Archiv der Kategorie: Rezensionen

Pramas, Chris – Warhammer Fantasy-Rollenspiel

_Die „Warhammer“-Welt_

Das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“ spielt in der so genannten „Alten Welt“, die geographisch grob an das irdische Europa erinnert. Das Hauptland dieses Settings ist das „Imperium“, welches aus zehn Kurfürstentümern besteht. Weitere Länder, die in diesem Grundregelwerk kurz beschrieben werden, sind Bretonia, Estalia, Tilea und Kislev. Allerdings wird davon ausgegangen, dass man zu Beginn einen Charakter aus dem Imperium spielt (obwohl es durchaus möglich ist, einen Ausländer zu spielen).

Das Imperium wird ständig von den Horden des Chaos bedroht, welche aus Tiermenschen, Kultisten des Chaos, Orks, Goblins und anderem Schrecken bestehen. Diese von den Chaosgöttern Geschaffenen oder Pervertierten wollen nichts anderes als die Menschheit (respektive Zwergen, Elfen, Halblinge) zu vernichten. Natürlich gibt es außerdem noch „normale“ Schurken, doch könnten das auch durchaus die Spieler sein.

Von der Entwicklung her ist das Imperium als eine Mischung aus Mittelalter und früher Neuzeit zu beschreiben. Zwar gibt es schon Schusswaffen, doch sind diese selten und vor allem teuer. Die politische Ordnung, in der die Kurfürsten den Imperator wählen, ist in etwa mit der im Deutschland der Frühen Neuzeit zu vergleichen.

An spielbaren Rassen bevölkern, neben den Menschen, Zwerge, Elfen und Halblinge die „Alte Welt“. Natürlich gibt es im „Warhammer Fantasy-Rollenspiel auch Magier, doch ist die Magie in diesem System ein zweischneidiges Schwert, denn sie ist nicht nur gefährlich (auch für den Anwender), sondern treibt die Zaubernden leider allzu oft in die Arme der Chaosgötter.

_Charaktererschaffung und System_

Zuerst steht bei der Charaktererschaffung die Auswahl der Rassen an, also Mensch, Halbling, Zwerg oder Elf. Jede dieser Rassen hat bestimmte Rassenmerkmale. So haben etwa Elfen, Zwerge und Halblinge Nachtsicht, Menschen nicht. Um dem Charakter anschließend etwas Fleisch auf die Knochen zu bringen, werden nun die Eigenschaftswerte bestimmt. Diese setzen sich immer aus einer Standardzahl und zwei Würfelwürfen mit einem zehnseitigen Würfel (W10) zusammen, da wären also etwa 10+2W10 / 20+2W10 / 30+2W10. Wie hoch die Standardzahl ist, hängt von der Rasse ab, so dass sich Halblinge etwa bei Kampfgeschick mit 10+2W10 begnügen müssen, während Zwerge mit 30+2W10 starten.

Insgesamt gibt es zehn Eigenschaften: Kampfgeschick (KG), Ballistische Fertigkeit (BF), Stärke (ST), Widerstand (WI), Gewandtheit (GE), Intelligenz (IN), Willenskraft (WK) und Charisma (CH).

Um dem neuen „Warhammer“-Helden dann ein Gesicht zu geben, wird auf die Tabelle der Anfangskarrieren gewürfelt. Auch hier hängen die möglichen Karrieren von der Rasse ab, so dass etwa die Klasse des „Trollslayers“ nur Zwergen vorbehalten ist. Die Karriere bestimmt dann, welche Fertigkeiten und Talente der neue Charakter erhält. Außerdem wird so auch bestimmt, welche Folgekarieren in Zukunft möglich sind. So kann man etwa als Zauberlehrling beginnen und dann später zu einem Fahrenden Magier aufsteigen. Von diesem kann man dann zum Meistermagier werden, und so weiter.

Die Proben werden mit 2W10, also einem Prozent-Wurf abgelegt. Dieser geht dann entweder direkt auf eine Eigenschaft oder eine passende Fertigkeit. Da aber wiederum die Fertigkeiten alle einer Eigenschaft zugeteilt sind, werden eigentlich alle Proben auf die Eigenschaften abgelegt. Der Unterschied zwischen den Proben auf Eigenschaften und denen auf Fertigkeiten besteht darin, dass man, falls man eine Fertigkeit noch nicht erworben hat, auf den halben Eigenschaftswert würfeln muss.

_Mein Eindruck_

„Warhammer“ ist das abgefahrenste Fantasy-Rollenspiel, das mir bisher untergekommen ist. Die Stimmung ist düster, wahnsinnig und gewalttätig. Hübsche Feen, die durch einen von Rosenduft geschwängerten Wald schweben, passen definitiv nicht zum „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“. Wer sich die Charakterklassen wie Trollslayer, Riesenslayer, Dämonenslayer, Grabräuber oder Räuberhauptmann anschaut, kann sich sicher denken, was ich meine. Man kann den klassischen Helden spielen, man muss aber nicht.

Genauso ist auch das Kampfsystem: schnell, blutig und vor allem tödlich. Besonders gut kommt der Flair bei den Zeichnungen des toll aufgemachten Grundregelwerkes rüber, denn strahlende Ritter in blitzender Rüstung wird man hier eher nicht finden. Das „Warhammer“-Äquivalent dazu ist ein schmutziger, abgehalfterter Kämpe mit wahnsinnigem Blick. Wo wir gerade beim Wahnsinn sind: Jeder Charakter sammelt bei schweren Verletzungen oder schlimmen Erlebnissen so genannte Wahnsinnspunkte. Hat er hier eine bestimmte Grenze überschritten, kann es sein, dass er sich eine Geisteskrankheit zuzieht.

Auch die Magie ist nicht so wie in anderen Rollenspielen. Sie ist zwar durchaus mächtig, aber auch für den Anwender extrem gefährlich. Die magisch begabten Heldentypen fangen zu Beginn mit einem Magiewert von eins an, das heißt sie Würfeln beim Zaubern mit 1W10. Falls die Mehrzahl der Würfel eine Eins zeigt, ist der Zauber nicht nur misslungen, sondern der Charakter zieht sich zudem noch einen Wahnsinnspunkt zu. So ist es nicht verwunderlich, dass bei einer zehnprozentigen Chance pro Zauber, einen Wahnsinnspunkt zu erhalten, viele Magier relativ früh dem Chaos verfallen. Allerdings wird es mit zunehmender Stufe auch nicht besser, denn dann kann die Magier zusätzlich noch Tzeentchs Fluch treffen: Jedes Mal, wenn der Magier bei einem Zauberwurf einen Pasch würfelt, kommt es zu Chaosmanifestationen. Je mehr Würfel an dem Pasch beteiligt sind, desto schlimmer fallen diese aus. Da ist es doch nur ein schwacher Trost, dass ein Magier so oft wie er nur möchte zaubern kann.

So ansprechend ich das „Warhammer Fantasy Rollenspiel“ auch finde, Schwächen hat es trotzdem. Fangen wir bei der Fertigkeiten an: Dass eine Fertigkeit einer Eigenschaft zugeordnet ist, ist unglücklich. Dies ist gut sichtbar, wenn man sich die Fertigkeit „Klettern“ anschaut: Hier wird ein Wurf auf Stärke abgelegt. Wäre hier die Gewandtheit nicht die sinnvollere Alternative gewesen? Worauf ich hinauswill ist, dass solche Einteilungen immer ein fauler Kompromiss sind, ob jetzt bei diesem Rollenspiel oder bei so vielen anderen.

Richtig schlecht finde ich die Vorschrift, dass man nur in eine Folgekarriere wechseln kann, wenn man sich die vorgegebene Ausrüstung beschafft hat. Die Regel scheint zwar durchaus logisch zu sein, wird allerdings von den vorgegebenen Ausrüstungslisten ad absurdum geführt. So muss ich mir, wenn ich einen Spion spielen möchte, vorher vier Brieftauben kaufen (nicht drei, nicht fünf, nein vier an der Zahl!), sonst ist es mir nach den Regeln nicht gestattet, diese Karriere zu beginnen. Dies fördert eine Stereotypenbildung, zumal es echt blöd ist, wenn dann während des Spiels Sätze kommen wie: „Vorsicht, der hat vier Brieftauben, das ist sicher ein Spion!“. Sorry, diese Voraussetzungen sind einfach lächerlich!

Allerdings möchte ich betonen, dass diese Regelschwächen von jedem durchschnittlich begabten Spielleiter mit Hausregeln einfach behoben werden können und daher nicht wirklich schlimm sind.

_Fazit_

Alles in allem ist das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“ durchaus sehr gelungen und eine willkommene Alternative zu den klassischen Fantasy-Rollenspielen wie „DSA“ oder „Midgard“. „Warhammer“ hat einfach ein cooles Flair und ist richtig abgefahren. Zudem sind die Regeln einfach und verständlich und daher sowohl für Einsteiger als auch für erfahrene Spieler geeignet. Als Tipp: Schaut euch einfach mal die Bilder im Regelwerk an, ob euch der Stil gefällt. Daraus lässt sich gut auf die Gesamtstimmung des „Warhammer Fantasy-Rollenspiels“ schließen.

http://www.feder-und-schwert.com

Kevin Crossley-Holland – Artus – Der magische Spiegel (Band 1)

Wer sich einmal etwas näher mit der Artus-Sage befasst hat und einen der unzähligen Romane zu diesem bereits unzählige Male verarbeiteten Thema gewälzt hat, wird der Geschichte sicherlich kaum noch etwas abgewinnen können. Schließlich unterscheiden sich die verschiedenen Abhandlungen nur in geringen Details voneinander. Warum also jetzt einen weiteren Anlauf starten, gerade wo die hier vorliegende Auflage in erster Linie auf ein eher jugendliches Publikum zugeschnitten ist? Nun, ganz einfach: Autor Kevin Crossley-Holland betrachtet die Sage aus einer ganz anderen Perspektive und kopiert die vielen Vorlagen nicht blindwegs nach. In seiner mittlerweile schon zum dritten Mal aufgelegten Trilogie (hier erstmals im Taschenbuchformat erhältlich) beschreibt er die Geschichte aus der Sicht des jungen Artus. Und dies liest sich im ersten Band „Der magische Spiegel“ wie folgt:

Story

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Sarah Kuttner – Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens

Man kann sie lieben oder hassen, aber man kann ihr ihren Erfolg nicht absprechen. Sarah Kuttner hat es geschafft. 2001 begann sie ihre Fernsehlaufbahn als lausige |Viva|-Moderatorin zwischen lauter pseudowitzigen, jungen Menschen, doch konnte sie sich schon bald durch ihre freche Art von den anderen – und vom Image des Senders – absetzen. 2004 bekam sie schließlich ihre eigene Show, die nach der Fusion mit |MTV| dort ihren Platz fand und seit Herbst unter dem Titel „Kuttner.“ dienstags und donnerstags läuft. Außerdem moderierte die siebenundzwanzigjährige Ostberlinerin 2004 den deutschen Vorentscheid des „European Vision Song Contest“ und hat im letzten Jahr bereits zum zweiten Mal ihre eigene Revue „Kuttner on Ice“ zelebrieren dürfen.

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Hausdorf, Hartwig – weiße Pyramide, Die

Der Untertitel dieses Werkes: „Außerirdische Spuren in Ostasien“ lässt bereits darauf schließen, dass es sich hier nicht um Archäologie im eigentlichen Sinne dreht. Autor Hartwig Hausdorf gehört zum Dunstkreis Erich von Dänikens. Dieser ist nun nicht grade unumstritten und Grund für manche Zeitgenossen, aufstöhnend die Augen zu verleiern. Ob seine Götter-aus-dem-All-Theorien nun kompletter Humbug sind oder nicht, das muss im Endeffekt jeder für sich entscheiden. Seine Person sei hier auch nur deswegen explizit erwähnt, da sich der Einband damit schmückt, dass eben jener EvD das Vorwort dazu spendierte.

Der Titel gehört somit in die Rubrik Grenzwissenschaften. Das heißt jenen Literaturzweig, der sich mit allerhand kuriosem Zeug beschäftigt, das a) abseits der Lehrmeinung steht, b) schwer zu beweisen und c) manchmal noch schwerer zu glauben ist. Die Spanne reicht hierbei von UFOlogie über Esoterik und „verbotene Archäologie“ bis hin zur globalen Verschwörungstheorie. Sehr oft hängt das alles auch kunterbunt gemischt zusammen. Unterhaltsam sind solche Publikationen aber meistens auf jeden Fall, und sei’s nur, um manche Behauptungen und Theorien durchzudenken und genüsslich zu zerpflücken oder sich darüber zu amüsieren, wie lächerlich sich so mancher Autor machen kann.

_Zum Inhalt_

Was die wenigsten wissen, ist, dass nicht nur in Meso-Amerika und in Ägypten Pyramiden zu finden sind. Im Reich der Mitte – sprich: China -, aber auch in den umliegenden Staaten Süd-Ost-Asiens sind diverse geheimnisvolle Monumentalbauten anzutreffen, über deren Herkunft man seit der Öffnung dieser Länder für westliche Augen heftig spekuliert. Die besagte „Weiße Pyramide“ steht in der chinesischen Provinz Shaanxi, wurde bereits um die Jahrhundertwende von Reisenden beschrieben und erstmals 1944 von einem amerikanischen Piloten im zweiten Weltkrieg fotografiert. Diese Aufnahme des 300 Meter hohen Monumentalbaus ist unlängst durch alle wissenschaftlichen Zeitschriften und archäologischen Publikationen gegangen und selbstmurmelnd findet sie sich auch hier wieder.

Die Pyramide in der Nähe der Stadt Xiang ist bei weitem nicht die einzige ihrer Art, jedoch mit Abstand die größte davon. Forscher, die das Glück haben, sie aus der Nähe begutachten zu dürfen, sind sehr euphorisch, dass sie tatsächlich unangetastet sein könnte, und hoffen darauf, bei einer weiteren Öffnung der kommunistischen Volksrepublik daran ausgiebig forschen zu dürfen. Sind die ägyptischen und meso-amerikanischen Pyramiden allesamt über die Jahrhunderte und – tausende hinweg ausgiebig gefleddert worden, so verhindert dies allein schon der chinesische Ahnenkult. Denen kommt es kaum in den Sinn, solche Grabmäler (so es denn wirklich welche sind) zu schänden. Leider ist auch dieser Umstand das wohl größte Hemmnis, so dass es Wissenschaftlern immer wieder verwehrt wird, sich intensiv damit zu befassen oder sie gar zu betreten. Bis hierher schon mal interessant, nicht wahr?

_Meinung_

Wie es sich für einen Däniken-Jünger gehört, bleibt es aber nicht bei der sachlichen Betrachtung der nüchternen Tatsachen. Es kommt nämlich schon – wenn nicht bereits mit Lesen des Untertitels – im Vorwort des Selbigen der Verdacht auf, dass sich das Buch darauf stürzen wird, wie angebliche Götter aus dem All diese weltweiten Monumente als Zeichen für die Menschheit hinterlassen haben. Diese Thematik ist nicht neu und wird von diversen Pseudo-Wissenschaftlern, Publizisten mit Sendungsbewusstsein vertreten. Das heißt im Umkehrschluss nun nicht, dass die ganze Zunft kollektiv an BSE leidet, es gibt durchaus auch einige ernst zu nehmende, sachliche Autoren darunter, die sich so ihre Gedanken über die Entwicklung auf Erden machen.

Hier ist die titelgebende Pyramide als solche schon recht schnell gar nicht mehr Thema, sondern vielmehr diverse Geschichtchen und andere seltsame Funde in Asien, die der Autor natürlich (!) Aliens in die eventuell vorhandenen Schuhe schiebt. So begleiten wir Hausdorf zu verschiedenen Fundstätten kurioser Artefakte und alter, kultureller Überlieferungen aus sämtlichen Gegenden rund um China, als da wären: Mongolei, Wüste Gobi, Tibet und auch Japan. Hier versucht er anhand von Storys und deren Interpretation nachzuweisen, dass die dortige Kultur (und auch sonst auf unserem Planeten) nicht oder nur zum Teil von uns Homo sapiens sapiens abstammt, sondern maßgeblich auf dubiose E.T.s zurückgeht.

Damit jedoch nicht genug, denn ehe sich’s der Leser versieht, landen wir bei – vermutlich bis an den Kragen der Kutte zugedröhnten – tibetischen Mönchen, die Abduktionen (Entführung durch Außerirdische) erfahren haben wollen. Was Drogen nicht alles bewirken können. Gegen Ende des Buches freuen wir uns, auch noch über diverse Entführungsanekdötchen (auch aus Deutschland) informiert zu werden, welche noch nicht so lange zurückliegen. Was das alles mit der Pyramide zu tun hat? Äh, ja nun … Nix! Um zu illustrieren, wohin die Reise thematisch geht, hier die Kapitelauflistung:

1 Söhne der gelben Götter:
Ein besonderes Erbe von den Vätern aus dem All?

2 Baian-Kara-Ula:
Eine Bestandsaufnahme

3 Im Tal der Weißen Pyramide:
Stätten, die für Besucher tabu sind

4 Der große Unterschied:
Drache ist nicht gleich Drache

5 Tibet, Dach der Welt:
Sind die Astronautengötter noch unter uns?

6 Geheimnisse der Mongolei:
Schreckensklöster im Lande der Dämonen

7 Inselreich von göttlicher Abkunft:
Wo Dogus und Kappas an die Besucher aus dem All erinnern

8 UFOs in China:
Vom Feind der Doktrin zum Mittelpunkt des Interesses

9 Unheimliche Begegnung der Vierten Art:
Wer experimentiert an den Entführten herum?

10 Licht am Ende des Tunnels:
Steckt hinter all den Absurditäten ein Plan?

Nun, wir sehen: Was die Pyramide angeht, steht da nur wenig auf dem Programm. Und nichts, was nicht längst aus Zeitschriften, wie der |PM|, |National Geographic| oder der |GEO| längst bekannt ist. Zudem stützen sich diese Publikationen auf wesentlich greifbarere Ergebnisse. Leider nimmt der Teil über archäologische Funde auch nur einen sehr geringen Platz im Buch selbst ein und dient vielmehr als Transportmedium für die darauf folgenden, wüstesten Alien-Theorien, die Däniken-Jünger so gern pflegen. Hierbei setzt Hausdorf weniger auf Fakten denn auf Interpretationen und Mutmaßungen, die er anhand von Bildern und (ziemlich schlechten) Zeichnungen zu untermauern versucht.

Hartwig Hausdorf ist bestimmt ein viel gereister Mann (der bekundet, in der Reisebranche tätig zu sein) und sein schreiberisches Talent sowie Sendungsbewusstsein möchte ich ihm nicht in Abrede stellen, aber um dieses heikle und kontroverse Thema unters Volk zu bringen, bedarf es doch schon einer stichhaltigeren Beweiskette, die weniger angreifbar ist als die Seine. Daran ändern auch seine Quellenangaben nichts, die stammen wiederum nämlich ebenfalls von teils sehr fragwürdigen Autoren und Organisationen.

Man muss hier bewussten Etikettenschwindel unterstellen. Zwar ist die Überleitung zu modernen Entführungen durch angebliche Aliens geschickt gemacht, doch immer wieder stellt sich die Frage, was das denn nun mit der Pyramide als solches zu tun hat. Der ganze Krempel hat in einem Buch mit diesem Titel eigentlich nichts verloren. Punkt. Okay, der Autor präsentiert einige archäologische Funde aus Asien, doch verliert er sich alsbald in kruden Phantasien, die nur noch nachvollziehbar sind, wenn man sich zuvor jahrelang in einem abgeschiedenen Bergkloster mächtig die Kante gegeben hat. Offenheit für Denkanstöße in diese Richtung in allen Ehren, doch – wie hier – hinter jedem Busch ein Alien an den nicht vorhandenen Haaren hervorzuzerren, halte ich für arg übertrieben.

Wer kann schon nachprüfen, was an den Geschichten irgendwelcher tibetanischen Mönchen dran ist, die sich im Hochland Himalayas irgendeinen Nonsens aus den Fingern gesogen haben und sich jetzt wohl noch ins Fäustchen lachen, dass sie wieder einem Alien-verrückten Europäer einen von Darth Vader erzählt haben. Auch den japanischen Mythos der mysteriösen „Kappas“ (Wesen, die aussehen wie Froschmänner) sofort eifrig irgendeinem E.T. anzukreiden, ist ganz amüsant zu lesen. Ausschließen kann und soll man ja nie eine Möglichkeit, doch beweisen lässt sich indes anhand einiger krakeliger Felszeichnungen nichts und muss daher ins Reich der Spekulation verbannt werden.

Gewiss, man nun von (UFO-)gläubiger Seite entgegenhalten, dass unser ganzes gesellschaftliches Wertesystem, welches ebenfalls auf Interpretationen entweder der Bibel, des Korans oder des Talmud oder-weiß-der-Henker-was beruht, ebenso angreifbar ist. Korrekt. Alles eine Sache der Sichtweise. Dagegen kann man auch nichts einwenden, die volle Wahrheit über so manchen (Irr-)Glauben wird wohl kaum jemand herausfinden. Allerdings halte ich das Suchen auf Biegen und Brechen nach Aliens als Erklärung der göttlichen Vorsehung für genauso dogmatisch und verwerflich wie anderen religiös kolorierten Fundamentalismus.

_Fazit_

Wenngleich ich bereits vorher wusste, worauf ich mich bei der Lektüre einlasse, habe ich doch mehr Information zur Weißen Pyramide vorausgesetzt. Die wird aber nur am Rande behandelt und dann plötzlich jeder müffelnde Pinkelstein eines mongolischen Ureinwohners eifrig zum außerirdischen Artefakt erhoben – das find ich dann doch um Lichtjahre am Thema vorbeigeschossen. Amüsant, aber weitgehend unbrauchbar. Gut und flüssig zu lesen ist das Buch schon, was aber nicht verwundert, schließlich ist es für die breite Masse verfasst und nicht an einen elitären, intellektuellen Zirkel gerichtet. Noch ein paar Bildchen dazu und fertig ist die extrem löchrige Beweisführung auf tönernen Füssen: Die Aliens waren es! Was? Egal, was.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
LangenMüller / Herbig 1994
3. Auflage 2002
240 Seiten Hardcover, 31 Schwarzweiß-Fotos / 3 Zeichnungen
ISBN: 3-7844-2482-1
Preis: um 10 Euro
http://www.herbig.net/

James P. Blaylock – Brunnenkinder

Blaylock Brunnenkinder Cover kleinDas geschieht:

Placentia, ein kleiner Flecken unweit der südkalifornischen Küste, im Jahre 1884: Hale Appleton, geistiger Führer eines obskuren spiritistischen Kultes, ertränkt seine kleine, kranke Tochter in einem der Brunnen. Er ist davon überzeugt, dass sich die letzten Gedanken des sterbenden Kindes als gläserne Kugel manifestieren werden, mit deren Hilfe er das Kind sogar ins Leben zurückrufen kann.

Tatsächlich findet sich im Opferbrunnen eine solche Kugel, doch sie wird Appleton vom zwielichtigen Alejandro Solas gestohlen, der damit ein lukratives Geschäft plant. Der gutherzige Lehrer Colin O=Brian erfährt von der Schandtat und entwendet seinerseits die Kugel, um sie dem Dorfpfarrer zu bringen, der wissen wird, wie damit zu verfahren ist. Unterstützt wird er von den Freundinnen May und Jeanette. Doch das Trio verhält sich recht ungeschickt. Bald ist ihm der gefährliche Solas auf die Schliche gekommen; ihm folgt der vor Kummer irrsinnig gewordene Appleton. Über dem Brunnen kommt es zum großen Finalkampf aller Beteiligten. Als sie dabei ins Wasser stürzen, entpuppt sich dieser als Tunnel durch die Zeit, der die Geister der fünf Menschen in der Zukunft verstreut … James P. Blaylock – Brunnenkinder weiterlesen

Shocker, Dan – Dämonen (Larry Brent, Band 27)

_Lady Frankenstein_

Larry Brent und Iwan Kunaritschew sind von ihrem spanischen Freund und Kollegen Alfonso Gomez alias X-RAY-12 eingeladen worden, mit ihm auf dessen Berghütte in den Pyrenäen ein paar Tage zu verbringen. Als sie die Behausung erreichen, finden sie aber nur noch den Leichnam des Mannes; beide Arme fehlen ihm.

Sofort beauftragt X-RAY-1 die Agenten, nach dem Mörder des PSA-Kollegen zu suchen. Die Freunde legen sich auf die Lauer und machen in der kommenden Nacht einige Geräusche in der stillen Bergwelt aus, was sie darauf schliessen lässt, dass in der Tat jemand im Dunkeln unterwegs zu sein scheint.

Doch sie sind nicht alleine auf der Pirsch. Der Bauer Paco Arimez-Prado und sein Knecht Pedro jagen seit einiger Zeit einen unheimlichen Tiermörder, der Pacos Hof ziemlich zugesetzt hat. Pedro wird jedoch bei einer der Nachtwachen von einer Art Monstrum angegriffen und getötet. Seine Leiche bleibt verschwunden.

Arimez-Prado vermutet, dass das wohlhabende Paar Alfredo und Carmen Mojales von der nahe gelegenen Hazienda hinter den Ereignissen steckt. Doch die Wahrheit ist noch viel erschreckender.

Larry und Iwan lernen die hübsche Carmen und ihre ansehnliche Tochter Maria-Rosa kennen. Sie werden von den Damen zum Essen eingeladen. Nur verfolgt Carmen Mojales ganz andere Pläne mit den beiden Herren. In Wirklichkeit ist sie die Assistentin des berühmten Baron Victor von Frankenstein gewesen. Durch einen Unfall kam sie zu Tode, wurde aber von Frankenstein wieder zum Leben erweckt, ebenso wie ihr späterer Mann Alfredo. Durch die Bekanntschaft mit dem Baron erlernte sie aber auch dessen Fähigkeiten. In einem verborgenen Keller unter der Hazienda experimentiert die Dame munter vor sich hin. Eines ihrer missratenen Geschöpfe ist Marco, eben jenes Monstrum, welches bereits Pacos Tiere, dessen Knecht und ebenso Gomez auf dem Gewissen hat – denn auch Marco versucht sich an einigen makabren Experimenten in einer versteckten Höhle.

Da Alfredo Mojales in Barcelona von einem Auto erfasst und getötet wird, steht für Carmen eine neue Operation auf dem Programm. Dazu braucht sie den Körper von Iwan Kunaritschew, um diesen für ihren toten Mann zu verwenden. Sie kann die beiden Agenten ausschalten und verfrachtet sie in ihr Labor.

Doch ein unerwarteter Besucher stört den Eingriff: Frankenstein höchstpersönlich will sein Wissen endgültig von der Welt tilgen und diesem Treiben eine Ende setzen. In dem Labor unter der Hazienda kommt es zum letzten Showdown …

Der Beginn dieser fast schon trashigen Geschichte gestaltet sich relativ ruhig und die Handlung baut sich ohne große Eile auf. Iwan und Larry machen ihren makabren Fund in der Hütte und werden dann stückchenweise in die seltsamen Ereignisse in dieser einsamen spanischen Berglandschaft eingeführt – übrigens in der Tat eine nett gewählte Umgebung, die ihren ganz eigenen Reiz versprüht.

Relativ früh kommt man hinter das düstere Geheimnis, welches Carmen Mojales umgibt – zumindest erfährt man von ihrem geheimen Labor, ihren medizinischen Fähigkeiten, aber auch ihre gefährliche Erotik kommt zum Tragen. Ein witziger Einfall von Shocker ist es übrigens, als er Carmens Bett als Lösung diverser Probleme erwähnt – erst in der darauf folgenden Szene wird aber deutlich, dass es sich hier nicht um ein mögliches Schäferstündchen, sondern um die technischen Raffinessen der Liegestatt dreht, mit denen sie den Kopf ihres Mannes aus dem Labor heraufbefördern und am Leben erhalten kann.

Nach dem tödlichen Unfall ihres Gatten wird zwar Carmens kranker Wahn offensichtlich, dennoch präsentiert sie ihre wahre Identität dem Leser erst bei dem aufreibenden, teilweise auch wirklich makabren Finale. Speziell bei der Leküre der letzten Seiten, auf denen abschließend noch erwähnt wird, was Marco eigentlich mit den Körperteilen seiner Opfer veranstaltet hat, bleibt ein Schauder nicht aus.

Großes Kino ist es auch, als Frankenstein himself das große Geheimnis um die Mojales in seinem Monolog lüftet und für das dramatische Ende sorgt. Das Auftauchen dieser klassischen Figur der Gruselliteratur ist eine feine Idee von Dan Shocker, und wieder mal drückt er diesem Thema seinen ganz eigenen Stempel auf.

Wer die eigenständige (und leider nicht abgeschlossene) „Frankenstein-Serie“ von DS kennt, sollte sich von dieser Version des Frankenstein-Themas nicht irritieren lassen – theoretisch könnte diese Geschichte aber auch das fehlende Ende der Serie sein …

_Corrida der Dämonen_

Larry Brent ist spurlos verschwunden! Die PSA schlägt umgehend Alarm, als von dem Agenten kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen ist. Von dem PSA-Ring ist zwar noch nicht Larrys Todesmeldung gesendet worden, dennoch wird Morna Ulbrandson schnellstens nach Mexico-City geschickt, um am letzten Aufenthaltsort des Verschollenen nach dem Rechten zu sehen.

Sie findet einige Spuren ihres Kollegen, doch er selbst bleibt unauffindbar. Wie es scheint, war er einer unheimlichen Vereinigung auf den Fersen, denn in Mexico-City haben sich einige Anhänger der Dämonengöttin Rha-Ta-N’my niedergelassen, wo sie Vorbereitungen zur Rückkehr ihrer Herrin treffen.
Immer wieder werden in jüngster Zeit Menschen in Mexico entführt.

Die männlichen Opfer wachen mitten im Dschungel in der Ruine einer alten Arena wieder auf. Von einem dämonischen Torero werden sie vor den Augen einiger vermummter Gestalten auf den Zuschauerrängen über den Sandplatz gehetzt, um abschließend ihren gewaltsamen Tod zu Ehren der Dämonengöttin zu finden. Die weiblichen Entführten hingegen infizieren sich mit einer Art Teufelsmal, welches sich rasend schnell ausbreitet, den gesamten Körper in eine unansehnliche blaue, knotige Masse verwandelt und dabei auch das Wesen der Mädchen verändert. Sie mutieren zu willenlosen Dienerinnen der Rha-Ta-N’my.

Hinter diesen dunklen Machenschaften scheint ein Mann namens Raymondo Camero zu stecken. Morna versucht diesem Kerl auf die Schliche zu kommen, da er auch etwas über den Verbleib Larry Brents wissen könnte, doch noch ahnt sie nicht, dass die Ereignisse in Mexico-City erst der Anfang sind …

Wir lesen hier ein Solo-Abenteuer von Morna Ulbrandson, und fast wird sie schon zu einer Randfigur degradiert, denn die Ereignisse um die Rha-Ta-N’My-Sekte entwickeln sich ohne großes Zutun der PSA-Agentin.

Sie ist vielmehr damit beschäftigt, ihrem Freund und Kollegin Larry auf die Spur zu kommen, der wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Gegen Ende erst gerät sie in die Mühlen von Cameros Machenschaften, erfährt von den düsteren Ereignissen in Mexico-City und muss erkennen, dass sie erst ganz am Anfang steht.

Ebenso wie der Leser, denn diesen Band kann man als eine Art Einleitung in den Zyklus um die geplante Rückkehr der Dämonengöttin ansehen. Wie sich die Handlung weiterentwickelt und wo unser guter Freund Larry denn letztendlich abgeblieben ist, dürften wir wohl erst in dem Folgeband erfahren. Etwas irritierend stieß mir dieser fantastische Rahmen auf, wie er oft bei den Geschichten um Rha-Ta-N’my seinen Gebrauch findet. Dieser Charakter passt nun mal nach meinem Geschmack besser in die MACABROS-Serie …

Diesmal entführt uns Dan Shocker jeweils in eine wild-romantische Gegend. Einmal in die einsame Berglandschaft der spanischen Pyrenäen und später in den undurchdringlichen Dschungel bei Campeche, wenn wir nicht gerade durch die verwinkelten Straßen von Mexico-City stolpern. Beide Geschichten unterscheiden sich diesmal absolut in ihren Rahmen und Motiven. Zuerst serviert man uns eine fast schon klassische Gruselgeschichte, gefolgt von einem magisch-fantastisch angehauchten Horror-Thriller.

Von Pat Hachfeld bekommen wir dafür bei den Illustrationen ein gemeinsames Motiv geboten – beide Male eine widerlich anzusehende Horror-Fratze. Einmal das von Carmen Mojales geschaffene Wesen Marco und dann den entstellten Schädel einer der infizierten Rha-Ta-N’my–Dienerinnen.

Auf dem Buchdeckel finden wir diesmal das Original-Cover von „Corrida der Dämonen“ – dieser arme Kerl in der Arena dürfte entweder Bill Hathly oder Phil Hawkins sein (wobei ich auf Letzeren tippe), jedenfalls einer der beiden namentlich erwähnten Männer, die durch die Arena gehetzt werden. Insgesamt ist das Cover düster, makaber – fast schon brutal, aber in alter Lonati-Manier einfach gut gemacht.

Gespannt kann man jedenfalls schon auf Band 28 sein, um das weiterzulesen, was in Band 27 begonnen wurde …

http://www.BLITZ-Verlag.de

Kôji Suzuki – Ring 0: Birthday

Drei Kurzgeschichten vertiefen einige in der „Ring“-Trilogie um das rachsüchtige Videoviren-Gespenst Sadako Yamamura bisher nur am Rande erwähnte Episoden. Was zunächst wie ein für das Gesamtwerk nutzloses und dreistes Aufkochen der multimedial erfolgreichen Saga wirkt, erweist sich als letztlich als Roman in drei Großkapiteln, der die „Ring“-Story zu ihrem (vorläufigen?) Abschluss bringt. Das ist sicherlich weder originell noch gänzlich überzeugend, wird aber so ordentlich erzählt, dass die Lektüre auch dem nicht ganz beinharten „Ring“-Fan empfohlen werden kann.
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Moore, Alan / Lloyd, David – V wie Vendetta

|Eigentlich schreibt Alan Moore gar keine Comic-Szenarios. Seine in den Achtzigerjahren entstandene Geschichte »V wie Vendetta« ist vielmehr eine Studie über den Faschismus. Sie gilt bis heute als ein Meilenstein der Comic-Literatur. Darin ist es einer kleinen Gruppe machthungriger Männer gelungen, die Kontrolle über England zu erringen.|

»V wie Vendetta« spielt in einem fiktiven England Ende der Neunzigerjahre. Ein begrenzter Atomkrieg hat dazu geführt, dass das Land im Chaos versank. Im Zuge der allgemeinen Misere wurde der Ruf nach einer starken Hand laut, um die Probleme in den Griff zu bekommen und die englische Nation zurück zu alter Größe zu führen. So gerieten die Faschisten auf den Plan.

Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Die Gegenwart, in die Moore den Leser versetzt, spielt diverse Jahre nach der Krise und der Zeit der Neuordnung. Die Verhältnisse haben sich beruhigt. Viele Details der Handlung lassen vermuten, dass sich Moore beim Schreiben am Nationalsozialismus und dem Dritten Reich orientiert hat. Er möchte zeigen, dass Faschismus und Totalitarismus auch in anderen Ländern als in Deutschland entstehen können, sie also ein allgemeines Problem sind.

Dabei sieht zunächst alles nach einem gewohnten Superhelden-Szenario aus. Ein ominöser Mann mit Maske tritt auf und tötet Männer der Geheimpolizei, als diese sich an einem Mädchen vergreifen wollen. Wenige Minuten später explodiert das Parlamentsgebäude. Die Machthaber und das Volk erfahren: »V« war hier und hat dem Regime den Krieg angekündigt.

Der Held, dessen Identität lange im Dunkeln bleibt, hat politische Absichten. Diese Motivation ist ungewöhnlich, wenn man im Schema üblicher Superhelden-Szenarios bleibt. Ungewöhnlich ist ebenfalls, dass der Held nicht gegen einen Schurken kämpft, sondern gegen ein System. Er möchte England die Freiheit zurückgeben und steht anarchistischen Staatsvorstellungen nahe. In diesem Zusammenhang gehört Vs Selbstgespräch mit der Statue der Justitia zu den eindrucksvollsten Szenen der Geschichte. Er kündigt ihr seine Liebe, kritisiert ihre Blindheit und Sprunghaftigkeit, um schließlich zu gestehen: Es gibt eine andere Frau in meinem Leben – und ihr Name lautet »Anarchie«.

Die Atmosphäre der Zeichnungen wird ihrem Inhalt gerecht. David Lloyd zeigt uns keine überstilisierte Welt der »Guten und Bösen«, in der physikalische Gesetze bloß ungefähre Richtwerte sind, sondern er wählt eine realistische Darstellung in ruhigen Panels. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Figuren. Bei der Umwelt operiert er mutig mit Schatten und schwarzen Flächen.

Alan Moores Hauptaugenmerk liegt auf den einzelnen Figuren, ihren persönlichen Absichten und Abgründen. Er fragt nach der Verantwortung jedes Einzelnen. Obwohl der Leser hin und wieder wittert, dass er es mit einer konstruierten Kopfgeburt zu tun hat, gelingt es Moore jedoch immer wieder, diesen Eindruck zu zerstreuen. Er traut seinen Figuren etwas zu und lässt sie die Handlung tragen. Was eine besondere Qualität von »V wie Vendetta« ausmacht, ist der Umstand, dass Moore nicht in Kategorien von »Gut und Böse« denkt, sondern stets durchaus beide Seiten der Medaille im Blick hat. Sicherlich keine leichte Unterhaltung, aber ein außergewöhnlich anspruchsvoller Comic.

Seit dem 16. März läuft die Verfilmung der Wachowski-Brüder (»Matrix«) mit Natalie Portman und Hugo Weaving in den deutschen Kinos.

http://www.paninicomics.de/

Meißner, Tobias O. – letzten Worte des Wolfs, Die (Im Zeichen des Mammuts 2)

_Totenschädel und Kreuzknochen …_

… für all jene, die den ersten Band [„Die dunkle Quelle“ 1938 noch nicht kennen, sich aber trotzdem diese Rezension einverleiben wollen. Ich bin ein (so weit es geht) beinharter Verfechter von „spoilerfreien“ Rezensionen, aber hier werden zwangsläufig Details angesprochen, die sich im ersten Band erst entwickeln mussten. Um trotzdem Interessierte nicht unverrichteter Dinge von dieser Seite zu scheuchen, sei wiederholt, dass „Im Zeichen des Mammuts“ ein origineller Fantasy-Zyklus ist, dessen kompletter Plot während einer siebenjährigen Rollenspiel-Kampagne entwickelt wurde. Keine ermüdende Endlosreihe also, sondern ein kompaktes Fantasy-Spektakel mit definitiv geplantem Ende.

_Können Mammuts schwimmen?_

Diese Frage muss sich die Truppe um Rodraeg Delbane und das Schmetterlingsmädchen Naenn bald stellen, denn eine neuer Auftrag ist in ihr Hauptquartier geflattert, losgeschickt vom geheimnisvollen „Kreis“ und dem rasch sich verjüngenden Kindgreis Riban Leribin. Ausgeruht vom Desaster in den Schwarzwachsminen und unter den ersten Ausläufern von Langeweile leidend, kommt den Streitern vom „Mammut“ die neue Aufgabe gerade recht: In der Hafenstadt Wandry soll eine Herde Buckelwale angespült werden und verenden, wenn das Mammut nichts dagegen unternimmt. Das Schmetterlingsmädchen vermutet „Fängermagie“, eine seit Generationen verbotene Form der Zauberei, die unbedingt verhindert werden muss.

Gar nicht so einfach das Ganze, denn mit Migal, der sich der Truppe „Erdbeben“ angeschlossen hat, fehlt ihnen ein Mann, Rodraeg hustet sich wegen seiner schlimmer werdenden Schwarzwachsvergiftung die Seele aus dem Leib, und als ob das nicht schon genug Motivationsbremsen wären, bekommt Rodraeg von dem Schmetterlingsmädchen noch eine richtig üble Enthüllung an den Kopf geknallt.

Wenigstens ein neuer Mitstreiter wird schnell gefunden. Eljazokad ist ein umgänglicher, bescheidener Lichtmagier, der ähnlich mystische Träume hat wie Rodraeg und glücklicherweise in einer Hafenstadt aufgewachsen ist, was ihn zu einem idealen Kompagnon für ihr Vorhaben macht. Außerdem hat das Mammut vom Kreis eine Kutsche nebst Kutscher gestellt bekommen und könnte sich eigentlich entspannt auf die Reise machen. Dumm nur, dass sich Rodraeg von einem unheimlichen Fremden überreden lässt, ihn als Fahrgast mitzunehmen …

Tja, und dann taucht man wieder mitten ein in eine Geschichte voller Rätsel und Aufgaben, begegnet einem unheimlichen Geisterschiff, das einen Mitstreiter des Mammuts versklaven möchte, erlebt die erste Fantasy-Rock-Kapelle mit menschlicher P.A., schlendert zwischen den Rotleuchten des käuflichen Gewerbes umher, trifft Magier, Piraten, Säufer und Kinderbanden und sieht sich Auge in Auge mit einer Truppe unheimlicher Gesellen, deren Herkunft sich niemand erklären kann …

_Abenteuerlust und Fernweh._

Das befällt einen unweigerlich, wenn man die ersten Zeilen gelesen hat. Zwar war „Die dunkle Quelle“ schon mitreißend und spannend, kam aber, nach dem rasanten Prolog, erst allmählich in die Gänge, da Meißner ja erst seine Truppe zusammenwachsen lassen musste. In „Die letzten Worte des Wolfs“ ist das ganz anders: Man ist schon mittendrin, kennt jeden und fühlt sich beinahe wie zu Hause im Hauptquartier des Mammuts. Man freut sich über Bestars Speerwundengenesung, sorgt sich um Rodraeg wegen seines brutalen Hustens und brennt unglaublich auf die Abenteuer, die am Ende der zwölftägigen Kutschfahrt auf die Gruppe warten werden.

Damit kommt dann schon der nächste Pluspunkt. Das Abenteuer gestaltet sich vollkommen anders als im Vorgängerbuch: Lag der Schwerpunkt des ersten Bandes noch auf Konflikten zwischen den Figuren und auf wilden Actionszenen, so liegt er in diesem Band auf den Rätseln, die dem Mammut in der Stadt Wandry gestellt werden. „Rätsel“ ist dabei ein entscheidendes Wort: Die werden nämlich immer zahlreicher und tauchen Dinge, die man im ersten Band einfach als gegeben hingenommen hat, in völlig neues Licht. Wie sagte noch das Mädchen aus Eljazokads Traum so passend: „Ein Irrgarten, verdunkelt durch ein Rätsel, entfernt durch einen Abgrund, und dennoch greifbar nah.“

„Die dunkle Quelle“ war tatsächlich nur ein Auftakt, und im zweiten Band eröffnen sich viel mehr Zusammenhänge, aber auch viele neue Fragen, die einen darüber staunen lassen, in welche Tiefe die Details wirklich hinabreichen.

Abgesehen davon, dass die Handlung wesentlich praller ist als im Vorgänger, gibt es diesmal auch mehr Gerüche und optische Eindrücke zu bestaunen. Meißners Erzählstil ist „sinnlicher“ geworden, und das füllt eine Story gerade dann mit den nötigen Facetten, wenn sie in einer stinkenden Hafenstadt spielt! Besonders hervorzuheben ist Rodraegs Husten. Man kann mit dem armen Kerl tatsächlich mitfühlen, ständig glaubt man diesen kitzelnden Hustenreiz selbst in sich zu spüren und fürchtet mit ihm, wenn er mal wieder in einem verstaubten Archiv recherchieren muss …

_Ein Mammut ohne Konditionsprobleme._

Es bleibt beim positiven Resümee, das schon „Die dunkle Quelle“ für sich verbuchen konnte: keine überflüssigen Informationen, rasante Dialoge, eine Fantasywelt, in der sich Düsternis und Feenstaub angenehm die Waage halten, und Figuren, die glaubwürdig und konsequent gezeichnet wurden. Auch wenn „Das Paradies der Schwerter“ von der Presse (zu Recht) hochgelobt wird, kann die Atmosphäre, die Meißner dort erschaffen hat, nicht mit der Magie mithalten, die uns in der Welt des Mammuts verzaubert.

Ich werde die Fährte des Mammuts jedenfalls begierig weiterverfolgen, so viel steht schon mal fest, und es sieht nicht so aus, als ob Meißner auf halbem Weg die Ideen-Puste ausgehen könnte. Wer den ersten Band mochte, wird auch diesen mögen. Schade nur, dass das Buch schon zu Ende ist, wenn man erst richtig Lust auf mehr bekommen hat; die 340 Seiten verdampfen einem geradezu unter den Fingern. Aber wenn wir Glück haben, ist die Wartezeit auf den nächsten Band ja ebenso angenehm kurz wie jene zwischen Band 1 und 2. Wiederum ein herzliches „Respekt!“, Herr Meißner!

http://www.piper.de

Knaak, Richard A. – Legende von Huma, Die (DragonLance 1)

_Der Autor_

Richard A. Knaak wurde in den USA in Chicago geboren. Dort verbringt er noch immer einen großen Teil seines Lebens und Schaffens, ist aber inzwischen auch in Arkansas zu Hause.
Ursprünglich galt sein Interesse weniger der Schriftstellerei als der Chemie, und so beschäftigte er sich an der Universität von Illinois ausgiebig mit den Elementen. Dann erkannte er jedoch seine Liebe zur Sprache und zum Schreiben und wechselte zur Rhetorik, worin er auch seinen Abschluss machte, bevor er seine Autoren-Karriere startete. Seine Liebe als Schriftsteller gehört dem Fantasy-Genre. Bestens bekannt und ein weltweiter Topseller ist seine „DragonLance“-Saga, auf der auch der hier vorliegende Band basiert. Seine Affinität zum Comic-Genre hat Knaak auch noch als Autor der inzwischen sehr angesagten Manga-Serie „Ragnarok“ unter Beweis gestellt, die jüngst auch in Amerika erfolgreich publiziert wurde. Zudem machte er sich einen Namen mit Adaptionen zu weltberühmten PC- und Konsolen-Games wie „Warcraft“ oder „Diablo“ (auch diese Romane sind auf Deutsch bei Panini erschienen), die mehrfach ausgezeichnet und in vielen Ländern zu absoluten Verkaufsschlagern wurden. Werke von Richard A. Knaak werden seit 1987 veröffentlicht und die meisten davon wurden inzwischen auf Deutsch, Italienisch, Tschechisch, Polnisch, Finnisch, Ungarisch, Japanisch, Chinesisch, Türkisch, Russisch und viele weitere Sprachen übersetzt. Seine Bücher werden auf der ganzen Welt gelesen.

_Story_

Schlimme Zeiten herrschen auf Krynn: Die hinterhältige Königin Takhisis möchte das gesamte Land unterjochen und schickt hierzu die große Schar ihrer fiesen Handlanger ins Geschehen. Ihnen gegenüber stehen die Anhänger des ehrenwerten Gottes Paladin, zu denen auch die Ritter von Solamnia gehören. Einer von ihnen ist Huma, ein recht unauffälliger Zeitgenosse, dem erst vor kurzem die Ritterehre zuteil geworden ist. Bei einer ganz normalen Routine-Patrouille schlägt seine Stunde, als er die feindlichen Goblins besiegt und den gefangenen Minotaurus Kaz befreit. Dieser ist ihm unheimlich dankbar und verbrüdert sich mit dem tapferen Ritter, als dieser ihn ein weiteres Mal vor dem Tod durch einen Drachen bewahrt. Doch Kaz kann sich auch nur schwerlich durch das Land bewegen, denn die Minotauren zählen als Verbündete der Oger ebenfalls zu den Untergebenen von Takhisis.

Obwohl es um die Ritter von Solamnia gar nicht gut bestellt ist und der Krieg schon entschieden scheint, kämpfen Huma und Kaz erfolgreich gegen ihre Feinde; so gelingt es ihnen unter anderem, die Abgesandten der Schwarzen Garde unter der Führung von Galan Dracos in die Flucht zu schlagen, als sie mit diesen in einen Kampf verwickelt werden. Huma wird jedoch selbst verwundet, woraufhin sich der Minotaurus zum ersten Mal revanchieren kann und ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Wieder genesen, wird Huma als Wachtposten eingesetzt, verfolgt während seiner ersten Schicht einen weiteren Anhänger Dracos‘ und stößt dabei auf seinen alten Kumpel Magus, mit dem er einen großen Teil seiner Jugend verbracht hat.

Allerdings erkennt er in ihm nicht mehr den vertrauten Freund von einst wieder. Magus hat sich über die Jahre durch verschiedene Magierschulen ausbilden lassen, bleib aber weiterhin unabhängig. Daher sind seine Motive auch nicht klar. Weil Huma aber weiterhin an die Ehre seines alten Freundes appelliert, schenkt er ihm Glauben und schließt sich ihm an – ganz zum Widerwillen von Kaz, der mit Magus überhaupt nicht gut zurecht kommt. Magus versteckt den Vertreter Solamnias und den Minotaurus in seinem Turm, angeblich, um ihn vor Dracos und dem rachedürstigen Crynus zu beschützen. Doch ist der Magier tatsächlich so ehrenwert, wie er fortwährend vorgibt?

_Meine Meinung_

|Panini| haben die Zeichen der Zeit erkannt und mit dieser Graphic Novel eine gänzlich neue Reihe begonnen, die sich in mehreren bereits gesicherten Nachfolgewerken ausschließlich mit dem Thema Fantasy beschäftigen soll. Unter anderem wird im Mai der erste Teil der Fantasy-Reihe „Die Saga vom Dunkelelf“ auf den Markt gebracht werden. Allerdings sind die hier im Comic-Format herausgebrachten Geschichten alte Bekannte; so basiert „Die Legende von Huma“ beispielsweise auf dem bekannten Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ und wurde später in „Die Chroniken der Drachenlanze“ auch in Romanform bearbeitet. Und auf Letztere bezieht sich auch die hier vorliegende Graphic Novel.

Bereits die ersten Eindrücke der 144 prall gefüllten Seiten haben mich förmlich umgehauen; schnell wird klar, dass es den verschiedenen Zeichnern wunderbar gelungen ist, den breit gefächerten, mitunter komplexen Inhalt der zugrunde liegenden „Drachenlanze“-Bände „Das Ehrenwort“ und „Verrat unter Rittern“ adäquat wiederzugeben. „Die Legende von Huma“ ist kein bloßer Bilderband, über den man mal eben so drüberfliegt, dafür sind unter anderem die Sprech- und Gedankenblasen viel zu umfangreich. Man hat stattdessen eine ganze Menge von Richard A. Knaaks Romanvorlage übernommen, um so viel Story wie möglich in den Comic zu packen.

Dass die Erzählung aber dennoch nicht überladen wirkt, spricht für die äußerst gelungene Umsetzung von des Teams. Es gibt sowohl lyrisch als auch hinsichtlich der Zeichnungen so viele Eindrücke zu verarbeiten, dass man bei normalem Lesetempo locker mal zwei Stunden mit „Die Legende von Huma“ verbringen kann, ohne dabei jedoch die vielen versteckten Details erkannt zu haben. Damit hebt sich der erste Teil der Serie insofern von vergleichbarem Material ab, als man manchmal glaubt, einen umfangreich bebilderten Roman, jedoch keinen Comic zu lesen. Und das sollten Comic-Freunde jetzt nicht in den falschen Hals bekommen, es sollte nämlich vielmehr ein Lob wegen der wunderbaren Symbiose aus komplexer Erzählung und facettenreichen Zeichnungen sein.

Die Geschichte selber ist ebenfalls super; selten zuvor habe ich in einem Comic einen derart tollen Spannungsaufbau erlebt! Von der Darstellung der Charaktere über die sehr unterschiedlichen Stimmungen an den verschiedenen Handlungsschauplätzen bis hin zu den vielen Richtungsänderungen des Plots ist hier alles in bester Ordnung und wird von den teils düsteren, teils aber auch sehr farbenfrohen Illustrationen noch einmal prima unterstützt. Und noch einmal: Vergleichbar Tolles ist mir selten untergekommen.

Woran die Investition jetzt noch scheitern könnte, ist der Preis. Immerhin 16,95 € muss man für das aufwendig gestaltete Paperback berappen, und da muss selbst der Fanatiker erst einmal schlucken. Doch ist dies eine Summe, die sich im Nachhinein in vielerlei Hinsicht lohnt, denn „Die Legende von Huma“ ist absolute Referenzklasse und bietet im Gesamtüberblick nicht eine einzige Schwäche auf. Und außerdem: Warum nicht mal eine CD im Regal stehen lassen und sich dafür etwas phantasiereicher unterhalten (lassen)? Ich blicke jetzt schon mit großer Vorfreude auf die weiteren, bereits angekündigten Bände aus diesem Bereich voraus und lege sowohl Comic- als auch Fantasy-Fans dieses fabelhafte Buch wärmstens ans Herz – auch (oder gerade?) wenn man die Welt der Drachenlanze schon aus dem Effeff kennt.

http://www.paninicomics.de/

Kastenholz, Markus – Bleichgesicht

Frank Kroll führt im Rheingau das zurückgezogene Leben eines Außenseiters. Er ist ein Albino, lichtempfindlich und nachtaktiv. Mit seiner hellen Haut, den weißen Haaren, der obligatorischen Sonnenbrille und dem zusätzlichen Übergewicht bietet er einen befremdlichen Anblick. Dank finanzieller Unabhängigkeit arbeitet er sporadisch als Graphiker, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Eines Tages trifft er in seiner eigenen Kneipe eine alte Freundin wieder, die er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Franziska war nicht nur seine Schulkameradin, und sondern auch seine damalige Liebe. Inzwischen ist sie mit dem schwerreichen Georg Fentz verheiratet, der seine Geschäfte über das Privatleben stellt. Doch der Grund für Franziskas Rückkehr an den Ort ihrer Jugend ist trauriger Natur: Ihre Tochter Eva wurde im hiesigen Internat Adlerhorst, das seinerzeit auch Franziska und Kroll besuchten, tot aufgefunden. Die Vierzehnjährige hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und stürzte anschließend aus dem Fenster. Die Polizei vermutet Selbstmord oder einen Unfall im Drogenrausch, aber Franziska glaubt an Mord.

Kroll entschließt sich, seiner alten Freundin zu helfen, und verwickelt sich immer tiefer in den Fall und in die Erinnerungen an seine Schulzeit. Einer seiner Anknüpfungspunkte ist ein weiterer ehemaliger Freund, Thorwald Melchior, der als Lehrer im Internat arbeitet und Eva gut kannte. Unterstützung erhält Kroll von seinem Freund Ingo Schuster, dem ermittelnden Kriminalbeamten. Die Motive für Evas Selbstmord bleiben rätselhaft, und schon bald entdeckt Kroll Hinweise darauf, dass sich ein Verbrechen hinter ihrem Tod verbirgt. Eine Spur führt ihn auf den Weg zum Drogendealer Mühlberg, der kurz darauf auf bestialische Weise getötet wird. Es folgen weitere grausame Morde, die die Region erschüttern. Auf der Suche nach den Zusammenhängen verstrickt sich Kroll immer weiter in einen Strudel aus Gewalt, verwirrten Gefühlen und Rache …

Auch wenn dem Leser hier ein bodenständiger Krimi geboten wird – dass der Autor aus dem Phantastik-Bereich kommt, ist nicht zu übersehen. Zwar ist „Bleichgesicht“ frei von übernatürlichen Elementen, aber der Horror schmeckt deutlich durch die Handlung hindurch. Bei den geschilderten Morden wird kaum ein Blatt vor den Mund genommen und empfindliche Leser sollten ihre Magentabletten bereithalten. Die Beschreibungen der Tatorte und der Opfer werden zwar nicht extrem ausufernd, aber doch recht detailliert beschrieben. Nicht nur Kroll und sein Freund Ingo Schuster müssen bei den Anblicken schwer schlucken, auch dem Leser erscheinen vor dem geistigen Auge Bilder, wie man sie aus brutalen Horrorfilmen kennt. Die Themen kreisen um Kindesmissbrauch, Drogenhandel und Mord. Es ist kein sauberer britischer Krimi, in dem die Ermordeten mit Gifttabletten sanft entschlafen wurden, sondern harte Realität, die keine Rücksicht auf Würde oder Schonung nimmt. Und nicht nur die Ereignisse sind hart und kompromisslos, sondern auch die Worte der Charaktere, die auf vornehme Zurückhaltung verzichten. Hier wird beschmipft, geflucht und verteufelt, in Gedanken wie in offener Rede, glücklicherweise ohne dabei allzu vulgär zu werden. Mag man angesichts des deftigen Vokabulars mancher Personen anfangs noch etwas irritiert sein, gewöhnt man sich schnell an die ungeschönten Ausdrucksweisen, die den Dialogen obendrein den nötigen Realismus verleihen.

|Außergewöhnlicher Protagonist|

Gut gelungen ist die Darstellung des Protagonisten. Frank Kroll, der sich am liebsten nur mit dem Nachnamen anreden lässt, ist ein ungewöhnlicher Charakter, und das nicht nur, aber natürlich auch wegen seiner Albinokrankheit. Er lebt menschenscheu, ist Hänseleien und irritierte Blicke gewohnt und besitzt keine Aussicht auf eine erfüllte Partnerschaft. Da ist es kein Wunder, dass das unerwartete Auftauchen seiner alten Liebe Franziska für emotionale Verwirrung sorgt. Auch wenn man in seinem Alltag und seinen Problemen kaum das eigene Leben wiedererkennt, gelingt es doch recht bald, sich mit ihm zu identifizieren und diese eigenwillige Person zu mögen – obwohl oder gerade weil Kroll alles andere als ein Durchschnittsbürger ist. Erzählt wird überwiegend aus seiner personalen Perspektive. Einerseits merkt man, dass es sich bei ihm um einen schwierigen Menschen handelt, andererseits fühlt man mit ihm und interessiert sich zunehmend für sein Schicksal. Besonders deutlich wird das in der Mitte der Handlung, als er zum ersten Mal eine sehr persönliche Episode aus seiner Vergangenheit offenbart, die zwar recht klischeehaft ist, aber dennoch betroffen macht. Im übertragenen Sinne blasser als der Albino Kroll bleiben dagegen die anderen Charaktere, allen voran Franziska Fentz. Während in der ersten Hälfte noch eine gewisse Spannung besteht aufgrund ihrer früheren Verbindung zueinander, geht Franziska im weiteren Verlauf regelrecht unter und wird zur Statistin degradiert. An ihre Stelle tritt eine andere Frau, für die Kroll Empfindungen aufbaut. Anja Ahlers ist die Leibwächterin von Georg Fentz und mit ihrer Durchsetzungskraft und ihrer schlagfertigen Art kein uninteressanter Charakter, aber doch im Vergleich zur Hauptfigur nicht lebendig genug – vor allem angesichts der Rolle, die sie für den Roman spielt.

|Schwarzer Humor und straffe Handlung|

Trotz aller Härte und aller dargebotenen Grausamkeiten der Handlung besitzt der Roman eine ordentliche Portion Humor, die weitestgehend adäquat eingebunden wird. Vor allem Kroll ist es, der fast jedes Ereignis, entweder laut oder in Gedanken, mit einem zynischen Spruch kommentiert, der ein Schmunzeln beim Leser hervorruft, z. B. wenn Anja Skepsis empfindet „als melde sich beim Papst Saddam Hussein mit dem Anliegen zu konvertieren“ und sich Kroll beim Aufwachen fühlt „wie eine Henne in einer Legebatterie aussah“. Allerdings sind nicht alle Vergleiche gleich gut gelungen; störend wird es beispielsweise dann, wenn abgegriffene Formulierungen wie „fiel es ihm wie Schuppen aus den Haaren“ bemüht werden, die schon bei ihrer Erfindung nicht wirklich komisch waren.

Sehr positiv zu vermerken ist die Geradlinigkeit des Romans, die keinerleih Längen oder Abschweifungen zulässt. Die Handlung ist dicht gefasst, die Ereignisse geschehen innerhalb kurzer Zeiträume und der Leser hat keine Mühe, den Ermittlungen zu folgen. Sowohl die Örtlichkeiten als auch die Personen sind überschaubar gehalten, sodass keine Verwirrungsgefahr gegeben ist. Dabei bleibt dennoch Zeit für ruhige Momente, in denen vor allem Kroll in Nachdenklichkeit verfällt und Vergangenes Revue passieren lässt – allerdings stets in angemessener Kürze, sodass der Handlungsbogen die ganze Zeit über straff gespannt bleibt. Bis zum Ende bleibt Spannung erhalten, auch nach der Klärung der Täterfrage, da nicht nur die Verbrechen, sondern auch zwischenmenschliche Fragen geklärt werden wollen. Das Ende bietet einen perfekten Abschluss, der im passenden Maß Raum zum Reflektieren und Weiterdenken lässt und dabei zugleich den Leser zufrieden stellt. Schade ist jedoch, dass das eigentliche Motiv und seine Hintergründe sehr spät und wie aus heiterem Himmel eingeführt werden. Die Lösung wirkt eher aufgesetzt und hätte diverse subtile, frühere Andeutungen verdient, um beim Leser besser akzeptiert zu werden.

|Flüssiger, aber eigenwilliger Stil|

Das Schriftbild und der Stil überraschen hin und wieder durch Eigenwilligkeit. So fehlt grundsätzlich das Leerzeichen vor den Auslassungspunkten, was eine Eigenheit des Verlags zu sein scheint. Der Stil ist sicher, überzeugt durch kurze, übersichtliche Sätze ohne Verschachtelungen; allerdings stört der bisweilen exzessive Gebrauch von Ausrufezeichen. Auffallend ist zudem, dass scheinbar um jeden Preis das Wort „sagte“ vermieden wurde; stattdessen finden sich immer abenteuerlichere Umschreibungen, die teilweise nichts mit Reden zu tun haben. An manchen Stellen enden wörtliche Reden demzufolge mit „sah er betrübt auf die Tischplatte“ oder „machte er“, woran man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, was sich aber eher unbeholfen liest. Ein weiteres Merkmals des Autors ist die ebenfalls übertrieben anmutende Vermeidung von mit „dass“ eingeleiteten Nebensätzen. Stattdessen herrscht ein parataktisch dominierter Stil vor, in dem Nebensätze umgangen und durch aneinandergereihte Hauptsätze ersetzt werden. Davon abgesehen liest sich der Roman flüssig, vor allem die zweite Hälfte läd dazu ein, in einem Rutsch verschlungen zu werden.

_Als Fazit_ bleibt ein solider Kriminalroman mit starken Horroreinflüssen, der vor allem Lesern, die nicht vor plastischen Schilderungen und brutalen Geschehnissen zurückschrecken, gefallen dürfte.

_Der Autor_ Markus Kastenholz, Jahrgang 1966, ist (gemeinsam mit Timo Kümmel) Herausgeber des phantastischen Magazins NOCTURNO und der EDITION NOCTURNO im Virpriv-Verlag. Er veröffentlichte mehrere Beiträge in Anthologien sowie diverse Einzeltitel, darunter die Serie „Tiamat – Im Auge des Drachen“ und die Horror-Anthologie „Dämonium“.

http://www.betzelverlag.de/

Poe, Edgar Allan / Gruppe, Marc – Untergang des Hauses Usher, Der (Gruselkabinett 11)

Mit „Der Untergang des Hauses Usher“ veröffentlichen |Titania Medien| nun einen weiteren Klassiker der Weltliteratur, genauer gesagt eine weitere Erzählung des legendären Edgar Allan Poe. Damit wagt sich das preisgekrönte Hörspiel-Label auf ein bereits erkundetes Feld, denn die Geschichte um den zerstreuten Roderick Usher, seine Schwester und Geliebte Madeline und ihre erschreckende Familiengeschichte wird nicht zum ersten Mal in dieser Form aufgelegt. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass andere Versionen dieser Erzählung so packend inszeniert wurden wie die hier vorliegende!

_Story_

Philipp Belfield und Roderick Usher sind alte Jugendfreunde, die sich irgendwann im jungen Erwachsenenalter aus den Augen verloren, den Kontakt aber nie gänzlich abgebrochen haben. Daher macht sich Belfield Jahre später auch sofort auf den Weg zum Landsitz der Ushers, als Roderick ihn um dringende Hilfe bittet. Das Bild, das sich Philipp auf der Festung inmitten einer Sumpflandschaft bietet, ist allerdings erschreckend.

Roderick lebt total zurückgezogen als verschandeltes Wrack in der Dunkelheit seiner Behausung und lässt keine Menschenseele an sich heran. Er leidet unter einer schrecklichen Krankheit und ist dem Tode geweiht, möchte aber vor seinem Ableben noch die zukünftigen Geschicke seiner aussterbenden Familie lenken. Doch auch abseits des Leidens seines Freundes erkennt Philipp in Roderick nicht mehr denselben Menschen, den er über die Jahre wie einen Bruder geliebt hat. Schließlich erfährt er von dessen Schwester, mit welch schrecklichem Fluch die Familie belastet ist, und dass der sichere Tod, der auch die sterbenskranke Madeline in Kürze ereilen wird, die einzige Chance ist, den Fluch zu bannen. Doch dazu muss Philipp erst einmal in Erfahrung bringen, welche Auswirkungen dieser Fluch auf das ungleiche Geschwisterpaar gehabt hat …

_Meine Meinung_

Ich bin immer wieder ausgesprochen angetan von den Resultaten, die |Titania Medien| bei der Wiederbelebung von literarischen Meisterwerken erzielen. Ob nun im Krimi-, Jugend- oder Horrorbereich – das Label und ihre herausragenden Sprecher kreieren immer wieder eine fabelhafte Hörspiel-Atmosphäre, die den Hörer an das jeweilige Werk fesselt. Nicht umsonst ist die „Gruselkabinett“-Reihe vor zwei Jahren mit dem deutschen Hörspielpreis ausgezeichnet worden. Und diese Auszeichnung könnte sich prinzipiell in diesem Jahr für das gleiche Projekt wiederholen, denn auch mit den neuen Episoden dieser Serie liefert das Label Referenzprodukte ab. Nach dem bereits sehr starken [„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 folgt nun eine weitere Klassikeradaption, deren schauriges Flair in diesem recht kompakten Hörspiel sehr gut eingefangen wurde. Die Geschichte liefert aber auch die nötigen Eckpunkte, um eine solch tolle, düstere Stimmung zu ermöglichen. Es sind zwar allseits bekannte Grusel-Elemente wie ein verlassenes Schloss, ein durchgedrehter, dem Tode naher Besitzer und ein dämonischer Fluch, dessen wahrer Ursprung nicht bekannt ist, jedoch wird dies alles so intensiv dargestellt, dass einem zwischenzeitlich ganz anders wird.

Sehr wichtig sind diesbezüglich die einzelnen Soundeffekte, deren beklemmende Geräuschkulisse prima mit dem selbstzerstörerischen Gedankenleben von Roderick Usher harmoniert. Der Mann sinkt immer tiefer in seinen Wahn hinein, wird im Laufe des Plots stetig unberechenbarer und wirkt zum Ende hin vollkommen geistesgestört. Aber trotz der eindeutigen Aussagen der erkrankten Hauptfigur erfährt man nicht, welch eigenartiger Charakter sich hinter dem zerstreuten, zurückgezogen lebenden Mr. Usher in Wirklichkeit verbirgt. Gleiches gilt für seine Schwester, die anscheinend sehr unter der Unterdrückung ihres Bruders leidet. Sie offenbart Philipp auch die wahre Geschichte um das Haus Usher, den Selbsterhaltungstrieb, die Wichtigkeit des Fortbestandes der Familie, den Fluch und die Ursache allen Übels: die Inzucht, mit der jeder, der unter dem Namen Usher gelebt hat, zurechtkommen musste.

Das Puzzle fügt sich zusammen, der Todeswunsch von Roderick wird verständlich und der Drang, Madeline ebenfalls sterben zu lassen, logisch. Doch genau in dem Moment, in dem das Schicksal des Hauses Usher besiegelt ist und Roderick seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt bekommen hat, beginnt das Grauen noch schlimmer als zuvor zu wüten und die Historie dieser seltsamen Familie noch erschreckender zu werden, als sie es ohnehin schon ist. Der dabei betriebene Spannungsaufbau ist richtiggehend genial. Über mehreren Übergängen verwandelt sich die anfängliche Harmonie in ein grausiges Schauermärchen, das bisweilen sehr tief unter die Haut geht und gerade deswegen auch den Status eines Klassikers erreicht hat. Die Entwicklung der Usher-Geschwister ist dabei der Höhepunkt dieses finsteren, todesromantischen Melodrams, dessen gar nicht mal so realitätsferner Grundgedanke damals wie heute einen sehr erschütternden Eindruck hinterlässt. Doch genau für Derartiges war Edgar Allan Poe zu Lebzeiten ja auch bekannt.

Für das Resümee zu „Der Untergang des Hauses Usher“ brauche ich mich folgerichtig auch kaum anzustrengen. Wiederum ist es den Machern gelungen, ein vergleichsweise uraltes Stück mithilfe von bekannten Synchronstimmen in ein sehr lebendiges Hörereignis zu verwandeln, das dem prämierten Ruf der genialen „Gruselkabinatt“-Reihe aus dem Hause |Titania Medien| (übrigens zweimal in Folge „Bestes Hörspiel-Label“; Hörspielpreis 2004 & 2005) vollends gerecht wird. Wem düstere Poesie zusagt, der sollte bei diesem tollen Werk sofort zugreifen.

Home – Atmosphärische Hörspiele

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Die obere Koje“ 5804 (Gruselkabinett 34)

Bo R. Holmberg – Schneegrab

In der nordschwedischen Provinz kommt es im Winter des Jahres 1849 zum tödlichen Streit zwischen zwei Landstreichern. Der mit den Ermittlungen in diesem Routinefall beauftragte Polizeiamtmann kommt vor Ort zufällig einem ganz anderen, wesentlich schlimmeren Verbrechen auf die Spur … – Lesenswerter skandinavischer Historienkrimi der besonders düsteren Art. Ohne falsche Nostalgie schildert der Verfasser eine kalte, karge Landschaft, deren Bewohner von Pflicht und Tradition in ihrem harten Alltagstrott gefangen werden, bis sie dem Druck nicht mehr standhalten und sich – mit oft tödlichen Folgen – Luft verschaffen.
Bo R. Holmberg – Schneegrab weiterlesen

Merlau, Günter – B.Ö.S.E. – Alles wird gut

Über die beiden bisherigen Startepisoden der neuen |Lausch|-Hörspielreihen „Caine“ und „Die schwarze Sonne“ habe ich mich an dieser Stelle schon sehr euphorisch geäußert. Insofern stand für mich bereits im Voraus fest, dass auch das dritte Hörspiel dieser immer noch recht neuen Produktionsfirma ein Hit sein muss. Warum ich jetzt so eine Einleitung schreibe, ist sicherlich klar: „B.Ö.S.E.“ ist nicht der erhoffte nächste geniale Angriff auf die Lauscher, sondern schlicht und einfach ein ziemlich albernes, auf unzähligen Klischees basierendes Comedy-Hörspiel, dessen Wortwitz bestenfalls für den ein oder anderen Schmunzler sorgen wird – um die Lachmuskeln aber tatsächlich in Bewegung zu bringen, erfordert es allerdings schon etwas mehr als Chaos und Vulgärsprache.

_Story_

Lange Jahre war B.Ö.S.E. der führende Konzern für Angst- und Hysterieprodukte, jetzt aber fällt es der Firma zunehmend schwerer, mit den Entwicklungen auf dem weltweiten Markt Schritt zu halten. Besonders die Konkurrenzprodukte aus der neutralen Zone sind stark auf dem Vormarsch und bei den Abnehmern mittlerweile auch beliebter als das eigene Sortiment. Vorstandsvorsitzender STAN und seine Mannschaft müssen also zur Tat schreiten, sind aber mit der aktuellen Situation deutlich überfordert. Mehr und mehr werden die Leute glücklicher, entdecken das Gefühl von Schönheit wieder für sich und senken so die Nachfrage nach den Artikeln von B.Ö.S.E. Als dann auch noch ein dämonisches Duo dafür sorgt, dass diese Anzeichen von ‚Besserung‘ bis in die Unterwelt durchdringen, ist die Katastrophe perfekt. Criz, Turbo Hacken Giga und die Dreckschleimers müssen den nahe stehenden Untergang aufhalten, ansonsten kehrt nämlich wieder Frieden ein – und das will in der Unterwelt nun wirklich niemand …

_Meine Meinung_

„B.Ö.S.E.“ ist Klamauk auf sprachlich recht minderem Niveau. Wenn nach zwei Minuten schon das erste „Fick dich!“ ertönt und gleichzeitig jedes Wort, das auch nur irgendwie mit Harmonie und Frieden in Verbindung zu bringen ist, ins Negative umgekehrt wird, ist das schon irgendwie recht seltsam, um nicht zu sagen ziemlich einfallslos. Dabei offenbart die Rahmenhandlung – sofern man beim hier veranstalteten Chaos überhaupt noch von einer solchen reden kann – sehr viele interessante Ansätze, um die herum man eine sehr gute und vor allem auch lustige Story hätte stricken können. Doch leider wird hier lieber das Alberne in den Vordergrund gestellt. „B.Ö.S.E.“ ist dabei bissig und orientiert sich voll und ganz am aktuellen Zeitgeschehen; so mancher Seitenhieb ist ziemlich offensichtlich und wird innerhalb der (nomen est omen) hysterischen Geschichte auch noch ziemlich gut verpackt, doch viel mehr holen die erneut vorzüglichen Sprecher aus dem Plot um den recht merkwürdigen Konzern in der noch merkwürdigeren Welt nicht heraus.

Die Dialoge sind weitestgehend flach. Als ich seinerzeit noch in die Grundschule ging, hätte ich wohl über diesen Stil lachen können, aber für die angesprochene Zielgruppe („B.Ö.S.E.“ wird ab 15 Jahren empfohlen) ist das Niveau dann doch ein wenig zu niedrig. Oder sind wir in Deutschland mittlerweile doch so weit gekommen, dass man sich auf solch geringem Level amüsieren muss?

Eine Stelle fand ich aber dann doch ganz witzig, nämlich als der allmächtige Gott mit dem Vornamen Karel vorgestellt wird. Ja, gelacht haben wir, doch jetzt wo ich die Pointe in diesen Zeilen bereits getippt habe, ist das Beste bereits vorweggenommen worden. Und alleine das sagt meiner Meinung nach schon viel über dieses Hörspiel aus!

„B.Ö.S.E.“ bietet Atmosphäre und Stimmung auf mittlerweile bewährtem |Lausch|-Level, fällt aber inhaltlich durch eine viel zu hohe Zahl an dämlichen Plattitüden sehr negativ auf. Außen klebt der Comedy-Stempel drauf, innen drin sieht’s diesbezüglich hingegen mau aus. Nach bravourösem Auftakt nun der erste kleine Einbruch bei diesem vielversprechenden Hörspiel-Label. An den Sprechern hat’s nicht gelegen, sondern ausschließlich an den abgeschmackten Ideen. Was soll’s, die Vorfreude auf den zweiten Teil von [„Caine“ 2050 (VÖ: Juni 2006) lasse ich mir dadurch trotzdem nicht nehmen!

http://www.merlausch.de/

Harrison, Shirley – Tagebuch von Jack the Ripper, Das

Wie es heißt, ist nichts so tot wie der Bestseller der letzten Saison. Falls dies zutreffen sollte, hätte sich Ihr Rezensent mit diesem Artikel eine Menge unnötiger Arbeit gemacht. Die (angebliche) Sensation um die Entdeckung des Tagebuchs von Jack the Ripper ist nämlich schon ein Jahrzehnt alt. Die gebundene Ausgabe des vorliegenden Buches wurde auch in Deutschland Anfang der 1990er Jahre mit Fanfarenschall in die Läden begleitet und fand in der Presse die gewünschte, weil verkaufsförderliche Resonanz. Selbst negative Werbung sorgt für Aufsehen, und so ließen sich kluge Köpfe, Besserwisser und Spinner gleichermaßen lang und breit aus über ein Medienphänomen, das die Menschen seit über einem Jahrhundert fasziniert, ohne dass darob Einigkeit darüber erzielt werden konnte, ob denn das auf so wundersame Weise zutage geförderte Tagebuch tatsächlich aus der Feder des Rippers geflossen war.

Nachdem die Aufregung abgeklungen ist, kann man sich der Beantwortung dieser Frage wesentlich gelassener widmen – wenn es denn überhaupt erforderlich ist, denn „Das Tagebuch von Jack the Ripper“ ist auch jenseits aller Sensationshascherei eine interessante Lektüre. Tatsächlich wird es bald völlig unerheblich, ob der böse Jack denn ein rauschgiftsüchtiger Baumwollhändler namens James Maybrick aus dem englischen Liverpool gewesen ist und seine Untaten in einem Tagebuch festgehalten hat, das in einem unbekannten Versteck ein volles Jahrhundert überdauerte, bis es auf mysteriöse Weise in die Hände eines arbeitslosen Seemannes geriet …

Shirley Harrisons Darstellung gewinnt ihren Wert als Bestandsaufnahme eines Jahrhunderträtsels: Um das Tagebuch in die bekannte Chronologie der Rippermorde einzupassen, muss die Autorin das London von 1888 wieder erstehen lassen und das Drama und seine Akteure noch einmal ihrem Publikum vorstellen. Freilich tut sie das mehr als 100 Jahre später und nach durchaus sorgfältiger Sichtung der in diesem Zeitraum erschienenen Ripper-Literatur bzw. wiederentdeckten Quellen. Besonders Letztere haben es in sich, denn überraschenderweise werden bis auf den heutigen Tag neue Belege entdeckt. Harrison wartet denn auch mit Fakten auf, die einige Irrtümer früherer „Ripperologen“ eliminieren, nachdem sie lange Zeit immer wieder aufgegriffen wurden.

So darf sich der Leser einer vorzüglichen Zusammenfassung der Ereignisse vom August bis November 1888 erfreuen, wenn diese Formulierung angesichts des Themas gestattet sei. Weil im Zeitalter des privaten Fernsehens manch’ alter Zopf abgeschnitten wurde, werden ihm (und auch ihr) einige zeitgenössische Tatort- und Leichenfotos präsentiert. Sie bieten eine ausgezeichnete Gelegenheit zur Überprüfung der alten Weisheit, dass es nicht immer eine reine Freude sein muss, seine Neugier befriedigen zu können. Was Jack the Ripper seinen Opfern angetan hat, ist wahrlich ungeheuerlich. Der Anblick ist schwer zu ertragen, macht aber eines sehr schön deutlich: Irgendwann müssen sich der authentische und der mythologische Jack voneinander getrennt haben. Der rste war ein lebensgefährlicher, schwer geisteskranker Psychopath, der zweite ein früher Medienstar, ein Zeitgenosse von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, von Graf Dracula und Sherlock Holmes. Irgendwie ist das Bewusstsein geschwunden, dass diese Figuren fiktiv waren, während Jack the Ripper eine sehr reale Person gewesen ist. Aber man hat ihn niemals gestellt und vor Gericht entzaubert, und so war sein Weg frei in den Olymp kultisch verehrter Bösewichte. Als sich dann die moderne Unterhaltungsindustrie des Rippers annahm, war der Übergang vollzogen.

Shirley Harrison belegt sehr schön, wie „unser“ Jack the Ripper ein Geschöpf der Medien wurde – vielleicht sogar ihre erste und höchst gelungene Schöpfung! Serienmörder hatte es schon vor 1888 gegeben – aber nicht in einer Stadt wie London, in der Ende des 19. Jahrhunderts 200 (!) Tageszeitungen um Leser kämpften. Die Presse machte Jack the Ripper erst berühmt und dann unsterblich. Er hat dies selbst sehr gut begriffen, sich seiner Taten in Leserbriefen gerühmt und neue Scheußlichkeiten angekündigt. Insofern ist der Fall Jack the Ripper quasi ein Modell für das, was die Massenmedien heute zu „leisten“ vermögen.

Diese Entwicklung wird von Harrison angedeutet, aber leider nicht weiter ausgeführt; hier ist Ihr Rezensent – so gut er es vermochte – in die Bresche gesprungen. Die Autorin kehrt verständlicherweise bald zu ihrem eigentlichen Anliegen zurück: Sie bemüht sich, den Ripper auf den Spuren ihres Hauptverdächtigen James Maybrick zu entlarven. Das will ihr auf stolzen 450 Seiten allerdings nie wirklich gelingen. Zu apokryph ist das Manuskript, zu fadenscheinig seine Überlieferungsgeschichte, und selbst ein Heer von Historikern, Graphologen und anderen Sachverständigen konnte zu keinem eindeutigen Urteil kommen. Dass Harrison sowohl die Indizien für wie die Belege gegen das Tagebuch ausführlich vorstellt, muss ihr hoch angerechnet werden. Ihr bleibt auf der anderen Seite auch gar keine Alternative, will sie doch einem möglichen Desaster vorbeugen, wie es den „Stern“ 1983 mit den angeblichen Hitler-Tagebüchern getroffen hat.

In den Jahren seit dem Erscheinen der englischen Originalausgabe ist es bemerkenswert ruhig um das Tagebuch geworden. Das ist im Grunde die beste Bestätigung dafür, dass es nicht überzeugen konnte. Aber wie die Autorin selbst sehr richtig sagt: Wenn es eine Fälschung ist, dann ist sie großartig gelungen. Davon kann man sich übrigens selbst überzeugen: Dem fotografischen Faksimile aller erhaltenen Seiten wird eine Übersetzung beigefügt. Wenigstens steht nach der Lektüre fest, dass Jack the Ripper nicht zu allem Überfluss ein begabter Schriftsteller gewesen ist …

Sein (bzw. James Maybricks) Ende war übrigens düster – oder angemessen, wenn man so will: Von Drogensucht und Schuldgefühlen zerfressen, ließ sich Jack the Ripper im Mai 1889 von seiner eigenen Ehefrau vergiften. Hier stutzt der Leser, doch dieses Mal wird er von Shirley Harrison schmählich im Stich gelassen. Offensichtlich ist für sie der Punkt erreicht, an dem sie den Erfolg ihres potenziellen Bestsellers ungern durch allzu viel Realität gefährden möchte. Außerdem lässt sich der Tod des Rippers viel zu schön mit einem weiteren Klassiker der „True Crime“-Literatur verknüpfen: der Geschichte vom Prozess gegen seine angebliche Mörderin und Ehefrau, der so tatsächlich 1889 stattgefunden hat und offensichtlich ein Paradebeispiel für einen echten Justizskandal ist. Das ist bei Harrison so spannend wie ein Thriller nachzulesen, hat aber mit der Frage, ob James Maybrick Jack the Ripper war, nur indirekt zu tun.

So schlingert Shirley Harrison immer eng an den Fakten entlang, ohne sich jemals wirklich festzulegen oder endgültig den Bezug zum Beweisbaren zu verlieren. Weil man Wahrheit und Mutmaßung jedoch gut voneinander trennen kann, nimmt man ihr das nicht übel. Noch einmal sei dem Leser versichert: „Das Tagebuch von Jack the Ripper“ besitzt unabhängig davon, ob es echt ist, jederzeit einen hohen Unterhaltungswert. In der Taschenbuchausgabe ist es darüber hinaus bei seiner Ausstattung sehr preisgünstig; allerdings leidet die Qualität der Abbildungen in der Verkleinerung erheblich. Was die blutrünstigen Opferfotos angeht, so ist dies nur von Vorteil, aber die interessanten zeitgenössischen Presseartikel, Porträts oder Lagepläne wünscht man sich schon etwas übersichtlicher.

Santiago Roncagliolo – Vorsicht

„Vorsicht“ ist der zweite Roman des jungen peruanischen Autors Santiago Roncagliolo und mit ebensolcher Vorsicht auch zu genießen. Spitzfindig wird auf dem Buchrücken bereits die Frage gestellt, ob Roncagliolo in diesem Buch die Geschichte einer normalen Familie erzählt, doch kann man wohl nur hoffen, dass dem nicht so ist …

Auf nur 184 Seiten erzählt Santiago Roncagliolo die Geschichte einer nicht ganz alltäglichen peruanischen Familie, die kurz vor dem Auseinanderbrechen scheint. Im ersten Kapitel stirbt in Anwesenheit des kleinen Sergio seine Oma und von nun an sieht der kleine Mann vermeintlich Gespenster. Was sich jedoch wirklich hinter diesen ominösen Gespenstern verbirgt, erfahren wir erst später im Laufe der Erzählung. Opapa leidet offensichtlich an Alzheimer, denn den Tod seiner Frau vergisst er schnell wieder, stattdessen erinnert er sich an seine letzte Gelegenheit zu einem Seitensprung, die bereits einige Jahre zurückliegt und die durch ein kaputtes Leitungsrohr erfolgreich zunichte gemacht wurde. Doch Opapa möchte sein Liebesglück noch nicht aufgeben. Als er herausfindet, dass seine ehemalige Liebe Doris in ein Seniorenheim zieht, quartiert er sich dort gegen den Willen seiner Familie und der Heimleitung ein.

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Cowell, Stephanie – Welche Wonne, dich zu finden

Es gibt wohl kaum einen anderen Musiker aus dem 18. Jahrhundert, den man auch so lange nach seinem Ableben noch in jenem Maße verehrt, wie es bei Wolfgang Amadeus Mozart der Fall ist. Auch über zwei Jahrhunderte nach seinem Ableben 1791 ist seine Musik noch allenorts präsent und wird derzeit noch immer nicht weniger scharfsinnig analysiert als meinethalben die Werke derzeit aktueller Komponisten, die sich dem Stil von Klassik und anderweitiger „E-Musik“ verschrieben haben. So unumstritten seine musikalischen Leistungen sind, so zwiegespalten sind die Meinungen zu Mozarts Lebensstil. Wunderkind, Genie, Chaot, Nervenbündel, psychisch Kranker – mit dem österreichischen Tausendsassa verbindet man vieles, wobei es natürlich im Auge des Betrachters liegt, ob der Weg, den Mozart gegangen ist, positiv oder negativ aufgefasst werden soll.

Stephanie Cowell ist ganz klar den ersten Weg gegangen; die amerikanische Schriftstellerin und Sopranistin hat in ihrem aktuellen Roman „Welche Wonne, dich zu finden“ eine indirekte Liebeserklärung an das Schaffen bzw. die Person Mozarts verfasst und den Musikus passend zum Mozart-Jahr 2006 von einer gänzlich anderen Seite beschrieben. Die Autorin geht nämlich nicht den typischen Weg der Biografie oder dergleichen, sondern nähert sich dem Thema aus der Sicht einer wichtigen Begleiterin, nämlich Sophie Weber. Aus ihrem Blickwinkel sowie jenem der berühmten Musiker-Familie Weber, die neben Sophie auch noch drei andere Töchter hervorgebracht hat, werden die ersten Kontakte mit Mozarts Familie und dessen Entwicklung als Musiker und Mensch beschrieben und in gewisser Hinsicht auch analysiert. Und dies auf eine Weise, die dem allzu kitschigen, fast schon abweisenden Titel Gott sei Dank nicht gerecht wird …

_Story_

Mannheim 1777: Im Hause Weber findet einmal in der Woche ein großes Fest statt. Musiker aus den verschiedensten Regionen präsentieren dann ihre neuesten Stücke und bitten die Anwesenden, darunter die vier Töchter des Hauses, Josepha, Aloisia, Constanze und Sophie, zum Tanz. Auch wenn das Geld bei den Webers stets knapp ist, wird an dieser Tradition festgehalten, schließlich erhofft sich die Mutter, ihre vier Töchter in reicherem Elternhause unterzubringen und mit geeigneten Kandidaten unter den vielen Gästen zu vermählen.

Als eines Tages der junge Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart den musikalischen Abend im Hause mit seinem Beitrag veredelt, tritt Sophies Mutter dem gefeierten Musikus sehr skeptisch gegenüber. Seine lockere Zunge und überhaupt sein ganzes Auftreten stoßen bei ihr zunächst auf Missmut, obwohl Vater Fridolin sehr angetan ist von dem mittlerweile sehr verarmten, inzwischen 21 Jahre alten Komponisten.
Und tatsächlich spielen alle Schwestern in Mozarts Leben eine Rolle. Während er für Josephas Altstimme mehrere Werke komponiert und ihr auch den Titel „Königin der Nacht“ widmet, verliebt sich Mozart in deren Schwester Aloisia. Die beiden planen Großes und verloben sich auch, jedoch findet ihre Beziehung ein jähes Ende, als Mozart seine Angetraute zu lange auf die erhoffte Hochzeit warten lässt. Die Enttäuschung ist auf beiden Seiten groß, doch Mozart bleibt der Familie Weber treu, besonders als Hausherr Fridolin frühzeitig stirbt. Seine verwitwete Frau, besorgt um den weiteren Unterhalt, sieht im zunächst verachteten Mozart die letzte Hoffnung und möchte ihn mit Sophie verkuppeln. Doch diese hat eine ganz andere Idee, und nach langem Hoffen gerät schließlich die junge Constanze ins Blickfeld des Komponisten …

_Meine Meinung_

Welchen Input kann einem ein Mozart-Roman noch geben, wenn man durch exzessive Recherche ohnehin schon sehr bewandert in diesem Themengebiet ist? Diese sicherlich berechtigte Frage kam auch mir in den Sinn, bevor ich mich mit dem aktuellen Werk von Stephanie Cowell auseinander setzte. Zunächst konnte ich mir kaum vorstellen, dass die Autorin oder überhaupt ein Buch über den verehrten Komponisten noch wesentlich Neues liefern kann. Und genau dies ist durchaus auch der Fall; rein historisch betrachtet, ist „Welche Wonne, dich zu finden“ ziemlich unspektakulär.

Was an diesem Roman indes so gut gefällt, ist der etwas eigenwillige Ansatz. Das Buch hat zwar den Beititel „Mozart-Roman“, lässt den vermuteten Protagonisten aber nicht zwingend zur Hauptfigur werden. Vielmehr beschäftigt sich Cowell nämlich mit dem Leben der ebenfalls recht armen Familie Weber und dem Einfluss, den der irgendwann dahergereiste Österreicher auf deren weiteren Weg hatte. Und genau hier wird „Welche Wonne, dich zu finden“ plötzlich ausgesprochen interessant! Es geht nämlich nicht mehr alleine um den so oft zitierten Musiker, sondern in erster Linie um das oft nur oberflächlich betrachtete Umfeld.

Gut, wirklich tief greifend ist die sinnliche Beschreibung der Weber-Familie nun auch nicht, schließlich befasst sich Cowell vordergründig mit den Beziehungsgeflechten zwischen den Schwestern des Hauses und dem etwas vorlauten Mozart. Es ist tatsächlich die von Cowell angedeutete, hier Schrift gewordene Liebeserklärung, die im Roman mit den Augen der eher unbeteiligten Sophie Weber betrachtet wird. Sie beschreibt vor allem die gescheiterte Beziehung zwischen Aloisia und dem von Mutter Weber als Hallodri bezeichneten Wolfgang und die sich daraufhin bietende Chance, sich selber mit dem enttäuschten und beleidigten Musiker einzulassen. Doch Sophie hat das Geschehen in den vergangenen Monaten ausführlich beobachtet und die ihrer Meinung nach klügere Entscheidung getroffen, den Musiker ihrer anderen Schwester Constanze zu überlassen.

Vergleiche mit ähnlich gelagerten Romanen ergeben sich hingegen durch die auch hier sehr gekonnt in Szene gesetzte Dramaturgie. „Welche Wonne, dich zu finden“ ist traurig, melancholisch, euphorisch und gefühlvoll in einem Atemzug; ein stetiges Wechselbad der Gefühle, verursacht durch den widersprüchlichen Charakter Mozarts, der durch seinen Drang, der musikalischen Perfektion nahe zu kommen, die Menschen um sich herum fast ganz vergaß, andererseits aber ohne sie nicht sein wollte. Das zerstreute Genie ist auch hier präsent, und die eindeutige Betrachtungsweise des Musikers lässt auch keine Zweifel an dessen Können zu. Nur eben wird hier nicht der Musiker Mozart beschrieben, sondern das Empfinden des Menschen Mozart aus der Sichtweise einer Person, die ihn ohne wirkliche Annäherung sehr gut kennen gelernt hat und daher auch ein sehr gutes Bild von all seinen Wesenszügen hat zeichnen können. Und dies ist – ich erwähnte es bereits – unheimlich interessant geschildert.

Zwei wichtige Voraussetzungen gilt es also vor dem Öffnen der Buchklappe erst einmal zu überdenken: Zum einen ist der Roman trotz Kitschtitel und romantischem Inhalt kein reines Frauenbuch, und zum anderen ist „Welche Wonne, dich zu finden“ kein weiteres Standard-Werk über den Musiker, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Kann man sich davon freimachen, bekommt man von Stephanie Cowell ein etwas andersartiges, indes sehr lesenswertes Portrait des damals in seiner Blüte stehenden Komponisten offenbart, mit dem sich Anhänger Mozarts auf jeden Fall mal beschäftigen sollten – zumal die dezent eingeflochtenen fiktiven Ansätze auch noch eine nicht zu verachtende Spannung hineinbringen. Gute, kurzweilige Unterhaltung ist also auf jeden Fall garantiert!

Dahl, Arne – Böses Blut

„Böses Blut kehrt wieder!“ So lautet das stetig wiederkehrende unheilvolle Credo dieses Krimis. Im Zentrum der Erzählung steht die sogenannte A-Gruppe, eine Spezialabteilung der schwedischen Polizei, welche sich auf „Verbrechen von internationalem Charakter“ spezialisiert hat. Allerdings liegt hier auch das anfängliche Hauptproblem der Gruppe, denn seit einiger Zeit mangelt es der Abteilung an Beschäftigung, weshalb bereits über eine bevorstehende Auflösung der A-Gruppe gemauschelt wird. Es ist schließlich der grausame Mord an einem bekannten schwedischen Literaturkritiker auf einem New Yorker Flughafen, welcher wieder Aktivität in die A-Gruppe bringt. So makaber es sein mag, ausgerechnet dieser Fall verspricht den Fortbestand der Abteilung sichern zu können. Es besteht nämlich der Verdacht, dass ein schon fast legendärer amerikanischer Serienkiller unterwegs nach Schweden ist.

Dies ist der Ausgangspunkt für „Böses Blut“. Es handelt sich hierbei um einen Kriminalroman mit sehr dichter Atmosphäre und der einen oder anderen überraschenden Wendung. Hierbei werden sowohl die Haupthandlung, die sich um die Jagd nach dem „Kentucky Killer“ dreht, als auch die Nebenhandlungen, die sich mit den jeweiligen Privatleben der Ermittler befassen, sehr spannend und faszinierend erzählt. Die Erzählweise ist besonders für einen Kriminalroman sehr niveauvoll. Lediglich gegen Ende der Haupthandlung wirkt diese ein wenig zu konstruiert. Allerdings ist dies die einzige Stelle des Romans, die, meiner Ansicht nach, zu bemängeln wäre.

Es gibt in diesem Roman letztlich keine Hauptfigur im eigentlichen Sinne, da mehrere Mitglieder des Teams genauer beleuchtet werden und dem Hörer einen kleinen Einblick in ihre Welt gewähren. Es ist allerdings unverkennbar, dass die Figur des Ermittlers Paul Hjelm sowohl am Anfang als auch am Ende der Handlung im Blickpunkt steht.

Das Hörbuch besteht aus insgesamt 6 CDs mit einer Gesamtspieldauer von 470 Minuten. Durch diese knapp acht Stunden wird der Hörer vom Sprecher Till Hagen begleitet, den man wohl am ehesten als Synchronstimme von Kevin Spacey kennen dürfte. Till Hagen trägt einen großen Teil zur hohen Qualität von „Böses Blut“ bei. Seine Sprechweise ist stets klar und gut verständlich, zudem gelingt es ihm, eine große Stimmvarianz einzubringen. Hagen gelingt es, die Stimmung über die gesamte Dauer des Hörbuchs aufrecht zu erhalten, indem er immer perfekt an die Erzählsituation angepasst bleibt.

Alles in allem ist „Böses Blut“ sehr empfehlenswert. Die Handlung ist für einen Kriminalroman zwar recht düster, aber keineswegs in übertriebenem Maße. Die gelungene Kombination aus einer ansprechenden Romanvorlage und einem hervorragenden Sprecher macht „Böses Blut“ zu einem sehr überzeugenden und eindrucksvollen Hörbuch, das lange im Gedächtnis bleibt.

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Officer, Charles / Page, Jake – Entdeckung der Arktis, Die

Was sind das nur für seltsame Menschen, die es hinaufzieht in eine Welt, die etwa so einladend ist wie die Rückseite des Mondes? Tatsächlich gibt es weitaus angenehmere Reiseziele auf der guten Mutter Erde, doch wie so oft darf man die (Neu-)Gier ihrer angeblich vernunftbegabten Bewohner nicht unterschätzen: Wo es schwierig bis unmöglich ist hinzugelangen, muss es ganz besonders interessant sein!

Seit zweieinhalb Jahrtausenden (!) zieht es daher den Menschen in den Norden, der damals noch bevölkert war (oder wurde) mit allerlei finsteren Gottheiten, Ungeheuern und anderen ungeselligen Zeitgenossen. Lässt sich die Geschichte der Arktisforschung angesichts einer solchen gewaltigen Zeitspanne auf weniger als 300 Seiten zusammenfassen? Wie wir sehen werden, geht es; vorzüglich sogar, wenn hinter der Feder jemand sitzt, der sein Handwerk versteht.

Hier sind es sogar zwei Autoren, die sich den Lorbeer teilen dürfen. Die Wissenschaftsjournalisten Charles Officer und Jake Page profitieren nicht nur von den Ergebnissen einer kundigen Recherche, sondern mindestens ebenso von ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit, die Fakten zu ordnen und auszuwählen. Das Ergebnis ist eine Darstellung, die sich in eine Einleitung, eine Vorgeschichte, einen dreiteiligen Hauptteil, ein Nachwort und einen Ausblick gliedert, die Erkundung der Arktis klipp und klar und vor allem überzeugend nachzeichnet und überdies fabelhaft zu lesen ist.

Besagte Einleitung führt in die Natur der Arktis ein, stellt auf wenigen Seiten Informationen über Klima, Relief, Tierwelt oder Meeresströmungen vor, die zu ergründen es Jahrhunderte entsagungsvoller Forschungen bedurft hatte und für die unsere Entdeckungsreisenden der Vergangenheit ohne Zögern ihren rechten Arm gegeben hätten. Wer meint, Officers & Pages Blitzseminar rieche zu sehr nach Kreidestaub, führe sich nur die Schwierigkeiten der Reiseplanung in einem Land vor Augen, in dem am Pol die einzige Himmelsrichtung der Süden ist und die Sonne entweder ein halbes Jahr wie angenagelt am Firmament hängt (= Sommer) oder im Winter dieselbe Zeitspanne durch völlige Abwesenheit glänzt (bzw. eben nicht) …

Im zweite Teil ihres Buches beschreiben unsere Autoren die notgedrungen recht lückenhaft bleibende Vorgeschichte der eigentlichen Arktiserkundungen. Mit der Überlieferung ist es so eine Sache; Naturkatastrophen, Kriege und die übliche menschliche Gleichgültigkeit im Umgang mit dem, was längst Verblichene zusammengetragen haben, lassen die Rekonstruktion der ersten beiden Jahrtausende nur teilweise gelingen. Immerhin wissen wir von wagemutigen Phöniziern, neugierigen Griechen und raublustigen Nordmännern, und in Gestalt der Brüder Zeno aus Venedig treten uns bereits zwei typische Repräsentanten einer ganz besonderen Gruppe von Forschungsreisenden entgegen: die Aufschneider und Lügenbolde, die geschickt die einstige Unendlichkeit der Welt nutzten, um von gefährlichen Fahrten und ruhmreichen Abenteuern zu „berichten“, die sich ausschließlich in ihrem Hinterkopf abgespielt hatten. Die Zenos markieren eine lange Reihe verdächtiger Arktisreisen, die ihren Höhepunkt sogar erst im 20. Jahrhundert finden sollten, wie wir weiter unten noch feststellen werden.

Etwa ab 1500 wurde es ernst mit der Arktisforschung, als sich zum Wissensdurst handfeste wirtschaftliche und militärische Interessen gesellten, die mit mehr als einem Spritzer Patriotismus garniert wurden. Die Briten, die Russen und die Skandinavier suchten nach einer Nordostpassage von der Nordsee zum Pazifik, weil es verständlicherweise mühsam und zeitaufwändig war, erst den gesamten afrikanischen Kontinent umrunden zu müssen, um dorthin zu gelangen. (Den Suez-Kanal gibt es erst seit 1869.)

Auf der amerikanischen Hälfte der Erde stand man vor einem ähnlichen Problem: Wollte man (im Osten startend) die Westküste Nordamerikas oder die lukrativen asiatischen Gewässer auf dem Seeweg erreichen, musste man eine riesige Außenkurve um Südamerika schlagen; schön, wenn es eine Abkürzung im Norden gäbe: eine Nordwestpassage. Auch hier waren es vor allem die Briten und die Skandinavier, die sich auf die Suche begaben (während die Nordamerikaner verständlicherweise den Standpunkt vertraten, es sei wesentlich einfacher, ein paar Hafenstädte an der Westküste zu errichten.)

Und als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beide Passagen endlich gefunden (und gleich wieder wegen ihrer witterungsbedingten Untauglichkeit für die Schifffahrt verworfen) worden waren, rückte das letzte Ziel in den Mittelpunkt des Interesses: der Nordpol, „höchster“ Punkt unseres Erdballs, eigentlich nur ein beliebiger Punkt in einer öden Landschaft, dessen Erreichen höchstens den sportlichen Ehrgeiz befriedigen konnte.

Den darf man allerdings nicht unterschätzen; ganz besonders nicht in einer Welt, in der Nationalstolz buchstäblich tödlich ernst genommen wird. Also stürmten sie los, die Polarexpeditionen aus (fast) allen Ländern der Nordhalbkugel. Die meisten kamen nicht einmal in die Nähe ihres Ziels; nicht wenige blieben (zur Freude der stets hungrigen Eisbären und Polarfüchse) für immer im hohen Norden.

Siehe da: Es erscheinen neben vielen ernsthaften Aspiranten wieder unsere Möchtegern-Arktisfahrer, deren prominentester Vertreter ausgerechnet der Mann ist, der den Nordpol im Jahre 1909 erreicht haben will. Tatsächlich weiß auch heute niemand so recht, ob Robert E. Peary das wirklich gelungen ist. Die Beweisdecke war denkbar dünn, Peary bemerkenswert wortkarg, die Anerkennung des Polsieges primär eine politische Entscheidung. In der Darstellung dieses äußerst dubiosen Kapitels der Entdeckungsgeschichte erreicht „Die Entdeckung der Arktis“ in der Tat die Qualitäten eines Kriminalromans, wie der sonst stets mit Misstrauen zu betrachtende Hochjubel-Profi „Kirkus Review“ auf dem Cover dröhnt.

Seidel, Jürgen – Harry Heine und der Morgenländer

_Der Autor_

Jürgen Seidel, geboren, 1948 in Berlin, lebte nach schulischer und handwerklicher Ausbildung drei Jahre in Australien und Südostasien, bevor er Germanistik und Anglistik studierte und 1984 promovierte. Seither arbeitet er als freier Autor und veröffentlichte Romane, Hörspiele und Rundfunkbeiträge. Bei |Beltz & Gelberg| sind bereits die Romane „Young Nick“, „Pickel“, „Clou & Woyzeck“, „Die Kopfrechnerin“ sowie zuletzt „Das Geheimnis um die Seelenpest“ erschienen.

_Story_

Düsseldorf, 1816: Der Tod der erst 18-jährigen Josefa Edel, genannt Sefchen, versetzt die Düsseldorfer Stadtväter in Panik. Einst haben sie sich selber des Nachts häufig an die junge Dame herangemacht, und nun ist Edel plötzlich tot. Damit erst gar niemand in den Verdacht gerät, mit der Sache in Verbindung zu stehen, wird der Todesfall auch schnell als Selbstmord abgehakt, so dass sich die mächtigen Herren in Sicherheit wiegen können.

Harry Heine und sein Freund Christian Sethe, beide im selben Alter wie die Verstorbene, wollen dem Urteil der Stadtväter aber nicht so recht Glauben schenken. Sie beginnen auf eigene Faust zu ermitteln und entdecken in der Kammer, in der Josefa gefunden wurde, einige Blutspuren, die auf ein Gewaltverbrechen hindeuten. Ihr Handeln bleibt jedoch von den einflussreichen Bürgern der Stadt nicht unbemerkt. Ihr Zorn und die Angst, dass die wahren Hintergründe von Sefchens Tod an die Öffentlichkeit gelangen, wird den beiden Jungen zum Verhängnis. Noch bevor Christian und Harry weitere Nachforschungen anstellen können, begeben sie sich in große Gefahr. Und dabei wollte der junge Heine lediglich ein spannenderes Leben führen als das seines jüdischen Vaters, der seit jeher als Tuchhändler seinen Unterhalt sichert …

Der Verlag |Beltz & Gelberg| scheint ein ausgesprochenes Faible für den berühmten deutschen Dichter Heinrich Heine zu haben. So erschien mit „Heine ist gut“ vor nicht allzu langer Zeit bereits bereits ein Buch, das sich mit dem Werk des einflussreichen Poeten auseinander setzte. Jürgen Seidel hingegen geht bis in die Jugendjahre Heines zurück und beschreibt in „Harry Heine und der Morgenländer“ den Zwiespalt, in dem sich der junge Heine befindet. Obwohl er seinen Vater liebt, möchte er nicht in dessen Fußstapfen treten. Er sieht sich zu Höherem berufen, ist sich aber noch nicht schlüssig, wohin ihn der Weg führen soll.

Daher kommt ihm der Fall mit der offenbar ermordeten jungen Frau gerade recht. Heine und sein Freund Christian vermuten, dass sich in den einflussreichsten Kreisen der Stadt Düsseldorf Geheimnisvolles abspielt und Josefa Edel lediglich das Opfer gemeiner, hinterhältiger Intrigen geworden ist. Jedoch fehlt es den beiden zunächst an Beweisen, so dass vor allem Heine seiner Phantasie freien Lauf lassen und sich nicht nur als Ermittler behaupten kann. Sein Gespür und sein Scharfsinn bringt das Ermittlerduo schließlich auch auf die richtige Fährte, gleichzeitig aber auch in große Gefahr.

Nicht nur einmal bekommen Christian und Harry zu spüren, dass der Einfluss der Obersten noch weiter reicht, als diese sich das ausgemalt hätten. Und damit wird Harrys gedanklicher Zwiespalt noch größer: Ist er wirklich zum Abenteurer berufen? Gibt ihm seine weit reichende Phantasie tatsächlich die Bestätigung, ein Leben als Dichter zu führen? Oder sollte er doch besser ein herkömmliches Leben als Kaufmann führen?

Jürgen Seidel hat in diesem Roman zwei sehr schön miteinander harmonierende Handlungsstränge aufgebaut, bei denen vor allem der Charakter des jungen Heine sehr schön herausgebildet wird. Harry ist ein sehr gebildeter Junge und in vielerlei Hinsicht ein Naturtalent, dem nur manchmal das erforderliche Selbstvertrauen fehlt. Dies jedoch kann er im Zuge des ‚Kampfes‘ gegen die Stadtväter mehr und mehr für sich beanspruchen. Er wird zielstrebiger und entscheidungskräfiger, entschlossener und in seiner Position stärker und kann sich letzten Endes sowohl gegen die eigenen Zweifel als auch gegen die mächtigen ‚Gegner‘ durchsetzen.

Die zweite Handlungseinheit besteht natürlich aus dem Kriminalroman an sich, und auch hier hat der Autor in der Kürze der Seitenzahl ganze Arbeit geleistet. „Harry Heine und der Morgenländer“ liegt ein sehr schöner Spannungsaufbau zugrunde, der mit Highlights und geschickten Wendungen nicht geizt. Man hat zwar eine gewisse Vorahnung, was die Entwicklung und die von Heine und Sethe ersuchte Wahrheit anbelangt, doch man kann sich trotz allem nie sicher sein, ob Seidel den gradlinigen Ablauf der Geschichte nicht urplötzlich durch eine überraschende Richtungsänderung unterbricht.

Hierbei wird allerdings auch klar, dass der Autor trotz des historischen Hintergrunds ganz klar ein jugendliches Alter mit diesem Buch anvisiert. Es geht nämlich auch hier um den so oft zitierten Kampf zwischen Bürgertum (verkörpert durch die dementsprechend junge Figur des Harry Heine) und Machthabenden (hier durch ein bekanntes Gremium wie die Stadtobersten vertreten), der durch seine etwas vereinfachte Darstellung auch für jüngeres Publikum bestens geeignet ist. Zudem sind die beiden Jugendlichen, die sich hier den Stadtvätern widersetzen, natürlich tolle Identifikationsfiguren und in ihrem Handeln auch echte, waghalsige Helden, die sich durch nichts wirklich einschüchtern lassen.

Im Grunde genommen spricht Jürgen Seidel mit „Harry Heine und der Morgenländer“ aber mehrere Generationen an; die einen werden sich lediglich an der Kriminalgeschichte laben, die anderen werden die Vermischung aus fiktiver Erzählung und historischen Fakten genießen. Und aus diesem Grunde kann man dem Autor auch nur dazu gratulieren, ein schönes, spannendes, buntes und hinsichtlich der Dramaturgie ziemlich kompaktes Buch geschrieben zu haben, das ich an dieser Stelle auch nur weiterempfehlen kann!

|Empfohlen ab 14 Jahren|
[Beltz: Gulliver]http://www.beltz.de/gulliver/index.htm