Michael McCollum – Lebenssonden

Die Menschheit ist nicht die einzige intelligente Spezies im Weltraum. Die „Schöpfer“ entdeckten, lange bevor der Mensch überhaupt existierte, zahlreiche andere intelligente und hoch entwickelte Rassen, doch mit keiner konnte man wirklich kommunizieren, eine gemeinsame natürliche Barriere trennte alle Rassen: Die Lichtgeschwindigkeit.

Selbst die schnellsten Raumschiffe und Funksignale benötigen Jahrhunderte oder gar Jahrtausende, um viele Lichtjahre entfernte Planetensysteme zu erreichen. Seit mehreren hunderttausend Jahren entwickelt man sich technologisch weiter, aber der Traum, schneller als das Licht zu fliegen, bleibt eine Utopie. Schließlich wird die Frage, ob es möglich ist, schneller als das Licht zu fliegen, existenziell: Die Rohstoffe im System der Schöpfer werden knapp. Man startet das Projekt der LEBENSSONDEN, die nur eine Aufgabe haben, nämlich Kontakt zu anderen Spezies herzustellen, ihre Erkenntnisse zu speichern und zurückzubringen. Man erhofft sich davon entscheidende Impulse in der Forschung; Kontakte mit anderen Rassen führten in der Vergangenheit oft zu Quantensprüngen in der technologischen Entwicklung. Im Idealfall würde eine Sonde eine Rasse mit überlichtschnellem Antrieb entdecken und mit dieser, sofern sie ihr nicht als Bedrohung der Schöpfer erscheinen, ins Geschäft kommen.

Michael McCollum – Lebenssonden weiterlesen

Millet, Catherine – sexuelle Leben der Catherine M., Das

Es scheint, als ob es modern sei, sein Sexualleben der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Bereits vor der „sizilianischen Lolita“ Melissa P. hat die französische Kunstkritikerin und Chefredakteurin einer Kunstzeitschrift Catherine Millet ihren Rückblick auf die wilden Jahre mit dem Titel „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ veröffentlicht.

Da ich das Buch im Kontext mit den Werken der kleinen Italienerin las, kam ich nicht umhin, beide zu vergleichen. Ist das gerecht? Schließlich bestehen beinahe vierzig Jahre Altersunterschied zwischen den beiden und dementsprechend gesetzter und weiser kann Madame Millet über ihre Eskapaden schreiben.

Was allerdings nicht zwangsläufig bedeuten soll, dass ihr Buch spannender ist. Inhaltlich hat es beinahe noch weniger zu erzählen als „Mit geschlossenen Augen“, wo wenigstens etwas Abwechslung vorkommt. Der Fokus von Catherine Millets Sexleben liegt hauptsächlich auf (analem) Verkehr in allen möglichen Varianten und Orten mit einer variierenden Anzahl von Männern und Frauen.
Glücklicherweise erzählt sie nicht chronologisch, sondern nach Themen geordnet, was immerhin ein wenig Abwechslung schafft. Außerdem erzählt sie mit einer angenehmen Distanz, die es ihr erlaubt, subjektiv zu werten und zu kommentieren. Es findet sehr viel Selbstreflexion statt, ohne selbstzerstörerisch oder unaufrichtig zu wirken. Im Gegenteil. Millet erzählt ohne Scham und Reue von ihrem früheren Sexualleben und wirkt trotz des expliziten Inhalts reif und selbstbewusst.

Dazu trägt sicherlich bei, dass Millet sich nicht auf die bloße Beschreibung der Szenen verlässt, sondern sie teilweise in einen allgemeineren Kontext setzt, mit der Meinung der Gesellschaft vergleicht oder gar eine kleine psychologische Selbstanalyse wagt. Wie gesagt, das trägt dazu bei, dass „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ sehr interessant wird, aber auch sehr sympatisch. Manchmal hat man eher das Gefühl, persönlich ein Interview mit der Autorin zu führen als eine Autobiografie zu lesen. Einige Stellen werden fast schon philosopisch, wenn sie zum Beispiel darüber redet, was Paarbeziehungen in ihren Augen ausmacht.

|“Aus diesen Notizen ziehe ich zwei Schlüsse. Erstens bringt ein jeder in seine Paarbeziehung seine eigene Begierde und seine Fantasien ein, und beide verbinden sie in gemeinsamen Angewohnheiten. Dabei verändern sie sich, passen sich einander an, je nach der von jedem Einzelnen erwarteten Konkretisierung übertreten sie die Grenze zwischen Traum und Realität, ohne an Intensität zu verlieren.“| (Seite 151)

Wie man sieht, erzählt Millet in einer geradlinigen, nüchternen Sprache, die weniger wie Prosa denn manchmal sogar wissenschaftlich wirkt. Das verstärkt das Gefühl der Distanz natürlich noch. An der Art, wie sie mit der Sprache umgeht, ohne dabei hochgestochen zu klingen, aber trotzdem ein hohes Niveau zu halten, erkennt man, dass sie sich durch ihre Arbeit als Chefredakteurin damit auskennt, den Leser zu unterhalten, ihn zu fordern, aber nicht zu überfordern. Ich empfand diesen Schreibstil als sehr gelungen, da er leicht verständlich, aber dennoch intellektuell ist.

Das Buch wurde bei seinem Erscheinen heiß diskutiert. Millet selbst gibt im Vorwort einen Einblick in die Diskussionen, die sie auslöste. Millet als „Schlampe“ oder „Nymphomanin“ (Seite 16) zu bezeichnen, kann ich nicht so ganz nachvollziehen, denn wer dermaßen distanziert über seine Erlebnisse schreibt, wirkt alles andere als vulgär, sondern vielmehr intelligent. Eben gerade die Selbstreflexion und die nüchterne Erzählweise bar aller reißerischen Beschreibungen lassen „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ eher zu einem akademischen Bericht als zu Pornografie werden.

Doch auch wenn ich das Buch in diesem Bezug in Schutz nehme – das tröstet nicht darüber weg, dass viele Wiederholungen und nur wenig konkreter Inhalt es stellenweise zu einem zähen Leseerlebnis werden lassen. Selbst der sympathische Schreibstil hilft da nicht immer. Trotzdem liest sich „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ wesentlich angenehmer als die Sexbeichte unserer kleinen „sizilianischen Lolita“ – und hat auch wesentlich mehr Seiten!

W. J. Maryson – Die Türme von Romander (Der Unmagier 1)

Was hat, klischeehaft betrachtet, das Land der Tulpen, Mühlen, Holzschuhe und Dutzenden Käsesorten noch zu bieten? Ja tatsächlich, einen Fantasyautor, der es bis zu einer deutschen Veröffentlichung geschafft hat. Das erstaunt umso mehr, wenn man sich einmal die lange Liste der Romanübersetzungen ansieht. Neunzig Prozent etwa stammen aus dem amerikanischen oder britischen Raum. Nur für wenige Ausnahmen aus den skandinavischen Ländern oder Exoten aus Ostasien ist da Platz. Warum also hat es der Holländer W. J. Maryson, der es mit |Die Legenden vom Meistermagier| bereits auf eine Trilogie gebracht hat, mit seinem neuen Roman „Die Türme von Romander“ erneut geschafft? Handelt es sich hier nur um ein neues Verlagskonzept oder kann der Auftakt der |Unmagier|-Trilogie seinem außergewöhnlichen Status gerecht werden?

_Inhalt_

W. J. Maryson – Die Türme von Romander (Der Unmagier 1) weiterlesen

Philip Akoto – Menschenverachtende Untergrundmusik? Todesfaszination zwischen Entertainment und Rebellion am Beispiel von Gothic-, Metal- und Industrialmusik

Gothic -, Metal- und Industrialmusiker haben eine große Gemeinsamkeit: Sie alle hantieren viel und gern mit der Ästhetik des Grauens, besingen Tod, Gewalt und Mystizismus und vertonen mehr oder weniger imaginäre Horrorszenarien. Dies treibt erklärte Gegner aus Politik, Theologie und Pädagogik traditionell auf die Barrikaden. Für sie handeltet es sich um pietätlose Effekthascherei: sowohl geschmack- als auch inhaltslos. Fans und Musiker hingegen fühlen sich missverstanden und zu Unrecht verteufelt. (Verlagsinfo)

Provokation und Rockmusik gehen seit jeher Hand in Hand, sind fast untrennbar miteinander verbunden und wirken bis zu einem gewissen Grad sogar unmittelbar zusammen. Die Kombination aus lauten, elektrisch verstärkten Gitarren und einer womöglich extravaganten visuellen Umsetzung ist prädestiniert, revolutionäre, anarchistische oder einfach nur oppositionelle Ideen zu kommunizieren, wovon letztlich tausendfach Gebrauch gemacht wurde und auch weiterhin wird. Welche musikalische Kunstform eignete sich auch besser, um moralische Wertvorstellungen auf die Probe zu stellen und verkrustete Systeme aufzubrechen? Zeige ein ungewöhnliches Verhalten, und es wird dir Aufmerksamkeit zuteil.

Waren es früher die lasziven Hüftschwünge des Elvis Presley oder der exzessiv vor- und ausgelebte „Sex, Drogen & Rock ’n‘ Roll“-Lebensstil von Bands wie THE WHO oder THE ROLLING STONES, die Stürme der Entrüstung heraufziehen ließen, so müssen die Extreme heutzutage deutlich weiter ausgelotet werden, um eine Gegenreaktion hervorzurufen – sollte man meinen. Doch gerade die Beispiele aus der jüngsten Geschichte zeigen, dass dem nicht unbedingt so ist. Wenn es den Finnen LORDI gelingt, nur aufgrund einer Horrormaskierung Boykottaufrufe zu provozieren, muss man konstatieren, dass sich trotz eines nicht unerheblichen Gesellschaftswandels innerhalb der letzten fünfzig Jahre offenbar nicht viel verändert hat.

Alles nur Schein?

Es stellt sich nun die Frage, was bleibt, wenn man eine auf Äußerlichkeiten und Entertainment fixierte Band wie LORDI oder die in ihrem Streben nach Aufmerksamkeit deutlich weiter gehende Death-Metal-Band CANNIBAL CORPSE hinterfragt hat. Gibt es ein Konzept, das die Provokation übersteigt und die Außendarstellung dieser Gruppen über den bloßen Unterhaltungsfaktor erhebt? Oder allgemeiner formuliert: Beherbergt die heutige Rock- und Metalszene Musiker, die mit ihrer Kunst eine wie auch immer gelagerte Veränderung anstreben?

An diesem Punkt setzt der analytische Teil des vorliegenden Buches an. Am Beispiel verschiedener Bands aus dem Gothic-, Industrial- und Thrash/Death/Black-Metal-Bereich beleuchtet Autor Philip Akoto die Ideologie (sofern vorhanden) bzw. Motivation der betreffenden Musiker, mit dem Ziel, ihnen Subversion nachzuweisen oder abzusprechen. Ein grundlegender Aspekt seiner Untersuchung ist dabei der von Wolfgang Sterneck (u.a. Schriftsteller und Gründer des KomistA-Verlages) geprägte Begriff der „konsequenten Musik“, wonach Bands nur als subversiv zu bezeichnen sind, wenn sie ein politisches Bewusstsein haben und danach handeln, um letztlich die erwähnte (soziale) Veränderung anzustreben.

Dass Konsequenz auch zu Kontroversen führt und ernst zu nehmende Subversion von unterschiedlicher Qualität sein kann bzw. auf unterschiedlichen Ebenen abläuft, zeigen alle von Akoto detailliert untersuchten Gruppen. Während sich die amerikanische Death-Metal-Band CATTLE DECAPITATION entsprechend ihrer aggressiven Musik drastischer textlicher und visueller Mittel bedient, um eine vergleichsweise simple Vegetarismus-Botschaft zu verbreiten, und die dem Gothic-Bereich entstammenden THANATEROS ein spirituelles Schamanismus-Konzept präsentieren, gehen die Industrial-Band THE GREY WOLVES und die schwedische Death/Black-Metal-Band DISSECTION globaler, totalitärer und vor allem politisch fragwürdiger vor. Liefern die sich selbst als Kulturterroristen bezeichnenden Briten THE GREY WOLVES bereits durch die Benennung nach der rechtsradikalen türkischen Terrorgruppe eine Diskussionsgrundlage, kokettieren sie darüber hinaus auch offen mit faschistischer Symbolik, sehen dies allerdings nur als Teil eines anarchistischen Verwirrungsplans. Was die Engländer mit DISSECTION respektive ihrem Sänger und Gitarristen Jon Nödtveidt verbindet, ist eine ihrem Handeln zugrunde liegende Agenda. Einmal handelt es sich dabei um das „Cultural Terrorist Manifesto“, das THE GREY WOLVES als Orientierung dient, während Nödveidt zu den Mitbegründern des „Misanthropisch-luziferischen Ordens“ gehört. Diese Organisation fasst ihre Ideologie in den sogenannten „Satanic Aphorisms“, einem 24 Punkte umfassenden Regelwerk zusammen.

All diese Hintergründe wurden von dem seit 1998 als freier Musikjournalist tätigen Philip Akoto sorgfältig recherchiert, und der Leser könnte sich alleine mit den verschiedenen Quellenangaben wochenlang beschäftigen. Allerdings enthält auch das ursprünglich als Magisterarbeit eingereichte Buch bereits eine Fülle von Informationen, die wissenschaftlich-sachlich aufbereitet und verarbeitet werden.

Das Spiel mit morbider Ästhetik

Neben den konkreten Fallbeispielen werden im ersten Teil des Buches die Verbindungen zwischen den verschiedenen Subkulturen untersucht, wobei Akoto vor allem auf die Darstellung von Tod und Gewalt eingeht, die sich wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Szenen zieht. Dabei liegt das Augenmerk nicht ausschließlich auf dem Musikbereich. In kurzen Exkursen wird der Umgang mit dem Thema Tod in TV-Sendungen, Filmen und der Literatur nachgezeichnet. Und insbesondere die letzten beiden Bereiche dienen den Metal-, Gothic- und Industrial-Genres als Inspiration, was unzählige Texte und Plattencover reflektieren.

Fazit

„Menschenverachtende Untergrundmusik?“ bietet auf 117 Seiten eine qualitativ hochstehende Untersuchung des Subversionspotenzials der Industrial-, Metal-, und Gothic-Musik vor dem Hintergrund des (vermeintlich) gleichgültigen Umgangs bzw. der wahllosen Darstellung von Gewalt und Sterben. Darüber hinaus straft es jene Kritiker lügen, die den betrachteten Kunstformen von vorneherein Inhaltslosigkeit vorwerfen. Deutlich wird allerdings auch, dass das Verhältnis von Entertainment zu Inhalt klar zu ungunsten des letztgenannten Aspekts ausfällt und sich zu viele Bands mit bloßer Provokation zufrieden geben.

117 Seiten
ISBN-13: 9783933060211

http://www.telos-verlag.de/

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Edmondson, Elizabeth – Lady Helenas Geheimnis

|Lake District, Nordengland im Jahr 1936. Eigentlich wollte sich Alix nie wieder unter die Fuchtel ihrer herrischen Großmutter begeben, die ihr die Jugend zur Hölle gemacht hat. Doch nun ist bald Weihnachten, Alix‘ Herz wurde gerade gebrochen und London erscheint ihr täglich trister und unerträglicher. Als sie dann hört, dass im Norden die Seen zufrieren und man dort Schlittschuh laufen kann ist, gibt es kein Halten mehr. Alix beschließt heimzufahren – auch weil sie endlich das Rätsel um den Tod ihrer Mutter lösen will. Lady Helena kam ums Leben, als Alix acht Jahre alt war und seitdem darf ihr Name im ehrwürdigen Gemäuer von Wyncrag kaum mehr erwähnt werden. Zu Hause angekommen, stößt Alix wieder auf eine undurchdringliche Mauer des Schweigens. Alix ist enttäuscht. Nicht einmal ihr vergötterter Zwillingsbruder Edwin will ihr helfen – er ist viel zu sehr in die aus Wien geflohene Musikerin Lidia verliebt, um Augen und Ohren für ein fünfzehn Jahre altes Geheimnis zu haben. Gut, dass Alix wenigstens in dem eleganten Weltmann Hal, der auf dem benachbarten Landsitz zu Besuch ist, einen Verbündeten findet. Die beiden jungen Leute ahnen nicht, dass ihre Wahrheitssuche auch einige böse Geister der Vergangenheit heraufbeschwört und ihr harmloses Detektivspiel ungeahnte Folgen hat …|

_Die Autorin:_

Ihr wundervoll beschreibender Stil ist Elizabeth Edmondson in die Wiege gelegt, denn die Autorin kommt aus einer Schriftstellerfamilie. Und nicht nur das. Ihr Roman spielt vor den Kulissen der eigenen Kindheit, in der sie die Ferien im Haus ihrer Großeltern an den Seen von Westmoreland verbrachte. Durch die Geschichten ihres geliebten Großonkels und Schnappschüsse vom winterlichen Treiben auf den zugefrorenen Seen des Lake District wurde Elizabeth Edmondson zu »Lady Helenas Geheimnis« inspiriert. Sie lebt heute in Italien und England, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

_Die Übersetzerin:_

Elvira Willems, geboren 1961, studierte Germanistik und Komparatistik (M.A.). Sie ist als Lektorin, Übersetzerin, Sachbuch-Autorin und Krimi-Herausgeberin tätig.

_Rezension:_

Elizabeth Edmondson ist es mit „Lady Helenas Geheimnis“ gelungen, den schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Familiensaga mit Lokalkolorit und Zeitgeschehen zu beschreiten. Auf über 550 Seiten schildert sie unterhaltend und kurzweilig die Famliengeschichten der Richardsons auf Wyncrag und der Grindleys auf Grindley Hall. Zwei Familien und Anwesen, die miteinander verstrickt sind. Dabei wird die Geschichte der Richardsons von dem dunklen Schatten der Vergangenheit überdeckt.

Die Handlung wird von interessanten und starken Frauen geprägt. Da ist Alix Richardson, die zwar beruflich erfolgreich ist, aber ihre innere Mitte noch nicht gefunden hat. Sie steht im „Clinch“ mit der eigentlich starken Frau des Clans: ihrer Großmutter, die auch der Grund dafür war, dass Alix einige Jahre nicht die Weihnachtstage im Kreise der Familie auf Wyncrag verbrachte. Dabei verspürt Alix längst Sehnsucht nach ihrem Zwillingsbruder Edwin und ihrer jüngeren Schwester Perdita sowie danach, ihrem Leben, das einer sinnlosen Abfolge von Partys und Nachtclub-Blasiertheit gleicht, den Rücken zu kehren und ihrem Wunsch nach Wärme und einfacher, aufrichtiger Freundschaft nachzugeben. Hinzu kommt, dass Alix die verführerische Sentimentalität der Feiertage verspürt, der sie dann auch nachgeht und nach Wyncrag reist. Dort findet sie alles unverändert vor: Ihre tyrannische Großmutter beherrscht immer noch das Familiengeschehen. Am schlimmsten trifft es Alix‘ kleine Schwester Perdita, die von der Großmutter ständig bekrittelt und gedemütigt wird. Einzig Alix‘ Großvater scheint sich in seiner ruhigen Art gegen seine herrische Frau zu behaupten.

Alix‘ Zwillingsbruder Edwin hingegen liebt Lidia, eine Wiener Emigrantin, die ihn nicht so recht „erhören“ will. Zu der Zeit ist Alix noch der Meinung: |Die Liebe ist die Hölle, man sehnt sich so danach, und wenn es dann schief läuft, gibt es nichts auf der Welt, was bitterer schmeckt.| Darüber hinaus verspürt sie Eifersucht, als sie von Edwins Liebe zu der schönen Wienerin erfährt, die sich für Alix‘ Empfinden zwischen die Geschwister drängt, die als Zwillinge eine besondere Nähe verbindet.

Das Geheimnis des Todes überschattet die Familie Richardson. Da ist Jack, Alix‘ verstorbener Onkel, dem der Ruf anhaftet, ein rücksichtsloser Nichtsnutz und Frauenheld, der sich auch schon mal mit Gewalt das nahm, wonach ihn gelüstete, gewesen zu sein. Ebenso Alix‘ zu Tode gekommene Eltern und jüngste Schwester. Besonders den Unfalltod ihrer Mutter, deren Schönheit immer noch in aller Mund ist, umgibt ein Mysterium, dem Alix endlich auf die Spur kommen will. Ein Vorhaben, das bei ihrer Großmutter auf harsche Ablehnung stößt und in Alix die Frage aufwirft, was Lady Richardson zu verbergen hat.

Alix begegnet nun auch Hal Grindley wieder, dem Wechselbag seiner Familie, der mehr ist, als er zu sein scheint. Als junger Mann war er unsterblich in Alix‘ Mutter verliebt. Nun steht er Alix gegenüber und verspürt ambivalente Gefühle in sich – wie auch sie. Beide schwankten zwischen Interesse und Ablehnung füreinander, wobei die Sympathie allmählich wächst. Doch Alix verhält sich zögerlich, da sie weiß, |dass es nicht simpel ist, sich zu verlieben und danach bis an das Lebensende glücklich miteinander zu leben|.

Auch Hal bemerkt in seiner Familie Zerrüttung. Der eine oder andere ist dort in einer unglücklichen Ehe gefangen, die nur die Angst vor dem sozialen Stigma zusammenhält. Einzig Hals pfiffige siebzigjährige und verwitwete Tante Daphne bringt Leben und frischen Wind in das starre von Kalkül durchzogene Gefüge der Grindleys. Sie lebt im Ausland und schwärmt (zu Recht): |“Ich lebe im Ausland. Um gelenkig zu bleiben gibt es nichts Besseres als Wärme und Sonnenschein. Das Licht ist das großartigste Geschenk des Südens.“| Darüber hinaus gibt sie offen zu, sich gerne in der Gesellschaft junger Männer aufzuhalten, weil diese sie daran erinnern, wozu das Leben da ist.

Eines der Nebenthemen des Romanes ist auch der Faschismus, dessen Anziehungskraft aus Deutschland nach England dringt, weil er den Hoffnungslosen Hoffnung bietet. Das Hauptaugenmerk hat die Autorin aber eindeutig auf die Charaktere gelegt, was ihr merklich gelungen ist.

So stehen über allem die ungeklärten Fragen, was es mit Jack Richardsons Tod auf sich hatte, wie es zu dem mysteriösen Unfalltod von Alix‘ Mutter und jüngerer Schwester und ihrem Vater kam und was es mit jenem mysteriösen Jago Roberts auf sich hat, der sich im Ort einquartiert. Die Antworten darauf sind überraschend und erschreckend zugleich!

_Fazit:_ Ein spannender, liebevoll detaillierter Unterhaltungsroman, der einen Einblick in die englische Gesellschaft 1936 bietet und den ich wärmstens empfehlen kann!

http://www.rowohlt.de

Dingemann, Rüdiger / Lüdde, Renate – Deutschland in den 50er Jahren. Das waren noch Zeiten!

Wie lebten und dachten die Menschen der 1950er Jahre? In vier Bereichen widmet sich der hier vorgestellte Bildband diesen Fragen.

„Eine Zeitreise – oder Gerechtigkeit für die 50er Jahre“ (S. 8-14): Ein Vorwort stellt die „realen“ 50er den „gefühlten“ gegenüber, versucht zu erläutern, wie Alltag und Politik, Lebensgefühl und Kultur der Vergangenheit in der Rückschau zu einer neuen, historisch nur bedingt korrekten, sondern eher verklärenden „Wirtschaftswunderwelt“ verschmelzen.

„Alltag – zwischen Werkbank und Nierentisch“ (S. 15-86): Das „Wirtschaftswunder“ im Kontrast zum Restschutt der Kriegsjahre ist Gegenstand dieses Kapitels, das den rastlosen Wiederaufbau, die politische Restauration, die Differenzierung eines westlichen und eines östlichen Deutschlands und die feinen aber deutlichen gesellschaftlichen Entwicklungen beschreibt.

„Freizeit: Das hat Spaß gemacht“ (S. 87-132): Freizeit war ein knappes Gut, das intensiv genutzt wurde – und konnte, denn allmählich stieg der allgemeine Wohlstand, der nicht nur in reichliche Mahlzeiten, sondern auch in Kleidung, Möbel und Luxusartikel, in Nah- und Fernreisen und neuartige Freizeitvergnügen investiert wurde. In den 50er Jahren kehrte Deutschland über den Sport ins Weltgeschehen zurück.

„Kultur: Lesen, hören und sehen“ (S. 133-155): Sünderinnen und Halbstarke, Heimat und Tradition – dies sind die Pole, zwischen denen sich das Kino und das aufblühende Fernsehen bewegten. Ähnlich war es in der Musik, die einerseits in Schlagerschnulzen schwelgte und andererseits die Revolution des Rock ’n’ Roll erfuhr. Nicht so spektakulär waren die Veränderungen in Literatur und Presse, obwohl der Comic noch ganz verhalten zu seinem Siegeszug ansetzte. Was die Menschen einst in Sachen Klatsch und Tratsch bewegte, rundet dieses Kapitel ab, dem noch eine knappe Chronik der Jahre 1950 bis 1959 sowie ein Register folgen.

Deutschland in seinen 1950er Jahren – eine Ära, die in der Rückschau der Gegenwart von zahlreichen Klischees geprägt wird. Nierentisch & Tütenlampe, Petticoat & Schmalzlocke, Heimatfilm & Halbstarke, und über allem schwebt der narkotisierende Nebel der Wirtschaftswunderzeit, in der die Bürger und ihre Regierung nur nach vorn aber nie zurück in die nahe Nazizeit schauten und „schafften“ statt aufzuarbeiten.

Die einzelnen Elemente „stimmen“, aber sie werden allzu oft aus ihrem historischen Umfeld gelöst und gewinnen ein Eigenleben, das die Zeitgenossen verwundert zur Kenntnis genommen hätten. Immer wieder weisen die Autoren Dingemann und Lüdde deshalb darauf hin, dass es für die heute exotisch anmutenden Lebenswelten der 50er Jahre in der Regel nachvollziehbare Gründe gab. So ist es für die Jüngeren (noch) schwer nachvollziehbar, dass es einst auch deshalb keine ausgeprägte Freizeit- und Reisekultur gab, weil die Menschen sechs Tage die Woche arbeiteten, sie nur zwei Wochen Jahresurlaub hatten und ihnen folglich wenig Zeit für weite Reisen blieb. Diese Tatsachen erklären wiederum, dass es ein Wirtschafts-„Wunder“ eigentlich nicht gegeben hat – die Zeitgenossen haben sich den vergleichsweise bescheidenen Wohlstand, der sich in den 50er Jahren allmählich einstellte, schlicht und ergreifend mit harter Arbeit geschaffen. Alle beteiligten sich bzw. konnten sich beteiligen, denn es herrschte Vollbeschäftigung; heute eine schier unfassbare Vorstellung.

Auch das große Wort vom „Neufang“ nach 1945 wird von den Verfassern relativiert. Zwar wurde ungern über die Jahre der Nazidiktatur gesprochen, doch es war keineswegs so, dass generell Schweigen herrschte. In den Medien oder in der Kunst setzte man sich durchaus mit der jüngsten Vergangenheit und ihren Folgen auseinander. Überhaupt gab es in vielen Bereichen, die sich mit „Lebensphilosophie des Alltags“ überschreiben lassen, keinen echten Bruch. Ordnung und Disziplin waren und blieben wie vor und nach 1933 Stützpfeiler der Erziehung. In den „Konservatismus des Denkens“ mischte sich aber zumindest außerhalb der Politik ein Wille zum Experimentieren, der nicht unterschätzt werden sollte. Die eigenwillige Formensprache der 50er Jahre speiste sich auch aus der Freude über neue Freiheiten, die zwar noch vorsichtig aber gern in Anspruch genommen wurden.

Das gilt übrigens für den deutschen Westen wie für den Osten: Dingemann und Lüdde unterscheiden nicht zwischen der „Bundesrepublik“ und der „Zone“, der späteren „DDR“. In den 50ern gab es die Mauer als Grenze noch nicht, so dass trotz der politischen Teilung gewisse Gemeinsamkeiten blieben. Die „Angst vor Rot“ und die streng antisowjetische Haltung der 50er Jahre wirkt interessanterweise bis heute nach. Deshalb erstaunen Bilder, welche die angeblich so konformen „Kommunisten“ von „drüben“ in flotten Ostcabrios zeigen: In Ulbrichts „Arbeiter- und Bauerstaat“ gingen die Uhren im Vergleich zum Westen vielleicht langsamer (oder tickten leiser), doch sie blieben keineswegs stehen.

Das Einbetten von Einzelfakten in ihren geschichtlichen Hintergrund ist ein Pluspunkt dieses Buches. Den zweiten bilden die Abbildungen. Auf bestem Kunstdruckpapier in erstaunlicher Qualität abgebildet, wirken die meisten Bilder überraschend vertraut: Durch die Straßen tobten weder offensichtliche „Halbstarke“ noch wirtschaftswunderlich besessene Arbeitsroboter, sondern ganz normale Menschen. Erst auf den zweiten Blick fallen Unterschiede zur Gegenwart ins Auge. Die Zahl der Autos ist noch klein, es gibt kaum Außenwerbung, Giftschwaden umwabern die Fabriken.

Selbstverständlich fehlen die „gestellten“ Bilder nicht. Sie zeigen für den Sonntagsspaziergang herausgeputzte Kinder, den stolzen deutschen Mann vor dem gerade erworbenen VW Käfer, die moderne Frau in ebensolcher Küche und sagen auf ihre spezielle Weise viel aus über ihre Zeit und ihre Menschen.

Oft überschneidet sich das Reale mit dem Absurden: Da gibt es gestochen scharfe Fotos von Puderdosen und ähnlichen Gegenständen des profanen Alltags, wie sie millionenfach benutzt und anschließend in die Mülltonne geworfen wurden. Nun werden sie vom Fotografen perfekt ausgeleuchtet und verwandeln sich in edle Kunstobjekte. Andererseits passt dies zur Philosophie der 50er Jahre, als Bilder noch nicht der „Botschaft“ untergeordnet wurden, sondern sich bemühten, neben dem Schaueffekt die „Wahrheit“ zu berücksichtigen – in der Rückschau ein rührend archaisches Bemühen, das allerdings achtbare Erfolge zeitigte und eine ganz eigene Schule des Fotografierens und Darstellens hervorbrachte.

Dieses Buch hat einen stolzen Preis, der mit knapp 40 Euro trotz unleugbarer Qualitäten zu hoch ausfällt. Wen dies nicht stört, wird sich einer ebenso informativen wie nostalgischen Zeitreise erfreuen, die übrigens nicht am Silvestertag des Jahres 1959 endet, sondern die folgenden Jahre einschließt: Die 50er hörten nicht abrupt auf, sondern klangen aus – ein Vorgang, der erst 1968 definitiv sein Ende fand.

Dan Abnett – Das Attentat (Warhammer 40.000)

Handlung

Kurz nach der Landung auf dem Planeten Herodor geht in den pilgerüberfluteten Straßen der Stadt Civitas Beati die Post ab. Passend zur aktuellen Warhammer-40k-Sommerkampagne liefern sich Kommissar Gaunt und seine Jungs vom ersten und einzigen Tanith eine zünftige Straßenschlacht, die gegen Ende wahrhaft apokalyptische Ausmaße annimmt. An mehreren Fronten wird hier der gut organisierte Blutpakt zurückgetrieben, um die schlecht geschützte Stadt vor ihrem endgültigen Ende zu bewahren. Das jedoch ist alles nur ein Vorgeschmack. Im zweiten Teil des Buches müssen sich die Tanither nach einer größeren Weltraumschlacht gegen die Hauptstreitmacht und gegen neun Profiattentäter erwehren, deren Auftrag es ist, der Reinkarnation der heiligen Sabbat endgültig ihren Märtyrertod zu geben.

_Schreibstil_

Dan Abnett – Das Attentat (Warhammer 40.000) weiterlesen

P., Melissa – Dich lieben

Zwei Jahre hat sich Melissa P. Zeit gelassen, um den Nachfolger zu ihrem heiß diskutierten, erotischen Tagebuch [„Mit geschlossenen Augen“ 2733 zu schreiben. Nun ist es da und in Anbetracht des jungen Alters der Autorin – sie wird dieses Jahr einundzwanzig – stellt man sich die Frage, ob sich „Siziliens Lolita“ weiterentwickelt hat.

„Dich lieben“ ist nach eigenen Angaben ebenfalls autobiografisch, aber nicht in Tagebuchform. Stattdessen präsentieren sich die kurzen, abgehackten und dadurch zusammenhangslos wirkenden Kapitel als Briefe an ihre Mutter. Allerdings dauert es seine Zeit, bis man herausfindet, wer das Du im Buch überhaupt ist. Erst zur Hälfte wird der Mutter-Tochter-Bezug klar, was dem Buch nicht unbedingt gut tut. Zu verwirrend sind die kurzen Episteln, deren Inhalte keinerlei Konzept zu folgen scheinen.

Worum geht es überhaupt? Das lässt sich nicht so einfach erkennen. Im Großen und Ganzen wird die Beziehung von Melissa und Thomas beschrieben, die einen zerstörerischen Charakter annimmt, als Melissa eine SMS von einem Mädchen namens Viola auf Thomas Handy entdeckt. Sie beginnt sich Rachefantasien für das Mädchen auszudenken – aus Liebe zu Thomas – und geht so weit, dass sie Thomas verlassen muss, weil sie ihn so sehr liebt.

Und wieso sollte das Melissas Mutter interessieren? Gute Frage. Vielleicht, weil sie neben dem aktuellen Strang auch immer wieder Kindheitserlebnisse einwebt, die sie recht plastisch und schön zu beschreiben weiß. Allerdings klingen einige der Episoden wie eine pathetische Abrechnung mit der eigenen Kindheit.

Wer erwartet, dass Fräulein Paranello mal wieder aus dem Bettkästchen plaudern wird, liegt überraschendweise daneben. Ihre sexuellen Eskapaden hat sie zurückgefahren, stattdessen beschreibt sie hauptsächlich ihr düsteres Innenleben, erzählt Geschichtlein aus ihrer Kindheit und lässt alles andere außen vor. Das tut dem Buch nicht gerade gut, denn Melissas zähes Gefühlsleben, in dem es nur wenig Veränderung gibt, langweilt noch mehr als ihre jugendliche Nymphomanie von damals.

Was den bunten Ringelreigen aneinandergereihter Langeweile alias Briefe an eine Mutter noch schlimmer macht, ist das Ende. Hier beschreibt sich Melissa P. als ein Mädchen, das vor Liebe verrückt geworden ist und dazu benutzt sie märchenhafte Elemente wie zum Beispiel eine Libelle für das Gefühl der Eifersucht. Das Buch endet schließlich in einem abstrakten Ende, bei dem der Leser überhaupt nicht mehr durchblickt, was nun Wahrheit und was Traum ist. Ob die Autorin dadurch bezweckte, den Leser an ihrem leicht wahnsinnigen Ich teilhaben zu lassen? Nun gut. Das wäre eine Erklärung, allerdings sollten derartige Passagen trotzdem eine gewisse Struktur besitzen, die es dem Leser erlauben durchzublicken.

Der Inhalt ist folglich beinahe noch weniger gelungen als der Debütroman. In dem gebundenen Büchlein mit knapp 125 Seiten passiert so gut wie gar nichts. Das einzig Nette sind die Kindheitserinnerungen, die schön beschrieben werden und eine gute Identifikationsmöglichkeit bieten. Außerdem gibt es hier einige Momente, bei denen man sich denkt: Ja, das könnte ich auch so gesagt haben.

Der aktuelle Erzählstrang dagegen ist konfus, langweilig und alles andere als überzeugend. Melissas Gefühlsleben weist keine Struktur auf, kein Anfang, kein Ende, sondern ist nur ein gleichbleibender düsterer Sumpf negativer Gedanken. Es ist nicht so, als ob man nicht auch darüber schreiben könnte, allerdings haben das andere Leute schon besser gemacht.

Wie das? Na ja, vermutlich haben sie einfach einen angenehmeren Schreibstil verwendet. Man muss der Autorin zwar zugestehen, dass durchaus eine Steigerung stattgefunden hat, aber auch wenn sie an einigen Stellen wirklich sehr schön auf den Punkt kommt, ist das Gros der Seiten doch eher Reißwolfnahrung. Den mädchenhaften Tagebuchstil hat sie jedenfalls abgelegt. Stattdessen versteigt sie sich in einer erhabenen, teils schwülstigen Sprache, die von einem riesigen Haufen meist geschmackloser Metaphern beinahe erdrückt wird.

|“Meine Eierstöcke sind zwei in der Luft hängende Kichererbsen. Eine ist größer als die andere und hängt tiefer, da sich meine Regel ankündigt. Eine zähe rote Flüssigkeit wälzt sich darin wie in den Automaten mit Fruchtsaft. […] Das Herz. Das Herz klopft in seiner Nylonstrumpfhüle von der Art, wie sie sich Bankräuber übers Gesicht ziehen. Ein kleines Präservativ zum Schutz vor dem Leben.“| (Seite 29)

Melissa P. legt des Öfteren eine solche bemühte Pseudointellektualität an den Tag, dass man das Buch nur noch zuklappen möchte. Möglicherweise hat sie Potenzial. Man kann auf jeden Fall ein Gehirn und einen gewissen Wortschatz erahnen, allerdings ist auf weiten Strecken nicht viel davon zu spüren. Vielleicht wäre es besser gewesen, Madame Paranello noch eine Weile wie einen guten Wein reifen zu lassen anstatt ihr spärliches Talent unter Zuhilfenahme eines Skandals namens „Mit geschlossenen Augen“ zu verschleudern.

http://www.rowohlt.de

Williams, Tad – brennende Mann, Der (Osten Ard)

Tad Williams ist seit seinen Zyklen |Otherland| und |Das Geheimnis der Großen Schwerter|, besser bekannt unter dem Namen |Osten Ard|, zu einer festen Größen im fantastischen Literaturmetier geworden. Seine Werke sind sprachlich fesselnd, bieten klassische High-Fantasy-Kost und kommen, sofern sie auf mehrere Bände ausgelegt sind, in absehbarer Zeit zu einem Abschluss. Ein, möchte man meinen, von vielen modernen Autoren vernachlässigtes Ziel, die ihre zig Bände umfassenden Sagen weder fertig bringen können noch wollen und schon längst den Überblick über ihre eigene Welt verloren haben.

Positiv sticht da ein Autor wie Williams hervor, der sich neben seinen gut durchdachten und tatsächlich vollendeten Romanreihen auch die Zeit nimmt, sich kleineren Geschichten zu widmen. Mit „Der brennende Mann“ liegt eine gut hundertseitige Novelle erstmals im Taschenbuchformat vor, die im Land Osten Ard angesiedelt ist und viele Jahre nach den Ereignissen um Simon Schneelocke und den Verwicklungen um |Das Geheimnis der Großen Schwerter| spielt. Sie erschien ursprünglich in der Anthologie „Der siebte Schrein“, liegt nun jedoch in einer Einzelausgabe wahlweise als Hardcover oder eben Taschenbuchformat vor. „Der brennende Mann“ zielt damit vor allem auf die Osten-Ard-Fans ab, die eine weitere Facetten dieser Welt kennen lernen möchten – denn Verweise auf bekannte Ortschaften und Personen lassen sich zahlreiche finden.

_Zum Inhalt_

Tad Williams erzählt aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Breda, einer Greisin, die ihre jugendlichen Erlebnisse auf der Feste Hochhorst niederschreibt und dem Leser zugänglich macht. Die Novelle enthält also eine Binnenerzählung, eine Erzählung innerhalb der Erzählung, in der die alte Breda um den Ausgang ihrer Abenteuer als jugendliche Protagonistin Bescheid weiß. Dieses Mittel wird im Fantasygenre selten eingesetzt und vermittelt bereits einen positiven Ersteindruck. Viel mehr ermöglicht es aber Williams dazu, einige Vorausdeutungen zu machen und den Leser mit eingestreuten, auf das Finale hindeutenden Elementen bei der Stange zu halten. Der Autor schafft es, seinem Handlungsstrang einer gut konzipierten Novelle entsprechend straff und ohne vertiefende Abschweifungen zu folgen. Wie es einer kleinen Geschichte angemessen ist, protzt „Der brennende Mann“ nämlich nicht mit ausschweifenden Action-Verstücken, sondern überzeugt vielmehr durch die leisen Töne, die sich durch die Schilderung von Bredas Innenleben und ihrer genauen Beobachtung der sie umgebenden Menschen offenbart.

Breda ist noch ein junges Mädchen, als ihr Vater, ein Großthan, stirbt. Zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter zieht die kleine Familie zu ihrem Großvater, der sein Erbe durch den Verlust seines Sohnes gefährdet sieht. Da kommt ihm der Reiherkönig Sulis aus dem fernen Nabban recht, der eines Tages mit einer großen Gefolgsschar in die Ortschaft kommt und um die Hand der Witwe anhält. Nach nur wenigen Jahren der väterlichen Abstinenz sieht sich die junge Breda mit einem Stiefvater konfrontiert, der zwar ihren Großvater von der Heirat ihrer Mutter überzeugen kann, hinter seiner Fassade jedoch ein Geheimnis zu verbergen scheint. Warum auch sollte er eine Witwe ehelichen wollen, die durch den Tod ihres ersten Mannes all ihre Ansprüche auf einen Titel verloren hat und nichts weiter bieten kann?

Dennoch kommt es zur Heirat. Dem neuen königlichen Paar angemessen, zieht es König Sulis in die Ruinen der einstigen Festung Hochhorst. Dort soll es, will man den Gerüchten der Bauern glauben, zu unheimlichen Begegnungen kommen und spuken. Geister längst verstorbener Feenwesen, die diese Burg einst bewohnt haben, hausen den Erzählungen nach noch immer in dem Gemäuer. Sulis lässt sich davon jedoch nicht abschrecken, zieht mit seiner Familie und seiner ganzen Gefolgschaft in die Burg ein und lässt nach vielen Jahren harter Arbeit den Glanz vergangener Zeiten wieder aufleben. Breda wächst, nachdem ihre Mutter verstirbt und ihr Verhältnis zum Stiefvater immer kühler und distanzierter wird, zu einer jungen Frau heran, erkundet die zahlreichen, noch leer stehenden Türme und Abteilungen des Hochhorstes und beginnt sich schließlich in den einfachen Soldaten Tellurian zu verlieben. Breda scheint ihr Glück endlich gefunden zu haben. Doch dann verdichten sich merkwürdige Vorkommnisse. König Sulis zieht sich immer öfter in seine private Bibliothek zurück, wo er sich stundenlang in alten Büchern verliert. Eine Hexe wird aus einer nahen Ortschaft gefangen genommen und in die Kerker geworfen, wo sie jeden Tag von Sulis selbst verhört wird. Und schließlich spricht auch Tellurian, Bredas Geliebter, von einer wichtigen Queste direkt vom König, für die er sogar in den Tod gehen würde.

_Bewertung_

Tad Williams Novelle präsentiert sich als eine in sich geschlossene Geschichte mit klarem Anfang und Ende, die mit den Geheimnissen einer Welt verwoben ist, die in der Osten-Ard-Sage am Rande erwähnt wurden. Damit bietet sie vor allem den Kennern der Reihe einen hohen Leseanreiz, auch wenn sie für sich stehend und ohne die Kenntnis des Zyklus ohne Schwierigkeiten verstanden werden kann. Schließlich wandelt Williams mit „Der brennende Mann“ abseits der üblichen Fantasywege und fährt eine Geschichte auf, die nicht durch ausholende Beschreibungen, actionlastige Kämpfe und verwickelte Intrigen punktet – so wie die Sage um Osten Ard –, sondern durch eine ruhige, fast schon poetische Erzählstruktur überzeugen kann. Alle Figuren, die in Bredas Geschichte auftauchen, stehen in direktem Zusammenhang mit den darin beschriebenen Ereignissen und werden in einer motivierten Weise eingeführt, dass sie für die Handlung eine wichtige Rolle spielen.

Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen und damit unweigerlich die Pointe der Novelle zu verraten, stellt „Der brennende Mann“ eine philosophische Frage in den Mittelpunkt, die wunderbar in das Fantasyuniversum eingebettet wird, aber auch ohne diesen Hintergrund funktioniert hätte. Liebhaber ungewöhnlicher fantastischer Erzählungen und Fans der Osten-Ard-Reihe sollten sich dieses Schmuckstück daher nicht entgehen lassen. Allen anderen sei gesagt, dass „Der brennende Mann“ mit seinen hundert Seiten schnell durchgelesen ist und ihnen möglicherweise nicht das verspricht, was sie von einer klassischen Fantasyerzählung erwarten.

http://www.dtv.de

Ergänzend dazu: Michael Matzers [Rezension 2341 der Lesung, erschienen im März 2006 beim |Hörverlag|.

Norton, Trevor – In unbekannte Tiefen. Taucher, Abenteuer, Pioniere

Unter Wasser stirbt man nicht, wie einst Krimi-Klassiker Ross Macdonald eines seiner ausgezeichneten Werke betitelte (bzw. durch einen findigen deutschen Übersetzer betiteln ließ), aber dass dies heutzutage weitgehend bekannt ist, verdanken wir den Pionieren der Tauchkunst, die buchstäblich den Kopf (oder besser gesagt: die Lungen) für ihre Nachfahren hinhielten, auf dass sie heute die Gewässer dieser Erde bevölkern können, um dort die fischigen Bewohner zu belästigen.

Bloß: Wer weiß denn schon, wer diese Männer waren, die sich nicht nur unter recht abenteuerlichen, sondern definitiv lebensgefährlichen Umständen hinab in die Tiefe ließen, um dort zunächst weniger zu sehen & zu staunen, sondern schlicht zu versuchen, einige Minuten zu überleben? Trevor Norton, selbst ein Veteran unter Wasser, hat sich die Aufgabe gestellt, einige Taucherlegenden dem Vergessen zu entreißen. Da er Brite ist und daher genetisch in Sachen Humor begünstigt, ist das Ergebnis seiner Nachforschungen höchst vergnüglich zu lesen; bereits die Überschriften der einzelnen Kapitel deuten darauf hin, dass Norton sein Werk ganz sicher nicht mit sachbuchlichem Bierernst verfasste:

„Ein begnadeter Sinker“ – John Guy Gilpatric (1896-1950) war ein Pionier des Tauchens mit Brille und Schnorchel im freien Meer – und der ideale Repräsentant jenes seltsamen Menschenschlages, der diesem seltsamen, gefährlichen, faszinierendem Sport verfallen war und ist: wagemutig, exzentrisch, ein bisschen verrückt, und an Land stets ein wenig verloren.

Wie man sich der blaugrünen Tiefe zunächst näherte, schildert Norton im Kapitel „Legere Kleidung ist angesagt, Eimer als Kopfbedeckung sind Vorschrift“. Dass er meint, was er schreibt, und nicht kalauert, belegen eindrucksvoll diverse Fotos: Wie üblich entdeckte der Mensch das Meer nicht; er wollte es erobern und ihm seine Bedingungen aufzwingen. Daher glichen die ersten „Taucheranzüge“ frappierend den Ritterrüstungen des Mittelalters. Statt feindliches Meeresgetier, das unheimliche Wasser oder den gefährlichen Tiefendruck fernzuhalten, verwandelten sich diese Rüstungen nicht selten in Todesfallen, die weit mehr Opfer forderten als die fremde, feuchte Welt, bis man lernte, mit ihr und nicht gegen sie zu leben.

„Bewaffnet nur mit einer Spitzhacke“ – Henri Milne Edwards (1800-1885) war alles andere als der typische Tauchpionier, sondern primär ein Forscher, der seinen Job wirklich ernst nahm: ein Naturwissenschaftler, der sich auf die Tier- und Pflanzenwelt des Meeres spezialisiert hatte und den sehr richtigen Standpunkt vertrat, dass man beides gefälligst vor Ort zu untersuchen hatte – ein Entschluss, der im 19. Jahrhundert einen Mann allerdings zwangsläufig in heikle und groteske Situationen bringen musste.

„Der Mann, der es fast geschafft hätte“ – Roy Waldo Miner (1875-1955) war auf den ersten Blick der farblose Angestellte eines Naturkunde-Museums mit mehr Geld als Organisationstalent. (Das waren noch Zeiten!) Der Auftrag, einen Ausstellungsraum als Korallenriff zu gestalten, führte ihn in die Tropen, wo er die Vorlage unter Wasser kurzerhand mit Dynamit in handliche Stücke zerblies, die er dann auflas, in die Heimat brachte und dort mit viel Leim und Farbe recht lebensecht wieder zusammensetzte …

„Die Freuden des Herumspazierens“ – Über Charles William Beebes (1877-1962) sagenhaften Hang zur Selbstdarstellung darf man seinen großen Mut nicht vergessen: Er war der Mann, der sich in eine winzige Stahlkugel stecken und viele hundert Meter in die dunkle Tiefsee hinabsenken ließ!

„Versorgt mit Süßigkeiten“ – Trevor Nortons Kapitel über John Alwyne Kitching (1908-1996) ist weniger Biografie als kaum verhohlenes, ironisch-liebevolles literarisches Memento für einen alten Freund und Lehrer, der nach außen den knarzigen Sonderling gab und ansonsten eine ganze Generation tauchender Wissenschaftler den besten Start in ihre gefährliche Karriere ermöglichte.

„Der zerstreute Professor“ – John Scott Haldane (1860-1936) eröffnet den Reigen der „Denker und Taucher“, die gewissermaßen doppelt verschroben und dabei genial waren und dem Mensch auf ihre kuriose Weise den Weg auf den Meeresgrund ebneten. Haldane fand heraus, wieso es groteske Zwischenfälle heraufbeschwören kann, einem Taucher nur Atemluft durch einen simplen Schlauch zuzuführen. Er erfand den ersten tauglichen Taucherhelm – und für das Land die erste Gasmaske!

„Der knuddelige Kaktus in der Kammer des Schreckens“ – John Burdon Sanderson Haldane (1892-1964): Wieder eine der unbekümmerten Titelschöpfungen der Verfassers, hinter der sich eine faszinierende Persönlichkeit verbirgt: ein Pionier des Tauchens unter deutlich erschwerten Bedingungen – denen des Krieges nämlich, denn selbstverständlich wurde das Militär schon bald aufmerksam auf die Möglichkeit, dem Feind unter Wasser und damit unbeobachtet hässliche, explosive Überraschungen zu bereiten. Haldane (übrigens ein Sohn des „zerstreuten Professors“ – Genie & Exzentrik scheinen gleichermaßen vererbbar zu sein) ersann die Instrumente und Methoden dafür – und er probierte sie vor allem praktisch aus, was nicht nur aus heutiger Sicht als besonders komplizierter Versuch eines möglichst scheußlichen Selbstmords anmutet.

„Bumm!“ – Horace Cameron Wright (1901?-1979) ist die vielleicht farbigste unter den wahrlich schon denkwürdigen Gestalten dieses Buches; ein Pionier nicht nur des Tauchens, sondern auch des Unterwasser-Filmens, der noch zur Stummfilmzeit keine Kosten und Mühen scheute, unglaubliche, aber längst in Vergessenheit geratene Spektakel in Szene zu setzen. Der seltsame Kapiteltitel spielt auf Wrights Vorliebe an, die subaquatische Kulisse durch den großzügigen Einsatz von Sprengstoff nach eigenen Vorstellungen umzugestalten.

„Eine Zuchtperle“ – Louis Marie-Auguste Boutan (1859-1934) war nicht der erste Mensch, der sich fragte, ob und wie es möglich sei, Fotografien unter Wasser anzufertigen. Aber ihm gelang, was viele scheitern ließ, doch bis es so weit war, „Bilder ins Dunkle hinein“ zu schießen, geschahen seltsame Dinge …

„Der Mann mit der erstaunlichen Röhre“ – John Ernest Williamson (1881-1966) hielt wenig davon, sich ohne Deckung in die lebensfeindliche Welt unter Wasser zu wagen. Also konstruierte er eine sperrige, lange Röhre, die dort versenkt und von oben bestiegen werden konnte, um an ihrem unteren Ende gänzlich trockene See-Erkundungen zu ermöglichen – theoretisch jedenfalls, denn praktisch erwies sich bald, dass Williamson nicht den Stein der Weisen gefunden hatte …

„Tauchgang ins Abenteuer“ – Hans Heinrich Romulus Hass (geb. 1919) ist den mittelalten Bewohnern dieses unseres Landes so bekannt wie die Professoren Grzimek und Haber – nicht ein Taucher, sondern der Taucher (bis ihn in den 60er Jahren Jacques-Yves Cousteau ablöste) schlechthin, der in zahlreichen Büchern und Filmen seinen wasserscheuen Fans die Pracht tropischer Korallenmeere (durch die er gern seine Gattin Lotte schwimmen ließ, die zu Recht deutlich mehr Blicke auf sich ziehen konnte als jeder Teufelsrochen) näher brachte – und gleichzeitig eine ironische Reminiszenz an eine Zeit, als der „Forscher“ sich dem Objekt seiner Neugier prinzipiell näherte, um es mit Speer und Harpune zu durchbohren.

„Der stille Partner“ – Während sein alter Freund Cousteau selbst der Fun-Generation der Gegenwart noch nicht gänzlich unbekannt geworden ist, blieb Frederic Dumas (1913-1991) bescheiden im Hintergrund: ein fanatischer Taucher und Tüftler, dem der rotwollbemützte Kapitän des Medien-Kreuzers „Calypso“ mehr verdankte, als er in späteren Jahren bereit war anzuerkennen. Dennoch gehören beide zu den ersten, die erkannten, dass jeder Tauchgang auch ein „Hinab in die Vergangenheit“-Sinken sein kann – in die Welt der Wracks nämlich, die Zeitkapseln gleich auf dem Meeresgrund die Jahrtausende überdauern können.

„Der Entdecker gesunkener Schiffe“ – Peter E. A. Throckmorton (1928-1990) leitete über in die Phase der echten Unterwasser-Archäologie; es musste wohl der Tag kommen, an dem aus dem Abenteuer und Spaß Wissenschaft und Ernst wurde.

Damit hat sich für Norton der Kreis geschlossen. Selbstverständlich wird auch heute noch täglich irgendwo auf der Welt unter Wasser Pionierarbeit geleistet. Aber der eigentlich Knoten ist zerschlagen: Was es unter Wasser zu beachten gilt, damit man sich dort, wohin es 99 von 100 Tauchern zieht (d. h. nicht in die Tiefsee, in labyrinthische Höhlen oder in arktische Eismeere), aufhalten kann, ohne in jeder Sekunde in Lebensgefahr zu schweben, ist inzwischen bekannt. Aber dass dies gelingen konnte, verdanken die Anhänger dieses exotischen Sportes Männern wie jenen, denen Norton ein Denkmal setzt, das den meisten von ihnen wohl gefallen hätte.

Dreykopf, Marcel – Fußball. Das Allerletzte

„Fußball. Das Allerletzte“ – der Titel macht schon deutlich, dass hier keine Nettigkeiten über die wichtigste Nebensache der Welt berichtet werden. Der Verfasser, der das Pseudonym Marcel Dreykopf gewählt hat und laut Verlagsinformation einer „der bekanntesten Sportjournalisten Deutschlands“ ist, hat allerlei Skandale, dumme Sprüche und andere weniger schmeichelhafte Geschichten aus der Welt des Fußballs zusammengetragen. Es begegnen einem traurige Klassiker wie die tödlichen Krawalle im Brüsseler Heyselstadion 1985, das deutsch-österreichische Skandalspiel bei der WM 1982 in Spanien und die Bestechungsaffäre um das Riesenbaby Hoyzer, das sich für 30 Silberlinge und einen Plasmafernseher für alle Zeit in der Fußballwelt unmöglich gemacht hat; ebenso aber lustige alte Bekannte wie Horst Szymaniaks berühmt-berüchtigte Mathematik („Ein Drittel? Ich will mindestens ein Fünftel!“) oder Fangesänge gegen die Oranje-Auswahl.

Aber auch einige Überraschungen sind zu entdecken. Oder wer hat gewusst, dass bei der ersten Fußball-WM 1930 in Uruguay Ersatzspieler nebenbei als Reporter arbeiteten und sich bei dieser Gelegenheit ein eifersüchtiger französischer Spieler-Reporter in seinen offiziellen Berichten selbst „eingewechselt“ hat (erzählt im Abschnitt ‚Aus der Fußball-Geschichte gemobbt‘)? Der französische Fußballverband hat es jedenfalls erst nach mehr als einem halben Jahrhundert entdeckt.

Leider sind die gesammelten Geschichten weder zeitlich noch geographisch noch inhaltlich gegliedert. Neue Schlaumeiersprüche reihen sich an alte Anekdoten, deutsche Negativrekorde an italienische Skandale. So huscht das Erzählte an uns vorüber, löst mal ein heiteres, mal ein bitteres Lachen aus, aber trägt kaum zu einer bleibenden Erkenntnis über diesen Sport bei. Eine zeitliche Ordnung etwa hätte die Vergangenheit etwas lebendiger werden lassen. Die verstreuten Episoden aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit ihren skurrilen Typen, den Keilereien oder dem Besäufnis bei der Gründung des DFB (‚Der Suff der ersten Stunde‘) lassen jedenfalls eine verrückte Epoche erkennen, welcher der Fußballsport bis heute seinen rauhbeinigen Charme verdankt.

Was das Buch aber immer wieder unangenehm macht, sind der manchmal denunziatorische Tonfall und der verschwitzte Eifer, mit dem der Verfasser vermeintliche Skandale „aufdecken“ will. Gibt man das Stichwort „Fußballersprüche“ in eine Suchmaschine ein, findet man Dutzende von Sammlungen nicht allzu schlauer Kickerzitate, die aber mit einem Augenzwinkern wiedergegeben werden. Dieser unbeschwerte Humor geht Dreykopf ab, er präsentiert keine misslungenen Aussprüche zum Mitlachen, er „entlarvt“ beflissen Dummheit oder Bosheit des Zitierten. Wenn ein Verein, der fast pleite ist, seine finanzielle Situation durch Preisaufschläge auf Eintrittskarten verbessern will oder ein respektierter Trainer in seiner langjährigen Karriere natürlich auch mal ein junges Talent verkennt, so wird das hier genauso anklägerisch gepetzt wie die echten Skandale. Allzu oft enden die Beiträge mit einer gehässigen Bemerkung der Art „Bald darauf verlor er seinen Posten“, auch wenn das mit der berichteten Geschichte überhaupt nichts zu tun hat.

„Fußball. Das Allerletzte“ ist kein Sachbuch, sondern eine Sammlung schräger Begebenheiten. Es ist eine leichte Sommerlektüre für Fußballhasser und für solche Fußballfans, die wissen, dass alles zwei Seiten hat, und die verbale Fouls in Büchern genauso ignorieren können wie in den Spielberichten gewisser Sportjournalisten.

http://www.neuer-europa-verlag.de/

Moloney, Susan – Schnee im September

Bastion Falls, ein winziges Städtchen mit 613 Einwohnern, gelegen irgendwo in Nordkanada unweit des Polarkreises; zehn Monate von zwölfen liegt hier Schnee. Die Bürger müssen folglich ein besonderer Menschenschlag sein, um hier auszuharren. Vom rauen Klima geprägt, sind sie eigensinnig, naturverbunden und – notgedrungen – gottesfürchtig, vor allem aber ihrer seltsamen Heimat verbunden.

Trotzdem ist es sogar in Bastion Falls ungewöhnlich, dass der erste Schnee des Winters heuer bereits im September zu fallen beginnt. Binnen weniger Stunden hat sich ein Sturm entwickelt, der den Ort von der Außenwelt abschneidet. Selbst in der Stadt wird die Lage heikel, denn die Menschen wurden vom Kälteeinbruch völlig überrascht. Die Schule und das große Einkaufszentrum werden zum sicheren Hafen für jene, die den Weg nach Hause nicht mehr schafften. Es gibt keine Panik, aber ein großes Durcheinander, und so bleibt lange unbemerkt, dass Schnee und Kälte nicht die einzige Gefahr bilden, die sich über den Einwohnern von Bastion Falls zusammenbraut. Seltsames geht vor außerhalb der warmen Stuben. Menschen verschwinden spurlos, nachdem sie im Schnee die Geister längst verstorbener Verwandte und Freunde zu sehen glaubten.

Die 15-jährige Schülerin Shannon Wilson weiß bald mehr als ihr lieb ist über die Schatten, die Bastion Falls bedrohen. Das junge Mädchen verfügt über seherische Fähigkeiten. Nur sie kann zunächst die formlosen schwarzen Wesen sehen, die aus der Wildnis in die Stadt schweben, in die Körper ahnungsloser Menschen schlüpfen und diese von innen heraus auszehren, bevor sie ihr nächstes Opfer suchen. Aber Shannon findet bald heraus, woher die Schatten kommen: aus dem alten, jenseits der Stadtgrenze gelegenen Fort, das Bastion Falls zwar seinen Namen gab, aber von den Bewohnern seit jeher gemieden wird. In den Tagen der ersten Siedler diente es als Straflager für Schwerverbrecher. Unvorstellbares soll sich innerhalb der dicken Mauern abgespielt haben, und bis heute blieb der Ort verrufen.

Während die Schatten bereits über die Außenbezirke von Bastion Falls hergefallen sind und sich nun um Schule und Einkaufszentrum zu versammeln beginnen, macht sich Shannon zum alten Fort auf, der Quelle allen Übels, um dort das Böse buchstäblich auszubrennen …

„Schnee im September“ ist der Debütroman der Journalistin Susan Moloney, die tatsächlich im hohen Norden Kanadas geboren wurde und noch heute dort (auf einer Insel in der Provinz Ontario) lebt und arbeitet. Die Erfahrungen, die sie mit Land und Leuten in diesem unwirtlichen Teil der Welt machen konnte, fließen direkt in die Handlung ein und verleihen ihr Überzeugungskraft.

Die Story klingt dagegen vertraut: „Schnee im September“ wirkt wie ein Roman von Stephen King. Eine kleine Gruppe von Herkunft und Charakter verschiedener Männer und Frauen wird zufällig zusammengewürfelt und muss versuchen, miteinander auszukommen und sich gegen eine Bedrohung von Außen zu wehren – das ist eine klassische King-Situation. Es gibt sogar eine Geschichte des Meisters, die seine Moloney recht offensichtlich „inspiriert“ hat. Die Rede ist von „Der Nebel“/“The Mist“ (1985), eine Novelle, die in einem Supermarkt spielt, der vom Titel gebenden Nebel eingehüllt wird, aus dem sich allerlei Ungeheuer auf die Kunden stürzen …

Aber schließlich gibt es nicht nur im Horror-Genre keine wirklich neue Ideen mehr, sondern höchstens unterhaltsame Variationen. So überwiegt denn bei der Lektüre von „Schnee im September“ zunächst die stille Freude darüber, endlich wieder einmal eine „klassische“ Gruselgeschichte lesen zu dürfen. Telepathische Serienmörder, genmanipulierte Monster, schleimig-außerirdische Relikte aus der Urzeit – das standardisierte Personal des modernen Horrors, der die phantastische Szene beherrscht, hat man längst gründlich satt! Da das Genre hierzulande lange ziemlich am Boden lag, ist es als Freund des Unheimlichen schwierig, neue und im Ausland womöglich längst aktuelle Autoren mit eventuell neuen Ideen kennen zu lernen. Aber auch hier gibt es talentierte Schriftsteller, wie man bei dieser Gelegenheit erfahren kann.

Bei näherer Betrachtung relativiert sich indes das schöne Bild. Während Milieu und Figurenzeichnung in „Schnee im September“ jederzeit vollauf überzeugen können, trifft dies auf die Geschichte leider mit ihrem Fortschreiten nicht mehr zu. Nachdem Moloney die Bühne für ihr Drama vorbereitet hat, scheint ihr für das große Finale so recht nichts mehr einzufallen. In Bastion Falls versuchen die Menschen, mit der Situation und der Belagerung fertig zu werden. Die Mehrheit ahnt aber nicht einmal etwas von der wahren Bedrohung, und das ist der Spannung wenig förderlich.

Auch das alte Fort kann Moloney nie als Hort des Grauens darstellen. Was sind denn das für Gespenster, die dort umgehen? Die Autorin möchte den Schrecken namenlos lassen und ihn dadurch um so nachdrücklicher beschwören, ließe sich einwenden, doch das stimmt nicht – Moloney hatte ganz offensichtlich nie wirklich eine Idee, wie sie ihre Geschichte auflösen konnte. Der Schlussakt lässt daher nicht nur witterungsbedingt recht kalt (von dem definitiv blödsinnigen Einfall, ein Fort aus Kalkstein und meterdicken Holzbohlen inmitten heftigen Schneetreibens mit Hilfe einiger Flaschen Feuerzeugbenzin in Brand zu stecken, einmal ganz abgesehen …).

So kann „Schnee im September“ die Versprechungen, die der Roman zunächst macht, im letzten Drittel nicht einlösen. Unterm Strich bleiben aber noch genug Spannung und Stimmung, um die Lektüre zu lohnen und neugierig zu machen auf Susan Moloneys zweiten hierzulande erschienenen fantastischen Roman, dessen Titel – „Die Dürre“ (ebenfalls bei |Heyne| erschienen) – verrät, dass die Autorin dieses Mal ihre winterliche Heimat zumindest thematisch verlassen hat.

Unberücksichtigt bleiben musste in der deutschen Übersetzung übrigens das hübsche Wortspiel des Originals: „Bastion Falls“ bezeichnet nicht nur den Ort der Handlung, sondern beschreibt auch genau jenen Moment, in dem die Grenze zwischen der Realität und dem Übernatürlichen zusammenbricht.

Dennis Wheatley – Meer der Angst

Der Dampfer/Seelenverkäufer „Gafelborg“ gerät erst in Seenot und dann in ein abgelegenes Stück Ozean, wo gigantische Tang-Dschungel treiben, in denen Seeungeheuer und andere übelwollende Kreaturen ihr Unwesen treiben … – Britischer „Lost-World“-Klassiker eher trashigen Gruselkalibers, dessen Verfasser sein Garn indes sehr selbstbewusst und auch heute noch unterhaltsam spinnt sowie grottenschlecht-unterhaltsam verfilmt wurde, wobei sogar Hilldegard Knef an Bord dieser „Gafelborg“ ist …
Dennis Wheatley – Meer der Angst weiterlesen

P., Melissa – Mit geschlossenen Augen

Melissa P.s jugendliche Sexbeichte war ein Riesenskandal im Jahr 2003 in Italien. In Deutschland schlug das Buch zwar nicht ganz so große Wellen, aber trotzdem erlangte es einiges an Aufmerksamkeit.

Ist das ein Wunder bei diesem Inhalt? In einem Zeitraum von ihrem 14. bis zum 16. Lebensjahr erzählt die Ich-Erzählerin Melissa (es darf also spekuliert werden, wie viel wahr und wie viel Fiktion ist) von ihren sexuellen Eskapaden, die sich alle in einem Punkt treffen: Melissa verfällt auf der Suche nach echter Liebe immer wieder in das gleiche destruktive Muster, bei dem sie sich von Männern, die sie nur als Objekt sehen, ausnutzen und erniedrigen lässt. Alles fängt mit Daniele an, den sie auf einer Geburtstagsparty kennen lernt und in den sie sehr verliebt ist. Er nutzt das junge Mädchen allerdings aus. Als sie ihm sagt, dass sie mit ihm schlafen möchte, befiehlt er ihr zuerst, fünf Minuten vor seiner Wohnung zu warten, weil sie zu früh dran ist und er den Ton angibt, und schließlich entjungfert er sie, während ein Kumpel am Telefonhörer im Nebenzimmer darauf wartet, dass Daniele ihm Bericht erstattet.

Ansonsten erlebt Melissa immer wieder regelrechte Orgien. Sie schläft mit älteren Männern, die von ihr verlangen, sich als Domina zu verkleiden. Sie lässt sich von jedem Kerl ausnutzen, der ihr über den Weg läuft und ist fest davon überzeugt, das Herz eines Mannes nur dadurch gewinnen zu können, dass sie sich ihm körperlich hingibt…

Ist „Mit geschlossenen Augen“ wirklich der große literarische Wurf, als den manche Kritiker ihn bezeichnen? Nun, eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer. Gleiches gilt für einen expliziten Inhalt. Natürlich kann man in einer „Sex sells“-Kultur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn man davon erzählt, wie man einen Mann im zarten Alter von vierzehn Jahren oral befriedigt hat, aber wie viel Direktheit verträgt der Leser?

Melissa P.s Buch besteht hauptsächlich aus derartigen Szenen. Die anderen Gefühle, die ein fünfzehnjähriges Mädchen hat, werden kaum angeschnitten. So erfährt man zum Beispiel herzlich wenig über das Familienleben von Melissa oder von Freundinnen, von der Schule. Es dreht sich immer nur um ein Thema und abgesehen davon, dass einige Erlebnisse doch ein wenig an den Haaren herbeigezogen wirken (wenn sie zum Beispiel einen notgeilen Familienvater im Dominakostüm gegenübertritt), fängt das doch irgendwann an zu langweilen. Das Buch hat zwar nur knapp 160 Seiten, aber nach einem uninteressanten Einstieg gelingt es der Autorin kaum, ansatzweise Spannung oder wenigstens Stimmung und Atmosphäre aufzubauen.

Das liegt vor allem daran, dass der Schreibstil von „Mit geschlossenen Augen“ die Nerven des Lesers ganz schön strapazieren kann. Und nein, das hängt nicht damit zusammen, dass Fräulein P. so vulgär schreibt, dass einem die Augen tränen. Im Gegenteil. Die sechzehnjährige Autorin stattet ihr fünfzehnjähriges, tagebuchschreibendes Ich mit einer dermaßen schwülstigen, altklugen Schreibweise aus, dass man sich teilweise in einen historischen Kitschroman versetzt fühlt:

|“Vor dem Spiegel stehend bewundere ich mich und bin entzückt von den Kurven, die zunehmend runder werden, von den immer harmonischer und sicherer geformten Muskeln, von dem Busen, der sich unter meinem T-Shirt abzuzeichen beginnt und mit jedem Schritt sanft wogt. Da meine Mutter zu Hause schon immer gern nackt herumgelaufen ist, bin ich mit dem weiblichen Körper von klein auf vertraut. Die Formen einer erwachsenen Frau waren für mich noch nie ein Geheimnis, doch ihr Allerheiligstes liegt in den Schamhaaren verborgen wie in einem undurchdringlichen Urwald und entzieht sich dem Blick.“| (Seite 9)

Mädchenhaft und gleichzeitig übertrieben poetisch-schwülstig und hochgestochen präsentiert sich die Italienerin mehr als einmal als Diana Gabaldon für Arme. Nun kann so etwas natürlich auch an der Übersetzung liegen, dann geht die Rüge an das deutsche Lektorat, jedoch kann ich mir nicht vorstellen, dass die bloße Übertragung in eine andere Sprache so viel Negatives bewirken kann.

Wobei man Melissa P. zugestehen muss, dass nicht alles schlecht ist. Manche Stellen in dem Buch offenbaren keine altkluge, sondern sehr gereifte, dem Alter jedoch immer noch entsprechende Persönlichkeit. Die eine oder andere Metapher versinkt nicht im Sumpf des Kitsches, sondern präsentiert sich schön rund und anschaulich, wie zum Beispiel auf Seite 67:

|“Danach legte er sich zu mir aufs Sofa, wir umarmten uns und schliefen ein, während Marylin [in diesem Fall ein T-Shirt mit der Hollywoodikone; Anmerkung der Rezensentin] ihr Auge an der kleinen Perle von Ernestos goldenem Top rieb.“|

Diese Silberstreifen am Horizont sind allerdings in der Unterzahl. Der Großteil des Buches setzt sich daher aus nicht immer glaubwürdigen Sexszenen, einem nicht alterskonformen, schwülstigen Schreibstil und einer eindeutig überschätzten Autorin zusammen, „Siziliens Lolita“, wie die Lobeshymne von „La Sicilia“ auf dem Buchrücken besagt.

Alberti, Mario / Enoch, Luca – Morgana 1 – Die Himmelspforte

_Story_

Die Kriegerin Morgana reist gemeinsam mit ihrem rattenköpfigen Begleiter Rosso durch den Weltraum, um die verschiedenen Bestandteile des geheimnisvollen Artefakts zusammenzutragen. Nur derjenige, der im Besitz aller Elemente ist, wird über große Macht gebieten. Doch auch ihr Gegenspieler Vorrt, ein mächtiger und kampferprobter Magier, verlangt nach der Vollendung des Artefakts. Auf einem ritterlichen Planeten gelangen beide Parteien in einen erbitterten Kampf zwischen dem Volk der Sieth und den tromakischen Angreifern, die schon seit einer halben Ewigkeit die Festung der verteidigenden Krieger belagern. Lediglich das Arkanum schützt die Festung der Sieth vor dem Untergang. Und auf genau jenes haben es Vorrt und Morgana abgesehen.

_Meine Meinung_

Science-Fiction meets Mittelalter – in „Morgana“ ist dies tatsächlich möglich und verträgt sich zudem auch noch außerordentlich gut miteinander. Die beiden Autoren Mario Alberti und Luca Enoch haben im ersten Band ihrer neuen Comicserie eine etwas futuristischere Fassung eines mittelalterlichen Schlachtenepos entworfen und lassen die kriegerischen Völker nicht nur mit Schwertern und Kanonen, sondern auch mit verschiedenen Spionagesatelliten und Robotern kämpfen und vermischen so zwei völlig unterschiedliche Welten recht geschickt und treffend miteinander.

In Folge 1, „Die Himmelspforte“, besteht allerdings das Problem, dass die Umschreibungen des Duos noch relativ oberflächlich sind, soll heißen, die Geschichte will nicht so richtig in die Gänge kommen. Nach einer recht schmalen Einleitung, die kurz und knapp eine Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen beschreibt, stürzt sich das Team zwar mit einem Zeitsprung von 15 Jahren direkt in die Action hinein, belässt es dabei aber mit Entwicklungsschritten, die kaum Informationen über die Hintergründe der zentral agierenden Figuren hinterlassen. Der Leser tappt noch ziemlich tief im Dunkeln und erfährt lediglich, dass die beiden Hauptfiguren die Bestandteile des Artefakts jagen und dass irgendeine spezielle Verbindung zwischen den beiden besteht. Welche genau dies ist, kann man bereits nach der Einleitung erahnen, wobei ich damit auch falsch liegen könnte, denn schließlich wird diesbezüglich noch nichts aufgedeckt.

Und damit wären wir beim nächsten Punkt: Es geht einfach zu vage voran. Alberti und Enoch entwickeln den Plot viel zu zimperlich, ganz so, als ob sie sich nicht trauten, die vorhandene Substanz schon im ersten Buch gänzlich auszureizen. Beispiele hierfür gibt es viele, wie zum Beispiel die Fehde zwischen Morgana und dem Hauptmann der Sieth, die genaue Beziehung zwischen eben jenem Volk und den Vertretern Vorrts oder aber das Mysterium um die Herkunft der beiden Reisenden bzw. die Bedeutung des geheimnisvollen Artefakts.

Beim Versuch, bereits zu diesem Zeitpunkt ein wenig tiefer in die Materie einzutauchen, entsteht ein wenig Unruhe. Selbst Spekulationen sind bis auf wenige Einzelheiten zum Scheitern verurteilt, weil noch absolut gar nicht ersichtlich ist, wohin uns die beiden Autoren mit ihrer Geschichte führen wollen. Lediglich eines kann man schon mal festhalten, und das ist die Tatsache, dass Enoch und Alberti die Vermischung verschiedener fiktiver Genres sehr gut gelungen ist. „Morgana“ hat etwas Historisches, etwas Phantastisches und einen satten Schuss Science-Fiction – und dies schon an dieser Stelle sehr ausgeprägt.

Jetzt gilt es, auch die Geschichte etwas gradliniger und vor allem zielgerichteter in Gang zu bringen und dem exzellenten Eindruck des optischen Erscheinungsbilds auch hinsichtlich der Storyline gerecht zu werden. An den vielen Ideen sollte dies genauso wenig scheitern wie an den tollen Charakteren. Ob „Morgana“ allerdings wirklich so genial wird, wie es hier schon partiell angedeutet wird, wird sich erst in den nachfolgenden Bänden zeigen, in denen das Erzähltempo noch um einiges gesteigert werden muss. Allein auf den Rahmen bezogen ist „Die Himmelspforte“ jedenfalls schon mal sehr viel versprechend!

http://www.carlsen-comics.de/

Wilson, Robert Charles – Spin

_SF-Veteran aus Kanada,_

der in Deutschland bisher kaum eine Schlacht liefern konnte: Seit 1986 hat Robert Charles Wilson 12 Romane auf die Science-Fiction-Fraktion losgelassen (und einen Kurzgeschichten-Band), er war mehrfach für den Hugo-Award nominiert, aber auch für den World Fantasy-Award, den Nebula-Award und den Aurora-Award.

Nach Deutschland haben es bisher nur fünf Romane geschafft – drei davon sind vergriffen: „Bis ans Ende aller Zeit“, „Darwinia“ und „Bios“. Die zwei erhältlichen Werke haben wir nun dem |Heyne|-Verlag zu verdanken, er hat sich dem 2001 erschienenen [„Die Chronolithen“ 1816 angenommen und veröffentlicht nun „Spin“, das aktuellste Werk des kanadischen Ideenjongleurs.

_Lights out, Everybody!_

Hätte Gott das vom Himmel geschrieen, hätten sich Tyler Dupree und die beiden Lawton Zwillinge vielleicht nicht so sehr den Kopf zerbrochen, als in einer Nacht unbekannten Datums plötzlich die Sterne vom Himmel verschwanden. So aber steht die Welt Kopf: Wer hat die Sterne ausgesperrt? Was ist die Ursache? Wird die Sonne am nächsten Tag überhaupt wieder aufgehen? Aber der Reihe nach:

Tyler Dupree ist eigentlich ein ganz einfacher Bursche von durchschnittlicher Intelligenz, er lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Bungalow neben dem imposanten Lawton-Haus, von jedem nur „Das Große Haus“ genannt. Tylers Mutter jedenfalls arbeitet im „Großen Haus“ als Haushälterin, und Tyler selbst befreundet sich mit Jason und Diane Lawton. Die Zwillinge sind die Nachkommen von Carol, einer depressiven Alkoholikerin, und von E.D. Lawton, einem herrschsüchtigen Industrie- und Forschungsmagnaten, der vor allem in Luft- und Raumfahrt große Erfolge erzielen konnte.

Tyler ist so eng mit den beiden Lawtons befreundet, dass er den Druck miterlebt, den E.D. auf seinen Sohn ausübt, aber auch den Schmerz von Diane Lawton, weil sie von ihrem Vater nur kühle Gleichgültigkeit zu spüren bekommt. Gerade als die ersten Knospen der Pubertät in der Beziehung zwischen Jason und Diane erblühen, gehen die nächtlichen Lichter aus, die Erde wird vom sogenannten Spin eingehüllt.

Für Jason wird der Spin zur Besessenheit. Zusammen mit seinem Vater ist er auf der Suche nach einer Erklärung für die Erscheinung, auf der Suche nach den „Hypothetischen“, welche die Fäden hinter den Kulissen ziehen müssen. Diane hingegen wird von einer tief greifenden Furcht erfasst, was die Hypothetischen betrifft, ihre Suche nach Antworten bringt sie auf religiöse Pfade, in das Jagdrevier seltsamer Sekten, die seit dem Spin wie Schimmelpilze wuchern.

Tyler selbst betrachtet die Geschehnisse mit einiger Distanz, er gewöhnt sich, wie der Rest der Welt, an die verschwundenen Sterne, beginnt ein Medizinstudium und arbeitet fortan als Arzt im Forschungsinstitut von Jason Lawton. Der versorgt ihn dabei stets mit brandneuen Informationen über den Spin: Erste Sonden wurden durch die Spinmembran ins All geschossen und ihre Messergebnisse sind so unglaublich wie weitreichend für die Forschung und die gesamte Welt. So ist Tyler immer ein Teil der wahnwitzigen Projekte, die Jason durchführt, und darf als Erster von den Erkenntnissen kosten, die diese Projekte hervorbringen. Dann allerdings kippen die Verhältnisse, Jason erkrankt, die religiöse Erlösung bleibt aus und allmählich scheint das Ende der Welt unvermeidlich …

_John Irving auf dem Science Fiction Trip_

Man sieht es vielleicht an obiger Zusammenfassung: „Spin“ legt einen unglaublichen Wert auf Figuren und deren Schicksale. Wilson beobachtet die einzelnen Charaktere mit der Lupe und verfolgt auch alle Nebenströmungen ihrer Entwicklung bis zur letzten Seite. Ähnlich wie John Irving beschreibt er selbst so profane Dinge wie ein jugendliches Fahrradrennen vollkommen lebensecht und spritzig, er lässt die Persönlichkeit der Figuren dabei sichtbar werden und vermittelt gleichzeitig die Melancholie der vergänglichen Jugend – Beeindruckend!

Auch auf die Entwicklung der Welt nach dem Spin hat er ein scharfes Auge: welche Bewegungen entstehen, warum tun sie das, in was für Splittergruppen zerfallen sie, kurzum, wie sieht er denn aus, der Mensch des Post-Spin, der Bürger einer Welt, die sich von einer unbekannten Macht vom Universum ausgesperrt fühlt? Dazu starrt „Spin“ geradezu vor tiefen, philosophischen Überlegungen, in schöne Bilder verpackt und ernsthaft vorgetragen. Wilsons Sprache überhaupt ist überdurchschnittlich: flotte Dialoge, floskelfreie Vergleiche und treffsichere Metaphern; sogar Rückblenden weiß Wilson spannungssteigernd einzusetzen (Anfangs jedenfalls, aber dazu kommen wir später) – Wunderbar!

_Geduldsprobe für den Ideensüchtigen._

Der Science-Fiction-Fan allerdings wird schon längst unruhig auf dem Stuhl herumrutschen: Familienchronik, Sozialfiktion, treffende Vergleiche und philosophische Ausschweifungen – schön und gut, aber wo verdammt noch mal bleibt die Science-Fiction?! Eine berechtigte Frage. Nun sollen an dieser Stelle keine falschen Vorstellungen entstehen: Das Geheimnis um den „Spin“ und die „Hypothetischen“ steht immer im Raum, es wird auf Hardcore-Ebene diskutiert, es gibt wahnwitzige Experimente, unglaubliche Erkenntnisse und eine visionäre Idee hinter allem … aber all das ist eben nur Hintergrundbeleuchtung für die Familiengeschichte um die Lawtons und ihren Kumpel Tyler Dupree.

Wo sich der Charakter-Fan an zahlreichen Details laben kann, entwickeln sich die Science-Fiction-Elemente mit der Geduld wandernder Kontinente. Ja, Tylers Beziehung zu Diane ist zwiegespalten, ja, die zu Jason auch. Ja, die Welt regt sich über den Spin auf, ja, der Spin hat unterschiedlichste Auswirkungen auf unterschiedlichste Kulturen. Seufz. Wie Wüstenforschung ist das. Nebensächlichkeiten (aus phantastischem Blickwinkel) in dünenhaftem Überfluss, schön arrangiert, meisterlich fast, aber so trocken, dass der Science-Fiction-Leser fast verdurstet. Gott sei Dank gibt es doch ein paar Ideen-Oasen, aber so erfrischend sie auch sein mögen, sie sind schnell leer getrunken und müssen lange vorhalten.

Die Rückblenden sind dabei zweifelhafte Verbündete: Wo sie am Anfang des Buches noch Spannung erzeugen, weil sie die vorstellungssprengenden Ausmaße des Spins andeuten, nehmen sie später Dinge vorweg, die sich dann im „normalen Zeitfluss“ der Story erst entwickeln müssen.

_Alles eine Frage der Zielgruppe._

Wer also Richard Morgan oder John Clute auf seinem Einkaufszettel stehen hat, sollte sich nur mit äußerster Vorsicht an „Spin“ heranwagen; auch wenn die Auflösung schon etwas hermacht, ist der Weg dorthin ein quälend langer. Als Alternative kann ich da nur „Quarantäne“ von Greg Egan empfehlen, sozusagen eine Ultra-Hardcore-Version von „Spin“ – qualmender Schädel und entrücktes Weltverständnis garantiert!

Wer bei der Erwähnung von John Irving große Augen bekommen hat, muss allerdings ebenfalls aufpassen: Mit Irvings Figuren kann Wilson nicht mithalten. Zwar geht er gewaltig in die Tiefe, aber trotz all des beeindruckenden Schmuckwerks sind die Basischaraktere schon ein wenig Klischee (der hyperbegabte Sohn, der vom strengen Vater zu Höchstleistungen angetrieben, aber nie gelobt wird, usw.) Außerdem: Science-Fiction-Anfänger könnten bei diversen Fachdiskursen um „autokatalytische Rückkopplungsschleifen“ schon dem Bedürfnis erliegen, nach der Aspirin-Packung zu greifen.

Wer nun aber genau zwischen diesen beiden Extremen existiert und sich für eine Familienchronik erwärmen kann, die mit mittelharter Science-Fiction serviert wird, der hat 550 Seiten anspruchsvolles Lesevergnügen vor sich.

Mutige Sache, Mr. Wilson! An wahrer Qualität scheiden sich eben immer die Geister.

Homepage des Autors: http://www.robertcharleswilson.com/
http://www.heyne-verlag.de
[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92

Schröder, Rainer M. – Amulett der Wüstenkrieger, Das (Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 2)

Ägypten im Jahr 1291: Mit Akkon ist die letzte Bastion der Christenheit im Heiligen Land gefallen. In letzter Sekunde ist es den frisch zu Gralshütern geweihten Templern Gerold, Tarik, Maurice und McIvor gelungen, den Heiligen Gral aus der untergehenden Stadt zu retten. Während der alte Gralshüter Abbé Villard den Tod durch die Hände Sjadús erwartet, dem Anführer der Iskaris genannten Satansjünger, werden die Gralshüter in Kairo gefangen genommen. Einzig Tarik kann entkommen und muss seine Gefährten sowie die schöne Beatrice und ihre Schwester aus dem Harem beziehungsweise dem Kerker des Emirs befreien.

Der Gral und die beiden Mädchen müssen in Sicherheit gebracht werden, nach Paris, in die Ordensburg der Templer. Doch die Häfen werden von den Iskaris überwacht; den Hütern bleibt nur die Flucht quer durch die lybische Wüste. Neben glühender Hitze, Iskari-Verfolgern und gefährlichen Sklavenhändlern bedrohen interne Konflikte die Gruppe. Der ewige Spötter Maurice hat sich ernsthaft in Beatrice verliebt, die diese Gefühle erwidert. Gerold ist besorgt darüber, ob Maurice seinen Eid als Gralshüter halten wird. In Frankreich angekommen, werden die Gralshüter mit der ganzen Macht der Satansjünger konfrontiert, die ihre Reise nach Paris verzögert. Statt mit blanker Gewalt versuchen sie nun mit List und Tücke des Grals habhaft zu werden …

_Der Autor_

Rainer M. Schröder (* 1951) beschreibt sich selbst als Mann mit vielen Neigungen und Talenten. Bevor er im Jahr 1977 zum Schriftsteller wurde, studierte er Gesang, später Jura und Theaterwissenschaften, arbeitete als Lokalreporter für rheinische Lokalzeitungen und den Rundfunk. Beeinflusst von Autoren wie Jack London und Joseph Conrad, unternahm er zusammen mit seiner Frau abenteuerliche Reisen, von den Everglades über den stürmischen Nordatlantik bis in die australische Wildnis. Zusammen mit dem berühmten Schatztaucher Mel Fisher tauchte er nach der spanischen Schatzgaleone Atocha; diese Erlebnisse verarbeitete er in seinem Abenteuerroman „Das Goldriff“. Heute lebt er in Palm Coast, Florida.

Während Rainer M. Schröder in Deutschland vor allem als Jugendbuchautor mit Schwerpunkt auf historischen Themen bekannt ist, veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ashley Carrington umfangreiche historische Gesellschaftsromane für ein erwachsenes Publikum. „Das Amulett der Wüstenkrieger“ stellt den zweiten Band der Trilogie „Die Bruderschaft vom Heiligen Gral“ dar, mit der Rainer M. Schröder sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum erreichen will.

_Quer durch die Wüste nach Frankreich_

„Das Amulett der Wüstenkrieger“ setzt nahtlos die Handlung des ersten Bandes fort. Tarik darf raffinierte Befreiungspläne schmieden, während Gerold und Maurice im Kerker schmoren und dasselbe versuchen. Besonders die Rettung McIvors drängt; der Schotte ist als Arenasklave in Lebensgefahr. Schröder beschreibt sehr schön die Verhältnisse am Hofe des Emirs, in den Kerkern und Sklavenarenen Ägyptens, wobei er wie bereits im ersten Teil nicht mit ausführlich erläuternden Fußnoten zu historischen Daten oder fremdländischen Begriffen wie alten Maßeinheiten geizt. So unterhaltsam dieser Abschnitt auch beschrieben ist, kann er nicht ganz die Stimmung und geballte Fülle an geschickt eingebundenen historischen Details bieten wie der erste Teil, was sich leider auch in der folgenden Flucht durch die Wüste fortsetzt. Auch Schröder kann der kargen Landschaft und ihren harten, stolzen und ehrenhaften Bewohnern nur einen begrenzten Unterhaltungsfaktor abgewinnen.

Interessanter sind die Episoden aus der Sicht des bösen Sjadú, dessen Ehrgeiz und Gewissenlosigkeit nur noch von seiner teuflischen Schläue übertroffen werden. Ein hervorragend charakterisierter Antagonist, der den Leser um die Gruppe bangen lässt. Seine List und Finesse zeigen sich im in Frankreich spielenden dritten Handlungsabschnitt des Buches, der mir am besten gefallen hat. Scheinbar fühlt auch Schröder sich im europäischen Mittelalter eher zu Hause als in der Wüste, denn hier zündet er wieder ein Ideenfeuerwerk, das in ein spannendes Finale mündet. Obwohl Sjadú und der Leser zwei Worte Satans höchstpersönlich vernehmen dürfen, hält sich Schröder mit übernatürlichen Dingen und insbesondere den Fähigkeiten, die er Iskaris und Gralshütern verliehen hat, angenehm zurück. Die Macht der Iskaris, Menschen zu verführen, und jene der vier Gralshüter, je eines der vier Elemente zu manipulieren, wird nur dezent eingesetzt und lässt sie nicht zu Superhelden mutieren.

Mit einem viel versprechenden Ausblick auf Kommendes endet der Roman: Sjadú realisiert, dass, solange der mächtige Templerorden der Gralshüterbruderschaft der Arimathäer Unterschlupf gewährt, der Gral nicht zu erringen ist. Die legendäre Nacht- und Nebelaktion, die zum Untergang des Templerordens führte, dürfte im Mittelpunkt des nächsten Bands |“Das Labyrinth der Schwarzen Abtei“| stehen, in dem es die vier Gralshüter in besonderer Mission nach Spanien verschlagen wird:

|“Nun legte Sjadú dem Fürsten der Finsternis ausführlich dar, wie er sich diesen vernichtenden Schlag gegen den mächtigen Orden der Templer vorstellte und wie er ihn in die Wege zu leiten gedachte. Und es war ein wahrhaft überzeugender, teuflischer Plan (…).“|

_Fazit_

Die wunderschöne und aufwändige Umschlaggestaltung sowie das Lesebändchen und das ausgezeichnete Kartenmaterial im Anhang heben dieses Buch wie bereits den Vorgänger weit aus der Masse vergleichbarer Veröffentlichungen heraus. Schröder setzt die Schlacht um den Gral spannend fort, wobei das Wüstenszenario dieses Romans mir leider nicht ganz so gut gefiel die grandiose, historisch reichere Belagerung Akkons. Dafür kann die Schilderung Sjadús begeistern – ein würdiger Gegner der Gralshüter für die nächsten Bände.

Der abschließende Band der Trilogie verspricht ein grandioses Finale, das Schröders entgegen kommen dürfte: Die Verquickung von historischen Details wie der Verschwörung, die zum Untergang der Templer führte, mit seiner Fiktion der Gralshüter und Satansjünger dürfte seine Stärken besser zur Geltung bringen als die leider etwas dürre Flucht durch die Wüste. Trotzdem ist auch dieser Roman eine Empfehlung wert; wer ein Faible für Wüstenromane hat, wird ihn vermutlich sogar etwas höher einschätzen.

Band 1: [Der Fall von Akkon 2324

Offizielle Homepage von Rainer M. Schröder:
http://www.rainermschroeder.com/

Homepage des Arena Verlags:
http://www.arena-verlag.de/

John MacLachlan Gray – Der Tag der weißen Steine

Das geschieht:

London im Jahre 1858: Sechs Jahre sind vergangen, seit Edmund Whitty, Sonderberichterstatter der Zeitung „Falcon“, eine zentrale Rolle bei der Entlarvung des Frauenmörders „Chokee Bill“ spielte. Viele Schlagzeilen und gutes Geld hat ihm dies beschert, doch die Tage des Ruhmes sind lange vorbei. Whitty steckt in einer Pechsträhne. Seit einiger Zeit schnappt ihm ausgerechnet sein erbitterter Konkurrent, Alastair Fraser, die Schlagzeilen weg. Seit Wochen hat Whitty keinen Artikel mehr verkaufen können und steckt in Geldnöten, die umso ernster sind, als er beim „Captain“, einem gefürchteten Wucherer, in der Kreide steht.

In seiner Not übernimmt Whitty einen dubiosen Auftrag: Für einen Detektiv aus den USA soll er das betrügerische Medium Bill Williams entlarven. Die Séance endet im Fiasko, als Williams plötzlich vom Geist David Whittys beherrscht zu sein scheint Sorgfältig hat der Journalist bisher verborgen halten können, dass sein vor sechs Jahren ertrunkener älterer Bruder in der Tat womöglich nicht einem Bootsunfall zum Opfer fiel. Woher kennt Williams die Familientragödie der Whittys? Und wieso wird Edmund wenig später ein Foto zugespielt, das David beim verbotenen Liebesspiel mit einer Minderjährigen zeigt? Soll Edmund erpresst werden? Lebt sein Bruder etwa noch? John MacLachlan Gray – Der Tag der weißen Steine weiterlesen

S.H.A. Parzzival – Fledermaus (Titan-Sternenabenteuer 26)

_Story_

Es sind gerade einmal drei Tage vergangen, seit Shalyn Shan wieder aus ihrem künstlichen Koma erwacht ist, da befindet sich die Kommandantin der „Titan“ auch schon wieder mitten im Chaos. Gerade erst hat sie dank der Hilfe von Sir Klakkerakk den Kamikaze-Anschlag eines Gleiter-Piloten überlebt, da bringt ihr neuer ungeliebter Begleiter Wernher von Witzleben sie und ihre Freunde auch schon wieder in neue Gefahren. Die ganze Zeit über rückt der Mann im Fledermauskostüm aus heiterem Himmel und in völlig unangebrachten Situationen mit neuen Informationen heraus, die sich schließlich auch immer als wahr entpuppen. Warum kann dieser Mann immer wieder zukünftige Ereignisse vorhersagen? Ist es wirklich nur Zufall? Als Shalyn dann auch noch bezeugen muss, wie der Mann in Begleitung klassischer Rockmusik einen Trupp der Gefühlsjäger in der zerstörten Stadt Germania aufspürt und diese tanzend auslöscht, hält Shalyn den Mann für vollkommen verrückt. Dabei zeigt von Witzleben überraschenderweise aber auch sehr menschliche Seiten, die sein Auftreten plötzlich in ein gänzlich anderes Licht rücken …

Währenddessen ereignen sich in Yellowstone seltsame Dinge. In der direkten Umgebung von ex-World-Police-Cop Benyam Eriksson kommen mehrere Menschen auf grausame Art und Weise ums Leben und behalten als Hinterlassenschaft ein schwarzes Loch in der Halsgegend. Bevor sich Benyam, der inzwischen alkoholabhängig und bei der Müllabfuhr tätig ist, jedoch näher um die Sachen kümmern kann, befindet er sich auch schon mitten auf der Flucht vor seinen ehemaligen Kollegen, obwohl er nicht an der Mordserie beteiligt war. Zumindest spielt ihm sein Bewusstsein dies vor …

_Meine Meinung_

Endlich sind die „Titan-Sternenabenteuer“ wieder auf dem hohen Niveau angelangt, welches die Serie vorm Einstieg ins Social-Fiction-Genre noch innehatte. „Fledermaus“, mittlerweile schon der 26. Roman aus dieser Reihe, kann in Sachen Spannung von keinem der vier vorherigen Bücher dieses Zyklus‘ übertroffen werden und ist gleichzeitig auch das beste Werk des unter dem Pseudonym S.H.A. Parzzival firmierenden Autors innerhalb dieser Weltraumsaga. Doch wir wollen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen …

Nach dem nervenaufreibenden Cliffhanger des letzten Bandes „Himbeertod“ startet man in „Fledermaus“ sofort voll durch. Bevor die Auflösung der jüngsten Ereignisse in Kraft tritt, wird auch schon wieder ein neuer Protagonist vorgestellt, um den der Autor eine ebenso mysteriöse Aura webt wie um den Namensgeber dieses Buches, Wernher von Witzleben. Und dies gelingt diesmal auch wirklich vorzüglich. Parzzival offenbart dem Leser gleich eine ganze Palette an Möglichkeiten, wer oder was sich genau hinter Benyam Eriksson verbirgt, und bestärkt mehrere Vermutungen auch noch mit entsprechenden Andeutungen. Bis zum Schluss bleibt das Mysterium um diese neue unscheinbare Person erhalten, auch wenn langsam Licht in seine düstere Vergangenheit kommt. Der Weg dorthin ist jedoch eine der Sternstunden der Sternenabenteuer und sorgt auch über diesen Band hinaus für enorm hohe Spannung. Genau das haben wir lange vermisst!

Nicht anders laufen die Dinge im Umfeld von Shalyn Shan, die im neuen Band mal wieder einige erhebliche Rückschläge hinnehmen muss. Erst einmal empfindet sie ihren Beschützer von Witzleben eher als Plage denn als Hilfe. Seine arrogante Art, sein zweifelhaftes Wissen und sein undurchschaubares Auftreten machen die Suuranerin immer nervöser und bringen sie mehr als einmal aus ihrer bisherigen souveränen Ruhe. Hinzu kommt, dass sie nun von einer weiteren Person begleitet wird, über deren Lebensgeschichte sie sich genauso im Unklaren ist wie über die Vergangenheit ihrer Lebensgefährtin Monja. Allerdings scheint von Witzleben so einiges über Miss Anjetta zu wissen, weshalb in Shalyn Shan immer noch die Hoffnung ruht, dass der Mann im Fledermauskostüm sich letztendlich als Gewinn für ihre Mannschaft herausstellen wird. Und spätestens als er sie in der Wüste nahe der Ruinen von Germania vor den angreifenden Cadschiden beschützt, weiß Shalyn, dass sich dieses anstrengende Opfer für sie ausgezahlt hat.

Parzzival hat in diesem Band so ziemlich alles richtig gemacht, was man richtig machen konnte. Es gibt neue skurille Figuren, noch skurilleren Humor, zwei spannende, aber noch lose zusammenhängende Handlungseinheiten, einige sehr unerwartete Überraschungen und eine Shalyn Shan in Topform – trotz der eingesteckten Tiefschläge. Nach all den zwiespältig aufgenommenen Romanen des neuen „Titan“-Zyklus feiert die Serie hier ein eindrucksvolles und endgültiges Comeback, welches mit der spannenden Endsequenz bereits jetzt wieder genügend Futter für den Folgeroman „Krakentanz“ bereithält. Gott sei Dank!

http://www.blitz-verlag.de/

Karnani, Fritjof – Takeover

_Internetspannung auch im deutschen Krimi-Underground._

Viel gibt es leider nicht in Erfahrung zu bringen, über die Schriftstellerkarriere von Fritjof Karnani, wohl aber über seinen Lebensweg und die offensichtlichen Pfeiler seiner Inspiration: Als studierter Wirtschaftsingenieur und preistragender Spezialist in Sachen Unternehmensstrategien kennt er sich in einem aus: Wirtschaft und Politik. Dementsprechend spielt sich sein Krimi-Debüt vor genau jener Kulisse ab:

_Informationsterrorismus und Datenkidnapping._

Damit bekommt es Ferry Ranco zu tun, Chef der größten Provider-Firma Deutschlands: GermanNet. Bei GermanNet flattert eine höchst dringliche E-Mail ins Postfach, in der die Sicherheitsfirma X-SECURE davor warnt, dass gerade ein Hacker sämtliche Sicherheitsbarrieren durchbrochen hätte, so unmöglich das eigentlich sein müsste. Warum wird gerade Ferry Ranco angesprochen? Weil jeder Internetnutzer – auch jeder Hacker – eine sogenannte IP-Adresse hat, und da die entsprechende „Hacker-Adresse“ bei GermanNet angemeldet ist, kann GermanNet herausfinden, wer dieser Nutzer ist.

Jedenfalls, Ferry Ranco kümmert sich darum und findet über den Besitzer dieser IP-Adresse Erstaunliches heraus … Sein Interesse ist geweckt, er ruft einen alten Studienkollegen an, der sich mit dem Gebiet „Hacker“ auskennt, und bittet ihn um Hilfe. Die soll er auch bekommen, in Form einer gut aussehenden Studentin, die sich im Rahmen ihres Studiums mit diesem Thema befasst. Just zu diesem Zeitpunkt tritt Ferry ein mysteriöser Fremder gegenüber und warnt ihn davor, seine Nachforschungen zu vertiefen; als Ferry dem nicht nachkommt, verleiht der Fremde seinen Forderungen blutigen Nachdruck.

Ferry muss untertauchen, zusammen mit Judith, der hübschen Studentin; eine wunderbare Gelegenheit für Rolf Keller, am Stuhl seines verhassten Chefs zu sägen. Währenddessen werden wirtschaftliche und politische Größen immer wieder von einem mysteriösen Maximilian aufgesucht, der ihnen Informationen anbietet, die er eigentlich gar nicht haben dürfte.

_Drei Zutaten für einen explosiven Spannungscoctail._

Nummer eins: Das Syndikat, ein unsichtbarer Gegner mit Big-Brother-Auge auf alle IT-Vorgänge. Nummer zwei: Rolf Keller, ein Gegenspieler, der versucht, Ferry Ranco vom Thron seines Lebenswerks zu stoßen. Nummer drei: Karnanis ausgeprägtes Wissen über das Funktionieren des Internets und von wirtschaftlichen Großkonzernen.

Hätte Fritjof Karnani diese drei Zutaten nun mit Inbrunst durchgeschüttelt und eiskalt serviert, hätte man sich das Ergebnis mit wahrer Wonne und in einem Zug in die Kehle gießen können. Stattdessen aber verwässert er alles Potenzial mit lauwärmsten Klischees: Rolf Keller, der Gegenspieler von Ferry, hat als einzigen Grund für seine Intrigenspielereien nur den: Er mochte Ferry noch nie und wollte schon immer die Nummer eins sein. Er ist ein wahrer Sammelband an Rivalenklischees, raunzt seine Untergebenen an, schleimt bei den Geldgebern, packt unterstellten Sekretärinnen an die Hupen, um seine Macht zu beweisen und bekommt Büro-Randale-Anfälle, wenn nicht alles so läuft, wie er sich das vorstellt (was nie passiert, weil er kurzsichtig und dumm ist).

Dann gibt’s da noch den philosophischen Barkeeper, mit tief schürfenden Weisheiten wie: Man kann eher den Sinn des Lebens verstehen als die Frauen; es gibt den supersympathisch gut aussehenden Millionärs-Chef und die spitzenblondinige Chefsekretärin (ehemalige Miss Berlin). Der fehlende Tiefgang ist es ja gar nicht mal, es ist diese extremste Schwarz-Weiß-Malerei, die den Figuren alles Glaubwürdige raubt, eingebettet auch noch in vorhersehbarste Nebenhandlungen: Ferry, der Millionär, der schon lange aufgegeben hat, nach „der Richtigen“ zu suchen, trifft auf Judith, die hübsche Studentin, die seinem Charme interessanterweise nicht sogleich verfällt … Na? Eine Idee, wie’s weitergeht?

Das wäre ja alles nicht so schlimm, wenn die mysteriösen Datendiebe ihnen das Leben mit dem versprochenen blutigen Ernst erschweren würden, aber auch das: Pustekuchen. Sicher, „das Syndikat“, wie der Verein von Ferry genannt wird, treibt schon üble Spielchen, aber unser Protagonist bekommt davon selten etwas zu spüren, er hat seine Spuren gut verwischt und kann sich seinem persönlichen „Schlaflos in Seattle“ mit Judith hingeben, ohne sich vor den Nachstellungen des Syndikats fürchten zu müssen.

Das Syndikat übt dann eben anderweitig Druck auf Ferry aus: Es hilft Rolf Keller, am Stuhl seines verhassten Chefs zu sägen. Nun, das wäre spannend gewesen! Wenn Ferry Ranco nicht schon am Anfang des Buches mit dem Gedanken gespielt hätte, sich seinen Aktienanteil auszahlen zu lassen, um fortan im gut situierten Ruhestand zu leben – er hat nämlich gar keinen Bock mehr auf GermanNet!

Um es auf den Punkt zu bringen: Fritjof Karnani betreibt über die ganzen 268 Seiten geradezu vorsätzliche Konfliktflucht, die am Ende fast schon kriminelle Ausmaße annimmt. Mal ehrlich: Dieser Schluss ist eine Frechheit. Dazu werden alle aufgeworfenen Handlungsstränge auf Teufel komm raus zusammengezurrt. Seufz.

_Fehlzündung der Debütkanone._

Um meinen Standpunkt klar zu machen: Ich unterstütze den Underground, wo es nur geht, und hasse nichts mehr als auf dem „Nachwuchs“ herumzuhacken. Gerade in der Literaturszene hat es der deutsche Nachwuchs doppelt schwer, und kleine Verlage wie der |Gmeiner|-Verlag müssen sich zermürbende, wenig aussichtsreiche Schlachten mit den Marktgiganten liefern, die ihrerseits fremdsprachige Literatur dem Einheimischen bevorzugen.

Dementsprechend schmerzt es mich, „Takeover“ derartig in Grund und Boden zu stampfen. Aber es hilft nichts, aller Sympathiepunkte zum Trotz kann dieses Buch nicht überzeugen. Die 268 Seiten lesen sich flüssig, Karnanis Schreibe ist kompetent, kompakt und sein Insiderwissen weiß schon das eine oder andere Mal zu begeistern, aber die Story ist ein glatter Fehlschuss. Ein Per Helge Sørensen setzt „Takeover“ seinen hochspannenden Internet-Thrillern „Mailstorm“ und [„Intrigenspiel“ 1590 zum Frühstück vor. Und Fritjof Karnani gleich mit dazu. Da wurde Potenzial mit vollen Händen verschenkt.

http://www.gmeiner-verlag.de/