Alle Beiträge von Birgit Lutz

Sara Douglass – sterblichen Götter Tencendors, Die (Im Zeichen der Sterne 1)

Askam, Prinz des Westens, steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Nicht nur, weil er drei Jahre lang den koroleanischen Botschafter zu Gast hatte, sondern auch, weil er sein Geld in ein paar höchst riskante Vorhaben gesteckt hat, die prompt schief gegangen sind. Um seine Gläubiger bezahlen zu können, versucht er, eine ruinös hohe Steuer einzuführen, die vor allem Zared, Prinz des Nordens treffen soll, denn dessen Provinzen florieren. Unter anderem deshalb, weil die fähigsten Handwerker und Kaufleute vor Askams Steuern zu Zared geflüchtet sind.

Die Steuer bringt bei den Kaufleuten Karlons ein Fass zum Überlaufen; sie reisen zu Zared und bitten ihn, beim Sternensohn zu intervenieren. Caelum, Axis‘ Ältester, greift tatsächlich ein, allerdings auf eine Weise, die Zared zutiefst verbittert. Zugleich verweigert Caelum ihm aus politischen Gründen die Heirat mit Leah, Askams Schwester. Von den Gildenmeistern Karlons angefeuert, entschließt Zared sich, dem Sternensohn Widerstand entgegenzusetzen.

Während Zared Pläne schmiedet, um Askam und Caelum zur Vernunft zu bringen, wird Flussstern, Caelums lüsterne Schwester, tot in ihrem Gemach aufgefunden. Über ihr kniet, ein blutiges Messer in der Hand, Drago, ihr Zwillingsbruder, der einst für seinen Verrat an Caelum damit bestraft wurde, dass seine Mutter Aschure in seinem Blut die Dominanz seines Ikarischen Erbes aufhob und ihn damit zum Menschen machte. Caelum ist sofort davon überzeugt, dass Drago der Mörder ist, und lässt ihn in einem Schauprozess zum Tode verurteilen. Aber Zenit, Jüngste der Geschwister, hat Mitleid mit ihrem Bruder und verhilft ihm zur Flucht.

Unbemerkt von den Herrschenden, die mit ihrem eigenen Händel beschäftigt sind, nähert sich von außerhalb Tencendors eine Bedrohung, die zunächst niemand wahrnimmt und die in ihrem Ausmaß Gorgrael bei weitem in den Schatten stellt, Dämonen, die unbedingt durch das Sternentor nach Tencendor wollen …

An alldem zeigt sich bereits, dass die Fortsetzung des Weltenbaumzyklus auch in der nächsten Generation nichts von seiner Komplexität verloren hat!

Caelum ist der oberste Herrscher über Tencendor und voll der besten Vorsätze. Aber die Erinnerungen an den Verrat seines Bruders hat sein Wesen vergiftet. Caelum ist unsicher und von seiner Angst vor Drago beherrscht, obwohl Drago ihm ohne Magie gar nicht gewachsen ist und seit vierzig Jahren nichts tut als vor sich hinzualtern. So stark ist Caelums Angst vor Drago, dass er die erste Gelegenheit wahrnimmt, sich seiner zu entledigen.

Unterstützt wird Caelum darin nicht nur von seinen Eltern, sondern auch von Wolfstern. Der mächtige Zauberer, der für die Erfüllung der Prophzeiung gesorgt hat, ist immer noch damit beschäftigt, die Geschicke zu beeinflussen. Er als Einziger weiß von den Dämonen außerhalb des Sternentores, er weiß von ihrem Ziel und von dem Wächter dieses Ziels. Er weiß auch, es gibt nur einen, der diesem Wächter helfen kann, sollten sie nach Tencendor eindringen: den Sternensohn! Und er glaubt, Caelum wäre dieser Aufgabe ohne Drago besser gewachsen.

Drago ist von seinen Verwandten nichts anderes gewohnt als Abscheu und Hass. Dabei weiß er nicht einmal, ob er dieses Verbrechen, das ihm ständig vorgeworfen wird, tatsächlich begangen hat, denn als Mensch hat er im Gegensatz zu den Ikariern keine Erinnerungen an seine Kindheit vor dem dritten Lebensjahr. Seit er denken kann, wird er von allen für etwas bestraft, von dem er nichts weiß. Zutiefst verbittert klammert er sich dennoch an das bisschen Leben, das seine Mutter ihm gelassen hat.

Zenit ist die Einzige, die sich der Tatsache bewusst ist, dass Drago sich an sein Verbrechen nicht erinnern kann, und die Verständnis für seine Verbitterung hat. Aber sie hat auch genug mit sich selbst zu kämpfen. Seit Wolfstern auf Sigholt erschienen ist, kämpft sich eine fremde Präsenz in ihrem Innern an die Oberfläche. Aber erst aus einem Brief, den ihre Mutter für sie bei Caelum zurückgelassen hat, erfährt Zenit, dass es sich dabei um Aschures wiedergeborene Mutter Niah handelt! Ein zäher Kampf gegen die fremde Seele, die Zenit als Eindringling empfindet, beginnt.

Die verworrenen, komplexen Beziehungen der Charaktere untereinander führen zu einem regelrechten gordischen Knoten: Caelum hasst und fürchtet Drago, Drago seinerseits richtet seine Bitterkeit gegen die gesamte Welt, mit Ausnahme seiner Schwester Zenit und seines Großvaters Sternenströmer. Zenit mag sowohl Caelum als auch Drago, hasst aber dafür die rücksichtslose Niah, die Zenit in ihrem Hunger nach Leben einfach aus ihrem eigenen Körper drängt. Wolfstern wiederum hasst Zenit dafür, dass sie sich gegen Niah durchgesetzt hat. Askam hasst Zared, weil er neidisch auf seinen Erfolg ist und um seine Herrschaft fürchtet. Und Axis ist wütend auf Zared, weil er glaubt, dieser wolle Tencendor spalten, für dessen Einheit Axis so lange gekämpft hat.

Axis hat Zared bereits vor dessen Geburt für nichts anderes als eine Quelle von Problemen gehalten, einen neuen Bornheld. Dass Zared allerdings nicht selbst die Schwierigkeiten bedeutet, sondern ihnen lediglich eine Stimme verleiht, scheint weder Caelum noch Axis aufzufallen. Das eigentliche Problem ist Askam, der einfach ein unfähiger Regent ist, aber dennoch von Caelum und Axis Rückendeckung erhält, nur weil er Belials Sohn ist. Dabei hätte Belial sich im Grabe umgedreht, wüsste er, was sein Sohn für Mist baut! Und Askam zeigt in seinem Hass und seiner Eifersucht auf Zared mehr Eigenschaften Bornhelds, als Zared es jemals könnte!

Dazu kommt die extreme Angst der Ikarier vor einem Königreich der Achariten, das sie automatisch mit einem Wiederaufleben des Seneschalls und einer neuerlichen Verfolgung von Ikariern und Awaren gleichsetzen. Dabei wäre eine Neuerrichtung des Seneschalls ohne den dazugehörigen Gott Artor gar nicht möglich. Artor aber ist tot!

Caelum, dessen Aufgabe als oberster Herrscher es eigentlich wäre, in dieser konfliktgeladenen Situation die Balance zwischen den Parteien zu halten, versagt kläglich. Ein Mann mit über vierzig Jahren Lebenserfahrung sollte eigentlich etwas Besseres auf die Beine stellen können!

Die Einzige, die tatsächlich etwas Vernünftiges für Tencendor tut, ist Faraday. Nachdem Drago sie mit Hilfe des Regenbogenzepters sozusagen aus Versehen aus ihrer tierischen Gestalt befreit hat, ist sie von einer neuen Macht durchdrungen, die aus dem Zepter stammt. Sie ist die Einzige, die hinter das Offensichtliche sieht und deshalb nicht nur Zenit hilft, sondern auch Drago.

Na ja, fast die Einzige. Denn die Seewache, die ihrer eigenen Aussage nach treu dem Sternensohn dient, tut einige Dinge, die für Caelums Anhänger äußerst verwirrend wären, so sie denn davon wüssten. Zunächst jedoch können auch sie das Eindringen der Dämonen nicht verhindern, denn diese sind zu allem entschlossen!

Die Dämonen erinnern ein wenig an die Apokalyptischen Reiter, sind allerdings zu fünft. Aber nicht nur, dass sie das Grauen in die Welt Tencendors tragen, sie wollen auch etwas zurück, das ihnen gestohlen wurde und ihre Macht noch um ein Vielfaches steigern wird! Der zweite Band wird deshalb den Blickwinkel der Handlung wohl ein gutes Stück ausweiten und die Dämonen mehr in den Mittelpunkt rücken.

Bei den Bänden des Zyklus |Im Zeichen der Sterne| hat |Piper| darauf verzichtet, sie in zwei Teile zu hacken, was dem Zusammenhang sehr gut tut. Trotzdem ist „Die sterblichen Götter Tencendors“ nicht ganz so spannend, wie es der erste Band des Weltenbaumzyklus war. Dieser erste Band zumindest wird vor allem von seinen vielen zwischen“menschlichen“ Konflikten getragen. Die meisten davon erklären sich aus der Vergangenheit. Dennoch muss ich sagen, dass vor allem Caelums, Axis‘ und Aschures Verhalten manchmal von einer derartigen Verblendung zeugt, dass es schon fast unrealistisch ist!

Abgesehen davon jedoch las sich das Buch flüssig und interessant. An neuen Ideen ist lediglich das Labyrinth mit seinem brisanten Inhalt dazugekommen, wurde allerdings noch nicht weiter ausgebaut. In dieser Hinsicht darf sich ruhig noch etwas mehr tun.

Wer den Weltenbaumzyklus noch nicht gelesen hat, dem empfehle ich, dies nachzuholen, ehe er mit dem Sternenzyklus anfängt. Zwar geht es diesmal um die jüngere Generation, aber viele der alten Charaktere tauchen wieder auf und die Geschehnisse aus dem ersten Zyklus wirken massiv in den zweiten hinein. Das Personen- und Sachregister am Ende mag zwar hilfreich sein, aber bei weitem nicht ausreichend.

Sara Douglass arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres Weltenbaum-Zyklus stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Sie lebt in einem Cottage in Bendigo/Australien. Außer dem Weltenbaumzyklus und „Tresholder“ schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten. Der zweite Teil des Sternenzyklus, „Die Wächter der Zeiten“, ist für September dieses Jahres angekündigt. In der Zwischenzeit schreibt die Autorin an ihrem neuen Zyklus |Darkglass Mountain|.

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[Die Sternenbraut 577 (Unter dem Weltenbaum 1)
[Sternenströmers Lied 580 (Unter dem Weltenbaum 2)
[Tanz der Sterne 585 (Unter dem Weltenbaum 3)
[Der Sternenhüter 590 (Unter dem Weltenbaum 4)
[Das Vermächtnis der Sternenbraut 599 (Unter dem Weltenbaum 5)
[Die Göttin des Sternentanzes 604 (Unter dem Weltenbaum 6)
[Der Herr des Traumreichs 1037
[Die Glaszauberin 1811 (Die Macht der Pyramide 1)
[Der Steinwandler 2639 (Die Macht der Pyramide 2)

Sara Douglass – Steinwandler, Der (Die Macht der Pyramide 2)

Buch 1: [„Die Glaszauberin“ 1811

Es ist so weit: Die Pyramide ist fertiggestellt! Zur Mittagsstunde wird die Sonne die Kammer der Unendlichkeit mit Licht fluten und das Tor öffnen, das den Magiern den Zugriff auf die Macht der Eins ermöglichen und damit Unsterblichkeit verleihen wird. Aber es kommt alles ganz anders! Die Präsenz, die von der Pyramide und damit von der Macht Besitz ergreift, nennt sich Nzame und unterwirft augenblicklich all jene, die so sehr nach Macht und Unsterblichkeit gegiert haben, allen voran die Magier und Chad Nezzar, den Herrscher von Ashdod.

Nur ein Bruchteil der Menschen, die diese Katastrophe miterlebten, konnte ihr entgehen, darunter Tirzah, Isphet, Yaqob, Boaz‘ Leibwächter Kiamet und Boaz selbst. Nun sind sie unter der Führung von Chad Nezzars Sohn Zabrze auf dem Weg nach Süden. Sie wollen die Heimat von Isphet erreichen, der Glasarbeiterin, in deren Werkstatt Tirzah als Sklavin gearbeitet hat. Von dort erhoffen sie sich Hilfe im Kampf gegen Nzame, der seine Macht täglich ausweitet und alles in seiner Reichweite zu Stein werden lässt. Tatsächlich werden dort einige der Elementisten zu Elementenmeistern ausgebildet, darunter Tirzah. Aber um Nzame zu besiegen, müssen sie die Bedeutung des Lieds der Frösche erkennen, und das ist nur jemandem möglich, der sowohl Elementenmeister als auch Magier ist. Der einzige Elementenmeister, der die Magie der Eins beherrscht, ist Boaz …

Bereits in „Die Glaszauberin“ war der Zwiespalt in Boaz‘ Charakter deutlich spürbar. Die Geschehnisse, die das Einsetzen des Schlusssteins begleiten, brechen schließlich die Herrschaft des Magiers über den Mann und lassen Boaz umkippen. Jetzt kämpft er zusammen mit den rebellischen Sklaven und Teilen von Chad Nezzars Armee gegen Nzame. Schuldgefühle und gelegentliche Andeutungen von Humor sowie seine Liebe zu Tirzah lassen ihn in diesem Band wesentlich menschlicher erscheinen als im ersten.

Der aufbrausende Yaqob will den Seitenwechsel zunächst nicht glauben und rammt Boaz ein Schwert in den Bauch. Tirzahs Entsetzen darüber, ihre Angst und ihr Kampf um Boaz‘ Leben zeigen ihm jedoch nur zu bald, dass er sie längst verloren hat. Dass Tirzah es ihm nicht früher gesagt hat, kränkt ihn tief. Zu meinem Erstaunen jedoch akzeptiert er sowohl Tirzahs Entscheidung als auch Boaz als neuen Verbündeten. Die deutliche spürbare Bitterkeit in seinem Verhalten verhindert dabei, dass die Entwicklung ins Unglaubwürdige abgleitet.

Tirzahs Charakter zeigt eher Stetigkeit als Entwicklung. Der Kampf gegen Nzame setzt Tirzah einer neuerlichen Zerreißprobe aus, denn sie droht nicht nur ihren Mann, sondern auch ihr ungeborenes Kind zu verlieren. Dennoch klammert sie sich an das Leben ihres Babys mit derselben Unbeirrbarkeit, mit der sie sich auch an ihr eigenes Leben geklammert hat. Und an den Mann, der sich hinter der Mauer des Magiers verschanzt hatte.

Obwohl die Macht, gegen die es zu kämpfen gilt, inzwischen einen Namen trägt, wird sie nicht detaillierter ausgearbeitet. Sie bleibt eine vage, fast unbekannte Wesenheit, was im Grunde nur logisch ist, da sie aus einer anderen, fremdartigen Dimension stammt. Es genügt, dass sie unendlich blutgierig und machthungrig ist, grausam und boshaft.

Erstaunlich, dass ein Wesen, dem seine eigene Macht sowie die der Eins zur Verfügung steht, keine wirksameren Waffen als die klobigen Steinkrieger zustande bringt, die von den Soldaten Zabrzes ohne große Schwierigkeiten überwunden werden können, einfach indem man sie umwirft! Zwar bezeichnet Nzame in Tirzahs Träumen die Steinmänner als nur einen Bruchteil seiner Macht, erstaunlicherweise setzt er die Reste derselben aber kaum ein. Lediglich an Zabrzes Kindern vergreift er sich auf grausame Weise, um Zabrze zu zermürben. Wirklich aufhalten aber kann er damit niemanden, weder den König noch Boaz und seine Gefährten.

Überhaupt hatte ich das Gefühl, der Kampf gegen Nzame ginge fast ein wenig zu glatt vonstatten. Nicht nur die Steinmänner wurden relativ problemlos besiegt. Auch Zabrzes Tochter Layla wurde recht schnell befreit. Am erstaunlichsten fand ich jedoch, dass Nzame Boaz die Pyramide betreten ließ! Er hatte solche Angst vor Boaz, dass er Tirzah mit den grausamsten Alpträumen quälte, nur damit sie Boaz davon abhielt, den Kampf gegen Nzame aufzunehmen. Wenn die Gefahr für ihn so groß war, dann hätte ich erwartet, dass er außerdem auch noch ein paar handfestere Maßnahmen ergreifen würde! Dass er versuchen würde, die Elementenmeister und ihr Heer um jeden Preis von der Pyramide fernzuhalten! Aber nichts dergleichen!

Insgesamt gesehen wird Nzame zwar der Bosheit und Grausamkeit gerecht, die von Anfang an angedeutet wird, nicht aber dem Machtumfang, den er eigentlich haben sollte, und blieb damit doch ein wenig hinter den Erwartungen zurück, die beim Bau der Pyramide geweckt wurden.

Sara Douglass‘ Darstellungen von Schlachten und kämpfen wirken generell eher unspektakulär. Hier fällt der Endkampf sogar komplett weg! Die Geschichte ist in der Ich-Form aus Tirzahs Sicht erzählt, den eigentlichen Kampf gegen Nzame jedoch ficht Boaz aus. Da Tirzah nicht dabei ist, erfährt der Leser dazu auch keine Einzelheiten, lediglich die äußerlichen Veränderungen an der Pyramide werden festgestellt. Vielleicht sollten die nachfolgenden Komplikationen für diese doch recht lapidare Beschreibung eines Ereignisses, das eigentlich erwartungsgemäß ein Höhepunkt sein sollte, ein wenig entschädigen. Allerdings geht die Autorin auch hier nicht weiter ins Detail. Wer oder was die magische Froschin Fetizza eigentlich ist, und wie Tirzah eigentlich ihren Boaz aus dem Grenzland zwischen ihrer Welt und der Zuflucht im Jenseits herausgeholt hat, wird nicht erklärt. Auch die Funkionsweise des Froschkelches und des Buches der Soulenai bleibt unscharf.

Das ist durchaus ein Manko. Boaz‘ Zwiespalt, der einen Großteil des Flairs im ersten Band ausmachte, fällt im zweiten Band gleich zu Anfang weg. An innerer Handlung bleibt hauptsächlich Tirzahs Seelenqual angesichts der drohenden Verluste übrig. Somit wird die Geschichte nun vor allem vom Handlungsverlauf getragen. Dadurch fallen die Defizite, die problemlose Lösung der gestellten Aufgaben und die ziemlich nebulöse Ausarbeitung der magischen Elemente, stärker ins Gewicht und lassen diesen Teil der Erzählung schwächeln.

Weit störender als diese Schwachstellen empfand ich allerdings die Tatsache, dass das Buch überhaupt in zwei Teile gehackt wurde. Schon das abrupte Ende des ersten Bandes war ausgesprochen lästig. Der Neueinstieg in die Erzählung dagegen war schlicht unmöglich! Im ganzen Buch gibt es kaum eine ungeeignetere Stelle, um die Handlung zu unterbrechen, als die, die der Verlag gewählt hat! Der Leser wird gleich zu Anfang des zweiten Bandes in ein Chaos hineingeworfen. Die Ereignisse überstürzen sich, Charaktere sind im Umbruch, die Verhältnisse der Charaktere zueinander verschieben sich. Der Leser hat keine Gelegenheit, sich erst einmal wieder in die Situation und die Personen hineinzudenken, die er vor acht(!) Monaten verlassen hat. Er wird einfach überrollt!

Diese ganze Sache war nicht nur überflüssig, sie war kompletter Murks! Ich empfehle deshalb allen Interessenten, die „Glaszauberin“ und den „Steinwandler“ unmittelbar hintereinander zu lesen. Die einzige Alternative dazu ist, die Geschichte im englischen Original zu lesen. Da ist es nämlich nur |ein| Buch! Möglicherweise rettet der Zusammenhang in der Lektüre auch das Flair aus dem ersten Teil ein Stück weit in den zweiten hinüber und schwächt dadurch die kleinen Mankos ein wenig ab. Denn wenn „Tresholder“ (Originaltitel des Gesamtwerkes) auch nicht so akribisch auf- und ausgebaut ist wie der |Weltenbaumzyklus|, so hat er doch seinen ganz eigenen Zauber.

Sara Douglass arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres Weltenbaum-Zyklus stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Sie lebt in einem Cottage in Bendigo/Australien. Außer dem Weltenbaumzyklus und „Tresholder“ schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten. Im März erschien unter dem Titel „Die sterblichen Götter Tencendors“ auch der erste Band der |Wayfarer Redemption|, der Fortsetzung des Weltenbaumzyklus, auf Deutsch. Der zweite Teil „Die Wächter der Zeiten“ ist für September dieses Jahres angekündigt. In der Zwischenzeit schreibt die Autorin an ihrem neuen Zyklus |Darkglass Mountain|.

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Freund, Peter – Stadt der vergessenen Träume, Die (Die Legenden von Phantásien)

Saranya ist eine Insomnierin und in Seperanza aufgewachsen. Das ist eigentlich schon ungewöhnlich, denn normalerweise sind Insomnier viel unterwegs. Doch in letzter Zeit kommt es so gut wie nicht mehr vor, dass einer von ihnen den Ruf verspürt, den unwiderstehlichen Drang, die Stadt zu verlassen und durch Phantásien zu ziehen. Im Gegenteil, immer mehr Insomnier drängen nach Seperanza hinein, denn das ist der einzige Ort, an dem sie vor dem Vergessen sicher sind. Ein Rat von Gelehrten ist seit langer Zeit schon damit beschäftigt herauszufinden, was es mit dem Ruf und dem Vergessen auf sich hat, bisher erfolglos.

Saranya möchte allerdings etwas ganz Anderes wissen, nämlich, warum das Ehepaar, das sie für ihre Eltern hielt, ihr so lange verschwiegen hat, dass sie ein Findelkind ist! Und was hat die Verbannung des einstigen Gelehrten Philonius Philippo Phantastus mit dieser Sache zu tun?

Während Saranya verbotenerweise in den Saal der Weisheit eindringt, um dort nach Antworten auf ihre vielen Fragen zu suchen, sind zwei andere Insomnier-Kinder auf dem Weg nach Seperanza, um dem Vergessen zu entgehen. Doch sie werden von Traumfängern verfolgt! So sehr sie sich auch abmühen, und obwohl ein Lawinenwicht die Kinder unterstützt, gelingt es den Traumfängern, das Mädchen Elea einzufangen. Natürlich will ihr Bruder Kayún sie auf keinen Fall aufgeben. Gemeinsam mit einem Gräuelgruseler namens Atrox macht er sich an die Verfolgung der Traumfänger …

Saranya ist ein typisches, behütetes Kind. Sie spielt mit ihrer Freundin Colina Schwebeball, geht für ihre Mutter auf den Markt, bringt ihrem Vater das Mittagessen ins Büro und ägert sich, dass sie auf die meisten ihrer Fragen nur ein „wenn du größer bist“ oder „das verstehst du noch nicht“ erhält. Ganz klar, dass sie wütend ist, als sie von ihrer geheimnisvollen Herkunft erfährt, und ebenso klar, dass sie mit allen Mitteln die Wahrheit erfahren will.

Kayún dagegen hat es nicht so leicht. Seine Eltern sind dem Vergessen anheim gefallen, jetzt ist er allein verantwortlich für seine jüngere Schwester und muss außerdem den Weg nach Seperanza finden. Obwohl seine Situation schwierig genug ist, hat er immer noch genug Zeit, sich darüber zu ärgern, dass Atrox ihn wie ein Kind behandelt.

Mit anderen Worten: Beide sind typische Teenager! Tiefer geht die Charakterzeichnung allerdings nicht.

Die Handlungsstränge dieser beiden Charaktere laufen fast das ganze Buch über parallel nebeneinander, ohne sich zu berühren. Erst gegen Ende treffen sie sich scheinbar rein zufällig. Es ist, als würde man zwei Geschichten gleichzeitig lesen. Aber nur fast. Im Grunde sind es zwei halbe Geschichten.

Der Handlungsstrang um Saranya beschäftigt sich nicht nur mit deren Herkunft, sondern auch mit dem Rätsel der Insomnier, mit dem Ruf und dem Vergessen. Denn diese Fragen sind bei weitem nicht so ungelöst wie allgemein angenommen. Und so kommt es, dass Saranya gleichzeitig nicht nur ihre wahre Herkunft aufdecken kann, sondern auch die Wahrheit über das Wesen der Insomnier. Saranya liefert sozusagen die Theorie. Der Handlungsstrang um Kayún dagegen liefert die Praxis. Er beschäftigt sich mit der Bedrohung durch die Traumfänger, sozusagen der Durchführung dessen, was Saranya herausgefunden hat.

So ist der Leser auf der einen Seite mit Detektivarbeit beschäftigt, während er auf der anderen Seite eine Menge Abenteuer zu bestehen hat.

Die Abenteuer selber sind eher unspektakulär. Denn fast alle Geschöpfe, denen Kayún und Eala begegnen, sind harmlos. Sogar der Gräuelgrusler ist ein im Grunde harmloses Geschöpf, das keine schlimmere Aufgabe hat als andere Geschöpfe zu erschrecken. So wundert es nicht, dass die Kinder von allen möglichen Seiten Unterstützung erhalten und immer wieder entkommen können. Allein das Irrlicht Trausdumir wird seinem Ruf gerecht und sorgt so dafür, dass die Traumfänger endlich Elea erwischen.

Die Traumfänger sind die einzige wirkliche Bedrohung, Wergeschöpfe, die wie der Gmork zwischen den Welten wandern können. Ihr Auftrag, Insomnier zu fangen, stammt von Xayide. Denn die Insomnier sind die verkörperten Träume der Menschen. Xayide will sie bei Vollmond in die Menschenwelt verschleppen und sie dadurch zu falschen Träumen machen, zu Optasomniern, langweiligen austauschbaren Geschöpfen, die alle gleich aussehen. Und außerdem will sie Bastian abfangen, bevor er in seine Welt zurückkehren kann …

An dieser Stelle gerät die Sache ins Schwimmen. Zunächst einmal fragte ich mich – wie übrigens schon bei „Die Seele der Nacht“ von Ulrike Schweikert -, wie es sein kann, dass Geschöpfe, die einer Macht außerhalb Phantásiens dienen, sich einer Phantásierin unterwerfen, und das in diesem Fall offenbar regelmäßig. Außerdem: Warum sollte Xayide mit Wergeschöpfen gemeinsame Sache machen? Die Macht, der diese dienen, will Phantásien zerstören, Xayide aber will es beherrschen! Abgesehen davon scheint es, als könne der Autor sich nicht recht entscheiden, welchen Plan Xayide nun eigentlich verfolgen soll.

Wenn sie einfach nur die Insomnier in die Menschenwelt verfrachten lassen will, wofür schleppt sie sie dann mühsam in die einsamste Gegend Phantásiens, anstatt sie bis zum Vollmond einfach irgendwo einzusperren? Braucht sie die Grube Nimroud, den Ort, an dem die vergessenen Träume der Menschen lagern, um die Insomnier in die Menschenwelt zu schicken? Wenn ja, dann erfährt der Leser jedenfalls nicht, warum.

Auch war mir nicht klar, was genau Xayide mit all dem eigentlich bezweckt. Die Insomnier mögen etwas Besonderes sein, weil sie Träume verkörpern, die schlafend geträumt werden. Zumindest weist ihr Name darauf hin. Da der Autor aber nirgendwo erwähnt, ob diese besonderen Wesen auch eine besondere Funktion innerhalb Phantásiens erfüllen und wenn ja, welche, ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für irgendwelche Konsequenzen, die sich aus der Verzerrung der Insomnier für Phantásien ergeben könnten.

Ist Xayide also wegen Bastian nach Nimroud gekommen? Warum? Wäre es nicht einfacher, ihn schon auf dem Weg dorthin abzufangen? Außerdem besteht zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, Bastian als Marionette für ihre eigene Herrschaft zu benutzen, längst nicht mehr. Also wozu braucht sie ihn noch? Der einzige Grund, ihn zurückzuhalten, wäre Rache. Allerdings kann der Leser darüber nur spekulieren, denn der Autor verliert darüber kein einziges Wort! Und dafür hat er Michael Endes Vorgaben umgangen und Xayide mit einem Trick sozusagen wieder auferstehen lassen?

Auch viele andere Fragen – wie zum Beispiel die, warum die Insomnier in Seperanza vor dem Vergessen sicher sind oder warum Mädchen für die Traumfänger besonders wertvoll sind – werden nicht beantwortet.

Eigentlich schade, dass Peter Freund seine Ansätze so in der Luft hängen gelassen hat. Seine Geschichte beinhaltet viele interessante Ideen, allen voran der Lawinenwicht und sein Tausendleuchter, der sinnigerweise den Namen Osmar trägt, sowie das rasende Gerücht und die Wolkenweber. Leider hat der Autor auch sie nur mit knappen Worten umrissen, viele andere sogar nur am Rande erwähnt. Nichts davon wurde detallierter ausgebaut, alle sind nur kurze Durchgangsstationen. Das verleiht der Geschichte etwas Hektisches, Atemloses und hinterlässt einen Eindruck von Lieblosigkeit. Durch Fehler wie „mondäugige Gebieterin der Wünsche“ oder die Bezeichnung der Zauberin Xayide als dunkle Prinzessin wird dieser Eindruck noch unterstützt. Dazu kommt, dass alle seine erdachten Wesen offenbar einen Hang zur Ungeduld und Unfreundlichkeit haben. Die Art und Weise, wie sie mit Kayún reden – und auch seine Art zu antworten -, klingt gelegentlich fast grob und führt zu Abstrichen in der Sympathie!

Die ständige Erwähnung von Wesen, die auch in der „Unendlichen Geschichte“ auftauchen, soll wahrscheinlich einen Bezug zur Vorlage herstellen, wirkt aber eher ein wenig gekünstelt. Vor allem Kayúns Kritik an Bastian empfand ich als ziemlich lästig. Schließlich sind neue Ideen nicht dem in Phantásien anwesenden Menschenkind vorbehalten. Wenn aber die Ideen aller Menschen in Phantásien wahr werden, bedeutet das, dass Phantásien sich ständig verändert – was es laut Michael Ende ja auch tut! Kayún sollte also daran gewöhnt sein. Abgesehen davon dürfte er die Veränderungen eigentlich gar nicht bemerken, denn ab dem Zeitpunkt, da etwas Neues entstand, war es schon immer da und müsste also bekannt sein!

Der abrupte Schluss, der keinerlei Lösung verrät, weder im Hinblick auf diejenigen Insomnier, die dem Vergessen anheim gefallen sind, noch im Hinblick auf diejenigen, die noch in Seperanza auf einen neuen Ruf warten, tut ein Übriges und lässt den Leser mit einem Gefühl der Unzufriedenheit zurück.

Kurz und gut: Hier wurde eine Menge Potenzial verschenkt. Die handelnden Personen bleiben blass und flach und wecken keine echte Sympathie, die den Leser mitfiebern ließe. Die meisten Ideen wurden nur kurz angedacht, die Grundaussage nicht konsequent zuende geführt, und am Schluss bleibt der Leser auf der Aussage sitzen, er solle sich an seine wahren Träume erinnern und den falschen Träumen abschwören. Als ob der Leser sich seine Schlafträume aussuchen könnte!

Damit wurde dem Vorsatz, Phantásien bunter und lebendiger zu gestalten, gerade mal ansatzweise entsprochen, und gleichzeitig die Hoffnung des Lesers auf eine interessante Geschichte durch Oberflächlichkeit und Desinteresse enttäuscht. Es scheint, als hätten dem Autor entweder die Lust oder die Geduld gefehlt, dem Thema mehr als flüchtige Aufmerksamkeit zu widmen. Schade!

Peter Freund lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin und ist seit 1980 in der TV- und Filmbranche tätig. Unter anderem schrieb er Drehbücher und Bücher zum Film. Seit 2002 erscheinen auch Jugendromane von ihm. Sein Zyklus um Laura Leander umfasst inzwischen vier Bände, der fünfte Band soll im November diesen Jahres erscheinen.

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-19644-1

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Der Autor vergibt: (2.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


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Kirstein, Rosemary – verschwiegene Steuermann, Der (Die Expedition der Steuerfrau 3)

Buch 1: [„Das magische Juwel“ 2183
Buch 2: [„Das Geheimnis des Saumländers“ 2200

Rowan ist von den Binnenländern nach Alemeth gekommen. Im Annex, der Außenstelle des Ordens, will sie nach Hinweisen suchen, um herauszufinden, wo Slado sich aufhält. Allerdings befindet sich der Annex in einem chaotischen Zustand. Mira, die Steuerfrau, die ihn hätte verwalten sollen, hat sich keinen Deut darum gekümmert, und Rowan kann sie nicht einmal dafür anbrüllen, weil sie inzwischen gestorben ist.

Schon bald jedoch verblasst das Problem des Sortierens angesichts der Tatsache, dass in Alemeth Dämonen auftauchen, Lebewesen, die eigentlich im Saumland heimisch sind und in den Binnenländern weder geeignetes Wasser noch geeignetes Futter finden. Die Bewohner Alemeths lernen bald, die Dämonen wirkungsvoll zu bekämpfen. Einer der Eifrigsten ist Janus, ehemaliger Steuermann und Rowans Freund aus Ausbildungstagen. Dann kommt der Tag, an dem eine ganze Gruppe Dämonen nach Alemeth kommt, zu viele, um ihrer Herr zu werden. Sie schnappen sich Janus und verschwinden.

Gemeinsam mit Steffie, einem jungen Burschen, der ihr im Haushalt hilft, macht Rowan sich daran, die Dämonen zu verfolgen …

|Allerlei Volk|

Die Binnenländer sind ein völlig anderes Völkchen als die Saumländer. Sie sind vernünftig und bodenständig, aufgeschlossen, gesellig und feiern gern. Mira kam diesem Wesenszug entgegen, war ebenfalls leutselig und liebte es, zu klatschen und einen über den Durst zu trinken. Rowan ist völlig anders, weshalb die Alemether zunächst so ihre Vorbehalte haben, die nach dem Sieg über den ersten Dämon jedoch rasch schwinden.

Steffie dagegen hat von Anfang an einen guten Draht zu Rowan. Er ist nicht der Allerschnellste, dafür aber unvoreingenommen, und er besitzt Beobachtungsgabe. Sein schlichtes Gemüt ist frei von Eigennutz und Unaufrichtigkeit. Er ist Rowan, die Bel schmerzlich vermisst, eine große Unterstützung, nicht nur, weil sie mit ihm reden kann, sondern auch, weil er sie vor denjenigen Einwohnern in Schutz nimmt, die dazu neigen, schlecht von Rowan zu denken.

Rowans schlechter Ruf basiert nicht unbedingt nur auf ihrer etwas spröden Art. Janus hilft mit ein paar gelegentlichen Bemerkungen kräftig nach. Dabei will er Rowan nicht wirklich etwas Böses. Aber es ist klar, dass er ihr etwas verheimlicht, er wirkt zerrissen und fahrig, und auch seine gelegentliche, aufgesetzte Fröhlichkeit kann darüber nicht hinwegtäuschen. Und schließlich findet Rowan heraus, dass er lügt. Für Rowan ist es eine äußerst schmerzliche Erkenntnis, dass sie ihrem früheren Freund offenbar nicht mehr trauen kann.

Nicht minder schmerzlich ist diese Erkenntnis für Zenna, die als Ersatz für Mira aus Wulfshafen gekommen ist. Zenna hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Bel. Sie ist ungeheuer zäh – trotz eines fehlenden Beines hat sie gelernt, wieder zu rennen – und lässt sich genauso wenig dreinreden. Im Gegensatz zu Rowans eher einzelgängerischem Wesen kann Zenna recht gut mit Menschen umgehen. Als Matrosin auf einem Schiff aufgewachsen, ist sie genau die Richtige, um Rowan nach Süden zu begleiten und Steffie das Segeln beizubringen, wovon sie sich auch durchaus nicht abbringen lässt.

|Die Dämonenwesen|

Abgesehen von dem Geheimnis um Janus stehen die Dämonen diesmal im Mittelpunkt. Die Bezeichnung Dämonen legt eine unstoffliche, magische Wesenheit nahe, was aber irreführend ist. Dämonen sind fremdartige, aber stoffliche Wesen, die nichts mit Magie oder Übersinnlichkeit zu tun haben. Für Rowan sind sie Tiere, und es ist nur logisch, dass sie einen seziert, um möglichst viel über diese unbekannte Lebensform herauszufinden. Am meisten beschäftigt sie jedoch die Frage, warum die Dämonen so hartnäckig in ein für sie derart lebensfeindliches Gebiet vordringen. Als Janus entführt wird, ist Rowan sicher: Die Dämonen werden von Slado geschickt! Sie haben Janus entführt, weil er etwas über Slado herausgefunden hat!

Die Expedition in unbekannte Gewässer ist schwierig, aber nichts im Vergleich zu dem, was Rowan an Land erwartet. Das Land ist karg und fremdartig, und vieles von dem, was Rowan vorfindet, ergibt keinen Sinn. Als sie schließlich auf Dämonen stößt, macht sie eine Entdeckung, die alle ihre Vermutungen und Schlussfolgerungen über den Haufen wirft. Es gelingt ihr, Janus zu finden. Doch obwohl dieser einst ein Steuermann war, scheint er nicht in der Lage, die Bedeutung ihrer Entdeckung gedanklich zu erfassen, geschweige denn, dass er bereit wäre, Konsequenzen daraus zu ziehen …

|Charakterbilder und Gesamteindruck|

Die Charakterzeichnung ist gut gelungen, das gilt für jeden einzelnen Einwohner von Alemeth, ganz gleich, wie häufig er auftaucht. Bürgerwehr und Kaufleute, das Getratsche am Waschtag, die undifferenzierten, voreingenommenen Sichtweisen von Gwen auf der einen, Steffies erwachendes Interesse an den Logbüchern der Steuerfrauen und den darin enthaltenen Abenteuern auf der anderen Seite, das alles zeichnet ein lebendiges, realistisches Bild einer Kleinstadt. Dazu kommen Janus‘ Verstörtheit, die schon an eine Manie grenzt, und sein eigenartiges Verhalten …

Die Handlung braucht ein Weilchen, um in Schwung zu kommen, hält dann aber, im Gegensatz zum zweiten Band, den Leser etwas mehr bei der Stange. Rowan will unbedingt Slados Festung finden und hofft, dabei nicht nur Janus zu befreien, sondern auch eine Menge Antworten auf ihre drängenden Fragen zu erhalten. Der Weg dorthin sowie die Funde am Rand des Weges sind interessant beschrieben und schüren die Neugier. Die Verwirrung, die Rowan bei ihrer Entdeckung empfindet, wird gut rübergebracht. Leider stellt sich letztlich heraus, dass der Leser am Ende des Bandes noch immer keinen Deut weitergekommen ist! Die Autorin geht schon äußerst sparsam mit ihren Informationen um.

Das Niveau ist demnach ziemlich gleich geblieben, allerdings war die Geschichte diesmal frei von Durchhängern, wenngleich das Ergebnis am Ende zwar ein wenig überraschend, aber – im Hinblick auf Fortschritte – auch ein wenig enttäuschend war. Die Ereignisse stehen ziemlich außerhalb des ursprünglichen Kontextes und laufen Gefahr, zur nebensächlichen Abschweifung zu werden, es sei denn, die Autorin findet im vierten Band noch einen Weg, das Geschehen des dritten Bandes mit sinnvollen Auswirkungen in die weiterführende Handlung einzuflechten.

Rosemary Kirstein ist Amerikanerin und hat schon in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Außerdem ist sie in der Folk-Szene aktiv, spielt Gitarre und singt. Die einzelnen Bände ihres Zyklus |Die Expedition der Steuerfrau| sind mit teilweise erstaunlichem zeitlichem Abstand entstanden. Der jüngste Band „The language of power“ erschien 2004, das Erscheinen der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Die Sprache der Macht“ ist für Januar 2007 vorgesehen.

Band 4: [„Die Sprache der Macht“ 3251

Boyden, Joseph – lange Weg, Der

Eine alte Indianerin holt einen jungen Mann in der Stadt am Bahnhof ab. Er ist ihr Neffe. Und er ist am Ende! Auf dem Weg zurück in die Wildnis, in der sie zu Hause sind, spürt sie, wie sie ihn immer mehr verliert. Um seine Seele zurückzuhalten, erzählt sie ihm von der Vergangenheit, während er selbst gefangen ist in seinen eigenen schrecklichen Erinnerungen, von denen er sich nicht lösen kann…

„Der lange Weg“ erzählt eigentlich zwei Geschichten, die parallel nebeneinander herlaufen und sich gelegentlich berühren.
Die eine ist die von Niska. Sie beginnt in ihrer Jugend, erzählt von ihrem Vater, dem Schamanen des Stammes, von den Weißen und ihrer Stadt, die immer mehr das Leben der Indianer bestimmen und die alte Kultur untergraben; von ihren Erfahrungen mit der Nonnenschule der Weißen und ihrer Flucht zurück in die Wildnis; von ihrer kurzen Beziehung zu einem französischen Trapper; von Verrat, Rache und dem Kampf ums Überleben. Und sie erzählt von Xavier, ihrem Neffen; von seiner Kindheit unter ihrer Obhut, von seiner Jugend und von seinem Freund Elijah …
Die andere ist die von Xavier. Von seiner Reise in die Stadt, von der Ausbildung zum Soldaten, der Schiffsreise nach Europa, der Front. Und von der Beziehung zu seinem Freund Elijah, der sich in der Fremde immer mehr verändert, bis er vom Freund zum Feind zu werden droht.

Elijah ist einer von den Menschen, denen jeder gern imponieren und mit denen jeder gern befreundet sein möchte. Er redet gern, viel und gewandt, er lächelt und scherzt. Das macht ihn beliebt. Gelegentlich aber zeigt sich auch die Neigung, seinem Freund Xavier Streiche zu spielen, und die sind nicht unbedingt sehr nett. Auch in anderer Hinsicht nimmt er es nicht immer so genau; so klaut er zum Beispiel einer der Nonnen das Gewehr, ehe er die Schule verlässt. Die anderen Männer ihrer Einheit wissen nichs von diesem etwas unangenehmen Charakterzug. Sie bewundern Elijah und verehren ihn als Helden, und Elijah genießt das. Dass sein Freund Xavier dieselbe Arbeit tut, denselben Mut beweist und nebenbei noch der bessere Schütze ist, fällt dabei völlig unter den Tisch.

Xavier dagegen ist eher schüchtern und extrem schweigsam, was unter anderem auch daher rührt, dass er zu Anfang so gut wie kein Englisch spricht. Er kennt Elijah seit seiner Kindheit. Deshalb, und weil Elijah ihm als Einzigem alles erzählt, was er tut, bleibt ihm auch die Veränderung nicht verborgen, die mit seinem Freund vorgeht. Je länger sie an der Front sind, desto mehr Gefallen findet Elijah am Töten. Während alle anderen sich nichts mehr wünschen, als diesem verdammten Krieg zu entkommen, kann Elijah, so scheint es, kaum genug davon kriegen und wird immer wagemutiger, fordert das Schicksal geradezu heraus. Xavier fühlt sich in seiner Nähe immer unwohler, ja, er fürchtet sich vor ihm. Und er fühlt sich zurückgesetzt, weil Elijah sämtliche Lorbeeren für sich allein einheimst.

Während Elijah in der Vernichtungsmaschinerie des Krieges aufgeht und seinen Lebenszweck im Töten findet, fühlt Xavier sich abgestoßen. Er kann die Denkweise und das Tun der Weißen nicht begreifen, geschweige denn es mit seinem eigenen Denken und seinen Wünschen in Einklang bringen. Er hasst das, was er tut und was er nicht tut, und fühlt sich schuldig. Mit der Entfremdung von Elijah verliert er seinen letzten Ankerpunkt im Leben. Er sucht halt in der Tradition seines Volkes, doch in diesem fernen Land kann er die Geister nicht erreichen. Auf sich allein gestellt muss er eine Entscheidung treffen …

Die zerstörerische Wucht dieses Krieges, der die Unmenschlichkeit auf ein bis dahin nicht dagewesenes Maß gesteigert hat, zeigt sich in diesem Buch auf vielerlei Weise. Es scheint nur noch Schmerz und Tod zu geben. Alles andere geht zu Bruch: Liebe, Freundschaft, der Glaube an das Gute; menschliche Körper und menschliche Seelen.
Joseph Boyden geht nicht ins Detail, aber das ist auch gar nicht nötig. Die nüchternen Tatsachen allein sind erschütternd genug. Spätestens nach der Lektüre dieses Buches weiß der Leser, warum man einen solchen Ort Schlachtfeld nennt. Schlacht kommt von schlachten! Erstaunlich, dass es Soldaten gab, die den Krieg überlebten, ohne morphiumsüchtig oder wahnsinnig zu werden!
Xavier berichtet sachlich, fast trocken, was sie tun und was passiert. Gelegentlich erwähnt er, dass er nachts nicht schlafen kann. Fast könnte man glauben, dass es ihn nicht wirklich berührt. Nur in Niskas Worten wird deutlich, dass Xavier nicht nur körperlich, sondern vor allem seelisch verwundet ist. Das Grauen um ihn her, seine eigenen Taten, das alles sucht ihn in seinen Fieberträumen heim, verfolgt ihn bis in die Wildnis. Wie soll er mit solchen Erinnerungen weiterleben?

Niska weiß, dass etwas an ihm frisst. Ihr ist klar, dass es nicht allein die körperlichen Schmerzen sind, die ihn im Schlaf wimmern und schreien lassen. Als Schamanin hat sie Visionen dieses Krieges gesehen, doch sie kann das, was sie sieht, nicht begreifen, weil es ihrer eigenen Welt so fremd ist. Alles, was sie tun kann, ist ihre eigene Welt dagegen zu halten: die Stille der Natur, die Bäume, den Fluss, die Tiere, den Himmel, die Sonne; Erinnerungen an die eisige Kälte des Winters, an tiefen Schnee und nagenden Hunger, aber auch an eine erfolgreiche Jagd, an das Überwinden der eigenen Angst. Letztlich aber gibt es nur eines, was Xavier am Leben erhalten kann: die Aussöhnung mit sich selbst! Xavier muss sich den Geistern seiner Erinnerungen stellen …

Selten wurde die Sinnlosigkeit des Krieges in einer Erzählung deutlicher als in dieser Gegenüberstellung zweier verschiedener Kulturen. Auch der Sieg schützt die Soldaten nicht davor, als haltlose, am Boden zerstörte Wracks nach Hause zu kommen, ebenso unfähig, in ihr altes Leben zurückzukehren wie sich ein neues aufzubauen. Jeder Soldat zahlt im Krieg mit seinem Leben, auf irgendeine Weise. Es ist unmöglich, unversehrt zu bleiben und als jener zurückzukehren, als der man aufgebrochen ist.
Selten auch wurde irgendwo deutlicher, dass die endgültige Beendigung eines solchen Exzesses nur durch Vergebung möglich ist. Selbst, wenn die Waffen längst schweigen und die Haut vernarbt ist, ist der Krieg noch nicht vorbei. Erst wenn der Kampf gegen die eigenen Erinnerungen, gegen Hass, Trauer und Schuldgefühle gewonnen wurde, ist Frieden!

Mit anderen Worten: dieses Buch ist keine leichte Lektüre! Das gilt nicht nur für den Inhalt. Die Handlung pendelt zwischen der Gegenwart, in der Niska mit Xavier den Fluss hinunterpaddelt, zwischen Niskas Vergangenheit und Xaviers Erinnerungen. Während Niskas Erinnerungen in der Vergangenheitsform erzählt werden, stehen Xaviers in der Gegenwartsform, wie die übrige Handlung auch. Der Autor unterstützt den Leser lediglich dadurch, dass der Erzählerwechsel zwischen Niska und Xavier mit den Kapitelenden zusammenfällt, und fordert damit vom Leser Konzentration. Die Sprache ist dafür eher schlicht und direkt.

„Der lange Weg“ ist zu Recht ein Bestseller geworden! Es zeigt nicht nur den ersten Weltkrieg aus einer ungewohnten Perspektive – ich wusste weder, dass Kanada sich am ersten Weltkrieg beteiligt hat, noch, dass indianische Soldaten an der Front waren – sondern beinhaltet viele verschiedene Facetten, von der Chronik einer zerbrechenden Freundschaft über die charakterliche Entartung eines Einzelnen bis zum unüberwindbaren Widerspruch zwischen der technischen Lebensart der Weißen und der natürlichen der Indianer, ohne dass dabei Letztere romantisch verklärt oder idealisiert wird. Es bietet nicht unbedingt das, was man gemeinhin als spannend bezeichnet, aber es fesselt den Leser, fordert ihn, sowohl geistig als auch seelisch, und lässt ihn betroffen und schweigend zurück, aber nicht ohne Hoffnungsschimmer.
Prädikat: sehr wertvoll.

Joseph Boyden ist gebürtiger Kanadier indianischer Abstammung und lebt in New Orleans. „Der lange Weg“ ist sein erster Roman. Inspiration dafür war der indianische Kundschafter und Scharfschütze Pegahmagabow, späterer Häuptling der Wasauksing. „Der lange Weg“ wurde nominiert für den Governor General’s Award for Fiction 2005.

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Nix, Garth – Abhorsen (Das alte Königreich 3)

Band 1: [„Sabriel“ 1109
Band 2: [„Lirael“ 1140

Lirael und Sam haben es bis ins Haus der Abhorsen geschafft, wo sie allerdings bald von den Sklaven einer größeren Toten belagert werden. Um das Haus verlassen zu können, müssen sie einen unterirdischen Tunnel benutzen, was nicht ganz ungefährlich ist. Auch sonst müssen sie sich einige Tricks und Kniffe einfallen lassen, um ungeschoren den roten See zu erreichen, wo Sams Freund Nick sich aufhält und das Grauen ausgräbt. Bei ihrer Ankunft stellen sie mit Schrecken fest, dass die beiden silbern schimmernden Hemisphären, um die es geht, bereits auf Kähne verladen werden. Obwohl es Lirael gelingt, Nick aus dem Lager zu holen, kann sie nicht verhindern, dass er sich von ihr losmacht und zu Hedge zurückkehrt, und dass die Hemisphären abtransportiert werden. Auch die Überwindung der Mauer kann sie nicht verhindern. Jetzt bleibt nur noch, die Blitzfarm in Ancelstierre zu vernichten, ehe die Hemispären dort eintreffen. Doch die Zeit läuft Lirael und ihren Freunden davon …

|Charakterreifung und Enthüllungen|

Im letzten Band gelingt es Lirael endlich, sich von ihrem verzweifelten Wunsch nach einem Leben als Clayr zu lösen und sich selbst und ihre wahre Aufgabe zu akzeptieren. Zwar ist sie nicht frei von Angst bei dem, was sie tun muss, doch wie so oft hat sie als Heldin weder eine Wahl noch die Zeit, überhaupt darüber nachzudenken. Am Ende der Ereignisse fehlen allerdings die Bitterkeit und das Selbstmitleid, welche die Erkenntnis, dass sie keine echte Clayr ist, stets begleitet haben. Lirael ist erwachsen geworden.

Ebenso Sam. Seit sich herausstellt hat, dass er gar nicht der Abhorsen-Nachfolger ist, sondern das Blut der Mauermacher trägt, jener Chartermächte, die sich mit den Steinen der Mauer zwischen Ancelstierre und dem alten Königreich verbanden und darin aufgingen, ist der Druck einer Bürde, für die er nicht gemacht ist, von ihm abgefallen. Auch er hat immer noch Angst, aber jetzt, wo er weiß, dass er seiner Aufgabe auch gewachsen ist, fällt es ihm leichter, die Angst zu beherrschen. Er ist sogar bereit, sich Hedge zu stellen! Sein gestärktes Selbstbewusstsein ist für Lirael eine große Hilfe.

Aber nicht nur Lirael und Sam sind innerlich gewachsen, auch Hedges Macht hat außerordentlich zugenommen, seit die Hemisphären ans Tageslicht gelangt sind. Gleichzeitig verschiebt sich der Schwerpunkt des Kampfes von Hedge weg. Obwohl noch gefährlicher als zu Anfang, ist Hedge jetzt endgültig nur noch der Handlanger einer weit größeren Macht, die immer selbstständiger agiert, je näher sie ihrem Ziel kommt.

Die größte Überraschung waren Moggets wahre Identität sowie die der fragwürdigen Hündin. Wobei die Enthüllung Letzterer nicht ganz so überraschend war, eher wie ein Déjà-vu, das mich schmunzeln ließ.

|Die Magie des alten Königreichs|

Diese Enthüllungen gehörten unter anderem auch zu den Puzzleteilen, die das Bild von der Magie des alten Königreiches weiter vervollständigten. Der Zusammenhang zwischen den Glocken und der Charter, das Rätsel um die Neun und die Entstehung der Welt sind nun geklärt. Trotzdem gibt es noch unbeantwortete Fragen, zum Beispiel die nach dem Geschlecht der Mauerbauer. Auch fragte ich mich, warum im ersten Band weder Mogget noch Touchstone über die Charter reden konnten. Bei Mogget ist es inzwischen nachvollziehbar, nicht aber bei Touchstone. Allerdings schätze ich, diese Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben. Da es schwierig werden dürfte, eine Bedrohung zu ersinnen, die noch umfassender ist als die eben Bezwungene, ist in diesem Fall wohl nicht unbedingt mit einer Fortsetzung zu rechnen. Einerseits schade. Andererseits soll man immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist!

Am schönsten trifft es in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz, aber am besten. Während in Band zwei die Spannung zugunsten der Charaktere ein wenig nachgelassen hatte, zieht sie in Band drei wieder massiv an. Wer bei Nicks Entführung durch Lirael und der Erfüllung der Sicht der Clayr schon glaubte, die Entscheidung stünde kurz bevor, der hatte sich kräftig verrechnet. Stattdessen knickt der Autor die Handlung ab, lässt Nick fliehen und fängt damit quasi noch einmal von vorne an, nur diesmal unter größerem Zeitdruck. Und je größer der Zeitdruck wird, desto mehr Zeit lässt sich der Autor. Wieder mal wünscht sich der Leser eine Peitsche, die er knallen lassen kann, um die Handlung anzutreiben. Dabei kann man Lirael nicht vorwerfen, dass sie trödeln würde. Diesmal liegt es eher daran, dass auf den letzten paar Seiten mehr Handlungsstränge gleichzeitig ablaufen als im gesamten Zyklus! Gekonnt lässt Nix den Leser beobachten, wie die Vorbereitungen zum Countdown ablaufen, schön langsam, aber offenbar immer noch schneller als alles, was Lirael und ihre Gefährten unternehmen, um es zu verhindern. So, wie in Band eins Kerrigor ins College eindringt, bevor sein Körper zerstört ist, so ist auch diesmal der Bösewicht befreit, bevor irgendjemand etwas dagegen unternehmen konnte. Und genau wie in Band eins nimmt der Kampf auch diesmal eine unerwartete Wendung …

|Abschlussbetrachtung|

Garth Nix ist es gelungen, einen spannenden und düsteren Zyklus zu schaffen, ohne seine Erzählung besonders auszuschmücken oder in unappetitlichen Details zu versinken, was sich auch in der relativen Kürze von ca. vierhundert Seiten der einzelnen Bände zeigt. Der Schwerpunkt liegt größtenteils auf der Handlung und der Magie rund um den Tod und die Totenbeschwörung. Erstaunlicherweise führt |Amazon| Band zwei und drei in der Kategorie Jugendbuch, was bei Band eins nicht der Fall ist. Meiner Meinung nach gehört der Clayr-Zyklus nicht unbedingt in die Jugendbuchsparte. Nicht, weil er „nicht jugendfrei“ wäre – alles, was hier mit Liebe zu tun hat, ist kaum mehr als die Andeutung einer Randerscheinung – sondern weil der finstere Tenor des Buches und die starke Betonung der Nekromantie stellenweise doch recht starker Tobak sind.

Also nichts für Liebhaber romantischer Fantasy, sondern eher für Leute, die es gern dunkel und ein wenig gruselig mögen. Für Letztere allerdings gilt: unbedingt lesen!

Sehr angenehm war das nahezu fehlerfreie Lektorat. Auch die Karte ist gut lesbar, was bei Taschenbuchausgaben nicht unbedingt immer der Fall ist. Zusätzlich hat |Lübbe| gegenüber der gebundenen Ausgabe von |Carlsen| einen Knacks bereinigt, sodass Lirael jetzt auf beiden Einbänden von Teil zwei und drei gleich aussieht. Dafür ist die Grundstimmung des Buches nur beim dritten Cover einigermaßen getroffen, in dieser Hinsicht hat |Carlsen| die bessere Ausführung.

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr| stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur |Clayr| und |Seventh Tower|.

Nix, Garth – Lirael (Das alte Königreich 2)

Band 1: [„Sabriel“ 1109

Sabriel ist inzwischen mit Touchstone verheiratet und damit nicht nur die Abhorsen, sondern auch Königin des alten Königreiches. Sie hat zwei fast erwachsene Kinder, die sie zu ihrem Leidwesen fast nie sieht, da sie ständig unterwegs ist, um gegen die Toten zu kämpfen. Vor allem in neuester Zeit braut sich ganz offensichtlich etwas zusammen! Deshalb hofft sie auf Unterstützung durch ihren Sohn Sameth.

Sameth allerdings hat seit einem alptraumhaften Erlebnis jenseits der Grenze massive Angst vor dem Tod und vor einem Nekromanten namens Hedge. Er bringt es weder fertig, das Buch der Toten zu studieren, noch die Glocken zu benutzen. Allein ihr Anblick ist ihm unerträglich. So nimmt er einen Brief seines Freundes Nick aus Ancelstierre zum Anlass, sich aus dem Schloss zu stehlen. Denn Nick, der aufgrund seiner Herkunft keinerlei Sinn für Magie hat, ist ganz offensichtlich in massiven Schwierigkeiten, weil er allein mit einem verdächtigen Mann die Grenze zum alten Königreich überschritten hat. Schon bald stellt sich heraus, dass Nicks Probleme auch nicht größer sind als Sameths.

Zur selben Zeit erhält im Norden unter dem Gletscher der Clayr die junge Lirael die Erlaubnis, als Bibliotheksgehilfin zu arbeiten. Das ist nur ein schwacher Ersatz dafür, dass sie bereits eine junge Frau ist, aber noch immer nicht die Sicht hat. Dass sie dafür eine ungewöhnlich gute Chartermagierin ist, scheint sie ebenfalls nicht entschädigen zu können. Eines Tages jedoch entdeckt sie in einem geheimen – und für sie eigentlich verbotenen Bereich – einen Gang, der „Liraels Pfad“ heißt. Er führt zu einer Höhle mit einem Buch, einer Panflöte und einem Spiegel. Und kurz darauf erhält sie von den Sprecherinnen der Neuntagewache den Auftrag, einen jungen Mann zu finden, der zum einen selbst in Gefahr ist, zum anderen das ganze Königreich ins Unglück zu stürzen droht. Lirael bleibt nichts anderes übrig, als den Gletscher zu verlassen und sich auf die Suche zu machen …

|Charakterzeichnung|

Diesmal ist also die nächste Generation am Zug. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Lirael und Sameth.
Lirael ist ein intelligentes Mädchen, aber auch ein wenig stur und verbohrt. Sie ist kaum dazu zu bringen, sich auf ihre wertvollen Talente zu besinnen, weil sie ständig damit beschäftigt ist, dem nachzuweinen, was sie nicht hat. Einerseits verständlich, da sie sowohl durch ihr Aussehen als auch den fehlenden Blick auf die Zukunft zur Außenseiterin geworden ist und nicht einmal eine Familie hat. Andererseits für ein so neugieriges und aufgewecktes Mädchen auch ungewöhnlich. Wer ständig nach Neuem und Unerforschtem sucht, sollte doch auch in der Lage sein, für sein Leben etwas Neues zu wagen. Trotzdem geht sie nur, weil sie weiß, dass sie nicht anders kann, denn schließlich haben die Clayr ja gesehen, dass sie gehen wird. Erstaunlich, dass sie so sehr an einem Ort hängt, an dem sie gar nicht glücklich war. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Sameth geht es keinen Deut besser. Zwar hat er Eltern, von denen er weiß, dass sie ihn lieben, aber sie sind so selten da, dass er kaum etwas von ihnen hat. Außerdem drückt ihn seit seinem Erlebnis im Tod die ungeheure Bürde der Erwartung: dass er der Abhorsen-Nachfolger werden soll. Mehrmals nimmt er Anlauf zu der Erklärung, dass er das einfach nicht kann, wird aber jedesmal abgewürgt. Die Tatsache, dass seine Mutter Unterstützung braucht, macht ihm ein ungeheuer schlechtes Gewissen, dennoch kann er sich nicht überwinden zu tun, was alle von ihm erwarten. Dabei ist er keineswegs eine Memme! Bei dem Angriff auf sein Cricket-Team in Ancelstierre hat er bewiesen, dass er Mum hat und auch Führungsqualitäten.

Beide sind anfangs noch ein wenig weinerlich, wachsen aber im Laufe der Handlung zunehmend in ihre Rollen hinein. Auch wenn sie noch gar nicht wissen, welche das eigentlich sind …

Gelungen ist auch der Charakter der so genannten fragwürdigen Hündin, die Lirael sich ursprünglich als Sendling erschaffen wollte, um nicht so allein zu sein. Irgendwie hat der Zauber sich selbstständig gemacht und dabei ein Wesen geschaffen, das weit wirklicher ist als ein Sendling, und vor allem weit mächtiger. Die Hündin ist, wie Mogget für Sameth, die Stimme der Vernunft, Berater und Wächter. Allerdings ist sie nicht so zickig wie die Katze.

Da Kerrigor von Sabriel gebannt wurde, tritt auch ein neuer Bösewicht auf, ein Nekromant namens Hedge, einst ein Diener von Kerrigor. Ein äußerst gefährlicher Mann; nicht nur, weil er ein mächtiger Nekromant ist, sondern auch, weil er flexibel ist und in der Lage, auch aus einem Fehlschlag noch etwas für sich herauszuschlagen. Dennoch ist er nur ein Diener von etwas weit Mächtigerem und Gefährlicherem, das er offenbar unbedingt befreien will.

|Handlungsfortschritt|

Die Handlung ging diesmal etwas langsamer voran als im ersten Band, was auch daran liegen mag, dass der Autor sich diesmal nicht auf eine einzelne Protagonistin konzentriert und diese durch das halbe Land gejagt, sondern zwei Charaktere allmählich aufeinander zugeführt hat. Auch wurde vieles weiter ausgebaut, was im ersten Band aufgrund mangelnder Erklärung noch für ein wenig Verwirrung gesorgt hat. Nix geht diesmal genauer auf die Eigenarten der Charter ein. Während im ersten Band als Träger des Charterbluts die Abhorsen im Vordergrund standen, sind es diesmal die Clayr, die Seher. Gleichzeitig nutzt er diesen Ausbau für Hinweise auf die neue Bedrohung, die hinter Hegde steht und in ihrer Dimension offenbar selbst Kerrigor weit übersteigt.

Der Spannungsbogen ist deshalb in diesem zweiten Band weit weniger straff gespannt als bei seinem Vorgänger. Nix hat sich diesmal Zeit gelassen. Es ist klar, dass Lirael erst den jungen Mann aus der Vision der Clayr finden muss, ehe es zum Showdown kommen kann, sodass diesmal der Gedanke „nun mach schon endlich“ vollkommen fehlt. Der Zeitdruck überfällt den Leser schließlich im Epilog, wo erwähnt wird, dass das gefährliche Ding schon beinahe ausgegraben ist, und transportiert den letzten Spannungsschub dadurch hinüber in den nächsten Band. Teil zwei ist nämlich nicht in sich abgeschlossen, im Gegensatz zu Teil eins.

Der Wechsel der Handlungsstränge hat mehrere kleinere Spannungsbögen anstelle eines großen, durchgehenden zur Folge – auch weil Nix im Gegensatz zu Clemens seine Szenen erst dann wechselt, wenn die Gefahr überstanden ist -, dennoch ist die Erzählung frei von Längen oder Durchhängern.

Sie ist auch weitgehend frei von logischen Fehlern. Das Einzige, was ich mich fragte, war, wie Lirael den Stilken in einer Glasflasche dauerhaft einsperren kann. Zwar hat sie den Korken mit einem mächtigen Charterspruch versiegelt. Wenn aber ihr ebenso mächtiger Spruch, mit dem sie die Tür zu dem Gang versiegelt hatte, von dem Stilken langsam aber sicher zerstört werden konnte, warum dann nicht auch der auf dem Korken? Müsste der Stilken nicht, um tatsächlich gebannt zu sein, so in Glas eingeschlossen werden, dass dieses keine Öffnung hat, sozusagen eingeschmolzen?

|Insgesamt|

Obwohl es in diesem Band weit geruhsamer zuging als im ersten, fand ich ihn durchaus gelungen. Er hat einige wichtige, grundlegende Fragen geklärt, bietet detailierte, interessante Charaktere und durchaus Spannung, wenn auch nicht ganz so viel, sowie einen interessanten Ausblick auf die Fortsetzung. Es steht zu erwarten, dass es darin wieder weit heftiger zur Sache geht. Band zwei war wohl sozusagen die Ruhe vor dem Sturm!

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr|, dessen erster Band „Sabriel“ ist, stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur |Clayr| und |Seventh Tower|.

Nix, Garth – Sabriel (Das alte Königreich 1)

Sabriel ist gerade erst mit der Schule fertig. Eigentlich freut sie sich darauf, ihren Vater wiederzusehen, aber er kommt nicht. Nur ein Sendling von hinter der Grenze des Todes taucht auf und bringt Sabriel Schwert und Glocken ihres Vaters. Sie weiß nun, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Noch in derselben Nacht packt sie ihre Sachen und macht sich auf zur großen Mauer, die Ancelstierre vom alten Königreich trennt. Kaum hat sie das alte Königreich betreten, gerät sie in eine extreme Gefahr, welche sie mit tödlichem Hass durch das gesamte Land verfolgt …

|Charaktere|

Garth Nix‘ Heldin ist noch jung und unerfahren. Da sie in Ancelstierre aufgewachsen ist, weiß sie fast nichts über ihre Heimat, das alte Königreich. Ihr Durchsetzungsvermögen und ihr Wagemut basieren nicht zuletzt darauf, dass sie so wenig Ahnung von den Verhältnissen auf der anderen Seite der Mauer hat. Sie handelt aus dem Bauch heraus und tut manches Mal nur instinktiv das Richtige, nicht, weil sie die Situation beherrscht. In eine Rolle gedrängt, die ihr zu groß scheint, legt sie nur umso größeren Wert darauf, sie selbst zu sein. Das macht sie sympatisch.

Mogget, die weiße Katze, ist ziemlich gut getroffen. Sie hat viel Kätzisches an sich, obwohl sie eigentlich gar keine Katze ist, sondern ein gebundener Geist freier Magie. Mit ihrer Herablassung geht sie Sabriel manches Mal gehörig auf die Nerven, ist aber auch ein guter Ratgeber, ein verlässlicher Wächter und ein machtvoller Verbündeter.

Touchstone ist dagegen zunächst ein ziemlicher Jammerlappen. Er muss offenbar erst einmal richtig aufwachen, ehe er nützlich werden kann. Das bezieht sich weniger auf seine Erinnerungen, die nach seiner Rettung aus dem Totenreich nur langsam zurückkehren, als vielmehr auf sein Verhalten. Ansonsten ist er der typische Adlige: edelmütig, tapfer und mächtiger als erwartet.

Der Bösewicht ist Kerrigor, ein so genannter Großer Toter. Wer sich hinter dieser schattenhaften Bedrohung wirklich verbirgt, erfährt der Leser erst gegen Ende, da Kerrigor zunächst nur seine Handlanger in den Kampf schickt. Feststeht jedoch, dass es sich bei ihm um die größte Gefahr handelt, die das Totenreich zu bieten hat: einen ehemaligen Adepten der freien Magie.

Die Charakterzeichnung ist deutlich, geht aber nicht über das Minimum hinaus. Lediglich Sabriel ist etwas genauer ausgeführt, sie hat Gedanken und Gefühle. Über die anderen erfährt man kaum etwas: nichts über die Motive Kerrigors, fast nichts über Moggets wahres Wesen und über Touchstone nur das, was man zum Verständnis der Handlung wissen muss.

|Anceltierre und das alte Königreich|

Das gilt auch für andere Teile des Buches. Zum Beispiel für den Entwurf Ancelstierres und des alten Königreiches.

Ancelstierre wirkt ein wenig wie ein europäisches Land in den Endzwanzigern des letzten Jahrhunderts. Es gibt bereits Autos und Flugzeuge, aber die meisten Leute fahren offenbar noch mit dem Pferdefuhrwerk. Es gibt elektrisches Licht und Telefon, es gibt Läden mit Schaufenstern, Kinos und wahrscheinlich auch Tanzbars und Ähnliches. Andererseits wird am College noch Etikette unterrichtet, und es gilt als höchst unanständig, wenn ein junges Mädchen allein mit einem jungen Mann unterwegs ist.

Da Ancelstierre offenbar eine Nation aufstrebender Technik ist, hält die Regierung nicht viel von Zauberei. Dennoch wird am College auch Magie unterrichtet. Denn so mancher Bedrohung an der Grenze kann man einfach nicht anders als mit Magie begegnen.

Im alten Königreich dagegen hat Magie ihren festen Platz. Sie tritt in zwei Formen auf. Einerseits als Chartermagie, wobei Charter die Bezeichnung für die guten Elemente der Magie ist, wenngleich eine genaue Definition nicht gegeben wird. Sichtbare Zeichen dieser Magie sind die Chartersteine, die das Land beschützen, sowie Moggets Halsband und der dazugehörige Ring. Auf der anderen Seite gibt es die freie Magie, die in der Regel zerstörerisch wirkt und daher als böse gilt. Mit ihr werden Chartersteine zerstört, sie schützt Kerrigors Sarkophag.

|Nekromantie und der Tod|

Detaillierter ausgebaut ist nur der zentrale Punkt der Handlung, die Nekromantie.

Nekromantie wird eigentlich definiert als Totenbeschwörung in dem Sinne, dass Tote aufgeweckt werden, zu welchem Zweck auch immer. Garth Nix hat die Bedeutung ein wenig aufgeweitet, denn auch Sabriels Vater wird als Nekromant bezeichnet, obwohl seine Aufgabe darin besteht, die Toten zu binden, also dort zurückzuhalten, wo sie sein sollten. Dazu wird auch Chartermagie benutzt, ein weiteres Zeichen dafür, dass Nekromatie nicht zwangsläufig böse ist. In der Hauptsache ist sie aber auch hier negativ behaftet. Um die Aufgabe der Totenbindung von den Nekromanten der freien Magie abzugrenzen, trägt der entsprechende Magier den Titel Abhorsen.

Auch ist es hier bei der Totenbeschwörung nicht damit getan, dass im Schein brennender Kerzen und im Rauch irgendwelcher Käuter Blut vergossen und zusammen mit den entsprechenden Gesten Formeln gemurmelt werden müssen. Hier gehören zum Handwerk eines Nekromanten lediglich eine magische Formel, gepaart mit Gestik, und diverse Glöckchen, welche die Toten auf verschiedene Weise beeinflussen. Wer allerdings Kontakt mit den Toten aufnehmen will, muss zunächst einmal selbst die Grenze zum Tod überschreiten, je nachdem, zu welchem Zweck, mehr oder weniger weit. Dass das nicht ungefährlich ist, versteht sich von selbst.

Die massive Konfrontation mit dem Tod macht dieses Buch zu einer recht düsteren, bedrohlichen Lektüre, zumal Kerrigor ein Adept der freien Magie war. Das verleiht ihm Macht nicht nur über geringere Tote, sondern auch über die Lebenden! Abgesehen davon hat er die unterschiedlichsten Helfer, von lebensaugenden Parasiten bis hin zu feurigen Schöpfungen aus Sumpferde, Menschenblut und freier Magie, die Garth Nix alle sehr anschaulich beschreibt.

Zusätzlich droht er ständig mit Demontage, damit, die Sicherheit eines Ortes als trügerisch zu entlarven. Das gilt für das Haus von Sabriels Vater ebenso wie für Heiligenhall. Je weiter der Leser kommt, desto größer wird die Bedrohung, als sich herausstellt, dass nicht einmal mehr der Sonnenschein oder fließendes Wasser eine Garantie dafür sind, dass die Protagonisten vor der ständigen Verfolgung durch den Tod geschützt sind. Die Aussicht, dass der Tod nicht das Schlimmste ist, was ihnen widerfahren wird, tut ein Übriges.

|Leseerlebnis|

Seit Clemens‘ |Hexenzyklus| habe ich nichts mehr gelesen, das so spannend gewesen wäre! Noch dazu, weil Sabriel genau den Fehler macht, den alle Helden ständig machen: sie trödelt! Immer wieder! Sie weiß doch, dass sie verfolgt wird, und trotzdem steht sie draußen am Tor herum und wartet auf den Nebel, oder sie steht an der Haustür des College und beobachtet den Kampf gegen die einfachen Untoten. Warum zum Henker kümmert sie sich nicht endlich um den Sarkophag?! Ich hätte sie schütteln mögen! Und prompt war es dann zu spät!

Natürlich ist das Autorentaktik. Es steigert nicht nur die Spannung, sondern lässt auch überraschende Wendungen zu, eine Lösung des Problems, die von der ursprünglichen Planung abweicht. Trotzdem kann der Leser nicht anders, als dem Autor zu folgen, wider besseres Wissen, und er kaut sich dabei die Fingernägel ab. Trotz Nix‘ zügiger Erzählweise ist man gelegentlich versucht, ihn anzutreiben, aber genau dann lässt er sich natürlich Zeit. Eine Grenze aber, die Clemens nicht im geringsten gekümmert hat, hat Nix nicht überschritten: Er hat keinen seiner drei Hauptprotagonisten vernichtet. Zumindest jetzt noch nicht …

|Der Autor|

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr|, dessen erster Band „Sabriel“ ist, stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur Clayr und Seventh Tower.

Mirrlees, Hope – Flucht ins Feenland

„Flucht ins Feenland“, erschienen 1926, war ein Fantasy-Roman der ersten Stunde, hat allerdings einen halben Dornröschenschlaf hinter sich. Erst in den Siebzigern wurde er wiederentdeckt und gilt seither als Kult. Es dauerte aber noch bis ins neue Jahrtausend, ehe das Buch endlich auch auf Deutsch erschien.

Es ist ein Skandal! Der Sohn des Bürgermeisters von Lud-in-den-Nebeln hat Feenfrüchte gegessen. Und das, obwohl per Gesetz weder die Feen noch ihre Früchte existieren! Aber das ist nicht die einzige Ungeheuerlichkeit: Die Mädchen auf der höheren Töchterschule sind alle ausgeflippt und davongelaufen!

So ungern der Bürgermeister sich aus seiner Bequemlichkeit aufrafft, aber dem muss ein Riegel vorgeschoben werden, bevor das Land im Chaos versinkt!

Zunächst wird also Sohn Ranulph aus der Stadt aufs Land gebracht. Sodann macht sich der Bürgermeister daran, den Schmuggel von Feenfrüchten, die es offiziell gar nicht gibt, zu bekämpfen. Zunächst ist er damit genauso erfolglos wie seine Vorgänger schon seit Jahrhunderten. Erst eine Entdeckung seiner Frau und ein altes Gerichtsprotokoll bringen ihn auf die richtige Spur. Aber da scheint es schon zu spät! Kurz darauf wird er abgesetzt, und als er den Bauernhof aufsucht, wo sein Sohn den Sommer verbracht hat, muss er feststellen, dass er den übergeschnappten Mädchen gefolgt und davongerannt ist, ins Feenland, aus dem es keine Wiederkehr gibt.

Trotz dieser entmutigenden Erkenntnis ist Bürgermeister Hahnenkamm nicht bereit, sich geschlagen zu geben …

Bürgermeister Nathan Hahnenkamm, der Held dieses Buches, ist zumindest oberflächlich gesehen ein typischer Dorimaraner: rundlich, rotwangig, fröhlich, praktisch, vernünftig, gemütlich. Wobei er zugegebenermaßen gelegentlich doch auch ein wenig wunderlich wirkt. So hat er einen massiven Widerwillen gegen Worte wie zum Beispiel Fluch, und dem Leser wird mit der Zeit klar, dass Herr Hahnenkamm durchaus nicht so prosaisch und trocken veranlagt ist, wie er gerne möchte, dass man es von ihm glaubt. Tatsächlich wird der gute Mann seit seiner Kindheit gelegentlich von einem unbestimmbaren Gefühl drohenden Unheils heimgesucht, das er nicht deuten kann, und vor dem er sich am liebsten verkriechen möchte. Als es dann schließlich ernst wird, widersteht er jedoch der Versuchung, den Kopf in den Sand zu stecken, rafft sich auf und wächst schließlich sogar über sich hinaus.

Die übrigen Honoratioren der Stadt sehen das zunächst natürlich nicht so. Sie sind zwar auch praktisch und vernünftig, aber nur, soweit ihre Weltanschauung dadurch nicht betroffen ist. Ansonsten sind sie eher verbohrt, engstirnig, herablassend und bequem. Nur Nathans alter Freund Ambrosius Geißblatt hält zu ihm, selbst als sein Verstand gezwungen wird, sich mit Dingen zu befassen, die es dem Gesetz nach eigentlich nicht gibt.

Dem Gegenspieler des Bürgermeisters ist das nur recht. Dieser Mensch ist ein so geschickter Intrigant, dass er fast eine Frau sein könnte. Er lässt hier ein Wort fallen, macht dort eine beiläufige Äußerung, und sein guter Ruf tut das Übrige. Bald hat er den Bürgermeister so isoliert, dass dieser schließlich seines Amtes enthoben wird. Er will diesen Hahnenkamm unbedingt loswerden. Denn der ist eine Gefahr für ihn …

Dieses Buch zu lesen, ist wie bei schönem Sommerwetter durch einen lichten Laubwald zu spazieren. Der Reiz der Geschichte erwächst aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten, von Schönem und Schauerlichem, die sich durch ihren Widerspruch gegenseitig hervorheben. Die Feen in diesem Roman sind noch nicht zu reinen Lichtgestalten idealisiert oder zu romantischen Kindgestalten gewandelt. Eher scheinen sie den Anderweltgeschöpfen der englischen Sagen ähnlich: Musikanten und Dichter, verträumt, überschwänglich, gefühlvoll, aber auch boshaft und hinterlistig. Ferdie Fetz, der dauernd auftaucht, Unfug anstellt und wieder verschwindet, würde sich in Shakespeares Sommernachtstraum sicherlich recht wohl fühlen. Ein zweischneidiges Schwert …

Kein Wunder, dass dies den Kaufleuten von Lud-in-den-Nebeln höchst suspekt ist. Wer mit Waagen und Gewichten oder mit Rechnungsbüchern zu tun hat, hat nicht viel übrig für Überschwang und Träume. So wurden die Feenfrüchte unter anderem für die Abgedrehtheit des letzten Herzogs und seiner Adligen verantwortlich gemacht, weshalb nach der Revolution und der Vertreibung des Herzogs alles Feengut für tabu erklärt wurde. Mit der Zeit wurde selbst die Existenz des Feenreiches schlicht geleugnet. Allein etwas zu erwähnen, das mit den Feen in Zusammenhang stand, galt als obszön. Das ging so weit, dass im Gesetz der Stadt keine Strafe für den Schmuggel von offiziell nicht existierendem Obst vorgesehen war!

Spätestens an dieser Stelle entlarvt sich die neu errichtete Ordnung der Vernunft und Tüchtigkeit als ebenso illusorisch, wie das Feenreich angesehen wurde, das Leben in dieser Gesellschaftsordung als stumpfes, verknöchertes Dahindümpeln, dem jegliche Lebendigkeit, jegliches Gefühl und jeglicher Bezug zur Welt fehlt.

Wer jetzt glaubt, es handle sich bei diesem Roman um Gesellschaftskritik, der ist wahrscheinlich auf dem Holzweg. Es soll sogar Leute gegeben haben, die das Buch für eine Parabel auf den Klassenkampf hielten! Ein Beweis dafür, dass es möglich ist, jeden Text auf jede beliebige Weise zu interpretieren, wenn man die Worte darin nur mit genügend Ausdauer immer wieder dreht und wendet.
Eine viel einfachere Deutung lässt sich aus dem Gegensatz zwischen Dorimare und Feenland ableiten. Auf der einen Seite das Vernunftbetonte, das sich an den Tatsachen festklammert, die es jedoch durchaus in seinem Sinne zu verbiegen bereit ist, falls es seinen Zwecken dient, und dem jegliche Gefühle und Träume nur Überspanntheit und Spinnerei sind. Auf der anderen Seite das Träumerische, Bunte, Verrückte, das alles auf den Kopf stellt, überall Verwirrung stiftet, aber auch Farbe und Abwechslung, Leben bedeutet. Beide für sich genommen sind nicht praktikabel!

Vernunft allein ist grau und trist, Träume allein führen zum Wahnsinn. Nur gemeinsam ergeben sie eine lebenswerte und liebenswerte Welt! Und ob wir glücklich sind, hängt davon ab, ob es uns gelingt, die richtige Balance zwischen beiden zu finden.

Dieser Widerspruch, die Spannung zwischen Realität und Fantastik, war es, was Hope Mirrlees‘ gesamtes Schaffen prägte. Ihre ersten beiden Anläufe, dies zu Papier zu bringen, waren von wenig Erfolg gekrönt. Erst durch den Kontakt mit Alexej Remisov, einen russischen Schriftsteller, erhielt sie offenbar den entscheidenden Impuls. Der Humor fand Einzug in ihre Arbeit und führte letztlich zu dem beschriebenen Licht-und-Schatten-Effekt, wo das Lustige das Düstere betont, und das Gruslige das Lächerliche offenbart. So fühlte ich mich stellenweise nicht nur an Shakespeares Sommernachtstraum, sondern auch an die Sieben Schwaben erinnert. Die Fahndung nach den Schmugglern und das Aufdecken eines alten Mordkomplotts sorgen letztlich dafür, dass der Roman sich erfolgreich jeglicher Zuordnung zu einem bestimmten Genre entzieht.

Hope Mirrlees hat sich auch in anderer Hinsicht widersetzt. Im Zeitalter des literarischen Realismus bedeutet ihr Roman einen Kontrapunkt. Sogar sprachlich ist sie ausgebrochen, hat sich dem Bemühen um eine straffere, zügigere Sprache verweigert und schreibt in langen, verschlungenen Sätzen, ihr Stil ist blumig, duftig, ausdrucksstark.

Mit anderen Worten: Sie macht es ihren Lesern nicht leicht. Aber wer sich darauf einlässt, kommt in den Genuss eines kleinen Juwels, das es in dieser Form kein zweites Mal gibt, das verwirrt, beunruhigt, aber auch amüsiert. Prädikat: sehr wertvoll.

Hope Mirrlees wuchs teilweise in England und Südafrika auf. Sie war eine der ersten Frauen, die an einer Universität studierten, sprach eine ganze Latte mehr oder weniger exotischer Sprachen fließend, darunter Zulu, Arabisch und Russisch, war viel auf Reisen und gehörte neben Virginia Woolfe u.a. zur Bloomsbury-Gruppe, einem Literatenzirkel. Ihr erstes Werk, das Aufmerksamkeit erregte, war das Gedicht „Paris“, das recht erfolgreich war, doch mit „Flucht ins Feenland“ wurde sie berühmt. Nicht lange nach der Veröffentlichung dieses Romans aber starb ihre langjährige Freundin und Vertraute Jane Harrison. Offenbar hat dieser Verlust ihren inneren Antrieb zur Schriftstellerei vollständig zum Erliegen gebracht, denn außer einigen unbedeutenden Gedichten und einer unvollständigen Biographie hat Hope Mirrlees nichts mehr zu Papier gebracht. Sie starb am 01. August 1978.

Nimmo, Jenny – Charlie Bone und die magische Zeitkugel (Die Kinder des roten Königs 2)

Die Kinder des roten Königs 1: [„Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ 1992

Nach den turbulenten Ereignissen in der Ruine der Bloor-Akademie hat Charlie seine Ferien so richtig genossen. Aber jetzt ist Weihnachten herum, und obwohl draußen beinahe arktisches Wetter herrscht und in Benjamins Schule der Unterricht ausfällt, holt Charlie die Schule wieder ein.

Und gleich am ersten Abend stolpert er über das nächste Abenteuer in Form eines Jungen, der plötzlich in der Eingangshalle wie aus dem Nichts auftaucht. Der Junge heißt Henry, sieht Charlie ziemlich ähnlich und ist auch ungefähr genauso alt. Bald stellt sich heraus, dass er Charlies Urgroßonkel ist. Eine magische Zeitkugel hat ihn um neunzig Jahre in die Zukunft versetzt.

Jetzt gilt es, Henry schleunigst zu verstecken. Denn die beiden wurden von Billy Raven beobachtet, und Charlie hat längst gemerkt, dass mit Billy in letzter Zeit etwas nicht stimmt. Tatsächlich suchen schon am nächsten Tag sämtliche Bloors nach Henry, und natürlich vor allem auch nach der magischen Zeitkugel. Um diese beiden in Sicherheit zu bringen, müssen Charlie und seine Freunde sich ganz schön anstrengen …

Jenny Nimmo baut ihren Zyklus sehr vorsichtig weiter aus. Bei den Charakteren sind drei Neuzugänge zu verzeichnen.

Zunächst natürlich Henry, der gleichaltrige Urgroßonkel. Seine Verwirrung angesichts der fremdartigen Welt, in die er geraten ist, hält sich in Grenzen. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ihm als einem Verwandten der Bloors Magie nicht völlig fremd ist. Er weiß, wie die Zeitkugel funktioniert, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, trotzdem hineinzuschauen. Kinder sind eben oft einfach noch unvernünftig und die Neugier stärker als die Angst. Insofern ist Henry gut getroffen.

Desweiteren wäre Mrs. Bloor zu nennen. Die Misshandlung und Unterdrückung durch die Familie ihres Mannes, der sie aus reiner Geldgier geheiratet hat, haben aus ihr ein verhuschtes, trübseliges Geschöpft gemacht. Dass aber sogar Manfred mit Begeisterung seine eigene Mutter quält, obwohl er gleichzeitig wohl eine gewisse Zuneigung zu ihr empfindet, zeigt schon einen recht verqueren Charakter! Kein Wunder, dass Mrs. Bloor die unverhoffte Gelegenheit der Zeitkugel nutzt, um schleunigst zu verschwinden!

Der wichtigste Zuwachs ist die Köchin. Eine mütterliche und gleichzeitig resolute Frau, der es ein großes Bedürfnis ist, Kinder zu beschützen, vor allem, wenn sie es schwer haben. Wie zum Beispiel der verfolgte Henry … Dabei bietet sie sogar Manfred die Stirn, was nicht weiter verwundert, denn offenbar ist auch die Köchin sonderbegabt. Sie wohnt in einer kleinen gemütlichen Wohnung innerhalb der Akademie, deren Zugang hinter einem Küchenschrank versteckt ist. Wie weit die Absonderlichkeiten im Hinblick auf diese Frau den Bloors bekannt sind, ist nicht ganz klar, jedenfalls kommt keiner von ihnen auf die Idee, Henry bei ihr zu suchen. Nicht einmal der Hund von Manfreds Großvater ist bereit, sie zu verraten.

In welchem Umfang Henry in den folgenden Bänden noch eine Rolle spielen wird, ist nicht sicher. Zwar ist er noch in Reichweite, aber da er keine Sonderbegabungen hat, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für ihn, noch einmal aufzutauchen. Mrs. Bloor hat sich wie gesagt aus dem Staub gemacht.
Der einzige auf Dauer relevante Neuzugang dürfte deshalb die Köchin sein. Die ist aber auch wirklich interessant und ein echter Gewinn. Eine Verbündete innerhalb der Akademie, dann auch noch in einem solchen Versteck und mit einer Sonderbegabung, das klingt vielversprechend!

Auch im Hinblick auf die Handlung und die „Ausstattung“ erfolgte der Ausbau eher zurückhaltend.

Neu ist natürlich die Zeitkugel. Eine nette Idee, die die Handlung für diesen Band gestiftet hat, ähnlich wie der Roboter und der Metallkasten im ersten Teil. Genau wie diese ist auch die Zeitkugel am Ende des Buches wieder verschwunden und macht Platz für einen neuen Handlungsmotor.

Eine nachhaltigere Neuerung ist die Tatsache, dass Charlie inzwischen nicht nur die Leute auf Fotos und Gemälden hören, sondern auch in die Bilder eintreten kann. Er befindet sich dann tatsächlich an dem Ort auf der jeweiligen Abbildung und in Gegenwart der dort anwesenden Personen, die ihn auch wahrnehmen können. Nur der Rückweg bereitet ihm noch ziemliche Schwierigkeiten. Seinen ersten Versuch wagt er mit einem Gemälde, das seine Großmutter Bone absichtlich in der Küche liegen gelassen hat. An sich bereits ein ziemliches Wagnis, wenn man bedenkt, dass diese Großmutter nicht unbedingt seine Freundin ist! Wie war das noch mal mit dem kindlichen Leichtsinn? Trotzdem ist es Charlie gelungen, mit genau dem Werkzeug aus dem Bild zurückzukehren, das er braucht, um Henry zu helfen, anstatt sich von dem Magier im Bild zu einer Dummheit überreden zu lassen. Immerhin!

Das Werkzeug ist die zweite Neuerung, die langfristigere Auswirkungen besitzt. Es handelt sich um einen weißen Zauberstab, der einst einem walisischen Zauberer gehört hat. Jetzt hat Charlie nicht nur seine Sonderbegabung, sondern auch außerhalb dieser Zugriff auf Magie. Zumindest so lange, wie er den Stab vor den Bloors geheimhalten kann.

Die Erweiterung der Rahmenhandlung schließlich kommt sandkörnchenweise daher. Neu sind eigentlich nur der Baum mit den rotgoldenen Blättern, das Café der glücklichen Haustiere und sein Geheimgang in die Ruine des Bloors sowie der Schatten hinter dem Bild des roten Königs im Hausaufgabenzimmer der Sonderbegabten, dem einzigen Bild, das Charlie nicht reden hören kann. Hier lässt die Autorin sich besonders viel Zeit, aber schließlich soll der Rahmen ja wohl noch für einige weitere Bände reichen.

Was den Aufbau der Geschichte angeht, hat sich Jenny Nimmo an ihr Konzept vom ersten Band gehalten. Beschreibungen von Gegenständen und Charakteren oder auch Erklärungen von Funktionsweisen – etwa der Zeitkugel – wurden zugunsten der eigentlichen Handlung eher knapp gehalten. Die Handlung selbst ist nicht mit so vielen Überraschungen gespickt wie im ersten Teil, macht dafür aber einen etwas atemlosen Eindruck, vor allem, weil Henry sich ständig aus seinen Verstecken davonschleicht und jedes Mal entdeckt wird! Charlies Rettungsversuche werden oft genug vereitelt, nicht nur durch Billys Spionage, sondern auch durch die aufmerksame Bewachung, die ihm tagsüber durch Manfred, nachts durch seine Tante Lucretia zuteil wird. So verwundert es nicht, dass Henrys Rettung letztlich außerplanmäßig auf ganz unkonventionelle Weise erfolgt …

Der einzige Knacks, über den ich gestolpert bin, betrifft den Speisesaal. Im ersten Band saßen noch alle im selben Raum, jeder Schulzweig an seinem Tisch. Jetzt erwähnt die Autorin plötzlich einen eigenen Speisesaal für jeden Zweig, und sogar für jeden der drei Speisesääle eine eigene Küche. Wie in diesem Fall allerdings Olivia Manfreds bissige Bemerkung über ihre Haare gehört haben soll, und wo bei einer solchen Aufteilung die Lehrer sitzen, das ist ziemlich unklar. Ich denke aber nicht, dass solche Dinge auch Kindern zwischen acht und zwölf auffallen.

Im Vergleich zu Rowlings Blockbuster, der sich aufgrund der doch recht starken Ähnlichkeiten immer wieder aufdrängt, klingt das alles ziemlich bescheiden. Andererseits hat Charlie Bone am Ende des ersten Bandes gerade mal ein paar Wochen am Bloor verbracht, der zweite Band umfasst nur drei Wochen. Harry hat nach zwei Bänden bereits zwei ganze Schuljahre hinter sich.

Spätestens hier zeigt sich deutlich, dass Charlie Bone für jüngere Kinder geschrieben wurde. Und während Harry seiner ursprünglichen Leserschaft spätestens im fünften Band aus den Schuhen rauswächst, wird Charlie Bone wohl noch länger Kind und damit seinen Fans treu bleiben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs| und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind drei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“, „… das Geheimnis der blauen Schlange“ und im Februar dieses Jahres „… und das Schloss der tausend Spiegel“.

http://www.ravensburger.de

Haydon, Elizabeth – Tochter des Sturms (Rhapsody / Symphony of Ages)

Rhapsody Saga

Band 1: Rhapsody: Child of Blood, Tor 1999, ISBN 0-312-86752-2
Tochter des Windes, Heyne 2003, Übersetzer Michael Windgassen, ISBN 3-453-86372-0
Band 2: Prophecy: Child of Earth, Tor 2000, ISBN 0-312-86751-4
Tochter der Erde, Heyne 2003, Übersetzerin Christine Struth, ISBN 3-453-87069-7
Band 3: Destiny: Child of Sky, Tor 2001, ISBN 0-312-86750-6
Tochter des Feuers, Heyne 2004, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-87549-4
Band 4: Requiem for the Sun, Tor 2002, ISBN 0-312-87884-2
Tochter der Zeit, Heyne 2005, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-87911-2
Band 5: Elegy for a Lost Star, Tor 2004, ISBN 0-312-87883-4
Tochter des Sturms, Heyne 2006, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 3-453-52067-X
Band 6: The Assassin King, Tor 2007, ISBN 0-765-30565-8
Tochter der Sonne, Heyne 2008, Übersetzer Michael Siefener, ISBN 978-3-453-53256-4
Band 7: The Merchant Emperor, Tor 2014, ISBN 978-0-7653-0566-4
Band 8: The Hollow Queen, Tor 2015, ISBN 978-0-7653-0567-1
Band 9: The Weaver´s Lament, Tor 2016, ISBN 978-0-7653-2055-1

Lost Journals of Ven Polypheme

The Floating Island, Starscape 2006, ISBN 0-765-30867-3
The Thief Queen’s Daughter, Starscape 2007, ISBN 978-0-7653-0868-9
The Dragon’s Lair, Starscape 2008, ISBN 978-0-7653-0869-6
The Tree of Water, Starscape 2014, ISBN 978-0-7653-2059-9
(Quelle: Wikipedia.de)

Als Achmed von der Westküste zurückkehrt, wo er Rhapsodys Entführer nachgejagt ist, findet er schon auf den Krevensfeldern Glassplitter, die eindeutig von den Scheiben in der Kuppel des Gurgus stammen! Fluchend reitet er weiter. Aber kaum zu Hause angekommen, muss er schon wieder aufbrechen …

Rhapsody und Ashe haben beschlossen, Gwydion sei alt genug, um die Nachfolge seines Vaters als Herzog von Navarne anzutreten. Zusammen mit Anborn führt ihn sein erster offizieller Staatsbesuch nach Tyrian. Die Fortsetzung der Reise nach Sorbold ist eher weniger offizieller Natur. Schon die ersten Entdeckungen allerdings sorgen dafür, dass Gwydion eilig nach Navarne zurückkehrt, um Ashe zu warnen, während Anborn auf seiner Erkundung bis in die Hauptstadt Jierna’Sid vordringt …

Ashe ist allerdings nicht mehr zu Hause, als Gwydion zurückkehrt. Denn Rhapsody ist gleichzeitig mit Gwydion aufgebrochen, um die Drachin Elynsinos zu besuchen, wo jetzt wiederum Ashe sie besucht, denn sie fehlt ihm ganz entsetzlich! Er kommt fast gleichzeitig mit Achmed dort an, der zum Glück Krinsel, die Hebamme, dabeihat. Nur alle gemeinsam sind sie in der Lage, Rhapsody und ihr Kind heil durch die Geburt zu bringen! Der Knabe erhält den Namen Meridion.

Er ist allerdings noch keine Stunde alt, als er sich bereits auf der Flucht befindet. Anwyn, die als Drachin das erste Konzil der Cymrer nach dem cymrischen Krieg verheerte und daraufhin von Rhapsody in der Erde eingeschlossen wurde, ist entgegen aller Annahmen nicht tot. Die Erschütterung der Explosion am Gurgus hat sie geweckt und ihr Gefängnis aufgebrochen. Nun will sie Rache!

Als wäre das noch nicht übel genug, hat der neue Kaiser von Sorbold Faron, das missgestaltete Kind von Rhapsodys Entführer, durch irgendeine alte Magie in eine Statue aus lebendigem Stein verpflanzt, um einen willenlosen und unbesiegbaren Soldaten zu schaffen. Dafür musste er die Kathedrale von Terreanfor schänden und hinterher sämtliche Priester beseitigen, weil sie allesamt Zeuge der Schändung waren.

Und dann taucht auch noch Estens Stellvertreter Dranth bei ihm auf, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen …

Sechs verschiedene Handlungsstränge, das klingt komplizierter, als es wirklich ist. Grob gesagt teilt sich der Band in zwei Hälften, wobei „teilt“ eigentlich zu viel gesagt ist. Die Gewichtung verschiebt sich lediglich im Laufe der Erzählung ein wenig. Liegt sie zunächst etwas mehr auf Sorbold und seinem Kaiser, so wechselt sie später stärker zu den Ereignissen um Anwyn.

Kaiser Talquist von Sorbold stellt sich allmählich als extrem skrupellos heraus. Er giert nach Macht mindestens ebenso sehr wie die F’dor nach Zerstörung. Nicht nur, dass er die Waage manipuliert hat, um Kaiser zu werden, inzwischen zeigt sich, dass er absolut alles gnadenlos ausbeutet, was sich ihm nähert beziehungsweise dem er sich nähern kann. Der Nachschub an Sklaven, der durch Sorbold strömt, ist nahezu unermesslich, und man fragt sich, wo in aller Welt er diese vielen Menschen herholt! Er betreibt Raubbau an der Macht eines Heiligtums und bedient sich ihrer ganz unverblümt. Er benutzt jedermann, selbst jene, die ihn für ihren Freund halten, er intrigiert und schachert, und als Krönung verpflanzt er einfach ein Geschöpf von einem Körper in den nächsten, nur so als Test, und nimmt in Kauf, dass so ziemlich alles schief geht, was nur schief gehen kann. Und tatsächlich entzieht sich das Ergebnis des Experiments sogleich seiner Kontrolle …

Faron, das einst hilflose, ans Wasser gebundene Geschöpf, steckt jetzt in einem Körper, den es kaum versteht. Es versteht überhaupt fast nichts, weder die Welt selbst, noch die Wesen darin, noch was mit ihm geschehen ist. Aber er spürt die Klänge der bunten Schuppen, von denen ihm auf dem Weg nach Sobold zwei abhanden gekommen sind. Unwillkürlich folgt er den vertrauten Klängen durch den Kontinent zurück, um sich das Verlorene wiederzuholen. Und womöglich die violette Schuppe gleich dazu, die sich in den Händen Talquists befindet? Beim Anblick des stumpfsinnigen, aber unverwundbaren Kriegers aus lebendem Gestein packt den neuen Kaiser von Sorbold die Panik …

Am gelungensten fand ich die Beschreibung von Anwyn, die sich beim Erwachen an nichts mehr erinnert, nicht einmal an ihren eigenen Namen. Nur langsam und allmählich gehen ihre Gedanken über bloßen Instinkt hinaus, findet sie Antworten auf die vielen Fragen, die durch ihren Kopf schwirren. Und je mehr sie herausfindet, desto größer wird ihre Wut!

So kann man für diesen Band getrost dasselbe feststellen wie für den Vorgängerband: Die Autorin hat wieder viel Sorgfalt auf ihre Nebenfiguren verwendet.

Leider muss gleichzeitig auch für das ursprüngliche Trio Rhapsody/Achmed/Grunthor dasselbe festgestellt werden wie zuvor: Im Vergleich zu den ersten drei Bänden wirken sie einfach blass. Immerhin hat Rhapsody endlich ihr Kind entbunden. Jetzt, wo es ihr wieder besser geht, wird sie hoffentlich auch wieder aktiver und stärker, und zwar in jeder Hinsicht, in der sie es ursprünglich war. Auch Achmed wird hoffentlich wieder vermehrt zu dem dhrakischen F’dor-Jäger, der er sein sollte, denn im Augenblick ist er ein wenig zum Dauerretter Rhapsodys verkommen! Grunthor kommt ja fast gar nicht mehr vor.

Handwerklich gesehen, ist der Band gewohnt souverän aufgebaut. Elizabeth Haydon hat ein paar kleine Details eingestreut, die grundsätzlichen Fragen aber offen gelassen, um die Neugier wach zu halten. So erfährt der Leser zwar, dass es sich bei Farons bunten Schuppen offenbar um eine Art Kartenspiel handelt, aber nicht, wozu es dient und wie man es benutzt; dass die Glaskuppel, die Achmed so verbissen nachzubauen versucht, alte Magie anzapft, aber nichts Genaues über ihre Funktion. Außerdem finden sich wie gewohnt Ansätze zu neuen Handlungssträngen, zum Beispiel in der Figur des Jal’asee, des Gesandten der Magierinsel, oder der der Portia, die Ashe von Tristan Steward sozusagen aufgedrängt wurde, und die offenbar geheime Fähigkeiten hat. Die Frage, zu welchem Zweck genau Tristan sie unbedingt dort haben will, ist noch offen, ebenso wie die Pläne, die Dranth von der Rabengilde und der sorboldische Kaiser miteinander geschmiedet haben.

Das größte Rätsel ist allerdings erst zur Welt gekommen, nämlich Meridion. Aus dem dritten Band ist bekannt, dass er sein körperloses Selbst nicht nur durch die Zeit bewegen, sondern auch in die Geschehnisse eingreifen kann. Woher er diese Fähigkeiten hat, wie es dazu kam, dass er diese Fähigkeiten tatsächlich einsetzte, und wer sein Meister ist, der kurz erwähnt wurde, sind die Fragen, die mich derzeit am brennendsten interessieren. Ich fürchte allerdings, um diese zu beantworten, wird die Autorin – im Hinblick darauf, dass das Kind gerade erst geboren wurde – noch mal drei zusätzliche Bände brauchen! Ob sie dann noch alle Fäden ohne Verhedderungen weiterführen kann?

Schon in Band vier zeigen sich erste Schwierigkeiten, als Rhapsodys Entführer einen bestimmten Raum seiner Behausung aufsucht, um mit dem F’dor zu sprechen, dessen Wirt er doch ist, sodass das eigentlich gar nicht nötig sei sollte. Schnitzer dieser Art tauchen jetzt öfter auf. Anwyn hat bei ihrem Erwachen nicht mehr alle Verletzungen, die sie beim Kampf auf dem Konzil davongetragen hat, und von der Rede bei Meridions Namensgebung, die am Ende von Teil drei erwähnt wird, fehlt bei der tatsächlichen Namensgebung im neuesten Band jede Spur.

Auch das Lektorat war nicht ganz fehlerfrei. So tauchte die überraschende Mehrzahl Kinds auf, gemeint sein dürften wohl Kinder. Und obwohl sich die Verlage bei der Übersetzung von Titeln jegliche Freiheiten nehmen – was besonders bei den beiden neuesten Bänden auffällt, deren Titel wohl nur noch der Einheitlichkeit des Zyklus dienen und keinerlei Bezug zum Inhalt mehr haben -, schaffen sie es nicht, ihre Übersetzung sprachlicher Logik anzupassen. So heißt es an einer Stelle: “ … sprach drei Worte …: ‚Es tut mir leid.‘ „. Das sind eindeutig vier Worte, und nicht drei wie im englischen Original. Hier wäre ein Abweichen vom Originalwortlaut wenigstens mal sinnvoll gewesen!

Insgesamt entspricht das Niveau des fünften Bandes ungefähr dem vierten, was schade ist. Der Spannungsbogen ist längst nicht mehr so straff gespannt wie in den ersten drei Bänden. Der Leser ist zwar neugierig, weil die Autorin immer noch geschickt ihre Antworten nur häppchenweise verteilt, aber das Mitfiebern, das zu Anfang noch vorhanden war, schwindet zusehends, weil die drei Sympathieträger des Zyklus so schwächeln. So interessant die neuen Ideen auch sind, richtig mitreißen kann die Handlung nicht mehr. Ich hoffe doch sehr, dass wenigstens im sechsten Band, wo voraussichtlich die Zuspitzung auf den Höhepunkt erfolgen dürfte, endlich wieder Schwung in die Geschichte kommt.

Das Erscheinen dieses sechsten Bandes wurde allerdings auf Januar 2007 verschoben; wann die deutsche Übersetzung zu „Assassin King“ erscheinen wird, steht also noch in den Sternen. Ob diese großen Abstände zwischen den einzelnen Bänden dem Zusammenhang und der Logik dienlich sind, wird sich noch zeigen.

Elizabeth Haydon lebt an der Ostküste der USA mit ihrem Mann und drei Kindern. Sie interessiert sich für Kräuterkunde und Geschichte, singt und spielt selbst Harfe. Bevor sie zu schreiben begann, arbeitete sie im Verlagswesen. Außer |Symphony of Ages| schrieb sie auch |The Journals of Ven Polypheme| für Kinder.

http://www.elizabethhaydon.com/
http://www.heyne.de

Isau, Ralf – König im König, Der (Die Chroniken von Mirad 2)

Band 1: „Das gespiegelte Herz“
Band 2: „Der König im König“

Nachdem Twikus und Ergil in [„Das gespiegelte Herz“ 1807 ihren Onkel Wikander besiegen und Mirad von seiner Tyrannei befreien konnten, sollte eigentlich alles in schönster Ordnung sein. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Die beiden Brüder sind noch jung, die Bevölkerung scheint sie als Könige nicht ganz ernst zu nehmen, und einige Könige des Sechserbundes nutzen offenbar die Gelegenheit, ihr eigenes Süppchen zu kochen …

Doch all diese Schwierigkeiten verblassen, als eines Tages das Sirilim-Schwert der Brüder unvermittelt das Zittern anfängt. In der folgenden Nacht träumt Ergil, Wikanders finsteres Schwert Schmerz, das geborsten ins Meer gestürzt war, tauche wieder auf! Als noch dazu ein Bote Múrias die Nachricht von einem seltsamen, schwarz gekleideten Mann namens Kaguan überbringt, der sich sehr eigenartig verhalten habe, beschließen die Zwillinge, zusammen mit Múria und Falgon zum Festland zu reiten.

Sie kommen zu spät, Kaguan ist verschwunden. Um herauszufinden, wer dieser geheimnisvolle Mann war und was er eigentlich wollte, benutzen die jungen Könige ihre Sirilim-Fähigkeiten. Das Ergebnis ist erschreckend! Kaguan ist ein Chamäleone, ein Diener des finsteren Gottes Magos, und er hat die Bruchstücke von Schmerz aus dem Meer geborgen, um sie seinem Herrn zurückzubringen, damit dieser Mirad erneut seiner Knechtschaft unterwerfen kann.

Zuerst jedoch muss das Schwert neu geschmiedet werden, und nur eine Familie in Mirad beherrscht diese Kunst. Eine verbissene Hetzjagd durch den halben Kontinent beginnt …

Der zweite Band der Mirad-Trilogie hat mir fast noch besser gefallen als der erste. Während im ersten Teil die Handlung sich noch ganz allmählich an die eigentliche Aufgabe, nämlich den Sieg über Wikander, herantastete, ist im zweiten Band von Anfang an klar, um was es geht. Die Jagd nach dem schwarzen Schwert bildet dabei den roten Faden, der sich durch das ganze Buch zieht, was diesen Band einheitlicher und zusammenhängender erscheinen lässt als den ersten.

Trotzdem geht hier bei weitem nicht alles glatt, im Gegenteil. Jedes Mal, wenn die Gefährten glauben, sie könnten Kaguan endlich fassen, macht ihnen irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur die Tatsache, dass der Chamäleone sich durch die Anpassung seines Körpers an seine Umgebung nahezu unsichtbar machen kann, sondern auch, dass er die Brüder sehen kann, wenn sie ihre Sirilim-Gabe benutzen, macht ein Überlisten der Kreatur äußerst schwierig. Dazu kommt, dass das Schwert Schmerz, das Kaguan bei sich trägt, eine für die Zwillinge schier unerträgliche Ausstrahlung besitzt und ihnen die Sinne verwirrt. Außerdem hat Kaguan auch noch einige Helfer, die der Gemeinschaft schwer zu schaffen machen, und sein Meister hat ihm zusätzlich noch Macht über die Elemente verliehen. Das Repertoire umfasst aber auch so prosaische Tätigkeiten wie Geiselnahmen …

Die vielen verschiedenen Kniffe, durch die Kaguan seinen Verfolgern immer wieder entkommt, sorgen dafür, dass die Jagd durch Mirad abwechslungsreich, interessant und spannend bleibt. Und ehe sich aufgrund der ständigen Fehlschläge beim Leser Frustration einstellen kann, biegt Isau die Verfolgung in eine andere Richtung um …

Hilfreich für Kaguan waren aber nicht nur seine eigenen Fähigkeiten, sondern gelegentlich auch seine Verfolger. Ergil und Twikus haben sich zwar inzwischen ein gutes Stück zusammengerauft, gelegentlich aber flackern die alten Rivalitäten doch noch auf, in der Regel natürlich in kritischen Situationen, sprich: genau dann, wenn man es eigentlich gar nicht gebrauchen könnte! So kann Kaguan zumindest ein- oder zweimal nur deshalb in letzter Sekunde entkommen, weil die Zwillinge sich gerade nicht auf ihre Vorgehensweise einigen können und so kostbare Sekunden vergeuden.

Sogar die mangelnde Unterstützung der Brüder durch die Könige ihres Bundes weiß Kaguan auszunutzen, ebenso wie die Schwäche des Herrschers von Susan für seine Tochter Nishigo. Diese Vielfältigkeit, nicht nur in seinen körperlichen Fähigkeiten, sondern auch in seinem Denken, machen Kaguan zu dem interessantesten neuen Charakter dieses Bandes. Sein Gott wirkt dagegen fast ein wenig mickrig und einfallslos, aber gut, er kam ja auch kaum vor.

Außer den übrigen, bereits bekannten Charakteren Múria, Falgon, Dormund und Kira, die unverändert bleiben, ist noch Popi erwähnenswert, den Ergil zu seinem Knappen gemacht hat. Popi ist eigentlich ein Hasenfuß, der schon vor der geringsten Kleinigkeit am liebsten davonläuft. Aber nur, wenn es nicht um seine Könige geht! Ergil ist er so treu ergeben, dass er für ihn sogar solche Dinge tut, die er sonst niemals auch nur in Erwägung ziehen würde! Dass er dabei geradezu über sich selbst hinauswächst, fällt ihm überhaupt nicht auf.

Eine besonders angegehme Eigenschaft ist Isaus unaufdringliche Art und Weise, Dinge zu schreiben. So bleibt die Romanze zwischen Twikus und Nishigo ein zwar sichtbarer aber erfreulich dezenter Bestandteil der Geschichte. Die Zwillinge bleiben trotz ihrer Macht und Twikus‘ Hang zum Heldentum jederzeit menschlich und unperfekt, was auch für Falgon und Múria gilt. Und auch aus Popi wird kein strahlender Überheld, nachdem er seine Angst überwunden hat, sondern er ist immer noch ein fast zu bescheidener und ängstlicher Junge, der vorerst lediglich entdeckt hat, dass Mut durchaus nicht außerhalb seiner Reichweite liegt.

Zwei Fragen allerdings stellten sich mir bei der Lektüre: Wie konnte es passieren, dass die Wachposten im Palast von Susan so leicht auf den Chamäleonen hereingefallen sind? Hat sie denn niemand davor gewarnt, dass das „Gespenst aus der Schmiede“ seine Gestalt verändern konnte? Wenn ja, was für ein Versäumnis! – Und wie ist Kaguan aus der toten Meerschlange entkommen?

Aber gut, im Hinblick auf den gelungenen Rest des Buches kann man darüber hinwegsehen. Der Kampf gegen ein übermächtiges Böses ist zwar schon so alt wie die Fantasy selbst, aber vielleicht eben deshalb aus dieser auch nicht mehr wegzudenken. Und Ralf Isau hat das Thema mit einigen neuen und guten Ideen angereichert. Wie auch schon der erste Band für Jugendliche uneingeschränkt empfehlenswert, und für Erwachsene ebenfalls durchaus interessant, sofern man nicht besonderen Wert auf große Detailliertheit und komplexe Handlung mit mehreren Parallelsträngen legt.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu Schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Der dritte Band der Chroniken von Mirad soll im Herbst dieses Jahres erscheinen.

Gebundene Ausgabe: 544 Seiten
ISBN-13: 978-3-522-17746-7

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Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Walker, Hugh – Magira – Die Macht der Finsternis

Band 1: [„Die Welt des Spielers“ 2141

Das Verschwinden von Daran d’Sorcs Turm hat die Gefährten um Thuon voneinander getrennt.
Thuon, der in eine Figur des ewigen Spiels eingeschlossene Frankari und der Zwerg Thauremach konnten den Turm rechtzeitig verlassen. Bruss und Ilara dagegen wurden mit fortgerissen in eine Welt, die sich ständig verändert. Erst nach und nach wird erkennbar, dass sie auf die Ebene der Waage geraten sind, wo die ewige Schlacht tobt. Doch die Schlacht ist nicht unbedingt ein Problem. Jedenfalls nicht im Vergleich zur Gegenwart Äopes …

Thorich ist inzwischen klar geworden, dass er sich seiner Haut nicht mehr sicher ist, so lange er in Vanada und in Dirians Nähe ist. Am liebsten würde er sich aus dem Staub machen und Thuon suchen. Stattdessen wird er von einer Horde Ishiti entführt und zu Innis gebracht. Innis besteht darauf, dass Thorich ihn nach Ish begleitet. Dort angekommen, erfahren sie, dass ein fremder Mythane namens TrondasKhyn in die Stadt gekommen ist und erneut auf Menschenopfer drängt! Die Geschöpfe, die er aus der Finsternis beschwört, bringen das Grauen über E’lil …

Immerhin gelingt es Thorich, mit heiler Haut davonzukommen. Er weiß aber auch, dass die Geschehnisse in Ish wolsische Truppen auf den Plan rufen werden, und auf Kriegsdienst hat er keine Lust. Also verkrümelt er sich nach Sambun in Kanzanai. Um an ein ordentliches Schwert zu kommen – die kananaischen Krummschwerter liegen ihm nicht – , lässt er sich auf ein gefährliches Abenteuer ein: Er entführt die Tochter eines Kaufmanns aus dem Frauenturm des Palastes! Die Schwester des Fürsten macht sich auch gleich mit aus dem Staub, sie will den Mann nicht heiraten, den der Fürst ihr bestimmt hat. Jetzt hat der Fürst ziemlichen Ärger am Hals, denn der enttäuschte Bräutigam bezichtigt ihn des Verrats. Und zu allem Übel hat ein gewisser TrondasKhyn fest vor, in Sambun erneut zu versuchen, was ihm in Ish missglückt ist …

Der zweite Band des Magira-Zyklus besteht aus zwei Teilen. Während der erste Teil hauptsächlich die Geschehnisse des ersten Bandes zum Abschluss zu bringen scheinen, eröffnet der zweite Teil einen neuen Abschnitt. Die Verbindung zwischen beiden bilden die Gestalt des Mythanen TrondasKhyn sowie die Tatsache, dass wolsische Truppen auf dem Weg nach Norden sind. Diese Ausbreitung der Geschehnisse, ihre Auswirkung auf andere Länder, bildet den roten Faden, an dem sich die Handlung von einem Kontinent zum nächsten ausbreitet wie die Kreise auf der Oberfläche eines Teiches, in den ein Stein geworfen wurde: die Entführung Ilaras. So stellt sich bald heraus, dass nichts von dem, was im ersten Band passierte, abgeschlossen ist! Alles ist eine lange Reihe von Verkettungen.

Neu am zweiten Teil ist: Er spielt in einer anderen Gegend der Welt Magira. Ein anderes Volk taucht auf, mit eigenem Aussehen, eigenen Namen, eigener Kultur und Geschichte. Nicht, dass Hugh Walker darauf übermäßig einginge. Im Grunde wird aus all den Einzelheiten nur eine deutlich herausgehoben, während alle anderen Kleinigkeiten am Rande bleiben: die Angst der Kantussa vor der Wiederkehr der Toten.

Auch die neu auftretenden Charaktere – der Fürst und sein Gegenspieler, die Prinzessin und der Spielmann – sind nur knapp umrissen. Von ihren Gedanken und Gefühlen erfährt der Leser nichts, Hugh Walker definiert seine Protagonisten nach dem, was sie tun und wie sie es tun. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Fürsten von Sambun, der trotz der Knappheit sehr deutlich gezeichnet ist. Der Spielmann und vor allem die Prinzessin werden noch ein Stück fortschreitender Handlung brauchen, um denselben Grad an Lebendigkeit zu erreichen. Aber die Geschehnisse in Kanzania sind ja beleibe noch nicht abgeschlossen.

Der erste Teil setzt ziemlich nahtlos an der Stelle an, an der der letzte Band endete. Er beschreibt Thorichs Weg nach Ish sowie die Geschehnisse dort, und unmittelbar daran angeschlossen die Erlebnisse von Bruss auf der Ebene der Waage. Der Endpunkt von Bruss‘ Odyssee vermittelt den Eindruck, dass beide Stänge irgendwie miteinandern verbunden sind. Wie im ersten Band Ilara, verschiebt auch Bruss das Gewicht auf der Waage zugunsten des Lebens, Ilara hingegen scheint diesmal zugunsten der Finsternis zu wirken. Die Tatsache, dass sie Äopes Ring trägt, der untrennbar mit ihr verbunden ist, verleiht der Göttin Macht über sie.

Wie genau die Ereignisse um Thorich einerseits und Bruss und Ilara andererseits tatsächlich miteinander zusammenhängen, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Ebene der Waage ist, vor allem was die Seite der Finsternis betrifft, ein Reich des absoluten Chaos. Aber auch die Seite des Lebens ist nicht immer leicht zu verstehen, denn die Äbhängigkeiten der beiden von einander sind vielfältig. Dies ist die philosophische Ebene des Buches, die den abstrakten Begriff „Kampf zwischen Gut und Böse“ sozusagen in ein konkretes Gleichnis überträgt. Wider Erwarten wird das Verständnis der Zusammenhänge dadurch nicht einfacher. Generell lässt sich sagen, dass das, was sich auf der Waage abspielt, von allem am schwierigsten zu lesen ist.

Selbst die Ebene der Realität liest sich leichter, obwohl Laudmann mit seinen stetigen Andeutungen auch nicht immer einfach zu verstehen ist. Seiner Aussage nach ist es ihm gelungen, sich von der Figur Frankaris, zu der ihn der Autor innerhalb Magiras gemacht hat, zu trennen. Wie er das gemacht hat, würde mich brennend interessieren, genauso die Frage, wie es einer Romanfigur möglich sein sollte, etwas gegen den Willen des Autors zu bewirken.

Kein Zweifel, die Beziehung zwischen Laudmann, dem Autor und der von ihnen erschaffenen Welt ist eine ganz besondere! Bei Laudmann, dessen Manie ihn oft genug am Rande des Wahnsinns entlang führt, ist das nicht weiter verwunderlich, der Autor selbst kann sich dieser fiebrigen, unerbittlichen Zwanghaftigkeit aber offensichtlich auch nicht ganz entziehen. Offenbar steht er ebenfalls bereits mit einem Bein in seiner eigenen Schöpfung. Es scheint, diese Welt der Fantasy hat ein gewisses Eigenleben entwickelt, und so sehr beide Männer auch glauben mögen, sie könnten die Ereignisse dort kontrollieren, so ist es doch offensichtlich, dass auch die Welt selbst die beiden kontrolliert und beeinflusst, ihre Macht, die so absolut scheint, relativiert! Die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen zusehends!

Manche Schriftsteller packen ihre Geschichten, vor allem Historienromane, in eine zweite Handlung ein, eine Art Rahmen meist wissenschaftlicher Natur, der der eigentlichen Geschichte einen Hauch von Authentizität vermitteln soll, als hätten die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden, und zwar genau so wie dargestellt. Walker geht einen ähnlichen Weg, nur in die entgegengesetzte Richtung: In seiner Rahmenhandlung, den Gesprächen zwischen Laudmann und dem Autor, macht er das Unmögliche wirklich, holt die Fantasie in die Realität und erreicht damit dasselbe wie die anderen, nur viel effektiver! Er holt Magira ins Wohnzimmer des Lesers!

Magira gehört zu denjenigen Büchern, die Geduld erfordern. Seine Faszination braucht Zeit, um sich zu entfalten. Für sich betrachtet, mögen die Charaktere sowie ihre bestandenen Abenteuer ein wenig flach wirken. Allerdings sind die verschiedenen Kulturen Magiras nicht allein auf Walkers Fantasie zurückzuführen, sondern auch auf die seiner Mitspieler, insofern bestehen also auch urheberrechtliche Probleme. Abgesehen davon aber erhält Magira seine Tiefe durch die zusätzlichen Ebenen, vor allem die der Waage. Hier kann man auch nicht einfach drüberlesen. Die Prinzipien, die der Waage zugrunde liegen, sowie Laudmanns Gedankengänge erfordern tatsächlich Konzentration, um sie nachzuvollziehen. Beim nächsten lockeren Abenteuer, sei es Thorichs oder Thuons, kann der Leser sich dann wieder erholen. Magira ist ein wenig wie die Wogen des Meeres, ein ständiges Auf und Ab. Es mag nicht ununterbrochen richtig spannend sein. Aber es wird auch niemals wirklich langweilig.

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Foon, Dennis – Stunde des Sehers, Die (Das Vermächtnis von Longlight, Band 1)

Roan ist allein. Eine einzige Nacht des Schreckens hat ihm alles genommen, was ihm lieb und vertraut war, und nichts zurückgelassen als Trümmer und Tod. Noch hat er diesen Schock nicht verwunden, da hat er eine seltsame Vision: Eine Ratte warnt ihn, er solle das Dorf sofort verlassen. Aber es ist bereits zu spät. Ein fremder Mann namens Saint hat ihn entdeckt und nimmt ihn mit.

Fortan lebt Roan bei Saints Gruppe, die sich |Die Brüder| nennt. Sie verehren Saint als einen Propheten. Und Saint scheint wiederum einen Narren an Roan gefressen zu haben. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Roan äußerst begabt ist in allem, was er bei den Brüdern lernt. Aber er fühlt sich dort nicht wohl. Sein Gefühl sagt ihm, dass irgendetwas an der ganzen Sache stinkt! Und endlich findet er den Haken. Jetzt bleibt ihm nur noch die Flucht in die Wildnis …

Roan ist ein Junge mit wachem Blick und raschem Verstand. Von Anfang an ist er misstrauisch, was die Brüder betrifft, obwohl er zunächst nicht wirklich weiß, warum das so ist. Doch seine Aufmerksamkeit und seine Beobachtungsgabe liefern ihm eine Menge Hinweise, die sich allmählich immer mehr zu einem konkreten Bild verdichten. Damit bringt er sich in größte Gefahr. Und an dieser Stelle macht es sich bezahlt, dass er seinem Instinkt gefolgt ist und sich stets bedeckt gehalten hat.

Mindestens so groß wie die Gefahr für sein Leben ist jene für seinen Charakter: Die Gewalttat an seinem Dorf hat seinen Rachedurst geweckt. Er will nicht nur seine entführte Schwester befreien, er will auch die Mörder seiner Eltern für ihre Tat bezahlen lassen. Diese Gefühle werden von Saint noch geschürt, er ermuntert Roan, ihnen freien Lauf zu lassen. Roan wandelt am Rande eines Abgrunds, gegen den ihm auch sein Instinkt nicht viel nützt.

Saint ist eine äußerst zwiespältige Figur. Er hasst das Regime, das die Menschen unterdrückt, und will es stürzen. Dass er sich dabei derselben Form von Unterdrückung bedient, gegen die er sich auflehnt, scheint er nicht wirklich begriffen zu haben. Sein Hass ist so groß, dass ihm jedes Mittel recht ist. Roan will er unbedingt als Verbündeten gewinnen, denn dieser hat offenbar einige besondere Fähigkeiten, von denen er selbst noch nichts weiß, eine gewisse Macht, derer Saint sich bedienen will. Deshalb lässt er auch nicht zu, dass Bruder Rabe Roans Unterstützung auf seine Weise gewinnt. Saints Methoden sind allerdings auch nicht geeigneter: Man kann keine Verbündeten gewinnen, indem man sie belügt! Saint versucht da einen Spagat, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil er offensichtlich keinerlei Vorstellung von der Bedeutung der Begriffe Ehrlichkeit und Vertrauen und den damit verbundenen Zusammenhängen hat. Die Umstände, unter denen er von Geburt an leben musste, haben die Entwicklung dieses Verständnisses offenbar verhindert.

Denn die Welt, die Dennis Foon da entwickelt, ist eine zerstörte Welt. Roans Heimat war nur eine kleine Insel innerhalb dieser Zerstörung. Im Laufe der Geschichte erfährt der Leser, dass es vor einigen Jahrzehnten eine Rebellion gegeben hat, die vom Regime so gnadenlos bekämpft wurde, dass in diesem Krieg nahezu das ganze Land zerstört wurde. Alles ist voller Trümmer und Ruinen, und nicht nur das. Wälder sind abgestorben, die meisten Wasserreserven vergiftet. Es gibt kaum noch Tiere, ausgenommen Krähen, Ziegen und einige mehr oder weniger unangenehme Insektenarten, darunter eine Schneegrille, die es – wie auch immer – geschafft hat, sogar im Winter munter zu sein, und Käfer, die Mor-Ticks genannt werden. Die Zerstörung der Umwelt hat Krankheiten und Missbildungen unter den Menschen zur Folge, aber auch Verrohung bis zur Abartigkeit, wie bei den Bluttrinkern. Was genau geschehen ist, hält der Autor vorerst zurück; Informationen gibt es nur häppchenweise, das Gesamtbild bleibt bruchstückhaft. Eines aber ist klar: Die Welt, die er beschreibt, ist unsere Welt. Nicht im Heute, aber vielleicht im Übermorgen. Mit einer ungewissen Zahl an „über“s.

Foons Geschichte ist Science-Fiction und Fantasy, mehrmals gründlich umgerührt. Die erste Erwähnung von Sonnenkollektoren gleich am Anfang des Buches wirkte so befremdlich auf mich, dass ich den Satz nochmals las! Später begegneten mir Worte wie Motorrad, Plastik und Kraftwerk. Andererseits wird von einem Feuerloch in Roans Dorf gesprochen, das offenbar kochendes Wasser enthielt. Was genau damit gemeint war, erfährt der Leser nicht, nicht einmal, ob es natürlichen Ursprungs war oder nicht. Wer allerdings Worte für Dinge wie Plastik und Motorräder hat, hätte doch sicherlich auch ein Wort für Geysir oder heiße Quelle … Hier zeigt sich der Übergang zur Fantasy. Der ungenaue Begriff verschiebt das Objekt von der Ebene des Fassbaren hin zum Unfassbaren. Den letzten Schritt in diese Richtung stellen die Staubesser dar, die in ihren Träumen andere Orte sehen können und, wie manche sagen, auch die Zukunft. Auch Roan besitzt solche Fähigkeiten, denn in seinen Visionen spricht er mit einer Ratte …

Roans Welt ist eine grausame Welt, in der nicht nur die verheerte und entartete Natur sein Feind ist, sondern auch die meisten Menschen. Die Brutalität und Grausamkeit kommen ganz deutlich zum Ausdruck, in der Beschreibung von Beules Narben, von Roans zerstörtem Dorf oder der Glaskuppel, unter der die Kinder aus Fairview liegen. Es geht aber nicht allein um die Darstellung einer gewalttätigen Welt, sondern auch um die Frage von Gewalt und Gegengewalt, darum, wie mit Gewalt umgegangen wird. Roan ist ein Jugendlicher, noch unfertig und unsicher in seinem Denken, Fühlen und Handeln. Aufgewachsen in einer Umgebung, die Gewalt vollständig ablehnte, wird er völlig unvorbereitet mit ihrer brutalsten Form konfrontiert. Bei den Brüdern lernt er das Kämpfen, mit dem Schwert und ohne dieses. Zu der Antwort auf die Frage, was er letztlich mit dem Gelernten tut, muss er erst einmal einen Weg finden.

„Die Stunde des Sehers“ ist ein Jugendbuch. Das zeigt sich deutlich in der linear verlaufenden Handlung, den kurzen Kapiteln und der zügigen Entwicklung. Dem Autor ist es jedoch gelungen, allzu plötzliche Entdeckungen oder Erkenntnisse zu vermeiden, sodass zu keiner Zeit der Eindruck von übertriebenen Zufällen oder Unwahrscheinlichkeiten entsteht. Gemäß dem wachen Verstand seines Helden lässt er ihn durchaus Antworten auf einige seiner Fragen finden, allerdings längst nicht auf alle, wie es sich für den ersten Band eines Zyklus gehört. Der Leser bleibt mit dem zufriedenen Gefühl zurück, ein wenig mehr zu wissen als am Anfang, und mit einer gehörigen Neugier auf weitere Antworten.

Die Altersempfehlung für dieses Buch lautet ab dreizehn Jahren. Dieses Alter würde ich nicht unterschreiten, auch wenn letztlich die jeweilige Entwicklung des Einzelnen den Ausschlag gibt. Der düstere Grundtenor ist doch sehr stark, auch wenn Roan immer wieder Hilfe findet. Ansonsten ist das Buch interessanter Lesestoff. Alle Elemente fügen sich gut zusammen und ergeben ein stimmiges, wenn auch noch lückenhaftes Bild. Der Held verfügt zwar über ungewöhnliche Fähigkeiten, bleibt aber menschlich genug, dass Jugendliche sich mit ihm identifizieren können, und bietet eine geistige Entwicklung im Verlauf der Handlung, die junge Leser nachvollziehen und nachempfinden können.

Das Buch ist in der Zeitform der Gegenwart erzählt. Vielleicht ein Kniff, um hautnaher zu sein, vielleicht auch nur eine Gewohnheit, denn Dennis Foon hat bisher hauptsächlich Drehbücher und Theaterstücke geschrieben. Gelegentlich wechselt die Handlungsebene von der „Realität“ zu Erinnerungen oder Träumen/Visionen. Die jeweiligen Ebenen sind drucktechnisch unterschiedlich gestaltet, sodass der Leser problemlos folgen kann. Sehr wohltuend, da nahezu fehlerfrei, war das Lektorat, und auch die Bindung war erfreulich gut verglichen mit dem, was ich bei gebundenen Jugendbüchern schon vorgefunden habe.

Dennis Foon wurde in Detroit, Michigan, geboren und lebt seit 1973 in Kanada. Er war Mitbegründer eines Jugendtheaters und schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen, u. a. für die TV-Serie „Die Fälle der Shirley Holmes“, aber auch Theaterstücke. Seine Drehbücher und Dramen wurden vielfach ausgezeichnet, für das Stück „Invisible Kids“ erhielt er den British Theatre Award. Der zweite Band des Longlight-Zyklus ist bisher nur auf Englisch erschienen unter dem Titel „Freewalker“ und auf Deutsch für das Frühjahr 2007 angekündigt.

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Band 2: [„Die Stadt der vergessenen Kinder“ 3366

Kirstein, Rosemary – Geheimnis des Saumländers, Das (Die Expedition der Steuerfrau 2)

Band 1: [Das magische Juwel 2183

Rowan und Bel haben auf ihrem Weg zu den Staubhöhen die Grenze des Saumlandes erreicht. Das Saumland ist eine äußerst gefährliche Gegend, für eine kleine Gruppe von zweien erst recht. Deshalb wollen die beiden Frauen einen Stamm finden, der bereit ist, sie mitzunehmen. Ein schwieriges Unterfangen, Fremde sind bei den Saumländern wenig erwünscht. Als sie jedoch einem fremden Krieger das Leben retten, wird ihnen endlich Gastrecht gewährt.

Beide Frauen freunden sich rasch mit den Menschen an. Besonders gut versteht Rowan sich mit Fletcher, einem Binnenländer, der als Krieger in den Stamm aufgenommen wurde. Noch weiß sie nicht, dass er Geheimnisse hat, und die meisten sind ziemlich dunkel …

Der Schwerpunkt des zweiten Bandes liegt massiv auf dem Saumland und seinen Bewohnern. Das Bild entsteht vor dem Auge des Lesers auf eine Weise, als würde jemand einen roten Teppich ausrollen. Zuerst die Landschaft mit ihren Pflanzen und Tieren, dann die Saumländer und ihre Kultur. Es ist ein äußerst karges, rauhes Land, durch das Rowan da wandert. Eigentlich können Menschen dort gar nicht leben, denn es wächst nichts, das für Menschen genießbar wäre. Die meisten Pflanzen sind giftig, Wild gibt es keines. Deshalb sind die Stämme Nomaden und leben von ihren Ziegen. Die wiederum ernähren sich mühsam vom Rotgras, was auch nicht wirklich gesund für die Tiere ist. Das Leben im Saumland ist ein ewiger Krieg gegen das Land selbst sowie gegen andere Stämme, vor allem um Weideland. Und auch gegen Kobolde und andere Ungeheuer, die hier vermehrt auftauchen und den Fantasy-Charakterzug des Buches etwas stärker hervorheben.

Dass auf einer solchen Basis keine Hochkultur entstehen kann, ist logisch. Trotzdem sind die sogenannten Barbaren durchaus nicht unzivilisiert. Sie haben ein ein starkes soziales Netz, Arbeitsteilung, Dichtung und Kunst. Und natürlich, wie wir von Bel wissen, ein ausgeprägtes Ehrgefühl. Eine stimmige und auch stimmungsvolle Darstellung eines harten Volkes.

Da Rowan diesmal entgegen ihrer Gewohnheit in einer großen Gruppe reist, tauchen wesentlich mehr Personen auf als bisher. Die Ausarbeitung ist äußerst unterschiedlich von bloßer Erwähnung über ein oder zwei kurze Gespräche bis hin zu immer wieder auftauchend und schließlich wichtig. Die tragenden Charaktere sind auch weiterhin Rowan und Bel.

Neben diesen beiden ist Fletcher entscheidend. Ganz gleich, was geschieht, Fletcher scheint stets damit zu tun zu haben. Entweder ist er persönlich dabei, oder er taucht in irgendeinem Zusammenhang in den Gesprächen mit den Stammesmitgliedern auf. Und mit der Zeit schält sich ein seltsames Bild heraus: An sich ist Fletcher ein gutmütiger Kerl. Er scherzt gerne und begleitet seine Worte mit lebhafter Gestik und Mimik. Bei seinem ersten Auftauchen musste ich an einen Schauspieler denken. Die meisten Angehörigen des Stammes halten ihn, gelinde gesagt, für ziemlich schräg, denn Fletcher hat ein paar seltsame Angewohnheiten. Dazu gehört zum Beispiel, dass er zum Beten das Lager verlässt, um unbeobachtet zu sein. Einige allerdings halten ihn auch für einen Versager, und was die Fechtkunst angeht, trifft das auch durchaus zu. Das Seltsamste allerdings ist, dass er in die unmöglichsten Situationen gerät und über die erstaunlichsten Dinge stolpert, ohne dass ihm je etwas passiert. Der Ausdruck „knapp davonkommen“ ist beinahe schon ein Synonym für ihn.

Ich könnte nicht sagen, dass Fletcher mir unsympatisch gewesen wäre. Er war einfach ein komischer Vogel. Ich weiß nicht mehr, an welcher Stelle mir der Gedanke kam, er könnte ein Verbündeter der Magi sein und wann ich den Gedanken wieder verwarf. Tatsache ist, dass ich unterschwellig ständig damit beschäftigt war herauszufinden, was mit ihm nicht stimmte.

Durch die starke Gewichtung dieser beiden Punkte – die Darstellung des Saumlandes und das Rätsel um Fletcher – geriet die eigentliche Angelegenheit, nämlich die Frage nach dem abgestürzten Leitstern, ziemlich ins Abseits. Sie taucht nur auf, wenn Bel anderen Saumländern gegenüber massiv darauf hinweist, dass das Saumland durch die Magi beziehungsweise Slado bedroht ist, also etwa zweimal. Erst gegen Ende, als sich das Rätsel um Fletcher löst, rückt das eigentliche Rätsel des Zyklus wieder mehr in den Vordergrund. Der Lösung kommt man allerdings kaum näher. Die Andeutung, dass die Magie in Kirsteins Welt ziemlich viel mit Technik zu tun hat, wird jetzt eindeutig; was Slado aber genau bezweckt mit dem, was er tut, ist durchaus nicht so eindeutig, oder zumindest ergibt es keinen Sinn. Was an Antworten hierzu in diesem Band zu holen war, ist bereits recht früh klar und auch recht kärglich, sodass am Ende erneut ein gewisses Gefühl der Enttäuschung zurückbleibt.

Alles in allem entspricht das Niveau dieses Bandes ungefähr dem seines Vorgängers. Das Land und die Kultur der Saumländer sind durchdacht und gelungen, die Fortschritte innerhalb von Rowans Vorhaben dagegen eher mager. Das führte irgendwann zu einem leichten Hänger, an dem ich mich fragte, wann die Autorin wohl mit dem Aufbau ihrer Saumlandkultur fertig wäre und die Handlung sich endlich wieder weiterbewegen würde. Viele Geschehnisse hingen nicht mit dem Grund für Rowans Reise zusammen, sondern mit Fletcher, was gewissermaßen zu einer Handlung innerhalb der Handlung geführt hat. Nun war Fletcher für das Endergebnis des Buches nicht unwichtig, ein wenig Straffung allerdings hätte nicht geschadet.

Ich hoffe also, dass Kirstein im dritten Band ein wenig mehr am eigentlichen Thema bleibt und wenigstens ein paar Informationen über die Magie im Allgemeinen und über die Leitsterne im Besonderen herausrückt, damit der Leser zur Abwechslung mal das Gefühl hat voranzukommen. Allzu große Geheimniskrämerei wirkt frustrierend und nimmt die Lust am Weiterlesen, sofern man nicht gerade an krankhafter Neugier leidet.

Rosemary Kirstein ist Amerikanerin und hat schon in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Außerdem ist sie in der Folk-Szene aktiv, spielt Gitarre und singt. Die einzelnen Bände ihres Zyklus |Die Expedition der Steuerfrau| sind mit teilweise erstaunlichem zeitlichem Abstand entstanden. Außer „Das magische Juwel“ ist auf Deutsch bisher nur „Das Geheimnis des Saumländers“ erschienen. Das Erscheinen des dritten Bandes „Der verschwiegene Steuermann“ ist für Mai dieses Jahres geplant, für den vierten Band gibt es noch keine Angaben.

Band 3: [„Der verschwiegene Steuermann“ 2492

Kirstein, Rosemary – magische Juwel, Das (Die Expedition der Steuerfrau 1)

Rowan ist eine Steuerfrau. Der Orden der Steuerfrauen hat sich dem Wissen verschrieben, und so ist Rowan seit Beendigung ihrer Ausbildung auf Reisen. Die Entdeckung eines eigenartigen blauen Juwels hat ihre Neugierde geweckt, nun versucht sie, der Herkunft der Steine auf die Spur zu kommen, indem sie andere befragt, die ebenfalls welche gefunden haben. Denn das ist das Besondere an den Steuerfrauen: Jeder steht ihnen Rede und Antwort. Im Austausch beantworten die Steuerfrauen jede Frage, die ihnen gestellt wird, so gut sie können. Und sie sagen immer die Wahrheit.

Diesmal allerdings hat Rowan mit ihren Fragen offenbar in ein Wespennest gestochen! Nicht nur, dass sie mitten in der Nacht von einen Mann mit einem Schwert angegriffen wird, in der Hafenstadt Donner wird ihre Herberge kurz vor Sonnenaufgang von einer Horde Drachenschlüpflinge überfallen und restlos niedergebrannt! In Rowan keimt der Verdacht, dass jemand ihre Nachforschungen unterbinden will. Umso entschlossener ist sie, das Rätsel zu lösen. Dafür verlässt sie sogar den Orden der Steuerfrauen. Denn um sich vor ihren Verfolgern zu verbergen, ist sie gezwungen zu lügen …

Rowan ist eine sehr selbständige und unabhängige Person. Am liebsten reist sie allein. Zu ihrer Ausbildung gehörte auch der Schwertkampf, sodass sie durchaus in der Lage ist, sich gegen die wenigen Personen, die einer Steuerfrau das Gegenteil der üblichen Achtung entgegenbringen, ihrer Haut zu erwehren. Die junge Saumländerin allerdings, die sie im Gasthof nach ihrem Juwelengürtel befragte, hat es ihr irgendwie angetan. Also erlaubt sie ihr, sie zu begleiten. Bald sind die beiden gute Feundinnen. Denn im Grunde ist Rowan eine weichherzige, freundliche Frau. Ihre herausragendsten Eigenschaften jedoch sind ihr rascher Verstand und ihre Wissbegierde.

Bel, die junge Barbarin, die Rowan neuerdings begleitet, ist in erster Linie Kriegerin. Rowans Einstellung zu vielen Dingen kann sie des Öfteren nicht ganz folgen, und gelegentlich nimmt sie sich die Freiheit, ihr den Kopf ein wenig zurechtzurücken. Abgesehen davon ist sie äußerst anpassungsfähig, gleichzeitig klug und fast so neugierig wie Rowan selbst.

Die beiden ergänzen sich wirklich gut. Willam wirkt da ein wenig wie ein Anhängsel. Die beiden Frauen haben den Vierzehnjährigen auf ihrem Weg nach Osten aufgegabelt. Er ist auf der Suche nach einem Magus, der bereit ist, ihn als Lehrling anzunehmen. Bauern- oder Handwerksburschen nehmen die Magi allerdings normalerweise nicht als Lehrlinge an, ganz im Gegensatz zu den Steuerfrauen, die ihr Wissen mit jedem teilen, der sich dafür interessiert. Immerhin hat Willam es bereits geschafft, sich ein wenig Magie selbst beizubringen, dumm ist er also nicht. Er sagt aber auch nicht immer die Wahrheit, wie Rowan und Bel ziemlich schnell bemerken. Im Gegenzug merkt auch Willam, dass mit seinen neuen Reisebegleiterinnen etwas nicht stimmt. Vor allem Rowan kann er nicht ausstehen. Es dauert eine ganze Weile, bis die drei sich zusammenraufen.

Abgesehen von diesen drei Hauptpersonen sind die Magi interessant. Die Magi sind ein recht eigenbrödlerischer Haufen, sie grenzen sich von allen ab, auch untereinander. Ihr Wissen geben sie nur an ihre Lehrlinge weiter. Nach welchen Kriterien genau diese ausgewählt werden, worin das Wissen der Magi genau besteht und was sie damit tun, weiß niemand. Auch nicht die Steuerfrauen! Denn die Magi weigern sich, den Steuerfrauen zu antworten, was zu einer recht gespannten Situation geführt hat. Die Steuerfrauen ihrerseits beantworten nur die Fragen von Leuten, die auch die Fragen der Steuerfrauen beantworten. Das schert die Magi wiederum wenig.

Beim Volk sind sie ebenfalls nicht sehr beliebt. Sie sind in zwei Gruppen gespalten, Rote und Blaue, und überziehen das Land regelmäßig mit Krieg. Damit nicht genug, wechseln einige von ihnen offenbar ständig die Fronten. Einer von ihnen scheint besonders unangenehm zu sein, Abremio, der seine Domäne in Willams Heimat hat. Corvus dagegen scheint zumindest vernünftigen Argumenten zugänglich zu sein. Denn befehlen lassen die Magi sich nicht. Eigentlich …

Kirsteins Helden sind wohltuend durchschnittlich. Keiner von ihnen ist umwerfend schön, außerordentlich begabt oder auf sonst eine Weise hervorragend. Es gibt auch keine Prophezeiung, welche die Handlung oder Charaktere in irgendeine Richtung zwingt. Zur Abwechslung ist es mal ganz angenehm, von Leuten zu lesen, die nicht vom Schicksal in ihre Rolle gepresst wurden, sondern ihre Entscheidungen aus freiem Willen treffen. Bisher geht es auch noch nicht darum, die Welt zu retten; wobei sich die Angelegenheit durchaus noch in diese Richtung entwickeln könnte.

Vorerst will Rowan lediglich etwas herausfinden. Das verleiht dem Ganzen einen Hauch von Detektivgeschichte. Die Fantasyelemente beschränken sich auf die Magie und den kurzen Auftritt der Drachen. Eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Genre fällt daher schwer, was mich persönlich aber nicht störte.

Die Handlung an sich verläuft eher ruhig. Dass jemand Rowan an ihrem Tun hindern will, auch durch Gewaltanwendung, sorgt zwar für ein wenig Action, insgesamt trägt sich das Geschehen aber mehr durch Neugierde als durch Spannung. Der Hauptansatz liegt dabei in dem blauen Juwel, an dem wohl irgendetwas Besonderes sein muss, wenn jemand sich solche Mühe gibt, Rowan auszuschalten. Abgesehen davon will der Leser natürlich auch noch wissen, was mit Janus geschehen ist, wer Slado ist und was die Magi eigentlich die ganze Zeit so treiben … Im Laufe der Geschichte werden allerdings wesentlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Das mag manch einer als ziemlich unbefriedigend empfinden, zumal das Buch mit seinen gerade mal vierhundert Seiten recht kurz ausgefallen ist. Andererseits ist es nicht in sich abgeschlossen, sondern nur der erste Band eines Zyklus, und in dem Gespräch zwischen Rowan und dem Magus Corvus werden einige Dinge erwähnt, die ziemlich deutlich auf die zunehmende Ausweitung des Geschehens hinweisen.

Im Grunde ist dieser Band nicht mehr als die Einleitung. Entgegen meiner Befürchtung lag das diesmal aber nicht am Verlag. Am Ende des Buches sieht der Leser sich durchaus interessanten Aussichten gegenüber. Kirsteins Ideen haben noch eine Menge Potenzial für weiteren Ausbau, ihre Charaktere sind sympatisch. Die Mischung aus Fantasy und „Schnüffelei“ war so ausgewogen, dass ich das Ganze als angenehme Abwechslung empfand. Als mitreißend oder fesselnd kann man die Geschichte nicht bezeichnen, gerade im Vergleich beispielsweise zu Clemens‘ Hexenzyklus, den ich unmittelbar davor zu Ende gelesen hatte. Interessant fand ich sie trotzdem; bisher mag der Zyklus nicht zu den absoluten Rennern gehören, aber man kann ihn durchaus mit Gewinn lesen.

Rosemary Kirstein ist Amerikanerin und hat schon in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Außerdem ist sie in der Folk-Szene aktiv, spielt Gitarre und singt. Die einzelnen Bände ihres Zyklus |Die Expedition der Steuerfrau| sind mit teilweise erstaunlichem zeitlichem Abstand entstanden. Außer „Das magische Juwel“ ist auf Deutsch bisher nur „Das Geheimnis des Saumländers“ erschienen. Das Erscheinen des dritten Bandes „Der verschwiegene Steuermann“ ist für Mai dieses Jahres geplant, für den vierten Band gibt es noch keine Angaben.

Band 2: [„Das Geheimnis des Saumländers“ 2200

Clemens, James – Buch der Entscheidung, Das (Alasea / Banned and the Banished 5)

[Das Buch des Feuers 969
[Das Buch des Sturms 996
[Das Buch der Rache 1007
[Das Buch der Prophezeiung 1775

Die Expeditionen, die im vierten Band ausgezogen waren, um die Wehrtore des Greifen, des Basilisken und des Mantikor zu zerstören, haben ihre Aufträge erfüllt. Allerdings nicht, ohne einen hohen Preis zu bezahlen! Die El’ven haben ihre Königin und ihre Heimat in den Wolken verloren. Das Volk ist versprengt, und Merik kann nur einen Teil der Windschiffe wieder um sich versammeln. Der Kampf gegen den Greifen hat Mikelas und Krals Leben gefordert. Ferndals und Mogwieds Körper wurden zu einem gemeinsamen zusammengeschmolzen, den sie sich nun teilen müssen. Am schlimmsten jedoch hat es Elenas Bruder Joach getroffen. Er wurde nicht nur von Greschym seiner Jugend beraubt, er hat auch Kesla verloren, in die er sich verliebt hatte.

Nun bereiten sich die Verbündeten auf den Endkampf mit dem „schwarzen Herzen“ vor. Im nächsten Frühjahr wollen sie angreifen. Da platzt ein kleiner, blasser Mann im Narrenkostüm in eine Beratung und erklärt, dass sie nur noch einen Monat Zeit haben!

Dazu kommt eine Hiobsbotschaft von Merik: Ein Windschiff ist abgestürzt, und Kast und Saag’wan haben im Rumpf Eier aus Schwarzstein entdeckt! Daraufhin setzt geschäftiges Treiben ein. Die Strategen planen den Angriff auf Schwarzhall, Saag’wan und die Gelehrten A’loatals versuchen, das Geheimnis des Eis zu lösen. Sie beschließen, es zu öffnen. Ein folgenschwerer Fehler …

Währenddessen sind Elena, Er’ril, Joach, Merrik und Ni’lahn im Hof versammelt und beobachten, wie Ni’lahns Sohn Rodricko für seinen Baum das Erweckunslied singt. Gleichzeitig ist Greschym am Mondsee, einem magischen Ort, damit beschäftigt, seinen Knochenstab mit Elementarmagie aufzuladen.
Zwischen beiden Ereignissen entsteht eine Energiebrücke, die sämtliche Anwesenden außer Rodricko aus dem Garten zum Mondsee katapultiert, mit verheerender Wirkung für den See und seine Umgebung. Die Si’lura, die in diesem Teil der Wälder leben, sind darüber äußerst aufgebracht und nehmen die Gefährten gefangen …

Tol’chuk ist derweil mit Ferndal, Mogwied, Mama Freda und El’ven Kapitän Jerrick auf dem Weg in seine Heimat, um den geheilten Herzstein zurückzubringen. Bei ihrer Ankunft müssen sie feststellen, dass einer der Oger-Stämme unter einem unheilvollen Einfluss zu stehen scheint …

Und zu allem Übel ist die Zwergenarmee, die eigentlich auf dem Landweg nach Schwarzhall marschieren sollte, aus irgendeinem Grund nicht mehr aufzufinden. Als Tyrus sie endlich entdeckt, trifft ihn fast der Schlag!

Im letzten Band seines „Hexenzyklus“ kommt Clemens noch einmal richtig auf Touren. Schon den gesamten Zyklus über standen seine Protagonisten unter Druck. Den hat der Autor im letzten Band nochmal um eine Stufe erhöht, indem er der Gruppe kaum noch Zeit lässt und sie so zu überstürztem Handeln zwingt. Abgesehen davon müssen die Verbündeten sich jeden Fußbreit hart erkämpfen. Immer wieder zwingen unvorhergesehene Ereignisse dazu, in eine andere Richtung auszuweichen. Kaum ist eine Schwierigkeit überwunden, kommt schon die nächste daher!

Das zähe Ringen um jeden Zentimeter Boden wird in diesem Band für den Leser besonders hautnah. Clemens erlaubt seinen Charakteren so viele Gefühlsäußerungen wie nie zuvor. Besonders Elena bricht unter ihrer Angst und der Last der Verantwortung fast zusammen. Zudem hat er im Laufe der Ereignisse eine Menge Pärchen zueinander finden lassen: allen voran natürlich Elena und Er’ril sowie Cassa Dar und Jaston, Saag’wan und Kast, Merrik und Ni’lahn, Mama Freda und Jerrick …

Jetzt, wo es ums Ganze geht, konfrontiert der Autor seine Leser gnadenlos mit der Sorge dieser Personen um den/die jeweiligen Geliebten, mit Angst, Verlust und Schmerz. Auch die ständigen Hinweise auf Verwüstung und Zerstörung, die Ausführungen, die mit Schwarzhall und dem Krater in Wintershorst zusammenhängen, Svesa’kofas Mitteilung an Elena, das alles dient dazu, die Stimmung immer düsterer und unheilschwangerer zu gestalten. Außerdem droht noch immer Verrat aus den eigenen Reihen!

Trotz der vielen Stolpersteine und Umwege bleibt der vage Eindruck eines Hindernisrennens, der dem Vorgängerband anhaftete, aus. Das mag daran liegen, dass der Aufbau bei diesem letzten Bandes wesentlich komplexer geraten ist als beim vierten. Die verschiedenen Handlungsstänge laufen nicht einfach parallel zueinander, sondern es teilen sich Fasern ab, um sich mit anderen Strängen zu verbinden, oder es treffen sich Stränge, um fortan gemeinsam zu verlaufen, wobei die Bündelung zum Ende hin natürlich stetig zunimmt. Zudem ist Clemens wieder zu seiner Gewohnheit zurückgekehrt, Handlungsstränge immer gerade an den heikelsten Stellen zu unterbrechen.

Zusätzlich zu dem Aufwand, den die Zusammenführung aller Fäden bedeutet, hat Clemens auch noch einige neue Ideen in seine Erzählung einfließen lassen, darunter der Nexus und der Stein-Magus. Das Auftauchen des Letzteren wirkte ein wenig aufgesetzt, so als käme er überhaupt nur deshalb vor, weil er für die weitere Entwicklung unabdingbar ist. Eine oder zwei Erwähnungen am Rand zu einem früheren Zeitpunkt hätten die Begegnung etwas natürlicher wirken lassen.

Was mich überrascht hat, war, dass das „schwarze Herz“ die Information, die es von Mogwied erhalten hat, offenbar nicht einmal versucht hat zu nutzen. Hier ist ein Fadenende einfach verschütt gegangen.
Die Kurve, die die Diskrepanz zwischen Geschichte und Rahmen überbrückt, hat Clemens recht elegant genommen. Nur verstehe ich nicht: Warum ist die Geheimhaltung von Elenas Geschichte noch wichtig, wenn der Hexenstern am verlöschen ist und damit die Gleichheit der Menschen ohnehin aufgehoben wird?
Ein paar kleine Wermutstropfen, die im Hinblick auf die Gesamtheit des Zyklus aber nicht allzu schwer ins Gewicht fallen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass |Banned and the Bannished| zum Spannendsten gehörte, was ich in den letzten zwölf Monaten gelesen habe. Manches war für meinen Geschmack dann doch etwas zu abstoßend oder blutig, abgesehen davon jedoch ist es eine gute und fantasievolle Geschichte, die von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Für jeden, der weniger zart besaitet ist als ich und viel für Action übrig hat, nur zu empfehlen!

James Clemens ist gebürtiger Amerikaner, wuchs aber in Canada auf. Er studierte Veterinärmedizin und eröffnete schließlich eine Praxis in Kalifornien. 1998 erschien der erste Band des Zyklus |Banned and the Banished| unter dem Titel „Wit’ch fire“. In der deutschen Übersetzung wurde daraus „Das Buch des Feuers“. Die übrigen Bände folgten, jedes Jahr einer. Nach einer längeren Pause kam im Juli 2005 der erste Band des neuen Zyklus |Godslayer Chronicles| unter dem Titel „Shadowfall“ heraus. Die deutsche Übersetzung erschien im September unter dem Titel [„Schattenritter“. 1794 Derzeit schreibt der Autor am zweiten Band dieses Zyklus, dessen Veröffentlichung unter dem Titel „Hinterland“ für dieses Jahr geplant ist.

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Walton, Jo – Clan der Klauen, Der

Bon Agornin liegt im Sterben. Aus diesem Grund hat sich die gesamte Familie in seinem Haus versammelt. Die beiden unverheirateten Töchter Selendra und Haner, die dem alten Bon den Haushalt führten, sein Sohn Avan, der in der Hauptstadt einen Posten im Planungsministerium innehat, sein Sohn Penn, der Pfarrer, und seine verheiratete Tochter Berend mit Mann und Kindern.

Obwohl Penn seinem Vater versichert, dass das Erbe nach seinem Willen aufgeteilt werden wird, kann er nicht verhindern, dass sein arroganter Schwager Daverak sich einen Großteil davon unter den Nagel reißt. Der jüngere Bruder Avan ist darüber so wütend, dass er – trotz der Warnungen seiner Freundin Sebeth – deswegen vor Gericht zieht. Eine prekäre Situation für seine Schwester Haner, die seit dem Tod ihres Vaters bei ihrem Schwager leben muss, aber auch für Selendra, die sich in Sher, den Freund und Gönner ihres Bruders Penn, verliebt hat. Shers Mutter wäre über eine solche Verbindung ohnehin schon entsetzt, noch entsetzter aber wäre sie, wäre Selendra in einen Skandal verwickelt! Am stärksten allerdings ist Penn betroffen. Denn er hat am Sterbebett seines Vaters etwas getan, was die Kirche so sehr missbilligt, dass es ihn, sollte es bekannt werden, mit Sicherheit seine Pfarrstelle kosten wird.

Allerdings fühlt Daverak sich allein durch die Einreichung der Klage schon so sehr in seiner Ehre gekränkt, dass er gar nicht daran denkt, einen Rückzieher zu machen. Er will diesen Prozess, und er will ihn gewinnen! Mit allen, wirklich allen Mitteln!

Als es jedoch so weit ist, verselbständigt sich das Geschehen, und letztlich wird der Streit durch ein Duell entschieden. Ein ziemliches Ereignis … wenn es sich bei den Duellanten um Drachen handelt!

Laut Verlagstext wird dieser Roman „von Lesern und Kritikern als originellstes Fantasy-Werk der letzten Jahre“ gefeiert. Ich persönlich wage das zu bezweifeln, zumindest, was die Leserschaft angeht. Auf mich jedenfalls trifft es nicht zu.

Jo Walton selbst bezeichnet das Produkt ihres Schaffens als viktorianischen Roman. Keine Ahnung, woher die Bezeichnung stammt, als feststehenden literarischen Begriff habe ich sie jedenfalls nicht gefunden. Aber sie ist durchaus zutreffend; besonders, was die Personen angeht. Hier treffen wir auf eine Mischung aus „Stolz und Vorurteil“ und „Verstand und Gefühl“.

Der Ortspfarrer Frelt hat ein Pendant in „Stolz und Vorurteil“, mit dem einzigen Unterschied, dass der dortige Pfarrer Mr. Collins bei seinen Heiratsanträgen nicht zudringlich wird. Shers Mutter ist ein Abbild von Darcys Tante Lady Catherine de Bourgh aus demselben Buch. Haner und Selendra haben dagegen große Ähnlichkeit mit Elinor und Marianne aus „Verstand und Gefühl“. Die Entsprechungen machen nicht bei den Personen Halt, sondern erstrecken sich auch auf die Handlung. Der Versuch, Sher mit Gelener zu verkuppeln, ist nahezu identisch mit Lady Catherines Versuch, ihren Neffen Darcy mit ihrer Tochter zu verheiraten, ihre Reaktion auf Selendra quasi austauschbar mit Lady Catherines Reaktion auf Elizabeth.

Der Handlungsstrang um das „gefallene“ Mädchen Sebeth könnte dagegen genauso gut aus „Oliver Twist“ stammen, nur dass Sebeth im Gegensatz zu Oliver ihren Vater kennt. Auch die Sozialkritik und das fast ein wenig an den Haaren herbeigezogene Happyend könnte von Dickens stammen. Ich frage mich, was genau daran so originell sein soll.

Allein Avan und sein Rechtsstreit gegen Daverak weisen eine gewisse Eigenständigkeit auf. Der Gerechtigkeit halber muss zugestanden werden, dass dieser Teil der Geschichte gut ausgearbeitet ist und sich inhaltlich und sprachlich ohne Kanten in den Rest der Geschehnisse einfügt. Auch die Charakterzeichnung der damit verbundenen Charaktere ist einigermaßen ordentlich geraten, wenn auch ein wenig flacher als bei denjenigen, zu denen es literarische Vorlagen gibt. Sie machen aber leider nur einen Bruchteil des Buches aus. Für das vollmundige Prädikat des Verlagstextes reicht das bei weitem nicht!

Originell war höchstens der Versuch, einen Roman nach viktorianischem Vorbild in eine Fantasy-Welt zu verlegen. Die Übertragung der historischen Realität in die Fantasy hat zu einigen recht netten Ideen geführt: So spielt die Autorin mit Farben. Jungfräuliche Drachen sind golden. Wenn ihnen ein Drache, den sie lieben, einen Heiratsantrag macht, erröten sie im wahrsten Sinne des Wortes! Sie sind rosa bis zu ihrem ersten Gelege, dann werden sie rot. Ein Drache, dem es gesundheitlich schlecht geht, ist grün.

Auch die zusammengebundenen Flügel von untergebenen Drachen, vor allem Dienern und Pächtern, sowie Huren und einfachen Arbeitern, finde ich eine gelungene Umsetzung. Allerdings war das ein schwacher Trost dafür, dass ich ständig das Gefühl hatte, fast alles, was ich las, bereits zu kennen.

Hier stellt sich deshalb die Frage, ob es überhaupt nötig ist, heutzutage Romane nach viktorianischem Vorbild zu schreiben. Es gibt schließlich genug Romane aus jener Zeit und von Leuten, die näher dran waren an dem, worüber sie schrieben, als ein moderner Autor. Vielleicht hat die Autorin sich das auch gedacht und ihren Roman deshalb in eine Fantasy-Welt verlegt und ihre Charaktere zu Drachen gemacht.

Nicht, dass das Buch wirklich schlecht wäre. Insgesamt ist der Roman durchaus in sich stimmig und sprachlich gut gestaltet. Das genügt aber nicht, um seine Mängel auszugleichen! Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Leser, der es amüsant findet, die Parallelen zwischen diesem Roman und den historischen Vorlagen herauszufinden. Ich für mein Teil allerdings konnte dem nicht viel abgewinnen. Dass ich einen so großen Teil der Handlung bereits kannte, machte die Lektüre vorhersehbar und damit stellenweise ziemlich langatmig.

Und ich bin mir nicht sicher, ob es mir besser gefallen hätte, hätte ich Jane Austen nicht gelesen. Aus der Perspektive des Fantasy-Lesers muss ich gestehen, dass ich von einer Geschichte über Drachen doch etwas anderes erwarten würde. Möglicherweise ist es das, was hier mit „Originalität“ gemeint war. Meiner Meinung nach wäre die Bezeichnung „gefährlicher Spagat“ weitaus treffender! Wenn ich einen Roman über die viktorianische Gesellschaft lesen möchte, lese ich eben gleich Dickens oder Austen, oder auch die Schwestern Bronte. Wenn ich Fantasy lesen will, will ich echte Fantasy lesen, keinen verkleideten Realismus. Dem mystischen Wesen „Drache“ ging durch die Vermenschlichung sein ganzer Zauber verloren, den die paar netten Ideen nicht ersetzen konnten. Aus der Vermischung zweier so unterschiedlicher Genres ist „nichts Halbes und nichts Ganzes“ entstanden, wie der Volksmund sagt; wobei daraus unter Umständen ja sogar etwas geworden wäre, hätte Jo Walton sich mehr von ihren etablierten Vorbildern gelöst und eigene Figuren und eine eigene Handlung kreiert. Dann hätte ich mich womöglich sogar der „Originalität“ zuliebe mit dem Paradoxon zivilisierter Drachen abgefunden.

Jo Walton ist gebürtige Waliserin und lebt heute in Montréal. Aus ihrer Feder stammen unter anderem „The King’s Peace“, „The King’s Name“ und „The Prize in the Game“. „Der Clan der Klauen“ ist der einzige ihrer Romane, der bisher auf Deutsch erschienen ist. Wahrscheinlich fiel die Wahl auf dieses Buch, weil sie dafür den |World Fantasy Award| erhalten hat. Aber Literatur-Preise sind eben auch nicht alles …

Walker, Hugh – Magira – Die Welt des Spielers

Magira. Als ich den Namen zum ersten Mal las und die Inhaltsangabe des ersten Bandes überflog, wusste ich noch nicht, was für einen Koloss ich da vor mir hatte! Nach dem, was ich inzwischen darüber gefunden habe, muss ich sagen, das Buch ist nur ein Schnipsel!

Allen, denen es jetzt geht wie mir gestern, sei hiermit erklärt, dass Magira ein Brettspiel ist. Zumindest war es das ursprünglich mal. Ursprünglich heißt: vor fast vierzig Jahren! Damals taten sich zwei Männer zusammen und versuchten, unter dem Namen „Armageddon“ ein Strategiespiel zu entwickeln. Der Name war sozusagen Programm. Dazu kam die Idee, den Spielverlauf zu protokollieren. Heute ist aus dem Spiel „Armageddon“ das „ewige Spiel“ geworden, aus den gesammelten Protokollen die Chronik einer Welt, die immer noch wächst. Der Stamm hat Seitentriebe entwickelt: Rollenspiel, Simulation, Lyrik und Prosa, Gesang, Tanz und Kostüme …
Inzwischen wird Magira als Kult bezeichnet.

_Zum Buch:_

Manchmal hat selbst der vernünftigste Mann einen Aussetzer! Wie sonst ließe sich erklären, dass ausgerechnet Thuon, der bisher aller Magie samt den dazugehörigen Göttern erfolgreich aus dem Weg gegangen ist, für einen Beutel voller Edelsteine Ilara, die Opferpriesterin der Äope, entführt hat? Jetzt hat er nicht nur die Tempelsoldaten und die Garde des ishitischen Königs auf den Fersen, sondern auch noch einen Kerl namens Frankari an der Backe, der von sich behauptet, Thuons Welt erdacht und damit ins Leben gerufen zu haben. Eine Aussage, für die die Priester Frankari nur zu gerne auf dem Opferaltar sähen! Trotz dieser und anderer Widrigkeiten gelingt es den Dreien, auf einigen Umwegen den Dschungel von Ish zu verlassen und nach Chara in Tanilorn zu segeln. Thuon ist schon erleichtert, die Sache erfolgreich erledigt zu haben. Doch ehe er sich von den beiden anderen abseilen kann, holt ihn der Auftrag in Gestalt ishitischer Verfolger wieder ein. Die Sache scheint doch langwieriger zu werden als erwartet. Viel, viel langwieriger …

Thuon ist ein recht einfach gestrickter Bursche. Mit Wein, Weib und ein paar gelegentlichen, handfesten Abenteuern ist er vollauf zufrieden. Was nicht heißen soll, dass er dumm wäre, keineswegs. Er hält es nur für Zeitverschwendung, stundenlang über philosophischen Fragen zu grübeln. Die Welt ist, wie sie ist, ganz gleich, wer sie erschaffen hat und wann, und Thuon ist entschlossen, das Beste daraus zu machen. Auch die Erkenntnisse, die seine Bekanntschaft mit Frankari ihm offenbart, ändern nichts an dieser Einstellung.

Ilara dagegen hat noch nie ihren Tempel verlassen, geschweige denn den Urwald. Im Grunde lässt sie sich recht gern entführen, denn erstens will sie frei sein, und zweitens widerstrebt es ihr zu töten. Wenn sie nur nicht solche Angst vor ihrer Göttin hätte! Die lässt erst nach, als der Dschungel hinter ihnen liegt, aber frei ist Ilara damit noch nicht. Sie ist Frankari verfallen. Thuons Verdacht, dass da mit Magie nachgeholfen wurde, ist nicht ganz unbegründet, und doch scheint mehr dahinter zu stecken als ein einfacher Bann …

Viel mehr ist bei diesen beiden – zumindest bisher – nicht zu holen. Der Blickwinkel, von dem aus die Geschehnisse betrachtet werden, liegt großteils bei Thuon, dessen praktische Veranlagung dazu neigt, Fragen mit einem Achselzucken abzutun. Von Ilaras Wünschen oder Gedanken erfährt man so gut wie gar nichts, außerdem vermisste ich die geheimnisvolle Aura und den Blick für das Verborgene, der ihr im Prolog nachgesagt wird. Vielleicht wird das ja noch … So wäre die Personenzeichnung vorerst reichlich fad geraten. Wäre da nicht Frankari!

Frankari ist kein Magiraner, sondern stammt aus der Realität. Etwas Manisches haftet ihm an, nicht nur seinen Gedanken, auch seinem Verhalten. Sein Versuch, den Ereignissen und Abläufen seinen Willen aufzuzwingen, wirkt fast verbissen, als müsste ihn sein Leben in Magira für das in der Realität entschädigen! Doch obwohl er für magiranische Verhältnisse ein Gott ist, sind seine Fähigkeiten noch höchst unvollkommen. Zudem hat er in der Realität einen Gegenspieler, einen Rivalen, der ihm das Recht auf Mitbestimmung der Handlung verweigert: den Autor!

Und damit sind wir bei dem, was das Buch eigentlich interessant macht: die verschiedenen Ebenen. Die grundlegendste Ebene, auf der sich auch das meiste abspielt, ist die Ebene der Welt Magira: der Dschungel von Ish, Tanilorn am Meer, die Steppen von Wolsan. Andere Teile Magiras kommen nur namentlich vor. Auf dieser Ebene sind Thuon und Ilara zu Hause, hier haben die Menschen Namen, hier sind Magiras Leben und Wirklichkeit.

Die mittlere Ebene ist die, die der Feldherr des Lebens als Waage der Welt bezeichnet: Ein einziges riesiges Schlachtfeld! Hier wird der Kampf ausgefochten zwischen der Finsternis und dem Leben, das aus ihr entstand. Das Leben selbst existiert dort nur als Erinnerung. Diese Erinnerung und die Hoffnung auf Wiedergeburt halten die Krieger des Lebens bei der Stange. Krieger, deren Seelen die Reiter der Finsternis von den Schlachtfeldern holten, um auf der Waage der Welt weiterzukämpfen … Das zumindest erzählt die Mythologie der Magiraner.

Die oberste Ebene wird gestellt von unserer Realität. Hier ist Magira ein nicht ausgereiftes Strategie-Spiel, ein riesiges Brett aus lauter sechseckigen Feldern, auf dem die verschiedensten Arten von Plastikfiguren noch unbenutzt herumliegen und -stehen: wilde Krieger, Bogenschützen, gepanzerte Ritter … für eine riesige Schlacht! Hier versucht ein gewisser Laudmann alias Frankari, den Autor von Thuons und Ilaras Geschichte dazu zu bringen, die Handlung seinen Wünschen anzupassen, für ein paar zündende Ideen. Dem Autor scheint das nicht zu gefallen, denn kaum ist dieser Laudmann nach Magira verschwunden, spielt der Autor ihm ein paar üble Streiche.

Die Verbindungstüren zwischen den Ebenen bilden Sechsecke aus Finsternis, was in diesem Fall gleichzusetzen ist mit Magie. Sie finden sich in den Göttertempeln Ishs, aber auch an anderen magischen Orten wie dem Turm des Magiers Daran d’Sorc. Ein Magier muss diese Tore beschwören, in den Tempeln sind sie offenbar einfach da. Sie zu benutzen, ist nicht ungefährlich, denn obwohl das Leben aus der Finsternis entsprungen ist, ist Letztere dem Leben nicht wohlgesonnen. Und jede offene Tür bietet nicht nur einen Weg aus Magira hinaus, sondern auch einen Weg für die Finsternis nach Magira hinein!

Beim ersten Mal hat Frankari noch einen blinden Passagier dabei, als er das Tor durchschreitet. Thuon kann allerdings mit dem Erlebten nichts anfangen, zu befremdlich ist das, was ihm in diesem „Jenseits“ begegnet. Die übrigen Gänge unternimmt Frankari allein. Was genau er dann tut, darüber schweigt er sich aus, die Art und Weise, wie er dem Autor immer wieder seinen Willen aufzwingt, bleibt ein Geheimnis.

Auch sonst werden viele Fragen nicht beantwortet. Nirgendwo steht, was genau ein Mythane ist, und was mit Gisha gemeint ist, muss der Leser sich selbst zusammenreimen. Kennern Magiras fällt das wahrscheinlich gar nicht auf, Neueinsteiger brauchen ein wenig, bis sie sich eingelesen haben.
Ganz allgemein ist Hugh Walker offenbar nicht der Mann des Details. Seine Charaktere sind knapp und treffend skizziert, bleiben aber mit Ausnahme Frankaris, der zumindest mit einem gewissen Geheimnis umgeben ist, ohne echte Tiefe und bisher auch ohne Persönlichkeitsentwicklung. Landschaftsbeschreibungen fehlen fast völlig und die einzelnen Abenteuer sind alle recht kurz gehalten und schnell aufgelöst. Als die Ishiti die Verfolgung Ilaras schließlich aufgeben, fällt damit der einzige rote Faden weg, der die verschiedenen Ereignisse zusammengehalten hat.

Spätestens hier wird deutlich, dass es im Grunde nicht um Thuon und Ilara geht. Es geht um Magira als Ganzes, mitsamt seinem „Jenseits“, es geht um Magira und seine Verbindung zur Realität, es geht um die Rivalität zwischen Laudmann und dem Autor der Geschichte. Dieser Bezug gibt dem Buch seine Vielschichtigkeit, er ist der eigentliche rote Faden. Magira ist mehr als ein Fantasy-Abenteuer, man könnte es als eine Studie über das Verhältnis zwischen Phantasie und Wirklichkeit bezeichnen.

Bisher hat Walker nur einen Bruchteil von Magira angekratzt. Das ist einerseits schade, ich schätze, ein Kenner Magiras dürfte mehr Spaß an dem Buch haben. Andererseits wäre es ziemlich sinnlos, die Neulinge unter den Lesern gleich im ersten Band mit der Fülle dessen zu erschlagen, wozu diese Fantasy-Welt inzwischen angewachsen ist. Immerhin, jetzt steht das Gerüst. Um daraus ein Gebäude zu errichten, fehlen noch eine Menge Zusammenhänge und Antworten. Nun, es fehlen ja auch noch einige Bände. Mag sein, dass in diesem ersten Band durchaus noch Platz für einiges gewesen wäre, was noch verborgen geblieben ist. Ich fand es aber zur Abwechslung mal ganz angenehm, anstelle eines kiloschweren Wälzers ein schlankeres und leichtes Exemplar in der Hand zu halten.

Bleibt nur zu hoffen, dass es diesmal alle Bände bis zur Veröffentlichung schaffen. Lübbes Ausgabe ist nicht der erste Versuch, den Zyklus herauszubringen, nur blieb die Sache immer irgendwo stecken. Die Welt bietet aber noch so viele Möglichkeiten, dass es wirklich schade wäre, wenn der Zyklus erneut unterwegs verhungern würde. Als Outsider hätte ich mir zwar gelegentlich ein paar Informationen mehr gewünscht, oder auch ein paar genauere Beschreibungen, die dem Ganzen ein wenig mehr Stimmung verliehen hätten, trotzdem fand ich das Buch interessant und gut gemacht. Und dem trägen Hirn schadet es wohl nicht, wenn die eigene Vorstellungskraft mal wieder etwas stärker gefordert wurde als üblich.

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Nimmo, Jenny – Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder (Die Kinder des roten Königs 1)

Beim ersten Blick aufs Cover, auch beim zweiten auf den Klappentext, mag Charlie Bone wie ein Abklatsch von Harry Potter anmuten. Der Vergleich drängt sich geradezu auf. Aber auf Äußerlichkeiten kann man sich ja bekanntlich nicht verlassen, also werfen wir einmal einen Blick zwischen die Buchdeckel:

Bis zu dem Moment, als Charlie Bone von der Schule nach Hause kam, schien es ein ganz normaler Tag zu sein. So normal wie Charlie selbst. Die Frage ist nur: Wie normal ist Charlie wirklich? Als er nämlich das Foto eines fremden Mannes mit einem Kind auf dem Schoß aus dem Entwicklungsumschlag zieht, macht er eine verblüffende Entdeckung: Er kann den Mann reden hören! Und nicht nur den Mann, sondern auch die Frau, die offenbar das Foto gemacht hat. Ja, er hört sogar die Katze schnurren, die hinter dem Stuhlbein kauert!
Die Einzige, die darüber erfreut scheint, ist seine Großmutter väterlicherseits. Sofort beraumt sie einen Familienrat an, wobei Familienrat in diesem Fall nur die väterliche Linie berücksichtigt, sprich: Großmutter Bone geborene Darkwood, ihre drei Schwestern, ihren Bruder Paton und Charlie. Das Ergebnis behagt Charlie noch weniger als die Entdeckung vom Nachmittag. Nach den Herbstferien muss er nämlich auf eine andere Schule, die Bloor-Akademie, einen elitären Kasten voller Künstler.
Endgültig turbulent wird es allerdings, als Charlie das fremde Foto dorthin zurückbringt, wohin es eigentlich gehört, in eine Buchhandlung in der Nähe der Kathedrale. Die Eigentümerin ist so erfreut, dass sie Charlie einen Roboter und einen metallenen Kasten schenkt, die ihr verstorbener Bruder ihr hinterlassen hat. Seltsamerweise interessieren sich für diesen Kasten eine ganze Menge Leute, darunter auch … seine Großtanten!

Die Frage, wie normal Charlie wirklich ist, verliert folglich im Laufe des Buches an Bedeutung. Letzten Endes lässt sich sagen: Charlie ist – von seiner besonderen Gabe in Bezug auf Bilder einmal abgesehen – so normal wie jeder andere Junge. Er mag Fußball und Fernsehen, verbringt seine Freizeit mit seinem Freund Benjamin und dessen Hund, und versucht ansonsten, seiner dominanten Darkwood-Verwandtschaft auszuweichen, die in alles ihre Nase steckt. Verglichen mit so manchem anderen, der im Verlauf des Buches noch auftaucht, ist Charlie sogar außerordentlich normal!
Da wären zum Beispiel die Darkwood-Schwestern. Offenbar sind sie ziemlich reich, denn keine von ihnen scheint ernsthaft zu arbeiten. Dennoch ist Tante Lucretia Hausmutter im Bloor, und Tante Eustacia taucht als Kinderbetreuerin bei Charlies Freund Benjamin auf. Was genau die Damen tatsächlich tun, wird nicht verraten. Eines aber ist klar: Ihnen ist nicht zu trauen!
Charlies Großonkel Paton ist noch seltsamer. Er ist ziemlich mürrisch, meidet den Rest der Familie vollkommen, und mit Ausnahme des Stuhls ist jeder Fleck in seinem Zimmer mit Büchern oder losen Blättern voll gestapelt. Paton geht nur bei Dunkelheit auf die Straße, und wenn er sich nicht zusammenreißt, fliegt jede Glühbirne, in deren Nähe er sich zu lange aufhält, in die Luft!
Dann wären da noch der geheimnisvolle Mr. Onimous und seine drei seltsam gefärbten Katzen. So plötzlich er auftaucht – unter den merkwürdigsten Vorwänden -, so plötzlich ist er auch wieder verschwunden, und meistens hat Charlie danach einiges zum Nachdenken.
Am verrücktesten ist Fidelios Familie. Fidelio ist Charlies erster neuer Freund am Bloor und kommt aus einer recht großen Familie. Fidelios Vater hat die Angewohnheit, alles, was er zu sagen hat, in eine Melodie zu kleiden, und in dem Haus, in dem die Familie wohnt, herrscht ununterbrochen ein Heidenlärm, weil ständig irgendwo Musik gemacht wird.
Auf Manfred dagegen könnte Charlie problemlos verzichten. Er ist Oberaufsichtsschüler im Bloor, dazu noch der Sohn des Direktors, und hat ein paar schwarze, hypnotische Augen, die Charlie fürchtet. Außerdem zeichnet er sich durch eine gute Portion Fiesheit aus. Sein steter Schatten Asa ist nicht viel besser. Beide machen Charlie von Anfang an das Leben schwer.

Das zeigt schon, dass einige Ähnlichkeiten zu Harry Potter tatsächlich vorhanden sind. Und es kommen noch mehr dazu. Wie Harry geht Charlie auf eine Art Internat, schläft mit seinen Klassenkameraden in einem gemeinsamen Schlafsaal und trägt einen Umhang als Schuluniform. Zwar gibt es hier keine Häuser wie in Hogwarts, dafür die Fachzüge Musik, Bildende Kunst und Schauspiel, die alle ihre eigene Farbe haben. Jeder Fachzug hat im Speisesaal seinen eigenen Tisch, während an der Stirnseite der Lehrertisch die Tische der Schüler überragt. Das Schulhaus ist ein altes Gemäuer mit vielen unbenutzten Räumen, verschlossenen Türen und verlassenen Gängen. Sogar eine Ruine gibt es.
Im Gegensatz zu Harry Potter jedoch sind hier nicht alle Schüler Zauberer oder Hexen. Tatsächlich gibt es nur eine Hand voll Schüler, die wie Charlie eine besondere Gabe haben. Diese Sonderbegabten machen ihre Hausaufgaben getrennt von den anderen, verteilen sich im Übrigen aber auf die genannten Fachzüge. Jenny Nimmos Entwurf ist näher an der Realität als Rowlings Bücher, wo Harry die „normale“ Welt verlässt und getrennt davon in einer eigenen, magischen Welt lebt. Charlie Bone und seine magisch begabten Mitschüler stehen mit ihren Fähigkeiten mitten im Leben, sodass Normalität und Magie sich miteinander vermischen können.

Die gravierenderen Unterschiede sind weniger inhaltlicher als formeller Natur. Die Charakterzeichnung ist nicht so intensiv, die Umgebung sowohl außerhalb als innerhalb der Schule nicht so detailliert beschrieben wie bei den Potter-Bänden. Jenny Nimmo konzentriert sich mehr auf die Handlung, die so zügig voranschreiten und sich entwickeln kann. Kein Wunder, dass Charlie Bone spürbar schlanker ist. Das soll aber beileibe nicht heißen, dass die Geschichte simpel wäre, im Gegenteil! Die Autorin hat mehrere Ausgangsaspekte angelegt, die sich im Laufe der Geschichte verschieden stark entwickeln. So ist das Rätsel um das Foto und den Metallkasten am Ende zwar aufgeklärt, Charlies Vater jedoch ist noch nicht gefunden, und auch die Frage, was aus Billys Eltern geworden ist, ist noch nicht geklärt. Außerdem versteht Nimmo es, dem Geschehen immer wieder neue Wendungen zu geben, meistens dann, wenn der Leser gerade denkt, jetzt wäre die Sache ausgestanden.
Vor allem aber ist die Geschichte um Charlie Bone bei weitem nicht so unheimlich wie die um Harry Potter. Natürlich gibt es auch hier Bösewichter. Die Bloors sind beileibe nicht sympatisch, Charlies Großtanten auch nicht, und was diese Bagage da eigentlich ausheckt, gehört zu den Dingen, die sich die Autorin für die nächsten Bände aufgehoben hat. Doch im Vergleich zu Voldemort und seinen Todessern sind sie alle recht harmlose Zeitgenossen, zumindest bisher.

Ob Jenny Nimmo nun bei Joannne Rowling abgekupfert hat und deshalb nur eine von vielen Trittbrettfahrern ist oder nicht, auf jeden Fall hat sie das Gerüst ihrer Geschichte mit Leben gefüllt, und das durchaus nicht schlecht. Charlie Bone ist insgesamt einfacher gestrickt und zeigt weniger Liebe zum Detail, dafür fehlt auf der anderen Seite die massive Bedrohung, die die Potter-Bände auszeichnet. Trotz der auffälligen Parallelen zum „großen Bruder“ bietet die Autorin auch interessante, eigene Ideen, die Handlung bleibt übersichtlich, ohne langweilig zu werden. Jüngere Kinder dürften mit dem Buch durchaus ihren Spaß haben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs|, und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind zwei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“ und „… das Geheimnis der blauen Schlange“. Den vierten Band gibt es bisher nur auf Englisch unter dem Titel „Charlie Bone and the castle of mirrors“.

Band 2: [„Charlie Bone und die magische Zeitkugel“ 2448