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Robson, Justina – Verschmelzung, Die

Die Anforderungen der Zukunft, insbesondere in der Raumfahrt, löst die Menschheit durch extreme Anpassung: Man hat Mensch und Maschine miteinander verschmolzen und sich dadurch Möglichkeiten geschaffen, die sowohl einem zerbrechlichen Menschenkörper als auch einer robusten, aber geistlosen Maschine verschlossen geblieben wären.

Der angepasste Mensch „Voyager Lonestar Isol“, quasi eine menschliche Raumsonde, endeckt auf seinem Erkundungsflug ein außerirdisches Artefakt. Dieses entpuppt sich als Überlichtantrieb aus einem unbekannten Stoff, der es Isol erlaubt, in das Herkunftssystem des Antriebs zu reisen. Dieses ist erdähnlich und zur Besiedlung durch Menschen geeignet. Aber absolut unbewohnt. Von den Erbauern des Antriebs fehlt bis auf verlassene und vollständig leer geräumte Städte jegliche Spur.

Isol sieht in dem Planeten eine Chance für die „Angepassten“. Sie könnten auf diesen Planeten auswandern. Schon seit langen kriselt es zwischen „Unangepassten“ und „Angepassten“. Erstere stellen oft das Menschsein der Angepassten in Frage, Letztere fühlen sich ausgebeutet bis hin zur Sklaverei, aber auch den „funktionslosen“ und anfälligen Unangepassten überlegen.

Doch es gibt Zweifel an der von Isol vorgeschlagenen Welt: Sie umkreist nicht wie von Isol angegeben den Stern Zia Di Notte … sondern einen anderen, oberflächlich sehr ähnlichen. Wird Isol von dem außerirdischen Artefakt beeinflusst?

_Die Autorin_

Die Engländerin Justina Robson (* 1968) machte sich in Deutschland vor allem durch ihren zweiten Roman [„Mappa Mundi“ 176 einen Namen, der für den |Arthur C. Clarke Award| nominiert wurde. „Mappa Mundi“ wird oft als intelligenter und anspruchsvoller Science-Fiction-Thriller mit einem Hauch Cyberpunk beschrieben, der in naher Zukunft spielt. Mindestens genauso anspruchsvoll präsentiert sich dieses Buch – in dem Sinne, dass Robson dem Leser viel Konzentration und Geduld abverlangt. Denn das Prädikat „intelligent“ möchte ich diesem Roman nicht verleihen, zu unausgegoren, verzettelt und widersprüchlich präsentiert er sich dem Leser. Trotzdem wurde auch er für den |Arthur C. Clarke Award| nominiert – vermutlich dank einiger faszinierender Ideen, die Robson präsentiert.

_Viele Ideen, aber keine Linie_

Die Stärke des Romans ist die Darstellung einer fremdartigen Welt, in der normale und „angepasste“ Menschen wie selbstverständlich miteinander leben und umgehen. Die Angepassten sind oft hochspezialisiert in ihrer Form und Funktion, trotzdem sind sie im Geiste durch und durch menschlich. So gibt es eine flugzeuggroße „Passagiertaube“, in der die Anthropologin Zephyr Duquesne, die für General Machen den Planeten Isols untersuchen soll, quasi durch den After einsteigen darf. Desweiteren gibt es einen rabenähnlichen Angepassten namens Corax, der Analysen anhand seines Geschmackssinns durchführt und in Drogenhandel verstrickt ist. Dass eine von Zephyrs Internet-Bekanntschaften, mit der sie sich sehr verbunden fühlt durch ihre gemeinsame Vorliebe für Trilobiten, sich als eine Art Qualle entpuppt, verwundert da schon gar nicht mehr, amüsiert aber ungemein. Dazu kommen noch kilometergroße Terraformer-Wesen, genannt Gaiaforme, oder riesige menschliche Raumtransporter wie „Ironhorse Timespan Tatresi“. Neben den menschlichen Angepassten gibt es noch die „MekTeks“, meist technologisch aufgemotzte Menschen, aber oft auch nur niedere Tier-Maschine-Hybriden.

Bei all diesen Schilderungen fällt eines auf: So sehr die Angepassten auch an ihre Aufgabe angepasst und auf sie konditioniert sind – Isol zum Beispiel ist nahezu autistisch und kann die Einsamkeit ihrer langen Reisen so verkraften, ihr herausragendster Trieb ist ein ebenso künstlich geschaffener Entdeckerdrang -, denken und verhalten sich alle Angepassten durchweg menschlich. Sie greifen zu ihrer Repräsentation stets auf menschliche Avatare zurück, auf Bildschirmen oder als Hologramm. Dies gibt Gesprächen zwischen einer knapp hundert Meter großen Passagiertaube, die sich mit ihren Fluggästen unterhält, eine ganz eigenartige Note. Besonders wenn vogelähnliche Angepasste wie Corax mit den Geschmacksknospen ihrer Zunge etwas analysieren und tierische Verhaltensweisen mit menschlichen mischen, erhält die Geschichte einen sehr surrealen und exotischen Touch.

Das muss dem Leser aber auch reichen. Denn aus dem vermeintlichen Erstkontakt-Roman inklusive möglicher unheimlicher Beeinflussung einer Angepassten durch ein Artefakt, was zu Aufständen und Konflikten zwischen den beiden Menschenarten führen könnte, macht Justina Robson nahezu nichts. Die möglicherweise spannende Geschichte mit dem außerirdischen Artefakt dümpelt lange Zeit unbeachtet im Hintergrund, während sich Robson in der Schilderung der Beziehungen zwischen Menschen und Angepassten verliert und viele neue Fäden spinnt, ohne diese zu einem Ende zu bringen. So wachsen junge Angepasste in einer virtuellen Welt auf, in der sie u. a. auch Mensch sein können, oder was auch immer sie wollen, und wo sie die nötigen Fähigkeiten für ihre spätere Aufgabe erlernen. Viele versuchen, sich mit Drogen wieder in diese Traumwelt ihrer Jugend zu versetzen, ein andermal schildert uns Robson aus der Sicht des Angepassten Gritter, wie dieser unangepasste Menschen sieht – er wird als Mensch in eine Virtualität versetzt und fühlt sich entsetzlich schwach und hilflos.

Der Sinn dahinter? Nun, viele interessante Themen wurden angerissen, aber nicht zu Ende ausgeführt. Das trifft auf alle der vielen inkonsequenten und sich widersprechenden Abschnitte der Handlung zu. Könnte man den Entschluss der als Einzelgängerin geschaffenen Isol, sich auf einmal in diesem Ausmaß für alle einzusetzen, noch mit dem Einfluss durch das Artefakt erklären, beißt sich der dringliche Auswanderungswunsch mit der Tatsache, dass die meisten Angepassten nahtlos in die menschliche Gesellschaft integriert sind. Auf der fremden Welt selbst findet sich lange Zeit nur eines: gähnende Langweile.

Denn über den vermeintlichen Kontakt oder Konflikt mit einer außerirdischen Spezies schreibt Robson rein gar nichts. Genausowenig wird hinsichtlich der unbekannten Welt unternommen; man schickt Zephyr Duquesne hin, die leider ebenfalls nichts findet außer der erwähnten Überdosis Langweile. Auf politischer Ebene – auch diese Komponente reißt Robson an – bleibt der Konflikt zwischen unangepassten und angepassten Menschen genauso harmlos. Man unterhält sich. Es passiert nicht wirklich etwas Weltbewegendes. Der Eindruck einer eminent wichtigen Entscheidung entsteht beim Lesen des Romans erst gar nicht.

Justina Robson bedient sich im Englischen einiger blumiger Wortschöpfungen, die in der deutschen Übersetzung, die relativ holprig ist, noch seltsamer als im Original erscheinen. Einige Sätze sind nahezu sinnfrei und unfreiwillig komisch geraten. Da sich Robson einer eigenwilligen Metaphorik bedient, musste Übersetzer Dietmar Schmidt oft entsprechende deutsche Äquivalente finden oder erfinden, was unter anderem mit Händen, die sich wie thailändische Tänzer bewegen, endete. Nachkorrigiert hat offenbar niemand, denn vor Tipp- oder Sinnfehlern sowie seltsamen Satzbau strotzt das ganze Buch nur so (Bereits auf S. 9: |“… ihr Kraftstoffverbrauch geriete ins Ungleichgewicht zum Kraftstoff, der voraus für sie verfügbar war.“| – Ausgesprochen ungelenk übersetzt. S. 50 |“… um sein eigenes Frühleben aus den Akten tilgen zu lassen“| – wie wäre es mit Vorleben?).

_Fazit_

Das alles wäre zu entschuldigen durch die phantasievolle Schilderung von Menschen und Angepassten in Robsons Welt, in der Surrealität zum Alltag gehört, was mich des Öfteren zwar irritierte, aber auch in den Bann zog. Leider kann Robson ihre interessanten Ideen nicht wirklich vermitteln. Ihre beständige absolute Vermenschlichung körperlich fremdartigster Geschöpfe mag zwar eine ideologisch lobenswerte Einstellung sein, ist jedoch nicht wirklich überzeugend. Zu oft lässt sie einen Erzählstrang einfach fallen und schneidet ein anderes Thema an. Das tut der Geschichte nicht gut, sie wirkt verzettelt und unausgereift, lässt einen strukturierten Handlungsverlauf vermissen. Zumal so auch keinerlei Spannung aufkommen kann, wie man aus dem Klappentext vermuten könnte. Die Fähigkeit mancher ihrer Kollegen, ein Buch zum Pageturner zu machen, fehlt Justina Robson vollständig. Die handelnden Personen bleiben blass und austauschbar, doch das kann man verschmerzen – es geht Robson mehr um die Präsentation von Ideen an sich, ihre Personen sind dabei nur Beiwerk und Hilfswerkzeug dazu. Ihre interessanten und oft humorvollen Gedankengänge sind zweifellos erstklassig, als Schriftstellerin oder Erzählerin versagt sie jedoch kläglich.

Das Buch bietet ein geradezu stereotypisches Happyend – allerdings wurden so viele Fragen nicht beantwortet und so viele Möglichkeiten auch in dramaturgischer Hinsicht nicht ausgenutzt, dass man zwischen zwei Eindrücken schwankt: Man hätte dieses Buch entweder drastisch kürzen oder verlängern müssen. Mag man die sprachlichen Schwächen zum Teil der Übersetzung zuschreiben, die Konzeption des Romans selbst kann man nur Justina Robson anlasten. Schade; hätte sie sich nicht verzettelt und etwas mehr Esprit und schriftstellerisches Geschick bewiesen, hätte man daraus zwei bis drei gute Geschichten machen können. So bleibt es leider bei einem bemühten Sammelsurium von Ideen, die alle etwas Besseres verdient hätten als diese bestenfalls laue und zusammengestückelte Geschichte.

Homepage der Autorin:
http://www.justinarobson.com/

Baxter, Stephen – Sternenkinder (Kinder des Schicksals 2)

Stephen Baxter (* 1957) wird heute oft als der moderne Asimov oder Heinlein gefeiert, bekannt wurde er für seine ideenreichen Science-Fiction-Romane, in denen er mit seinem fundierten naturwissenschaftlichen Hintergrundwissen glänzen kann. Er studierte in Cambridge Mathematik, ist Doktor der Ingenieurswissenschaften und lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Baxter arbeitet seit 1995 hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und dem deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Er ist außerdem Vize-Präsident der |British Science Fiction Association| (BSFA).

„Sternenkinder“ (Exultant) ist der zweite Band der Serie „Kinder des Schicksals“, die mit dem Band [Der Orden 1040 begann. Spielte dieser Roman noch in Vergangenheit und Gegenwart, ein eigentümlicher Mix aus Science-Fiction und historischem Roman, springt Baxter mit „Sternenkinder“ um rund 25.000 Jahre in die Zukunft – und in das „Xeelee“-Universum, in denen seine ersten Romane spielten. Kamen Fans von Science-Fiction und Action im Vorgänger erst spät oder gar nicht auf ihre Kosten, ist „Sternenkinder“ eine reinrassige, allerdings tief schürfende Space-Opera und beginnt mit einer Raumschlacht – aber Baxter wäre nicht Baxter, wenn er sich darauf beschränken würde. Die Ursprünge der mysteriösen Xeelee und des Universums selbst nimmt er in „Sternenkinder“ unter die Lupe.

|Heldentum ist antidoktrinell|

Bereits 20.000 Jahre währt die dritte Expansion der Menschheit. Man hat nicht nur die Besatzung der Erde durch die außerirdischen Qax überstanden, sondern nach dem Sieg über die Rasse der „Silbergeister“ im Oriongürtel keinem wirklichen Gegner mehr gegenübergestanden und zahllose Alien-Zivilisationen assimiliert und ausgerottet.

Sogar die Xeelee, den seit mittlerweile mehr als dreitausend Jahren bekämpften Erbfeind der Menschheit, hat man durch schiere Masse in den galaktischen Kern zurückgedrängt.

Doch nun stockt die Expansion der Menschheit. Ein Zermürbungskrieg tobt im galaktischen Zentrum, bei dem die Xeelee technologische Vorteile besitzen – ihre Raumschiffe sind in jeder Beziehung irdischen überlegen. Das tödliche Patt, welches das Blatt aller Voraussicht nach langsam, aber sicher zugunsten der Xeelee wendet, besteht nun schon seit drei Jahrtausenden. Denn beide Seiten können auf das so genannte Überlicht-Vorherwissen zurückgreifen. Überlichtschnelle Raumschiffe sind zugleich quasi Zeitmaschinen. So können die Überlebenden einer fatalen Schlacht in der Zukunft eine Nachricht in die Vergangenheit senden – und die Schlacht wird nie oder unter anderen Voraussetzungen stattfinden.

In einer solchen Situation ist es die Pflicht eines Piloten, eine Nachrichtenbake in die Vergangenheit zu senden und kämpfend unterzugehen. Doch der Pilot Pirius, ein Kindersoldaten-Veteran, der immerhin schon sagenhafte fünf Einsätze überlebt hat, stellt sich dem Gefecht mit einem überlegenen Nachtjäger der Xeelee, pfeift auf die militärische Doktrin und lockt ihn in eine Falle. Nicht nur überleben er und seine Crew, er schafft es sogar, einen Nachtjäger der Xeelee zu kapern! Doch bei der Rückkehr zu seiner Basis, um von der verlorenen Schlacht zu berichten, macht man ihm und seinem jüngeren Ich den Prozess … denn offenkundig hat Pirius sowohl gegen Befehle als auch die Doktrin verstoßen. Beide werden bestraft. Der ältere Pirius Blau wird zu einem Strafbataillon der Bodentruppen nahe der Xeelee-Front versetzt, der jüngere Pirius Rot wird milder bestraft für eine Tat, die in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie von ihm begangen worden wäre.

Er wird seinem Verteidiger, Kommissar Nilis, zugeteilt. Dieser hat ihn sich zur besonderen Verwendung ausgeliehen: Die Taktiken, die Pirius im Kampf gegen den Nachtjäger angewandt hat, und der erbeutete Nachtjäger selbst stellen für Nilis den Schlüssel zum Sieg über die Xeelee dar. Für Pirius Rot ist dies ein ungeheuerlicher Schock, denn den Sieg sah er bisher nur als etwas an, das in weiter Zukunft kommenden Generationen vorbehalten ist. In der verknöcherten und erstarrten menschlichen Gesellschaft ist Nilis einer der wenigen Träumer und Freidenker, die sich gegen gegen uralte Doktrinen erfolgreich auflehnen und nach neuen Wegen suchen.

Er zwingt Pirius Rot, über sich selbst hinauszuwachsen, Führungsqualitäten zu entwickeln, die ihm sein gesamtes kurzes Kindersoldatenleben lang (der jüngere Pirius ist 17, der ältere auch nur 19 Jahre alt) eingebläute Konditionierung und Doktrin zu hinterfragen, kreativ zu denken. Pirius Rot ist auch einer der wenigen im galaktischen Kern aufgewachsenen Kindersoldaten, der die Erde und das Leben auf ihr mit eigenen Augen sehen wird. Doch alleine damit ist es nicht getan: Von niederster bis höchster Ebene steht ihnen eine Jahrtausende lang gewachsene Stagnation in Politik, Militär, Forschung, Bürokratie und auf allen anderen nur denkbaren Gebieten im Weg.

|Ein kurzes Leben brennt hell|

Man würde dem Buch Unrecht tun, wenn man es auf die Probleme der menschlichen Gesellschaft und den Krieg reduzierte. Stephen Baxter hat zahllose Ideen und Konzepte in diesen Roman gepackt, so dass Abwechslung garantiert ist.

Zu Beginn wird oft zwischen Pirius Rot und Pirius Blau hin und her geblendet. Während Pirius Rot erkennt, wie luxuriös die Menschen auf der Erde verglichen mit den in Tanks gezüchteten Kindersoldaten im galaktischen Zentrum leben, die nur den Krieg gegen die Xeelee kennen, erfährt Pirius Blau, dass es noch eine Existenzstufe unter seiner gibt: Auf dem Planetoiden des Infanterie-Strafbataillons sieht er, wie viel weniger die zum „Graben und Sterben“ ausgebildeten Infanteristen vom Leben haben.

Nebenher wird die Entstehung des Quasi-Stillstands menschlicher Entwicklung und der Druz-Doktrin erklärt: Die Qax haben nach einem Aufstand von „Wigners Freunden“, einer Sekte, deren Glaube auf Erkenntnisse des Physikers Eugene Paul Wigner zurückgeht, bewusst alle historischen Bauten der Menschheit, inklusive der Städte und weiter Teile der Natur, vernichtet. Sogar die Nahrungsmittelherstellung wurde auf Nanobot-Technologien der Qax umgestellt. Die Vergangenheit der Menschheit scheint somit weitgehend ausgelöscht.

In dieser Zeit gelang es Hama Druz, seine legendären Doktrinen zu formulieren, die der Menschheit den Sieg und eine beispielose Expansion über die ganze Galaxis ermöglichten. In ihnen zählen das |Jetzt| und das Allgemeinwohl, nicht was war oder sein wird, Opferbereitschaft und strikte Befolgung von Befehlen. Die ganze Menschheit wurde auf Krieg und Überlebenskampf ausgerichtet.

Nach dem verlustreichen Sieg über die Qax und als letzter großer Hürde über die „Silbergeister“ im Oriongürtel konnte nichts den Aufstieg der Menschheit stoppen, man rottete gnadenlos alle Alien-Zivilisationen aus oder assimilierte sie mitsamt ihrer Technologien. Hier stellt Baxter einen Bezug zu seinem Roman „Der Orden“ her. Denn die radikalen Methoden der Assimilation und Auslöschung ähneln stark dem Verhalten sich bekämpfender Schwarmgesellschaften. Im gleichen Maß gingen der Menschheit aber Individualität und Kreativität verloren: Man verliert in Jahrhunderten mehr Menschen als jemals auf der Erde insgesamt gelebt haben, aber der Fortschritt, den man früher in Jahrzehnten erzielte, ist mittlerweile in ähnlichem Maß verlangsamt. Auch gibt es eklatante Technologieunterschiede zwischen den menschlichen Siedlungsgebieten, auf der Erde und im Zentrum herrscht Hochtechnologie, auf entlegenen, technologisch rückständigen Schlachtfeldern früherer Zeiten bilden sich immer öfter Koaleszenzen, Schwarmgesellschaften, heraus, die der Druz-Doktrin einer reinen, geeinten Menschheit widersprechen und erbarmungslos bekämpft werden.

Interessant sind die geduldeten Ausnahmen, die es laut Doktrin nicht geben dürfte: Das hochspezialisierte Archiv der Menschheit im Olympus Mons auf dem Mars wird von einer menschlichen Koaleszenz bevölkert – für solche Zwecke eignen sie sich einfach hervorragend, wie man dem entsetzten Pirius versichert. Dass man für die Entwicklung der Waffe gegen die Xeelee allerdings auch auf die hyperphysikalischen Fähigkeiten nachgezüchteter Silbergeister setzt, die in einer Kolonie auf dem Pluto leben, setzt dem Ganzen die Krone auf. Im weiteren Projektverlauf wird man zur Bedienung derselben gar einen Silbergeist-Ingenieur benötigen, die nach eigenen Angaben nur Kopien der ausgerotteten Geister sind, von Menschen geschaffen … Pirius bleibt dennoch misstrauisch.

Religion ist auch ein Aspekt der menschlichen Gesellschaft, den es laut der Druz-Doktrin nicht geben sollte. Doch die Kindersoldaten finden Trost in einer, wie man im Verlaufe des Buchs herausfinden wird, an quantenphysikalische Beobachtungen („Jeder bestimmte Zustand wird durch einen Beobachter bestimmt“) angelehnten Philosophie, die sich gerade in einer Gesellschaft, in der ständig Besucher und Nachrichten aus der Zukunft zurückkehren und Zeitlinien sich laufend verändern, blühen kann: „Wigners Freunde“ glauben an „die letzte Beobachterin“, die am Ende aller Zeiten steht und die Macht besitzt, sämtliche Ereignisse negativer Natur auszumerzen. Durch gute Taten hoffen die Wignerianer, der Menschheit die Gunst der letzten Beobachterin zu verschaffen, die sie dann von allem Leid erlösen wird. Der äußerst antidoktrinell und inoffiziell angenommene Name ihres ebenfalls wie Pirius Blau strafversetzten Anführers „Diese Bürde Wird Vergehen“ ist insofern Programm.

Gegen Ende des Buches geht Baxter auf die Entstehungsgeschichte der Xeelee ein. Hier liefert er auch Erklärungen, warum es – nach menschlichem Empfinden – über Jahrtausende keinerlei Kommunikation außer Waffengewalt gab, und warum man in diesen Jahrtausenden keinen einzigen Xeelee gefangen nehmen konnte. Er eröffnet zudem eine weitere Dimension des Konflikts, denn während die Menschheit die ganze Galaxis überrannte, standen auch die Xeelee in einem erfolgreichen Krieg – der von dem Spinner Peter in „Der Orden“ angesprochene Konflikt zwischer „normaler“ und dunkler Materie wird hier wieder aufgegriffen als Konflikt zwischen absolut fremdartigem baryonischem und supersymmetrischem Leben. Witzig hierbei für Leser des ersten Bandes: Der Verschwörungstheoretiker Peter hatte teilweise vollkommen Recht! Eine Kommunikation zwischen solch exotischen Lebensformen ist naturgemäß mehr als schwierig. Man bedenke, wie der Kontakt zu den in dieser Hinsicht wesentlich menschenähnlicheren Silbergeistern verlief …

_Fazit_

Selten habe ich einen Autoren mit so vielen Ideen gleichzeitig jonglieren sehen wie Baxter in diesem Buch. Dabei vergisst er aber nicht die Unterhaltung; der eigentlichen Haupthandlung zu folgen, ist sehr einfach: Nach und nach wird ein aus drei Teilen bestehendes Waffensystem entwickelt und trotz aller Hürden zum Einsatz gegen den xeeleeschen Hauptradianten Chandra, das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis, gebracht. Für Baxter geradezu untypisch viel Action, die er vorzüglich mit dem Rest des Romans verbunden und inszeniert hat.

Baxters Theorien haben jedoch einige Haken: So wirft die Kommission für ökonomische Kriegsführung Nilis und Pirius vor, wie sie sich anmaßen könnten, ihre Idee für einzigartig und erfolgversprechend zu halten. Schließlich befasst man sich seit Jahrtausenden mit aberwitzigen Ideen von Spinnern, die letzten Endes die Menschheit wertvolle Ressourcen kosten könnten. Warum sollten also gerade sie gefunden haben, was bisher in Jahrtausenden nicht gelang?

Eine haarsträubende Argumentation, aber mit einem Funken Wahrheit: In einer unheimlich kurzen Zeitspanne erreichen Nilis, Pirius und Co. mehr als die gesamte Menschheit in Jahrtausenden. Ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass sich in einer riesigen Galaxis nicht irgendwann und irgendwo eine bahnbrechende Idee durchsetzt. Gerade weil die Menschheit zwar geeint im Krieg gegen die Xeelee ist unter der das Allgemeinwohl über das des Einzelnen stellenden Druz-Doktrin, aber überall sich hinterwäldlerische Koaleszenzen und andere menschliche Subspezies ausbreiten, kann ich mir eine solche Innovationsarmut nicht vorstellen. Zumal der Schwarm – im Großen wie im Kleinen – von Baxter als einzige gesellschaftliche Form menschlicher Evolution propagiert wird, sieht man vielleicht von „Wigners Freunden“ und der alles beherrschenden Druz-Doktrin ab.

Kurz kommt leider auch der Konflikt zwischen Pirius Rot und Pirius Blau. Rot hat seine Freundin Torec noch, während Torec Blau in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie den Tod im Kampf fand. Da Rot und Blau den Großteil des Romans an zwei verschiedenen Orten tätig sind und eher die Unterschiede zwischen dem Leben auf der Erde und dem Zentrum der Galaxis dokumentieren, bleibt wenig Raum für die Problematiken einer an und für sich spannende Begegnung mit einem älteren Zeitzwilling. Recht platt und enttäuschend ist auch die Rolle von Luru Parz, deren mysteriöse und vorerst unbekannte Herkunft, ihre ebenso unbekannten Motive und ihre Bedeutung für den Roman letzlich demystifiziert werden, was sie auf eine Rolle als stets stechenden Joker für Nilis reduziert, wenn alle anderen Überzeugungsmittel versagt haben.

Ohne Baxters fabelhafte Fähigkeit, schwierige Konzepte der Quantenphysik, Thermodynamik sowie die bei Überlichtflügen auftretenden zeitlichen Phänomene verdaulich und nachvollziehbar zu erklären, würde dieses Buch nicht funktionieren. Dennoch ist es keine leichte Lektüre; entgegen der oft aufgestellten Behauptung, man könne es auch ohne seinen Vorgänger „Der Orden“ lesen, rate ich davon ab. Denn gerade die Gedanken zur Druz-Doktrin und der evolutionären Entwicklung der Menschheit setzen auf der Einführung in diese Thematik im ersten Band der Serie auf. Zumal die zusammenhanglos erscheinenden Verschwörungstheorien Peters in „Der Orden“ hinsichtlich der dunklen Materie und eines Krieges im galaktischen Zentrum sich in „Sternenkinder“ ironischerweise als Volltreffer entpuppen.

Übersetzer Peter Robert hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Besonders gut gefielen mir seine für unbedarfte Teutonen direkt in den Romantext geschriebenen Ergänzungen, wie man Baxters englische Rassebezeichnungen wie Qax („Khäcks“) oder Xeelee („Sili“) auszusprechen hat. Das würde ich mir auch von anderen SciFi-Übersetzern wünschen.

Herausragend an diesem Buch sind Baxters gewaltige Vorstellungskraft und seine Fähigkeit, komplexe Konzepte und Ideen verständlich an den Leser zu vermitteln. Daher sehe ich gerne über einige Ungereimtheiten wie die nicht wirklich überzeugende absolute Stagnation und die kontrastierend extrem rasant erfolgende Entwicklung und Integration dreier vollständig neuer Technologien hinweg.

The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html

Baxter, Stephen – Orden, Der (Kinder des Schicksals 1)

Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Er studierte in Cambridge Mathematik und ist Doktor der Ingenieurswissenschaften. Er lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch den deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.

Was Baxter von vielen anderen Autoren „harter“ Science-Fiction unterscheidet, ist seine Fähigkeit, schwierige Fragen, Sachverhalte sowie physikalische Gegebenheiten und Theorien unterhaltsam und für Laien nachvollziehbar zu verpacken.

Dabei ist Baxter kein Technomane, der sich auf die rein technologische Weiterentwicklung der Menschheit versteift. [Evolution 282 ist – wie in seinem gleichnamigen Roman – bei ihm ebenfalls ein Thema, und dabei hört er keinesfalls bei der menschlichen Evolution auf.

|Schwestern sind wichtiger als Töchter|

Der Roman „Der Orden“ (Original: „Coalescent“) stellt den Auftakt der Serie „Kinder des Schicksals“ dar, die in dem älteren „Xeelee“-Universum Baxters angesiedelt ist. Er bereitet den Boden für das Verständnis der Folgebände wie „Sternenkinder“, die in einer weit entfernten Zukunft angesiedelt sind und vom jahrtausendelangen Zermürbungskrieg der Menscheit mit den Xeelee handeln. Ganz im Gegensatz dazu spielt dieser Roman in unserer Gegenwart – und in der römischen Vergangenheit Britanniens!

Der Computerexperte George Poole kehrt nach dem Tod seines Vaters zur Haushaltsauflösung in sein Geburtshaus nach Manchester zurück. Dabei entdeckt er ein merkwürdiges Foto, das ihn im Alter von ungefähr drei Jahren zeigt – und ein unbekanntes Mädchen, das zur Familie zu gehören scheint. Seine ältere Schwester Gina kann es nicht sein. Wer ist die Unbekannte?

George stellt Nachforschungen an, unterstützt von seinem Jugendfreund Peter, einem ehemaligen Polizisten, der seine Vorliebe für Technik und alte Science-Fiction-Romane der 60er Jahre teilt, seinen abstrusen Theorien über außerirdische Intelligenzen, die er mit gleichgesinnten „Slantern“ im Internet entwickelt hat, allerdings skeptisch gegenübersteht.

Schließlich findet George die Spur seiner Schwester Rosa, die als Kind aufgrund sozialer Nöte der Familie von einem römischen Marienorden adoptiert wurde. Was George noch nicht weiß: Er steht genauso wie seine Schwester Rosa in einer Verwandschaftsbeziehung zu diesem Orden, der auf seine Urahnin Regina zurückgeht, die im dunklen Zeitalter des Niedergangs römischer Kultur in Britannien lebte und den Orden entscheidend prägte. Einen Orden, der sich abgeschottet in den römischen Katakomben jahrhundertelang entwickelte, zu etwas, das sowohl George als auch insbesondere Peter mit Entsetzen und Unverständnis erfüllt: einer Art menschlichen Schwarms.

|Unwissenheit ist Stärke|

Wer bei Science-Fiction den Blick Richtung Himmel und Zukunft wendet, wird bei diesem Roman eine herbe Bruchlandung erleiden, denn seine Erwartungshaltung wird gewiss nicht erfüllt werden.

„Der Orden“ handelt in der Gegenwart, in der George den Geheimnissen einer düsteren Vergangenheit auf die Spur kommt. Weite Teile der Geschichte spielen im historischen Britannien der Römerzeit und stellen einen lupenrein recherchierten historischen Roman dar, in dem Georges Vorfahrin Regina eine tragende Rolle spielt. Immer wieder wechselt Baxter zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dabei dürften sich viele Leser fragen: Warum? Auf was will er hinaus?

Leider ist dieser tote Punkt in der Mitte des Buches ein echter Stolperstein, der auch nicht dadurch kompensiert werden kann, dass der historische Teil des Romans sehr gut und unterhaltsam geschrieben ist – Zusammenhang und Spannungsbogen fehlen hier, erst am Ende des Romans löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Regina, auf die der ominöse Orden zurückgeht, ist die Tochter eines römischen Gutsherren in Britannien. Aber leider wird sie in schlechten Zeiten geboren: Der Vater der Familie stirbt, ihre Mutter lässt sie im Stich. Mit ihrem Onkel Aetius, einem alten Soldaten, erlebt sie den Niedergang römischer Zivilisation in Britannien. Nach dessen Tod lebt sie unter Barbaren, auch ihre Tochter Brica wächst in primitiven Verhältnissen auf.

Regina wird gar zur Geliebten von König Artorius, der mitsamt seinen Zauberer Myrddin (hier: ein Experte für die Herstellung von Eisen und Eisenwaffen) eher als historische Person denn mythische Figur dargestellt wird. Beide haben einen Traum: eine andauernde Zivilisation zu schaffen. Doch, ganz im Sinne römischer und italienischer Tradition, steht bei Regina die Familie im Mittelpunkt ihres Handelns.

Während der erfolgreiche Kriegsherr Artorius schließlich doch scheitert bei seinen Feldzügen und seine Ordnung und Zivilisation dem Niedergang anheim fällt, schafft die mittlerweile nach Rom zurückgekehrte Regina, ohne es selbst ganz zu verstehen, ein hierarchieloses, ewiges, sich selbsterhaltendes Gebilde: einen menschlichen Schwarm.

|Hör auf deine Schwestern|

Die durch Leid und Niedergang der von ihr geliebten Kultur und Zivilisation tief getroffene Regina hat instinktiv begriffen, wie sie die ihr heilige Familie bewahren kann. Auch wenn ihre Angehörigen in der Krypta inmitten der Katakomben Roms sie nicht verstehen – sie hört noch auf dem Sterbebett den Satz „Ich verstehe dich nicht, meine Liebe“ – wird ihre Gesellschaft ohne Regeln und ohne einen „ehrgeizigen Idioten“, eine Autorität wie Artorius, funktionieren.

Die Grundlagen der Schwarmgesellschaft, die sich entwickeln wird, sind einfach: Schwestern sind wichtiger als Töchter. Unwissenheit ist Stärke. Hör auf deine Schwestern.

Die einzige Regel, die Regina ihren Angehörigen auferlegt hat, und die prinzipiell überflüssig ist, ist ihr Heiligtum: Ihre drei römischen Hausgötter oder Laren, die verehrten |matres|. Analog zu den drei Holzfiguren soll es reale Mütter geben. Diese Mütter sollen immer drei oder das mehrfache von drei zählen, und nur sie dürfen Töchter gebären – alle anderen sind Schwestern, eine große Familie. Eine Familie, die so genetisch enger verwandt ist, als es sonst üblich oder möglich wäre, würden sie alle Kinder zeugen mit fremden Vätern. Sie geben ihre Gene weiter, indem sie ihrer Mutter helfen, ihre Schwestern auszutragen.

Die Stärke aus der Unwissenheit ist die Bedingung, dass der Orden nicht von einzelnen Personen abhängt, sondern sich selbst erhält. Jedes Glied dieses Schwarms hat eine spezialisierte Aufgabe, kann aber jederzeit durch ein anderes ersetzt werden. Man muss nicht wissen, warum man etwas tut; etwas, das Lucia erfahren wird.

Lucia stellt ein Mädchen dar, das zur Brüterin des Ordens werden soll, zu einer Mutter. Sie will aber gar nicht, ihr ist die Konformität zuwider, sie will etwas ganz Anderes. Auch für George und Peter ist das spezialisierte Leben als Gebärmaschine des Ordens sowie der zahllosen Mädchen des Ordens, die quasi zu geschlechtslosen Neutren mutieren, eine Horrorvision.

Der letzte Leitsatz ist, man soll auf seine Schwestern hören. Keine hat dabei eine Vormachtstellung, sondern eine Aufgabe im Schwarm, ist ersetzbar. Auch wenn sie nicht mehr wissen sollten warum, arbeitet die Familie des Ordens oder Schwarms zusammen.

Sie knüpfen engere Bande als bei Menschen üblich. Der durch die Enge in der Krypta entstandene Geruch wird wichtig, wie bei Ameisen – Pheromone übertragen Eindrücke zu den anderen Mitbewohnern, fremde Personen wie George werden beim Betreten der Krypta vom Gestank überwältigt und bemerken verstört, wie alle sie ohne ein Wort als Fremdkörper betrachten und anstarren. Neben der intensiven Wahrnehmungen von emotionalen Befindlichkeiten, verändern sich die Bewohner von Reginas Orden auch körperlich: Schon alleine die Dauer einer Schwangerschaft ist bei den Müttern wesentlich kürzer als bei normalen Menschen.

|Koaleszenz, Emergenz und Eusozialität|

Der ganze historische Teil des Romans dient somit der sanften Einführung in fremdartige Konzepte und erklärt, wie sie möglicherweise entstehen könnten. Die Prinzipien der Eusozialität und Emergenz, auf denen eine Koaleszenz, also ein menschlicher Schwarm, beruht, werden so beispielhaft und nachvollziehbar anhand von Reginas Leben unterhaltsam nahe gebracht.

Leider wird dies dem Leser erst gegen Ende des Romans klar, bis dahin mag der geneigte SciFi-Leser sich fragen, warum ein historischer Roman, wenngleich ein gut recherchierter und geschriebener, unter der Bezeichnung Science-Fiction vermarktet wird.

Die Gegenwartsebene schildert die Reaktion von George und Peter auf diesen menschlichen Schwarm. Am Beispiel Lucias, die zu einem Leben als „Brüterin“ verdammt wird, wird uns die Unmenschlichkeit dieses Konstrukts bewusst. Aber Baxter ist hier nicht einseitig moralisierend, er zählt auch Vorzüge auf, von Nähe und Geborgenheit, intensiver Zugehörigkeit und selbstloser Aufopferung, die eine menschliche Familie gewöhnlicher Prägung niemals erreichen könnte.

_Fazit_

Man kann geteilter Meinung sein, ob es klug war von Baxter, den Leser so lange im Dunkeln tappen zu lassen, besonders pure SciFi-Fans könnten von dem historischen Teil des Romans sehr gelangweilt sein. Wer hingegen historischen Romanen etwas abgewinnen kann, wird besser unterhalten. Letzten Endes ist auch die dem Roman zugrunde liegende Idee recht dünn und zudem nicht neu: Menschliche Ameisenhaufen sind in der Science-Fiction-Literatur mindestens so zahlreich wie die zahllosen menschlichen Schwarmgesellschaften der Zukunft, die Baxter uns in einem kurzen Ausblick gegen Ende des Romans in die Zukunft seines Universums schildert.

Er legt hier die Grundlage für den Folgeband „Sternenkinder“, in dem die hier beschriebenen Problematiken und Gesellschaftsformen in der Zukunft für handfeste Probleme sorgen werden.

Seit nahezu dreitausend Jahren liegt die Menschheit im Krieg mit den Xeelee, die sowohl technologisch als auch physiologisch und strategisch im Vorteil sind. Dieser Zermürbungskrieg muss zwangsweise verloren gehen, uralte Doktrinen hemmen Individualität und Kreativität, überall bilden sich Menschenschwärme in abgelegenen und vergessenen, auf sich allein gestellten Ecken der Galaxis, die von Presskommandos ausgelöscht und die Überlebenden als Kämpfer im Krieg gegen die Xeelee verheizt werden, in einer Art Mottentaktik: Die Menschen-Motten stürzen in Massen auf die Kerze, in der Hoffnung, das Licht zu ersticken …

Womit die martialische Doktrin des legendären Hama Druz „Ein junges Licht brennt hell“, einen makabaren Beigeschmack erhält.

Wenn man den „Orden“ gelesen hat, werden Zusammenhänge und Problematiken in „Sternenkinder“ begreiflicher. So kann man sich fragen, ob die Menschheit in ihrer Gesamtheit nicht als Schwarm handelt und außerirdische Rassen wie andere Schwärme bekämpft, so wie man es mit Sub-Schwärmen innerhalb der eigenen, durch Doktrinen eingeengten Gesellschaft seit Jahrtausenden tut. Denn an Individualität und Eigeninitiative fehlt es den unzähligen Menschen in ihrem riesigen, galaxienüberspannenden Menschheitsschwarm, der zwar keine extreme Form darstellt, aber durch Doktrinen in ähnliche Bahnen gedrängt wird wie der kleine Ur-Schwarm des Marienordens in „Der Orden“.

Der „Kinder des Schicksals“ genannte Zyklus zeigt auf unterhaltsame Weise Möglichkeiten der menschlichen Evolution auf. Auch wenn der „Orden“ auf einer recht simplen Idee fußt und weitgehend ein historischer Roman mit anfangs scheinbarer Zusammenhanglosigkeit zur Gegenwart und zur Science-Fiction im Allgemeinen ist, kann er, wenn man eine gewisse Durststrecke überwunden hat, faszinieren. Vor allem ermöglicht die Lektüre den vollen Genuss des Folgebands „Sternenkinder“, der sowohl klassisch-konventionelle Wünsche von Science-Fiction-Lesern befriedigt als auch eine ganze Ecke fantastischer und spannender ist.

The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html

Stöcklein, Verena / Plischke, Thomas – Terra Nova: Der Schwur des Sommerkönigs 1

Im Jahr 2656 hat sich das Antlitz der Erde grundlegend verändert. Nach der zweiten Sinflut ist der Meeresspiegel drastisch gestiegen, weite Teile Europas stehen unter Wasser und der Begriff „Britannische Inseln“ hat eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Ganz Britannien ist in viele kleine Inseln zerfallen, London selbst ist eine einzige große Inselfestung geworden.

Auf dem Armut leidenden Kontinent kämpft die angelitische Kirche mit ihren Engeln und unzähligen Gläubigen gegen die |Traumsaat| genannten Dämonen der Hölle. Der Technologie der Britonen steht man ablehnend und feindselig gegenüber, ihrem Glauben an heidnische Götter und Götzen der keltischen Sagenwelt ebenso.

Darum hat man eine gewaltige, schwimmende Festung gebaut. Die |Terra Nova| soll unzählige Gläubige, Templer und Engel nach Britannien übersetzen, um das Gelingen der Invasion der Inseln sicherzustellen. Die Engelsschar des Michaeliten Lumael, dessen Gruppe der Leser begleiten wird, ist nur eine der vielen Engelsscharen, die sich an diesem Feldzug beteiligen. Tief im Feindesland dagegen spioniert der Sarielit Joel, eine Mission, die ihn in höchste Gefahr bringt: Er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs, eines der höchsten Götzen der Britonen, auserwählt …

„Terra Nova“ erzählt zusammen mit dem noch nicht erschienenen „Terra Incognita“ die Geschichte dieser Invasion. Die Duologie spielt im |Engel|-Rollenspieluniversum von |Feder & Schwert|, ein auf Phantastik und Rollenspiel spezialisierter Verlag, der von |Wizards of the Coast| die D&D-Lizenz für Deutschland erhalten hat und bereits zuvor für die Übersetzung von |Dungeons & Dragons|-Romanen wie der Reihe [Der Krieg der Spinnenkönigin 183 verantwortlich zeichnete.

Nicht-Rollenspieler können jedoch aufatmen, es sind keine der zahlreichen Bücher über die verschiedenen Engelsorden dieser Welt oder andere Sourcebooks, wie bei rollenspielbasierten Serien oft üblich, erforderlich, um „Terra Nova“ verstehen und genießen zu können. Die Autoren Verena Stöcklein und Thomas Plischke lassen die notwendigen Informationen elegant in die Handlung einfließen, die so mit einigen Aha-Effekten aufwarten kann und Interesse weckt.

Alleine die Idee des Engel-Universums hat ein hohes Unterhaltungspotenzial: Ein mittelalterliches Europa, in dem die Kirche noch stark ist, der Aberglaube weit verbreitet und der Teufel mit seinen Dämonen auf Erden wandelt. Die andersgläubigen Britonen setzen auf Technologie und heidnische Magie, Toleranz ist auf beiden Seiten nicht vorhanden, dafür sorgen die Priester beider Seiten mit markigen Predigten. Die von einer zweiten Sinflut heimgesuchte und durch sie veränderte Welt ist auf interessante Weise an unsere Geschichten und Sagen angelehnt, die in ihr verfremdet belebt und neu kombiniert werden. So wurden die Gralsburg oder der Gralsberg |Munsalvaesche| beziehungsweise |Montsalvasch| zum |Mount Salvage| umbenannt, während in |Roma Aeterna| der Chor der Sarieliten seine Ausbildung erfährt, neben den Gabrieliten, die mit Feuer und Schwert die Todesengel und somit die Kämpfer unter den Engeln stellen. Hier fließt das Rollenspielelement am stärksten ein, besteht doch die uns durch das Buch begleitende Engelsgruppe aus dem altbekannten Muster Kämpfer, Heiler, Magier.

Die Engel werden sehr menschlich dargestellt; so hat der Michaelit und Anführer der Schar, Lumael, panische Angst vor dem Wasser. Wie der Rest seines Engelsordens kann er jedoch für kurze Zeit jegliche Furcht unterdrücken, während die Gabrieliten mit Feuerschwert und feuerfester Rüstung ins Gefecht ziehen – auch hier sieht man das Regelwerk eines Rollenspiels hindurchscheinen, die zweigleisig erzählte Handlung schreitet jedoch flott voran und ist sehr abwechslungsreich, so dass dies nicht allzu störend wirkt.

In Britannien wird die Geschichte aus der Sichtweise von George, einem zuckerkranken Goldschmied, erzählt. Er kann nur durch das industriell hergestellte Insulin überleben, etwas, das es im angelitischen Europa nicht gibt, das alle Maschinen ablehnt. Als Angelit lebt er versteckt unter den heidnischen Britonen, die von keltisch angehauchten Druiden und Priesterinnen beherrscht werden. Weltlich werden sie von an altenglische Verhältnisse angelehnten „Thanes“ regiert, zwischen beiden Parteien kommt es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Er soll dem Engel Joel als Partner zur Seite stehen, der ihn bitter nötig hat. Trotz aller Ausbildung und göttlichen Gaben mangelt es dem Engel an Kenntnis von Land und Leuten, sein überirdisch gutes Aussehen lässt sich zudem nicht verbergen und er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs bestimmt, einem mächtigen Götzen der Britonen, was George an den Rand des Wahnsinns treibt. Konfliktpotenzial ist mehr als gegeben!

Interessant ist, dass die Engel sowie George durchaus kritisch reflektieren können, für was und gegen wen sie streiten. So sind nicht alle Engel aus Lumaels Schar angetan vom fanatischen Eifer der Templer und dem bevorstehenden Gemetzel, während Joel durch die Begegnung mit dem Sommerkönig in den Grundfesten seines Glaubens erschüttert wird. Wenig wird in diesem Band auf die Traumsaat-Dämonen eingegangen, er fokussiert das Geschehen stark auf die britannischen Inseln, auch treten interessanterweise weder Gott noch Teufel in Aktion und halten sich trotz aller übernatürlicher Präsenz im Hintergrund.

_Fazit:_

Auch wenn sich das Buch gezielt an Rollenspieler wendet und für das Engel-Rollenspiel wirbt, kann die fantasievolle Welt auch für gewöhnliche Fantasyleser einen Charme entfalten, dem man sich nicht entziehen kann. Wer D&D-Rollenspiele satt hat, bekommt hier eine frische und unverbrauchte Welt geboten, die sehr vielversprechende Ansätze bietet. Der Roman weist nur 259 Seiten auf, diese sind recht klein gedruckt, allerdings hervorragend gesetzt und so sehr gut lesbar – man könnte bei normaler Druckgröße von knapp 400 Seiten Umfang ausgehen, was die Qualität der Geschichte unterstreicht; ich hätte gerne noch weiter gelesen. Diese relative Kürze, verbunden mit den offenen Ende, stellt auch meinen Hauptkritikpunkt dar; man muss zwangsweise auch den zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht erschienenen zweiten Band, „Terra Incognita“, lesen.

Hervorheben möchte ich auch das hochwertige Erscheinungsbild des Romans: Alleine die ausgefallene schwarz-weiß-goldene Gestaltung des Covers im Stil des Engel-Universums macht einen außergewöhnlich guten Eindruck, der sich im sorgfältigen Lektorat und der liebevollen Gestaltung der Kapitelüberschriften bis hin zu den Seitennummern fortsetzt. Hier steht das Engel-Universum ganz in der Tradition von |Feder & Schwert|; die Zeiten schlecht übersetzter amerikanischer Rollenspielfantasy sind endgültig vorbei. Misslungen ist hingegen der viel zu verspielte Titelschriftzug des Romans: Weder „Terra Nova“ noch „Der Schwur des Sommerkönigs 1“ kann man auf Anhieb lesbar erkennen, hier sollte man in Zukunft nachbessern.

Die hochinteressante postapokalyptische Welt spielt gekonnt mit Mythen, Geschichte und Legenden und schafft so eine tolle Atmosphäre; die Liebe zum Detail zeigt sich nicht nur im Roman, sondern setzt sich auch in der wunderschönen optischen Gestaltung fort. Ich kann sie jedem Rollenspieler nur empfehlen, der einmal ausgetrampelte D&D-Pfade verlassen und etwas Neues ausprobieren möchte. Dieser gelungene Roman erweckt Interesse und macht Appetit auf mehr.

Homepage des Engel-Rollenspiels:
http://www.engel-net.com/

Homepage von Feder & Schwert:
http://www.feder-und-schwert.com/

Richard Morgan – Gefallene Engel

„Gefallene Engel“ ist der direkte Nachfolger von Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblichkeitsprogramm“ , der unter anderem mit dem |Philip K. Dick Award| ausgezeichnet wurde. Wieder berichtet er aus der Perspektive des „Envoys“ Takeshi Kovacs aus einer düsteren Zukunft, in der körperlicher Tod kein Problem mehr darstellt: Denn das in einem kleinen, schwarzen Kästchen (der sogenannte kortikale „Stack“) im Nacken oder extern gespeicherte Bewusstsein eines Menschen ist potenziell unsterblich. Der Körper hingegen kann geklont werden, man wechselt seinen „Sleeve“, sobald er zerstört wird, und erhält einen Körper von der Stange oder mit besonderen Eigenschaften für Spezialaufgaben – oder eben auch nicht, alles eine Frage des Geldes und ob man gebraucht wird …

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Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Gefährliche Missionen (alternativ: Cetaganda)

Mit dem |Barrayar|-Zyklus schreibt sich Lois McMaster Bujold seit 1986 in die Herzen nicht nur amerikanischer SF-Fans. Die vielfach ausgezeichnete Autorin verdankt der Space Opera um den körperlich missgebildeten Miles Vorkosigan vier ihrer fünf |Hugo| sowie zwei |Nebula Awards|. Auch im Fantasy-Bereich hat Bujold mit „Chalions Fluch“ sowie dem mit |Hugo| und |Nebula Award| ausgezeichneten [„Paladin der Seelen“ 973 Erfolge aufzuweisen.

Der ungewöhnliche Held Miles besticht in seinen Romanen mit Humor und Verstand, in der traditionellen und rückständigen Kriegergesellschaft der Barrayaner ist sein scharfer Verstand für den kaiserlichen Geheimdienst unentbehrlich, doch offiziell wird er als Diplomat und Günstling des Kaisers geführt, der nur aufgrund seines berühmten Vaters trotz Glasknochen und verkrüppeltem Wuchs in der körperbetonten Gesellschaft der Barrayaner einen Platz gefunden hat.

Der kluge Miles erhält so einen tragisch-komischen Touch, der ihn sehr sympathisch macht, man leidet mit ihm, wenn seine spröden Knochen im ungünstigsten Moment brechen, oder er in der Liebe wegen seines Mangels an Attraktivität frustriert ist. Seine Karriere im Geheimdienst beginnt, nachdem er an der körperlich zu schweren Aufnahmeprüfung der Flotte scheitert – um sich kurze Zeit später unter dem Pseudonym Admiral Naismith eine eigene Söldnertruppe aufzubauen, die Dendarii-Söldner, die unwissend somit im Dienst des Kaiserreichs Barrayar steht.

Auch in diesem Sammelband, der die vielfach prämierten Romane „Cetaganda“, „Ethan von Athos“ sowie die Novelle „Labyrinth“ enthält, wird die Söldnertruppe von Bedeutung sein. Dieses Mal werden jedoch die Genetik und ihre Folgen und Auswirkungen für einzelne Personen sowie die gesamte cetagandische Gesellschaft im Mittelpunkt stehen.

Die Neuauflage des |Barrayar|-Zyklus in Sammelbänden durch |Heyne| ermöglicht es SF-Fans, eine chronologisch geordnete Gesamtausgabe des Barrayar-Zyklus zu erwerben. Diese sind in sich abgeschlossen, man muss also nicht gezwungenermaßen bei Band 1 beginnen, zumal jeder einzelne Sammelband einen anderen Schwerpunkt setzt, wie in diesem Fall auf Genetik. Wer es sich nicht nehmen lassen will, den Zyklus in chronologischer Reihenfolge zu lesen, sollte mit den ebenfalls ausgezeichneten Sammelbänden „Cordelias Ehre“ und [Der junge Miles 953 beginnen.

|Cetaganda|

Miles Vorkosigan stellt zusammen mit seinem Cousin Ivan Vorpatril die Trauerdelegation des barrayanischen Kaiserreichs anlässlich des Staatsbegräbnisses der Kaiserin Cetagandas, dem Erzfeind Barrayars.

Bereits bei der Ankunft wird ihre Fähre in ein abgelegenes Terminal umgeleitet und Miles von einem offensichtlich sehr nervösen und ungeschickten Attentäter attackiert, der auf der Flucht zudem noch einen aufwändig kodierten Datenspeicher verliert. Miles bittet Ivan, den Vorfall vorerst für sich zu behalten – denn offenkundig ging dieser Anschlag nicht vom cetagandischen Sicherheitsdienst aus, der selbst nichts davon zu wissen scheint …

In der Folge lernt Miles die komplizierte cetagandische Gesellschaft besser kennen, während Ivan sich am liebsten Vorreedi, dem barrayanischen Sicherheitschef auf Cetaganda, anvertrauen würde, denn auf Miles und ihn werden immer weitere Mordanschläge verübt. Schlimmer noch: Man findet die Leiche des Terminal-Attentäters mit aufgeschlitzer Kehle am öffentlich ausgestellten Sarg der Kaiserin!

Erst die Haud Rian, Hüterin der Sternenkrippe, offenbart Miles die Tragweite der Ereignisse: Eine Verschwörung gegen das cetagandische Kaiserreich, die auch Barrayar mit ins Verderben reißen könnte, ist im Gange! Deshalb fordert sie energisch von Miles den „Schlüssel“, den sie in seinem Besitz weiß. Miles ist zugleich ihre letzte Hoffnung, denn der berüchtigte Sicherheitsdienst kann ihr nicht helfen, auch er ist in den Wirrwarr aus Verrat und Intrige verwickelt … Es geht um nichts Geringeres als die Kontrolle über das Haud-Genom, dem die herrschende Schicht Cetagandas entstammt.

|Ethan von Athos|

Der Planet Athos ist eine reine Männergesellschaft – es gibt keine Frauen, alle Männer werden in Uterus-Replikatoren gezüchtet, Homosexualität ist die Norm und das Recht auf Kinder muss man sich durch soziale Verdienstpunkte erwerben. Doch dem Männerplanet droht eine Existenzkrise: Die für die Uterus-Replikatoren verwendeten Eierstöcke altern und sterben ab. Eine Lieferung frischer Eierstöcke sollte dieses Problem lösen, doch man hat die Athosianer hereingelegt: Totes Gewebe, teilweise von Kühen und anderer Unrat wurde ihnen für eine horrende Summe angedreht. Dr. Ethan Urquhart, Leiter der Abteilung für reproduktive Biologie, soll den Fall auf der Raumstation Kline klären und unter allen Umständen umgehend neues Gewebe für die Replikatoren besorgen.

Ethan ist mit dieser Aufgabe völlig überfordert: Er wird als Schwuchtel und Perversling verprügelt, kommt mit der fremdartigen Umgebung einer Raumstation nicht klar, und zu allem Überfluss gibt es auf dieser auch noch Frauen!

Völlig verstört und eingeschüchtert, wird Ethan von der hübschen Eli Quinn von den Dendarii-Söldnern unter ihre Fittiche genommen. Denn seltsamerweise hat auch der cetagandische Geheimdienst Interesse an der Lieferung für Athos und beginnt mit der Jagd auf Ethan. Eli findet heraus, dass es ihnen um das Genmaterial des entlaufenen Klons Terrence Cee geht, der sich angeblich auch auf der Raumstation befindet – und tot oder lebendig für den Geheimdienst von höchster Bedeutung ist …

|Labyrinth|

Miles soll in seiner Tarnidentität als Admiral Naismith von den Dendarii-Söldnern für den barrayanischen Geheimdienst einen Genetiker in Sicherheit bringen. Leider arbeitet dieser auf Jackson’s Whole, dem korruptesten Gangsterloch der ganzen Galaxis, für eines der hohen Häuser. Diese aus Verbrechersyndikaten hervorgegangenen Pseudoaristokratien stellen die recht eigenwillige „Regierung“ dieser Welt. Traditionell widmen sich die Häuser bevorzugt einem Gebiet, das von Waffenhandel bis hin zur Prostitution reichen kann – oder eben der Schaffung künstlicher Lebewesen ohne moralische Einschränkungen jeglicher Art.

Seine Mission bringt Miles in Kontakt mit den Baronen und ihren bedauernswerten Opfern. Bei der Rettung des Wissenschaftlers stellt sich dieser ebenfalls als Scheusal heraus, entgegen seinen Anweisungen befreit Miles eines seiner „Experimente“, nebst der von den Baronen als einer Art exotisches Schaustück gehaltenen Quaddie Nicol.

_Geheimagenten und Genetiker_

Man mag es kaum glauben, aber zwischen „Cetaganda“, dem neuesten der drei Romane, und „Ethan von Athos“ liegen ganze elf Jahre. Die Thematik dieses Sammelbandes ist trotzdem erstaunlicherweise aus einem Guss, alles dreht sich um Genetik und ihre Einflüsse auf Einzelpersonen und ganze Gesellschaften, vortrefflich demonstriert an dem Kaiserreich Cetaganda, dessen Kultur japanische Einflüsse aufweist, aber dennoch so vollkommen anders ist. Besonders interessant fand ich das Machtverhältnis zwischen Kaiser und Kaiserin und ihren Gouverneuren. Miles wird von der übermenschlichen Schönheit der cetagandischen Haud-Frauen, die sich normalerweise nur in ihren weißen Energiekugeln quasi verschleiert zeigen, geradezu geblendet, und darf sich anstelle des Lesers beängstigt fragen, wohin die Perfektion und Zuchtauswahl der Haud sie führen wird – Werden sie sich im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung überhaupt noch als Teil der gewöhnlichen menschlichen Rasse ansehen? „Cetaganda“ ist mit Abstand der spannendste Roman des Sammelbands und mein Favorit, der Mix aus Agententhriller, SciFi und Genetik ist vortrefflich gelungen.

„Ethan von Athos“ ist die humorvollste Geschichte, sie entstand bereits vor der Veröffentlichung des ersten |Barrayar|-Romans bei |Baen Books|. So trägt Ethan einige Charakterzüge des späteren Helden Miles; mit der smarten Eli Quinn, die bereits im ersten Sammelband Plasmaverbrennungen im Gesicht erlitten hat, taucht zudem eine dank betanischer Biotechnologie wiederhergestellte strahlende Schönheit auf, die in einer ursprünglichen Konzeption der Serie wohl Miles Gefährtin hätte werden sollen. Neben der amüsanten Männergesellschafts von Athos gefällt vor allem der Kontrast zu der Raumstation. Originell stellt Bujold das Leben an Bord von Station Kline dar: So machen sich Eli und Ethan des Öfteren die Sicherheitsorgane der Station zunutze, fingieren einen Brand oder geben der Biokontrollwartin der Station Hinweise auf eine eingeschleppte Krankheit oder eine Kakerlake, auf die sie sich mit dem Zorn und Eifer einer Furie stürzt. Mit der Ernährung an Bord der Station hat Ethan auch einige Probleme, werden doch tote Menschen zum Düngen der Pflanzenkulturen verwendet, ebenso scheint die Speisekarte fast nur aus Wassermolch zu bestehen: Wassermolch-Creole, Molch-Mousse in Aspik, gebratene Wassermolcheier, Molch mit Fritten oder Molch im Topf hängen allerdings auch den Stationsbewohnern zum Hals heraus, welche die in der atmosphärischen Wiederaufbereitungsanlage als Nebenprodukte entstandenen Molche massenweise als Froschschenkel an planetarische Restaurants verkaufen.

Doch es geht nicht nur abstrus und lustig zu auf Station Kline, denn Oberst Millisor vom cetagandischen Sicherheitsdienst versteht überhaupt keinen Spaß – ohne die smarte Eli hätten der gesuchte Klon Terrence sowie Ethan keine Chance. Hier setzt auch meine Kritik an, denn Eli ist nicht ganz so sympathisch oder glaubwürdig wie andere Figuren; wie viele weibliche Hauptfiguren Bujolds (wie z. B. Miles Mutter Cordelia) ist sie ein wenig zu perfekt, wo bei den männlichen klare Schrullen und Macken vorhanden sind. Der Spaßfaktor überwiegt in dieser Geschichte den Thriller-Anteil, allerdings ist Bujolds Humor wirklich köstlich genug, um die durch die Blödelei etwas fehlende Spannung zu kompensieren.

Der Titel „Labyrinth“ enthält eine Anspielung auf den Klon, den Miles aus seinem Kerker befreit: |Taura| ist eine Mischung aus Mensch und Stier – quasi ein Minotaurus, ein gezüchteter Superkriegerprototyp, der leider nicht zur vollständigen Zufriedenheit ausfiel. In dieser Novelle wird die Skrupellosigkeit von Wissenschaftlern im Dienst noch skrupelloserer Verbrecher, den Baronen des verkommenen und ultrakorrupten Planeten Jackson’s Whole, angeprangert. Aber auch normale Menschen sind gegenüber exotischen Wesen herablassend oder reduzieren sie auf den Status eines Lustspielzeugs, wie es Baron Ryoval mit der Quaddie Nicol tut. Quaddies sind übrigens beinlose, dafür vierarmige Menschen, die an Nullgravitation angepasst wurden. Auch auf Miles wirkt Taura sehr befremdlich, aber er selbst ist an Gehässigkeiten und herablassende Kommentare wegen seiner körperlichen Defizite gewöhnt; gerade auf Barrayar wird alles von der Norm Abweichende abgelehnt. Darum setzt er alles daran, nicht nur sie, sondern auch Nicol zu retten.

Um seinen Auftrag, den Genetiker sicher nach Barrayar zu bringen, zu erfüllen, muss Miles sich auf einige krumme Deals mit den Baronen Fell und Ryoval einlassen und sie gegeneinander ausspielen – was gar nicht so einfach ist, denn auch wenn man sich untereinander inoffiziell um die Macht rangelt, von einem dahergelaufenen Söldnerkommandanten lässt man sich nun wirklich nicht an der Nase herumführen – und so landet Miles schließlich im Labyrinth bei Taura …

Als Novelle ist |Labyrinth| nicht ganz so umfangreich wie die beiden vorhergehenden Romane, die Geschichte passt dennoch hervorragend in das große Thema des Romans, die Genetik, und setzt dabei wieder andere Akzente. War |Cetaganda| spannend und faszinierend, |Ethan von Athos| vor allem humorvoll, macht das |Labyrinth| in erster Linie nachdenklich.

_Unterhaltsamer kann eine Space Opera kaum sein_

Lois McMaster Bujold wurde und wird nicht umsonst mit Auszeichnungen überhäuft. Sie hat ein Talent als Geschichtenerzählerin, das seinesgleichen sucht. Mit Miles Vorkosigan hat sie einen liebenswerten Antihelden geschaffen, dessen Abenteuer einen unwiderstehlichen Mix aus Science-Fiction, Agententhriller und Komödie bieten. Ihr Sinn für Humor und die ironische Weise, in der die Charaktere in ihren Dialogen Ereignisse kommentieren, sind einfach köstlich.

Neben einer Sternenkarte sowie einer nützlichen Zeittafel des Zyklus enthält der Sammelband auch ein aufschlussreiches Nachwort der Autorin. Für die exzellente Übersetzung zeichnet wieder einmal Michael Morgental verantwortlich, der bereits zahlreiche andere Romane des Barrayar-Universums übersetzt hat. Ebenso zahlreiche in den Originalausgaben vorhandene (Sinn-)Fehler der Übersetzung wurden für „Gefährliche Missionen“ dankenswerterweise korrigiert.

Ich kann die Barrayar-Sammelbände jedem SciFi-Fan nachdrücklich empfehlen. Man erhält nicht nur in Deutschland schwer erhältliche Novellen aus dem Barrayar-Universum; die Möglichkeit, eine hervorragende Neuausgabe dieser mit Preisen wahrlich überschütteten Serie zu erhalten, sollte man sich nicht entgehen lassen. Wie auch die anderen Barrayar-Romane konnte ich dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen.

Der Titel „Gefährliche Missionen“ ist vermutlich eine Last-Minute-Entscheidung des Verlags, ursprünglich wurde der dritte Barrayar-Sammelband mit „Cetaganda“ tituliert, deshalb findet man selbst auf den Seiten des Verlags „Gefährliche Missionen“ noch mit dem alten Covertitel „Cetaganda“.

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/

Baldry, Cherith – venezianische Ring, Der

Die im englischen Lancaster geborene Schriftstellerin Cherith Baldry, die zuvor als Lehrerin arbeitete, stellt mit „Der venezianische Ring“ (Original: The Reliquary Ring) die Übersetzung eines ihrer ersten Werke als Berufsautorin vor.

In einer zeitlich nicht näher bestimmten Stadt der Zukunft, die mit ihren Kanälen und ihrer Herrschaftsstruktur an das alte Venedig des 18. Jahrhunderts erinnert, zeigt sie dem Leser eine düstere Gesellschaft, in der Standesdünkel und Rassismus den künstlich erzeugten Genicos das Leben schwer machen. Doch auch die Technologie, insbesondere Genetik, verteufelnde Kirche kann den Fortschritt nicht aufhalten. So halten sich viele Adelige Genicos als Haussklaven, auch wenn man peinlich darauf achtet, sich nicht von ihnen berühren zu lassen.

Im Spiel um die Macht in der Stadt bedient sich der gottlose Graf Dracone bedenkenlos aller Mittel, um sein Ziel zu erreichen. Der alte Herzog liegt im Sterben, und gegenüber dem verarmten Mitbewerber Graf Loredan hat er einen Trumpf im Ärmel:

Der exkommunizierte Doktor Heinrich soll für ihn aus einem Haar einen Klon Christos‘, Gottes Sohn auf Erden, erzeugen.

_Groschenoper in Venedig_

Die Geschichte wartet mit einer breiten Zahl von Charakteren auf, deren Gemeinsamkeit ihr durch den Grafen Dracone erfahrenes Leid ist. Viele Tabuthemen werden aufgegriffen; so liebt der Genico Gabriel seinen Herren Leonardo, was aber in den Augen der Kirche eine doppelte Sünde ist, die diesem bei der Herzogswahl zum Nachteil gereichen würde. Die schöne Genica Serafina wird wie eine Art kostbares Möbelstück von ihrer verstorbenen Herrin einfach weitervererbt, ihr wunderbares Gesangstalent wird mit niederen Näharbeiten vergeudet. Die Handlung wird von zahlreichen Mensch-Genico-Paaren vorangetrieben, die einen sind ihren Herren oft gar in Liebe zugeneigt, andere werden kontrastierend schlecht behandelt.

Von Anfang an als Schurke klar erkennbar ist der düstere Graf Dracone, der sich der Hinterlist und brutaler Gewalt gleichermaßen bedient und vielen Genicos mitsamt ihren Herren übel mitspielen wird. Damit hat sich seine Rolle aber auch erschöpft. Er ist zugleich die einzige, immerwährende Quelle des Übels in der Stadt, neben dem allgemeinen Rassismus der Menschen gegenüber den Genicos.

Betrachtet man die zahlreichen Liebesbeziehungen im Spiel um die Macht und die klare Charakterzeichnung, kommt man recht schnell zu der Erkenntnis, um welche Art Roman es sich hier handelt. In einer parabelhaften Weise wird das Leid der stets wunderhübschen oder hochbegabten Genicos der Grausamkeit der rassistischen menschlichen Gesellschaft gegenübergestellt. Dabei sind alle Charaktere von Anfang an als Sympathieträger oder Antagonisten erkennbar, eine Charakterentwicklung findet bei keiner Figur statt.

Nun soll das nicht heißen, der Roman wäre schlecht oder gar langweilig. Er ist leider schrecklich offensichtlich angelegt, die etwas altbackene Art der Charakterisierung ist offensichtlich ein Stilmittel zur Verdeutlichung der klaren Gegensätze. Damit könnte man gut leben, aber leider gibt es diese Stereotypen auch in jedem x-beliebigen Groschenheftchen. Allerdings versteht es Baldry meisterlich, zahllose Erzählstränge nebeneinander parallel zu erzählen und so für Abwechslung zu sorgen. Die Möglichkeiten, die das faszinierende Pseudo-Venedig Baldry bot, hat sie aber leider überhaupt nicht ausgekostet. Man hätte den Roman auch in eine beliebige andere Stadt verlegen können, denn außer zum Ersäufen und spurlosen Beseitigen von Leichen werden die Kanäle der Stadt nicht genutzt, sieht man von einer eher belanglosen Episode mit Meeres-Genicos ab.

Gegen Ende des Romans sorgt zusätzlich ein nahezu wortwörtlicher Deus ex Machina für Ordnung in der Stadt und den Sieg der Guten über die Bösen. Nicht gerade sehr einfallsreich, zumal am Ende des Romans ein ziemlich unbefriedigendes Gefühl bestehen bleibt, wenn sich alles urplötzlich in Wohlgefallen auflöst.

_Fazit:_

Das faszinierende Szenario einer an ein Parallelwelt-Venedig erinnernden Stadt wird leider kaum ausgereizt, die Charaktere sind Stereotypen in Reinkultur. Dass sie durchweg sympathisch und abwechslungsreich beschrieben sind, kann darüber kaum hinwegtäuschen, sie machen aber den Großteil des Charmes des Romans aus. Nur gelegentlich kommt mäßige Spannung auf, das sehr billig herbeigeführte Happy-End kann ebenfalls nicht überzeugen.

Wer sich damit zufrieden gibt, wird leidlich gut bedient. Schade, in meinen Augen hätte der zugrundeliegende Weltentwurf Möglichkeiten für weit mehr geboten als nur einen weiteren mäßigen Groschenroman, dem man ansonsten nur die vorzügliche Übersetzung von Irene Bonhorst zugute halten kann. Der Klappentext, der den Roman in die Tradition Dan Browns und John F. Cases stellt, ist zudem bewusst irreführend: Dieser Roman ist keinesfalls mit denen Dan Browns zu vergleichen, ein bisschen Kirche und Okkultismus qualifizieren nun wirklich nicht dazu. Qualitativ kann man ihn ebenfalls nicht in der Liga dieser Erfolgsautoren ansiedeln.

Cobley, Michael – Schattenkönige

Michael Cobley ist ein junger britischer Fantasy-Autor, der sich auf der Insel einen Namen als Herausgeber verschiedener Magazine gemacht hat. Sein erster Roman „Schattenkönige“ scheint auf den ersten Blick dem üblichen, britischen Geschmack für düstere Fantasy zu entsprechen:

Vor sechzehn Jahren überrannten die wilden Horden der Mogaun das Kaiserreich Kathrimantine, das seit dieser Zeit ohne Kaiser und Militär von willkürlich und gewalttätig herrschenden Kriegsherren geplagt wird. In dieser chaotischen Zeit befreit die junge Schwertkämpferin Keren Asherol den jungen Tauric aus den Händen ihres immer brutaler und maßloser werdenden Anführers Byrnak. Damit setzt sie eine unheilvolle Kette von Ereignissen in Gang, denn der Junge ist der letzte Spross des gefallenen Kaisers. Lordkommandeur Ikarno Mazaret und seine Hand voll Rebellen benötigen ihn als Thronerben und Galionsfigur für den Kampf gegen die Legionen der Schattenkönige. Zu allem Überfluss gehört auch ihr ehemaliger Kommandant Byrnak zu den sagenumwobenen Fünf, deren erklärtes Ziel es ist, ihren Gott, den Herrscher des Zwielichts, in die Welt zu holen …

_Ein altbekanntes Schema_

Einen Innovationspreis erhält Cobley für diese Rahmenstory sicher nicht. Einzig die Ausführung dürfte von Interesse sein, der Rest ist altbekannt. Halt – einige Extras hat sich Cobley ausgedacht. Ich möchte sie nicht im Einzelnen aufzählen, im Wesentlichen handelt es sich um den Unterschied zwischen der destruktiven Natur der Magie des so genannten |BrunnQuells| der Schattenkönige im Gegensatz zu der heilenden Magie der |ErdenMutter|. Leider steigert das weder die Tiefe seines Götter-Pantheons noch ist die Umsetzung in irgendeiner anderen Weise gelungen. Für die Ausdrücke |ErdenMutter|, |VaterBaum| und |JägerKinder| kann man dem bekannten Übersetzer (Wolfgang Thon) nicht den schwarzen Peter zuschieben, ebenso wenig für die karge Sprache Cobleys.

Karg beschrieben und ausgesprochen blutleer präsentieren sich alle Charaktere dieses Romans. Am ehesten könnte man Keren Asherol, der Schwertkämpferin, einen Ansatz von Persönlichkeit zugestehen, nämlich den einer von der Schlechtigkeit der Welt angewiderten Kriegerin. Vom blassen Tauric, der urplötzlich Tausende begeistern kann, sowie Lordkommandeur Mazaret kann man sich kaum ein Bild machen. Am ehesten noch von dem Schattenlord Byrnak, der das Potenzial zu einem interessanten Antagonisten gehabt hätte. Doch Cobley verwendet weder sprachlich noch in sonstiger Weise viel Worte oder Mühe, seinen Figuren auch nur Ansätze von Tiefe oder Charakter zu geben.

Wendet man sich hoffnungsvoll dem Szenario zu, einer düsteren, apokalyptischen Welt, sieht es ähnlich aus: trostlos. Diese Welt ist genauso leer, wie ihre Charaktere unterentwickelt sind. Einzig die sich untereinander nicht ganz grünen Schattenkönige geben ihr ein wenig Würze. Über die Mogaun selbst erfährt man – außer dass sie dem Schamanismus huldigen – so gut wie nichts. Geschmackssache sind die jedem Kapitel vorangestellten Lieder und Zitate historischer Personen. Sie könnten dem Buch eine nicht vorhandene Tiefe geben, auf mich persönlich wirkten sie allerdings wie pseudointellektuelle Binsenweisheiten des Autors. Wer auf Schlachten oder Action hofft, sollte seine Erwartungen auch herunterschrauben: Wirre, dürftig beschriebene Scharmützel in dem unnachahmlich kargen Stil Cobleys können nicht einmal dem hartgesottensten „Swords & Sorcery“-Fan mehr als ein Stirnrunzeln entlocken.

_Fazit_

Ein auf ganzer Linie enttäuschendes Buch, von dem man nur abraten kann. Blasse Charaktere und Cobleys enervierend karger, geradezu lustloser Erzählstil versetzen dem zumindest vom Szenario her etwas mehr versprechenden Roman den Todesstoß. Wer auf einen neuen Gemmell, Stackpole, Salvatore oder Erikson gehofft hat, dem sei gesagt: Selbst ihre schlechtesten Werke übertreffen dieses noch bei weitem. Um so erstaunlicher ist es, dass „Schattenkönige“ der Auftakt einer Trilogie ist – im August erscheint die Fortsetzung „Schattengötter“, der abschließende Band „Schattenkrieger“ ist für März 2006 geplant. Wer Interesse an dieser Art der Fantasy hat, sollte besser den Klassiker „The Black Company“ von Glen Cook, David Gemmells Drenai-Saga oder James Barclays [„Chroniken des Raben“ 892 lesen.

Homepage des Autors:
http://www.michaelcobley.com/

Hoffmann, Markolf – Flammenbucht (Das Zeitalter der Wandlung 2)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: _Flammenbucht_
Band 3: [Schattenbruch 2288
Band 4: [Splitternest 4027

Mit „Nebelriss“ präsentierte der deutsche Autor Markolf Hoffmann den ersten Band seiner Tetralogie „Das Zeitalter der Wandlung“. In der „Flammenbucht“ der Insel Fareghi geht die spannende Geschichte weiter, die durch lebensechte Charaktere mit nachvollziehbaren Motivationen und die Sprachgewandtheit des Autors glänzen kann. Freunde von George R. R. Martin und seinem „Lied von Eis und Feuer“ werden den recht ähnlichen Stil der komplexen Geschichte mit ihren zahlreichen Charakteren schätzen.

_Das Zeitalter der Wandlung_

Die Welt Gharax wird im Norden von mehreren Königreichen, unter ihnen das Großreich Arphat, beherrscht, während im Süden das Kaiserreich Sithar sich in jahrhundertelangen Konflikten immer wieder der Herrschaftsansprüche Arphats erwehren musste. Doch diese kleinlichen Konflikte verblassen angesichts der Bedrohung durch die Goldéi, eine in Magie und Kriegskunst fortschrittliche Rasse, deren Überlegenheit so groß ist, dass sich ihnen sogar der stolze König Eshandrom von Kathyga unterworfen hat.

Das Ziel der Goldéi scheint nicht Reichtum oder weltliche Macht zu sein, denn sie erobern gezielt die Quellen der Magie, die einst von dem legendären Zauberer Durta Slargin gebändigt und nutzbar gemacht wurden. Diese sorgen für Regen, gute Ernte, lenken Meeresströme und ermöglichen alle bekannten Formen der Magie auf Gharax. Der Magierschüler Laghanos gerät in die Hände der Goldéi, die sein Gesicht mit einer goldenen Maske verunstalten, die ihm Schmerzen bereitet, aber auch eine ihm selbst noch nicht vollständig bekannte Macht über die Quellen gibt. Zwar wird er befreit, aber er gerät über die zersplitterten Magierlogen, die ihm weniger helfen denn sich seine Macht zunutze machen wollen, in die Hände einer Sekte, die „Mondschlund“, einen als Blender und Verräter verschrienen ehemaligen Weggefährten Durta Slargins, verehrt.

Währendessen gelingt es Fürst Baniter Geneder, den schwachen Kaiser Akendor zu einem Bündnis mit Arphat gegen diese seltsamen Wesen zu überreden. Was weder der Kaiser noch der „Silberne Kreis“, sein Thronrat bestehend aus den Fürsten Sithars, der die wahre Regierungsmacht darstellt, wissen, ist dass Baniter Königin Inthara von Arphat eine Hochzeit mit Akendor und damit eine Vereinigung beider Reiche schmackhaft gemacht hat. Doch während Baniter in Arphat seine nicht uneigennützigen Ränke spinnt, die zudem von Erfolg gekrönt scheinen, ändert sich in Sithar die Lage dramatisch: Kaiser Akendor wird ironischerweise infolge eines Nebenaspekts von Baniters Plan abgesetzt und für tot erklärt, obwohl er in Wahrheit aus dem Kerker entkommen kann. Sein Sohn Uliman wird aus Troublinien zurückgeholt und neuer Kaiser von Sithar. Doch dieser lässt sich nicht so leicht vom „Silbernen Kreis“ bevormunden, schlimmer noch, er wurde in der Magie ausgebildet und steht unter dem Einfluss der Magier.

Während es in Sithar zu Glaubenskriegen kommt und Nhordukael als Hohepriester der Aufständigen erfolgreich die Macht der nun gespaltenen Kirche des Tathril zerschlägt und auch dem kaiserlichen Heer Verluste zufügt, setzen die Goldéi ihren Eroberungsfeldzug fort und erobern Städte in Arphat.

An ganz anderer Stelle erkunden der troublinische Großmerkant Aelarian Truarc und sein Diener Cornbrunn die Lage: Der Leuchtturm von Fareghi, ebenfalls eine Quelle der Magie, ist unter die Kontrolle von Goldéi-Verbündeten geraten. Ohne ihn kann das Silbermeer nicht sicher befahren werden – eine Katastrophe für die gesamte Menschheit. Doch die beiden finden die Hintergründe der Invasion der Goldéi heraus und geraten unter den Einfluss von Mondschlund …

_Komplex, aber leider auch verzettelt_

Markolf Hoffmanns Markenzeichen ist seine sprachliche Finesse. Seine Figuren werden bereits durch ihre Sprachweise treffend charakterisiert; so merkt man Fürst Baniter seine Gerissenheit an, nicht umsonst wird er der „Luchs von Ganata“ genannt, während sich Laghanos Zweifel und Furcht sowie seine jugendliche Unerfahrenheit in diesem großen Ränkespiel auch in seinen Worten niederschlagen. Dabei verfällt er nicht in die bombastische und künstliche Phrasendrescherei, die man so oft als Wortgewandtheit verkauft bekommt.

Die Geschichte ist sehr komplex, es gibt zahllose Charaktere anstelle einer einzelnen dominanten Hauptfigur. Dies erinnert stark an George R. R. Martin, der einen ähnlichen Ansatz für sein „Lied von Eis und Feuer“ wählte. Dieser Ansatz gewährleistet glaubhafte, lebensechte Figuren und eine weniger märchenhafte, sondern real erscheinende Handlung.

Doch leider hat diese Methode er auch einen Nachteil, der sich in „Flammenbucht“ leider bemerkbar macht: Die Handlung ist so komplex, dass sie nur schleppend vorankommt, die häufigen Orts- und Personenwechsel sorgen zwar für Abwechslung, aber die Einflechtung neuer Handlungsstränge, die oft in keinen Zusammenhang zu den Ereignissen zu stehen scheinen, kann verwirren und stören. Zumal mir die Nebenhandlung um die blonde Meuchlerin und Leibwächterin Ashnada nicht gerade gefiel, sie war geradezu trivial, ein Gegensatz zu der sonst so ausgefeilten Welt. Ebenso ist der eher hilflose Laghanos bedingt durch diese Hilflosigkeit ein echter Langweiler; dabei kann man davon ausgehen, dass er in Zukunft eine der wichtigsten Figuren sein wird – in diesem Buch kommt er nur selten zum Zug. Während die Handlung im Kaiserreich nach wie vor auf hohem Niveau bleibt, wird mit den so genannten „Südseglern“ – einem Haufen in seltsamen Reimen redender Seefahrer, die einen vermuteten Südkontinent suchen – ein neuer Handlungsstrang eröffnet, über dessen Bedeutung man leider nur spekulieren kann. Hier lässt sich Hoffmann leider auf eine klischeehafte Mystifizierung durch Geheimnistuerei und die erwähnten lächerlichen Reime ein, ein geradezu fantasytypisches Klischee, das in meinen Augen eher eine ideenlose Lösung darstellt. Warum hat er sich diese Südsegler nicht einfach erspart, denn wirklich aktiv werden sie in diesem Buch ohnehin nicht, und ihr gesamtes künstliches Gehabe wäre überflüssig geworden.

Gelungen hingegen ist das Duo Aelarian Truarc und Cornbrunn. Der Großmerkant und sein Diener bringen den nötigen Humor in die Handlung, der in „Nebelriss“ fehlte. Ihre beiden Kieselfresser Grimm und Knauf entwickeln sich mitsamt ihren Herrchen zu echten Sympathieträgern. Sie bringen auch Licht in die dunklen Hintergründe der Goldéi-Invasion und lösen so manches Geheimnis auf. Doch leider wird die Geschichte von Durta Slargin und Mondschlund sowie der Verbindung zu den Goldéi etwas platt erzählt – eben einfach nur nacherzählt anstelle von erfahren.

Erwähnenswert ist ein im Prolog der Geschichte erwähnter Leitgedanke: Ist jede Stadt, die von Menschenhand errichtet wurde, dem Untergang geweiht? Diesen Gedanken verfolgt Hoffmann durch die Geschichte anhand legendärer Städte, über die das Unglück durch ihre eigenen Bewohner heraufbeschworen wurde – ein Schicksal, das einige große Städte Arphats und Sithars in diesem Buch teilen werden. Ein Gedanke, der im weiteren Handlungsverlauf auch hinsichtlich der Goldéi-Invasion eine tragische Wahrheit darstellt …

_Fazit:_ „Flammenbucht“ kann mit sprachlicher Gewandtheit, starken Charakteren, einer faszinierenden, komplexen Story und Welt weit abseits bekannter Klischees glänzen. Im Gegensatz zu „Nebelriss“ kommt auch der Humor nicht zu kurz. Leider hat sich Hoffmann mit den vielen Handlungssträngen verzettelt, dafür kamen wichtige zu kurz. Die Handlung wird immer komplexer und vielschichtiger, doch sie tritt leider auch auf der Stelle. Aber die Geschichte ist einfach zu gut, um lange darüber zu hadern. Auch dieses Buch endet wie bereits „Nebelriss“ mit einem Cliffhanger; der Folgeband „Schattenbruch“ wird vermutlich in zwei Bände aufgeteilt und schließt die Saga somit als Tetralogie ab. Wer G. R. R. Martin liebt, wird auch Markolf Hoffmanns „Zeitalter der Wandlung“ schätzen.

Auf der [Homepage]http://www.nebelriss.de/ von Markolf Hoffmann kann man Probekapitel von „Nebelriss“ und „Flammenbucht“ lesen, ebenso findet man weitere Informationen über die Welt Gharax und den Autor selbst.

Markolf Hoffmann – Nebelriss (Das Zeitalter der Wandlung 1)

Das Zeitalter der Wandlung:
Band 1: Nebelriss
Band 2: Flammenbucht
Band 3: Schattenbruch
Band 4: Splitternest

Wem beim Stichwort „Fantasy“ eine bunte Truppe aus Bäcker- oder Magierlehrling, rotnasigem Zwerg sowie ähnlichen Rollenbildern und Stereotypen vorschwebt, die verständlicherweise für Brechreiz und gepflegte Langweile sorgt, den kann man verstehen.

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Heitz, Markus – Schatten über Ulldart (Die Dunkle Zeit 1)

|Caradc erbrach Blut, tiefrot lief die Flüssigkeit über die Kleidung auf die Fliesen, füllte dort kleine Rillen und Unebenheiten der Oberfläche aus. „Tadc … Gefahr … jemand … töten“, heulte der Visionär und sackte zusammen. Er packte Matuc im Genick und zog dessen Ohr an seinen Mund. „Die Dunkle Zeit … kehrt zurück“, flüsterte er.|

Diese Prophezeiung des Mönchs Caradc versetzt den ganzen Kontinent Ulldart in Angst und Schrecken. Man schreibt das Jahr 436 nach Sinured, auf den sich diese Prophezeiung bezieht. Alle 111 Jahre droht die Wiederkehr des bösen Gottes Tzulan, dessen schrecklicher Heerführer Sinured und seine Monsterhorden eine Schreckensherrschaft errichteten, die erst eine Allianz aller Völker Ulldarts unter der Führung ihres Schutzgottes Ulldrael besiegen konnte. Sinured wurde mit seiner schwarzen Galeere auf der Flucht im Meer versenkt, Tzulan von den Göttern bestraft und der Legende nach seine Augen als zornig rot funkelndes Doppelgestirn an den Himmel geheftet.

Für Bruder Matuc ist klar: Stirbt Prinz Lodrik, der „Tadc“ und somit Thronfolger des Kabcar (Königs) von Tarpol, bricht die Dunkle Zeit über das Land herein. Der geheime Rat des Ulldrael-Ordens trifft Vorkehrungen, das Leben des Prinzen unter allen Umständen zu schützen.

Dieser ist jedoch ein fetter Nichtsnutz, über den jedermann spottet, sein stolzer Vater hält ebenfalls wenig von ihm und ist enttäuscht von seinem Sohn, der ganz und gar nicht nach dem Eroberergeschlecht des Hauses Bardric schlägt. Deshalb schickt er ihn mitsamt seinem weisen Berater Stoiko Gijuschka und dem starken Leibgardisten Waljakov unter einer Tarnidentität nach Granburg. Das soll nicht nur das Leben des spöttisch „Keksprinz“ genannten Sohnes schützen, er muss nach den Wünschen seines Vaters dort regieren lernen und ein Mann werden! Unter der Anleitung der beiden verliert Lodrik an Speck, lernt einiges über Politik und beweist ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Seine Reformbemühungen stoßen bei den selbstherrlichen Brojaken (Großbauern) auf Widerstand, doch seine Reformbemühungen bringen ihm den Respekt des Brojaken Miklanowo ein, der ein enger Freund und Berater des Gouverneurs wird, – und die Liebe seiner Tochter Norina.

Doch seltsame Kreaturen, die so genannten „Beobachter“, suchen Lodrik auf und nennen ihn „Hoher Herr“. Er selbst nimmt die Exekution eines Aufrührers vor, der für viel Unheil in der Provinz sorgte – und wird von einem Blitz getroffen. Doch er stirbt nicht, seine Augen glühen jedoch oft in einem unheimlichen Licht, die Flammen des Feuers verfärben sich in seiner Gegenwart. Schließlich erreicht eine Nachricht aus Ulsar den Prinzen: Der Kabcar ist tot! Lodrik macht sich umgehend auf den Rückweg in die Hauptstadt …

Derweil beunruhigen den geheimen Rat Nachrichten von Sumpfkreaturen, welche die alte Hauptstadt Sinureds wieder aufbauen. Der Freibeuter Torben Rudgass befördert einen seltsamen Passagier, der sich als tödlicher und skrupelloser Assassine entpuppt. Der Mönch Matuc wird noch einmal vor den geheimen Rat gebeten, um den exakten Wortlaut der Prophezeiung Caradcs zu wiederholen. Zur Bestürzung aller stellt sich dieser als zweideutig heraus: Ist Lodrik nun der Retter Ulldarts oder der Bote Tzulans? Der Rat entscheidet sich für Letzteres, Matuc erhält den heiligen Auftrag, Lodrik zu ermorden.

Der in solchen Dingen wenig erfahrene Mönch trifft auf seiner Mission die Kensustrianerin Belkala, eine Priesterin Lakastras. Mit dieser freundet er sich nach anfänglichen Problemen (er wollte sie als Ketzerin aufhängen lassen) an, und gewinnt mit ihrer Hilfe den übermäßig stolzen Ritter Nerestro von Kuraschka vom Orden der Schwerter des Gottes Angor als Eskorte.

Der 1971 geborene Markus Heitz, studierter Germanist und Mediävist sowie passionierter Rollenspieler, ist mittlerweile zum Shooting-Star der deutschen Fantasy geworden. Neben den sehr populären „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“ schrieb er bisher Romane für die Shadowrun-Serie. „Die Dunkle Zeit“ wurde 2003 mit dem Deutschen Phantastik-Preis für das „Beste Roman-Debüt National“ ausgezeichnet.

„Die Dunkle Zeit“ ist ein mittlerweile abgeschlossener Romanzyklus, der zuerst beim |Heyne|-Verlag erschien und mittlerweile von |Piper Fantasy| vertrieben wird. Der damalige fünfte Band wurde gesplittet und Kürzungen beseitigt bzw. der Roman ergänzt und erweitert, deshalb besteht die Serie bei |Piper| aus folgenden sechs Teilen:

1. Schatten über Ulldart
2. Der Orden der Schwerter
3. Das Zeichen des dunklen Gottes
4. Unter den Augen Tzulans
5. Die Magie des Herrschers
6. Die Quellen des Bösen

Ein 7. Band, „Trügerischer Friede“, ist geplant, dieser wird jedoch Auftakt des Folgezyklus „Die Zeit des Neuen“ sein.

Markus Heitz verdient ein großes Lob: Fantasyzyklen dieses Umfangs kennt man normalerweise nur aus den USA, man denke nur an David Eddings „Belgariad“-Saga oder Raymond E. Feists „Midkemia“-Romane. Mit diesen wird dieser Zyklus hinsichtlich des Weltentwurfs beziehungsweise hinsichtlich vieler archetypischer Charaktere verglichen, und ganz kann man dies nicht abstreiten.

Dennoch lassen sich diese Zyklen schwerlich miteinander vergleichen. Heitz hat den Ansatz eines Rollenspiel-Leiters gewählt: Er hat bekannte Figuren und Welten neu miteinander kombiniert, variiert und so mehr oder minder seine eigene, fantastische Welt geschaffen. Diese mag zwar nicht originell sein, denn bei vielen Figuren erinnert man sich sofort an ihr literarisches Vorbild, aber gut geklaut ist immer noch besser als schlecht erfunden.

So möchte ich hier nur die Beschreibung Sinureds anführen, der von seinen Feinden auch „Das Tier“ genannt wurde: Schwarze, verbrannte Haut, glühende Augen und eine gewaltige eiserne Rüstung. Auf dem Schlachtfeld führte er eine eisenbeschlagene Deichsel als Keule.

Mir drängte sich hier das Bild Saurons auf, der im Intro des „Herr der Ringe“ auch gegen eine Allianz aller Völker streitet und ebenfalls mit einem riesengroßen Streitkolben um sich schlägt. Geradezu Spoiler-Charakter hat die Prophezeiung hinsichtlich Lodriks, der seine edlen und guten Motive zunehmend mit brutalen Mitteln erreicht. Lodrik ist quasi der Darth Vader der Fantasyliteratur. Norina kann man getrost als das Äquivalent zu Anakins Padme ansehen, der in den Folgebänden auftretende Mortva Nesreca geht problemlos als dunkler Sith Lord durch, er wird Lodrik zum Entsetzen seiner Berater immer mehr „auf die dunkle Seite“ ziehen.

Diese Figuren sind etwas zu offensichtlich entliehen, aber das tut der Handlung keinen Abbruch. Finesse und subtile Charakterschilderungen sucht man zwar vergebens, alle Charaktere sind von vorneherein klar gezeichnet als gut oder böse, bis auf Lodrik, dessen weitere Entwicklung aber schnell absehbar ist. Dafür hält sich Heitz nicht lange mit Plänkeleien auf, er kommt zu Sache, die Handlung geht flott voran, es passiert immer irgendwo etwas auf der Welt. Sei es bei dem sympathischen Freibeuter Torben Rudgass, dem so wenig zueinander passenden Trio Infernale aus Priester, Fanatiker und Ketzerin – sprich Matuc, Nerestro und Belkala – oder bei meinen persönlichen Lieblingen, dem pralinenfressenden König Perdon von Ilfaris (das natürlich berühmt für sein Konfekt ist) und seinem schlauen Berater und Hofnarr Fiorell, die mit ihrem umfassenden Geheimdienst stets über die Lage in Ulldart Bescheid wissen und diese auf lustige und launige Weise kommentieren.

Alles in allem schlägt zu oft der Rollenspieler in Heitz durch, die klaren Archetypen und Charakterisierungen sind leider dementsprechend auch nicht mehr als Rollenspielfassade – aber auch nicht weniger. Unterhaltung und Abenteuer pur sind garantiert. In diesem Band hält Heitz sich angenehm zurück hinsichtlich des Erzähltempos, auch erlaubt er sich keine allzu verwunderlichen Patzer wie plötzliche Kehrtwendungen moralischer Art oder nicht nachvollziehbares Vertrauen zu einem dahergelaufenen Möchtegern-Verwandten bei unverständlichem Misstrauen gegenüber alten Freunden.

Der Einstiegsroman ist in dieser Hinsicht wesentlich besser als die Folgebände, die weniger ausgereift und teilweise gar hektisch erzählt werden. Die Vielfalt der Welt übertüncht sehr gut den nicht vorhandenen Tiefgang. Was Eddings mit Humor und Augenzwinkern erreichte, macht Heitz mit Tempo und Vielfalt und teilweise sogar originellen Einfällen wett. Mit komplexeren Weltentwürfen wie denen eines Robert Jordan, George R.R. Martin oder Raymond E. Feist kann sich seine Kreation aber nicht messen, in dieser Hinsicht sollte man nicht zu viel erwarten.

_Fazit:_ Ein kurzweiliger Zyklus mit echten Pageturner-Qualitäten. Der Plagiarismus kann bisweilen jedoch stören, ebenso die viel zu simplistische Schwarz-Weiß-Zeichnung der Charaktere. Aber Heitz hat sich erwiesenermaßen gute, erfolgreiche Ideen und Konzepte ausgeliehen und damit seine eigene Welt geschaffen, der es demzufolge nur ein wenig an Eigenständigkeit mangelt.

An einem jedoch gewiss nicht: Kurzweiliger, spannender, abenteuerlicher Unterhaltung – und das ist immer noch das Wichtigste. Wer anspruchsvollere Fantasy mit Tiefgang, neuen Ideen oder Szenarien sucht, wird hier nicht fündig. Wer jedoch von ewigen Endloszyklen genug hat, die Klassiker bereits kennt und einfach nur gut unterhalten werden will, kann bedenkenlos zugreifen.

Die einheitliche (das Amulett Tzulans vor einem jeweils wechselnden Farbhintergrund) und sehr ansprechende Neugestaltung der Romancover durch den |Piper|-Verlag setzt sich auch bei der Formatierung des Buchtextes und der Kapitelüberschriften fort, was zu dem wertigen Gesamteindruck beiträgt. Leider biegt sich der Buchrücken bereits nach einmaligem Lesen deutlich durch. Über eine mangelhafte Übersetzung kann man sich bei einem deutschen Autor naturgemäß nicht beschweren, das Lektorat hat zudem einige beklagte Rechtschreib- und Grammatikfehler der |Heyne|-Ausgabe bereinigt.

Homepage des Autors bzw. des Ulldart-Zyklus:
http://www.mahet.de/ und http://www.ulldart.de/

Athans, Philip – Verheerung (Der Krieg der Spinnenkönigin 5)

„Verheerung“ von Philip Athans ist der fünfte Band des sechsteiligen AD&D-Epos „Der Krieg der Spinnenkönigin“ (War of the Spider Queen), das in deutscher Übersetzung bei |Feder & Schwert| erscheint.

Unter der Schirmherrschaft von AD&D-Altmeister R. A. Salvatore haben sechs Autoren ihr Debüt in der Serie „Die Vergessenen Reiche“ gegeben. Bei Philip Athans kann man weniger von einem Debüt sprechen: Seit Jahren ist er als Herausgeber verschiedener Bücher der „Vergessenen Reiche“ bei |Wizards of the Coast| tätig, gelegentlich hat er jedoch einige wenige Bücher selbst geschrieben, wie die in Deutschland eher unbekannten Romanfassungen der AD&D Computerspiele |Baldur’s Gate| und |Neverwinter Nights|. Athans wurde von seinen Kollegen mehrfach lobend erwähnt für seine Mithilfe in AD&D-Fragen, er hat auch das Lektorat der Serie übernommen.

_Die verschollene Göttin_

Was kann eine Gruppe von sieben bösartigen und egoistischen Drow dazu veranlassen, fast uneigennützig für ein gemeinsames Ziel Gefahren und Entbehrungen auf sich zu nehmen? Natürlich nur ein außergewöhnlicher Notstand … und dieser ist eingetreten: Lolth, die Spinnengöttin der Drow, schweigt – verwehrt ihren Priesterinnen ihre Magie und jeglichen Beistand. Die matriarchalische Herrschaftsstruktur der Drow ist gefährdet, ohne die Magie der Priesterinnen droht der Metropole Menzoberranzan die Vernichtung durch ihre zahlreichen Feinde. Aber auch abtrünnige männliche Drow sehen eine Chance, die Verhältnisse zu ihren Gunsten umzukehren, andere sinnen einfach nur auf Rache. Die Macht der Feinde der Drow ist groß, die Stadt Ched Nasad wurde bereits völlig vernichtet. Nur Gromph, der Erzmagier Menzoberranzans, könnte den Leichnam (Lich; ein untoter Magier) aus dem abtrünnigen Haus Agrach Dyrr aufhalten, dessen Verbündete (Dunkelzwerge, Tanarukk) bereits in den Straßen Menzoberranzans kämpfen.

Die bereits zerbrochene Gruppe um die Hohepriesterin Quenthel und ihren Draegloth-Diener Jeggred, bestehend aus dem Magier Pharaun, dem Waffenmeister Ryld, dem Söldner Valas Hune sowie der aus Ched Nasad entkommenen Priesterin Halisstra und ihrer Leibsklavin Danifae war bisher auf ihrer Suche nach der Göttin Lolth erfolglos.

Halisstra ist vom Glauben an Lolth abgefallen und hat sich Eilistraee, der Göttin der an die Oberfläche Faerûns zurückgekehrten Dunkelelfen, zugewandt. Zusätzlich hat sie von ihrer neuen Göttin eine schwere Aufgabe erhalten: Sie soll mit einer magischen Mondsichelklinge Lolth selbst töten! Ryld ist verwirrt von den Lehren Eilistraees und entsetzt von dem Gedanken, gegen Lolth kämpfen zu müssen, bleibt aber wegen seiner Liebe zu Halisstra bei ihr.

Quenthel und Pharaun setzen derweil ihre Reise in den Abgrund der Dämonennetze fort. An die Stelle der sonst üblichen, oft eskalierenden Reibereien ist Verzweiflung getreten, Quenthel wirkt apathisch und hoffnungslos, was insbesondere Jeggred missfällt. Das nützt Danifae für ihre Zwecke aus. Während eines Erkundungszugs mit Valas Hune gelingt es ihr zudem, sich von Halisstras Bindezauber zu befreien, ihr Leben ist nicht mehr mit ihrem verbunden – endlich kann sie Rache nehmen …

Während Gromph mit dem Lich Dyrr um sein Leben und um Menzoberranzan kämpft, eskaliert die Situation im Abyss: Jeggred macht sich auf die Jagd nach Halisstra und Ryld. Schließlich erreicht Quenthels Gruppe den Abgrund der Dämonennetze, der sich anscheinend aus dem Abyss gelöst hat und nun eine eigene Ebene bildet. Quenthel übernimmt wieder die Führung: Lolth lebt – und gewährt ihren Priesterinnen wieder ihre Macht.

_Fast am Ende der Reise_

Es ist ein seltenes Vergnügen, Drow-Priesterinnen im Freudentaumel zu erleben. Lolth lebt offensichtlich, aber warum hat sie den Abgrund der Dämonennetze aus dem Abyss gelöst, warum hat sie so lange geschwiegen? Diese Fragen bilden den Cliffhanger für den nächsten Band. Man sollte zudem nicht vergessen: Halisstra ist nach wie vor wild entschlossen, Lolth zu töten.

Athans rückt neben dieser entscheidenden, das Finale vorbereitenden Neuigkeit vorallem Gromph und Danifae in den Mittelpunkt. Die Vorbereitungen für das Magierduell um Menzoberranzan und schließlich der Kampf selbst zählen zu den Highlights des Romans. Wie Gromph sich zum Beispiel sein verlorenes Augenlicht wiederbeschaffft, ist einfach nach feinster Drow-Manier …

Einige Schnitzer aus vorherigen Romanen bügelt Athans aus, so war Danifae trotz ihrer Bindung an Halisstras Leben und ihrer langen Abwesenheit nie im Geringsten besorgt. Diese Bindung zerschlägt Athans in diesem Roman etwas beiläufig und wenig originell, aber er gibt der bisher blassen Danifae etwas mehr Charakter, sie ist sogar eine entscheidende Triebfeder der Handlung dieses Romans.

Athans hat die Handlung und die zahlreichen Kämpfe geschickter verbunden als viele seiner Kollegen, was mir sehr gut gefiel, doch gerade bei einem Kenner wie Athans sind einige Fehler einfach nicht verzeihlich: So hat Ryld als Waffenmeister von Melee-Magthere einen schwereren Stand gegen eine Riesenfaultiermutter als der Späher Valas Hune gegenüber einem uralten Drachen. Die Konzentration auf Danifae tut sowohl Pharaun als auch Quenthel nicht gut, insbesondere Pharaun wirkt nicht mehr gewitzt, sondern eher beschränkt. Die wenig überzeugende apathische Phase Quenthels erklärt sich wenigstens am Ende des Romans, wenn auch nicht zur vollständigen Zufriedenheit. Diese inkonsistenten Charakterdarstellungen – jeder Autor hob bisher eine andere Figur hervor – sind leider ein durchgehendes Problem der gesamten Serie.

Zwischen Ryld und Jeggred wird es in diesem Roman zu einem tödlichen Duell kommen, in dessen Verlauf Athans sie recht originell aus der Sicht einiger unfreiwillig in diese Auseinandersetzung hineingezogener menschlicher Holzfäller beobachten lässt. Ob Ryld den Halb-Dämon halbiert oder ob dieser, wie er es schon oft versprochen hat, Ryld das Herz herausreißen und fressen wird, möchte ich nicht verraten.

_Fazit:_ Wie alle Autoren bisher, hat auch Philip Athans den Schwerpunkt auf eine andere Figur verlagert, in diesem Fall Gromph. Die Handlung ist nach wie vor sehr actionreich und spannend, eine besondere Note konnte Athans jedoch weder der Handlung noch einer Figur geben. Seine Vorgänger hatten jeweils eine deutliche Stärke oder Schwäche; so hat Richard Lee Byers Menzoberranzan überzeugend dargestellt, während man bei Richard Baker außer einer – wenn auch überzeugenden – Kampforgie wenig geboten bekam. Athans erlaubte sich keine Extreme oder Fehler bis auf die enttäuschend beiläufige Entfernung von Danifaes Bindungszauber und den offensichtlich schwächelnden Drachen. Das Magierduell sowie der Showdown zwischen Ryld und Jeggred sind zweifelsohne die Highlights dieses Romans, ebenso wird ein vielversprechendes Finale vorbereitet. Leider schafft es auch Athans nicht, die Charaktere zumindest konsistent zum Vorgängerband darzustellen. Dennoch ist auch dieser Roman überdurchschnittlich gutes Lesefutter für Drow-Fans. Wie die ganze Reihe ist er jedoch eher Kennern der „Vergessenen Reiche“ zu empfehlen, da sie entsprechende Grundkenntnisse voraussetzt.

Weitere Besprechungen aus dieser Reihe bei |Buchwurm.info|:
[Zersetzung 183 (Band 1)
[Zerstörung 677 (Band 4)

Marzi, Christoph – Lycidas

Das alte London war seit jeher Schauplatz von Legenden und hat ein ganz eigenes Flair. Der deutsche Autor Christoph Marzi lässt den viktorianischen Charme der Metropole in seinem Roman „Lycidas“ neu aufleben. Dabei bedient er sich freizügig bei berühmten literarischen Vorbildern: Charles Dickens‘ Waisenhaus, John Miltons Elegie „Lycidas“ sowie Neil Gaimans Idee eines „Unter-London“, einer Stadt unter der Stadt, greift er auf. Auch Rabbi Löws Golem und Jack the Ripper geben sich die Ehre … und damit sind die Querverweise auf literarisch Werke, geschichtliche Ereignisse und bekannte Autoren bei weitem nicht erschöpft.

Heldin der Geschichte ist die einäugige Emily Laing, die in dem Waisenhaus des bösartigen Reverend Dombey aufwächst. Dort spricht sie eines Tages eine Ratte an, die sich als Lord Hironymus Brewster vorstellt. Er bittet sie, auf die kleine Mara aufzupassen. Diese wird kurze Zeit später von einem Werwolf entführt, Emily selbst bekommt Ärger mit Dombey und läuft weg. Sie wird von dem etwas verdrießlichen Wittgenstein, einem Gentleman alter Schule, und seinem Freund Maurice Micklewhite aufgenommen.

Diese offenbaren ihr ungeahnte Geheimnisse über ihre Herkunft und die Welt, in der sie lebt, über Elfen und deren Wechselbälger sowie über die uralten Familien Manderley und Mushroom. So existiert unter London eine nahezu exakte Kopie der Oberstadt, in der Fabelwesen und alte Götter sich ein Stelldichein geben. Im Tower der Unterstadt residiert der mysteriöse Meister Lycidas, in dessen Auftrag zahlreiche Kinder in die Unterwelt verschleppt werden.

Dies ist nur der Auftakt eines der drei Bücher, in die „Lycidas“ (das zweite heißt „Lilith“, das dritte „Licht“) unterteilt ist. Eine gewisse Kenntnis der literarischen Vorbilder ist zwar nicht notwendig, schadet jedoch nicht. So bestimmt John Miltons Version der Schöpfungsgeschichte große Teile der Handlung; wer sie kennt, kann erahnen, wer sich hinter dem Namen „Lycidas“ verbirgt. Die große Stärke des Buches sind zweifellos das stimmungsvolle Ambiente und seine trotz zahlloser Referenzen eigenständige Storyline. Die Charaktere sind durchweg tiefgründig; kein Bösewicht ist nur böse, alle haben gute Gründe und Motive, oft entpuppen sich die vermeintlichen Schurken als menschlicher und warmherziger als einige Engel wie Uriel – ja, auch Engel hat es nach London verschlagen …

Das Buch sprüht vor Ideenreichtum und Phantasie; ein weiterer Pluspunkt ist der dem altmodischen Ambiente entsprechende Humor der Figuren. So ist besonders Wittgensteins trockene Art sehr stilvoll und amüsant, seine Lieblingsredewendung „Fragen Sie nicht!“, meist als Antwort auf Emilys bohrende Fragen, ist jedoch ein zweischneidiges Schwert und kann auf Dauer auch etwas ermüden.

Einige Schwächen lassen sich einfach nicht leugnen. So hat das Buch einen deutlichen Hänger und Spannungsabfall in der Mitte, denn der namensgebende „Lycidas“ wird bereits am Ende des ersten Buchs ausgeschaltet, um erst im späteren Handlungsverlauf wieder herausgekramt zu werden. Die folgenden zwei Bücher wurden von Marzi erst auf Bitte des Verlags geschrieben, er wollte ursprünglich erst einmal nur den ersten Teil veröffentlichen, und sie sind deutlich weniger spannend als dieser. So tritt an die Stelle einer ständig neue Elemente einführenden, flotten Handlung eine lange Zeit relativ ziellose und träge, viel zu oft wiederholt dasselbe reflektierende Erzählung. Dafür bieten diese beiden Bücher philosophische Überlegungen, die vermeintliche Engel in einem schlechten und die Übeltäter des ersten Buchs in einem sehr positiven Licht erscheinen lassen. Die Erzählperspektive ist sicher auch nicht jedermanns Geschmack: Weitgehend ist Wittgenstein der Erzähler. Jedoch werden oft Orte und Personen gewechselt, der Wechsel von Wittgenstein auf einen neutralen Erzähler und wieder zurück ist des Öfteren abrupt und verwirrend. Desweiteren verwirrt der zeitliche Aspekt: So spielt die Geschichte im modernen London, es gibt McDonald’s und sonstige Aushängeschilder unserer Zeit. Doch merkwürdigerweise sind nicht nur das Waisenhaus in Rotherhithe, sondern auch Personen wie Wittgenstein und Micklewhite komplette Anachronismen. Die Unterstadt selbst befindet sich wohl seit Ewigkeiten in einem Zustand kurz vor der industriellen Revolution. Man fragt sich, warum Marzi die aufgesetzt wirkende und selten gebrauchte Neuzeit nicht ganz gestrichen hat und stattdessen die Geschichte vollständig in dieses Zeitalter verlegt hat.

Fazit: Neue Ideen braucht das Land. Was Marzi aus alten Klassikern macht, ist wirklich bemerkenswert. Man mag sagen, er habe alles nur geklaut – aber wer es schafft, Charles Dickens‘ Waisenkinder mit der Geschichte um Jack the Ripper zu verbinden, ohne dabei ins Absurde abzugleiten, sondern vielmehr zu begeistern, der muss sich nicht verstecken. Man merkt Marzi noch eine gewisse Unerfahrenheit an, schließlich ist „Lycidas“ sein erster größerer Roman. Die Wege die er beschreitet, sind frisch und unverbraucht, so dass man über einige Haken und Ösen hinwegsehen kann. Für Winter 2005 ist bereits ein Folgeband mit den Arbeitstitel „Pequod“ geplant, die Reihe ist laut Marzi eine Trilogie. Man darf gespannt sein, ob Marzi auf Walfang geht und sich zu China Miéville ([Perdido Street Station)]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=695 nun auch noch Herman Melville gesellt … nur eines verrät der Autor: Das verschlagene Kopfgeldjägerduo Mr. Fox und Mr. Wolf wird wieder mit von der Partie sein.

Eine Leseempfehlung nicht nur für Fantasyfreunde – „Lycidas“ hat Stil, Charme und Niveau.

Homepage des Autors:
http://www.christophmarzi.de/

Bova, Ben – Asteroidenkrieg, Der

Ben Bova (* 28.11.1932) ist ein Urgestein der amerikanischen Science-Fiction. Das Werk des ehemaligen Präsidenten der |SF Writers of America| und der |National Space Society| zeichnet sich durch die Nähe zum aktuellen Stand der Technik aus. Bovas Romane spielen in einer nicht allzu fernen Zukunft und basieren auf Technologien und Annahmen, die schon bald Wirklichkeit werden könnten. Bova weiß, wovon er spricht: Während des „Space Race“ zur Zeit des Kalten Krieges war er am Projekt Vanguard beteiligt, dem ersten amerikanischen Satelliten und Antwort auf Sputnik I.

Im Jahre 1992 begann Bova mit „Mars“ eine neue Schaffensphase, die von Fans als seine „Grand Tour“ durch das Sonnensystem bezeichnet wird. Was als abenteuerliche, sehr realitätsnahe Reise durch das Sonnensystem begann und mit dem inoffiziellen Starterband „Mars“ zumindest inhaltlich noch überzeugen konnte, flachte in den Folgebänden „Rückkehr zum Mars“, „Venus“, „Jupiter“ und [„Saturn“ 557 leider immer mehr ab.

Noch hat Bova zwar nicht alle Planeten des Sonnensystems beehrt, aber auch vor kleineren Planetoiden macht er nicht Halt: Dem Asteroidengürtel ist sogar ein auf drei Bände angelegter Minizyklus in der „Grand Tour“ gewidmet, dessen Auftakt „Der Asteroidenkrieg“ ist.

_Not macht erfinderisch_

Irgendwann im 21. Jahrhundert geht es der Menschheit an den Kragen: Zusätzlich zur Klimakatastrophe, die sich in Überschwemmungskatastrophen äußert, die bereits weite Teile der uns bekannten Welt unter Wasser gesetzt haben, kommt ein chronischer Mangel an Energie und Rohstoffen. Das Verhältnis zu den Mondkolonien ist gespannt, die Regierungen der Erde stehen modernen Technologien wie der Nanotechnologie ablehnend gegenüber und sind mehr damit beschäftigt, ihre eigenen Pfründe zu sichern, anstatt sich um die Zukunft der Menschheit zu sorgen.

Der Raumfahrtunternehmer Dan Randolph ist ein Visionär und Idealist, der die Lösung dieser Probleme im Erzreichtum des Asteroidengürtels sieht. Nur leider gibt es noch keine Antriebe, die eine effiziente Nutzung der dortigen Ressourcen ermöglichen würden. Randolph ist gezwungen, ein Zweckbündnis mit dem schmierigen Magnaten Martin Humphries zu schließen: Ein neuartiger Fusionsantrieb und geächtete Nanotechnologie würden erstmals die Möglichkeit eröffnen, seinen Plan in die Realität umzusetzen.

Im Gegensatz zu Randolph ist sein Partner jedoch kein Wohltäter, sondern ein Schwein. Randolph möchte persönlich an der Reise zu den Asteroiden teilnehmen – für Humphries die Gelegenheit, ihm eine tödliche Falle zu stellen und sich im Falle seines tragischen Ablebens Randolphs Firma |Astro Manufacturing| einzuverleiben … ohne Macht und Reichtum teilen zu müssen.

_Weltraummüll_

Eine vielversprechende Story – zudem mit einem verkaufskräftigen Titel und einem wirklich sehr schönen, thematisch passenden Titelbild von [Thomas Thiemeyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=25 versehen.

Begeisterung kann dennoch nicht aufkommen – dafür Entsetzen. Das kommerzielle Szenario ist für Bova-Kenner nichts Neues, neue Ideen gingen ihm offenkundig bereits schon auf halber Strecke zwischen Mars und Jupiter aus. Der Idealist und Menschenfreund sowie der korrupte Kapitalist, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, sind nur einige der vielen Klischees, die Bova bis zur Neige ausschöpft. So sind die beiden Pilotinnen der Starpower I vermutlich aus einer Trash-SciFi-Parodie entlehnt: Die flachbrüstige Farbige Pancho Lane, eine der Hauptfiguren des Romans, mit dem Charme und der Sturheit eines Terriers, sowie die dumpfbackige Amanda, kurz Mandy, die mit Raumanzug sprengender Oberweite als ihr intellektueller Gegenpol und Lustobjekt nahezu aller männlichen Figuren fungiert.

Derartig abgeschmackte Konstruktionen hätte man nicht einmal im Jahre 1960 als Groschenheft veröffentlichen können, zumal sie sich mit dem sonst eher ernsten und fundierten Hintergründen des Romans beißen; Bova ist als Vertreter realitätsnaher SF bekannt und schreibt auch dementsprechend. Doch um an einigen Stellen die Handlung voranzutreiben, fiel Bova nichts Besseres ein, als Pancho Lane einen Unsichtbarkeitsanzug zur Verfügung zu stellen, mit dem sie nach Belieben spionieren kann. Zu allem Überfluss wird er ihr von einem guten Kumpel geliehen – wie praktisch. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, verliebt sich Fiesling Humphries in Mandys Kurven und entwickelt Heiratsgelüste – doch fatalerweise will sie unbedingt das sabotierte Raumschiff zum Asteroidengürtel steuern. Von der armen Wissenschaftlerin, deren Nanobots von Humphries als Waffe missbraucht werden, obwohl sie doch aller Welt den Nutzen dieser segensbringenden Technologie zeigen will, möchte ich gar nicht erst reden. Nur so viel: Humphries erpresst sie mit dem Leben ihrer Enkel auf der Erde …

Leider stellen diese Plattheiten den Großteil der Handlung dar. Glänzen kann Bova gelegentlich mit seinem Sachverstand und Wissen, zum Beispiel wie das Leben in Mondstädten aussehen könnte. Anstelle hier jedoch zu punkten und zu faszinieren, reduziert Bova diesen Teil auf ein Minimum. Stattdessen nimmt ein notgeiler Zollbeamter, der Mandy gerne ausgiebig kontrolliert und grundsätzlich jede Frau zum Essen einlädt, den größten Teil der Handlung auf dem Mond ein. Das soll vermutlich der sonst ziemlich faden, sich dahinziehenden Handlung ohne jegliche Spannungselemente Würze verleihen. Anstatt ausgeklügelte Konzernintrigen zu bieten, blamiert sich Bova mit erschütternd naiven Konstruktionen. Durch die Ermordung des Mehrheitseigners möchte Humphries eine ganze Firma schlucken. Man sollte keine weiterführenden Erklärungen erwarten, wie das gehen soll, weder Bova noch Humphries scheinen sich darüber weitere Gedanken gemacht zu haben, zumal Bova selbst am Ende des Romans zeigt, wie blauäugig Humphries Plan ist.

_SciFi oder Trash?_

Was ist nur in Bova gefahren. Derartig altbackene Storys lieferten nicht einmal genrefremde Notbehelfs-Autoren in den zahllosen gefloppten SF-Serien der 60er Jahre. Selbst diese hätten es jedoch nicht geschafft oder gewagt, ein Minimum an Handlung ohne jeglichen Spannungsbogen auf 461 Seiten aufzublasen.

Scheinbar fiel auch Bova auf, wie blutleer und hölzern sich seine Asteroidenexpedition liest. Sie im Jahr 2003/4 mit derart veralteten Klischees „aufzupeppen“, ging jedoch gehörig daneben. Es bleibt die Frage, worüber Bova in den folgenden beiden Bänden des Minizyklus schreiben wird. Bereits in diesem Roman geizte er mit seinen sonstigen Stärken und demonstrierte bei allem Respekt vor den interessanten Thematiken Asteroidenbergbau und der Macht großer Konzerne in der Zukunft eine erschreckende Ideenlosigkeit; man könnte fast meinen, es fehle ihm an Motivation. Für peinlichste Banalitäten ist er sich dagegen nicht zu schade. Die Übersetzung ist gelegentlich sehr holprig, die unterirdische Qualität vieler Dialoge möchte ich jedoch eher dem Autor anlasten.

An diesen Roman wurden leider sowohl ein wunderbares Titelbild als auch eine vielversprechende Thematik vollkommen verschwendet.

Homepage von Ben Bova:

Ben Bova

Dan Brown – Diabolus

Dan Browns Kirchen-Thriller „Illuminati“ und „Sakrileg“ platzieren sich beständig an der Spitze internationaler Bestsellerlisten. Die immense Popularität dieser Romane zeigt sich auch in der für 2006 mit internationalen Stars wie Tom Hanks, Jean Reno und Audrey Tautou geplanten Verfilmung von „Sakrileg“. Bis zum Erscheinen seines nächsten Buches, Thema sind diesmal die Freimaurer, dürfte noch einige Zeit vergehen. Brown selbst gibt an, er wäre noch nicht weit genug fortgeschritten, um einen Termin nennen zu können.

Grund genug für den |Lübbe|-Verlag, Browns damals nur mäßig erfolgreiches Erstlingswerk „Digital Fortress“ unter dem deutschen Titel „Diabolus“ auf den Markt zu bringen.

_Wer überwacht die Wächter?_

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Lustbader, Eric Van – dunkle Orden, der

Mit „Der dunkle Orden“ schließt Eric Van Lustbader seinen dreiteiligen Fantasyzyklus um die magische Welt Kundala ab, die von den hochtechnisierten V’ornn überfallen und unterjocht wurde.

Lustbader hat eine komplexe Welt voller Gegensätze geschaffen; was im ersten Band [„Der Ring der Drachen“ 254 noch ein stark an Herberts |Dune|-Zyklus angelehntes Werk war, entwickelt sich im Folgeband „Das Tor der Tränen“ zu einem Kampf der Kontrahenten innerhalb der eigenen Reihen. Mit den Dämonen Kundalas, die in die Welt drängen, kommt noch eine weitere Partei ins Spiel.

So brodelt es in den Reihen der V’ornn, als die niedere Kriegerkaste der Khagggun von den neuen Machthabern, der Familie Stogggul, in den Rang einer Hohen Kaste erhoben wird. Die Flottengeneräle bekämpfen sich untereinander, während der Widerstand der Kundalan zersplittert und uneinig ist. Doch auch in religiöser Hinsicht ist Konfliktstoff gegeben, die Ramahan (Priester/Zauberer) der Göttin Miina sind bereits kurz nach der Invasion der V’ornn von ihrem Glauben abgefallen und geben sich der Schwarztraumzauberei Kyofu hin.

Doch wie passt die höchste Kaste der V’ornn – die geheimnisvollen Gyrgonen, mit Technologie ausgestattet, deren Möglichkeiten weit über der normaler V’ornn steht und an Magie grenzt – in dieses Bild? Sie sehen in der Magie Kundalas den letzten Weg, um der drohenden Vernichtung durch die ominösen „Centophennni“ zu entgehen. Magie ist ihnen unbegreiflich, aber vielleicht der einzige Weg, um die Geheimnisse der Goronenpartikel zu meistern, die als Waffe verwendet mächtiger sind als alles, was die V’ornn zur Verteidigung aufbieten können.

Gleichberechtigung und Emanzipation spielen ebenfalls eine große Rolle; so laufen viele V’ornn-Frauen aus der niederen Kaste der Tuskugggun (Heim, Kinder und Herd …) zum kundalanischen Widerstand über, unter ihnen auch Marethyn, die Schwester des neuen, besonders grausamen Herrschers der V’ornn auf Kundala, Kurgan Stogggul. Seine Sippe hat die gegenüber den Kundalan allzu freundliche Familie Ashera abgelöst und ausgelöscht. Bis auf seinen Jugendfreund Annon …

Dieser ist ein V’ornn/Kundalan-Mischling, Sohn des ermordeten Königs Eleusis Ashera und seiner kundalanischen Konkubine Giyan. Bei ihm drängt sich die Assoziation zu „Dune“ geradezu auf, denn ähnlich wie Paul Atreides ist er der ersehnte Messias, Retter Kundalas. Als der Dar Sala-at soll er Miinas heiligen Drachen Seelin befreien, die „Perle“ Miinas in seinen Besitz bringen und die V’ornn von Kundala vertreiben. Zum besseren Verständnis sei erwähnt: Annon wurde bereits im ersten Band umgebracht und gilt als tot – sein Geist teilt sich den Körper mit dem der Kundalan Riane, er wurde also körperlich in eine Frau umgewandelt. Das schafft eine ganze Menge Probleme, denn er liebt die Kundalan Eleana, die zudem sein grausamer „Freund“ Kurgan bereits im ersten Band vergewaltigt und geschwängert hat.

Auf eine Aufzählung der zahlreichen, schillernden Nebencharaktere, wie den später zum Nawatir, Kämpfer der Göttin Miina, umfunktionierten Truppkommandeur Rekkk Hacilar, der auch Annon zuerst einmal getötet hat (dies erinnert ein wenig an die Geschichte um Jesus und den Legionär, der ihm den Speer in die Seite rammte), möchte ich hier verzichten. Die von Lustbader geschaffene Welt ist unheimlich komplex, bevölkert von zahllosen interessanten Charakteren und spielt mit den gelungenen Kontrasten zwischen verschiedenen Arten der Magie bis hin zur Nekromantie, Genetik und modernster Technologie.

Daraus kann man eine eindeutige Empfehlung ableiten: Obwohl es ein Glossar gibt, ist dieses wenig hilfreich, zu komplex sind die Zusammenhänge, zudem ist es lieblos und unvollständig – ein Einstieg muss zwingender denn in vielen anderen Serien mit dem ersten Band „Der Ring der Drachen“ erfolgen.

Was bietet nun der letzte, abschließende Band dieses wilden Mixes aus Horror, Fantasy und SciFi?

Zuerst kommt die Erkenntnis, dass das anfänglich so sehr an Dune angelehnte Szenario sich vollständig eigenständig entwickelt hat und innovative neue Ideen bietet; die lebhafte Welt Kundala ist Lustbader ob und gerade wegen ihrer Gegensätze einfach perfekt gelungen. Die Chance, bei einem Mix dreier Genres literarischen Schiffbruch zu erleiden, ist nicht gerade gering, und an einigen Untiefen kommt auch Lustbader nicht vorbei: Er fordert einen für Neues offenen Leser, der konzentriert liest. Denn einfach zu konsumieren ist sein Zyklus nicht.

Die Vielfalt hat auch ihren Preis. So wimmelt es nur so von ständig neuen Handlungssträngen und Nebenhandlungen, die leider oft nicht abgeschlossen oder abgewürgt werden. Das hohe Erzähltempo und häufige Wechsel der Bezugsperson der Erzählung führen oft auch zu einer sehr subjektiven Sicht der Welt, in der Charaktere hervorgehoben werden, die Umgebung aber bestenfalls skizziert wird, was ich allerdings nicht als negativ empfunden habe.

Leider verliert sich so auch ein wenig der Faden, es gibt keine eigentliche Hauptfigur, wie man es ob der Rolle Annons/Rianes annehmen könnte. Der abschließende Band tröpfelt anfangs vor sich hin, man weiß nicht im Geringsten wie es weitergehen soll, plötzliche Sprünge eröffnen dann neue Perspektiven. Dies ist ähnlich ärgerlich wie die bereits im zweiten Band aufgetretenen „Deus ex Machina“-Effekte. Lustbaders Handlungsführung weist hier erhebliche Defizite auf, die erste Hälfte des Buches ist dadurch ein zäher, orientierungsloser Brocken, der nicht gefallen kann.

Das letzte Drittel ist dafür actionreich und spannend – leider ist das Ende bitter enttäuschend. Vieles bleibt ungelöst, es gibt keinen krönenden Abschluss, man glaubt kaum, dass das Buch hier endet. Ob man hier Lustbader zu einer Trilogie genötigt hat? Komplexe Serien haben oft Schwierigkeiten, zu einem guten Ende zu kommen … hier aber drängt sich der Eindruck einer erzwungenen Raffung auf. Das würde auch die zunehmenden Sprünge und Unglaubwürdigkeiten besser erklären. So scheint die Dreiecksaffäre zwischen dem Nawatir, der ihn verschmähenden Giyan und der ihn liebenden Inggres arg gekürzt worden zu sein, sie ist oberflächlich und endet plötzlich. Dasselbe gilt für die Dämonen, die den zweiten Band dominierten und sich seitdem wohl nicht mehr aus der Hölle getraut haben.

Annon/Rianes und Eleanas Beziehung sowie die in diesem Band erfolgende Metamorphose Kurgans haben allesamt einen Ende-offen-Charakter, noch wird Kundala befreit im klassischen Sinne.

_Fazit:_ Es ist schade, wie dieser faszinierende Zyklus endet. Ist er am Ende an seiner überbordenden Komplexität gescheitert oder auf Drängen des Verlages, der die Saga in drei statt fünf Bänden abgeschlossen sehen wollte? Zumindest wurden diese drei Bände in der sehr gut gelungenen deutschen Übersetzung nicht wie so oft üblich gesplittet.

Dieser Zyklus ist faszinierend – aber die wunderschöne Welt, die Lustbader geschaffen hat, leidet am Ende unter zu vielen offenen Handlungssträngen, zu vielen Charakteren und fehlendem roten Faden. Schade! Diese Fantasywelt hatte so viel Potenzial, leider enttäuscht und verärgert sie mit diesem Finale. Wer von Standard-Fantasy oder SciFi gelangweilt ist, wird sie dennoch lieben. Allen anderen kann ich aufgrund der genannten Defizite nur abraten.

Hoffnung besteht dennoch: Das kann nicht das Ende sein – vielleicht folgt ja eine zweite Trilogie, welche die Handlung fortführt, die vielen offenen Fragen klärt und einem nicht das Gefühl gibt, mittendrin aufzuhören!

Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Der junge Miles

Für den Sohn des ehemaligen Regenten des Kaiserreichs Barrayar sollte es kein Problem sein, an der Offiziersakademie aufgenommen zu werden. Doch nicht an Beziehungen oder gar Geist mangelt es Miles Vorkosigan, nein, er ist ein eineinhalb Meter großer, eher hässlicher, verkrüppelter Zwerg mit brüchigen Knochen, die keiner Belastung standhalten – die Folge eines Soltoxin-Attentats auf seine Mutter während der Schwangerschaft.

Beim knallharten Hindernislauf, Voraussetzung für die Aufnahme, bricht sich Miles wie schon so oft mehrere Knochen – damit ist seine militärische Laufbahn beendet, noch bevor sie begonnen hat. Seinem ultrakonservativen Großvater Piotr bricht er damit das Herz, der alte Mann stirbt kurze Zeit später.

Doch Miles Stunde ist noch nicht gekommen – dieses Buch ist die Geschichte seines Aufstiegs vom gescheiterten Offiziersanwärter zum gewitzten Söldnerführer Admiral Naismith.

_Klein, hässlich, charmant, erfolgreich …_

Mit Miles Vorkosigan führt Lois McMaster Bujold die schillerndste Figur ihres preisgekrönten Barrayar-Zyklus ein, der in komplett überarbeiteter Neuauflage bei |Heyne| erscheint. Der erste Sammelband der Neuauflage, [„Barrayar – Cordelias Ehre“, 865 enthielt bereits den mit dem |Hugo Award| ausgezeichneten Roman „Barrayar“ sowie „Scherben der Ehre“, in dem die Vorgeschichte dieser für eine Space-Opera ungewöhnlichen Heldenfigur geschildert wird.

„Der junge Miles“ enthält die Romane „Der Kadett“ und „Der Prinz und der Söldner“ – Letzterer wurde 1990 mit dem |Hugo Award| ausgezeichnet. Desweiteren ist die Novelle „Die Berge der Trauer“ enthalten, die im selben Jahr mit dem Kritikerpreis |Nebula| ausgezeichnet wurde!

Damit orientiert sich |Heyne| an der tatsächlichen Chronologie des Handlungsverlaufes, nicht an den Erscheinungsdaten der Romane. Insbesondere die Aufnahme der Novelle „Die Berge der Trauer“ in diesen Sammelband ist lobenswert, bisher konnte man sie nur außerhalb der Reihe in einem Sammelband erhalten. Damit stellt die Neuauflage die perfekte Gelegenheit dar, den kompletten Barrayar-Zyklus zu lesen – chronologisch geordnet und vollständig.

_Was macht den Barrayar-Zyklus besser als andere Space-Operas?_

Barrayar spielt in ferner Zukunft, die Menschheit beherrscht bereits die überlichtschnelle Raumfahrt, Wurmlöcher dienen als Sprungtore in ferne Sonnensysteme. Viele kleine Sternenreiche stehen im permanenten Konflikt, insbesondere um strategisch und wirtschaftlich bedeutsame Systeme mit vielen Wurmlöchern. Die Gesellschaft des technologisch und kulturell leicht rückständigen Kaiserreichs Barrayar erinnert an einen Mix aus dem Zarentum der Romanovs (die Adelskaste der „Vor“ stellt Offiziere und Regierung, der Kaisertitel ist erblich) und Stalinismus, dank Politoffizieren und ausgeprägtem Geheimdienstapparat. Der berechtigte Ruf der Grausamkeit eilt den Barrayanern voraus, insbesondere mit dem Nachbarreich Cetaganda und der kleineren Beta-Kolonie kommt es schon nahezu traditionell zu blutigen Gefechten.

Miles ist der lebende Gegensatz zu der militaristischen, konservativen und traditionellen Gesellschaft Barrayars, in der für ihn kein Platz ist – dabei braucht gerade sie seinen Witz, um in einer Zeit des Umbruchs und der Reformen zu bestehen.

_“Der Kadett“_ zeigt uns Miles freche, witzige Art. Thomas Manns Hochstapler Felix Krull könnte es nicht besser, gegen Miles Eskapaden sind seine Gaunereien kleine Fische. Als Söldner Miles‘ mit einer illustren Crew bemanntes Raumschiff, die vom psychopathischen Leibwächter bis hin zum barrayanischen Deserteur reicht, überprüfen, beschließen sie anstelle des Piloten wie sonst üblich doch eher die schöne Elena Bothari als Faustpfand an Bord zu nehmen …

Nun möchte ich nicht zu viel verraten, aber nicht nur werden diese Söldner überwältigt, nein, Miles gibt sich selbst als Söldnerhauptmann aus, „Admiral Naismith“ von den „Dendarii-Söldnern“ ist geboren. Diese nicht-existente Truppe wird bis zum Ende des Romans auf über 3.000 Mann anschwellen, gestandene Söldnergeneräle treten in die Dienste der Dendarii und ordnen sich Admiral Naismith unter. Zuhause auf Barrayar sorgt dies für Aufruhr, man will Miles Vater vorwerfen, sein Sohn stelle eine Söldnerarmee auf, was dem Gesetze nach nicht erlaubt ist und mit dem Tode bestraft werden muss.

Für Unterhaltung ist gesorgt. Gibt es mit Miles‘ Freund, Ivan Vorpatril, dem Offizier und Sunnyboy, sowie anderen Charakteren viel zu lachen und zu schmunzeln, mischen sich auch tragische Elemente in dieses Drama. Elena weiß nichts von ihrer Herkunft, sie ist das Produkt einer Vergewaltigung, die ihr Vater damals im Krieg gegen Escobar begangen hat. In diesem Band kommt es zur Konfrontation Elenas mit der Wahrheit – und der ihres Vaters, Sergeant Bothari, mit ihrer Mutter, die er auf eine absurde und abartige Weise liebt. Diese Zusammenhänge werden zwar erwähnt, jedoch erschließen sie sich nur Kennern des ersten Barrayar-Sammelbandes zur Gänze.

In _“Die Berge der Trauer“_ muss sich Miles seinen ganz persönlichen Problemen stellen. In den rückständigen Gebieten Barrayars werden missgebildete Kinder nach wie vor getötet (Barrayar erlebte einen Atomkrieg, mutierte Neugeborene wurden in der Vergangenheit bereits bei der Geburt beseitigt). Eine junge Mutter bittet Graf Vorkosigan um Gerechtigkeit, sie vermutet, ihr Mann habe ihr Kind wegen seiner Hasenscharte getötet. Miles soll Gerechtigkeit sprechen und den Täter finden.

Diese Novelle wurde mit dem |Nebula Award| ausgezeichnet. Was mich etwas verwundert, denn außer ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten des sonst so tragisch-komischen Lebens von Miles zu werfen, konnte ich in ihr keine Moral, keinerlei Lösungsvorschlag oder dergleichen erkennen. Auch hat sich die Amerikanerin Bujold um ein Thema gedrückt, welches in den USA ziemlich heikel ist: Aberglaube darf vorkommen, aber Kritik an kirchlichen Dogmen oder jeglicher Hinweis auf Religion fehlen interessanterweise. Das betrifft nicht nur diesen Roman, in der Zukunft des Barrayar-Universums wird wohl keinerlei Gottheit mehr angebetet. So umgeht man Probleme und bleibt politisch korrekt. Die Geschichte ist tragisch und rührend, charakterisiert Miles und seine Probleme mit einer Gesellschaft, die bereits leicht Behinderte als minderwertig erachtet und ablehnt. Ich hätte mir dennoch etwas mehr erhofft.

In _“Der Prinz und der Söldner“_ wird Miles als Absolvent der Offiziersakademie zum Dienst auf einer in arktischer Ödnis gelegenen Station verdonnert, er soll lernen, sich unterzuordnen. Doch natürlich kommt es zum Eklat mit dem kommandierenden Offizier, Miles gerät in die Bredouille und wird nur dank des Einflusses seines Vaters vor dem Militärgericht gerettet. Seine Karriere in der Flotte ist damit so gut wie ruiniert – doch man sieht eine Chance beim Geheimdienst für Miles …

Die Dendarii-Söldner wurden mittlerweile von einem der alten Söldneroffiziere übernommen, die Miles lange Abwesenheit ausgenutzt haben. Zusammen mit einem vorgesetzten Offizier des Sicherheitsdienstes soll Miles sich der Sache annehmen. Doch wie soll man es anders erwarten – bald überschlagen sich die Ereignisse: Ein Krieg zwischen Vervain, Cetaganda und Barrayar droht, eine gewitzte Söldnerkommandeurin verursacht Miles einiges Kopfzerbrechen und der Kaiser Barrayars, Miles Jugendfreund Gregor, ist ebenfalls „abhanden“ gekommen und wird von seinem eigenen Sicherheitsdienst gesucht.

Eine komplizierte, vertrackte Geschichte, in der Miles ein ums andere Mal seine Schlagfertigkeit und Gewitztheit unter Beweis stellen kann. Die sich entwickelnde Handlung ist einfach atemberaubend und wurde demzufolge zu Recht auch mit dem |Hugo Award| ausgezeichnet. Action, Romantik, Humor – diese Geschichte hat alles.

_Ein Muss für Fans leichter SciFi-Lektüre_

Obwohl die |Barrayar|-Romane in erster Linie auf Unterhaltung ausgelegt sind, enthalten sie doch viele tragisch-komische Elemente, die sie von anderen, bierernsten und klischeehaften Space-Operas oder billig-kitschigen Persiflagen abhebt. Diese Ausgabe ist sehr empfehlenswert, Übersetzungsfehler früherer Ausgaben wurden weitgehend korrigiert, eine Karte sowie ein recht aufschlussreiches Nachwort der Autorin, die zentrale Figur ihrer Romane, Miles, betreffend, wurden beigefügt.

Vielleicht ist es die bittere Note der Komödie, die Miles so sympathisch macht. Er ist von vorneherein ein Loser, eine ganze Welt steht gegen ihn, und dennoch setzt er sich mit Witz und Finesse durch, und wir freuen uns mit ihm. Aber nicht alles gelingt Miles, in der Liebe zu der wunderschönen Elena muss er die bittere Pille des „besten Freundes“ schlucken, und wir fühlen mit ihm. Seinen Großvater enttäuscht er wahrlich tödlich, sein Traum von einer Karriere in der Flotte geht nicht in Erfüllung – aber er findet eine neue Perspektive bei „seinen“ erfundenen Dendarii – Söldnern, die ihn geradezu verehren und sich aus einer Lüge zur Realität entwickeln.

Ich kann diesen Roman jeden SciFi-Fan nur ans Herz legen, möchte aber dennoch zum besseren Verständnis des komplexen Universums den Einstieg mit dem ersten Sammelband, [„Barrayar – Cordelias Ehre“, 865 empfehlen.

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/

Bujold, Lois McMaster – Barrayar – Cordelias Ehre

In den USA längst Kult, nun auch in Deutschland als Neuauflage: Lois McMaster Bujolds Space-Opera |Barrayar| wird von |Heyne| im Doppelpack neu aufgelegt. „Barrayar – Cordelias Ehre“ enthält die ersten beiden Romane des zehnbändigen Barrayar-Zyklus: „Scherben der Ehre“ und den mit dem |Hugo-Award| ausgezeichneten Roman „Barrayar“.

Um die Qualitäten dieses Zyklus und Lois McMaster Bujolds zu unterstreichen, sollte Folgendes nicht unerwähnt bleiben: Mit _fünf_ |Hugos|, einem |Nebula Award| (zwei, zählt man auch Novellen) und unzähligen anderen Preisen wurde die 1949 geborene amerikanische Autorin bereits ausgezeichnet. Drei |Hugos| und den |Nebula Award| brachte ihr alleine der |Barrayar|-Zyklus ein. Nebenbei bemerkt, auch im Fantasybereich ist die Autorin überaus erfolgreich, sowohl [Chalions Fluch 517 als auch „Paladin der Seelen“ (Hugo-Award-Gewinner) wurden mehrfach prämiert.

Dieser Doppelband stellt den Auftakt zu der beliebten Space-Opera dar, deren eigentlicher (Anti-)Held Miles Vorkosigan erst im nächsten Band als „Der Kadett“ (ab Februar 2005 im |Heyne|-Doppelband „Der junge Miles“) seinen Auftritt hat. Vorerst agieren seine Eltern Cordelia Naismith und Aral Vorkosigan – deren Liebesbeziehung sich von Anfang an dramatisch gestaltete …

_Captain Naismith und der Schlächter von Komarr_

|Barrayar| spielt in ferner Zukunft, die Menschheit beherrscht bereits die überlichtschnelle Raumfahrt, Wurmlöcher dienen als Sprungtore in ferne Sonnensysteme. Viele kleine Sternenreiche stehen im permanenten Konflikt, insbesondere um strategisch und wirtschaftlich bedeutsame Systeme mit vielen Wurmlöchern. Die Gesellschaft des technologisch und kulturell leicht rückständigen Kaisterreichs Barrayar erinnert an einen Mix aus dem Zarentum der Romanovs (die Adelskaste der „Vor“ stellt Offiziere und Regierung, der Kaisertitel ist erblich) und Stalinismus, dank Politoffizieren und ausgeprägtem Geheimdienstapparat. Der berechtigte Ruf der Grausamkeit eilt den Barrayanern voraus, insbesondere mit dem Nachbarreich Cetaganda und der kleineren Beta-Kolonie kommt es schon nahezu traditionell zu blutigen Gefechten.

|Scherben der Ehre|

Als Kommandantin des betanischen Erkundungskommandos muss man mit dem Unvorhergesehenen rechnen – auch mit dem Überfall einer barrayanischen Militärpatrouille. Während Cordelias Erkundungstrupp getötet wird, kann sie vorerst entkommen und ihr Schiff warnen.

Cordelia wird schließlich vom Captain der Barrayaner persönlich gefangen genommen. Aber warum ist er völlig alleine mit ihr im Dschungel und nicht an Bord seines Kreuzers? Zu ihrem Entsetzen stellt sich Aral Vorkosigan als der „Schlächter von Komarr“ heraus, der von seinem Polit-Offizier offensichtlich bewusst in Stich gelassen wurde. Auf dem Fußmarsch quer durch die Wildnis zurück zu seinem Schiff kommen sich beide näher und lernen sich schätzen. Cordelia hilft sogar dem altmodischen, ehrenhaften Aral, sein Kommando wiederzuerlangen und eine Meuterei niederzuschlagen. Trotz ihrer großen gegenseitigen Zuneigung flieht Cordelia schließlich, um ihrem Oberkommando eine Warnung zukommen zu lassen: Die Barrayaner planen eine Offensive im Escobar-System, der Krieg steht unmittelbar bevor.

|Barrayar|

Während des Krieges gegen die Barrayaner gerät Captain Naismith erneut in Gefangenschaft, diesmal allerdings in keine annähernd so angenehme. Dabei erhält sie tiefe Einblicke in die barrayanische Gesellschaft: Dynastische Streitigkeiten sind für die kriegs- und siegesgewohnten Barrayaner der eigentliche Grund für die verlustreiche Offensive im Escobar-System. In diesem perfiden Plan des Kaisers, der seinen erstgeborenen Sohn opfert, spielt der wieder in den Admiralsstand erhobene Aral Vorkosigan eine wichtige Rolle.

Trotz ihrer geheimen Kenntnisse schenkt er Cordelia im Rahmen eines Gefangenenausstauschs die Freiheit. Die sich als zweischneidiges Schwert entpuppt: Man hält sie für eine Doppelagentin, die man einer Gehirnwäsche unterzogen hat. Den Schlächter von Komarr lieben? Absurde Behauptungen über angebliche Kriegsgründe aufstellen? Offensichtlich wurde Cordelia von den Barrayanern völlig gebrochen, man steckt sie in ein Militärsanatorium und traktiert sie, bis ihr keine andere Möglichkeit als Flucht bleibt.

Auf Barrayar wird aus Captain Naismith bald Lady Vorkosigan, doch auch hier kommt das Paar nicht zur Ruhe. Aral Vorkosigan wird zum Regenten des Kaisers ernannt – und damit zur Zielscheibe für Attentäter. Bei einem missglückten Giftgas-Attentat wird zudem Cordelias ungeborenes Kind in Mitleidenschaft gezogen. Die nötige Behandlung Cordelias beschert ihrem Sohn brüchige Knochen und andere körperliche Schwächen, nur modernste Technik kann ihn überhaupt retten und in einem externen Bruttank am Leben erhalten.

Als Erbe der Vorkosigans will Arals Vater einen Krüppel nicht akzeptieren. Die feudalistische, körperbetonte Kultur der Barrayaner ist in vielerlei Hinsicht rückständig, Cordelia selbst als ehemalige Offizierin passt nicht in ihr Weltbild.

Inmitten all dieser Probleme kommt es kurz nach dem Tod des Kaisers zum Putsch: Cordelia und Aral müssen nicht nur um das Leben ihres von aller Welt verachteten, noch nicht einmal geborenen Kindes fürchten, sondern auch ihr eigenes und das des Thronerben Prinz Gregor schützen – und ihm seine Krone zurückerobern.

_Erzählkunst kontra Klischee_

Eine Frage stellt sich zwangsläufig: Wie konnte so eine Seifenoper den |Hugo Award| gewinnen? Nach wenigen Seiten finden sich die Hauptakteure sehr attraktiv, bis zur hundertsten Seite hat Aral Vorkosigan Cordelia bereits zwei schüchterne Heiratsanträge unterbreitet. Sergeant Bothari ist offenkundig ein handelsüblicher Psychopath, und während die Betaner Cordelia für eine Doppelagentin halten und vergraulen, ist es offenkundig für die Barrayaner kein Problem, sie als Ehefrau des Regenten zu akzeptieren. Eine feudale, rückständige Kriegerkultur, ein in Space-Operas häufig abgegriffenes, beliebtes Klischee, rundet das fragwürdige Bild ab.

Die Erklärung ist sehr einfach: Dafür ist alles andere mehr als gelungen. Spannung und Action werden wortwörtlich von der ersten Seite an geboten, Unwichtiges konsequent gerafft und ausgespart – Cordelias Flucht nach Barrayar und ihre Hochzeit mit Aral nehmen nur wenige Seiten ein, die Hochzeit gar nur drei Zeilen. Cordelia und Aral sind ein sympathisches, dynamisches Duo, die toughe Kommandantin und ihr ehrenhafter Adliger alter Schule erobern schnell das Herz des Lesers. Dasselbe gilt auch für Nebenfiguren wie den psychopathisch angehauchten Sergeant Bothari und andere Personen des Vorkosigan-Haushalts, die dem Leser in der Art einer Familie ans Herz wachsen.

Trotz der schnellen und handlungsorientierten Erzählung spielt ein Großteil der Handlung im psychologischen Bereich: Technik ist eher Mittel zum Zweck in Bujolds Science-Fiction. Wenn Charaktere wie Bothari auf einmal an Tiefe sowie der Konflikt zwischen Cordelia und dem alten Piotr Vorkosigan wegen Miles an Plastizität gewinnen, dann zeigt sich, was den |Barrayar|-Zyklus ausmacht: Bujolds mitreißende Erzählkunst überzeugt sowohl mit temporeicher äußerer Handlung als auch mit der spannenden Thematisierung innerer Konflikte, die nahtlos in dieselbe integriert sind.

_Es wird noch besser …_

Lois McMaster Bujold ist eine begnadete Erzählerin. Innovative, neuartige Ideen oder gar Welten schaffen ist nicht ihre Stärke. Das hat sie aber auch gar nicht nötig. Nur wenige Autoren können eine Geschichte so mitreißend und kurzweilig über fast 600 Seiten hinweg erzählen und dabei so trefflich darstellen und charakterisieren. Einmal in die Hand genommen, möchte man „Barrayar – Cordelias Ehre“ gar nicht mehr weglegen.

Gerade dass Bujold im Vergleich zu gängigen Space-Operas zwar auch Action bietet, die Handlung sich aber weitgehend im Inneren abspielt, unterscheidet |Barrayar| vom üblichen Einerlei. Vielleicht trifft aber gerade deshalb der Vorwurf der Trivialität diesen Zyklus besonders: Denn bei anderen Sagas wie |Star Wars| kommt man gar nicht erst auf die Idee, unter dem Pathos nach einem tieferen Sinn zu suchen.

Am besten vergleicht man |Barrayar| mit einem leckeren, italienischen Speiseeis an einem sonnigen Tag: Man genießt es in einem Zug. Danach ist es weg, rückstandslos verschwunden – und man möchte mehr davon.

|Heyne| lässt den Leser nicht im Stich: Mit „Der junge Miles“ ist bereits der nächste |Barrayar|-Doppelband erschienen, und mit Miles Vorkosigan betritt die wohl beliebteste Figur von Lois McMaster Bujold zusammen mit den Dendarii-Söldnern die Bühne – die Abenteuer des körperlich behinderten Miles in der ihn kontrastierenden Barrayaner-Gesellschaft erhielten ebenfalls einen |Hugo Award|. Übersetzer der gesamten Serie ist wie bei Bujold üblich Michael Morgental, hohe Qualität ist somit gewährleistet – Setzfehler früherer Ausgaben wurden zudem vollständig eliminiert.

Wer Unterhaltung sucht, findet sie im Barrayar-Universum im Übermaß!

Die offizielle Homepage der Autorin:
http://www.dendarii.com/

Isaac Asimov – Lucky Starr

Mit dem Namen Isaac Asimov (1920-1992) verbindet man in der Science-Fiction vor allem eines: Seine drei Robotergesetze sind mittlerweile legendär und auch heute noch aktuell und heiß diskutiert, wie der auf frühen Kurzgeschichten Asimovs beruhende Film I, Robot zeigt.

Ein wenig untergegangen in dem Rummel um die Robotergesetze und seine Foundation-Trilogie ist eines seiner frühesten Werke überhaupt:

Die Lucky-Starr-Serie

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Stephen King – Der Turm (Der Dunkle Turm 7)

„Der dunkle Turm“ wird von Stephen King selbst als sein Lebenswerk bezeichnet. Der erfolgreiche Autor erklärte den Ende 2004 erschienenen siebten Band „Der Turm“ zu seinem letzten großen Roman und Abschluss seines vor 22 Jahren begonnenen Turmzyklus, der als Metafiktion viele Bezüge zu anderen Werken Kings, zum Leben des Autors sowie der realen Welt herstellt.

Bereits vor dem Erscheinen des ersten Bandes, „Schwarz“ (1982), spukten die Gedanken zu der Gestalt des Roland von Gilead und die Grundlage zu seinem späteren Turmzyklus in Kings Kopf. Das 1855 von Roland Browning geschriebene Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower came“ – man findet es auf Kings Dark-Tower-Homepage ]http://www.stephenking.com/DarkTower/ – setzte dabei einen kreativen Prozess in Gang, der sich nach und nach verselbstständigte, King wob immer mehr Bezüge zu seinen Romanen und der realen Welt in die Geschichte um den dunklen Turm ein.

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