Archiv der Kategorie: Rezensionen

Robert Harris – Imperium

Nach seinem viel gepriesenen Roman „Pompeji“ setzt Robert Harris seine Linie konsequent fort. Mit „Imperium“ siedelt er die Handlung erneut im Römischen Reich an, um dort mittels einer bekannten historischen Figur einen Politik-Thriller zu konzipieren, dessen Brisanz ohne Weiteres auch auf die Gegenwart bezogen werden kann. Auch wenn viele Elemente der Handlung unter dem Schleier der Vergangenheit nicht mehr vollständig rekonstruiert werden konnten und daher von Harris dramaturgisch geschickt gefüllt wurden, stützt sich der Autor auf zahlreichen zeitgenössische Quellen. Sein Studium im Cambridge und seine langjährige journalistische Arbeit haben ihn mit akribischer, aber dafür fruchtbarer Recherche vertraut gemacht. Und sein Vorgehen zahlt sich aus, denn nach „Pompeji“ gelingt es dem Briten ein weiteres Mal, der römischen Epoche gerecht zu werden und zugleich einen spannenden Roman abzuliefern.

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Ruth Rendell – Das Verderben

Rendell Wexford Verderben Cover TB 2004 kleinJunge Frauen werden entführt, ein Kind verschwindet, ein Familientyrann wird ermordet: In einer englischen Kleinstadt schürt die Angst die Aufregung zur Lynchstimmung, während die Polizei unter Zeitdruck die wirren Tatfäden zu entwirren versucht … – Der 18. Wexford-Krimi präsentiert einen Plot, der einerseits beliebig und andererseits übertrieben wirkt; besonders logisch ist das Geschehen zudem nicht, weshalb vor allem die Routine einer erfahrenen Autorin für Lektüre-Unterhaltung sorgt.
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Brandis, Katja – Verrat der Feuer-Gilde, Der (Kampf um Daresh 1)

Die Reihe „Meister der Fantasy“ im |Ueberreuter|-Verlag verspricht Qualität. Schließlich werden hier auch die jeweiligen Gewinner des Wolfgang-Hohlbein-Preises verlegt. Katja Brandis‘ „Der Verrat der Feuer-Gilde“ muss also hohe Erwartungen erfüllen …

Bevor man den Inhalt des Buches erläutert, lohnt es sich, einen Blick auf das Land Daresh zu werfen, in dem die Geschichte spielt. Es ist eine bunte Fantasywelt mit magischen Geschöpfen, wie man sie ähnlich auch von der amerikanischen Fantasyautorin Tamora Pierce (u. a. „Die schwarze Stadt“) kennt. Da gibt es zum Beispiel Dathlas, echsenartige Reittiere, die sich bei Gefahr eingraben, und jede Menge so genannter Halbmenschen. Iltismenschen, Storchmenschen, Nattermenschen … Brandis fehlt es auf jeden Fall nicht an Fantasie.

Im Mittelpunkt des Buches stehen allerdings die vier Gilden – benannt nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft -, in denen der Großteil der Bevölkerung organisiert ist. Jede Gilde lebt unter sich und ihre Mitglieder haben jeweils bestimmte Eigenschaften, die sie dazu benutzen können, um nach einer Lehre Meistertitel verschiedenen Grades zu erwerben.

Die fünfzehnjährige Rena ke Alaak gehört zur Erd-Gilde und macht gerade eine Ausbildung bei ihrem Onkel im Weißen Wald. Eines Tages nimmt er sie mit zur Felsenburg, in der die Regentin residiert, deren Regierungsstil nicht gerade beliebt ist bei der Bevölkerung. Sie unterdrückt ihre Untertanen, und anstatt dafür zu sorgen, dass die Gilden in Frieden zusammenleben, scheint sie deren Zwistigkeiten sogar noch zu unterstützen.

Als Rena einen Streifzug durch die Felsenburg unternimmt, wird sie von einer magischen Kraft in einen Raum gelockt, wo die „Quelle“ liegt, ein weißer, unscheinbarer Stein. Doch nachdem sie ihn berührt hat, verändert sich einiges. Die Iltismenschen, die gegen ihren Willen als Diener missbraucht werden, zetteln eine Revolte an und Rena versteht die Sprachen der Halbmenschen. Um für ihre Tat nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, muss sie fliehen.

Auf ihrer Reise begegnet sie dem offenen Hass, den die einzelnen Gilden untereinander pflegen, und wird Zeugin mehrerer Gildenfehden. Um ihren lang gehegten Wunsch, Mitglied in der Feuergilde zu werden, zu erfüllen, wird sie Dienerin bei der raubeinigen Alix ke Tassos, die im Dienst ihres Rates den Spion finden soll, der die geheimen Formeln der Feuer-Gilde verbotenerweise an die Regentin weitergibt. Als ihre Mission misslingt, geht sie murrend auf Renas Vorschlag ein, vor den Räten der anderen Gilden vorzusprechen und um den Frieden zu bitten. Sie begeben sich auf eine lange Reise durch Daresh, die zuerst von Erfolg gekrönt ist, doch dann werden sie verraten …

Katja Brandis‘ Debüt ist von der ersten Seite an packend. Das hängt damit zusammen, dass sie auf einen langen, einleitenden Vorspann verzichtet und stattdessen Rena sofort ins Verderben schickt. Danach geht es Schlag auf Schlag, was dem Buch nur guttut. Es gibt kaum Verschnaufpausen. Im Gegenteil passiert am Ende so viel auf einmal, dass es beinahe ein wenig unübersichtlich wird. Doch ansonsten zieht sich ein schnurgerader Strang Spannung durch das Buch, wie man es gerne bei jedem sehen würde.

Ein weiterer, wichtiger Grund für den mitreißenden Charakter des ersten Bandes der „Kampf um Daresh“-Triologie ist das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere Rena und Alix, die zehn Jahre Altersunterschied zwischen sich haben. Während Rena das leicht naive, aber dennoch entschlossene Mädchen in der Pubertät ist, mimt Alix die raubeinige Kämpferin mit eisernem Willen und feurigem Charakter. Gegensätze ziehen sich an und nachdem Alix ihre Dienerin am Anfang nicht wirklich ernst genommen hat, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden.

Auch sonst spart Brandis nicht mit frischen Gesichtern. Eine ganze Fülle von Charakteren baut sie in ihre Geschichte ein und es ist ihr und dem Personenverzeichnis zu Gute zu halten, dass der Leser dadurch nicht verwirrt wird. Stattdessen beleben die Nebenpersonen den Roman ungemein und bringen beständig frischen Wind in die Angelegenheit. Es ist zwar nicht jede Person zu hundert Prozent perfekt ausgearbeitet, aber alle sind immerhin so gut erdacht, dass sie ihren eigenen Platz in der Geschichte haben.

Der Schreibstil ist solide, aber nicht herausragend, auch wenn Alix ein wenig trockenen Humor in die Dialoge bringt. Ansonsten erfüllen die Buchstaben ihren Zweck: Sie tragen die Geschichte und unterstützen deren packende Wirkung mit ihrer klaren, nüchternen Struktur. Anderweitig lassen sich wenig Eigenheiten ausmachen, jedoch auch keine negativen Punkte.

„Der Verrat der Feuer-Gilde“ ist ein Debüt, das sich sehen lassen kann. Figuren, Handlung und die Atmosphäre gefallen wirklich sehr, doch leider wirkt der Schreibstil recht beliebig, was verhindert, dass das Buch zur Crème de la crème gehören könnte.

http://www.piper.de

H. P. Lovecraft – Der Fall Charles Dexter Ward

lovecraft-charles-dexter-ward-cover-2006-kleinEin unvorsichtiger Privatforscher erweckt einen bösen Hexenmeister zum Leben. Der Schurke nimmt seine Stelle ein, um seinem blasphemischen Handwerk erneut nachzugehen, bis sich zwei beherzte Männer gegen das Grauen stellen … – Locker dem „Cthulhu“-Zyklus angehörend, erzählt Autor Lovecraft die bekannte aber spannende Geschichte vom Zauberlehrling, der nicht mehr los wird, was er gerufen hat. Die Geschichte enthüllt sich gekonnt pseudodokumentarisch aus alten Dokumenten, Berichten, Zeitungsartikeln etc., bis sie ihren Bogen im Finale in einem wahren Pandämonium vollendet.
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Goebel, Joey – Freaks

Bevor Joey Goebel für seinen Roman [„Vincent“ 1827 reichlich Applaus erntete, schrieb er bereits ein Drehbuch, das, umgeschrieben zum Roman „Freaks“, nun zu etwas verspäteter Ehre kommt. „Freaks“ ist ein Roman, der gleich mit dem ersten Satz bereits Punkte sammelt, steigt er doch mit einem der vermutlich besten Romananfänge der Literaturgeschichte in die Handlung ein: |“Leicht war es nicht, sechs Milliarden gebrochene Herzen auf einmal zu flicken, doch ich schaffte es.“| (S. 9)

Bei „Freaks“ ist der Name Programm. Die titelgebenden Freaks sind eine Band, zur der kaum ein Name besser passen dürfte als „The Freaks“. Eine bunter zusammengewürfelte Truppe dürfte man in noch keinem Probenraum der Welt gesehen haben.

Frontman und Sänger der Gruppe ist Luster, ein schwarzer Hobbyphilosoph und Möchtegern-Weltverbesserer. Aufgrund seiner schnellen Zunge und seines nie enden wollenden Redeschwalls sonderbaren Inhalts glauben die meisten Leute, er wäre durchgehend auf Drogen. Das mag auch schon deswegen naheliegen, weil seine Brüder stadtbekannte Dealer sind, hat mit der Realität aber nichts zu tun, denn Luster ist konsequent drogenfrei.

An den Drums sitzt die bildschöne, im Rollstuhl sitzende, 19jährige Aurora. Derzeit versucht sich die ehemalige Stripperin als Satanistin, was ihr permanentes Konfliktpotenzial in der ohnehin schon angekratzten Beziehung zu ihrem Vater, einem Pfarrer, liefert.

Gitarristin Opal zieht mit ihren 80 Jahren den Altersdurchschnitt der Band enorm nach oben. Sie will auf ihre alten Tage noch einmal richtig abrocken und fühlt sich eigentlich zu jung fürs Altersheim. Sie will noch mal richtig Spaß haben, ohne sich darum zu scheren, dass sie mit ihren Cowboystiefeln und dem Sex-Pistols-T-Shirt von den meisten Leuten ausgelacht wird.

Das krasse Gegenteil (zumindest dem Alter nach) ist Ember, die Bass spielt. Ember ist gerade einmal acht Jahre alt und damit kaum größer als ihre Bassgitarre. Auch Ember hat ein etwas gestörtes Verhältnis zu ihrer Umwelt, vor allem zu Eltern und Lehrern. Sie hasst alles und jeden, außer ihren Bandkollegen. Sie will alles sein, aber nicht süß.

Der fünfte im Bunde ist Ray, der Keyboarder. Ray ist ein irakischer Ex-Soldat, der sich nach Kentucky aufgemacht hat, um den amerikanischen Soldaten zu suchen, den er im ersten Golfkrieg verwundet hat. Ray will sich eigentlich nur entschuldigen, hat sich aber inzwischen so gut in Amerika eingelebt, dass er amerikanischer ist als so mancher Amerikaner.

Das Thema von „Freaks“ – eine kleine Band aus dem Mittleren Westen, die ihr Glück versucht – dürfte Joey Goebel aus persönlicher Erfahrung vertraut sein. Goebel, in Kentucky geboren, tourte früher mit seiner Punkrockband „The Mullets“ durch den Mittleren Westen.

Joey Goebel erzählt die Geschichte der Band aus ständig wechselnden Perspektiven. Jeder Absatz gibt in der Überschrift an, aus wessen Sicht er erzählt wird. Dabei werden auch vermeintliche Statisten zu Erzählern. Immer wieder lässt Goebel Außenstehende die Hauptfiguren beobachten – ein kleiner Kniff, um seine kuriosen Hauptfiguren auch immer wieder aus der Distanz betrachten zu können. Ihre Wirkung auf Außenstehende, ihr kurioser Eindruck, wenn sie zusammen einen Raum betreten, all das wird so besonders deutlich vermittelt.

Durch die ständigen perspektivischen Sprünge liegt dem Roman ein recht hohes Tempo zugrunde. Die Geschichte entwickelt sich mit einiger Dynamik und die perspektivischen Wechsel sorgen für eine gewisse Spannung. Teils bekommt man erst durch das Zusammensetzen der unterschiedlichen Beobachtungen und Gedanken ein vollständiges Bild der Geschehnisse, was den Reiz, der Geschichte weiter zu folgen, mit fortschreitender Seitenzahl erhöht.

Auf den ersten Blick mag „Freaks“ wie ein oberflächlicher Unterhaltungsroman erscheinen. Die Figuren wirken allesamt zu abgedreht, um realistisch zu erscheinen. Vielmehr polarisieren sie, stellen jeder für sich ein eigenes Extrem dar und erfordern auch beim Leser ein gewisses Maß an Toleranz. Wenn Goebel allerdings die Gedanken der unterschiedlichen Protagonisten schildert, dringt er tiefer in die Persönlichkeiten ein. Man kann zwar dennoch nicht gerade sagen, man würde in die Figuren eintauchen und mit ihnen fühlen können, dennoch macht Goebel ihre Motive und Gedanken größtenteils recht gut deutlich.

Das alles reicht verständlicherweise noch nicht für einen überragenden Roman, aber es gibt da noch die sprachliche Komponente, die Joey Goebel besonders auszeichnet. Auch sprachlich legt Goebel ein recht hohes Tempo vor. Er formuliert vor allem aber gewitzt und mit einer gewissen Ironie. Der Humor geht dabei gar nicht so sehr auf Kosten der Protagonisten, wie man mit Blick auf ihr Erscheinungsbild meinen möchte, sondern mehr auf Kosten ihrer Umwelt. Immer wieder kann man über komische Situationen und sonderbare Gespräche schmunzeln, die stets auch ein Stück weit den Geist der Zeit einfangen und die gesellschaftliche Situation portraitieren. Und darüber mag man den Protagonisten so manche Abgedrehtheit verzeihen.

Verglichen mit „Vincent“ wirkt „Freaks“ dennoch nicht ganz so ausgereift. Man merkt deutlich, dass „Freaks“ dem Ursprung nach ein etwas älteres Werk ist. Mit „Vincent“ hat Goebel sich schon erheblich weiterentwickelt. Mag manches an „Freaks“ noch etwas kindisch wirken, auch wenn Goebels Talent zwischendurch immer wieder zwischen den Zeilen hindurchfunkelt, so wirkt „Vincent“ eben schon ein ganzes Stück ausgegorener und zeigt wesentlich deutlicher als „Freaks“, dass Goebel ein ernstzunehmender und talentierter Autor ist, der großartige Ideen hat und diese sprachlich gelungen umsetzen kann.

Bleibt unterm Strich der Eindruck, dass „Freaks“ gegenüber „Vincent“ etwas schwächer daherkommt. Man merkt bei der Lektüre sehr schnell, dass es sich um ein früheres, nicht ganz so ausgereiftes Werk des Autors handelt. Dennoch weiß der Roman zu unterhalten. Die Figuren sind interessant, wenngleich ziemlich abgedreht, Goebels Sprache ist gewitzt und sein Erzählstil temporeich und voller spannungssteigernder Perspektivenwechsel. Alles in allem also durchaus gute Unterhaltung, obwohl man weiß, dass Goebel es eigentlich noch besser kann.

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Stuart MacBride – Die dunklen Wasser von Aberdeen

Ein perverser Kindermörder sorgt in der schottischen Stadt Aberdeen für Aufruhr. Polizist McRae ermittelt im verzweifelten Wettlauf mit der Zeit, denn der Täter wird wieder töten, während zornige Bürger zur Selbsthilfe bzw. Hexenjagd rüsten … – Auf den Spuren von Ian Rankin wandelt Stuart MacBride, der die Ekelschraube noch ein wenig schärfer anzieht als sein ‚Kollege‘ und einen zwar nicht originellen aber sauber geplotteten, spannend und mit trockenem Witz erzählten, atmosphärisch dichten und somit lesenswerten „Tartan Noir“-Thriller als Start einer neuen Reihe vorlegt.

Das geschieht:

Nach krankheitsbedingter Arbeitspause kehrt Detective Sergeant Logan McRae in den Dienst der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen zurück. Bereits am ersten Tag muss er einen grausigen Mordfall übernehmen: In einem Graben fand man den Körper des erst dreijährigen David Reid. Seit drei Monaten wurde das Kind vermisst. Sein Mörder hat ihn erdrosselt. Schlimmer noch: Er ist offensichtlich zur Leiche zurückgekehrt und hat sich „Souvenirs“ abgeschnitten.

Wie sein Chef, der aufbrausende Detective Inspector Insch, schließt McRae aus dem planvollen Vorgehen des Mörders, dass David womöglich nicht dessen erstes Opfer ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass er seine kranke Fantasie an einem weiteren Kind ausleben wird. Und tatsächlich verschwindet kurz darauf der fünfjährige Richard Erskine. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als auf einer Müllhalde eine Kinderleiche gefunden wird. Allerdings handelt es sich um den Körper eines drei- oder vierjährigen Mädchens, das niemand als vermisst gemeldet hat.

Alle Beamten der Grampian Police ermitteln intensiv in diesen Fällen von Mord und Entführung. Die Öffentlichkeit ist aufgestört, die Medien fachen den die Auflage stärkenden Volkszorn gezielt an. Auch die Politik wird aufmerksam und setzt Insch und seine Leute publicitywirksam unter Druck. McRae muss sich nicht nur um die unbekannte Kinderleiche kümmern. Man überträgt ihm auch einen Mordfall, dessen Opfer man ohne Kniescheiben aus dem Hafenbecken gezogen hat. Es handelt sich um einen engen ‚Mitarbeiter‘ des Gangsters Malcolm McLennan, genannt „Malk the Knife“, der aus Edinburgh in die Unterwelt von Aberdeen drängt. Es wird eng für die Polizei. Immer neue Verdächtige tauchen für alle Fälle auf. Nur langsam klärt sich das Durcheinander; es verschafft dem Kidnapper die Zeit, sich ein weiteres Kind zu schnappen …

Tartan Noir – etwas grobmaschiger

Breit ist der Schatten, den Ian Rankin als Krimiautor über Schottland wirft. Seit er den unvergleichlichen Inspektor John Rebus in ebenso tragische wie bizarre Fälle verwickelt, hat sich für diese nordenglische Variante des Thrillers sogar ein eigener Genrebegriff namens „Tartan Noir“ eingebürgert. Er beschreibt sehr gut ein bestimmtes literarisches Webmuster, das Rankin vorbildhaft vorexerzierte: Düstere Mordfälle geschehen in einer rauen (Stadt-) Landschaft, die von ebensolchen Bewohnern bevölkert wird. Die Stimmungs-Tonart ist (wie das Wetter) Moll, wobei die „skandinavische Tristesse“, die spätestens seit den Wallander-Romanen des Henning Mankell als Markenzeichen für den sozialkritischen europäischen Krimi der Gegenwart gilt, durch einen ruppigen, trockenen Humor angenehm gebrochen wird: Die Welt ist schlecht, aber das muss uns nicht auch noch den Leseabend verderben!

Nun tritt Stuart MacBride in Rankins Fußstapfen – die Parallelen sind unübersehbar. Sie werden vom Verfasser auch gar nicht geleugnet, sondern in einem hübschen In-Joke auf S. 421 angesprochen. „Die dunklen Wasser von Aberdeen“ liest sich wie ein Rebus-Roman, was zunächst einmal als Lob zu verstehen ist. Der Plot ist angenehm vertrackt und wird sauber entwickelt, die Ermittlungen sind spannend geschildert, die Schauplätze plastisch beschrieben, die Figuren wirken lebendig.

Und doch ist da zweierlei, das irritiert. Die Übereinstimmung zwischen Rankin und MacBride ist manchmal allzu auffällig; man spricht nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch mit derselben Zunge, wobei Rankin ‚unverdächtig‘ dasteht – John Rebus ermittelt schon seit den 1990er Jahren. (Der deutsche Goldmann Verlag unterstreicht die ‚Verwandtschaft‘ übrigens durch eine Buchgestaltung, die sich eng an die der Rankin-Bestseller anlehnt; hier sollen Leser ‚umgeleitet‘ werden.)

Brachiale Taten, gebeutelte ‚Helden‘

Zweitens missvergnügt MacBrides Versuch, sich durch noch größere Originalität in der Schilderung perverser Gewaltverbrechen zu etablieren. Der Autor setzt hier auf ein Mehr an Blut, Verwesung und Pathologen-Gemetzel. Gleichzeitig nagt er wie ein politisch unkorrekter Biber am ohnehin morschen Stamm eines Tabus: Er lässt seinen Serienmörder auf kleine Kinder los, die er als Opfer unter getreuer Schilderung aller grässlichen Details quasi instrumentalisiert. Dies wäre nicht nötig; ein Irrer, der sich an Erwachsenen vergreift, hätte es genauso getan. MacBride setzt hier unverhohlen auf den unvergleichlichen Schrecken, den das Kapitalverbrechen am ‚unschuldigen‘ Kind auslöst; ein Trick, den man übel nimmt, weil es kalkuliert wirkt.

Ist Logan McRae ein bisher unbekannt gebliebener Bruder von John Rebus? Auch hier sind die Ähnlichkeiten frappant, nur dass das Geschick dem Kollegen aus Aberdeen deutlich heftiger mitgespielt hat – ein weiteres „Mehr“, aber nicht unbedingt „Besser“, das MacBride seinem Helden angedeihen lässt. McRae ist ganz genretypisch ein guter Polizist, was von den bornierten Vorgesetzten natürlich nicht zur Kenntnis genommen wird, dazu ein sperriger Charakter, von Natur aus sogar für einen Schotten ein wenig eigenbrötlerisch, und die Kollegen meiden ihn fast abergläubisch, seit ihn – jetzt dreht MacBride mächtig an der Schicksalsschraube – ein 15-facher Frauenmörder bei einem Kampf auf Leben & Tod mit dem Messer beinahe ausweidete. „Lazarus“ nennt man ihn nun im Revier, ist er doch dem Sensenmann nur knapp entronnen und muss für den Rest seines Lebens mit Narben und Schmerzen leben.

Privat sieht es auch nicht rosig aus. Natürlich – auch hier regiert das Klischee – hat ihn die Freundin verlassen, die ihm indes – Stoff für allerhand zukünftige Verwicklungen ist garantiert – als Arbeitskollegin verbunden bleibt. McRae bläst nach Feierabend ordentlich Trübsal, schaut zu tief in die Flasche, verstrickt sich ungeschickt in perspektivenlose Liebeshändel. Glücklicherweise ist Constable Watson, McRaes Partnerin, recht bodenständig. Sie erdet den manchmal allzu sehr von seiner Inspiration mitgerissenen McRae und vermittelt darüber hinaus dem Leser pflichtschuldig die übliche Palette chauvinistischer Ungerechtigkeiten, denen auch die Polizeibeamtin von Heute ausgesetzt ist.

Debüt als Petrischale

McRaes Vorgesetzter bleibt eine prägnante Nebenrolle als großer Exzentriker. Detective Inspector Insch ist ein poltriger Dickwanst, der pausenlos Gummibärchen, Lakritz und anderen Geleekram mampft. Selbstverständlich verbirgt sich hinter dieser Fassade nicht nur ein wacher Verstand, sondern auch ein mitfühlendes Herz, sodass McRae und Insch sich in jenen Ritualen ergehen können, die in einer wahren Männerfreundschaft sentimentale Sympathiebekundungen ersetzen.

MacBride besetzt viele Rollen seines Krimis geschickt mit überzeichneten Figuren. Hart an der Grenze zum Klischee agieren abgebrühte Polizisten, wüste Ganoven, dreiste Reporter. In der doch sehr düsteren Geschichte sorgen trockene Wortwitze für notwendige humoristische Momente, ohne dadurch den Plot zu unterminieren. In diesem Punkt kann MacBride Ian Rankin übrigens mühelos das Wasser reichen, so dass der Kreis sich schließt: Dieser „Tartan Noir“ kann empfohlen werden, auch wenn er direkt am Webstuhl neben dem Original entstanden ist.

Ein Blick in die Zukunft sei an dieser Stelle gestattet: Rasch emanzipierte sich der Autor von seinem Vorbild. Die Logan-McRae-Serie fand ihr Publikum und wird bis heute regelmäßig fortgesetzt. Dabei hat MacBride seinen eigenen Weg gefunden. Die Routinen des Polizeialltags wichen mehr und mehr dem alltäglichen Irrsinn. Immer abgedrehter wurden die Figuren. MacBride wich vom Konzept des zentralen Falls ab und ließ seine Romane immer episodischer ablaufen. Im Finale werden die Fäden zusammengefasst. McRae ist wesentlich umgänglicher geworden, und seine Verletzung findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl Krimi-Puristen murren, kann diesen Romanen weder Spannung noch Unterhaltungswert abgesprochen werden: Logan McRae hat sich freigeschwommen, und wie es aussieht, wird er den Kopf noch eine ganze Weile über den Wasser von Aberdeen & Co. halten können!

Autor

Stuart MacBride wurde am 27. Februar 1969 im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Cold Granite (London : HarperCollins UK 2005)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2006 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46165)
Übersetzung: Andreas Jäger

eBook: 1310 KB
ISBN-13: 978-3-641-12238-6
http://www.randomhouse.de/goldmann

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Kent, Christobel – Ein Sommer in Ligurien

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …

|Interessante Charaktere|

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.

Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.

Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

|Psychogramm und Krimi|

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.

In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …

|Kleine Schwächen|

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.

Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.

Diverse – Robin Hood (Europa-Originale 20)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Robin Hood – Rudolf H. Herget
Graf Locksley – Herbert A. E. Böhme
Bruder Tuck – Horst Beck
Little John – Michael Weckler
Guy von Gispert – Christoph Rudolf
Wirtin – Katharina Brauren
Sheriff – Claus Wagener
Sänger Alan – Konrad Halver
Prinz Johann – Peter von Schultz
Richard Löwenherz – Edgar Maschmann

Regie: Heikedine Körting

_Story_

Während König Richard Löwenherz zu den Kreuzzügen ins Heilige Land aufgebrochen ist, häufen sich in seiner Heimat die Missstände. Der Sheriff von Nottingham hat das Zepter in die Hand genommen und sieht sich schon als künftigen König. Ohne jegliche Bestimmung regiert der normannische Anführer das Land und quält diejenigen Einwohner, die sich seinem Machtstreben widersetzen. Einer von ihnen ist der junge Robin von Loxley, der dem Sheriff zum ersten Mal „ins Auge sticht“, als er eine kleine Garnison seiner Männer im Wald überwältigt.

Kurzerhand wird der stolze Betrag von einhundert britischen Pfund auf Robins Kopf ausgesetzt, um dem Burschen sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Robin ist flinker, so dass man stattdessen das Anwesen seines Vaters angreift, der dabei ums Leben kommt. Von diesem Punkt an schwört der junge Loxley Rache.

Im Sherwood Forest findet er neue Verbündete, mit denen er permanent die Schergen des Sheriffs beraubt, und wird so zum größten Erzfeind des inoffiziellen Machthabers. Ständig ist der mit Pfeil und Bogen bewaffnete, schmächtige Mann aus dem Wald den Häschern und Jägern seines Gegners einen Schritt voraus und bringt den gemeinen Sheriff dabei fast zur Weißglut. Doch werden Robin und seine Gefolgsleute den Normannen auch so lange standhalten können, bis der König von den Kreuzzügen zurückkehrt? Als dem berüchtigten Anführer der sächsischen Aufrührer die öffentliche Hinrichtung droht, sieht es nämlich gar nicht mehr so gut aus …

_Meine Meinung_

Die Geschichte von „Robin Hood“ ist eigentlich hinlänglich bekannt und wurde auch gleich mehrmals verfilmt. Die bekannteste Adaption ist sicherlich das Werk „Robin Hood – König der Diebe“ mit einem damals noch absolut überzeugenden Kevin Costner in der Hauptrolle. Aber auch im Trickfilmbereich ist der junge Bogenschütze aus dem Sherwood Forest längst kein Unbekannter mehr und begeistert schon seit mehreren Generationen ein junges Publikum.

Eine ganze Weile vorher gab es „Robin Hood“ auch schon als Hörspiel beim |Europa|-Verlag, genauer gesagt im Jahre 1971. Und genauso wie die vielen verschiedenen Fassungen dieser legendären Geschichte aus dem Großbritannien zu Zeiten der Kreuzzüge, so setzt auch dieses Hörspiel, welches unlängst in der Reihe „Europa – Die Originale“ neu aufgelegt wurde, andere Schwerpunkte. Vor allem die Vorgeschichte und Robins Ambitionen, als Hüter der Gerechtigkeit aufzutreten, werden hier etwas ausführlicher beleuchtet, jedoch auch anders dargestellt. Wird der junge Loxley an anderer Stelle selber noch als Ritter des Königs beschrieben, so wird er hier als vorlauter Jüngling, der noch unter der Obhut seines Vaters lebt, vorgestellt. Und Letztgenannter kommt dementsprechend auch noch zu Wort und empfiehlt seinem Sohn, sich schnellstens von seinem Anwesen zu entfernen, denn er ahnt schon, dass sein erster unfreundlicher Kontakt mit den Bekannten des Sheriffs schlimme Folgen haben wird.

Natürlich aber nimmt die Geschichte erst richtig Fahrt auf, als Robin sich nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit Bruder Tuc und Little John gegen den offensichtlichen Feind ihres geliebten Königs stellt und diesen mit vielen Verbündeten mehr als nur einmal ärgert. Selbst die gemeinen Meuchelmörder, die man auf ihn ansetzt, kann Robin problemlos überwältigen, und wenn er selber dann mal in die Bredouille gerät, helfen ihm seine Freunde aus dem Wald, die für ihren jungen Anführer stets ihr Leben lassen würden. Und so sorgt Loxley nicht nur im Sherwood Forest, sondern nach einiger Zeit schon in ganz England für Aufsehen – und wird nicht nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen, sondern auch im Heiligen Land, wo sein König schon seit Jahren im Krieg steht, zur Legende.

Im Gegensatz zum Kinospektakel aus den Neunzigern, welches ja zu einem wesentlichen Teil auch auf den Action-Szenen beruhte, setzt das klassische Hörspiel in erster Linie auf Humor und zielt so vornehmlich auf ein jugendliches Publikum, bietet aber andererseits auch schöne Unterhaltung für die gesamte Familie – was sicherlich in dieser Form auch bezweckt war. Und das Ganze macht auch wirklich sehr viel Spaß, denn die Sprecher erledigen einen hervorragenden Job, die kurzen Musikstücke passen sich dem Geschehen wunderbar an und die Geschichte ist trotz einer Spielzeit von gerade einmal 35 Minuten wirklich sehr schön und spannend aufgebaut. Lediglich die für Hörspiele gar nicht so unübliche Tatsache, dass jede Aktion von den beistehenden Personen etwas aufgesetzt erstaunt beschrieben wird, sprich das nicht Sichtbare, jedoch Offensichtliche noch einmal großartig in Worte gekleidet wird, gerät etwas störend. Aber im Großen und Ganzen geht auch das in Ordnung.

Letztendlich wird der Klassiker seinem Status so auch vollends gerecht. Hinzukommt, dass die Hörspiel-Fassung einen sehr eigenständigen Ansatz verfolgt und viele Hintergründe dieser Geschichte, bewusst oder unbewusst, von einer anderen, sehr interessanten Seite beleuchtet. Insofern ist „Robin Hood“ auch ein würdiger Abschluss der zweiten Staffel von „Europa – Die Originale“ und auch in der Kürze der Zeit ein absolutes Hörvergnügen.

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McGarry, Terry – Zauberin des Lichts

Liath hat gerade ihre Prüfung bestanden und ihre [Triskele]http://de.wikipedia.org/wiki/Triskele erhalten. Als sie jedoch helfen soll, einen verletzten jungen Mann zu heilen, versagt sie kläglich. Zutiefst erschrocken über diese Blockade, macht Liath sich zusammen mit einem Boten der Ennead auf den Weg zur Feste. Sie hofft, dass die Ennead, die obersten Magier Eiden Myrs, ihr helfen können. Aber auch ihnen gelingt es nicht, die Blockade zu durchbrechen! Deshalb schicken sie Liath auf die Suche nach Torrin, dem Magier mit dem hellsten, mächtigsten Licht. Nur mit Hilfe seiner Macht, so sagen sie, kann Liath geheilt werden. Die Suche ist allerdings eine gefährliche Angelegenheit, denn Torrin ist ein Schwarzmagier und wird Liath nicht freiwillig in die Feste folgen. Dennoch macht Liath sich auf den Weg. Schon bald muss sie feststellen, dass die wirkliche Gefahr nicht dort lauert, wo sie diese erwartet …

Liath ist nicht unbedingt naiv. Aber aufgrund ihrer Erziehung zur Illuminatorin ist sie fest verankert in der Weltsicht und Lebensweise, die Eiden Myr seit Jahrhunderten prägen. Deshalb, und weil man sie vor der versilberten Zunge des Schwarzmagiers gewarnt hat, wehrt sie sich mit aller Macht dagegen, sich „umdrehen“ zu lassen. Dennoch geht ihre Wanderschaft nicht spurlos an ihr vorüber. Obwohl sie das Töten verabscheut, erlernt sie den Schwertkampf. Um zu überleben, lernt sie zu lügen. Am Ende des Buches, nach vielen Verlusten und grausamen Schmerzen, ist sie eine ernüchterte und vernarbte Frau.

Heff, ihr Wandergefährte, ist bereits vor ihr gezeichnet. Ein Brand hat ihn entstellt, er kann nicht mehr sprechen. Liath scheint die Einzige zu sein, die seine Gesten versteht. Heff beschließt, sie zu beschützen, und folgt ihr überall hin. Nur die Feste der Ennead betritt er nicht. Er ist ein schweigsamer, ernsthafter Mann mit einem tiefen Gespür für die Erde, auf der er geht, für Pflanzen und Tiere. Erdweisheit nennt Liath diese Fähigkeit.

Torrin dagegen ist ein zerissener Mann. Er beschäftigt sich mit Schriften, die nicht für Beschwörungen gebraucht werden und sich folglich nicht in der Magie auflösen, sondern dauerhaft sind! Er bringt Kindern das Lesen bei, ganz gleich, ob sie ein magisches Licht besitzen oder nicht, und das, obwohl diese Kunst den Wortschmieden vorbehalten ist! Aber er ist nicht von der Überzeugung abzubringen, dass er das Richtige tut. Man könnte ihn als Ketzer bezeichnen.

Das Buch bietet noch eine wahre Fülle weiterer Charaktere, die jedoch eher am Rande mitlaufen, als dass sie detailliert ausgearbeitet wären. Auch die Charakterzeichnung der drei Hauptpersonen geht nur bei Liath weiter in die Tiefe. Heff und Torrin bleiben eher blass. So erfährt man zum Beispiel nicht, warum Heff die Magie so sehr ablehnt, oder welche Erfahrungen und Geschehnisse dazu führten, dass Torrin sein Licht abschirmt. Die Autorin lässt ihre Protagonisten diese Themen zwar anschneiden, gibt aber niemals konkrete Antworten. Dadurch wirken viele Passagen diffus und nebelhaft, lassen sich nicht recht fassen. Auf der anderen Seite gelingt es ihr hervorragend, im Laufe der Zeit die Motive der einzelnen Ennead herauszuarbeiten.

Abgesehen von der diffusen Charakterzeichnung der Hauptakteure trägt auch die massive Anzahl an Personen, die im Grunde nicht wirklich wichtig sind, zu Verwirrung bei. Vor allem am Anfang wird der Leser mit einer regelrechten Flut an Namen und Begriffen überschwemmt. Im besten Fall wird im Zusammenhang mit einem Namen beiläufig der Beruf der Person erwähnt. Trotz meines guten Namensgedächtnisses hatte ich massive Schwierigkeiten, die Leute auseinander zu halten. Die Spezialbegriffe im Zusammenhang mit Magie und der Hierarchie der Magier in der Feste muss der Leser erst durch Geduld und Ausdauer im Laufe des Textes zuordnen. Es sei denn, er stößt zufällig auf das Glossar, das irgendwo ganz hinten im Buch, kurz vor der Werbung, versteckt ist …

Interessant fand ich die Art und Weise, wie hier Magie gewirkt wird. Einer schreibt die Worte nieder, einer illustriert das Pergament mit magischen Symbolen und kunstvollen Umrandungen, und einer summt die Melodie der Beschwörung. Die Magier sind stets zu dritt, eine Triade, denn Drei ist die Zahl des Gleichgewichts. Das schlägt sich auch in anderen Bereichen nieder: Die Enneade besteht aus drei Triaden. Entfernungen werden in Dreifuß gemessen, das Alter in Neunjahren.

Die Idee einer Insel, die vor dem Rest der Welt verborgen ist, ist allerdings nicht unbedingt neu, auch nicht die Tatsache, dass Torrin Schwarzmagier nicht das eigentliche Problem Eiden Myrs ist, was ziemlich früh absehbar ist.

Warum nach der Aufhebung von Galandras Schild die Magie in Eyden Myr erlöschen sollte, ist mir dagegen nicht ganz klar! Schließlich war Galandra nicht der Ursprung der Magie, sondern nur eine von vielen Magiern …

Die Verlauf der Handlung erinnert ein wenig an ein widerborstiges Maultier. An manchen Stellen hält die Autorin sich ertaunlich lange auf, zieht kurz darauf das Erzähltempo drastisch an, um dann plötzlich wieder langsamer zu werden. Im Grunde ist das nichts Besonderes, irritierend ist die Auswahl der Stellen, die sie getroffen hat.

So verwendet sie eine Menge Zeit auf die Szene im Wirtshaus an dem Abend, als Liath ihre Trikele erhält. Diese recht lange Sequenz ist gespickt mit Andeutungen, die der Leser erst sehr viel später verstehen kann, als einige Dinge aus Liaths Kindheit näher erklärt werden. Auch der Teil, den Liath bei den Berufenen, sozusagen den Magier-Azubis, verbringt, ehe sie die Ennead um Hilfe bittet, ist weit ausführlicher als nötig und trägt mit seinen Erklärungen über die verschiedenen Kleiderfarben der Festenbewohner eher zur Verwirrung bei als zur Erläuterung. Der Prolog ist von der eigentlichen Geschichte unabhängig und wird erst spät in den Kontext eingebunden. All das macht die Geschichte am Anfang ziemlich langatmig.

Auf Liaths Reise dagegen huscht die Handlung von einem Ziel zum nächsten. Manche werden lediglich erwähnt, andere etwas genauer ausgeführt, doch die Informationen innerhalb dieser Abschnitte sind für den eigentlichen Zusammenhang im Grunde unerheblich. Fast die gesamte Reise Liaths durch Eiden Myr ist gekennzeichnet durch kurze, schnappschussartige Eindrücke, als hätte McGarry versucht, einen kurzen Überblick über die verschiedenen Landstriche und die Eigenheiten ihrer Bewohner zu geben. Der Gesamteindruck ist aber eher bruchstückhaft. Einerseits verständlich, denn für mehr war einfach kein Platz, andererseits aber fehlt der Darstellung so die Intensität, um sie wirklich interessant zu machen. Es entsteht der Eindruck, als hätte die Autorin einmal mit weit ausholender Geste über die Landkarte gewischt.

Bei Liaths zweitem Besuch in der Feste hingegen überschlagen sich die Ereignisse regelrecht! Wie auf einer Achterbahn wechseln Gefangennahmen und Flucht mit Revolten und Befreiungen. Innerhalb dieser kurzen Zeit – grob gesehen, knapp ein Drittel des Buches – findet auch Liaths Verwandlung von der gläubigen Schülerin zur kritischen, selbstständig denkenden Frau statt. Nachdem die Handlung sich erst ziemlich hinzog, wird hier das Erzähltempo drastisch angezogen.

Der Schluss hingegen wirkte ein wenig konstruiert, vor allem die Sache mit Jonnula.

Eine recht durchwachsene Mischung, die Terry McGarry da geschrieben hat. Die Grundidee fand ich durchaus gelungen, wenn auch nicht alle Einzelheiten wirklich neu waren. Die Ausarbeitung war dagegen noch etwas unausgewogen. Ein wenig mehr Konzentration auf den eigentlichen Handlungsstrang und weniger Verzettelung in nebensächlichen Details käme der Spannung zugute. Rätsel und Andeutungen machen Geschichten durchaus interessanter, solange sie sich nicht auf so viele verschiedene Sachverhalte beziehen, dass der Leser den Überblick verliert.

Bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich der Folgeband entwickelt. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass die Magie im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen sollte, immerhin handelt es sich immer noch um Fantasy.

Terry McGarry war nach dem College in den verschiedensten Berufen tätig und ist letztlich im Verlagswesen hängen geblieben. Sie schrieb schon seit längerem Kurzgeschichten, ehe sie „Zauberin des Lichts“ schrieb. Die Fortsetzungen zu diesem Roman, „The Binder’s Road“ und „Triade“, sind auf Deutsch noch nicht erschienen.

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Stanišic, Saša – Wie der Soldat das Grammofon repariert

Saša Stanišics bisherige literarische Karriere mutet ein wenig so an, als wäre sie selbst einem Roman entsprungen. Es war 1992, als der 1978 in Bosnien geborene Autor mit seiner Familie im deutschen Exil Zuflucht suchte. Seit 2001 schreibt und publiziert er deutschsprachige Texte und erreichte 2005 etwas, das für jemandem, für den Deutsch im Grunde immer noch eine Fremdsprache ist, umso beeindruckender erscheint: Er gewann den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. In diesem Jahr setzt er mit seinem Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ noch eins drauf, indem er es bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2006 gebracht hat. Ist schon faszinierend, wie der junge Bosnier den Deutschen zeigt, was man mit deutschen Worten so Feines zaubern kann.

Um das Zaubern geht es gewissermaßen auch in besagtem Debütroman. Es ist sein Opa Slavko, der den jungen Aleksandar mit Zauberhut und Zauberstab ausstaffiert und ihm mit auf den Weg gibt, dass Erfindung und Fantasie die wichtigsten Gaben sind, die der Mensch hat. Aleksandar soll sich die Welt schöner denken, als sie ist – ein Ratschlag, den Aleksandar schon bald zu beherzigen weiß.

Opa Slavko segnet kurz darauf das Zeitliche und auf Aleksandars Heimat kommen große Veränderungen zu. In Jugoslawien bricht der Krieg aus. Die Schrecken des Krieges, Ängste und Verluste dominieren das Leben und Aleksandar ist in der Tat gut damit beraten, sich die Welt schöner zu denken, als sie ist. Aleksandars Heimatstadt Višegrad fällt, seine Familie flieht und Aleksandar verliert in der Hektik des Aufbruchs das Mädchen Asija aus den Augen, mit dem er erst vor kurzem Freundschaft geschlossen hatte.

Aleksandar wird mit seiner Familie in Deutschland heimisch, doch stets hält Aleksandar die Erinnerungen an die Heimat und die große Familie wach. Er schreibt von Begebenheiten in der Familie und Kuriositäten seiner Heimat. Zehn Jahre nach der Flucht bucht der mittlerweile erwachsene Aleksandar endlich einen Flug nach Sarajevo, um zu sehen, was aus Familie und Heimat geworden ist und ob er Asija endlich wieder findet …

„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist unterm Strich im Grunde eine literarische Bewältigung des Balkankrieges. Es gibt schon auf den ersten Blick auffällig viele Parallelen zwischen Autor und Protagonist; so gesehen kann man die Geschichte sicherlich auch als persönliche und autobiographische Aufarbeitung des Themas sehen. Genau wie seine Hauptfigur Aleksandar ist auch Saša Stanišic im bosnischen Višegrad geboren und beiden gemein ist sicherlich auch die Vorliebe, Erinnerungen und kuriose Geschichten schriftlich festzuhalten.

Obwohl Stanišic kein Muttersprachler ist, geht er mit der deutschen Sprache absolut souverän um. Er hat eine verschmitzte Art, seine Geschichte zu erzählen, legt eine gewisse Poesie in seine Worte und unterstreicht seine Geschichte mit Ironie und Wortwitz. Dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist, merkt man ihm beileibe nicht an, und das ist schon durchaus beachtlich und zeigt, wie intensiv Stanišic sich mit der deutschen Sprache auseinander gesetzt haben muss.

Stanišic schafft es mit seinen Worten, die Geschichte und die Figuren wirklich lebendig werden zu lassen und gerade auch die Hörspielproduktion des Bayerischen Rundfunks unterstreicht diese Lebhaftigkeit ganz wunderbar. Die Stimmen passen ganz fantastisch zu den Figuren. Man sieht sie förmlich vor sich – Opa Slavko, wie er Maß nimmt für Aleksandars Zauberhut, Tante Taifun, die beim Familiefest in hektischer Aufregung umherwirbelt, und selbst als Aleksandar beim Angeln Zwiesprache mit der Drina hält, die durch Višegrad fließt, wirkt das Ganze so wunderbar plastisch, dass es einem nicht eine Sekunde lang komisch vorkommt, dass sich ein Junge mit einem Fluss unterhält.

„Wie der Soldat das Grammofon repariert“ vereint enorm viele menschliche Gefühle in sich und wirkt wie ein Stück Leben auf CD gebannt. Die Unbeschwertheit der Kindheit, die Geborgenheit der Familie, die mit der sich verändernden Stimmung im Land erste Risse bekommt. Die Unbegreiflichkeit und Unbeschreiblichkeit der Kriegsgräuel, die Sehnsucht nach Frieden und Heimat, die Ängste von Flucht und Zerstörung, die Tragik wie auch die Komik, die all den kleinen alltäglichen Dingen innewohnt – „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist ein schillerndes Kaleidoskop menschlicher Gefühle.

Ganz nebenbei sensibilisiert Stanišic den Leser bzw. Hörer für das, was Anfang der 90er im ehemaligen Jugoslawien geschah – ein unbeschreiblich brutaler Krieg mitten in Europa. Und so stimmt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ in jedem Fall auch nachdenklich. Die Hörspielproduktion, die unter der Regie von Leonhard Koppelmann entstand, fängt (nicht zuletzt dank der gelungenen musikalischen Untermalung) diese Stimmungen und Gefühle ein, macht sie dem Leser zugänglich und das Buch damit zu einem echten Erlebnis.

Unterm Strich ist Saša Stanišic mit „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ein in jeder Hinsicht lobenswerter Debütroman geglückt. Sprachlich fantastisch, wunderbar bildhaft und voller großer Gefühle, weckt auch die gleichnamige Hörspielproduktion vielfältige Gefühle. Tragisch und komisch zugleich präsentiert sich Stanišics Geschichte als ein Stück manifestierte Zeitgeschichte um Familie, Krieg und alltägliche Kuriositäten.

Man kann das Werk eigentlich nur jedem ans Herz legen. Als Buch dürfte „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ schon für sich genommen ein wunderbar melancholischer Genuss sein. Das 78-minütige Hörspiel füllt die Geschichte obendrein auf wunderbare Weise mit Leben.

Der gleichnamige Roman erschien im |Luchterhand Literaturverlag|:
[luchterhand-literaturverlag.de]http://www.randomhouse.de/luchterhand/
[randomhouseaudio.de]http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio/

Beecher-Stowe, Harriet – Onkel Toms Hütte (Europa-Originale 4)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
John Shelby – Franz-Joseph Steffens
Chloe – Uta Höpfner
Sam – Harald Pages
Mr. Haley – Andreas von der Meden
Mr. Shelby – Helmut Kolar
Mrs. Shelby – Imme Froh
Evangeline St. Claire – Regine Lamster
Mr. St. Claire – Horst Stark
Mr. Legree – Heinz Harm

_Story_

Vor 150 Jahren war es in den amerikanischen Südstaaten noch Usus, dass die weißen Großgrundbesitzer zur Bearbeitung ihrer Plantagen schwarze Sklaven hielten. So auch der besonnene Mr. Shelby, einer der wenigen dieser Leute, der seine Sklaven auch tatsächlich als Menschen betrachtet und ihnen innerhalb ihres Aufgabenbereichs einzelne Freiheiten gewährt.

In seinem Besitz befindet sich auch der gutmütige Tom, ein fleißiger und beliebter Schwarzer, der mit seiner Familie sogar eine eigene Hütte auf Shelbys Anwesen bewohnt. Dort lebte er trotz seiner Fessel mit sich und seiner Welt in Frieden, zumal er seinen Glauben auf der Farm in vollen Zügen ausleben konnte. Eines Tages jedoch bleibt Shelby keine Wahl, als ‚Onkel Tom‘, so der Rufname des Sklaven, für eine hohe Summe zu verkaufen. Ein Sklavenhändler macht ihm ein Angebot, das man einfach nicht ausschlagen kann, und sucht alsbald einen neuen Besitzer für seinen neuen Schützling.

Während einer Schiffsfahrt lernt Tom die junge Evangeline St. Claire kennen, freundet sich mit dem jungen Mädchen an und wird schließlich von ihrem Vater in den Dienst genommen. Glücklich über seine neue Anstellung, erwirbt sich Tom sehr schnell erneut einen sehr guten Ruf und lebt nicht nur als Sklave, sondern auch als Freund der Familie St. Claire.

Dann jedoch beginnt das Drama: Das kleine Mädchen wird todkrank, und Tom und die Familie müssen hilflos mit ansehen, wie die junge Eva in den Himmel auffährt. Ihr letzter Wunsch ist, dass Tom nach ihrem Tod ein freies Leben führen darf. Doch als Mr. St. Claire nach dieser Tragödie die Formalitäten für Toms Freiheit in die Wege leiten möchte, folgt auch schon der nächste bewegende Schicksalsschlag, der den gutmütigen Neger wieder meilenweit zurückwirft.

_Meine Meinung_

„Onkel Toms Hütte“ ist eine der dramatischsten Sagen der gesamten Literaturgeschichte; ein liebevolles Märchen über Glaube, Liebe und Hoffnung, das jedoch bei jedem ‚wunderbaren‘ Entwicklungsschritt von noch schlimmeren Ungerechtigkeiten überschattet wird.

Dabei werden die düsteren Rahmenbedingungen weitaus positiver dargestellt, als sie eigentlich sind bzw. waren. Die Sklaverei wird als die normalste Sache der Welt hingestellt, als Fakt, den es nicht anzuzweifeln gilt. Gut, man muss berücksichtigen, dass es sich hier vorrangig um eine Geschichte für das jüngere Publikum handelt, weswegen eine detailliertere Auseinandersetzung nicht zweckmäßig wäre, aber es ist im Grunde genommen schon erschreckend, wie selbstverständlich dieses finstere Kapitel der amerikanischen Geschichte hingenommen wird. Aber das ist keine Kritik am Hörspiel, sondern vielmehr eine generelle Kritik am leichtfertigen Umgang mit der strikten Rassentrennung, die in „Onkel Toms Hütte“ erst zum Ende hin ins Abseits gerät und indirekt scharf verurteilt wird.

Jenseits dieser Problematik ist die Geschichte wirklich ein wunderbares Märchen, aber auch ein sehr trauriges, das einem besonders in den letzten Sequenzen sehr nahe geht. Erst der Tod des armen kranken Mädchens, dann das ungerechte Schicksal von Onkel Tom und schließlich noch all die Niederträchtigkeiten, die der Mann über sich ergehen lassen muss. Stellenweise ist es echt hart, was hier geschieht, bisweilen sogar fast brutal, was aber Teil der Dramaturgie der Handlung ist.

Der Umgang mit den Sklaven, zunächst noch als menschlich und rücksichtsvoll beschrieben, entwickelt sich zu einem bewegenden Drama bis hin zum Gipfel der Ungerechtigkeit. Ausgerechnet der gutherzige, immerzu liebevolle Tom wird permanent zum Opfer, obwohl er sein Leben lang dankbar und zuverlässig geschuftet und sich wirklich alles gefallen lassen hat. Ähnlich sieht es mit der Geschichte der kleinen Eva aus; ein so lebendiger Charakter, voller Liebe und Zuversicht und außerdem schon so erwachsen, und plötzlich befindet sie sich im aussichtslosen Kampf gegen den Tod.

Auch wenn es eine sehr moralische, lehrreiche Story ist – sie ist kein leichter Stoff, aber deswegen noch umso schöner. Sie beschreibt in kurzen, aber sehr eindrucksvollen Zügen all das Leid und den Frevel sowie die Unbarmherzigkeiten, denen die schwarze Bevölkerung vor anderthalb Jahrhunderten ausgesetzt war, dies sicher in entschärfter Fassung, aber grundsätzlich doch schonungslos hart.

Das Hörspiel aus der „Europa-Originale“-Reihe fängt die bedrückte Stimmung ein, die im Gegensatz zu Onkel Toms fröhlicher Ausstrahlung einen enormen Kontrast aufwirft, den man erst einmal gar nicht begreifen will. Doch Tom ist ein tiefgläubiger Mensch, der die Hoffnung nie verliert, seine gesamte Familie mit dieser Laune ansteckt und somit sein Leben meistert – bis hin zum traurigen Tod, dem Sinnbild für das ungerechte Leben dieses einzigartigen Menschen.

Das Original, aufgenommen im Jahre 1972, ist basierend auf dieser wechselhaften Atmosphäre auch ein echter Ohrenschmaus, der gekonnt all die tiefgreifenden Emotionen der Geschichte beeindruckend widerspiegelt. Die Sprecher, allen voran Franz-Joseph Steffens, der mit seiner rauen Stimme die Rolle des gutmütigen Brummbärs absolut souverän ausfüllt, erledigen einen prima Job und spielen ihre Rollen nicht nur lebhaft, sondern auch der betrübten Handlung entsprechend sehr authentisch aus. Es wird gelacht und geweint, geschimpft und geliebt, aufgegeben und gehofft, und jedes Mal wissen die Stimmen dieses Hörspiels, wie sie ihren Part auszufüllen haben. Selbst die vermeintlichen Fieslinge geben der Erzählung die erforderliche Herzlosigkeit und machen „Onkel Toms Hütte“ zu einem weiteren, absolut hörenswerten Vertreter dieser ’neu‘ gestarteten Reihe.

Oder um es anders zu sagen: Das Hörspiel setzt genau das um, was man von einer Klassiker-Adaption erwarten darf. Trotz der anfänglichen Zweifel ob des Umgangs mit dem Thema Sklavenhaltung kann ich „Onkel Toms Hütte“ aus dem Hause |Europa| daher auch nur dringend weiterempfehlen.

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Weber, David – dunkle Göttin, Die (Schwerter des Zorns 4)

„Die dunkle Göttin“ ist der zweite Teil des für die deutsche Übersetzung aufgeteilten Romans „Wind Rider’s Oath“ von David Weber und schließt den „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus um den Barbaren Bahzell Bahnakson vorläufig ab.

Der sonst eher für seine Science-Fiction-Romane um Honor Harrington bekannte Weber entführt den Leser in die urige, barbarische Fantasywelt Norfressa, in der gute und böse Götter durch ihre sterblichen Diener ihre Kriege austragen. Der sture Hradani Bahzell wurde ein wenig widerstrebend zum Paladin des Kriegsgottes Tomanâk und konnte sich gegenüber Monstren und Schergen des Bösen durchsetzen, aber auch Vorurteile gegenüber sich und seinem Volk, den als blutrünstig und primitiv verschrienen Hradani, abbauen.

In den letzten beiden Bänden konnte er einen Krieg zwischen Hradani und den Sothôii verhindern, traditionellen Erzfeinden. Gewarnt durch die Erfolge der Paladine Tomanâks, haben die dunklen Götter jedoch ihre Strategie geändert und schlagen nun an mehreren Fronten offen oder verdeckt zu. Während Bahzell sich um die von einer unbekannten Macht gejagten Windrenner der Sothôii kümmert, klärt Paladina Kaeritha ungewöhnliche Vorgänge im Reich der Axt auf, die den Kriegsbräuten (eine Art Amazonen) der Göttin Lillinara, eine Schwester des Kriegsgottes Tomanâk, schaden könnten.

_Von den Windreitern zu den Kriegsbräuten_

Die von der Göttin Krahana im letzten Band fast ausgerotteten intelligenten magischen Rösser der Sothôii, die Windrenner, verdanken Bahzell ihr Überleben. Mehr noch, der Hengst Walsharno erwählt Bahzell zum ersten Hradani-Windreiter der Geschichte. Der reiterisch völlig unbegabte Barbar gewinnt mit dem Hengst einen mächtigen Verbündeten, mit dem er gemeinsam gegen die „Shardohn“ genannte Dämonenbrut Krahanas vorgehen kann. Diese zweite Hälfte des Doppelbands konzentriert sich auf Kaeritha und die Kriegsbräute Lillinaras, deren Tempel vom Bösen entweiht wurde, wie Kaeritha fast zu spät herausfindet.

Die Kriegsbräute werden aus der Sicht der Tochter Baron Trellians geschildert, die so einer ungewollten politischen Hochzeit entgehen will. Neben Kaeritha erzählt sie den größten Teil der Geschichte, der so leider der bissige Humor und die spritzigen Dialoge Bahzells mit dem Kriegsgott oder seinen Freunden fehlen. Stattdessen wird eine verwirrende Unzahl von Nebencharakteren eingeführt, die blass bleiben und wenig zur Fortführung der Handlung beitragen. Selbst Kaeritha wirkt ohne Bahzell nur wie ein Schatten ihrer selbst. Zu viel wollte Weber in diesen Roman packen; so faszinieren auch die Kriegsbräute bei weitem nicht so sehr wie der Orden des Tomanâk oder die Windrenner, trotz betont knapp und kurz, bauchfrei gehaltenem Habit.

Im Gegensatz zu den ersten Bänden ist leider auch ein in der Rollenspielwelt als „Power Creep“ bekanntes Phänomen festzustellen: Die Todesgöttin Krahana reicht nicht mehr aus als Gegner, Weber greift im Pantheon der dunklen Götter bis an die Spitze … und Kaeritha kämpft an der Seite des Kriegsgottes selbst, greift durch ihn auf einen „Ozean aus Macht“ zu und dergleichen mehr. Der gelungene Humor und die spritzigen Dialoge der ersten Bände leiden ein wenig darunter, auch neigt Weber leider wieder zu simpleren, recht eindimensional gezeichneten Charakteren, die er unnötigerweise |en masse| einführt.

_Fazit_

David Weber erweitert seine Welt Norfressa in diesem zweiten Teil des aufgeteilten „Wind Rider’s Oath“ um einen weiteren Kriegerorden und zahlreiche Charaktere, bauscht Konflikte immer weiter auf verfällt damit leider auf einen Irrweg, von dem die Serie bislang verschont geblieben ist. Anstelle neuer Ideen versucht es Weber mit einer Steigerung bereits bekannter Konflikte und treibt die Action in geradezu metaphysische Sphären, die nicht begeistern können. Bei der Schilderung Kaerithas und der zur Kriegsbraut gewordenen Tochter Baron Trellians hätte er punkten können, leider versäumt er dies und führt viel zu viele neue und relativ blasse, eindimensionale Charaktere ein. Ein relativ unspektakuläres vorläufiges Ende für die „Schwerter des Zorns“. Die große und liebevoll ausgearbeitete Welt Norfressa, ihr griechisch-nordisch inspiriertes Götterpantheon und die exzellenten Karten machen jedoch Hoffnung auf eine Fortsetzung. Die beiden ersten Bände dieser Saga gehören zu den besten Werken Webers überhaupt; es wäre schön, wenn er in möglichen Fortsetzungen an deren Qualität anschließen könnte.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Young-ha, Kim – Gottesspiel, Das

Warum wird eigentlich jedes zweite Buch, das von einem asiatischen Autor stammt, als „Skandalroman“ bezeichnet? Oder ist es sogar jedes Buch? Man weiß es nicht. Fakt ist aber, dass „Das Gottesspiel“ von Kim Young-ha laut dem |Spiegel| noch so eine Skandalschrift ist.

Dabei geht es inhaltlich noch nicht einmal um die verborgenen Sexgelüste einer spießigen Gesellschaft, sondern vielmehr um einen namenlosen Ich-Erzähler, dessen Beruf darin besteht, den Selbstmord anderer Menschen auf deren Wunsch zu inszenieren. Seine beruflichen Erlebnisse verarbeitet er dann in einem Roman, indem er erzählt, wie es dazu kam, dass sich diese Menschen umbrachten.

Im Buch werden die Fälle von der gelangweilten, jungen Seyour, die immer einen Lolli im Mund hat, und der Aktionskünstlerin Mimi erzählt. Obwohl scheinbar kein Zusammenhang herrscht, kommen zwei Brüder, nur C und K genannt, bei beiden Mädchen vor.

Allerdings erschließt sich dem Leser nicht wirklich, welche Rolle C und K eigentlich haben, und das, obwohl sie derart viel Raum einnehmen. Das ist sehr schade, denn es ist nicht die einzige brennende Frage, die offen bleibt, wenn man das Büchlein zuschlägt. Nun können offene Fragen natürlich auch als eine Art Stilmittel eingesetzt werden, aber da sich die Fragen zu Young-has Geschichte nicht mit einer Happy-End-Lappalie à la „Bekommt der Held die Heldin also doch noch?“ begnügen, sondern tief in der Geschichte wurzeln, stören sie erheblich. Was macht man als Leser denn mit einer Geschichte, die zwar sehr gut erzählt ist, die man aber inhaltlich nicht versteht, weil sie stellenweise so verworren ist?

Schuld an dieser Verwirrung ist vor allem Aufbau. Die Perspektiven wechseln schnell und es dauert sehr lange, bis man sich überhaupt in die Geschichte hineingefunden hat. Hinzukommt, dass zum Beispiel zu den Charakteren K und C kaum etwas erklärt wird. Wer sind sie? Ist einer davon identisch mit dem Ich-Erzähler? Und wieso nennt der eine das Mädchen Seymour und der andere Judith? Sind es verschiedene Mädchen? Und in welcher Reihenfolge läuft die Handlung überhaupt ab?

An den Perspektiven, die Young-ha benutzt, liegt es definitiv nicht, denn sie verdienen ein wirklich wohlwollendes Kopfnicken. Absolut untypisch asiatisch schreibt der junge Mann. Von der netten Oberflächlichkeit, die Bücher aus diesen Landen oft prägt, ist nichts zu spüren. Stattdessen eine philosophische, dreckig-authentische Tiefgründigkeit, die sehr tief unten in den Seelen der Protagonisten wühlt und deren Gedanken, Gefühle und Meinungen ungefiltert preisgibt. Das zeigt sich auch in den flapsig wirkenden, aber eigentlich direkt auf den Punkt gebrachten Dialogen und den sehr schönen Beschreibungen von Eigenheiten, die der Autor den treffend ausgearbeiteten Charakteren zuordnet. Ein gutes Beispiel dafür ist Judiths Lollifetisch.

|“Chupa Chups. Das ist Judiths Lieblingssorte. Wenn sie nicht raucht, hat sie häufig einen Chupa Chups im Mund, dieses runde Bonbon mit dem Stäbchen. Sie behält ihn sogar im Mund, wenn sie sich lieben. C fürchtet immer, sie könne ihm mit dem Stäbchen die Augen ausstechen. Das Stäbchen hat ihn übrigens tatsächlich einmal im linken Augen erwischt und er hatte Angst, blind zu werden. Selbst einige Tage nach dem Zwischenfall traute er sich noch nicht, wieder mit ihr zu schlafen.“| (Seite 38)

Die anderen Charaktere profitieren ebenfalls von Young-has akribischer Arbeit, die sich durch das ganze Buch zieht. An und für sich ist das nichts Schlechtes, aber der eine oder andere mag sich wahrscheinlich daran stören, dass das Buch allzu streng durchkomponiert wirkt.

Eine strenge Komposition ist dabei ja eigentlich nichts Schlimmes. Sie verhindert Längen und fordert Lesen mit Gehirn. „Das Gottesspiel“ meint es an einigen Stellen aber leider zu gut. Während die Charaktere und der Schreibstil wirklich ein großes Lob verdienen, wissen Inhalt und Aufbau nicht immer zu überzeugen. Erstens fehlt es dem Buch an klar abgegrenzten Strukturen und zweitens bleibt am Ende ein schales Gefühl zurück. Der Klappentext redet wie selbstverständlich von einem Ich-Erzähler, der Selbstmorde für Kunden arrangiert. Allerdings finden sich derer nur zwei in dem knapp 160-seitigen Buch. Der Rest sind Ausrisse aus dem Roman, den der Ich-Erzähler schreibt. Zwei dieser Selbstmorde bei großer Ankündigung sind zu wenige, um ein ganzes Buch auszumachen, aber zu viele, um nur einen kurzgeschichtenartigen Ausriss aus dem Leben einer Person darzustellen.

Kim Young-has Debüt ist folglich eine zwiespältige Sache. Auf der einen Seite ein interessanter, fesselnder Schreibstil mit sympathischen, gut ausgearbeiteten Charakteren sowie einem Umschiffen der typischen Asia-Oberflächlichkeit, auf der anderen Seite aber ein verwirrender Aufbau, und wer möchte ein Buch nur wegen des Schreibstils lesen? „Das Gottesspiel“ verspricht Potenzial und erklärt die Lobeshymnen, die über dieses Buch gesungen werden, zumindest zur Hälfte, aber der große Wurf ist dem Südkoreaner damit noch nicht gelungen.

Weber, David – Windreiter, Der (Schwerter des Zorns 3)

Mit „Der Windreiter“ setzt der gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbundene Autor David Weber seinen „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus fort. Das Original „Wind Rider’s Oath“ wurde für die deutsche Übersetzung in die Einzelbände „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ aufgeteilt.

Der sture Hradani-Barbar Bahzell Bahnakson erkämpfte sich in den ersten beiden Bänden der Serie die Achtung des Kriegsgottes Tomanâk, wurde gar zu einem seiner Paladine und bewahrte seine Heimat vor einem Krieg mit dem Reitervolk der Sothôii. Gegen alle Widerstände und Vorurteile auch in den eigenen Reihen (Hradani sind nicht ganz zu Unrecht als blutrünstige Barbaren bekannt, außerdem essen sie Pferde, was den Sothôii ein Gräuel ist) konnte er viel Unheil verhindern und sich behaupten, doch die bösen Götter Norfressas greifen nun zu subtileren Mitteln und greifen an mehreren Fronten an. Ausgerechnet der „pferdefressende“ Hradani Bahzell muss sich mit den Sothôii auseinandersetzen, deren von ihnen verehrte magische Rösser, die Windreiter, von einem unbekannten Feind gejagt werden. Kaeritha hingegen wird von Tomanâk zur Untersuchung von Rechtsstreitigkeiten der Kriegsbräute Lillinaras im Reich der Axt geschickt, hinter denen sich weit mehr als nur ein juristisches Problem steckt …

Bahzell ist ein Barbar im Stile Conans, jedoch mit einem gutmütigem Humor gesegnet, was sich auch in seinen Dialogen widerspiegelt. Egal, ob er mit dem Kriegsgott Tomanâk selbst oder seinem Freund Brandark spricht, sie sind stets eine gelungene Mischung aus an David Eddings erinnernder Schnoddrigkeit und Gutmütigkeit, gepaart mit dem passend rauen, herzlichen Humor der Hradani-Barbaren.

Standen in der umfangreichen und detaillierten Fantasywelt Norfressa, in der sich Zwerge, Elfen und Halbelfen (genannt „Rote Lords“) sowie das Reitervolk der Sothôii neben den barbarischen Hradani tummeln, im Vorgängerband „Der Kriegsgott“ neben dem Kampf gegen dunkle Götter und ihre Schergen die Überwindung von Vorurteilen im Mittelpunkt, wendet sich Weber in diesem Doppelband den an Amazonen erinnernden Kriegsbräuten der Lillinara sowie den magischen Rössern der Sothôii, den Windrennern, zu.

_Die Windrenner_

Die Windrenner sind den für ihre leichte Kavallerie berühmten Sothôii heilig. Die intelligenten Pferde leben in Herden auf den weiten Ebenen und kehren im Winter in der Art von Ehrengästen an den Höfen der Sothôii Fürsten ein. Körperlich größer und stärker, schneller und ausdauernder als normale Pferde, wählen sie sich ihre Reiter selbst aus. Diese können sich telepathisch mit ihrem Windrenner verständigen. Als Windreiter auserwählt zu werden, ist für jeden Sothôii die größte denkbare Ehre.

Das Konzept hinter dieser intelligenten Pferderasse ist eine vereinfachte Version der „Nighthorses“ in C.J. Cherryhs „Finisterre“-Zyklus, von dem Weber sichtlich inspiriert wurde. Wieder einmal spielt er mit Vorurteilen, denn gerade den aus dem Stamm der Pferdediebe stammenden Barbaren Bahzell ihren traditionellen Erzfeinden, den Sothôii, und ihren Windreitern zur Hilfe zu schicken, garantiert Konfliktpotenzial. Dieses wird jedoch bei weitem nicht ausgereizt wie in den vorherigen Bänden, stattdessen konzentriert sich Weber auf die Beschreibung der neuen Pferderasse. Kaerithas Abenteuer im Reich der Axt wird man erst im Folgeband lesen können.

Hier ist auch der große Haken dieses Buchs zu finden: Es endet in der Mitte abrupt mit der Heilung einer verwundeten Windrenner-Stute durch Bahzell. Die Aufteilung ist gründlich misslungen, denn so hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, bleibt völlig offen und es mangelt an Höhepunkten. So fehlt der Bezug zu Kaeritha und der ins Reich der Axt geflohenen Tochter Baron Trellians, die sich den Kriegsbräuten anschließen will, um einer politischen Hochzeit zu entgehen. Der Handlungsbogen um Selbstbestimmung und Emanzipation geht so völlig unter. Auch an der sonst üblichen und gelungenen Action wird diesmal leider arg gespart.

_Fazit_

Die Aufteilung hat diesem Roman schwer geschadet. „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ haben mit 351 beziehungsweise 366 Seiten fast nur die Hälfte des Umfangs der 559 Seiten von „Der Kriegsgott“. Die Handlung baut sich langsam auf und kommt erst im Folgeband in die Gänge, dessen Verständnis durch die Aufteilung erheblich erschwert wird. Die sieben Seiten lange Auflistung der wichtigsten Personen, die diesem Roman zusätzlich zu dem exzellenten Kartenmaterial und dem detaillierten Anhang zum kompletten griechisch-nordisch inspirierten Götterpantheon Norfressas hinzugefügt wurde, kann da leider auch nicht helfen.

Denn die sonst so zahlreichen humorvollen Dialoge Bahzells werden zugunsten einer Unzahl neu eingeführter und eher blasser Charaktere vernachlässigt, die schreckliche Bedrohung der Windreiter bleibt diffus. Dennoch ist dieser Roman lesenswert – man muss ihn nur zusammen mit dem Folgeband „Die dunkle Göttin“ lesen. Denn die neue Schwerpunktsetzung Webers auf Themen wie Emanzipation und Selbstbestimmung wird klarer und die Handlung unterhaltsamer, sobald sich der Handlungsstrang Bahzells mit dem der in diesem Roman nahezu nicht erwähnten Kaeritha im Reich der Axt verbindet.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Yoshida, Sunao / Kyujo, Kiyo – Trinity Blood 1

_Story_

In einer fernen Zukunft: eine feindliche Lebensform, eine moderne Variante des klassischen Vampirs, deren Ziele jedoch noch unklar sind. Der Vatikan ist die erste Instanz, die sich gegen diese neue Bedrohung aufzulehnen vermag und sie überhaupt erst erkennt. Und so wird von Rom aus der geheimnisvolle Pater Abel Nightroad entsandt, um die Gefahr zu analysieren und schließlich auch abzuwenden. Als Agent der Spezialeinheit Ax ermittelt er verdeckt gegen den zwielichtigen Graf Gyula Kádár, der in der Stadt Istvan sein Unwesen treibt und als Vorhut dieser Vampir-Spezies gilt.

Bei diesem Auftrag lernt Nightroad auch bei einem zufälligen Zusammenstoß die gläubige Schwester Esther und ihren Gefährten Dietrich kennen, die wegen ihrer grausamen Vergangenheit beide Rache an den Vampiren geschworen haben. In ihnen findet der Pater willkommene Verstärkung gegen den undurchschaubaren Grafen, ist aber schließlich doch auf sich alleine gestellt. Während Esther sich nämlich als zu schwach erweist, um sich gegen die ungerechten Begleiterscheinungen dieses Kampfes zu behaupten, entwickelt sich der verräterische Dietrich zu einem gefürchteten Gegner, dessen Motive ebenso rätselhaft sind wie die des Grafen. Und das macht das ungleiche Gefecht zwischen dem Vatikan und den befeindeten Vampiren nicht gerade leichter.

_Meine Meinung_

Mit „Trinity Blood“ beginnt dieser Tage eine neue Manga-Serie auf dem |Panini|-Sublabel |Planet Manga|, und dazu eine von Beginn an äußerst vielversprechende. Autor Sunao Yoshida hat mit dieser Serie eine etwas eigenwillige, teils auch humorvolle Vampirstory entworfen, bei der es direkt zum Auftakt schon ordentlich zur Sache geht und der Leser auch sofort mitten ins actionreiche Geschehen hineinbefördert wird, noch bevor er sich überhaupt mal ein Bild über die Rahmenbedingungen machen kann – und das ohne jegliche Hektik. Nicht schlecht, wird man denken, allerdings ist „Trinity Blood“ aufgrund ihrer vielfältigen Charaktere keine herkömmliche Vampir-Serie, sondern schon eine etwas verzwicktere Sache, die auf den ersten Blick leicht überschaubar scheint, im Nachhinein aber dann doch komplexer ist, als der Fortschritt der Handlung dies vermuten lässt.

Feststeht am Beginn lediglich, wie einzelne Rollen verteilt sind, und in diesem Sinne weiß der Leser erstmal nur, dass sich Nightroad als menschlicher Vertreter des Vatikans und Gyula als unbekannte, vampirische Macht gegenüberstehen. Doch was bezweckt der vermeintliche Schwächling Dietrich? Was steckt hinter der schüchternen Esther? Und wie ist ihre leidenschaftliche Hingabe zur Bischöfin zu verstehen, deren Tod sie völlig aus der Bahn wirft?

Ungeklärte Fragen gibt es bereits im ersten Band von „Trinity Blood“ genügend und ihre zwischenzeitlichen Lösungen sind auch durchaus befriedigend, lassen einen nicht schon am Anfang verwirrt und grübelnd zurück, obwohl sie eigentlich auch weiter offen bleiben. Der Autor macht dies äußerst geschickt, indem er Spannung kreiert, diese ausbaut, ihre Hintergründe kurzzeitig aufdeckt, aber auch weiterhin noch Hintertürchen offen lässt, die das Ganze nicht endgültig erscheinen lassen, was es ja dann auch nicht ist.

Lediglich ein Problem ergibt sich hieraus, und das sind die manchmal überzogenen Ausschmückungen der Szenarien. Aus dem stetigen Hin und Her ergeben sich vor allem im direkten Aufeinandertreffen von Gyula und dem Pater einige Längen, welche die Konfliktlösung nur sinnlos aufschieben, aber keine Gründe liefern, warum dies jetzt noch nötig ist. Jeder kündigt x-mal an, dass er sich des jeweils anderen jetzt entledigen wird, es kommt zu mehrfachen Kampfhandlungen, aber es passiert nichts Konkretes. Und das hemmt die Entwicklung des Plots doch ganz ordentlich. Erst zum Schluss hin, eigentlich erst mit dem sich langsam andeutenden Cliffhanger, erlangt Yoshida die vorab erzielte Spannung wieder zurück, kommt wieder deutlicher auf den Punkt und bringt der gesamten Geschichte auch das Potenzial zurück, das zwischenzeitlich ein wenig auf der Kippe stand.

Ganz zufrieden sein darf man wegen dieser etwas zu ausgiebig gestreckten Abläufe im dritten von insgesamt vier Kapiteln daher auch noch nicht mit „Trinity Blood“. Die Story ist interessant, ebenso die Charaktere, und man hat auch sofort den Eindruck, als würde der Autor von der ersten Seite an ziemlich zielgerichtet auf eine Entwicklung hinarbeiten. Doch er verliert für eine kurze Zeit die ansonsten sehr stringente Spur, zerrt so ein wenig an der Geduld und rettet sich durch einen dennoch befriedigenden Übergang geschickt über die Zeit, um zum Schluss dann wieder das Tempo zu steigern.

Keine schlechte Sache, klarer Fall, aber (zumindest gilt dies für den ersten Band) auch noch nicht das, was man einen überragenden Auftakt nennen darf. Dank der starken Zeichnungen, die besonders die Hauptfiguren sehr vielseitig und individuell erfassen, ist „Trinity Blood“ aber dennoch sehr zu empfehlen, nicht zuletzt, weil man innerlich weiß, dass in dieser Serie noch jede Menge Potenzial schlummert, das erst noch ausgereizt werden muss. Gerade erschien auch Teil zwei, dann wird man hierzu mehr sagen können.

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Arakawa, Hiromu – Fullmetal Alchemist 1

_Story_

Die beiden Brüder Alphonse und Edward Elric ziehen durch die Welt, um ihr alchemistisches Grundwissen noch weiter auszubauen. Während der eine unter dem Makel eines verlorenen Beins leidet, steckt der zweite in einer riesigen Stahlrüstung – beides Konsequenzen von Grenzübertretungen in ihrem Job als Alchemisten. Doch die jungen Männer haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, an ihrem Zustand etwas ändern zu können.

Zumindest Alphonse glaubt immer noch daran, dass er eines Tages wieder seine Rüstung ablegen kann, auch wenn er gemeinsam mit Edward schon nicht mehr ihre Mutter wiederbeleben konnte. Ein Problem haben die beiden jedoch: Wirklich überall, wo sie auftauchen, ist Ärger garantiert.

Vor allem Edwards Stellung als Staatsalchemist sorgt immer wieder für Unruhe, weil die Ganoven, die den ungleichen Brüdern begegnen, genau wissen, dass sie ihnen kaum gewachsen sind. Und so ist die Reise der beiden Alchemisten geprägt von Rangeleien, Hinterlisten und Schmierereien. Edward und Alphonse machen sich aber deswegen keinen Stress, denn wo ihre vermeintlichen Gegner ziemlich cool auftreten, sind die zwei Alchemisten noch einen ganzen Tick abgezockter …

_Meine Meinung_

Der Auftakt der neuen Manga-Serie „Fullmetal Alchemist“ ist recht ungewöhnlich ausgefallen. Zwei völlig obskure Typen ziehen umher, kämpfen in gewissem Sinne für Gerechtigkeit (oder besser gesagt gegen Ungerechtigkeit) und kümmern sich dann doch wieder um kaum etwas anderes als sich selbst.

Der erste Band ist in mehrere Kapitel unterteilt, die grundsätzlich für sich selber stehen könnten, aber auch in einem gewissen Zusammenhang zueinander stehen. Anders gesagt: Es gibt einen roten Faden, der die einzelnen Episoden zusammenhält, aber nicht notwendig verfolgt werden muss. Zu Beginn werden auch direkt die gesamten Eigenheiten der Handlung bzw. ihrer Charaktere offenbar. Große Klappe vs. große Klappe, sprich ständige Wortgefechte sind an der Tagesordnung, meist geführt vom Staatsalchemisten und Unruhestifter Nummer eins, Elric, der sich hier als Moralapostel aufspielt und einen betrügerischen Pater entlarven will – aber nicht mit aller Konsequenz.

Dieser Schein-Geistliche gibt vor, er könne Menschen wiederbeleben, allerdings wissen die beiden aus eigener Erfahrung, dass dies nicht möglich ist. Mit dem Grundwissen der Alchemie ausgestattet, bekämpfen sie seine Theorien, leisten permanent Widerstand, rufen den Zorn des Paters und seiner verbrecherischer Helfershelfer auf sich herab. Und urplötzlich bekommen die beiden auch Anerkennung bei den Bürgern der Stadt, doch bevor ihnen dies nahe gehen kann, lassen sie die Leute dort wieder mit ihren Problemen links liegen, selbst ein Mädchen, das sehr großes Vertrauen in den Pater gesetzt hat und nun dringende Unterstützung braucht.

Im nächsten Abschnitt wollen Alphonse und Edward eigentlich nur einen Zwischenstopp in einem Gasthaus machen, bekommen sich aber – wieder mal wegen der Position des Staatsalchemisten – mit den Eignern in die Wolle. Dann aber lernen die beiden den Grund für den dortigen Unmut kennen. Der korrupte Leutnant presst haufenweise Steuergelder aus den unschuldigen Bürgern heraus, muss aber einlenken, als er die beiden Elric-Brüder antrifft. Diese nämlich haben sich schon einen Plan zurechtgelegt, wie sie in der Ortschaft wieder für Gerechtigkeit sorgen und den falschen Politiker überlisten können.

Im letzten Kapitel kämpfen die Elric-Brüder gegen eine Bande von Geiselnehmern an, die zudem einen ganzen Zug in Beschlag genommen haben. Gewieft wie immer setzen sie sich zur Wehr und sprengen die Situation mit taktischer Raffinesse und einer guten Spürnase.

Insgesamt sind alle drei Geschichten ziemlich stark und bieten kurzweilige, teils auch sehr humorvolle Unterhaltung. Lediglich im letzten Teil namens „Kampf im Zug“ gerät die Action zu Ungunsten der Spannung ein wenig außer Kontrolle, was aber ebenfalls durch viele lustige Szenen und Dialoge wieder locker ausgemerzt werden kann. Dies ist auch der mitunter wichtigste Aspekt dieser frischen Serie: Es ist leichte Kost, hat aber trotzdem von allem etwas und ist überdies auch sehr ausgewogen. Und noch viel wichtiger: Die Charaktere sind echt sympathisch, cool und fördern den Spaß umso mehr.

„Fullmetal Alchemist“ ist sicherlich kein innovativer Überflieger in seinem Genre, aber eine echte Bereicherung. Das kann ich zumindest für den ersten Band unterschreiben. Die beiden Elric-Brüder haben Witz und sind super illustriert, soll heißen, auch die Rahmenbedingungen stimmen. Auf den Punkt gebracht, heißt dies, dass der Einstand absolut gelungen ist und man auf jeden Fall noch einiges von dieser Serie erwarten darf. Die Fortsetzung folgt im November 2006. Hoffentlich dann auch wieder mit so lässigem Manga-Entertainment.

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W. J. Stuart – Alarm im Weltall

stuart-alarm-im-weltall-cover-kleinEine Suchaktion führt den Raumkreuzer C-57-D auf den Planeten Altair 4, doch der einzige Überlebende eines vor Jahren dort havarierten Forschungsschiffs will gar nicht gerettet werden. Statt Dankbarkeit erwartet die Ankömmlinge ein unsichtbares Ungeheuer, das sie in Stücke reißen will … – Angelehnt an Shakespeares Drama „Der Sturm“ entstand dieses solide geschriebene und übersetzte Buch zum Filmklassiker von 1956, das sich erstaunlich spannend und wie ein Kompendium der Science Fiction seiner Entstehungszeit liest.
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Lukianenko, Sergej – Wächter des Zwielichts

Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390

Sergej Lukianenko lädt uns in seinem dritten Teil der Wächter-Serie erneut dazu ein, mit ihm die verschiedenen Schichten des Zwielichts zu erkunden. Dieses Mal werden wir mit den Anderen bis in die fünfte Schicht des Zwielichts eintreten, die wir bislang nie kennen lernen durften. Ins Zwielicht können nur die so genannten Anderen eintreten, nämlich Menschen mit besonderen Kräften. Die Anderen teilen sich in die Dunklen und die Lichten ein, die einst einen Waffenstillstand geschlossen haben, der nun von der Tagwache und der Nachtwache kontrolliert wird. In diesem Waffenstillstand müssen sich die Kräfte der beiden Wachen stets ausgleichen, doch haben bereits die ersten beiden Bände der Wächter-Serie gezeigt, dass dieses Kräftegleichgewicht mehr als wackelig ist. Im vorliegenden Teil geht es jedoch nicht so sehr um die Zwistigkeiten zwischen den beiden Wachen, sondern um den Konflikt zwischen Menschen und Anderen, denn was sind überhaupt Andere? In diesem Buch verrät es uns Sergej Lukianenko …

_Tritt ein ins Zwielicht_

Im dritten Teil steht erneut der Lichte Anton im Mittelpunkt, mit dem in „Wächter der Nacht“ einst alles begonnen hat. Anton lebt inzwischen mit der mächtigen Anderen Swetlana zusammen, die ihm zuliebe aus der Wache ausgetreten ist. Die beiden haben eine kleine Tochter zusammen, deren Schicksal im ersten Teil bereits vorbestimmt worden ist und die voraussichtlich die mächtigste Andere aller Zeiten werden wird. Während Anton von seinem Chef Geser zu einem Auftrag weggeschickt wird, verbringt Swetlana mit ihrer Mutter und ihrer Tochter ihren Urlaub und fürchtet gleichzeitig um Antons Leben, da sie in die Zukunft schauen kann und spürt, dass er in eine Falle tappen könnte.

Mysteriöse Dinge sind aufzudecken, denn die beiden Moskauer Wachen und auch die Inquisition haben Briefe erhalten von jemandem, der sie darüber hinformieren will, dass ein Anderer einem Menschen alles über die Anderen verraten hat und diesen Menschen zu einem Anderen machen will. Wer hat aber diese Briefe geschrieben, denn die Adresse der Inquisition kennen alleine Geser und Sebulon?! Anton geht dem auf den Grund und trifft dabei auch auf seinen alten Freund Kostja, der inzwischen zu einem hohen Vampir geworden ist. Aber auch die Inquisition ist wieder durch einige Magier vertreten, um herauszufinden, wer einen Menschen zu einem Anderen machen möchte.

„Wächter des Zwielichts“ teilt sich wie schon die Vorgänger in drei Geschichten ein, die in diesem Fall allerdings eng miteinander verknüpft sind und immer Anton als Bezugsperson haben. Nachdem die mysteriöse Geschichte um die anonymen Briefe gelöst ist, fährt Anton nämlich zu Swetlana und seiner Tochter und trifft dort im Urlaub auf eine überaus mächtige Hexe, die sich jedoch nie hat registrieren lassen. Schon gehen die Ermittlungen also weiter, sodass Anton keinen Urlaub haben wird.

_Die faszinierende Welt der Anderen_

Sergej Lukianenko hat mit seiner Wächter-Serie eine Geschichte erschaffen, die auch weit über Russland hinaus erfolgreich ist, und dies nicht ohne guten Grund. Lukianenkos Welt der Anderen ist einfach nur faszinierend. Obwohl die Idee an sich einfach ist und wir Magier, Vampire und Werwölfe schon aus zahlreichen anderen Romanen kennen, hebt Lukianenko sich dennoch von der Masse der Fantasy-Schreiber positiv ab. Unter anderem liegt das darin begründet, dass seine Zeichnungen nicht schwarz-weiß sind. Die Lichten sind zwar die offiziell Guten und die Dunklen die Bösen, doch haben wir bereits in den ersten beiden Teilen der Wächter-Reihe gelernt, dass auch die Lichten ihre dunklen Seiten haben und sogar der mächtige Geser, der die Nachtwache anführt, immer wieder neue Intrigen spinnt und seine eigenen Wächter für seine egoistischen Zwecke benutzt oder sogar missbraucht.

Dass der Leser dennoch eher mit den Lichten mitfiebert als mit den Dunklen, liegt sicherlich in der Person des Anton begründet, der immer wieder auftaucht und in einigen der Geschichten unsere Bezugsperson ist, die wir auf Schritt und Tritt begleiten. Anton wird zu einem guten Bekannten, der uns nur allzu menschlich erscheint. Antons Schicksal ist dadurch vorbestimmt, dass er nie ein ganz mächtiger Anderer werden wird, immer wird er im Schatten seiner Freundin Swetlana stehen, die schon jetzt mächtiger ist als er. Aus Liebe zu Anton ist Swetlana zwar aus der Wache ausgetreten, dennoch nagt es immer wieder an Anton, dass sowohl Swetlana als auch seine Tochter über höhere Kräfte verfügen werden als er selbst. Dass dies Antons Stolz verletzt und ihn an sich selbst zweifeln lässt, ist nur natürlich, auch wenn sich Antons Zorn dadurch oft genug gegen seine eigene Freundin richtet, die ihn in dieser Hinsicht immer wieder übertreffen wird. Wir lernen im Laufe der Erzählung immer neue Seiten von Antons Charakter kennen, der für uns dadurch immer vollständiger wird. Doch das Schicksal hält auch für Anton dieses Mal noch einige Überraschungen bereit, die ihn einen großen Schritt nach vorne machen lassen.

Ein sehr interessanter Konflikt ist in „Wächter des Zwielichts“ der zwischen Anton und seinem früheren Nachbarn Kostja, der zu einem mächtigen Vampir aufgestiegen ist. Anton weiß, auf welche Weise ein Vampir zu solcher Macht gelangt, nämlich dadurch, dass er Menschen aussaugt. Aus Angst vor den möglichen Enthüllungen ist Anton daher bisher davor zurückgeschreckt, Kostjas Akte zu lesen, in der festgehalten ist, wie viele Menschen zu seinen Opfern geworden sind. Obwohl Anton und Kostja auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sie ihre frühere Freundschaft noch nicht vergessen und hängen daher ihren eigenen wehmütigen Erinnerungen nach. Lukianenko nutzt diese alte Freundschaft aus und spinnt darum einen Konflikt, der in „Wächter des Zwielichts“ zu weit reichenden Konsequenzen führen könnte.

_Faszinosum Lukianenko_

Sergej Lukianenko spinnt in diesem dritten Band „Wächter des Zwielichts“ seine Geschichte der Anderen weiter und bedient sich wieder seiner erfolgversprechenden Elemente: Auch in diesem Teil streut Lukianenko Gerüchte und Verdachtsmomente ein, die die Protagonisten, aber auch die Leser zum Nachdenken bringen. Besonders Geser und Sebulon bleiben in ihrer Charakterzeichnung stets undurchsichtig, auch wenn Sebulon in diesem Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt. Immer wieder gibt es Momente, in denen die anderen das Gefühl haben, dass jemand hinter all den mysteriösen Ereignissen steckt, der eigene Ziele verfolgt und die Anderen dafür missbraucht. Aber Lukianenko lässt uns stets so lange wie möglich im Unklaren, sodass genug Gelegenheit bleibt, eigene Vermutungen anzustellen. Durch diese „Hinhaltetaktik“ animiert uns Lukianenko natürlich dazu, seine Geschichte immer weiter zu verfolgen und seine Bücher weiter zu lesen, da wir auf eine echte Aufklärung für manche Geschehnisse hoffen, die bislang ausgeblieben ist.

Wie schon in den beiden ersten Bänden der Wächter-Reihe ist auch „Wächter des Zwielichts“ in drei Geschichten unterteilt, die jeweils ein anderes „Problem“ thematisieren, doch in diesem Buch sind die Geschichten eng miteinander verwoben und gehen direkt ineinander über. Es sind keine Zäsuren eingebaut, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Die Lektüre erleichtert uns Lukianenko dieses Mal dadurch, dass stets Anton im Mittelpunkt steht und wir uns nicht immer neue Figuren kennen lernen, wie es im zweiten Teil „Wächter des Tages“ der Fall gewesen ist.

Lukianenko ist inzwischen zu einem Faszinosum geworden, seine Bücher verkaufen sich auch in der westlichen Welt hervorragend, sodass sicherlich schon wieder zahlreiche Buchfans sehnsüchtig auf die „Wächter der Ewigkeit“ warten, also auf den vierten Teil der Reihe. Lukianenko hat eine fantastische Welt geschaffen, in der Menschen und Andere zusammenleben, und in diesem dritten Teil wagt Lukianenko erstmals eine Erklärung, was Andere überhaupt sind. Dabei bedient er sich einfacher Grundsätze der Thermodynamik, die ich hier etwas merkwürdig fand, aber glücklicherweise hält er sich mit physikalischen Spekulationen weitgehend zurück, sodass man darüber hinwegsehen kann. Wer also wissen möchte, was Lukianenko sich unter den Anderen vorstellt, sollte unbedingt zu den „Wächtern des Zwielichts“ greifen.

_Und wieder heißt es warten_

Ungeduldig habe ich auf das Erscheinen des dritten Teils der Wächter-Reihe gewartet, doch habe ich es wieder nicht geschafft, den Lesegenuss hinauszuzögern. Dies macht Lukianenko praktisch unmöglich, da er genau an den richtigen Stellen Cliffhanger einbaut und seine Hauptfiguren immer wieder in gefährliche Situationen geraten lässt, die dringend überwunden werden müssen. Das Erzähltempo in „Wächter des Zwielichts“ empfand ich als noch höher als bei den beiden Vorgängerbänden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten waren fließend, sodass ich dieses Buch praktisch nicht aus der Hand legen konnte, was mit Sicherheit aber auch auf die gelungene Figurenzeichnung zurückzuführen ist. Von allen auftretenden Figuren lernen wir neue Seiten und Eigenarten kennen, sodass sich langsam aber sicher ein immer detaillierteres Bild der Hauptcharaktere zusammensetzt.

„Wächter des Zwielichts“ überzeugt auf ganzer Linie und führt überzeugend fort, was Lukianenko in „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ bereits begonnen hat. Diese Wächter-Serie ist zu Recht so erfolgreich und ich warte schon jetzt wieder sehnsüchtig auf das Erscheinen der [„Wächter der Ewigkeit“! 3594

http://www.heyne.de
http://lukianenko.ru/eng/

|Anm.: Zuvor erscheint bei Heyne Anfang 2007 noch die 700-seitige Space-Opera [„Spektrum“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453522338/powermetalde-21 Man darf gespannt sein.|

Connelly, Michael – Vergessene Stimmen

Nach drei Jahren Pension nimmt Hieronymus „Harry“ Bosch wieder den Dienst für das Los Angeles Police Department auf. Nachdem sich seine ehemalige Partnerin Kizmin Rider eindringlich für ihn eingesetzt hatte, holte ihn der neue Polizeichef zurück. Bosch und Rider arbeiten nunmehr für „Offen-Ungelöst“, eine Unterabteilung der Mordkommission, die sich mit ungelösten Kapitalverbrechen der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Mordfälle blieben seit 1960 im Großraum Los Angeles ungesühnt – eine Zahl, die Bosch tatendurstig zu senken gedenkt.

Sein erster Fall scheint einfach: 1988 wurde die 16-jährige Rebecca Lost erschossen in der Nähe ihres Elternhauses gefunden. Die Tatwaffe lag neben der Leiche; der Hahn hatte ein Stückchen Menschenhaut abgerissen, die möglicherweise dem Mörder gehörte, was mit den zeitgenössischen Untersuchungsmethoden indes nicht hatte geklärt werden können. Seither hat die Kriminalistik vor allem im Bereich der Identifikation per DNS gewaltige Fortschritte gemacht. Die konservierte Probe wurde neu untersucht, die Ergebnisse durch neue Datenbänke gejagt. Ein Name wurde ausgespuckt: Der Hautfetzen gehört Roland Mackey, einem kleinkriminellen Drogenabhängigen mit reicher Knasterfahrung, die indes Gewalt bisher nicht einschloss.

Bosch hat kein gutes Gefühl; nach seiner Erfahrung passt Mackey nicht ins Täterprofil. Stattdessen lässt die Ermittlung einen monströsen Fall von „High Jingo“ zu Tage treten: eine Verschwörung krimineller Polizisten in hohen Rängen, unter denen sich ausgerechnet Chief Deputy Iverson, Boschs alter Intimfeind, befindet. Als der längst begraben geglaubte Lost-Fall in gesamter Breite aufgerollt wird, reagiert man ‚oben‘ erst nervös und beginnt dann, die ganze Macht des Departments gegen Bosch aufzuwenden …

Wird ein Mordfall nicht binnen möglichst weniger Tage gelöst, beginnen die Spuren sich abzukühlen, die Ermittlungen geraten in Gefahr abzuirren und müssen schlimmstenfalls eingestellt werden: Der Fall ist „kalt“ geworden, die Beweismittel verschwinden in einer großen Kiste und verstauben in einem Lager, wo in Sachen Gerechtigkeit die Zeit buchstäblich stehen bleibt. Die Polizei hasst diese Fälle, denn nehmen sie an Zahl allzu stark zu, erregen sie die Aufmerksamkeit nicht unbedingt wohlmeinender Kritiker.

In seinem neuen Fall öffnet nun ausgerechnet Harry Bosch eine dieser „kalten“ Zeitkapseln. Wie sich herausstellt, ist dieser Temperaturangabe keineswegs zu trauen: Ein Mord beendet zwar das Leben eines Menschen, doch sind da die Familie, Freunde, Kollegen. In Fällen gewaltsamen Todes konservieren die Hinterbliebenen Empfindungen wie Entsetzen, Trauer und Zorn perfekt unter einer dünnen Schicht seelischer Asche. „Vergessene Stimmen“ schildert nicht nur die Geschichte einer kriminalistischen Ermittlung, sondern thematisiert auch die Folgen einer Tragödie, die eben nicht vergessen wird: Die Toten sprechen mit den Stimmen derjenigen, die sie zurücklassen.

Zuverlässig verschmilzt Michael Connelly die beiden Komponenten zu einem rasanten Thriller mit Tiefgang. Nachdem der Autor zuletzt mit seinem Helden experimentierte, indem er u. a. die Erzählperspektive wechselte (s. u.), kehrt er zur bewährten Form zurück. „High Jingo“ heißt ein Großkapitel des vorliegenden Romans. Dies ist Polizeijargon für ein Komplott in der Führungsspitze: Hochrangige Beamte missbrauchen ihre beträchtlichen Kompetenzen, um eigene Verbrechen oder kriminelle Taten politischer Verbündeter zu decken.

Ermittlungen in diese Richtung sind für einen Detective wie Bosch, der recht weit unten in der Hierarchie steht, verständlicherweise eine brandgefährliche Sache. Korrupte Polizisten müssen besonders harte Strafe gewärtigen, was sie antreibt, bis zum Äußersten zu gehen, wenn sie aufzufliegen drohen. Verfügen sie gleichzeitig über entsprechende Macht, brechen für den Ermittler harte Zeiten an. Harry Bosch ist notgedrungen ein „High Jingo“-Experte. Schon mehrfach hat er sich den Zorn krimineller Vorgesetzter zugezogen, waren Karriere und sogar Leben in Gefahr. „High Jingo“ war mit ein Grund für Boschs Kündigung.

In gewisser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte also. Trifft dies auch auf Connellys Bosch-Serie zu, die immerhin in die elfte Runde geht? Glücklicherweise nein, denn die Zeit ist nicht stehen geblieben. Der Kunstgriff, Bosch für einige Jahre aus dem Polizeidienst zu nehmen, gestattet die Konfrontation des Helden mit einem System, das sich entwickelt hat. Das „neue“ LAPD muss Harry Bosch – zusammen mit dem Leser – erst kennen lernen; geschickt baut Connelly einige Szenen in die Handlung ein, die den Detective merken lassen, dass er Rost angesetzt hat.

Dennoch ist Harry Bosch definitiv zurück – nicht nur als zentrale Figur einer der besten Serien des modernen angelsächsischen Kriminalromans, sondern vor allem als Cop mit Dienstmarke und –waffe. Drei Jahre bzw. zwei Romanlängen war Bosch „draußen“; zermürbt von polizeiinternen Querelen und ausgebrannt von zu viel hautnah miterlebter alltäglicher Gewalt. Doch rasch wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Zwar ging er als Privatdetektiv weiterhin auf Mörderfang, aber er vermisste die Vorrechte und Möglichkeiten, die ihm der Polizeidienst sicherte. Ohne blieb er eingeschränkt und angreifbar – ein zahnloser Tiger, dem mehr als genug Zeit blieb, sich seinem komplizierten Privatleben zu widmen.

Der Harry Bosch dieser Phase berichtete in der „Ich“-Form über seine Erlebnisse. So erhielten die Leser auch einen tieferen Einblick in das Seelenleben dieser Figur, was ihr nicht zwangsläufig gut bekam, weil darüber verloren ging, was die eigentliche Attraktivität der Harry-Bosch-Reihe ausmacht: die Verzahnung zwischen Polizeiarbeit und aktuellem Tagesgeschehen, wobei ein Mordfall als roter Faden dient, der tief in gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen ausläuft.

Auch in der Welt des Hieronymus Bosch heilt die Zeit manche Wunde. Ein neuer Besen kehrt im LAPD, und für Bosch, den Ermittler mit eindrucksvoller Erfolgsquote, gibt es eine ideale Aufgabe – er versucht sich an Fällen, die nie geklärt werden konnten; ein angenehmer Nebeneffekt, so denkt der Polizeichef, ist die Tatsache, dass Bosch bei diesen Ermittlungen niemandem auf die Füße treten kann.

Womit er sich natürlich getäuscht hat, was er nach seinem einleitenden Vortrag selbst hätte wissen müssen, hat er doch selbst betont, dass die Stimmen der Toten nicht überhört werden können. Bosch nimmt ihn beim Wort, gräbt gewohnt tief – und fördert zu Tage, was mancher Zeitgenosse buchstäblich begraben glaubte und gern weiterhin begraben sähe. So beginnt der alte „High Jingo“-Tanz erneut, den Bosch mindestens ebenso liebt wie die Polizeiarbeit: der Kampf mit dem Apparat bzw. mit denen, die das System korrumpieren und unterminieren.

Die Randfiguren erleben neuerlich einen Wechsel. Bosch-Kumpel Edgar, der sich ihm in den Jahren als Privatdetektiv eng angeschlossen hatte, rückt in den Hintergrund. Kiz Rider, die weiblich, schwarz und lesbisch und auf diese Weise gleich dreifach diskriminierenden Attacken ausgesetzt ist, steht Bosch dagegen wieder zur Seite (soweit dies möglich ist; Bosch wird nie wirklich ein Teamspieler sein). Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil es in „Vergessene Stimmen“ auch um das hässliche Thema Rassismus geht. Bosch gerät tief in den Sumpf faschistoider „Kämpfer für ein weißes Amerika“, die in ihrer bornierten Bösartigkeit vor keinem feigen Anschlag auf alle, die nicht „arisch“ sind wie sie, zurückschrecken.

Viel Arbeit also für Harry Bosch. Nur halbwegs spöttisch nennt er sich einen „Missionar“ und „Kreuzritter“. In gewisser Weise ist er das wirklich. Dass er in dieser Rolle nicht lächerlich wirkt, verdankt er seiner Aufrichtigkeit, die verknüpft ist mit persönlichen Schwächen. Nach vielen Jahren ist in Bosch immer noch der Soldat, der voller Angst aber entschlossen in den Erdhöhlen des Vietcong um sein Leben kämpfte. Er wird es hoffentlich noch weitere Jahre bleiben.

Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. (2006 erschien eine Auswahl in Buchform unter dem Titel „Crime Beat. A Decade of Covering Cops and Killers“ – ein Werk, das übersetzt hoffentlich ebenfalls seinen Weg nach Deutschland findet.) Nach einigen Jahren heuerte die |Los Angeles Times|, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.

Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. [„Schwarzes Echo“), 958 den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.

Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.

S. L. Viehl – Stardoc – Die Seuche (Band 1)

Story

Dr. Cherijo Grey Veil, Tochter des angesehenen und berühmten Joseph Grey Veil, möchte nur noch fliehen. Weg von Terra, und vor allem weg von ihrem tyrannischen Vater, dessen Einfluss sie nicht mehr länger ertragen kann. Während eines Bar-Besuchs lernt sie den Piloten Dhreen kennen, der mit seinem Schiff alsbald nach Kevarzangia Zwei reist und anbietet, die junge Ärztin mitzunehmen. Cherijo willigt ein und startet gemeinsam mit ihrer Hauskatze Jenner auf dem Kolonieplaneten ein völlig neues Leben.

S. L. Viehl – Stardoc – Die Seuche (Band 1) weiterlesen