_Zweifelhafte Auswahl: Die Helden von Bern und andere Denkmäler_
Dieses Buch wendet sich „an alle echten Helden zwischen 8 und 88“, tönt die Verlagsinfo. Hier werde von „klugen Köpfen, Ketzern, Kämpfern, Kaisern und Kindsköpfen“ berichtet. Tatsächlich stellt das „Handbuch“ 46 Personen und vier Organisationen vor, die sich für das Gute einsetzten oder große Eroberungen und Entdeckungen machten. Die Aufmachung des Buches entspricht dem der Bücher „Dangerous Book for Boys“ und „Secret Book for Girls“.
Der Verlag empfiehlt das Buch ab 10-11 Jahren.
_Die Autoren_
Selbstbeschreibung: „Ian und Jeff Kennedy hatten schon als Kinder auf dem Schulhof die Helden gespielt und wären am liebsten Entdecker oder Astronaut geworden. Oder Indianerhäuptling oder Freiheitskämpfer. Am besten alles auf einmal. Gerne hätten sie mehr über Helden gelesen, doch ein Buch wie dieses gab es nicht. Helden sind sie nicht geworden, dafür aber Schriftsteller, die über Helden schreiben können. Und genau das haben sie getan. Ian und Jeff Kennedy hatten schon als Kinder auf dem Schulhof die Helden gespielt und wären am liebsten Entdecker oder Astronaut geworden. Oder Indianerhäuptling oder Freiheitskämpfer. Am besten alles auf einmal. Gerne hätten sie mehr über Helden gelesen, doch ein Buch wie dieses gab es nicht. Helden sind sie nicht geworden, dafür aber Schriftsteller, die über Helden schreiben können. Und genau das haben sie getan.“
_Inhalt_
Die Autoren sagen: „Wir wollen in diesem Handbuch all jene feiern, die für das Gute gekämpft haben – oder das, was sie dafür hielten -, zu neuen Horizonten aufbrachen, faszinierende Entdeckungen machten, spektakuläre Taten vollbrachten und zu Lebzeiten die Grenzen des Bekannten neu vermaßen.“ Man merkt schon, dass diese Kriterien für eine ganze Menge Leute zutreffen könnten.
|Die Entdecker|
Dass sich Christoph Columbus, Marco Polo und Robert F. Scott unter den Entdeckern befinden würden, war eigentlich zu erwarten. Blöd finde ich es aber doch, dass nicht Amundsen als erster Eroberer des Südpols aufgenommen wurde, sondern Scott, der das Wettrennen gegen ihn verlor. Scott ist durch seinen Tod eben ein tragischer Held geworden, Amundsen steht als Abräumer da.
|Die Eroberer|
Julius Caesar und Alexander den Großen unter die Helden aufzunehmen, ist schon ziemlich kühn. Was war denn ihr Verdienst? Sie eroberten große Gebiete für ihre jeweiligen Imperien, führten eigene Standards ein – sogenannte Zivilisation – und gründeten jede Menge Städte. Doch Caesar wurde bekanntlich ermordet, bevor er Imperator werden konnte, und der Imperator Alexander fiel einem Fieber zum Opfer – dumm gelaufen. Aber auch heldenhaft? Ich habe da meine Zweifel.
|Wissenschaftler und Forscher|
Madame Curie ist für mich eine echte Heldin. Als Marie Sklodowska nach Paris kam, forschte sie als eine der ersten Frauen überhaupt im Bereich der Physik und der Chemie. Zusammen mit ihrem Mann Paul Curie erforschte sie das Element Radium und postulierte eine Kraft, die sie „Radioaktivität“ nannte. Sie erhielt zweimal den Nobelpreis, einmal in der Physik, einmal in der Chemie, und befindet sich damit im extrem exklusiven Klub der Doppelpreisträger. Klar, dass ihr ihre Umwelt das Leben schwer machte. Lise Meitner, eine der Pionierinnen der Atomkraft, erging es nicht besser.
Dass Wernher von Braun ein Held sein soll, will mir nicht einleuchten. Der Ingenieur, der für die Nazis die V2-Rakete baute, trug zum Tod von vielen Menschen in den V2-Zielorten bei, besonders in London. Auch der Bau selbst kostete unzählige Sklavenleben in Mittelbau Dora. Okay, seine späteren amerikanischen Raketen brachten Menschen zum Mond und er wollte auch Männer zum Mars schicken, aber das wiegt seine Verbrechen wohl kaum auf. Kein Wunder, dass ihm Neil Armstrong als erster Mann auf dem Mond an die Seite gestellt wird, denn beide sollen angeblich den Herrschaftsbereich des Menschen erweitert haben. Ob das so eine gute Sache ist, bezweifle ich.
|Widerstandskämpfer|
Spartacus, Chief Crazy Horse, Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoeffer, Nelson Mandela, Die Weiße Rose und Jeanne d’Arc – sie alle waren Widerstandskämpfer, sei es gegen die Sklaverei, Landräuber, die Kolonialmacht, gegen die totalitären Unterdrücker oder gegen die Besatzer des eigenen Landes. Dies kann man voll unterschreiben. Und dies ist auch die Gruppe von „Helden“, die immer wieder ein Denkmal gesetzt bekommen sollten, sei aus Stein oder Zelluloid. Ihr Ideal ist die Freiheit.
|Glaubenskämpfer|
Jeanne d’Arc starb als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen, nicht als Widerstandskämpferin. Dennoch ist sie auch eine Glaubenskämpferin gewesen, denn sie kämpfte im Namen des katholischen Glaubens gegen die Engländer. An ihre Seite stellt das Buch Martin Luther, aus offensichtlichen Gründen, aber auch Jan Hus, ein Theologe und Reformator, den heute kaum noch jemand kennt. Ob auch Martin Luther King hierher gehört, weiß ich nicht, denn er ist auch als Freiheitskämpfer bekannt – er erhielt den Friedensnobelpreis. Ihr Ideal ist die Freiheit des Glaubens.
|Frauen|
Auch Frauen mussten gegen jede Menge Widerstände kämpfen. Hier sind Kleopatra, die auch ihr Land gegen Rom verteidigte, Katharina die Große, Mata Hari, die Spionin, die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges sowie die Suffragette Emmeline Pankhurst (1858-1928) aufgeführt. Ihnen zur Seite stehen so unterschiedliche Figuren wie Mutter Teresa, Florence Nightingale – Vorbild sämtlicher Krankenschwestern in aller Welt – und zum guten Schluss sogar die zwei Piratinnen Anne Bonny und Mary Read. Ich weiß ja nicht, was so heldenhaft am Erschießen von Matrosen und dem Raffen von Beute sein soll, aber die beiden mussten sich offensichtlich in einer rein männlichen Umgebung behaupten, was sie offenbar auch lange Zeit schafften.
|Organisationen|
Die Weiße Rose habe ich bereits bei den Widerstandskämpfern erwähnt. Die Ärzte ohne Grenzen sind als Helden für die Verpflegung und Heilung von Katastrophenopfern ebenfalls wichtig. Dass auch die Gegner der McCarthy-Verfolgung hier aufgeführt werden, verwundert ein wenig, aber sie zeichneten sich gewiss durch Zivilcourage aus, als sie gegen Senator Joe McCarthy ihre eigene Position verteidigten. Dass die deutsche Fußballnationalmannschaft von 1954 in diesem Rahmen aufgeführt würde, war zu erwarten: „Die Helden von Bern“ stehen schon längst auf dem Sockel des Heldentums.
|Kindsköpfe|
Hier ist sicherlich Karl May aufzuführen, der sich als Dieb und Hochstapler versuchte und damit im Knast landete. Als Lohnschreiber von Liebesromanen begann er mit 31, einen ehrlichen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst mit Reiseerzählungen über Helden erlangte er weithin Erfolg. Doch die Vergangenheit holte ihn wieder ein, als er zu viel verdiente. In hohem Alter erst predigte er Frieden und Aussöhnung, in seinen Romanen und in einem denkwürdigen Vortrag 1912, den die spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner hörte. Als weitere Kindsköpfe könnten sich Howard Hughes und Charles Lindbergh sowie Ian Fleming, der Erfinder des James Bond, qualifizieren.
_Mein Eindruck_
Jeder der 50 Artikel ist relativ gleich aufgebaut. Das Heldenhafte des hier Ausgezeichneten oder seiner Organisation muss sich aus seiner Biografie ergeben. In dieser zeigen sich seine entsprechenden Aktivitäten, um als Beleg zu dienen. Selbst wenn dies bedeutet, solche Verbrechen wie Diebstahl und Hochstapelei aufzuführen, wie es bei Karl May der Fall ist. Meist klappt das Prinzip jedoch, und die Artikel über Madame Curie und Emmeline Pankhurst beeindruckten mich besonders.
Zu jedem Artikel ist Begleitmaterial hinzugefügt, meist ein oder zwei Fotos, ein Literatur- oder Filmhinweis – nach dem Motto: „Wie es weiterging“. So wird die Wirkung der Heldin oder des Helden beschrieben, was wiederum als Beleg für die Bedeutung der Person oder Organisation dient.
Mit leuchtet diese Verfahrensweise der Autoren sofort ein, denn nichts ist anschaulicher als eine Lebensgeschichte, um ein Problem oder eine Heldentat zu beleuchten, sei es ein Befreiungskampf, eine Entdeckung, der Kampf um Freiheit und Frauenrechte. Und was könnte für einen jungen Leser inspirierender sein als so ein leuchtendes Vorbild, wie es ihm und ihr hier vorgestellt wird?
Womit ich ein Problem habe, ist lediglich die Auswahl der Helden. Müssen Massenmörder wie Napoleon Bonaparte, Julius Caesar, Alexander der Große und Wernher von Braun wirklich als Vorbild dienen? Ich bin damit nicht einverstanden. Na, wenigstens werden Piraten wie Francis Drake, der England vor der Spanischen Armada rettete, oder Landräuber wie Francisco Pizarro nicht mehr, wie in meiner Kindheit, als Helden hingestellt.
Es gibt sicherlich eine Menge Leute, die im erlauchten Kreis der Top Fifty fehlen, so etwa Leif Eriksson, der erste Entdecker Amerikas, oder Albert Schweitzer, immerhin ein Friedensnobelpreisträger. Der Nobelpreis ist bei erstaunlich vielen „Helden“ ein Auswahlkriterium, so etwa für Nelson Mandela und Martin Luther King, für Madame Curie und andere.
|Fehler|
Im Artikel für Abraham Lincoln, den Sklavenbefreier, ist auf Seite 41 ein Bild enthalten, das nicht Lincoln, sondern George Washington am Mount Rushmore zeigt. Peinlich.
Auf Seite 22 ist in einer Karte das westliche Mittelmeer dargestellt, um das sich Karthago und die Römer in drei Kriegen stritten. Leider haut die Legende für die Karte überhaupt nicht hin, denn die schraffiert dargestellten Gebiete sind nicht der „Machtbereich Roms“, sondern der von Karthago, und die horizontal schraffierten Gebiete sind nicht der „Machtbereich Karthagos“, sondern der von Rom. Megapeinlich.
Auf Seite 169 findet sich ein weiterer kleiner Fehler im Kasten über Mahatma Gandhis Medienwirkung. Da ist die Rede von einem Regisseur namens „Richard Atten Borough“ (Sir Richard Attenborough), immerhin ein OSCAR-Preisträger. Na ja. Solche Fehlerchen werden dann hoffentlich in der zweiten Auflage bereinigt.
_Unterm Strich_
Die Autoren schreiben, was für sie Helden sind: „Leute, die sich was trauten, was vor ihnen keiner gewagt hat, und sich für Sachen ohne Wenn und Aber einsetzten, an die sie glaubten. Und sie haben damit den Lauf der Geschichte geprägt.“ Diese Definition trifft sicher für Eroberer, Entdecker, Erforscher und jede Menge Kämpfer für Freiheit, Rechte und Wahrheit zu, aber warum wurden dann auch Ian Fleming und Karl May in diesen illustren Kreis aufgenommen? Ganz einfach: Sie schufen künstliche Helden. Winnetou und James Bond sind aus der Kulturgeschichte nicht mehr wegzudenken, und es sind wohl die Ideale, für die sie kämpften, die ihre Schöpfer als Heldengestalten qualifizieren.
Ich fand manche der 50 Artikel recht interessant und sogar faszinierend – denn informativ und anschaulich sind sie alle. Das waren die Geschichten über Marie Curie, Lise Meitner, die Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst, Karl May und Häuptling Crazy Horse (Stichwort „Schlacht am Little Bighorn“ 1876). Manche Personen wie die Spionin Mata Hari waren mir nur schemenhaft bekannt und manche wie die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges gar nicht. Hier konnte auch ich noch einiges lernen. Und wenn man jungen Menschen solche geschichtlichen und biografischen Informationen gibt, finde ich das eine gute Sache, denn es trägt zu ihrer geistigen Bildung bei.
Die Aufmachung des Buches entspricht dem der Bücher „Dangerous Book for Boys“ und „Secret Book for Girls“. Das Buch ist also sehr stabil, reich illustriert und für den Gebrauch durch Kinderhände prädestiniert. Es fehlen lediglich ein paar freie Flächen, in die junge Leser eigene Gedanken hineinschreiben könnten.
Wenn die Fehlerchen, die ich in Text, Foto und Kasten gefunden habe, in der zweiten Auflage ausgemerzt würden, so wäre das sehr begrüßenswert.
|304 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-570-13799-4|
http://www.cbj-verlag.de