren an Marie gefressen hat. Obwohl das Tier nicht spricht und der Leser nicht erfährt, was es denkt, ist die Schilderung dieser Katze plastischer ausgefallen als die mancher Personen.

Das gilt sogar für Targhyen, den Mörder Sharicas. Von ihm erfährt der Leser im Grunde nur, dass er bösartig und äußerst eitel ist.

Beweggründe, Gedanken, Herkunft und was einem Charakter sonst noch Lebendigkeit verleihen mag, fehlen bei all diesen Nebenfiguren völlig.

|Magie und Phantasie|

Die Fantasy-Elemente des Buches sind da schon vielfältiger. Sichtlich um Eigenständigkeit bemüht, hat Evers seine Geschichte nicht mit Elfen, Trollen und Zwergen bevölkert, sondern mit Dryaden, Sonnenwürmern und Gnarls – auch wenn seine Dryaden der landläufigen Vorstellung von geflügelten Elfen ziemlich nahe kommen und seine Sonnenwürmer im Prinzip flügellose Drachen sind. Bisher spielen diese Wesen aber auch nur eine untergeordnete Rolle. Am ausführlichsten wurden die Dryaden beschrieben, wohl auch deshalb, weil ihre Magie später für den Fortgang der Handlung wichtig wurde. Die Sonnenwürmer dürften im nächsten Band zunehmend auftauchen, denn schließlich will Thoren in den Krieg ziehen.

Die vorerst wichtigsten Elemente sind Sharicas Amulett sowie das Buch der Schatten – das ein Vorfahr Thorens in sieben Teile zerlegt, gut versteckt und durch starke Magie gesichert hat, damit niemand es missbrauchen kann – und in diesem Zusammenhang die Keller der geheimen Bibliothek. Außerdem ist der Herzstein von Bedeutung, ein magisches Artefakt, die Quelle der Energie Turmalins.

|Handlungsverlauf|

Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Handlung. Und die enthält – von dem Mord an Sharica und Thorens Gewaltausbrüchen abgesehen – erstaunlich wenig von dem, was man gemeinhin als Action bezeichnet. Genau betrachtet, passiert fast gar nichts. Hauptsächlich erlebt der Leser mit, wie Thorens Rachsucht ihn mehr und mehr in den Wahnsinn zu treiben droht.

Die Auslöser dafür, die Intrige, die König Vender gegen Thoren und sein Reich gesponnen hat, war gar nicht mal schlecht. Ich hätte allerdings nicht erwartet, dass sie funktioniert. Welcher Herrscher stellt denn, selbst wenn er seinem Gegenüber militärische Unterstützung zugesagt hat, noch an Ort und Stelle einen schriftlichen Marschbefehl für seine Truppen aus? Einen Bündnisvertrag vielleicht, ja.

Nun gut, nehmen wir an, Thoren hätte das trotzdem schon mal erledigt. Wie kam Vender an diesen Befehl? Bei seiner Ankunft in Turmalin klingt Thoren äußerst überrascht darüber, dass seine Truppen schon fort sind. Das kann nur bedeuten, dass er den ausgefertigten Marschbefehl Vender übergeben hat, denn sonst hätte er sich nicht nur über den Zeitpunkt gewundert, sondern darüber, dass seine Truppen überhaupt schon unterwegs waren. Welcher Herrscher bitte überlässt die Einberufung seiner Truppen einem Verbündeten?

Die weitere Handlung war frei von logischen Brüchen, dafür empfand ich etwas anderes als störend, und das war die sexuelle Komponente. Unterschwellig zieht sie sich durch das gesamte Buch, womit ich durchaus leben kann. Es finden sich aber auch gelegentliche Ausbrüche, von denen einer ganz überflüssig war und der andere nicht unbedingt so ausführlich hätte beschrieben werden müssen. Mag sein, dass andere damit kein Problem haben, aber ich finde sowas eher lästig.

_Insgesamt_ hat das Buch einen recht gemischten Eindruck bei mir hinterlassen. Die Ideen in Bezug auf die Magie waren interessant und kamen zur Abwechslung mal ohne detailliert beschriebene, grauenhafte Monster aus, dürfen aber ruhig noch weiter ausgebaut werden. Die Darstellung der Hauptcharaktere war in sich stimmig und gut nachvollziehbar, allerdings könnte ich nicht sagen, dass ich für Thoren viel Sympathie aufgebracht hätte. Dafür ist seine Angewohnheit, ständig jemanden am Kragen oder am Arm zu packen und anzubrüllen, einfach zu ausgeprägt. Der Spannungsbogen hing zwar nicht durch, könnte aber noch weitere Straffung vertragen. Es fehlte die Zuspitzung auf das Ende hin, eine überraschende Wendung oder zumindest etwas, das den weiteren Verlauf in Frage stellt. Aber da der Autor die geballte Katastrophe bereits zu Beginn auf Thoren hat niedergehen lassen, blieb für die restliche Handlung wohl erst mal nichts mehr übrig.

_Harald Evers_ hat seine ersten Geschichten bereits als Jugendlicher auf der Reiseschreibmaschine seines Vaters getippt. Sein erster Roman „Die Kathedrale“ basierte auf einem von ihm entworfenen Computerspiel, ebenso wie die achtbändige Höhlenwelt-Saga, mit der er letztlich bekannt wurde. „Das Amulett“ ist der erste Band seiner neuen Trilogie |Das 7. Buch der Schatten|, dessen zweiter Band im Oktober dieses Jahres erscheinen soll. Harald Evers verstarb im November letzten Jahres im Alter von nur 49 Jahren an einem Herzinfarkt. Das Manuskript für den dritten Band wurde noch von ihm fertiggestellt, ein genauer Erscheinungstermin steht allerdings noch nicht fest.

http://www.hoehlenwelt-saga.de

Crichton, Michael – Next

Mit „Next“ legt Michael Crichton seinen neuesten Spannungsroman vor, der im Stile seines letzten Buches [„Welt in Angst“ 880 ebenfalls ein kontrovers diskutiertes aktuelles Thema aufgreift. Nach Crichtons Schilderungen zur Klimaproblematik nimmt er sich dieses Mal die Gentechnik vor und beleuchtet in Romanform einige ihrer „Auswüchse“.

Zunächst lernen wir den Kopfgeldjäger und Privatdetektiv Vasco Borden kennen, der auf der Jagd nach einem Nachwuchsforscher ist, der sich schließlich selbst umbringt, als Borden ihm zu nahe auf die Pelle gerückt ist. Doch der Forscher, der unerlaubterweise Zellen aus seinem Labor entwendet hat, wird nicht Bordens einziger Auftrag in diesem Buch bleiben. Im späteren Verlauf soll er einen Jungen oder seine Mutter kidnappen, wird aber bei diesem Entführungsversuch durch einen Hybriden eines Ohres entledigt.

Ein weiterer Handlungsstrang befasst sich mit Frank Burnet, der nach einer schweren Krebserkrankung wieder genesen ist und nun seinen behandelnden Arzt anzeigt, weil dieser ihm Zellen und Gewebeproben entnommen hat, um sie kommerziell zu vermarkten. Doch Burnet hat nie die Genehmigung für diese Vermarktung unterschrieben und möchte nun zumindest an diesem Milliardengeschäft beteiligt werden. Sehr zu Burnets Verwunderung und zum Entsetzen seiner Tochter Alex, die als Juristin arbeitet und ihren Vater in diesem Fall verteidigt, verliert Burnet den Prozess und ist somit anschließend nicht mehr der Besitzer seiner Körperzellen. Als im Labor die Burnet-Zelllinie kontaminiert wird, ist die Not groß: Die Zellen müssen unbedingt wiederbeschafft werden, allerdings ist Frank Burnet untergetaucht, sodass nun Alex und ihr kleiner Sohn Jamie ins Kreuzfeuer geraten, da sie dieselben Zellen liefern könnten.

Bei einer Expedition in Zentralsumatra beobachten Fotografen einen Menschenaffen, der die Abenteurer in verschiedenen Sprachen beschimpft. Der sprechende Affe macht Schlagzeilen, allerdings ist dies nicht das einzige sprechende Tier, das uns in „Next“ begegnen wird, denn wir lernen auch den Papageien Gerrard kennen, der nicht nur wunderbar sprechen, sondern sogar rechnen kann. Etwas ganz Besonderes ist auch Dave – ein Schimpanse, der von seinem Vater im Labor gezeugt wurde und nun eingeschläfert werden soll. Doch sein leiblicher Vater rettet Dave, bringt ihn zu seiner Familie und schickt ihn sogar zur Schule. Dass dies Probleme mit sich bringen wird, dürfte offensichtlich sein.

Michael Crichton erzählt zahlreiche weitere Geschichten in seinem gut 500-seitigen Wissenschaftsthriller: Josh Winkler gerät in große Probleme, als sein drogensüchtiger Bruder aus Versehen eine Probe inhaliert, die eigentlich für Tierversuche bestimmt war. Als Joshs Bruder anschließend von seiner Drogensucht befreit ist und sein Leben wieder in die richtigen Bahnen lenken kann, ist Joshs Mutter begeistert, allerdings weiß sie noch nicht, dass ihr Sohn durch das Mittel wesentlich schneller altern wird. Gentechnik bringt eben nicht nur Gutes mit sich…

„Next“ mag zwar durchaus Michael Crichtons neues Buch sein, wahrscheinlich wird es sogar sein nächster Bestseller werden, doch eines ist „Next“ ganz sicher nicht: sein nächster ausgefeilter Roman mit überzeugendem Spannungsbogen! Michael Crichton ist einer der Väter des Wissenschaftsthrillers. In „Timeline“ befasste er sich mit der Teleportation und dem vieldiskutierten Quantencomputer, in „Beute“ waren es die Nanoroboter, die sich plötzlich selbständig gemacht und dadurch für allerhand Ungemach gesorgt haben. Gentechnik und die damit verbundene Problematik ist sicher ein brisantes Thema, das viel Potenzial hat, um es in einem spannungsgeladenen Roman auszubreiten. Doch dies war wohl nicht Michael Crichtons Absicht.

Von Beginn an öffnet er zahlreiche Handlungsstränge, stellt uns selbst 100 Seiten vor Schluss noch neue Protagonisten vor und verliert dabei offensichtlich selbst den Überblick, denn es häufen sich die losen Enden, die nicht fortgeführt werden. Viele Figuren werden präsentiert und geraten anschließend in Vergessenheit. Einen roten Faden lässt dieses Buch ebenso vermissen wie einen Spannungsbogen, Hauptcharaktere oder Sympathieträger. Wir lernen so viele verschiedene Figuren kennen, dass es ratsam wäre, sich beim Lesen eine Personenliste zu erstellen. Eine solche wäre mit Sicherheit deutlich hilfreicher gewesen als das kommentierte Literaturverzeichnis, das stattdessen den Abschluss des Buches bildet.

Wieder einmal ist Michael Crichton missionarisch unterwegs. Wie das ausführliche Literaturverzeichnis vermuten lässt, hat sich Herr Crichton in den letzten Monaten oder auch Jahren intensiv mit der Gentechnik beschäftigt und nun ist für ihn die Zeit gekommen, der Welt seine Meinung kundzutun. In Form zahlreicher Handlungsstränge, in denen uns Michael Crichton Forscher als gewissenlose Egoisten vorstellt, führt er uns vor Augen, welch schreckliche Folgen die Gentechnik denn haben kann und wie rücksichtslos Wissenschaftler und Unternehmer mit den Zellen anderer Menschen und auch ihrem Schicksal umgehen. Zwischendurch flechtet Crichton immer wieder fingierte Zeitungsartikel ein, die sich ebenfalls den negativen und erschreckenden Folgen der Gentechnik widmen. Im Grunde genommen ist es natürlich sehr löblich, dass sich Michael Crichton dieses in der Tat sehr wichtigen Themas annimmt, das ja zu Recht kontrovers diskutiert wird und sicherlich nicht nur Gutes bringen wird. Doch leider offeriert Crichton uns nicht nur Fakten und wahre Begebenheiten, anhand derer man sich sein eigenes Urteil bilden kann – nein, Michael Crichton schwingt den Holzhammer, mit dem er uns seine eigene Meinung einhämmern möchte. Das muss zwangsläufig schiefgehen. Als halbwegs gebildeter und eigenständig denkender Mensch muss man sich von diesem Buch einfach veräppelt fühlen. Crichton hält seine Leser offenbar für geistig beschränkt und meint, uns eine Meinung an die Hand geben zu müssen, nämlich seine eigene.

Dabei ist gerade die Gentechnik ein Thema, mit dem man äußerst sensibel umgehen sollte. Wo Politiker Expertengremien bilden, die zu einem fachlich durchdachten Urteil kommen soll(t)en, stellt Crichton sich hin und predigt „die (seine!) Wahrheit über die Gentechnik“, doch so geht es nicht! Natürlich muss man vorsichtig mit menschlichen Zellen umgehen, natürlich ist es fragwürdig, was die heutige Forschung möglich macht bzw. machen kann, und natürlich ist es verwerflich, wenn ein Forscher sich im Labor einen tierischen Nachkommen erschafft. Doch ist nicht alles schwarzweiß – Forschung bedeutet neben all diesem Gräuel auch Fortschritt und mögliche Hilfe bei Krankheiten. Es ist nicht alles schlecht, nur weil ein Michael Crichton dies so darstellt. Meiner Meinung nach ist es gefährlich, dass ein berühmter und erfolgreicher Bestsellerautor ein solches Buch schreiben darf, in dem nur eine einzige Meinung Gültigkeit hat.

In „Next“ werden sämtliche Figuren schwarzweiß gezeichnet, die Forscher, Ärzte, Juristen sind schlecht, rücksichtslos und nur auf Gewinn bedacht, während die Patienten, die ohne ihr Wissen Gewebe gespendet haben, Opfer sind, denen kein Recht an ihren Zellen zugestanden wird. Crichton verwendet Schablonen anstelle von echten Charakteren, keiner Figur verleiht er Tiefe, niemanden stellt er uns so vor, dass er authentisch wirkt oder zum Sympathieträger werden könnte. Möglicherweise mag dies an den „falschen Genen“ der Protagonisten liegen, kann doch durch die Gene alles Verhalten erklärt werden, wie man nach der Lektüre dieses Buches glauben könnte. Das vorliegende Buch wirkt ausgefranst und man kann sich durch die vielen Handlungsstränge und die schnellen Wechsel der Szenerie nicht so recht einlesen. Bis zum Schluss bin ich mit diesem Werk nicht warm geworden und wusste nicht, was der Autor mir eigentlich sagen möchte. Zu Crichtons Gunsten hatte ich zunächst angenommen, er wolle die möglichen Folgen der Gentechnik lediglich überspitzt darstellen, um sein Publikum aufzuschrecken und auf dieses drängende Problem aufmerksam zu machen. Doch das Lesen des Nachwortes macht diese Hoffnung zunichte, denn Crichton möchte mit diesem Buch tatsächlich nur seine eigene Meinung kundtun.

Insgesamt bin ich schlichtweg enttäuscht von diesem literarischen Ausrutscher Michael Crichtons, den ich seit „Timeline“ leider nie wieder in Höchstform erleben durfte und der mir inzwischen eher wie ein Wanderprediger vorkommt. Sehr lobenswert finde ich sein Anliegen, aktuelle und kontroverse Themen für seine Bücher herauszugreifen und dadurch auf diese aufmerksam zu machen. Sein Vorgehen hierbei ist allerdings sehr fragwürdig, denn er lässt keine Meinung neben seiner eigenen zu und vereinfacht die Sachlage viel zu sehr. Wie ein Elefant im Porzellanladen geht Crichton zu Werke, wo stattdessen viel Fingerspitzengefühl gefragt gewesen wäre.

http://www.randomhouse.de/blessing/

McCaughrean, Geraldine – Peter Pan und der rote Pirat

Peter Pan gehört zu den absoluten Klassikern der Kinderliteratur. Die Geschichte von dem Jungen, der nicht erwachsen werden wollte und jeden Tag in Nimmerland die tollsten Abenteuer erlebt, beflügelt immer wieder aufs Neue die Phantasie von Kindern und Erwachsenen.

Die Stiftung des Kinderkrankenhauses Great Ormond Street Hospital Children’s Charity, dem Sir James Matthiew Barrie die Rechte an Peter Pan vermacht hat, hat anlässlich des 70. Todestages von Sir Barrie einen Wettbewerb für eine Fortsetzung ausgerufen. Unter 200 Autoren wurde Geraldine McCaughrean ausgewählt, diese Fortsetzung zu schreiben. Das Ergebnis war „Peter Pan in Scarlett“, das im Oktober letzten Jahres in 31 Länder gleichzeitig erschien, in Deutschland unter dem Titel „Peter Pan und der Rote Pirat“.

_Zur Autorin:_

Geraldine McCaughrean wurde 1951 in Enfield geboren und wuchs in London auf. Nach einem Lehramtsstudium arbeitete sie zunächst als Redakteurin für einen Zeitschriftenverlag, ehe sie sich als freiberufliche Autorin selbstständig machte. Seither hat sie mehr als hundert Bücher für Jugendliche und Erwachsene geschrieben und eine ganze Liste an Preisen erhalten, von denen mir die meisten unbekannt sind. Unter den internationalen Auszeichnungen fand ich dann den Deutschen Jugendliteraturpreis, den sie 2004 für „Der Drachenflieger“ erhielt.

_Zum Vorgänger:_

Die Figur des Peter Pan tauchte erstmals 1902 in dem Buch „The little white bird“ auf. Hier wird erzählt, wie Peter sein Zuhause verlässt, weil er nicht erwachsen werden will, und einige Zeit in Kensington Gardens bei den Feen lebt. 1904 folgte das Theaterstück „Peter Pan, or the boy who wouldn’t grow up“, das wir heute unter dem Titel „Peter Pan“ kennen.

Peter verlässt immer wieder seine Insel Nimmerland, um am Fenster der Darlings den Geschichten zu lauschen, die die Mutter ihren Kinder Wendy, John und Michael vor dem Einschlafen erzählt. Eines Abends wird er von der Neufundländerhündin Nana, die als Kindermädchen fungiert, erwischt und verscheucht. Dabei verliert er seinen Schatten. Als die Eltern eines Abends bei Nachbarn eingeladen sind, nutzt Peter die Gelegenheit, seinen Schatten zurückzubekommen, und nimmt auch gleich noch Wendy und ihre Brüder mit ins Nimmerland. Den Kindern gefällt es dort sehr, gleichzeitig merkt jedoch Wendy, dass sie anfangen, ihr Zuhause zu vergessen, obwohl sie den Jungen immer wieder davon erzählt. Deshalb kehren sie schließlich nach vielen Abenteuern nach Hause zurück, und auch die verlorenen Jungen bleiben bei den Darlings.

_Zur Fortsetzung:_

Jahre sind vergangen. Wendy ist verheiratet und hat eine Tochter namens Jane. John ist ebenfalls verheiratet und hat Kinder. Tootles ist inzwischen Richter und hat eine Tochter, Curly ist Arzt, Slightly hat eine Adlige geheiratet und lebt jetzt als Gentleman … Nicht, dass sie Nimmerland vergessen hätten. Aber das alles ist ja schon soooo lange her …

Eines Tages jedoch ist alles plötzlich wieder ganz nah! Alle fangen sie an zu träumen: Sie träumen vom Nimmerland, und wenn sie erwachen, finden sie entsprechende Hinterlassenschaften in ihren Betten: Seeräubersäbel, Köcher mit Pfeilen, Wecker und Seifenblasen. Eines Tages schließlich ist Tootles der Meinung, es müsse etwas geschehen, letztlich jedoch ist es Wendy, die der Sache auf den Grund geht und erklärt, was zu tun sei.

So machen die Herren sich auf höchst ungewöhnliche Art und Weise auf, nach Nimmerland zurückzukehren und dort nach dem Rechten zu sehen. Das scheint ziemlich notwendig, denn als sie dort ankommen, hat Nimmerland sich stark verändert. Und nicht nur das: Peter ist offenbar überhaupt nicht begeistert, dass sie wieder da sind. Und dann ist da noch dieser eigenartige Ribello, der nur aus einem Haufen zerflusender Wolle zu bestehen scheint und lauter wilde Tiere um sich hat, die er im Zirkus auftreten lässt.

Als die Kinder beim Spielen an der Lagune von einem Feuer eingeschlossen werden, kommt gerade Hooks alte Jolly Roger in die Bucht getrieben. Die Kinder nutzen die Gelegenheit und flüchten vor dem Feuer hinaus aufs Meer. Bei der Erforschung des Schiffes findet Peter eine Schatzkarte, und sofort ist klar: es wird auf Schatzsuche gegangen. – Allerdings: eine Schatzsuche der üblichen Art scheint das nicht zu werden …

_Mein Eindruck:_

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich konnte mich mit dieser Fortsetzung nicht wirklich anfreunden.

James Barries Nimmerland ist ein Land der Kinderträume, wo sie all die Abenteuer erleben können, die es in ihrer eigenen Welt nicht gibt, und wo sie all das dürfen, was zu Hause nicht erlaubt ist. Das schließt natürlich Gegenspieler ein wie die Piraten und zunächst auch die Indianer, die erst nach Tigerlilis Rettung zu Freunden werden. Es ist aber gleichzeitig auch ein Ort der Unverdorbenheit und Schönheit. Obwohl Kinder an die Schönheit der Natur normalerweise keinen bewussten Gedanken verschwenden, würde sich keines eine hässliche oder finstere Insel für seine Abenteuer ausdenken.

Barries Peter Pan ist die verkörperte Kindheit, überschwänglich, unbeschwert und gedankenlos, ohne jedes Verständnis für Gefahr oder Leid. Denn da er ein ewiges Kind ist, ist ihm so etwas wie Erfahrung völlig fremd. Er lebt vollständig im Jetzt, was in der Vergangenheit war, vergisst er bald wieder. Gleichzeitig ist er auch ein ziemlicher Angeber, hat im Grunde aber ein gutes Herz.

McCaughreans Nimmerland fehlt dieses Flair des Unverdorbenen vollkommen. Dass es im ewig sommerlichen Nimmerland plötzlich Herbst ist, stört nicht besonders. Aber die Lagune ist ein schmieriger, dunkler Pfuhl, gesäumt von Gerippen toter Nixen. Ein Sturm reißt den Baum um, auf dem seit Wendys Heimkehr ihr Häuschen steht. Die ganze Insel atmet Verfall und Siechtum.

Auch Peter ist nicht mehr der alte. Er ist schnippisch und unfreundlich, gibt zum Beispiel den zurückgekehrten Freunden die Schuld daran, dass sein Haus abgestürzt ist, und bezeichnet die alte Wohnung unter der Erde, in der sie früher alle zusammen gewohnt haben, als „sein Haus“. Kurz, er ist richtig miesepetrig! Er, die Identifikationsfigur aller Kinder, die sich bisher hauptsächlich durch Freude, Mut und Fantasie ausgezeichnet hat!

Barries Nimmerland spiegelt ein kindliches Paradies wider, McCaughreans Nimmerland den Trend der modernen Fantasy, immer eine finstere Bedrohung zur Basis des Geschehens zu machen. Ein Ausdruck der Überreizung, der mir auch bei einem Kommentar zu den „Kindern aus Bullerbü“ begegnet ist, die jemand als langweilig bezeichnete, weil die heile Welt ja gar nicht bedroht sei und deshalb ja eigentlich gar nichts abginge. Im Zeitalter der Superlative genügen einfache Piraten nicht mehr für den gewünschten Kick.

Abgesehen davon ist es auch in diesem Fall einer Fortsetzung nicht gelungen, nahtlos an das Original anzuschließen. Mir scheint, diesen Punkt nehmen die meisten Autoren, die solche Fortsetzungen von Klassikern schreiben, etwas zu leicht.

Das fängt schon damit an, dass ein Ersatz für Hook gefunden werden musste, damit Peter Pan wieder einen Gegenspieler hat. Dieser Part wurde mit Ribello besetzt. Nur: Wie ist er als Erwachsener ins Nimmerland gekommen? Die Begründung, Indianer und Piraten wären ja auch Erwachsene und trotzdem in Nimmerland, zieht nicht. Im Original wird ganz deutlich, dass Wendy und ihre Brüder bei der Ankunft in Nimmerland Plätze wiedererkennen, die sie sich in ihren Spielen vorgestellt haben. Die Piraten und Indianer sind da, weil sie zum Spiel gehörten.

Das Gesetz, dass Erwachsene nicht nach Nimmerland kommen können, wurde auch noch an anderer Stelle aufgeweicht. So besagt Hooks Lebensgeschichte – die im Grunde zu Barries Andeutungen über den Kapitän recht gut passt – Hook sei von zu Hause ausgerissen und nach Nimmerland gekommen, weil seine Mutter ihn am Tag der Sportwettkämpfe aus Eton weggeholt habe. Wer in Eton zur Schule geht, ist mindestens dreizehn Jahre alt, also eigentlich schon zu groß, um Nimmerland zu erreichen. Und dann erst all die erwachsenen Frauen, die im Labyrinth der Reue nach ihren verlorenen Kindern suchen …

Trotzdem hat die Autorin letztlich dafür gesorgt, dass die Frage um Ribellos Anwesenheit sich anderweitig erklärt. Dass sie dafür einen Toten quasi wiederbeleben beziehungsweise auf Umwegen eine Erklärung für sein Nicht-Tot-Sein konstruieren musste, hat sie offenbar nicht gestört.

Umständlich auch die Sache mit Peters Verwandlung, nachdem er Hooks Piratenrock angezogen hat. Im Grunde wurde das alles gut beschrieben, gewundert hat mich nur, dass Peter sozusagen als Wünschelrute benutzt wurde. Indem er immer mehr Hook ähnlich wurde, führte er Ribello zu Hooks Schatz. Dabei hätte Ribello doch nur den Rock selbst überstreifen müssen …

Des Weiteren schneidet Ribello den Kindern beim Ersteigen der Nimmerspitze die Schatten ab. Später wird er zugeben, er habe das getan, um sie am Fliegen zu hindern, denn ohne Schatten könnten sie trotz Feenstaub und schöner Gedanken nicht fliegen. – Ich frage mich nur, wie Peter es dann im Original geschafft hat, zu Wendy ins Zimmer zu fliegen, um seinen verlorenen Schatten zurückzuholen!

Am auffälligsten war aber auch hier wieder die Veränderung an Peter, und zwar die Veränderungen, die bereits vor seinem ersten Anprobieren von Hooks Rock vorhanden waren: Er, der laut Original bereits innerhalb eines Jahres nach Wendys Heimkehr sowohl Hook als auch Tinkerbell vergessen hatte, erinnert sich bei der Ankunft der „Alten Jungs“ in seinem Baumhaus an Tinkerbell und Nana! An Wendy erinnert er sich dafür nicht, obwohl er laut Original erst ihre Tochter Jane und später ihre Enkelin Margaret als seine Mutter ins Nimmerland holte. Seine Manieren sind nicht mehr vorhanden, weil er laut diesem Buch ja keine Mutter hatte, um welche zu erlernen, während er im Original durchaus Manieren hatte, abgeschaut von den Feen.

Sehr schön fand ich dagegen die Bilder zwischen den einzelnen Kapiteln in Form von Scherenschnitten. Auch das Lektorat war angenehm fehlerfrei.

_Resümee:_

Mit der Wahl von Geraldine McCaughrean als Autorin der Fortsetzung zu Peter Pan wurde – zumindest laut Klappentext – der Anspruch der Stiftung deutlich, „ein anspruchsvolles literarisches Werk zu schaffen, das selbst einmal zum Klassiker avancieren wird.“ Also, nach meinem Dafürhalten wird das Buch diesem Anspruch nicht gerecht. Entgegen der Aussage des Klappentextes habe ich im Gegenteil den ursprünglichen Zauber Nimmerlands ziemlich vermisst. Der Fortsetzung fehlt jegliche Leichtigkeit und Fröhlichkeit, die Barries Geschichte auszeichnet, stattdessen wirkt sie düster und muffelig.

Dabei waren die Ideen nicht unbedingt alle schlecht. Vor allem die Idee des „Kleider machen Leute“, nach der jeder sich zu demjenigen verändert, dessen Kleider er trägt, hat mir im Grunde gut gefallen, und das nicht nur, weil sich daraus so witzige Details ergaben wie jenes, dass Tootles plötzlich ein Mädchen ist. Sie waren nur nicht konsequent durchdacht. So hätten zum Beispiel die Jungs, die ebenfalls in Piratensachen geschlüpft waren, zu den jeweiligen Piraten werden müssen.

Was ebenfalls fehlt, ist das Happy-End, das eigentlich unbedingt zu einem Abenteuer kindlicher Fantasie gehört. Obwohl Peter Pan am Ende wieder er selbst ist – mit den genannten Einschränkungen außerhalb vom Einfluss des Rocks -, und das Nimmerland sich am Ende wieder regeneriert – auf welche Weise eigentlich? – kann man nicht sagen, dass die Kinder die Schlacht wirklich gewonnen hätten. Nicht nur, weil Ribello entgegen Wendys Erwartung nicht gestorben ist. Es fehlt der triumphale Abschluss, wie er im Original dadurch gegeben war, dass Hook letztlich vom Krokodil gefressen wurde.

Im Übrigen stellt sich mir auch hier wieder die Frage, ob es wirklich dieser Fortsetzung bedurft hätte. Wie in fast allen Fällen hat sich auch hier die Hoffnung nicht erfüllt, etwas Besonderes zu wiederholen. Wenn das so einfach wäre, wären diese besonderen Dinge ja nicht so besonders. Manches lässt sich einfach nicht wiederholen, und es trotzdem zu versuchen, trübt nur den Zauber, den das Besondere bis dahin durch seine Einzigartigkeit besessen hat. Ich glaube nicht, dass die Stiftung Sir Barrie mit dieser Fortsetzung einen Gefallen getan hat. Zumal er selbst seine Geschichte eigentlich endgültig beendet hat, nicht nur mit Hooks Tod, sondern auch mit einem eigenen Ausblick in die Zukunft: |“Wenn Margaret erwachsen ist, wird sie auch eine Tochter haben, die dann wieder Peters Mutter wird, und so wird es immer und immer weitergehen, solange Kinder fröhlich, unschuldig und herzlos sind.“|

http://www.geraldinemccaughrean.co.uk
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[Verlagsspezial]http://www.randomhouse.de/specialskids/peter__pan_2/

Koch, Boris – Schattenlehrling, Der (Shadowrun 77)

Mit seinem „Shadowrun“-Debüt begibt sich Boris Koch in eine neue Epoche der weltberühmten Rollenspielwelt. Es ist die erste Geschichte der vierten Edition von „Shadowrun“ und markiert als solche einen 5-Jahres-Sprung seit den zuletzt dokumentierten Ereignissen. Aus diesem Grunde enthält der Roman auch ein exklusives Vorwort des deutschen „Shadowrun“-Chefredakteurs Christian Lonsing mit einigen Hinweisen und Hintergründen zu den Neuerungen, speziell die nunmehr kabellose Matrix betreffend. Dies erfüllt in erster Linie auch den Zweck, eventuelle Skeptiker vorerst zu besänftigen und ihnen zu erläutern, welche Funktion dieser rasche Zukunftssprung hat. Nun ist es lediglich an Romanautor Koch, die dadurch geschürten Erwartungen literarisch umzusetzen. Eine enorm schwierige Aufgabe, doch der ‚Debütant‘ zieht sich wirklich achtbar aus der Affäre.

_Story_

Boris Weinert hat die Nase vom spießigen Familienleben gestrichen voll. Seit Jahren erlebt er in der Matrix seine wahre Bestimmung und träumt, inspiriert von einer populären Runner-Serie um den Superhelden Viper, eines Tages ebenfalls in den Schatten aktiv zu sein. Während seinem Vater, einem hohen Angestellten beim Konzern-Multi |Horizon|, ein neuer lukrativer Auftrag in München winkt, plant der 13-Jährige seine Flucht aus dem Elternhaus. Kurzerhand stiehlt er seinen Eltern wertvolle Credsticks, begibt sich damit in eine anrüchige Kneipe und trifft dort auf die großspurigen Runner Theseus, Cinque und Key. Nicht wissend, dass seine Eltern bei seiner Verfolgung ums Leben gekommen sind, lernt er bei seinen neuen Chummern die wichtigsten Basics eines Runners und ergattert mit ihnen alsbald auch seinen ersten Auftrag. Als dieser jedoch komplett fehlschlägt und Auftraggeber Domitian, gleichzeitig Besitzer der Gladiatorenarena |Monstroseum|, sich öffentlich über das Scheitern der Runner und ihren neuen Schützling lustig macht, erkennt Boris (alias Wet Boy), dass er unter eine Truppe von Versagern geraten ist, und macht sich auf den Weg, eigenständig Erfahrungen als Runner zu sammeln. Jedoch gerät er dabei in eine tödliche Falle, aus der ihn nur noch seine kurzzeitigen Gefährten befreien könnten. Doch die sind schon zu Genüge damit beschäftigt, Boris‘ Verfolger abzuschütteln. Der Junge hatte seinem Vater kurz vor der Flucht nämlich einen enorm wichtigen Credstick mit verborgenen Informationen gestohlen, die der Konzernführung schon bald zum Verhängnis werden könnten. Und nun sind plötzlich alle hinter dem 13-jährigen Spross her, der ahnungslos in sein eigenes Verderben hineinrennt …

_Meine Meinung_

Im neuesten Kapitel der „Shadowrun“-Abenteuer werden vergleichsweise sehr harte, teils auch übermäßig brutale Seiten aufgezogen. Die einschneidenden Auswirkungen des großen Crashs aus dem Jahre 2064 ist den meisten Runnern noch sehr nahe, die Stimmung daher auch recht gedrückt. Im Übrigen sind die Charaktere dieses Buches aber auch sehr aggressiv eingestellt, allen voran natürlich die Fieslinge, die ihre Kontrahenten nicht nur foltern und zu Tode quälen, sondern sie anschließend noch bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. Ja, „Der Schattenlehrling“ ist verdammt starker Tobak!

Dabei ist der Aufhänger der Story weniger originell: Ein kleiner Abenteurer zieht in eine düstere Welt aus, um seinen Idolen nachzueifern, muss sich jedoch alsbald der knallharten Realität stellen und damit auch Verbrechen, Gewalt und Tod. Losgelöst vom behüteten Elternhaus und den Vorgaben, die der Konzern des Vaters den Familien seiner Schützlinge auferlegt, taucht er ab in eine Welt, die er in seinen Träumen verehrt, die für ihn das Ein und Alles ist. Doch zwischen Trideo, Matrix-Games und der Wirklichkeit bestehen ungeahnte, teils weltengroße Unterschiede. Bereits beim ersten Aufeinandertreffen mit Leuten aus den Schatten muss Boris anerkennen, dass er der Herausforderung gar nicht gewachsen ist. Weder körperlich kann er mit den übrigen mithalten, noch ist seine Einstellung so kompromisslos, dass er als echter Schattenläufer durchgehen würde. Also lässt er sich erst einmal ausbeuten und spendet ein halbes Vermögen für eine kurze Ausbildung. Jedoch hat er sich nicht unter irgendwelche Helden gemischt, sondern unter die letzte Stufe der Runner-Equipe; anrüchige Gestalten, begierig darauf, mit zweifelhaften Aufträgen ihren Unterhalt zu finanzieren, oder notfalls mit illegalen Mitteln die eigenen Bedürfnisse durchzusetzen.

Dennoch entsteht zwischen Theseus, Cinque, Key und Wet Boy – den Namen erhält Boris, als ihm jemand sein Bierglas über dem Kopf entleert – eine Art Sympathie und Freundschaft: Gerade Theseus fühlt sich zu dem Jungen hingezogen und entdeckt Parallelen zu seiner eigenen Vergangenheit. Keiner von ihnen kennt jedoch den wahren Grund für Boris‘ Flucht bzw. die Ursache für seinen Weg in die Schatten. Auch die familiären Umstände bleiben für das Runner-Trio ungeklärt, was einzig und allein daran liegt, dass Wet Boy fürchtet, nicht mehr ernst genommen und wegen seiner Herkunft sogar wieder verbannt zu werden.

Die Stimmung bleibt im Laufe der Erzählung deshalb auch ständig angespannt, bis Boris dann die Initiative ergreift, realisiert, dass Theseus und Co. ihn nicht weiterbringen können und schließlich der Gedanke in ihm reift, dass er anderer Stelle, nämlich im |Monstroseum|, einen besseren Einstieg in die Welt der Schatten bekommt. Doch dort ist es noch finsterer, als es jeder Schatten sein könnte …

Während auf der emotionalen Ebene nichts weiter geschieht als diese recht oberflächliche Freundschaft (selbst der Tod der Eltern wird vom Autor eiskalt aufgearbeitet), schreitet die Action-Handlung ebenfalls nur behäbig voran. Erst nach gut der Hälfte des Romans entwickeln sich langsam aber sicher die Zusammenhänge zwischen allen Parteien; die verschiedenen Positionen werden deutlicher beleuchtet und leiten schließlich ein absolut denkwürdiges Finale ein, bei dem es wirklich so richtig zur Sache geht.

Trotzdem gibt es jedoch noch ein ‚Aber‘, denn letzten Endes hat der Plot nur bedingt überzeugt. Dies liegt aber allen Befürchtungen zum Trotz nicht an den fehlenden Zusammenhängen zwischen der letzten und der neuen Ära, sondern vielmehr an der Tatsache, dass die Geschichte nicht wirklich in die Gänge kommt. Dieses Geplänkel zwischen Boris und seinen neuen Kumpels mag zwar als Einführung wichtig sein und ist zu diesem Zweck auch vollkommen akzeptabel, aber bis sich dann einmal ein weiterer Aufhänger für die ‚echten‘ Abenteuer der Runner entwickelt hat, ist man schon ziemlich weit fortgeschritten und hat Mühe und Not, die vielen einzelnen Parts miteinander zu verbinden. Man weiß zwar im Grunde genommen, wer wie wo seine Finger im Spiel hat und welche hinterlistigen Machenschaften wem anzulasten sind (diesbezüglich Spannung aufzubauen, ist nämlich nicht gerade die Stärke des Autors), wartet aber irgendwie nur auf den letzten Showdown, der von Koch hier glücklicherweise auch richtig stark inszeniert wird.

Dass „Der Schattenlehrling“ insgesamt aber trotzdem ein recht gutes Buch geworden ist, hat man der postapokalyptischen Atmosphäre des Romans zu verdanken. Eine Welt, am Boden zerstört, ein Leben zwischen purer Harmonie und skrupelloser Zwietracht, gesellschaftliche Strukturen, die jeglicher Moral entbehren, phasenweise beängstigend morbide Zwischensequenzen und, nicht zu vergessen, die effektreiche Inszenierung der modernen Mafia, angeführt von hochrangigen Konzerneignern und vollzogen von schmierigen Runner-Gangs, deren Lebenselixir aus Gewaltakten besteht. Boris Koch offeriert ein Leben zwischen Verbrechen, Moralverstößen und Kapitalismus, Niederträchtigkeit und – dem Titel entsprechend – echten Schatten, ganz genau so, wie sich das für einen „Shadowrun“-Roman gehört. Zwar sind seine futuristischen Visionen stellenweise schon richtig krass, im Rahmen der rauen Handlung aber in dieser Form nur ein kleine Puzzlestücke mehrerer eher ekelhafter Szenarien.

Auf den Punkt gebracht: Dort, wo die Story inhaltlich einige Defizite offenbart, springen die grausamen, symbolischen Visualisierungen von Gewalt und Chaos in die Bresche und bewahren den Roman vor dem Durchschnitt. Dies schließlich sogar auf eine Art und Weise, dass ich „Der Schattenlehrling“ zumindest auf den Rahmen der Geschichte bezogen durchaus empfehlen kann.

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[„Shadowrun 4.01D“ 2097

Boothby, Ian – Futurama Comics 26

_Story_

|“Geschichten von zweierlei Interesse“|

Nachdem Bender den schlafenden Fry beim Pokern um das letzte Hemd gebracht hat, fordert Leele den dreisten Roboter auf, sich einmal mit seinesgleichen zu messen. Gesagt, getan: Verbotenerweise entwendet Bender vom Stapel des Professors die „Was wäre wenn?“-Maschine. Zwischendurch ist Fry wieder aufgewacht und kann gar nicht fassen, dass sich seine Jacke nicht mehr an seinem Körper befindet. Er erinnert sich an die Weihnachtsfeste in seiner Kindheit zurück, an denen er jedes Jahr ein Exemplar dieser Jacke geschenkt bekommen hat. Da mischt sich die Maschine ein und spielt mit Leela, Fry und Bender verschiedene Szenarien durch, lässt das ungleiche Gespann in einem imaginären Abenteuer gegen den Weihnachtsmann kämpfen und macht sie zu den Beteiligten einer vollkommen durchgedrehten Sitcom. Selbst Bender hat zum Ende hin die Nase von dieser Maschine gestrichen voll …

_Meine Meinung_

Endlich wieder „Futurama“! Weil die Comic-Serie im Gegensatz zu den „Simpsons Comics“ nur einmal pro Quartal erscheint und auch das Original aus dem TV hierzulande derzeit nicht ausgestrahlt wird, ist die Freude über ein neues Exemplar der „Futurama Comics“ jedes Mal wieder groß, besonders dann, wenn es sich um eine solch hervorragende Ausgabe wie die aktuelle handelt.

Der Plot „Geschichten von zweierlei Interesse“ ist mal wieder alles andere als logisch, zwischenzeitlich sogar vollkommen durchgeknallt, aber durchweg spritzig und aufgrund der unvorhersehbaren, drastischen Wendungen mal wieder voller Überraschungen. Ian Boothby, Autor der Geschichte, verarbeitet über den Umfang des gesamten Comics erneut einige wirre Ideen, macht dieses Mal recht viele Anspielungen gegenüber einst beliebten TV-Produktionen wie „Bezaubernde Jeannie“ und „Herzbube mit zwei Damen“ und zitiert mit ironischem Unterton Inhalte aus „Superman“ und „Men In Black“.

Verrückt ist das Ganze aber auch wegen der total seltsamen Entwicklung des Plots. Über eine lockere Pokerrunde, die Bender dazu nutzt, sich mit unlauten Mitteln zu profilieren, führt das Ganze über einige weitere Manipulationen zu einem von der „Was wäre wenn?“-Maschine erdachten Action-Abenteuer. Fry selber wirft die Frage auf, was wohl wäre, wenn jeden Tag Weihnachten wäre. Und dann nimmt der Irrsinn seinen Lauf … Und kurze Zeit später startet auch schon das nächste Szenario, als Fry fragt, was wäre, wenn sein Leben eine einzige Sitcom wäre. Die Maschine gibt ihm die Antwort, zitiert die oben genannten Comedy-Serien aus vergangenen Jahrzehnten und entwickelt erneut eine total überspitzte Darstellung, die sogar den naiven Fragestellern und dem schmierigen Bender derart auf den Keks gehen, dass sie dankbar darüber sind, dass der Selbstzerstörungsmechanismus (der über einen weiteren spektakulären Zufall entdeckt wird) die Maschine zerstört. Doch der Professor hat ja noch vergleichbare Modelle auf Halde …

„Futurama Comics 26“ bietet einmal mehr allerbeste Unterhaltung auf dem hohen Level der gleichnamigen TV-Serie von Matt Groening. Coole, flotte Gags, eine ziemlich bizarre Geschichte und die beliebten Helden in Bestform – hier stimmt diesmal wirklich alles. Als Bonus gibt es noch eine kurze Zeichenschule mit den elementaren Umrissen Benders. Fans der inoffiziellen Simpsons-Nachfolgeserie aus der Zukunft sollten sich das nicht entgehen lassen.

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Harris, Thomas – Hannibal Rising

„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?“, fragte Dr. Hannibal Lecter die noch junge FBI-Schülerin Clarice Starling in dem 1991 verfilmten Roman [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 von Thomas Harris.

Mit dem Film entstand rund um den intelligenten, charismatischen und grausamen Dr. Hannibal Lecter ein neues Genre. Nicht nur der Film wurde hoch gelobt und bekam wohlverdient als bester Film mehrere Oscars, auch der Schöpfer dieses jetzt größten Filmschurken verdiente das große Lob seiner Romane.

Die Verfilmungen der Thrilleradaptionen „Roter Drache“ und „Hannibal“ konnten an den Erfolg anschließen und haben einen hohen Maßstab gesetzt, literarisch wie auch cineastisch. Nach „Hannibal“ allerdings hatte der Darsteller des Kannibalen Dr. Lecter – Sir Anthony Hopkins – genug von dieser „wahnsinnigen“ Figur, mit der er auf immer identifiziert werden sollte.

Thomas Harris hat sich mit seinem Roman „Hannibal Rising“ viel Zeit gelassen und geht wie so mancher Autor vor ihm den Weg zurück. Viele Autoren bedienen sich Sequels/Prequels, um an ihren Erfolg anzuknüpfen, und da Anthony Hopkins wie gesagt nicht mehr bereit ist, Dr. Lecter zu spielen, lag es nahe dem interessierten Leser und Zuschauer zu erklären, wie es dazu kam, dass ein hoch gebildeter Doktor der Psychologie solchen Wahnsinn an den Tag legt. Welche Einflüsse und Erlebnisse in jungen Jahren haben Hannibal zu dem Serienmörder gemacht, der er ist – ob nun wirklich böse oder nicht, lassen wir erstmal dahingestellt. Haben wir uns diese Frage nicht immer schon gestellt?

„Hannibal Rising“ von Thomas Harris erschienen Ende 2006 im Verlag |Hoffmann und Campe| und gibt den Lesern Antworten auf die Fragen „Warum“ und „Weshalb“.

_ Die Geschichte_

Litauen 1941: Der achtjährige Hannibal Lecter, Sohn eines Grafen, seine Mutter ist italienischer Abstammung, lebt zusammen mit seiner jüngeren Schwester Mischa auf Burg Lecter. Seit fünf Jahrhunderten ist diese im Besitz der Grafschaft Lecter.

Die Eltern erkennen schon die besondere Intelligenz an dem immer höflichen und interessierten Jungen und fördern seinen unersättlichen Wissensdurst mit Hilfe eines Privatlehrers, zu dem Hannibal bald eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Um der immer näher rückenden Front zu entkommen, entschließt sich Graf Lecter mitsamt seiner Familie und dem Lehrer dazu, Zuflucht in ihrem Jagdhaus zu suchen. Doch die Ausläufer des schrecklichen Zweiten Weltkriegs finden auch zufällig dieses letzte Versteck, und bei einem Bombenangriff werden die Eltern sowie der Lehrer getötet. Hannibal und seine kleine Schwester überleben das Inferno und sind nun auf sich allein gestellt.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges finden einige Deserteure und Söldner, die sich als Rot-Kreuz-Helfer tarnen, das kleine Jagdhaus und somit auch Hannibal und Mischa. In der nächsten Zeit wird durch die Grausamkeiten, die Hannibal erlebt, der erste Grundstein seines späteren Verhaltens gesetzt. Beide werden krank, hungern und werden an die Kette gelegt wie wilde Tiere in einem Gefängnis.

Die Deserteure sind unterernährt, erkranken wie die beiden Kinder selbst auch und suchen verzweifelt nach etwas Essbarem. Schließlich muss Hannibal mit ansehen, wie seine Schwester Mischa vor seinen Augen mit einer Axt getötet und ihre kleine Leiche verspeist wird. Dieser Moment, dieses Erlebnis entfacht ihn ihm den Drang nach Rache. Zudem traumatisiert ihn dieses Erlebnis für Jahre, und er verschließt sich unbewusst diesem grausamen Trauma.

Später wird der verletzte und ausgehungerte Hannibal nahe dem Jagdhaus gefunden. Er spricht nicht mehr, ist verstört und kommt in ein Waisenhaus. Inzwischen ist er dreizehn Jahre alt. In der Nacht wird Hannibal immer wieder von Alpträumen geplagt und immer schreit er in der Dunkelheit den Namen seiner Schwester: Mischa, Mischa …! Er durchlebt wieder und wieder die schrecklichen Erlebnisse, ohne sich allerdings bis zuletzt daran erinnern zu können. Tagsüber aber wehrt sich der Jugendliche Hannibal gegen die Geister der Vergangenheit.

Hannibals Onkel, der Bruder seines Vaters, und seine schöne und kultivierte japanische Frau Lady Murasaki nehmen Hannibal in ihre Familie auf und Frankreich wird die nächste Station in seinem noch jungen Leben. Hannibal baut eine tiefe und innige Zuneigung für die schöne und gebildete Lady Murasaki auf, die sich hingebungsvoll seiner annimmt und ihn vieles lehrt. Hannibal entwickelt sich schon hier zu einem interessierten, höflichen jungen Mann. Doch der Schein trügt, sein Temperament ist hitzig, und doch strahlt seine ganze Person kein Gefühl aus.

Als nach dem Tod seines Onkels Lady Murasaki tief beleidigt wird, offenbart sich das Wesen Hannibals langsam. Kalt und berechnend fordert er den Mann auf, sich schriftlich bei Lady Murasaki zu entschuldigen. Dieser nimmt Hannibal nicht ernst und wird zum ersten Opfer des späteren Serienmörders.

Hannibal, ein schulisches Genie, überspringt ein paar Klassen und beginnt interessiert sein Medizinstudium. Besonders bewandert und talentiert ist Hannibal in der Anatomie. Durch einen Zufall kommt er an eine Wahrheitsdroge und durch deren Gebrauch erinnert er sich an den grausamen Mord an seiner Schwester Mischa.

Hannibal sinnt auf Rache; brutal und berechnend sucht er die Männer auf, die sein Leben für immer geprägt haben …

_Kritik_

Der Gedanke, „Hannibal Lecter“ erklären zu wollen, ist ein logisch schlüssiger Ansatz des Autors Thomas Harris. Ganz klar interessiert sich der Leser der vorherigen Romane und Zuschauer der Verfilmungen für die Wurzeln des Bösen Hannibals.

Hannibals schreckliche und grausame Kindheit wird dem Leser in fast schon epischer Breite erzählt, allerdings zunächst ohne darauf hinzuweisen, was seiner kleinen Schwester widerfahren ist. Stilistisch interpretiert Thomas Harris Hannibal natürlich ganz anders als in den drei bisherigen Romanen („Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“). Hannibal wird hier zumeist als Opfer gezeigt, nicht als unberechenbares Monster wie in den Büchern zuvor.

Besonders gut gefallen hat mir genau dieser erster Teil des Romans; auch wenn Kindheit und Jugend Hannibal Lecters nicht den Spannungsbogen dieses Romans beherbergen. Er wird als liebenswürdiger und menschlicher Charakter dargestellt. Erst im Waisenhaus zeigt sich in Momentaufnahmen sein aggressives, unberechenbares Verhalten, wenn aus dem stillen und interessierten Jungen auf einmal ein kalter und grausamer Charakter wird, sobald er Unrecht und Unhöflichkeit empfindet.

Die Rache an den Mördern seiner Schwester wird von Thomas Harris fast schon zu nüchtern erzählt, und zuletzt konzentriert sich der Autor, so empfand ich es bei der Lektüre, nur auf diesen Handlungsstrang.

Zwar entwickelt sich zwischen Lady Murasaki und Hannibal eine platonische Liebe, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Genauso habe ich es vermisst, die menschliche Seite an Hannibal hervorzuheben; bruchstückhaft wird dies zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Mich hätte auch das Alltagsleben interessiert, nicht nur die Morde, die er erwarteterweise ausführt.

Ich habe lange auf diesen Roman gewartet, denn die Romane von Harris mit der Figur des Dr. Hannibal Lecter haben mich immer schon fasziniert, zumal Hannibal in den Verfilmungen oftmals zu Unrecht nur als „böses Monstrum“ gezeigt wird. Einzig und allein die Romane zeigen den Mörder auch von seiner menschlichen Seite, nicht nur als Wahnsinnigen, der des Spaßes wegen tötet. Im Gegenteil – Hannibal Lecter hat seine ganze eigene Welt, seinen eigenen Gedankenpalast, und Unhöflichkeit kann dieser kultivierte, intelligente Mann in seinen Maßstäben nicht durchgehen lassen. Dass er dabei die Morde nicht als etwas Böses ansieht, ist für den Zuschauen nicht zu begreifen.

Der Roman „Hannibal Rising“ ist unterhaltsam, aber meine Erwartungen hat er leider nicht erfüllen können. Weniger Morde, dafür mehr Erklärungen wären sinniger gewesen. Leider endet der Roman damit, dass er sein Medizinstudium abschließt und als Assistenzarzt in Baltimore anfängt. Dem Leser bleibt leider verborgen, was zwischen seinem Medizinstudium und den Anfängen von „Roter Drache“ passiert. Mich hätte sehr interessiert zu erfahren, wie sich der Charakter von Hannibal weiterentwickelt.

Ich kann den Roman bedingt empfehlen, und vielleicht hat dieser auch sein Ziel bereits damit erreicht, neugierig auf die Verfilmung zu machen, die Mitte Februar in den deutschen Kinos anlaufen wird. Jedenfalls hat er das bei mir bewirkt.

Thomas Harris hat für einen weiteren Roman unterschrieben; hoffentlich findet der Autor dann die Brücke zwischen den einzelnen Bänden.

_Autor_

Der Autor Thomas Harris wurde 1940 in Jackson, Tennessee geboren. Kurz nach dem Studium entschloss er sich einige Zeit in Europa zu verbringen 1968 wurde er als Reporter in New York tätig. Erst 1975 erschien sein Erstlingswerk „Schwarzer Sonntag“ dem die Hannibal Lecter Romane folgen sollten.

|Bibliographie|

1. Schwarzer Sonntag
2. Roter Drache
3. Das Schweigen der Lämmer
4. Hannibal
5. Hannibal Rising

Alle Romane sind verfilmt worden. Bis auf „Schwarzer Sonntag“ handelt es sich bei allen anderen um Hannibal-Lecter-Romane.

http://www.hoffmann-und-campe.de
http://www.thomasharris.com

Bates, James W. – Simpsons Comics 123

_Story_

|“Homer hält den Ball flach“|

Eigentlich wollte sich Homer in Moes Taverne die Endausscheidung der Miss-Duff-Bikini-Wahl ansehen, doch bevor er sich aus dem Staub machen kann, ruft Marge ihm ins Gewissen, dass er seinen Tag mit Bart verbringen wollte. Gemeinsam gehen Vater und Sohn ins Baseballstadion der Isotopes und werden dort Zeugen, wie Danny Dings einen neuen Homerun-Rekord aufstellt. Der dazu verwendete Ball landet genau in Homers Nachohut, und mit einem Mal sind Bart und er die gefragtesten Leute in ganz Springfield. Jeder will den Ball einmal anfassen oder ihn zumindest nur kurz begutachten, was die beiden Simpsons mit der Zeit richtig übermütig macht. Als der Baseballstar in einem TV-Interview danach verlangt, den Ball zurückzubekommen, schlägt die Stimmung plötzlich gegen die beiden arroganten Simpsons um. Doch Bart und Homer wollen den Ball lieber versteigern und sich an der zufälligen Begebenheit bereichern.

_Meine Meinung_

Wie eigentlich so oft in der Historie der Simpsons, spielen mal wieder unzählige Zufälle zusammen, die für das Familienoberhaupt Homer plötzlich Wege zu Glanz und Glorie freimachen. Alle Menschen in Springfield reden nur noch vom legendären Baseball, den Danny Dings an jenem Tag im Stadion der Isotopes geschlagen hat, und schon bald wachsen den beiden neuen Besitzern ihr zufällig erlangtes Schmuckstück und dessen Nebeneffekte über den Kopf. Voller Gier versuchen sie sich bei jedweder Gelegenheit an ihrer Errungenschaft zu bereichern, werden aber auch von den naiven Bürgern sowie Barts Schulkameraden in vollem Maße hofiert. Selbst Barts Klassenlehrerin lässt sich auf einen unlauteren Deal ein, damit sie einmal in die Nähe des Balles darf.

Währenddessen nimmt das Drama seinen Lauf und macht die beiden Durchschnittsbürger nach und nach zu den unsympathischsten Springfieldern weit und breit. Als sie dann auch noch dem eigentlich Verursacher des Ruhmes seinen Besitz verwehren, schlägt die Stimmung in Hass um, doch von ihrer Gier getrieben, lassen Bart und Homer nicht nach. Aber das kann natürlich nicht gutgehen …

Die neue Ausgabe der “Simpsons Comics“ bietet mal wieder ganz anständige Unterhaltung, wenngleich nicht ganz so viel Witz wie im vorangegangenen Magazin. In „Homer hält den Ball flach“ dokumentiert Autor James W. Bates mit sehr ironischem, schwarzem Humor, wie sich das Gemüt der beiden männlichen Simpsons mit einem Mal verändert, als sie Geld und Reichtum schnuppern. Gleichzeitig zeichnet er aber auch das Bild einer komplett verdummten Gesellschaft, die sogar richtig wahnsinnig wird, als sich die Chance bietet, mit dem Baseball von Danny Dings in Kontakt zu kommen und eine Prise der Ruhmesluft zu atmen. Bates versteckt dementsprechend auch wieder einiges an Kritik in der Story und verteilt gezielt Seitenhiebe an das fanatische amerikanische Sportpublikum, zieht gleichzeitig die Hip-Hop-Posse durch den Kakao, indem er Homer als Pimp an die Öffentlichkeit treten lässt, und zeigt erneut haufenweise Skurriles aus der Umwelt der gelben Familie. „Homer hält den Ball flach“ hat dabei zwar nicht ganz das Niveau der TV-Serie, gliedert sich aber problemlos in die Reihe der guten Episoden der „Simpsons Comics“ ein.

In der Bonusabteilung sind anschließend eine kurze Vorschau auf die neuen Folgen der gerade angelaufenen 17. Staffel zu sehen sowie ein Interview mit Anke Engelke, die in einigen Teilen eben jener Season die Synchronstimme der Marge Simpson übernehmen wird, nachdem ihre Vorgängerin Elisabeth Volkmann Mitte 2006 verstorben ist. Als Extra-Schmankerl gibt es noch ein Poster der beliebten Comic-Familie.

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Graeff, Alexander – Fragen an Kandinsky oder: wie ich den Geist im Werke rief

In dem ganz wunderbaren Buch „Fragen an Kandinsky oder: wie ich den Geist im Werke rief“ geht Alexander Graeff, und der Autor möge mir diese Reduktion verzeihen, dem Zusammenhang zwischen Kunst und Freiheit nach. Das Setting: eine Séance und zwölf Fragen, die er in einem tranceähnlichen Zustand dem Impressionisten Wassily Kandinsky (1866-1944), oder dem Geist Kandinski, oder – noch besser – der Idee Wassily Kandinsky stellt. Was sich hier okkult anhört, ist auch tatsächlich okkult, so denn der Okkultismus die „Lehre des Verborgenen in all ihrer weiten Dimensionen ist, also des Psychologischen, Phänomenologischen, Anthropologischen und Kosmologischen“ (Graeff). Und was schließlich in der Seance geschieht, ist weder Hokuspokus noch esoterische Weichspülerei. Methodisch, unkonventionell und eigentlich im Vorübergehen – denn die Séance als Methode wird selbst nicht thematisiert – räumt Graeff mit einer Unmenge von Vorurteilen und Unschärfen bezüglich dieser alten magischen Praktik auf, wofür manch anderer tausend Seiten benötigt und trotzdem scheitert.

In Graeffs Fall wird indes die Methode an ihrer Funktionalität gemessen. Seine Intention liegt klar darin, dem Leser die Möglichkeit zu geben, seine Erfahrungen und Erkenntnisse, die er durch das Studium der Kunst im Allgemeinen, Kandinskys im Besonderen und des Okkulten empfangen durfte, zu reproduzieren. Sein Ziel ist die Freiheit, sein Stilmittel die Kunst, die sich in reflexiver Weise wie auch in literarisch-okkulter Form selbst beschreibt. So bleibt Graeff letzten Endes stets bei Innenansichten (und muss es bleiben, will er Erfahrung vermitteln) die sich in einem denkwürdigen Zwiegespräch mit dem Kandinsky-Phänomen ausdrücken, in Themen wie dem Wesen der Kunst, den Dualismen Form und Inhalt, Ordnung und Chaos sowie Freiheit und – ihrem Gegenpart – der Bindung. Doch das Subjektive dieser okkult-kandinskyschen Erfahrung, die Graeff postuliert, wird nicht thematisiert. Sie erschließt sich dem Leser auf wundervolle Weise durch die Lektüre selbst, verbleibt aber dann im Verborgenen der Seele des Lesers und darf nicht externalisert werden, ohne damit von dem Inhalt zur Form zu wechseln und das Erfahren zu zerstören. Ermöglicht wird dieser Effekt unter anderem durch die hervorragenden Illustrationen von Andrea Schmidt, die meines Erachtens eher den Namen „Seelenbilder“ verdienen. Auch hier paart sich das Künstlerische mit dem Künstlerischen – das Auditive des Textes mit dem Visuellen der Bilder – und ermöglicht so eine Erfahrung wirklich okkulter Natur, die in ihrem inneren Effekt ähnlich ist, wenn man sich zum erste Mal mit den mathematischen Theoremen Gödels oder den selbstreferentiellen Theorien der Wissenschaftler Luhmann und Maturana auseinandersetzt. Was jeweils bleibt, geboren aus dem wissenschaftlichen oder wie in Graeffs Fall, dem künstlerischen Ansatz, ist reine Selbst-Erfahrung.

http://www.alexander-graeff.de
http://www.otrd.de/autorenprogramm.html
oder bei http://www.seitenschauer.de

_Tom Eichler_
[Phänomen Verlag]http://www.phaenomen-verlag.de

Aronofsky, Darren / Williams, Kent – Fountain, The (Vertigo Select 2)

_Story_

Tomas‘ Dasein ist vom ständigen Kampf gegen den Tod bezeichnet. In drei Leben zu drei völlig unterschiedlichen Zeiten sucht er nach dem Quell des ewigen Lebens und der Erlösung vor dem Tod. Bereits im Jahre 1535 kämpft er an der Spitze einer spanischen Armee gegen das unbarmherzige Volk der Maya. Im Auftrag seiner Königin und Geliebten Isabel sucht er nach dem Schlüssel der Unsterblichkeit und widersetzt sich jeglicher christlicher Moral, erblickt jedoch in einer erbitterten Schlacht wieder den Weg in die unbarmherzige Realität.

Auch die Gegenwart hält für Tommy nichts als Schrecken bereit. Als angesehener Wissenschaftler sucht er vergeblich ein Mittel, um den Krebs seiner Gattin Izzi zu besiegen. Kurz vor ihrem Dahinscheiden offenbart sich ihm ein Durchbruch, doch Tommy muss sich damit abfinden, dass er die Gesetze des Lebens nicht über Nacht verändern kann.

Selbst in der Zukunft beherrscht der Tod Toms Denken. Er flüchtet vor den Geschehnissen der vergangenen tausend Jahre und sucht am Ende seiner Odyssee nach Frieden. Eng verknüpft mit dem Baum des Lebens, wartet er auf die Blüte dieser Pflanze und sinnt vergeblich nach einzelnen Momenten der Hoffnung. Doch der Tod kennt kein Erbarmen. Tom kommt verzweifelt zu der Erkenntnis, dass er trotz mehrfacher Wiedergeburt keine Macht über das Unaufhaltsame haben kann. Doch nach all den Jahren des Flehens und Forschens kann er nur schwer akzeptieren, dass alle Hoffnung einmal ein Ende haben muss.

_Meine Meinung_

Die Vorgeschichte zu dieser Graphic Novel ist selbst bereits ergreifend und deckt sich sehr gut mit dem Inhalt von „The Fountain“. Schon im Jahre 2002 plante der erfolgreiche Independent-Regisseur Darren Aronofsky (u. a. „Requiem for a Dream“ und „Pi“), das Drehbuch zu „The Fountain“ zu verfilmen. Die Arbeiten waren bereits in vollem Gange, als Dritte plötzlich das Projekt für unbestimmte Zeit auf Eis legten und Darrens Visionen damit bis auf weiteres ausschalteten. Für den Regisseur und Autor begann eine krisenreiche Zeit voller privater Schicksalsschläge, die sich jedoch allesamt zum Positiven wendeten – ganz so wie das Fortbestehen des Skripts zu „The Fountain“. Unabhängig aller Partner plante Aronofsky, den Film als Low-Budget-Version trotzdem abzudrehen und gleichzeitig an einem Comic zu arbeiten, um dadurch zu gewährleisten, dass seine epische Liebesgeschichte auf jeden Fall in irgendeiner Form veröffentlicht wird. Im renommierten Künstler Kent Williams fand er alsbald den richtigen Mann für die graphische Umsetzung seiner Ideen und trat schließlich mit |Vertigo| in Kontakt, wo man von Aronofskys Idee völlig begeistert war. Während die Entwicklung des Comics relativ zügig konkrete Formen annahm, wuchs im Hintergrund auch wieder das Interesse der Filmemacher. Parallel wurden beide Projekte ausgearbeitet, so dass dieser Comic nun eine Art Prequel zum großen Kinoereignis ist, welches bereits in Kürze mit prominenter Besetzung (Hugh Jackman, Rachel Weisz) anlaufen wird. Das lange Ringen hat sich also gelohnt, denn wie es auf dem Backcover schon richtig geschrieben steht: „The Fountain“ ist so gewaltig, dass ein Medium alleine nicht reichte, um diese Geschichte zu erzählen. Wahre Worte, die ich nur deutlich unterstreichen kann!

Aronofskys Geschichte spielt sich auf drei verschiedenen Ebenen ab, wobei der Löwenanteil der Story in der Gegenwart stattfindet. Dort kämpft der rastlose Wissenschaftler Tommy gerade um das Leben eines jungen Affen namens Donovan, der ebenso wie Tommys Frau von einem Tumor befallen und nahezu chancenlos dem Tod ausgesetzt ist. Der verzweifelte Forscher versucht mit allen Mitteln, Seren und Medikamente zu entwickeln, die das Dilemma verlangsamen oder gar ganz beenden können, vergisst dabei jedoch, dass seiner Geliebten nicht damit geholfen ist, dass er ständig in seinem Labor Ursachenforschung betreibt. Während Izzi ihren letzten Roman verfasst und kurz vor der Vollendung ihres Lebenswerks steht, arbeitet Tommy Tag und Nacht an einer Lösung. Doch Izzis Zustand verschlechtert sich permanent, und ohne dass Tommy noch dazu kommt, sich gebührend zu verabschieden, scheidet die wichtigste Person in seinem Leben dahin. Ähnliche Ereignisse spielten sich bereits in der Vergangenheit ab, als Tommy alias Tomas als spanischer Hauptmann ein verborgenes Relikt der Maya in seinen Besitz bringen wollte, welches das ewige Leben versprach. Doch der Preis dafür ist hoch, und sein Ringen um die Liebe zur Königin wird ebenfalls von einigen fürchterlichen Umständen begleitet. In der letzten Dimension ist Tom schier hilflos vor Verzweiflung. Er nährt sich von den Früchten des Lebensbaums, doch dessen Blüte ist vorüber. Lediglich die Explosion eines Sterns, den bereits die Maya anbeteten, könnte noch ein Wunder bewirken. Aber nach alldem, was Tom in den vergangenen tausend Jahren erlebt hat, sind Wunder und damit verbundene Hoffnungsschimmer nur noch stärker mit Verzweiflung und Kummer verbunden – und letztendlich auch pure Utopie. Erst als er sich mit dem Gedanken abfindet, dass das Streben nach ewigem Leben unvernünftig und unrealistisch ist, bekommt sein Leben nach Wiedergeburt, Tod und Verlusten eine neue, akzeptable Bedeutung.

Die Geschichte um die drei Inkarnationen eines jungen Mannes sind von Aronofsky sehr bewegend dargestellt. Ein Mann, der seine Liebe mit allen Mitteln retten will und gleich mehrfach dem Tod und der Hilflosigkeit ausgesetzt ist, das ist der Protagonist Tomas, eine Gestalt, wie sie sowohl in der Film- als auch in der Comicbranche bislang einzigartig ist. Und einzigartig ist auch die grundlegende Idee, der Inhalt, der einen von Beginn an fesselt, unter anderem auch wegen der kunstvollen Illustrationen des mehrfach ausgezeichneten Kent Williams. Seine Bilder verleihen den traurigen Ereignissen der parallel erzählten Storys dennoch eine letzte Spur von Optimismus, untermalen ansonsten aber ebenfalls die bedrückte Stimmung der Erzählstränge. Die Aufgabe, Verzweiflung jenseits wahnhafter Verhaltensmuster darzustellen, war dabei aber sicherlich ein ziemlich hartes, schwer lösbares Unterfangen, welches Williams jedoch geschickt umgeht. Er beharrt nämlich auf ständigen Mysterien und lässt die Charaktere in einem allzu geheimnisvollen Licht erscheinen. So sind selbst traurigste Gesichtszüge nur Schemen, die den Leser nie zu sehr zu den Protagonisten durchdringen lassen, was der Handlung insofern zuträglich ist, als jede geringfügige Wendung zu einer deutlichen Überraschung avanciert.

Im Großen und Ganzen harmonieren Williams und Aronofsky wahrhaftig prächtig miteinander. Der eine versteht die Visionen des jeweils anderen und trägt jeweils maßgeblich dazu bei, dass dieses vollkommen fiktive Stück die erforderliche Glaubwürdigkeit erhält. Abgesehen davon, dass die Story phänomenal ist, kann man somit auch die Umsetzung in jedweder Hinsicht nur mit höchsten Tönen loben und dieses Meisterwerk auch nur jedem Anhänger anspruchsvoller, kunstfertiger Comic-Literatur ans Herz legen. Perfekter können Lyrik, Poesie und Kunst kaum miteinander verschmelzen als in „The Fountain“.

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Hurwitz, Gregg – Scharfrichter, Die

Selbstjustiz ist gerade in den USA, wo schon so mancher Waffennarr das Recht, einen Einbrecher zu erschießen, für sich beansprucht hat, ein sensibles Thema. So gesehen packt Gregg Hurwitz mit seinem Thriller „Die Scharfrichter“ ein mehr oder minder heißes Eisen an.

Tim Rackley ist US Marshal in Los Angeles. Auch seine Frau Andrea arbeitet bei der Polizei. Tim ist ein rechtsgläubiger Mensch, der an die Gesetze glaubt. Das ändert sich, als seine sechsjährige Tochter Virginia brutal ermordet und der Täter aufgrund eines juristischen Formfehlers freigesprochen wird. Tim sieht plötzliche, wie die Rechtsprechung auch mal im Unrecht sein kann, und das will und kann er nicht so stehen lassen.

Wie es der Zufall so will, klopft just in dem Moment aufkeimender Rachegelüste ein Mann an seine Tür, der sich als Vertreter einer Kommission vorstellt, die es sich zum Ziel gemacht hat, solche Fehlurteile der Rechtsprechung geradezubiegen – auf eigene Faust, versteht sich, und auf nicht ganz legale Weise obendrein. Nach einigem Grübeln schließt Tim sich dieser Kommission an, die sich daraufhin trifft, um sieben Fälle neu aufzurollen, zu verhandeln, Urteile zu sprechen und zu vollstrecken. Der siebte Fall soll der Mörder von Tims Tochter sein.

Zunächst verläuft alles planmäßig, als dann jedoch einige skrupellose Mitglieder der Kommission bei einer Urteilsvollstreckung ein Blutbad anrichten, läuft die Sache aus dem Ruder. Tim muss schon bald erkennen, dass er sich auf ein Spiel eingelassen hat, von dem er besser die Finger gelassen hätte und bei dem am Ende nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr ist …

Auf den ersten Blick klingt das alles nach einem spannenden Thriller um Justiz und Rache. Diesen Eindruck will offensichtlich auch der auffällige gelbe Sticker auf dem Buchdeckel erwecken, der „Hochspannung!“ verspricht. Solche Sticker machen mich mittlerweile aber immer misstrauisch, denn schon zu oft entpuppte sich ein solcher „hochspannender“ Thriller oder gar „Thriller des Monats“ als Pleite oder höchstens mittelklassiges Werk.

„Die Scharfrichter“ ergeht es da leider nicht viel anders – zumindest scheint sich der Sticker auf dem Buchdeckel lediglich auf das letzte Buchdrittel zu beziehen. Mag die Thematik im ersten Moment auch noch spannend klingen und auch Hurwitz‘ Einstieg in die Geschichte noch recht vielversprechend erscheinen, so folgt dem mit zunehmender Seitenzahl dann doch immer häufiger ein Stirnrunzeln. Die Geschichte entwickelt so einige Ecken und Kanten, die ein wenig den Lesegenuss trüben.

Und das, obwohl Hurwitz am Anfang noch einen recht guten Eindruck hinterlässt. Die Trauer und Ohnmacht der Eltern wird einigermaßen gut greifbar und steht in den ersten Kapiteln noch im Mittelpunkt der Handlung. Das erste Stirnrunzeln folgt dann mit dem Freispruch des Kindermörders wenig später. Der Täter wird freigesprochen, nachdem die Verteidigung mehrere Gutachten vorlegt, die belegen, dass der Angeklagte taub ist, also nicht hören konnte, wie ihm seine Rechte vorgelesen wurden, als die Polizei ihn mitsamt aller erdrückenden Beweise in seinem Haus vorfand. Dass daher alle in diesem Zusammenhang sichergestellten (und absolut eindeutigen) Beweise und das Geständnis des Täters vor Gericht nicht anerkannt werden, führt zum Freispruch. Dass aber vorher niemand gemerkt haben will, dass der Täter taub ist, wird nicht sonderlich glaubwürdig verdeutlicht.

Auch andere Fehlurteile, die die Kommission später intern noch einmal neu aufrollt, bleiben ähnlich fragwürdig. Warum z. B. die Gerichte einen Mann, der erwiesener Maßen ein Massenmörder ist, freisprechen, weil das Sondereinsatzkommando drei Minuten zu spät seine Wohnung stürmt, wird nicht ganz deutlich. Dafür, dass die USA sich beispielsweise in Guantanamo einen Dreck um die Rechte Verdächtiger scheren, lässt die US-Justiz hier einfach zu freizügig Massenmörder laufen, als dass es glaubhaft wäre.

Und so lässt das Ganze Hurwitz‘ Realitätsbezug ein wenig zu zweifelhaft erscheinen. Mag sein, dass das Rechtssystem einige haarsträubende Schlupflöcher hat, aber dass eine dreiminütige Verspätung der Polizei schwerer wiegen soll als ein 86-facher Mord, erscheint einfach zu unglaubwürdig. Wenn Hurwitz‘ Recherchen wirklich so haarsträubende Probleme in der US-Justiz ergeben hätten, hätte ich mir einen entsprechenden Kommentar im Nachwort gewünscht, um dem irgendwie Glauben schenken zu können, aber ohne einen weiteren Kommentar klingt das für meine Ohren einfach zu fantastisch.

Der Thrillerplot, den Hurwitz aber aus diesem etwas fragwürdigen Stoff spinnt, lässt mit der Zeit zumindest die Spannungskurve ordentlich steigen. Damit lässt er sich zwar auch ein wenig Zeit (in der ersten Hälfte des Buches gibt es immer wieder Phasen, die weniger spannend sind), dafür ist gerade das letzte Drittel des Buches dann doch wirklich spannend. Es entbrennt ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Tim, den anderen Mitgliedern der Kommission und der Polizei, bei dem es um alles geht.

Bei der Schilderung der Vorgehensweise der Kommission, bei allen Aspekten, die sich um Waffen und Technik sowie deren Handhabung drehen, geht Hurwitz äußerst präzise vor. Er schildert solche Dinge geradezu detailverliebt und lässt immer wieder Daten und Fakten einfließen, wie die Stärke des Rückschlag einer Waffe oder die Vorgehensweise zur Ausschaltung eines Bewegungsmelders. Dem gegenüber stehen aber hier und da kleine Flüchtigkeitsfehler in der Kontinuität der Geschichte. So beträgt der Zeitraum zwischen dem Mord an Tims Tochter und den aktuellen Ereignissen des Romans erst 14 Tage, später dann nur noch 11 Tage, und eine Sprengstofftasche, die erst oliv war, ist plötzlich schwarz. Aber das sind sicherlich eher Kleinigkeiten, die man als nicht ganz so schwerwiegend betrachten kann.

Nicht ganz überzeugend finde ich dagegen die Auflösung. Ich hatte befürchtet, dass die Geschichte auf das hinauslaufen würde, was dann zum Ende hin kommt, denn irgendwie liegt das im Laufe des Buches schon in der Luft – überzeugend gelöst finde ich es dennoch nicht. Auch das Ende erscheint mir ein wenig zu typisch amerikanisch. Der strahlende Held bleibt der strahlende Held, trotz all der Dinge, die er tut und erlebt. Das Ende passt zwar zur Geschichte, hinterlässt aber dennoch einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Überhaupt wirken die Figuren etwas klischeebehaftet: Tim der Superpolizist auf Abwegen, der nie den Überblick zu verlieren scheint und dessen Heldenaura nur selten Kratzer erleidet. Auch die Kommissionsmitglieder wirken teils sehr klischeeüberfrachtet. Die muskulösen Zwillingsbrüder Masterson, die ihre Aggressionen nicht immer im Zaum halten können. Storch, der hässliche, kränkliche Technikfreak, der ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, aber in Sachen Technik ein brillantes Genie. Das sieht alles ein wenig zu sehr nach Hollywoodfilm aus.

Bleiben unterm Strich also gemischte Gefühle zurück. Einerseits baut Hurwitz den Plot spannend auf und gibt der Geschichte gerade zum Ende hin viel Tempo, dennoch bleiben viele Aspekte in Erinnerung, die wenig überzeugend sind. Gerade mit Blick auf die Entscheidungen der Justiz bleibt vieles fragwürdig. Zwar sind die USA ein Land, wo Gerichte auch schon mal den Ausgang einer demokratischen Wahl festlegen (was für sich genommen so haarsträubend ist, dass man all die krassen Fehlurteile, die Hurwitz schildert, sofort glauben möchte), dennoch erscheint mir in dieser Hinsicht manches zu fantastisch. Auch die wenig befriedigende Auflösung und die klischeebehafteten Figuren trüben ein wenig die Freude. Fazit: Spannende Kost zwar, aber dennoch nicht auf ganzer Linie überzeugend.

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Catherine Donzel – Legendäre Ozeanreisen

Donzel Ozeanreisen kleinInhalt

„Das Meer vergessen“ (S. 10-17): Die Einleitung versucht ein Paradoxon zu erklären, denn die Kunst des Reisens auf dem Wasser besteht darin, die Passagiere das feuchte Element, das sie trägt, möglichst vergessen zu lassen. Die großen Schiffe der Vergangenheit und Gegenwart waren so eingerichtet, dass mögliche Ängste im Luxus förmlich erstickt werden. Aus der möglichen Zumutung, Tage oder Wochen auf einem relativ kleinen, einsam dahin schippernden Gefährt zuzubringen, wurde auf diese Weise ein Erlebnis. Die Fahrt selbst war so wichtig wie das Ziel, bis schließlich die Kreuzfahrt erfunden wurde, die auf ein Ziel sogar völlig verzichten konnte.

„Sich einschiffen“ (S. 18-61): Die Reise mit einem Schiff war zumindest in der angeblich guten alten Zeit nicht identisch mit einer modernen Pauschalreise. Auf große Fahrt gingen primär jene, die sich dieses kostspielige Vergnügen leisten konnten. Während über Geld nicht gesprochen wurde – man hatte es –, musste der gesellschaftliche Status präsentiert werden. Um sich zur Schau stellen zu können, reiste man mit großem Gepäck; eigentlich nahm man einen guten Teil seines Hausstandes mit in ferne Länder. Das Einschiffen wurde unter dieser Voraussetzung zu einer logistischen Herausforderung. Unmengen von Kleidern, Anzügen oder Golfschlägern galt es an Bord zu nehmen und zu verstauen, während die anspruchsvollen Passagiere demutsvoll begrüßt und in ihre Suiten geführt wurden. Möglichst unbemerkt wurden gewaltige Mengen Nahrungsmittel, Wasser, Treibstoff und andere unverzichtbare Ladungen in den Bauch des Schiffes geschafft. Das Tohuwabohu, von dem die Passagiere der ersten Klasse nichts merken sollten, hielt noch an, während das Schiff bereits auf den Ozean hinaus steuerte. Catherine Donzel – Legendäre Ozeanreisen weiterlesen

Luceno, James / Döring, Oliver – Star Wars – Labyrinth des Bösen. Teil 2: Darth Sidious auf der Spur

|Star Wars| ist 30 Jahre alt geworden, so lange ist es bereits her, dass [„Krieg der Sterne – Eine neue Hoffnung“ 686 in den Kinosälen anlief. Als kleines Jubiläumsgeschenk kann man da die Trilogie „Labyrinth des Bösen“ verstehen, die nun auf Grundlage einer literarischen Vorlage von James Luceno als Hörspiel erschienen ist. Denn bei der Umsetzung der äußerst beliebten Romanreihe wurden nicht nur die original Soundeffekte und John Williams‘ Filmmusik benutzt, sondern zugleich sämtliche Synchronsprecher verpflichtet, um das Kino-im-Kopf-Erlebnis perfekt zu machen und echte Star-Wars-Atmosphäre aus den heimischen Lautsprecherboxen zu zaubern.

_Inhalt_

„Star Wars – Labyrinth des Bösen“ ist zwischen Episode II und III angesiedelt. Die Klonkriege haben die gesamte Galaxis in den Krieg gestürzt. Die Separatisten, angeführt von Count Dooku und finanziell unterstützt durch die Handelsförderation, haben eine Droidenarmee errichtet, um die Republik in den Bürgerkrieg zu stürzen und ihre Handlungsunfähigkeit aufzuzeigen. Tatsächlich spalten sich immer mehr Systeme im OuterRim ab und stellen sich auf die Seite der Separatisten. Die Republik ist zum Gegenschlag gezwungen. Um einen schnellen, reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und den Krieg nicht unnötig in die Länge zu ziehen, werden Kanzler Palpatine im Senat zahlreiche Rechte zugesprochen, die ihm freie Hand lassen und seine Macht mehr und mehr steigern. Mit einer Klonarmee sollen die Separatisten in ihre Schranken getrieben werden. Der Rat der Jedis äußert Bedenken und betrachtet die Machtansprüche des Kanzlers mit Sorge, beugt sich jedoch schließlich Palpatine. Um die Lage unter Kontrolle zu halten, sind es die Jediritter, die die Klonarmeen auf ihren Feldzügen durch die Galaxis anführen.

In Episode III ist nur noch das Ende der Epoche der Klonkrieg zu sehen und Palpatins Übernahme des Senats als Darth Sidious, die Auslöschung der Jedis und die Kontrolle über Anakin Skywalker, den er als Darth Vader auszubilden gedenkt, findet seinen Höhepunkt in dem Untergang der Republik und der Geburtsstunde des Imperiums. Wie es zu diesem Zerfall kam, welche strategischen Mittel Palpatine aufbot, um den Jedirat zu unterwandern, und wie er Schritt für Schritt Anakin unter seinen Einfluss bringen konnte, werden im Film nur angedeutet und nebenbei erwähnt. Genau hier setzt die Hörspieltrilogie ein und bietet jedem Star-Wars-Fan endlich das perfekte Bindeglied zwischen den beiden Kinostreifen.

_Teil 2: Darth Sidious auf der Spur_

Zum Inhalt von Teil siehe die Rezension zu [„Labyrinth des Bösen Teil 1: Gunrays Geheimnis“. 3291

Der zweite Teil der Hörspiel-Trilogie setzt genau dort an, wo der erste Teil aufgehört hat. Bevor der Hörer jedoch mitten ins Geschehen katapultiert wird, einer fulminanten Weltraumschlacht, wird zunächst der Blick auf ein zurückliegendes Ereignis geworfen. General Grievous, der in dieser Folge eine zentrale Rolle einnimmt und in Episode III ohne Einführung als neuer Bösewicht fungiert, denkt an seinen Unfall zurück. So erfährt der Hörer endlich, warum er im Körper einer Maschine sein Dasein fristen muss. Eigentlich wäre sein Leben nach einem tödlichen Unfall zu Ende gewesen, doch der Bankenclan, eine einflussreiche Gesellschaft, die in Grievous einen angsteinflößenden Führsprecher gefunden hat, hat seine Kontakte zu geonosischen Wissenschaftlern eingesetzt, um Grievous auf ihre Seite zu ziehen.

Zurück in die Gegenwart, wird die Perspektive auf einen Angriff der Separatisten unter Führung von Grievous gelegt, die einen Planeten unter Beschuss nehmen. Doch Obi-Wan und Anakin sind schneller gewesen und konnten, dank der abgefangenen Hinweise durch den Mechno-Stuhl, eine organisierte Evakuierung einrichten. Den Separatisten bleibt nichts anderes übrig als abzudrehen und den Planeten aufzugeben. Grievous ist verärgert und überrascht, doch allmählich dämmert ihm, wer für dieses Debakel verantwortlich ist.

Derweil gehen die Jedis allen Spuren nach, die zu einer Ergreifung von Sidous führen könnten. Obi-Wan und Anakin befreien Thal K’Sar, den Konstrukteur des Stuhls mit dem integrierten Hyperwellensender, und erfahren, dass ein zweiter Sender gebaut wurde – mit dem Zielort einer Hüttenstadt in Coruscant. Yoda und Mace Windu suchen währenddessen Palpatine auf und weihen ihn ein, dass Hinweise zu Darth Sidious aufgetaucht sind. Nicht ahnend, dass Palpatine der gesuchte Sith ist, spielen sie ihm damit genau in die Hände, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Doch noch sind die Jedis ihm auf der Spur, die sie nach der Erforschung der Hüttenstadt bis ins Senatsviertel von Coruscant führt.

_Umsetzung_

„Die spektakuläre Vorgeschichte zu Episode 3“, wie die Hörspiel-Trilogie „Star Wars – Labyrinth des Bösen“ von |Universal| angekündigt wird, hält alles, was sie verspricht. Dank der kompletten Riege der Synchronsprecher, die für die deutsche Stimmen der Star-Wars-Charaktere in den Filmen tätig waren, kommt sofort eine packende Atmosphäre auf. Die Soundkulisse erreicht Kinoqualität und ist, mit entsprechenden Boxen, selbst in Stereo ein Hörgenuss. Glasklare Geräusche, die dank ihrer Bekanntheit aus der Kinovorlage sofort zuzuordnen sind, lassen die Geschichte im Kopf des Hörers entstehen. Der offizielle Soundtrack von John Williams veredelt das Spektakel, läuft während wichtiger Dialoge unaufdringlich im Hintergrund und drängt dann, wenn die Action zunimmt, geschickt nach vorne. Selbst die Handlung ist vielschichtig und intelligent aufgebaut und übertrifft deutlich den Sinngehalt der mitunter platt und unfreiwillig komisch anmutenden Gespräche aus den Kinofilmen. „Labyrinth des Bösen“ schlägt die Brücke zwischen Episode II und III und liefert endlich die Hintergrundinformationen, die man im Kino vermisst hatte.

_Fazit_

Kein Star-Wars-Fan wird umhinkommen, diese Hörspiel-Perle zu erwerben. Ein Produkt höchster Güte und auf einem technisch selten erreichten Qualitätsniveau. Eines muss man George Lukas lassen: Was er als offizielles Produkt abseits seiner Filme zulässt, hat meistens entsprechendes Niveau. „Labyrinth des Böses“ war bereits als Roman empfehlenswert, als Hörspiel übertrifft es sich noch einmal selbst.

|ISBN 3-8291-1884-8 / 978-3-8291-1884-2|
http://www.karussell.de/

Walker, Hugh – Magira – Die Ufer der Wirklichkeit

Band 1: [„Die Welt des Spielers“ 2141
Band 2: [„Die Macht der Finsternis“ 2219
Band 3: [„Die Stadt der Götter“ 3267

|Handlungsabriss|

Bereits am Ende des ersten Bandes wurde die Gruppe, die sich im Laufe der Handlung um die Priesterin Ilara und ihren Entführer Thuon zusammengefunden hatte, wieder auseinandergerissen. Thuon, der Zwerg Thauremach und Frankari waren danach erst einmal in der Versenkung verschwunden.

Während Thorich sich vor dem drohenden Krieg nach Kanzanien davongemacht und dort seine eigenen Abenteuer zu bestehen hat, ist Thuon mit dem in einer Spielfigur eingeschlossenen Frankari und dem Syrinx spielenden Zwerg nach Magramor zurückgekehrt, wo sich die Armeen Wolsans auf den Krieg vorbereiten. Frankari will versuchen, über Pele, Bruss‘ Vater, an Mythan d’Sorc heranzukommen. Tatsächlich lädt Pele die drei zu einem Mahl ein, zu dem auch der Mythane geladen ist. Dieser erklärt sich bereit, Frankari seine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, gegen einen Blick in Frankaris Gedanken, denn er spürt, dass Frankari nicht aus Magira stammt. Frankari ist das nicht sonderlich recht, er sträubt sich. Doch sein Versuch, sich mittels Magie zu wehren, hat ungeahnte Folgen …

Thorich ist derweil wieder einmal auf der Flucht, diesmal vor den Reitern der Finsternis. Er hat in der „Realität“ eine Spielfigur vom Brett geklaut, die, in der seine geliebte SayaTar verschwunden ist. Thorich hofft, sie so vor dem Tod bewahren zu können. Doch mit seiner Tat hat er eine Variable ins Spiel gebracht, und sofort findet sich auch jemand, der sich dies zu Nutze machen will. Als der Autor sich mit seinen Freunden ans Spielbrett setzt und zu würfeln beginnt, muss Thorich bald erkennen, dass er mit seinem Diebstahl weder TayaSar, noch sich selbst, noch seinem „Gott“ einen Gefallen getan hat …

|Charakterwege|

Etwas zur Charakterzeichnung zu sagen, kann ich mir diesmal getrost schenken, denn es kommt nur eine einzige neue Figur vor, die über die Funktion eines Statisten hinausgeht, und das ist der Mythane des kanzanischen Königs namens Elmuciron. Da er aber in jeder Hinsicht der typische Mythane ist, gibt es eigentlich nichts weiter über die Person als solche zu erzählen.

Mit der Funktion des Charakters sieht es schon ein wenig anders aus: Eine Zeit lang dachte ich, er sei eine neue Verkörperung von Laudmann. Gewundert hätte mich das nicht. Sowohl Thuon als auch Thorich waren mehr als einmal tot und kamen doch wieder zurück; Frankari hat sich sogar in zwei Persönlichkeiten gespalten, was wiederum relativ ist, wenn man bedenkt, dass Laudmann alias Frankari auch nur eine Facette des Autors ist; da wäre es auf eine wundersame Befreiung Laudmanns aus seiner vom Autor aufgezwungenen Verbannung auch nicht mehr angekommen.

Im Verlauf des Spiels zeigte sich jedoch, dass ich Unrecht hatte, was nicht heißen soll, dass die tatsächliche Entwicklung der Geschichte weniger wundersam wäre als ein erneutes Auftauchen Laudmanns. Die Züge des Falken sind Laudmann ziemlich ähnlich. Vielleicht ist der Unterschied ja auch rein definierender Natur, denn was sich im Zusammenhang mit Elmuricon und dem Falken abspielt, gehört ebenso in den Bereich der Phantasie wie Laudmann. Fast scheint es, als wäre Hugh das Spiel ohne einen adäquaten Gegenspieler, wie Laudmann ihn darstellte, zu langweilig.

|Verwirrungen|

Wir befinden uns also immer noch in einem Duell, diesmal zwischen Hugh, der als König von Wolsan den Löwen verkörpert, und dem Falken, dem Spieler, dessen Volk die Kanzanier sind. Im Grunde ist dieses Duell ebenso wie das gegen Laudmann lediglich eines, das im Kopf des Autors stattfindet, sozusagen Entwürfe von Szenen, zu denen ihn das reale Spiel inspiriert, und die er später als Teil der Geschichte niederschreiben könnte. Tatsächlich macht sich der Autor während des Spiels sogar Notizen dazu. Der Leser muss allerdings selbst herausfinden, welches Spiel das reale ist und welches das erfundene! Indiz ist auch diesmal wieder das schwarze Hexagon auf dem Wohnzimmerteppich. Und nicht nur, dass der Leser zwischen realem und erfundenem Spiel unterscheiden muss, es scheint auch, dass der Autor sich selbst ebenfalls noch einmal geteilt hat, so wie es mit Frankari geschah. Jetzt haben wir nicht nur den Autor namens Hugh, sondern auch noch ein Ich!
Ehrlich gestanden wurde es mir an diesem Punkt doch etwas zu unübersichtlich!

Das betraf nicht nur die Fülle an Personen, die eigentlich nur bestimmte Teile einer einzigen Person waren, sondern auch die Handlung.
Allmählich verging mir die Lust, den häufigen und extrem sprunghaften Wechseln in Ort und Geschehen zu folgen. Das mag auch an dem etwas unzusammenhängenden Erzählstil liegen. Walker hält sich nicht mit Erklärungen auf. Es wird hauptsächlich berichtet, was geschieht. Warum etwas geschieht, dafür muss der Leser selbst plausible Gründe finden. Dabei wäre die Geschichte auch ohne diese zusätzlichen Unklarheiten schon irritierend genug. So fragte ich mich zum Beispiel, warum die Reiter der Finsternis – deren Aufgabe unter anderem die Trennung von Realität und Phantasie ist – zwar dafür sorgten, dass Frankari aus Magira verschwand, Hugh aber dort ließen. Schließlich hatte der dort eigentlich auch nichts zu suchen!

Fast scheint es, als hätte die Verwirrung auch vor Walker nicht ganz Halt gemacht. Vielleicht ging es ihm tatsächlich so, wie er es Hugh in den Mund gelegt hat, dem seine Figuren langsam ziemlich auf die Nerven gingen, und er hat sich deshalb am Ende zu einem solch radikalen Rundumschlag hinreißen lassen. Mir war es nicht unrecht. Eine noch weiter fortschreitende Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass die Geschichte völlig chaotisch und unverständlich geworden wäre. Und die Protagonisten waren mangels charakterlicher Entwicklung allmählich auch ziemlich abgenutzt. Da die bisherige Handlung ausschließlich in den Ländern von Löwe und Falke spielte, hätten die Länder der übrigen Spieler – Adler, Wolf und Einhorn – wohl noch Stoff für weitere Geschichten hergegeben. Aber ohne die Faszination, die aus dem Verwischen der Grenzen zwischen Realität und Phantasie entstand, kämen vermutlich nur ein paar weitere kleine Abenteuerchen heraus, wie Thorich sie in Kanzanien erlebt hat, ehe er durch das geöffnete Tor auf die Waage der Welt gelangte. Insofern war es eine gute Idee, den Zyklus hier enden zu lassen.

_Insgesamt betrachtet_ fand ich |Magira| interessant und lesenswert, was vor allem am philosophischen Aspekt lag, ohne den die diversen Abenteuer der Helden eher etwas flach gewirkt hätten. Ich kann allerdings nicht sagen, dass es Spaß gemacht hätte, den Zyklus zu lesen, dafür war er vor allem gegen Ende einfach zu anstrengend. Interessenten würde ich auch empfehlen, keine zu großen Pausen zwischen den einzelnen Bänden einzulegen. Größere Abstände, in denen man womöglich wichtige Details des Gelesenen vergisst, machen den ohnehin unübersichtlichen Handlungsverlauf noch verwirrender.

Was die Arbeit von |Bastei Lübbe| angeht, so muss ich sagen: Das Lektorat hätte besser sein können. Da steckt noch Verbesserungspotenzial drin. Auch waren bei den letzten beiden Bänden zwischen den Seiten feine Papierfitzel verstreut, die offenbar beim Schneiden des Papiers abgefallen und an den Blättern hängen geblieben sind, sodass ich immer wieder pusten oder wischen musste. Vielleicht braucht die Schneidemaschine mal eine neue Klinge.

_Hugh Walker_ heißt eigentlich Hubert Straßl und ist gebürtiger Österreicher. Beim Aufstieg der Fantasy zum populären Literatur-Genre war er von Anfang an dabei, nicht nur als einer der Erfinder des „ewigen Spiels“, sondern auch als Herausgeber eines Fan-Magazines und Gründer des ersten deutschen Fantasy-Klubs, sowie als Autor eigener Romane und Herausgeber der Taschenbuch-Serie „Terra Fantasy“. Sein |Magira|-Zyklus ist in der hier rezensierten Ausgabe von |Bastei Lübbe| nach dreißig Jahren erstmals vollständig erschienen.

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Azzarello, Brian (Autor) / Risso, Eduardo (Zeichner) – 100 Bullets Bd. 6 – Sechs im roten Kreis

_Story_

Agent Graves sinnt auf Rache für den Verrat seitens der mysteriösen Geheimorganisation namens Trust. Ebenso wie sein Kontrahent Shepherd versucht er, einige berüchtigte und gefährliche Figuren auf seine Seite zu ziehen und mit ihnen das Ende seines größten Feindes zu bewirken. Doch seine Pläne schlagen erst einmal fehl; Dizzy Cordova, gerade erst aus dem Knast entlassen, erteilt ihm eine Absage und schlägt sich auf die Seite Shepherds. Cole hingegen hat nichts Besseres zu tun, als aus lauter Frust eine Bande von Ganoven auszuhebeln und sie in einem blutigen Gemetzel niederzustrecken. Und die übrigen Figuren auf dem Schachfeld der beiden Kontrahenten? Benito Medici, Sohn von Trust-Leader Augustus, ist noch nicht dazu imstande, die Führung zu übernehmen. Lono hat erst mal nur einen Blick für Bares und lässt sich von Shepherd für eine hohe Summe engagieren. Für Graves wird’s daher auch eng. Er wendet sich an Wylie Times und unterbreitet ihm ein Angebot, dass dieser kaum ausschlagen kann. Doch der Mann will nicht morden …

_Meine Meinung_

Nachdem |Panini| den gesamten Vertrieb der |Vertigo|-Comics übernommen haben, sind auch einige längst angelaufene Serien ins Programm übergegangen, so zum Beispiel die preisgekrönte Serie „100 Bullets“ des Star-Gespanns Brian Azzarello und Eduardo Risso. Mittlerweile ist hier schon der sechste Band erschienen, der gleichzeitig auch das |Panini|-Debüt markiert, jedoch aufgrund seines komplexen Inhalts den Einstieg in die Serie nicht gerade einfach gestaltet.

Zwar bekommt der Leser nach dem umfassenden Vorwort und der darin enthaltenen Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse einen groben Überblick über die vergangenen Geschehnisse in der Welt der beiden Kontrahenten Graves und Shepherd, doch weil man sich im Zuge der sechs Kurzgeschichten in „100 Bullets Bd. 6 – Sechs im roten Kreis“ erst noch mit allen Charakteren vertraut machen muss und im Grunde genommen nicht die gesamte Tiefe des Inhalts erfassen kann, ist der Einstieg in diese kunstvolle Comicserie definitiv zu diesem Zeitpunkt recht ungünstig. Gott sei Dank kann man aber auch schon wieder Entwarnung geben, denn in Bälde werden die ersten Bände von „100 Bullets“ neu aufgelegt, so dass man sich den gesamten Komplex erarbeiten kann.

In der vorliegenden sechsten Episode werden sechs Figuren, die unmittelbar mit dem Trust in Verbindung stehen und auch Kontakte zu Graves und Shepherd haben, noch einmal näher beleuchtet. Sie sind allesamt skurrile, teils auch vollkommen kranke Personen, damit aber auch genau die richtigen Puzzlesteine, die die beiden Protagonisten im Kampf gegeneinander einzusetzen vermögen. Der bösartige Graves bereitet sich dabei auf die letzte Auseinandersetzung mit dem Trust vor, dem er einst vorstand. Lediglich die Kaltstellung Shepherds kann ihm die ersuchte Genugtuung bringen, doch der ist sich seiner Situation bewusst und lässt seine finanziellen Mittel spielen, um sich einerseits zu schützen und andererseits ebenfalls eiskalte Killer anzuheuern, die Graves ein für allemal erledigen sollen.

In sechs Kurzgeschichten werden diese mutmaßlichen Killer vorgestellt bzw. ein Teil ihrer Vergangenheit in minimalen Reflexionen aufgearbeitet. Daraus geht allerdings nicht genau hervor, welche Rolle sie einst gespielt haben bzw. wie man sie einschätzen kann – und genau dies entwickelt sich an einigen Stellen zu einer ernsten Problematik, die einem erst verständlich wird, wenn man ein Wissen über die Vergangenheit und damit über die bisherigen fünf Bände hat. Doch dies kann man weder dem Autor noch sonst irgendwem zum Vorwurf machen, sondern es ist lediglich das Manko einer Veröffentlichungsproblems, welches aber schon in Kürze durch die Neuauflage der ersten Bände wieder ausgemerzt wird.

Die sonstigen Eindrücke dieses Comics sind indes überwältigend. Jede Kurzgeschichte wird für sich auf den Punkt gebracht und enthüllt einige der markantesten Charaktere der modernen Comicwelt. Mit fiesen Methoden kämpfen sie sich durch eine Welt von Verschwörungen, Unwahrheiten, Korruption und Skrupellosigkeit und übernehmen darin Rollen, denen sie zum Teil gar nicht gewachsen sind, und die sie gar nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren wollen. Doch die Macht anderer und der Einfluss materieller Dinge treiben sie dazu, ein Marionettendasein einzunehmen und sich von den beiden einflussreichsten Männern ihres Umfelds zu mehreren unmoralischen Aktionen hinreißen zu lassen.

Insofern ist „Sechs im roten Kreis“ auch ein wirklich genialer Comic und darüber hinaus auch ein kleines Stück echte Kunst. Azzarello hat eine verdammt harte Story mit brutaler Action, mentaler Gewalt und einer „Pulp Fiction“-artigen Coolness entworfen, deren makaberen Inhalten man sich nach kurzer Eingewöhnungszeit nur schwer entziehen kann. Dennoch plädiere ich dafür, erst einmal zu warten, bis die Serie in chronologischer Form erhältlich ist, denn ein umfassendes Grund- und Vorwissen ist für den sechsten Band dringend erforderlich. Aber bei einer solch lohnenswerten Sache und einer inhaltlich derart brillant abgestimmten Story nimmt man selbst längere Wartezeiten gerne in Kauf. Ich jedenfalls danke |Panini|, dass sie solch eindrucksvolle Schmankerl in ihr Programm aufgenommen haben.

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Vaughan, Brian K. / Guerra, Pierra / Marzan jr., José – Y: The Last Man 1 – Entmannt

_Story_

Yorick lebt in Brooklyn, verdient sich seinen Unterhalt mit dem Zurschaustellen von Entfesselungskünsten und denkt den lieben langen Tag fast nur an seine Freundin Beth, die derzeit im australischen Outback verweilt. Gerade noch telefoniert er mit der jungen Dame und ringt sich auf eine ganz unromantische Weise dazu durch, ihr einen Heiratsantrag zu machen, als plötzlich die Verbindung getrennt und auf der ganzen Welt ein wahrhaftiges Horror-Szenario eingeleitet wird: Der gesamte männliche Teil der Bevölkerung wird mit einem Schlag ausgelöscht.

Zwei Monate später haben sich die verbliebenen Frauen mit dem Ausnahmezustand halbwegs arrangiert. Zwar herrschen in allen Landstrichen immer noch großes Chaos und Zustände völliger Verwüstung, doch man hat sich damit abgefunden, dass eine Resignation die falsche Reaktion wäre. Yoricks Mutter, eine angesehene Frau im Senat, ist der Rangfolge nach die neue First Lady und soll das Land wieder auf Vordermann bringen; dies erfährt sie jedoch erst von der geheimnisvollen Agentin 355, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Zukunft des Landes zu sichern. Während die Damen die politischen Umstände regeln und dabei Zeuginnen einer totalen Eskalation werden, taucht plötzlich Yorick auf. Aus unerklärten Gründen hat er das tragische Ereignis überlebt und gilt nun als Hoffnungsträger für die Zukunft der gesamten Rasse.

_Meine Meinung_

Auf dem Backcover der neuen Comic-Reihe aus dem Hause |Vertigo| prangt das Zitat „… ein Comic, der danach schreit, verfilmt zu werden.“ Genau diesen Gedanken hatte ich im Anschluss an diese ungewöhnliche, allerdings auch absolut fabelhafte Lektüre auch, denn was Brian K. Vaughn in „Y: The Last Man“ entworfen hat, ist wirklich einzigartig und in diesem Sinne auch absolut überragend. Man stelle sich das mal vor: Mit einem Mal wird die gesamte männliche Bevölkerung dahingerafft und bricht an Ort und Stelle ohne Vorwarnung tot zusammen. Na klar, so etwas kann nur in einer düsteren Science-Fiction-Saga oder eben in einem Comic passieren und erscheint als Idee jetzt gar nicht mal so besonders abgehoben, doch die Gedanken, die Vaughn im Anschluss an dieses Schlüsselereignis spinnt, machen das Ganze zu einer makaberen Comic-Erzählung mit Sonderstatus.

Dem Autor standen dabei sehr viele Wege offen, um den Plot im Folgenden weiterzuentwickeln. Man stelle sich nur mal selber die Frage, was man tun würde, falls dieses Ereignis für das andere Geschlecht in Kraft treten würde. Wie geht man mit dem Schockzustand um? Kann man überhaupt trauern? Wie bewältigt man langfristig das entstandene Chaos? Und wohin mit all den Leichen? Brian K. Vaughn hat sich mit diesen Themen erst einmal nur untergeordnet beschäftigt und vorrangig die Entwicklung des Plots um den Hauptcharakter Yorick in den Vordergrund gestellt. Dieser sympathische junge Mann will nämlich in dieser übergeordneten Misere nichts anderes, als in Australien bei seiner Freundin nach dem Rechten sehen, wo doch nun auch die Telefonleitungen zerstört bzw. unterbrochen sind. Er möchte mit ihr den Grundstein für eine neue Generation setzen, eine Art moderner Adam mit Eva werden, ist sich aber eigentlich gar nicht bewusst, welche Verantwortung ihm zukommt. Er ist der letzte Mann und damit auch die wichtigste Persönlichkeit auf Erden, und glücklicherweise haben bislang nur ausgewählte Personen von seinem Überleben Kenntnis genommen – ansonsten wäre es wohl schon um ihn geschehen, weil er sich vor hoffenden Interessierten gar nicht mehr hätte retten können. Doch wie kann man damit umgehen? Forderungen nach einer raschen Lösung und der Nutzung von Yoricks Fruchtbarkeit werden laut, während sich die männerfeindliche Gruppe der Amazonen, die sich über den Tod von Vergewaltigern, Korrupten und Mördern freut, danach sehnt, Yorick schnellstmöglich abzuschlachten. Und ausgerechnet die von Yorick und dessen Mutter gesuchte Hero, seine Schwester, wird in Unkenntnis ihrer Familienzugehörigkeit ebenfalls eine dieser Amazonen. Brisant bis zum Abwinken!

Bei den neu entflammten Machtkämpfen verschiedener Gruppierungen und den radikalen Umgangsformen unter den Überlebenden wird dabei ganz vergessen, dass die Ursache von Yoricks glücklichem(?) Schicksal weiterhin ungeklärt ist. Warum haben er und sein ebenfalls männlicher Hausaffe Ampersand diesen Akt der totalen Auslöschung überlebt? Einig ist man sich lediglich darüber, dass Yorick von einer anerkannten Wissenschaftlerin geklont werden soll, um so zu verhindern, dass die aktuelle Generation die letzte in der Geschichte der Menschheit ist. Mit einem Mal entwickeln sich hier Aspekte und Standpunkte für das Weiterbetreiben der Gentechnik, denn Yorick alleine kann den Erhalt der Rasse nicht gewährleisten. Doch schon im nächsten Kapitel ergeben sich einige berechtigte Zweifel, die darauf schließen lassen, was und wer für das Ganze verantwortlich ist.

So kompliziert und verworren, wie es hier mitunter erscheinen mag, ist der erste Part von „Y: The Last Man“ aber gar nicht. Die einzelnen Inhalte der Handlung werden recht breit ausgeschmückt, und die Erzählung schreitet ebenfalls ziemlich linear und zielgerichtet voran. Trotz mehrerer parallel laufender Stränge erlaubt sie sich keine gravierenden Schlenker, gibt aber dennoch immer wieder Denkanstöße und Anlässe, einige unbestätigte Vermutungen zu äußern, die sich auf Fortschritt und Personen der Handlung beziehen. Für einen Comic mit derart außergewöhnlichem Inhalt liest sich „Y: The Last Man“ allerdings erstaunlich gut. Vaughn packt das Ganze teilweise auch von einer sehr ironischen Seite an und lässt zwischenzeitlich auch mal seinen finsteren Humor spielen, ist aber fernab davon, die Story ins Lächerliche zu ziehen. Die Stimmung und auch die Charaktere sind vollkommen ernst und werden lediglich durch so manch überspitzte Darstellung relativiert. Damit bleibt jedoch auch die Glaubwürdigkeit bewahrt, denn auch wenn alles so weit hergeholt klingt, kann man sich auf Anhieb sehr gut in die Situation hineinversetzen und den Schrecken miterleben.

All dies summiert, ergibt einen wahrlich wunderbaren Comic mit einigen erfrischenden Themen und einem sehr makaberen Unterton. „Y: The Last Man 1“ ist für den |Panini|-Verlag ein echter Glücksgriff, der die Firma einmal mehr darin bestätigt, die Comics von |Vertigo| zu vertreiben. Mit dem Auftakt dieser neuen Serie offenbart sich dies sogar so deutlich wie noch nie zuvor.

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