Archiv der Kategorie: Rezensionen

Appelfield, Aharon – Geschichte eines Lebens

„Geschichte eines Lebens“ – welch bescheidener Titel für die fragmentierte Wiedergabe einer Biografie voller erlebter Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten. Der Autor, Erwin (Aharon) Appelfield, Jahrgang 1932, hat am eigenen Körper all die Gräuel des Kriegs erleben müssen, begonnen in seiner rumänischen Heimat, in der Marschall Antonescu als Adäquat zu Adolf Hitler den Holocaust vorantrieb, über seine schmerzvollen Reise in die Ukraine und die Zwischenstation Ghetto bis hin zu seiner Flucht ins Exil an die Adria und schließlich nach Palästina, wo Appelfield nach jahrelangem Überlebenskampf endlich den lang ersehnten Frieden gefunden hat.

Doch wie schreibt man eine solche Geschichte, ohne dabei Gefühle wie Hass und Verbitterung zu sehr an die Oberfläche dringen zu lassen? Wie kann eine quasi wertfreie Aufarbeitung stattfinden, quasi neutral und faktisch, aber nicht emotionsgeladen und aggressiv? Gar nicht möglich. Jedenfalls sollte man dies vermuten, wenn man sich zu Gemüte führt, was der junge Appelfield damals in der Ära des Krieges hat durchmachen müssen. Schon von Kindesbeinen an führte er ein Leben als Verfolgter, verlor dabei seine Mutter und seine Großeltern schon zu Beginn des Krieges, musste mit ansehen, wie sein Vater den Todesmarsch in die Ukraine mit seinem Leben bezahlte und wurde gleichzeitig noch dazu gezwungen, sich mit etlichen weiteren Menschenschicksalen auseinander zu setzen, während er gerade erst zum Knaben heranreifte. Es gibt wohl kaum Worte, um die Gefühle zu erfassen, die Appelfield nicht nur in dieser niederträchtigen Zeit, sondern auch in den Erinnerungen, die ihn auch heute noch plagen, hat durchleben müssen, doch man ist sich fast schon sicher, dass der Autor sein Leben aus einer sehr feindseligen Perspektive betrachten wird. Aber er tut es nicht, geht schon beinahe souverän mit den prägenden Abläufen um und ist mit sich und seiner Vergangenheit schon lange im Frieden.

Dabei ist es allzu erschreckend, was Appelfield in den vielen gesammelten Ausschnitten und Eindrücken verarbeitet, aber auch, wie emotionslos er die verschiedenen Gedanken aufarbeitet. Ja, es ist die Geschichte seines Lebens, und sie besteht oberflächlich betrachtet nun einmal ausschließlich aus Fakten, aber ist es eben nicht nur irgendeine Geschichte, sondern die eines gedemütigten Kriegsopfers. Appelfield berichtet dennoch relativ trocken (natürlich immer im Hinblick auf die Brutalität der Ereignisse) davon, wie er seine Heimat aufgeben musste, seine Familie verlor, wie er unschuldigen Menschen beim Sterben zusah und dies irgendwann als gegeben hinnahm, und wie er den Tod zu akzeptieren lernte, ohne jemals darauf vorbereitet zu werden. Es ist die Geschichte eines Jungen, der vor seinem eigentlichen Leben bereits aus diesem herausgerissen wurde, der im Alter von sieben Jahren bereits Entscheidungen treffen musste, die nicht einmal ein Erwachsener zu entscheiden imstande gewesen wäre, der aber auch mit der schrecklichen Situation abstumpfte und irgendwann nur noch für sich selber kämpfte – und überlebte.

Grotesk ist dabei, dass er selbst bei den grausamsten Erfahrungsberichten meist die positiven Dinge hervorhebt. Beginnend bei der Ankündigung der drohenden Veränderung, als er mit seiner Familie ganze Massen an Erdbeeren vertilgte, bis hin zu den Arbeiten bei einer Prostituierten, die ihn ausnutzte und missbrauchte, bei der Aharon aber dennoch hauptsächlich die guten Eigenschaften hervorhebt. „Geschichte eines Lebens“ ein optimistisches Buch zu nennen, läge mir zwar fern, doch der Autor zeigt im Grunde genommen sehr oft eine zuversichtliche Grundhaltung, wobei natürlich berücksichtigt werden muss, dass der Krieg für Appelfield ein versöhnliches (soweit man dies so sagen kann) Ende hatte.

Doch wo für den Autor die positiven Eindrücke eine tragende Rolle spielen, bleiben beim Leser fast ausschließlich die Gemeinheiten haften. Babys, die aus purer Lustbefriedigung Hunden zum Fraß vorgeworfen wurden, der brutale Marsch in die Ukraine, die erzählten Ausschnitte des Ghettolebens, und, und, und. Die Liste ist ewig lang und kann im Detail kaum noch wiedergegeben werden, derart massiv häufen sich die gedanklichen Schreckensbilder.

Daher keimt auch ständig die Frage auf, wie Appelfield es bewältigt hat, all diese Erlebnisse mit einer relativen Gelassenheit zu dokumentieren, wie es ihm gelungen ist, sich von den depressiv stimmenden Bildern adäquat zu distanzieren. Wenn man bedenkt, wie genau die Erinnerungen noch in ihm leben und wie detailgetreu er all dies wiedergeben kann, fällt es für den Außenstehenden schwer, überhaupt zu verstehen, aus welcher vergleichsweise neutralen Position er seine eigene Geschichte erzählt. Dies ist für mich persönlich der zentrale Punkt; nicht nur die Auseinandersetzung mit der zerrüttet dargestellten Biografie, sondern vor allem auch die fokussierte Betrachtung des Menschen, der sein erschütterndes Leben in einer nach außen durchweg wertfreien Dokumentation vorstellt. Es sind leider nur 200 Seiten, die einem hierzu Gelegenheit geben, aber die Schilderungen während dieser 20 Seiten sind so umfassend, dass sie Gedankenstoff für mehrere Wochen liefern. Was Appelfield hier beschreibt, lässt den Leser nicht mehr los, und das vor allem, weil er sich nicht auf eine spezifische Beschreibung des Lebens mit dem Holocaust beschränkt, sondern vermehrt die Entwicklung seiner Persönlichkeit in der Zeit des Antisemitismus beschreibt.

„Geschichte eines Lebens“ ist daher auch ein absolut empfehlenswertes Werk, das trotz seiner – und das soll man bitte immer in Relation zu vergleichbaren Schilderungen/Autoren dieser Zeit betrachten – nüchternen Erzählweise emotional zutiefst berührt. Mir fällt momentan kein weiterer Zeitzeuge ein, der die Betroffenen-Szenarien des Zweiten Weltkriegs derart bewegend beschrieben hat wie Aharaon Appelfield in diesem Buch.

http://www.rowohlt.de

Brandis, Katja – Feuerblüte (Band 1)

Der „Kampf um Daresh“ ist mittlerweile beendet, doch Katja Brandis, die die gleichnamige Triologie geschrieben und in der |Ueberreuter|-Reihe „Meister der Fantasy“ veröffentlicht hat, ist noch nicht fertig mit der Welt, in der sich die Menschen in vier Gilden gruppieren. Mit „Feuerblüte“ beginnt sie einen neuen, dreibändigen Zyklus um die junge Schwertkämpferin Alena, die Tocher der verstorbenen Alix, eine der Protagonisten in „Kampf um Daresh“.

In Daresh teilen sich die Menschen in vier Gilden, die nach den vier Elementen benannt sind, auf. Die fünfzehnjährige Alena ist Mitglied der Feuergilde, das heißt, sie kann Schwerter schmieden und im Kampf sehr gut mit dieser Waffe umgehen. Sie steht gerade vor einem wichtigen Schritt, denn obwohl sie noch keine siebzehn ist, wird sie zur Meisterprüfung zugelassen. Ihr ungestümes Temperament verhindert allerdings, dass sie die Prüfung zur Meisterin besteht. Trotzdem beschließt sie, ihr Meisterschwert widerrechtlich zu tragen, was auch dringend notwendig ist, denn in Daresh treiben sich Gestalten herum, denen man nicht schutzlos gegenüber stehen möchte.

Ein Mann, der sich der „Heiler vom Berge“ nennt, zum Beispiel, und der seine mitreißende Predigt über die Liebe in der Handelsstadt Ekaterin hält, als sich Alena zusammen mit ihrer Tante Rena dort befindet. Rena erkennt in dem Heiler ihren Erzfeind Cano wieder, Alenas Onkel, der in Renas Jugend versucht hatte, Daresh unter seine Gewalt zu bringen. Beunruhigt meldet sie ihre Beobachtung dem Rat, doch dort nimmt man sie nicht ernst.

Zur gleichen Zeit ereilt Alena die Nachricht, dass ihr Vater im Koma liegt, nachdem er einen weißen Panther gesehen hat. Nachdem auch Renas Gefährte von dem Tier verzaubert wird, sehen die beiden ein, dass sie handeln müssen. Doch Cano, den sie verdächtigen, ist den beiden immer einen Schritt voraus und sorgt dafür, dass sie aufgrund seiner Intrigen in Ekaterin zu Geächteten werden. Nachdem er ihnen einen Mord angehängt hat, geht es nicht nur darum, Alenas Vater und Renas Gefährten zu retten, sondern auch Cano zu vernichten und ihren Namen reinzuwaschen …

Die Fantasywelt von Daresh begeistert vielleicht nicht gerade durch Originalität, aber sie ist schön ausgearbeitet, und die Idee mit den unterschiedlichen Gilden weiß zu gefallen. Trotzdem wird man mehr als einmal ein wenig an die Bücher von Tamora Pierce erinnert, allerdings gelingt der Weltentwurf hier nicht ganz so gut, da an der einen oder anderen Stelle noch ein wenig der Feinschliff fehlt. Ekaterin ist zwar hübsch dargestellt, doch es fehlt an wirkungsvollen Beschreibungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Selbiges gilt für die Personen. Alena ist eine wunderbar kratzbürstige Pubertierende, doch auch ihr fehlt es an einigen Ecken und Kanten, die ihr die nötige Tiefe verliehen hätten. Das Gleiche gilt für Rena, die leider ein wenig oberflächlich bleibt. Die beiden wechseln sich mit den Perspektiven ab, doch leider werden sie teilweise sogar im selben Absatz vermischt, was ein wenig verwirrend ist.

Oben genannte Kritikpunkte könnten auch damit zusammenhängen, dass der Schreibstil an und für sich kaum Zauber entwickelt. Er erzählt flüssig und ohne Stolpersteine, aber auch ohne besondere Sogwirkung. Dabei hätte der an und für sich durchaus spannenden Handlungen mit einem schönen Aufbau und überraschenden Wendungen ein wenig Absorbationskraft nicht geschadet.

Katja Brandis‘ „Feuerblüte“ hat einen netten Hintergrund und eine nette Handlung, doch leider ist der etwas unmotivierte Sprachstil schuld daran, dass kaum wirkliche Spannung aufkommt, die den Leser so sehr in den Bann zieht, dass er das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

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|Siehe ergänzend dazu die Rezension zu Band 2:| [„Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ 2887

Hacke, Axel – kleine Erziehungsberater, Der. Mit Bildern von Michael Sowa

Auf den ersten Blick: ein Buch über eine bundesdeutsche Familie, die ein Reihenhaus in einem Vorort von München bewohnt … Der Kulturschock ist vorprogrammiert, gerade auch deshalb: Es soll um Erziehung gehen!

Doch der erste Blick trügt, denn Axel Hacke, ein auf allen Ebenen überforderter Vater, den man wohl früher ein „stolzes Familienoberhaupt“ genannt hätte, weiß seinen Alltag in über einem Dutzend kurzen Anekdoten ganz vortrefflich zu beschreiben. Da bleibt kein Auge trocken!

„Der kleine Erziehungsberater“ liefert jedoch nicht nur Anlass zur köstlichen Unterhaltung, sondern malt ein ausgesprochen realistisches Bild von Kindererziehung. Eines, das die Rolle „Kind“ und „Erziehungsberechtigter“ mitunter stark zu verwischen in der Lage ist. Im nervenaufreibenden Spannungsfeld aus Autorität, Laissez-faire, Resignation und der schmerzlichen Erfahrung seitens der Eltern, dass die illusionäre Vorstellung eines unfehlbaren Vaters endlich überwunden ist, wachsen Hackes Kinder in einem reflektierten und liebevollen Familienumfeld auf – so scheint es zumindest.

„Der kleine Erziehungsberater“ ist eine unterhaltsame Lektüre, die im Gegensatz zu Super Nanny & Co. einen lohnenden Beitrag zu Kindererziehung leisten kann. Denn Lachen hat noch nie geschadet!

http://www.kunstmann.de/

Corder, Zizou – Lionboy: Die Entführung

_Handlung_

Charlie Ashanti lebt in London und ist ein ganz besonderes Kind, denn er spricht die Sprache der Katzen: Katz. Als er eines Tages nach Hause kommt, sind seine Eltern, beide bekannte Wissenschaftler, spurlos verschwunden. Von der Nachbarskatze erfährt er, dass seine Eltern entführt worden sind.

Wie sich herausstellt, wurden sie von einer Organisation entführt, die an einem von ihnen entwickelten Mittel gegen Asthma interessiert ist. Mit Hilfe seiner vierbeinigen Helfer nimmt Charlie die Verfolgung auf. Dabei landet er auf dem Zirkusschiff Circe, welches auf dem Weg nach Paris ist. Der Zirkusdirektor und Kapitän Major Maurice Thibaudet nimmt ihn als Teil der Besatzung auf.

Schon nach kurzer Zeit unter den Akrobaten, Clowns, Seiltänzern und exotischen Tieren wird er zum Assistenten des Löwendompteurs Maccomo. Er ist jetzt der Lionboy. Natürlich weiß keiner, dass sich Charlie mit den Löwen unterhalten kann, und so schmieden Charlie und die Könige des Tierreichs schon bald einen tollkühnen Fluchtplan …

_Der Autor_

Zizou (französisch: weiße Katze) Corder ist ein Synonym für die Schriftstellerin Louisa Young („Sehnsucht nach Kairo“, „Engel in Schwierigkeiten“) und ihre zum Schreibzeitpunkt zehnjährige Tochter Isabel Adomakoh. Die beiden haben die Geschichte von Charlie Ashanti gemeinsam entwickelt und geschrieben. Die beiden leben in London, und „Lionboy: Die Entführung“ ist ihr erstes Kinderbuch und der erste Band einer Trilogie über den Katz sprechenden Charlie Ashanti.

_Mein Eindruck_

„Lionboy: Die Entführung“ ist für mich das beste Kinder/Jugendbuch seit „Harry Potter“. Nicht umsonst hat sich kein Geringerer als Stephen Spielberg die Filmrechte für dieses Buch bereits gesichert.

Aber was macht das Buch so erstklassig? Zuerst einmal ist das sicher die Autorenkombination aus erfahrener Schriftstellerin und ihrer Tochter. Auf jeder Seite kann man die kindliche Phantasie bestaunen und saugt sie förmlich ein. Dabei wird der Plot aber niemals undurchsichtig oder verwirrend, was ganz klar auf die ordnende Hand der Mutter zurückzuführen ist. Genauso ist es mit verschiedenen Erklärungen und Beschreibungen innerhalb des Textes. Man merkt, dass hier ein Kind bei der Entstehung quasi Pate gestanden hat, denn die Erklärungen sind genau richtig gestreut und gut formuliert, so dass auch schon jüngere Leser ihren Spaß an der „Lionboy-Reihe“ haben werden. Dabei sind sie aber keinesfalls in einer lehrerhaften Formulierung gehalten, sondern sehr interessant und liebevoll, damit sie auch die älteren Semester nicht stören.

Die Story an sich spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Erdölvorkommen beinahe erschöpft sind, wobei hier natürlich auch der Lerneffekt für die jungen Leser nicht zu übersehen ist. Auch dass Charlie einen Vater aus Afrika und eine Mutter aus Europa hat, vermittelt genau den richtigen Umgang mit der immer wieder aufflackernden Rassismusdebatte, wobei hier sicher auch autobiografische Züge der Autorinnen enthalten sein dürften. Die Geschichte ist sehr bunt und bildhaft erzählt, ohne dabei kitschig oder aufgesetzt zu wirken. Der junge Charlie wird äußerst intelligent und gewitzt dargestellt, was natürlich eine gewisse Identifikation mit dem Protagonisten herstellt.

Den Mittelpunkt des Buches bilden aber sicherlich einmal, dass Charlie Katz spricht, und sein Aufenthalt auf dem Zirkusschiff Circe. Hinter der Gabe steckt nämlich auch noch, dass zu dieser Zeit fast alle Menschen an Asthma und an einer Allergie gegen Katzen leiden, wobei es ja in unserer Zeit wirklich immer mehr asthmakranke und allergische Kinder gibt. Charlies Eltern suchen dafür einen Impfstoff und werden dann von einem Syndikat entführt, um für sie zu arbeiten. Dadurch, dass die Katzen nicht gewohnt sind, dass Menschen sie leiden können, helfen sie natürlich dem kleinen Charlie, auch wenn da sicher noch etwas mehr dahinter steckt.

Charlies Zeit beim Zirkus ist so bunt und unterhaltsam geschildert, dass man sich wirklich in seine Kindertage zurückversetzt fühlt. Bunte Farben, fremde Gerüche und die Faszination Zirkus können wirklich so hautnah miterlebt werden, dass man das Buch gar nicht mehr beiseite legen will. Hierzu tragen auch die vielen sehr gelungenen Illustrationen bei. Überhaupt ist die Gestaltung des Bandes äußerst vorbildlich ausgefallen. Das Cover mit einem Löwenkopf ist passend gewählt, und wenn man das Buch etwas ins Licht hebt, scheinen einen die Augen wirklich anzufunkeln – toll! Ebenso sind die Noten für die verschiedenen Lieder, über die im Buch erzählt wird, enthalten, so dass sie problemlos von etwas musikbegabten Lesern nachgespielt werden können.

Das Finale der Geschichte bildet dann Charlies Flucht mit den Löwen in den Orientexpress, wo sie den König von Bulgarien treffen. Selbstverständlich ist die Handlung teilweise etwas unrealistisch, aber darüber muss man einfach hinwegsehen und sich auf diese schöne Phantasiewelt einlassen. Schließlich ist es ja hauptsächlich ein Kinderbuch, aber ich möchte hier noch einmal betonen, dass auch ältere Leser ihre wahre Freude an „Lionboy: Die Entführung“ haben werden.

_Fazit_

„Lionboy: Die Entführung“ ist eine tolle Geschichte, die wirklich fesselt – für mich das beste Kinder/Jugendbuch seit „Harry Potter“. Wenn die beiden nachfolgenden Bände auch nur annähernd das Niveau des ersten Bandes halten können, haben die Autorinnen damit eine wirklich wundervolle Trilogie geschaffen.

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Jones, Gail – Traum vom Sprechen, Der

Australische Literatur kommt einem in Europa bekanntermaßen eher selten zwischen die Finger. Nachdem aber nun vor kurzem schon Steven Carroll mit seinem Roman [„Die Kunst des Lokomotivführens“ 2853 Eindruck schinden konnte und dafür auch von Elke Heidenreich in ihrer Sendung „Lesen!“ gelobt wurde, steht mit Gail Jones eine weitere literarische Hoffnung Australiens in den Startlöchern.

Ihr Roman „Der Traum vom Sprechen“ stand zusammen mit Autoren wie Curtis Sittenfeld [(„Eine Klasse für sich“) 2772 und Zadie Smith (die letztendlich auch gewann) auf der Longlist des |Orange Prize| 2006. Ausreichend Vorschusslorbeeren, um mal einen näheren Blick auf die Autorin und ihr Werk zu riskieren.

„Der Traum vom Sprechen“ erzählt die Geschichte von Alice Black. Schon seit Kindheitstagen hegt Alice eine Faszination für Maschinen und Technik. Während ihre Schwester Norah das allseits beliebte Mädchen mit der künstlerischen Ader ist, verbringt Alice ihre Tage mit ihrem Vater – guckt mit ihm zusammen Football und lebt ihre Technikbegeisterung aus.

Die erwachsene Alice ist es aber, der Jones im weiteren Verlauf des Buches den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit schenkt. Alice hält sich im Rahmen eines Studienaufenthaltes in Paris auf. Sie schreibt ein Buch über die Poetik der Moderne. Von ihrem Freund Stephen hat sie sich gerade getrennt, als sie auf einer Bahnfahrt einen älteren Herrn kennen lernt – Mr. Sakamoto.

Wie sich schon bald herausstellt, teilt Mr. Sakamoto die Begeisterung für moderne Technik, Erfindungen und Erfinder. Mr. Sakamoto ist ein Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, und obwohl beide Personen einen so unterschiedlichen Horizont haben, knüpfen sie schon bald die zarten Bande einer Freundschaft. Mr. Sakamoto lockt Alice aus ihrer selbstgewählten Isolation und füttert sie mit Anekdoten über diverse Erfinder, die ihr bei ihrer „Poetik der Moderne“ helfen.

„Der Traum vom Sprechen“ skizziert in erster Linie die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Alice und Mr. Sakamoto. Beide Lebenswege könnten unterschiedlicher kaum sein, und wie Jones diese zwei so unterschiedlichen Persönlichkeiten auf so behutsame Art zusammenschweißt, macht inhaltlich das Besondere an der Geschichte aus. Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto öffnen sich für Alice ganz ungeahnte Möglichkeiten. Sie beginnt langsam, sich einem anderen Menschen zu öffnen, lernt endlich jemanden kennen, der ihr wirklich viel bedeutet und der ihr fernab der Heimat ein Gefühl von Zuhause gibt.

Vor dem ersten Aufeinandertreffen mit Mr. Sakamoto wirkt Alices Leben irgendwie zerstreut, fast so, wie sie selbst das Aufkeimen ihrer Technikbegeisterung schildert: |“Es gab keinen Anfang. Nur Fragmente. Nur Geschichten“| (S. 47). Dementsprechend wirkt auch Jones‘ Erzählweise sprunghaft und unstet und man tut sich etwas schwer damit, richtig mit der Handlung warm zu werden.

Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto strömt erstmals auch mehr Ruhe in die Erzählweise und damit auch in Alices Leben ein. War die Geschichte im ersten Romandrittel auch eher weniger fesselnd, so gewinnt sie zunehmend an Fahrt, entwickelt einen gewissen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Ähnlich wie Alice erliegt auch der Leser der Faszination, die von einer Figur wie Mr. Sakamato ausgeht. Trotz all der traumatischen Erfahrungen aus Kindertagen, trotz all der schmerzhaften Verluste durch den Atombombenabwurf, wirkt Mr. Sakamoto ruhig und in sich gekehrt. Dazu beigetragen hat vor allem die Erfindung, die Mr. Sakamoto am meisten fasziniert und der er nun sein Leben gewidmet hat: Das Telefon.

Mr. Sakamoto schreibt eine Biographie über Alexander Graham Bell, den Erfinder des Telefons – der Erfindung, die es ihm ermöglicht hat, mit seinem eigenen Kummer fertig zu werden. Es war in den langen Telefonaten mit seinem Onkel Tadeo, dass er seinen Kummer erstmals einem Menschen anvertraut hat. Einfühlsam und geradezu diskret geht Jones mit Mr. Sakamotos unbeschreiblich traumatischen Erlebnissen um. Vieles lässt sie den Leser selbst erfühlen, ohne zu viele Worte machen zu müssen.

Überhaupt liegt ein großer Teil der Faszination des Romans auf sprachlicher Ebene. Jones‘ Sprache ist zwar durchaus eigenwillig, aber auch stets sehr akkurat und wohlakzentuiert. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, erzeugt lebhafte Bilder und greifbare Emotionen. Obwohl sie zu den Figuren eine gewisse Distanz bestehen lässt, sie leise beobachtend aus der Ferne betrachtet, schafft sie es, dem Leser ihre Figuren näher zu bringen. Ein Stück weit bleiben sie dabei rätselhaft, einen Teil ihrer Persönlichkeiten kann man auch nach vollendeter Lektüre noch nicht ausloten, dennoch schafft Jones es, dem Leser bestimmte Gefühle und persönliche Eindrücke plastisch zu vermitteln.

Sprachlich ist das Ganze auf teils durchaus etwas gehobenem Niveau verpackt. Manche Sätze sind von faszinierender Bildhaftigkeit, so dass man bewusst langsam lesen möchte, um sie sich auf der Zunge zergehen zu lassen. So übt das Buch insgesamt betrachtet eine stille Faszination aus. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein leisetretender Roman – intelligent geschrieben und mit Figuren (vor allem Mr. Sakamoto), die eine gewisse Faszination ausüben. Auch wenn die Geschichte weitestgehend eher handlungsarm ist (nacherzählbare Handlung gibt es eher wenig), so zeichnet Jones dennoch intensive Stimmungen, die in scheinbarem Widerspruch zur dennoch offensichtlichen Distanz zu den Figuren steht.

Bleibt unterm Strich ein Buch im Gedächtnis, das sich am ehesten als literarischen Kleinod titulieren lässt. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein Roman, der sicherlich nicht gerade große Wellen schlagen wird, aber dennoch mit einer faszinierenden Sprache und einer deutlich wahrnehmbaren Kraft erzählt ist – einfühlsam und diskret zurückhaltend zugleich.

Mag Jones‘ sprunghafter Erzählstil anfangs noch etwas unsortiert wirken, so wird die Geschichte mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto zunehmend faszinierender. Wer die Muße hat, Figuren für sich wirken und sich bei der Lektüre von der feinakzentuierten Sprache tragen zu lassen, der wird den Figuren sicherlich einige Sympathien entgegenbringen und auch aus der Lektüre an sich einiges Positives mitnehmen.

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Manfredi, Valerio M. – etruskische Ritual, Das

_Handlung:_

Eigentlich will Fabrizio Castellani nur eine seltsame Kerbe an einem etruskischen Jungenbildnis untersuchen, doch in dem kleinen Ort, in dessen Museum sich die Statue befindet, überschlagen sich die Ereignisse. Ein unheimliches Heulen in der Nacht, und kurz darauf wird ein stadtbekannter Grabräuber gefunden, ermordet, zerfleischt. Was anfangs noch nach einem Racheakt an Grabräubern aussieht, zeichnet sich allmählich als Gefahr für das ganze Dorf ab.

_Schreibstil:_

Ein archäologischer Horror-Thriller, ob sowas gut gehen kann? Es kann, wie „Das etruskische Ritual“ eindrucksvoll beweist. Mit kleinen, über das Buch verteilten Infos lernt man vieles über das Leben der Etrusker, die vor den Römern Kultur nach Italien brachten. Vor allem über ihre Begräbnisrituale, deren bekanntestes in den römischen Gladiatorenspielen gipfelte, kann man hier eine Menge lernen.

Auch was den Horror betrifft, gelingt es Valerio M. Manfredi hervorragend, von Zeit zu Zeit wohlige Schauer über den Rücken des Lesers zu jagen, da das Grauen, das in der Stadt umgeht, auch des Öfteren über den Protagonisten herfällt und dieser sich jedes Mal nur knapp retten kann. Diese Szenen sind hervorragend beschrieben und wissen auch genau dann zu enden, wenn es zu viel des Guten werden könnte.

Zu guter Letzt sind auch die Teile des Buches, in denen Geheimnisse aufgebaut werden und den Leser während der gesamten Lektüre nicht loslassen, hervorragend geschildert, und das nervenzehrende „Was hat das zu bedeuten?“-Gefühl bleibt über die gesamte Distanz erhalten. Bis zur letzten Seite wird die Spannung aufrecht gehalten und zwingt dazu, das Buch am Stück durchzulesen.

Sprachlich gibt es nichts einzuwenden; flüssig, einfach und mit vereinzelten, gut angebrachten Beschreibungen wird der Roman erzählt, und lange, sich unnötig streckende Passagen kommen nicht vor.

_Fazit:_

Ein angenehmer Genremix, der mit seinem Schauplatz Italien auch noch einige exotische Bonuspunkte einheimsen kann, wobei das italienische Flair von Nichtitalienern wie zum Beispiel Donna Leon interessanterweise besser eingefangen wird. Einzig negativ sehen kann man die doch sehr vorhersehbare Liebesgeschichte, die in den Roman eingebaut wurde. Das gibt dem Buch zwar unweigerlich diesen Hollywoodfilm-Touch, wird dafür aber lustlos und klischeehaft erzählt. Ansonsten ist die Story schön überraschend, und auch die einzelnen Rätsel werden nachvollziehbar aufgelöst. Ein lesenswerter Roman für alle, die sich für frühitalienische Geschichte interessieren oder sich einfach mal ein bisschen gruseln wollen.

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Feiler, Marion – Faron – König von Callador (Band 1)

Zumeist wird in Fantasyromanen das Zusammenspiel von Gut und Böse thematisiert und das aus der Sicht des Guten. Marion Feiler wagt den Schritt, mit „Faron – König von Callador“ einmal aus der Sicht des Bösen zu schreiben.

Faron ist der Sohn des milden und erfolgreichen Königs Adrónis, doch bereits bei der Geburt wird klar, dass mit Faron etwas nicht stimmen kann. Er scheint durch und durch böse zu sein, deshalb wird er mit zehn Jahren in den Tempel gegeben, wo er zum Priester ausgebildet werden soll. Allerdings dient der Priester Nathon nicht der Friedensgöttin Jishta, die in Callador verehrt wird, sondern dem Kriegsgott Ashtor, der seine Hand über Faron hält und ihn zur Erde geschickt hat, um die Überlegenheit über Jishta zu gewinnen. Dadurch bekommt Faron eine Extrausbildung in Kampfkunst und schwarzer Magie.

Durch mysteriöse Umstände kommen der König und der rechtmäßige Thronfolger Garwin, Farons Bruder, auf der Jagd ums Leben und die Krone geht an Farador. Mit seinem Charme und seiner Ausstrahlung schafft er es, das Volk um den Finger zu wickeln, und er verbannt Jishta aus dem Tempel, um Ashtor dort seinen Platz zu geben. Mit dessen Hilfe und seinem kriegerischen Geschick schafft er es, die Nachbarreiche zu unterwerfen, doch plötzlich ergeht die Kunde, dass Garwin noch lebt und seinen rechtmäßigen Thronplatz einfordert …

Was sehr interessant klingt, nämlich die Sicht des Bösen, wird auch erfüllt. Faron ist tatsächlich böse und besitzt doch noch die Gefühle eines Menschen. Trotzdem hätten ihm ein paar Tiefen nicht geschadet, wobei er der noch am besten ausgearbeitete Charakter ist. Sämtliche Nebendarsteller sind sehr blass neben ihm, abgesehen von der trotzigen Amazone Naira, die unsterblich in Faron verliebt ist, wobei er diese Gefühle auch bei sich entdeckt.

Was aber noch viel schwerer wiegt, sind die Kritikpunkte an der Handlung. Es fehlt ein linearer Strang mit einem erkennbaren Ziel. Außer der Unterwerfung des gesamten Reichs Soramenis scheint Faron kein Ziel zu haben, und das wirkt sich negativ auf die Spannung aus. Selbige kommt beinahe gar nicht auf, da es, wie gesagt, keinen Handlungsstrang gibt, der eine konstante Steigerung beinhaltet.

Ansonsten bietet Feiler soliden Fantasystoff, der nicht gerade besonders innovativ ist. Die Welt, in der sie ihre Geschichte einbettet, ist mittelalterlich angehaucht und wirkt eher wie schmückendes Beiwerk denn als Grundlage für einen Roman.

Allerdings gewinnt das Buch durch den ausbaufähigen Schreibstil an Fahrt. Feiler schreibt sehr einfach und stringent, ohne Ausschweifungen oder großartige Nebenhandlungen. Das Buch lässt sich flüssig herunterlesen, auch wenn es am Anfang wegen der einen oder anderen Unsicherheit, die zumeist in fantasytypischem Geschwülste mündet, etwas hakt. Die ständige Verwendung von archaischen Wörtern, Satzstellungen und Zeiten (Imperfekt) machen es manchmal nicht einfach, Zugang zu finden, doch hat man sich erstmal zurecht gefunden, kann man „Faron – König von Callador“ in einem Zug herunterlesen.

Marion Feilers Fantasygeschichte ist sicherlich nicht der große Wurf. Besonders in der Ausarbeitung des Reiches Soramenis und der Handlung besteht noch Verbesserungsbedarf, aber der Schreibstil präsentiert sich als sehr ausgereift, auch wenn er am Anfang ein wenig gewöhnungsbedürftig ist.

http://www.marion-feiler.de/

Heitz, Markus – Sanctum

_Handlung_

„Sanctum“ ist die Fortsetzung von [„Ritus“ 2351 und schließt inhaltlich nahtlos am Ende des Vorgängerromanes an.

|1767|

Jean Chastel ist noch immer auf der Suche nach der wirklichen Bestie, dem Sohn des Marquis de Morangies. Auf seiner Suche findet er auch seine große Liebe, die Äbtissin Gregoria, wieder, die den Flammen des brennenden Klosters wie durch ein Wunder entkommen ist. Doch steckt hinter diesem Wunder ein merkwürdiges Pulver: das Sanctum.

Jean hat den Hinweis erhalten, dass sich die Bestie nach Rom abgesetzt hat, und folgt dieser. Gregoria, die eigentlich in ihrem Versteck bleiben sollte, macht sich ebenfalls auf den Weg nach Rom, um dort dem Papst von den Machenschaften des Legatus zu erzählen, und natürlich auch, um ihr Mündel Florence aus dessen Händen zu befreien. Sie wird allerdings nicht zum Pontifex durchgelassen, doch ein geheimnisvoller Bischoff nimmt sich ihrer an: Sie soll im Geheimen einen Orden aufbauen, um die Bestien zu jagen und ein Gegengewicht zu den Jesuiten zu bilden. Dafür will man ihr helfen, Florence wiederzubekommen, und ihr mehr von dem geheimnisvollen Sanctum zu beschaffen.

Auch Jean hilft beim Aufbau des Ordens, indem er die „Seraphim“, eine „Anti-Werwolf-Kampfeinheit“, die nur aus Jungfrauen besteht, ausbildet. Diese dürfen auch gleich ihr Können beweisen, denn die Jagd nach dem Comte de Morangies geht schon bald weiter. Dabei sehen sich die Jäger aber mit einigen weiteren Problemen konfrontiert, denn es gibt noch ein weiteres Werwesen, und der Orden des Lycaon sowie die Politik des Vatikans hinterlassen ihre Spuren …

|2004|

Auch Eric von Kastell macht sich auf den Weg nach Rom, und zwar, um seine große Liebe Lena, die ja mit Lykantropie infiziert ist, aus den Händen der geheimnisvollen Schwesternschaft des Blutes Christi zu befreien. Doch erweisen sich die Schwestern zur Kooperation bereit: Wenn er den Welpen der Bestie aus den Händen der Lycaoniten befreit, werden sie Lena und ihn von dem Fluch befreien. Eric macht sich in Begleitung einer der Schwestern auf nach Kroatien, wo er den Welpen das letzte Mal gesehen hat. Doch die Nonne ist nicht das, was sie zu sein scheint. Und auch Eric hat die Bestie in sich immer schlechter unter Kontrolle …

_Der Autor_

Markus Heitz, geboren 1971, arbeitete als Journalist bei der Saarbrücker Zeitung, ehe sein erster Roman „Schatten über Ulldart“ mit dem deutschen Phantastik-Preis ausgezeichnet wurde. Dem folgten nicht nur einige Fortsetzungen der „Ulldart“-Reihe und einige SHADOWRUN-Romane, sondern auch die Bestseller „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“ sowie inzwischen auch „Die Rache der Zwerge“. Damit ist er zu einem der erfolgreichsten Fantasy-Autoren Deutschlands geworden. „Sanctum“ ist sein neuester Roman und bildet das Ende der in „Ritus“ begonnenen zweiteiligen Saga.

_Mein Eindruck_

„Sanctum“ ist einer der Romane, auf deren Erscheinen ich sehnlich gewartet habe, denn das Ende des Vorgängerromanes „Ritus“ war doch alles andere als zufrieden stellend. Eines vorweg: „Sanctum“ ist ein würdiger Nachfolger und Abschluss der Geschichte.

Trotzdem unterscheiden sich die beiden Romane sehr deutlich voneinander. „Ritus“ hat hauptsächlich von der düsteren Stimmung und Spannung im Gevaudan gelebt sowie von der Action von Eric von Kastell. Dies ist bei „Sanctum“ gänzlich anders. Zum einen spielt nur noch ein ganz kleiner Teil der Geschichte im Gevaudan, denn die Handlung hat sich nach Rom verlagert. So stehen nicht mehr die Spannung und die Stimmung im Vordergrund, sondern eher die Intrigen und der Aufbau der Schwesternschaft des Blutes Christi.
Und auch in der Zukunft dreht sich nicht mehr alles nur noch um die Stärken von Eric von Kastell, denn Heitz hat es geschafft, aus dem „Superhelden“ des ersten Teils einen tragischen Helden zu machen, der weitaus sympathischer und charakterlich ausgereifter wirkt, aber auch einiges einzustecken hat.

Durch diese beiden Maßnamen wird die Geschichte auf ein neues Level gehoben, ist doch jetzt nicht nur eine Provinz in Südfrankreich betroffen, sondern Rom, das Zentrum der Christenheit. Dass die beiden Stränge diesmal beide größtenteils in Rom spielen, erzeugt eine parabelgleiche Homogenität, da ja Erics Vorfahren den Orden gründen, mit dem er jetzt, gut 230 Jahre später, so manches Gefecht auszutragen hat. Hier gleicht „Sanctum“ seinem Vorgänger, denn der Kontrast der beiden Epochen ist auch hier wieder hervorragend dargestellt. Zudem hat Heitz auch die in „Ritus“ schon angekündigten unterschiedlichen Rassen der Werwesen diesmal wirklich auch eingebaut, was zusätzlich etwas Abwechslung erzeugt, da vor allem der Werpanter, der in der Frühen Neuzeit auftaucht, einen interessanten Charakter und ebensolche Beweggründe hat.

Alles in allem entwickelt sich der Roman in die Richtung eines Verschwörungsromanes mit Werwölfen, wohingegen „Ritus“ eher die Werwölfe an sich in den Mittelpunkt gestellt hatte. Heitz‘ Erzählstil ist mal wieder knallhart. Da wird nicht beschönigt, und auch dem Leser ans Herz gewachsenen Figuren werden nicht mit Samthandschuhen angefasst. Als klar, schnell und kompromisslos könnte man den Schreibstil beschreiben, allerdings würde man dem Autor hier auch wieder Unrecht tun, denn teilweise wird das Tempo auch gedrosselt und genaue Beschreibungen und Spannung als Stilmittel gebraucht. Diese Vielfältigkeit macht das Lesen ungemein kurzweilig und fesselnd, zumal einige (wirklich) unerwartete Ereignisse den Leser schon etwas schockieren können – perfekter Lesespaß.

Auch die Enden der jeweiligen Epochen, sind sehr stimmungsvoll erzählt und schon einigermaßen tragisch, auch wenn hier natürlich endlich der Bogen geschlagen wird, der die beiden Handlungsstränge miteinander verbindet.
Die Aufmachung des Buches ist hier ebenfalls nur als sehr gelungen zu bezeichnen.

_Fazit:_ Starker und vor allem würdiger Nachfolger und Abschluss der in „Ritus“ begonnenen Saga um die Bestie von Gevaudan.

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|Markus Heitz bei Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die Zwerge“ 2823
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Die dritte Expedition“ 2098
[„Ritus“ 2351

Miller, Frank / Varley, Lynn – 300

_Story_

Leonidas war nie ein Mann der großen Worte; bereits seit Kindestagen ließ er stattdessen Taten sprechen, so zum Beispiel als er vollkommen ausgemergelt siegreich gegen eine überlegene Bestie focht und bereits dadurch zur Legende wurde. Dies ist nun vierzig Jahre her, und Leonidas ist inzwischen zum König Spartas aufgestiegen. Eine unglückliche Rolle, denn das Land wird bedroht und scheint dem Untergang geweiht.

Zu groß sind die persischen Truppen um den göttlichen Xerxes, die schnurstracks auf Griechenland zusteuern, um das Land zu erobern und sein Volk zu unterwerfen. Doch noch ist Sparta frei. Noch steht zwischen dem Überfall der Perser eine Armee von 300 tapferen Spartanern, angeführt von niemand Geringerem als Leonidas selber, einem Motivationskünstler sondergleichen, der seine Soldaten wider die Ermahnung durch das Orakel in den Krieg schickt. In einen Krieg, in dem es nicht nur um Ehre, Ruhm und Macht geht, sondern vor allem um Stolz. Lieber nämlich würde Leonidas sterben, als Xerxes den Frieden durch einen symbolischen Kniefall zu bescheren. Und so ziehen die Spartaner in den Krieg; 300 Mann, stolz und kampferprobt, aber gleichzeitig auch dem Tode geweiht.

_Meine Meinung_

Frank Miller ist derzeit wohl der meistgefragte und vielleicht auch beste Autor, den die amerikanische Comic-Szene ihr Eigen nennen darf. Spätestens mit der cineastischen Adaption der von ihm geschaffenen Serie „Sin City“ hat sich der Mann unsterblich gemacht, behält seinen arbeitsreichen Kurs aber weiterhin strikt bei. So folgt bereits kurze Zeit nach dem durchschlagenden Erfolg des Kinofilms ein weiterer Höhepunkt in Millers Karriere, nämlich die Geschichte der 300 Männer, die mit letzter Kraft ihr Heimatland Sparta verteidigten.

Und wie es sich für Miller gehört, wird das Ganze auch wieder in einer sehr edlen Fassung veröffentlicht, deren Aufmachung wohl zum Opulentesten gehört, was der gesamte Bereich aufzubieten hat. „300“ erscheint als DIN-A4-Hardcover mit luxuriösem Einband und der mittlerweile schon berüchtigten hochwertigen Papierqualität im |Cross Cult|-Verlag und stellt wohl auch für das junge Label das bisherige Highlight des eigenen Katalogs da. Der Haken: „300“ kostet in dieser Form knapp 30 €, ist also nicht wirklich erschwinglich, aber auf inhaltlicher Basis absolut jeden einzelnen Cent wert.

Bei Leonidas’ Kampf gegen die Perser greift Miller auf sein gesamtes stilistisches Repertoire zurück und überzeugt einmal mehr mit einer atmosphärisch enorm dicht illustrierten Geschichte, die zudem von der Eindringlichkeit des übergeordneten Erzählers geprägt wird. Seine Worte wirken zunächst wie Metaphern, ihre ständigen Wiederholungen gar heroisch, doch ihre Wirkung ist schlichtweg atemberaubend. Man wächst als Leser selber in die Rolle des griechischen Anführers hinein, fühlt seinen Stolz (der auch von den Zeichnungen spitzenmäßig eingefangen wurde), spürt seinen eisernen Willen und fühlt sich seinen Zielen verbunden. Seine Worte sind Gesetz und werden trotz ihrer bedenklichen Folgen als solches akzeptiert und verinnerlicht. Er leitet die Geschichte, er bestimmt den Verlauf, und in ihm alleine lebt Miller auf.

Obwohl der Autor die Handlung in die Hände von Leonidas’ Sprachrohr Dilios legt, wächst der Autor immer stärker in die Rolle des heldenhaften Kriegsherrn hinein und entwickelt ihn zu seinem Alter Ego, zum unnahbaren Helden und sicherlich auch zu einem ideologischen Vorbild, dessen Grundzüge rückblickend auch in manchen von Millers anderen Geschichten zu finden sind. Auch er ist ein stolzer Vertreter seiner Zunft, dabei ein echter Eigenbrödler und in seinem Handeln erfolgreich – hier bestehen tatsächlich massive Ähnlichkeiten zwischen Autor und Protagonist, vielleicht auch gewollt, aber auf jeden Fall sehr auffällig.

Doch im Mittelpunkt stehen natürlich nicht diese Vergleiche, sondern die exzellente Story, und diese fesselt einen von Beginn an. Obwohl der Leser ganz genau weiß, wohin sich die Sache entwickeln wird, und auch schon gezielt erahnen kann, welches Ende Miller in Betracht zieht, bleibt die Story spannend bis zum Schluss, weil sie eben nicht nur auf die kriegerischen Akte zielt, sondern auch einen sehr dominanten Fokus auf die einzelnen Hauptakteure wirft. Zwischenzeitlich gerät die Verteidigung Spartas sogar ins Hintertreffen, weil vorrangig wichtig ist, was mit den führenden Personen, aber auch mit den einprägsamen Charakteren in ihrer Umgebung geschieht. Aber trotzdem ist diese Spannung nicht vergleichbar mit den herkömmlichen Erklärungen dieses Begriffes. Vielmehr ist es die Spannung, die nur auf eine endgültige Explosion wartet, quasi auf den vorbestimmten und nur zeitmäßig nicht festgelegten Knall, der – wie soll es anders sein – erst zum Schluss eintritt. Dafür aber umso majestätischer!

„300“ ist zweifelsohne ein echter Glanzakt und mit Abstand Millers elegantestes Werk. Nichts wurde dem Zufall überlassen, denn alles scheint strikt durchgeplant. Das gibt der Handlung Sicherheit und den Aktionen Bestimmung und Richtung. Eigenschaften, die der Autor auch auf die tragenden Figuren übertragen hat, um ihnen so ein vergleichbares Profil zwischen den individuell so unterschiedlichen Eigenheiten zu schaffen. Und das wäre dann schon wieder eine weitere von vielen, noch ungenannten Besonderheiten, die dieses edle Stück (wenn auch nicht auf den ersten Blick) auszeichnen.

Wie bereits erwähnt, das noble Comic-Paket ist mit 30 € ein sehr kostspieliges Unterfangen und prinzipiell auch nur dann zu empfehlen, wenn man Stil und Stärken des Autors bereits anderweitig kennen gelernt hat. Denn auch wenn „300“ ohne Wenn und Aber ein echtes Meisterwerk der illustrierten Buchkunst geworden ist, so ist es noch immer Voraussetzung, dass man den bizarren, finsteren Stil des Urhebers mag. Sollte dies der Fall sein, und davon ist prinzipiell auch auszugehen, ist das Geld für diesen Comic echt gut angelegt. Sehr gut sogar!

http://www.crosscult.de/
[Offizielle Website zum Film]http://300themovie.warnerbros.com/

Rafik Schami – Märchen aus Malula

„Märchen aus Malula“ ist eine Auswahl von sechs Erzählungen, die seit vielen Generationen in Rafik Schamis Heimatdorf Malula in Syrien erzählt werden. Wenngleich sie auch inhaltlich sehr unterschiedlich sein mögen, verbindet alle sechs Märchen eine ähnliche moralische Botschaft. Auf verschiedenste Weise beschäftigen sich die Erzählungen mit den Vorstellungen von Gerechtigkeit und von Respekt und Dankbarkeit gegenüber Mitmenschen.

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Charles Stross – Accelerando

Nahe Zukunft:

Die irdische Zivilisation hat sich merklich gewandelt. Die uns bekannten politischen Verhältnisse sind weitgehend in Auflösung begriffen oder regressiv, so gibt es im Osten eine Neuauflage des Kommunismus mit KGB, und die USA haben ihren Status als führende Weltmacht eingebüßt.

In der Gesellschaft ist ein ausgeprägter Trend zum Cyberspace zu bemerken; so hat jeder fortschrittliche Mensch ständig Zugriff auf das Internet, sei es über Konsolen oder Brillen, die ihre Informationen direkt in das Sichtfeld des Benutzers einblenden. Microsoft ist aus dem Rennen, nur die russischen Kommunisten setzen noch auf ihre Software, nach dem Motto „Was ich bezahlen muss, ist auch höchster Standard“. Doch ansonsten überwiegt die open source und es bilden sich idealistische Gruppierungen, die auch das Leben zu einer echten open source machen wollen. Ihr Vorreiter ist Manfred.

Manfred besitzt eine Datenbrille von höchster Bandbreite, die ihn ständig mit den aktuellsten Informationen konfrontiert. Aus diesem Brei filtert er für sich Interessantes heraus und fügt es seinem externen Speicher hinzu, der sein Gedächtnis erweitert. Er ist ein Infonaut, der seine Informationen an Kunden verschenkt, die es möglicherweise interessieren könnte. Außerdem entwickelt er aus dem Gehalt seiner Recherchen ständig profitable Ideen, die er sofort patentieren lässt und einer Stiftung für freies Gedankengut zur Verfügung stellt, die alle neuen Ideen zu open source macht.

Manfred besitzt sozusagen keinerlei Zahlungsmittel. Aber seine genialen Ideen, die er weltweit verschenkt, um andere Leute reich zu machen, verschaffen ihm eine Kreditwürdigkeit, die allgemein kaum noch zu übertreffen ist. Daraus folgt für ihn, dass er ständig und an jedem Ort der Welt von irgendeinem durch ihn reich gewordenen Menschen oder einer Firma gesponsort wird.

Mit dem Upload einer Hummerspezies in den Cyberspace nimmt die Entwicklung eine neue Richtung an: Im Netz existiert nun eine künstliche Intelligenz, basierend auf den Neuronen der Hummer, die sich an Manfred wendet. Er kann auch ihr zu Menschenrechten verhelfen und schafft damit einen Präzedenzfall, der in der Zukunft der Menschheit noch eine bedeutende Rolle spielen wird, denn im Zuge ihres Strebens nach einem Leben nach dem Tod nehmen ab nun immer mehr Menschen die Möglichkeit eines Uploads in Anspruch.

Damit erhält auch die Raumfahrt neuen Aufwind. Durch die Möglichkeit, Massenspeicher in Form von Miniaturraumschiffen zu den Sternen schicken zu können – als Passagiere hochgeladene Zustandsvektoren von den betreffenden Menschen – erhält diese Form der Reise mehr Effizienz als bis dato vorstellbar. Manfreds geschaffener Präzedensfall bezüglich der Menschenrechte einer KI treibt einen Rückgang der realen Bevölkerung voran und fördert den Zuwachs künstlicher Intelligenzen. Um die Informationsdichte des Sonnensystems bestmöglich auszunutzen, beginnt eine neue Art der Eroberung: Die solaren Planeten werden – beginnend mit Merkur – abgebaut und zu Nanorechnern umstrukturiert, die in einer Wolke um die Sonne kreisen. Damit steigt die Informationsdichte – MIPS, Millionen Informationseinheiten pro Sekunde – rapide an. Die innerste Schale der Wolke nutzt die direkte Sonneneinstrahlung als Energie, ihre Abwärme wird von der nächsten Schale genutzt und so weiter: Eine Dyson-Sphäre entsteht.

Manfreds Tochter macht sich derweil auf, einer außerirdischen Form von systemumfassender Dysonsphäre auf die Spur zu kommen, und lädt sich mit ihren Freunden in das System eines galaxisumspannenden Netzwerks hinein. Sie stellt fest, dass dieser Weg eine ebensolche Sackgasse ist wie die Beschränkung auf einen Planeten …

„Accelerando“ erzählt die Geschichte einer Familie auf dem Weg in die Zukunft, eine Zukunft, die rasanter auf die Menschheit zugestürmt kommt als für möglich gehalten wird. Stross schreibt von einer Singularität, einem Ereignis, nach dem sich die Menschheit in eine Richtung entwickelt, die ein Mensch vor Eintreten des Ereignisses nicht hätte vorhersehen können. Er lässt seine Protagonisten auch darüber spekulieren, zu welchem Zeitpunkt diese Singularität anzusiedeln ist. Möglichkeiten findet er einige: Die Inbetriebnahme des Internet, den erfolgreichen Upload der Hummer und weitere, nicht nur aus seiner Fantasie entspringende Ereignisse aus der Geschichte der Menschheit.

Die beobachtete Familie erlebt diese Entwicklung aus verschiedenen Perspektiven mit, ist unterschiedlich involviert. Manfred zum Beispiel ist in hohem Maße mitverantwortlich für Teile des Geschehens, und ihm, als äußerst schnelllebigem Mann, immer auf der Jagd nach Informationen, fällt ein großer Teil der Last des Fortschritts zu, des Zukunftsschocks, den diese Entwicklung mit sich bringt. Zu einem Zeitpunkt, als er noch auf seine Brille beharrt, hat sich in der Bevölkerung bereits der Einsatz von Implantaten durchgesetzt, die ihr eine viel größere Bandbreite bieten, als es äußeren Hilfsmitteln ohne direkten Zugang zum Hirn eines Menschen möglich ist.

Es ist ein Fortschritt, der nicht einmal vergleichbar ist mit dem Fortschritt von der ersten bewussten Feuermachung bis zum alltäglichen Gebrauch des Internet, denn er richtet sich nicht nur auf die äußeren Lebensbedingungen, sondern in größter Weise auf das Innere, den Informationsgehalt der Seele eines Menschen. Und im Hintergrund steht immer die Idee, dass es eine intergalaktische Sphäre, einen Cyberspace gibt, in dem sich die hochstehenden Zivilisationen tummeln. Trotzdem stimmt diese Idee den Autor nicht optimistisch, sondern er nutzt sie, um den absoluten Weg in den Cyberspace ad absurdum zu führen. Denn wie oben erwähnt, ist Stross klar, dass der eigentliche Weg der Menschheit nicht vorhersehbar ist, durch eine Singularität vom Vorstellungsvermögen der präsingularen Menschen getrennt. Er führt die Idee der Dyson-Sphäre bis zum apokalyptischen Ende und sägt damit an einer Vorstellung, die in vielen Science-Fiction-Lesern vorherrscht: Die Erde als Heimat der Menschheit fiele diesem Fortschritt zum Opfer und geht in seiner Vision sogar weitgehend unbeachtet den Weg in ihre Einzelteile.

Was bei diesem Roman noch stärker als bei den anderen beiden in Deutschland veröffentlichten Romanen deutlich wird, ist Stross‘ umfassende Recherche und seine ebenso umfassende Allgemeinbildung. Er handhabt kulturelle und gesellschaftliche Details aus vielen verschiedenen Ländern und Bereichen mit einer Selbstverständlichkeit, die zumindest suggeriert, dass sie zu seinem Wortschatz und seinem Wissensspeicher gehören. Das macht es dem Leser in manchen Fällen natürlich schwer, seinen Gedanken zu folgen. Es bleiben immer Details, die ohne eigene Recherche nicht einordenbar sind, aber im Grunde sind all diese Dinge ohne Belang für das Verständnis der eigentlichen Geschichte, die sich sehr spannend und unterhaltsam vor dem Leser ausbreitet. Relevante Begriffe benutzt er dagegen entweder sehr häufig oder erklärt sie im Folgenden ausreichend, um zumindest eine Vorstellung vom Sachverhalt zu vermitteln, die den Leser zufrieden stellt und dem Lesefluss nicht im Weg steht.

Natürlich ist der Roman schon an sich für Leser, die entweder ganz andere Interessengebiete haben oder deren erster Ausflug in das utopische Genre dieser Roman ist, schwer verdaulich. Glücklicherweise hat es diese Thematik auf der Kinoleinwand zu einem breiteren Publikum gebracht als auf Papier; gerade in diesen Jahren wurden einige hochwertige SF-Romane verfilmt. Es fällt also kaum jemand völlig unbedarft ins kalte Wasser, denn gerade die Cyberspace-Thematik ist spätestens seit „Matrix“ allgemein zugänglich.

Bemerkung

Durch die Gestaltung des Layouts suggeriert Heyne, „Accelerando“ wäre ein weiterer Roman aus dem Universum des Eschaton und würde in irgendeiner Weise in Verbindung zu „Singularität“ und „Supernova“, den beiden vormals erschienenen Romanen von Charles Stross, stehen. Hier muss gewarnt werden, denn trotzdem durchaus das Eschaton erwähnt wird, steht „Accelerando“ völlig eigenständig da und hat keinerlei Beziehung zu den oben genannten Romanen. Marketing.

„Accelerando“ ist meiner Meinung nach der bisher beste Roman von Stross und ein Highlight des Jahres 2006. Er birst vor Ideen und zieht den Leser in seinen Bann. Er leidet weder unter seiner Komplexität, die auch nur den Hintergrund der Geschichte bildet, noch wirkt er überladen. Es scheint ein Merkmal Stross’scher Schreiberei zu sein, dass jeder seiner Romane fast unter Ideenüberschuss leidet. Charles Stross schreibt einen Roman mit einem Hintergrund, auf dem andere Autoren ihre gesamte Karriere aufbauen würden – und das macht er jedes Mal so.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Rochels, Tim C. – Schwarze Szene

Endlich hat er es geschafft! Lange hörte ich Tim C. Rochels schon von einem Bildband reden, doch endlich ließ sich ein Verlag dazu hinreißen, das Werk auch tatsächlich zu veröffentlichen. Schon lange vorher bin ich mit den Bildern aufgrund der Bekanntschaft mit dem Fotografen selbst in Berührung gekommen, doch bezeichnete er mich immer wieder als einen seiner größten Kritiker und das ist auch der Grund, warum ich diese Rezension verfassen wollte.

Der Bildband enthält sortierte Bilder von diversen Künstlern, die zum größten Teil aus der Gothic-Ecke stammen, aber auch Bilder aus den sparten Rock und sogar Black Metal sind hier zu finden. Alle Bilder sind direkt auf der Bühne entstanden, und so reflektieren sie eine große Dynamik, halten aber dennoch nur einen Augenblick fest. Das war für mich auch immer die Faszination an den Bildern von Tim C. Rochels – ein Stillleben, klar und deutlich festgehalten, aber dennoch nur ein Augenblick und in manchmal schon fast unmöglichen Momenten einer Bewegung.

Ich werde hier keine Liste der Bands aufführen, die im Bildband enthalten sind, dazu habe ich eine kleine Übersicht am Ende der Rezension angeführt, vielmehr möchte ich auch auf die Technik und den Druck eingehen, was ja bei einem solchen Bildband von immenser Bedeutung ist. Tim versucht stets, den Künstler ohne Abstriche ins Zentrum seiner Fotografie zu rücken, spielt dabei sehr oft mit harten Lichteffekten und arbeitet auch sehr gern mit starker Körnung. Dadurch gewinnen die Bilder enorm an Intensität. Wenn von einem Bühnenscheinwerfer eine Hälfte des Gesichtes erleuchtet ist, während sich die andere gänzlich im Dunkeln befindet, dann ist das genau der Moment, auf den der Fotograf gewartet hat und uns hier in einer Auswahl seiner besten Bilder präsentiert. Es wird auch sehr viel Wert auf Details gelegt, so dass manches Mal sogar jede noch so kleine Pore eines Ville Vallo zu erkennen ist.

Die 750 Abbildungen sind auf sehr starkem Papier gedruckt, alle Bilder springen dem Leser mit ihrem sehr hohen Kontrast geradezu entgegen. Es macht wirklich Spaß, in diesem zugegebenermaßen nicht gerade billigen Bildband zu blättern. Trotz des hohen Preises gibt es hier |value for money| und man schmökert ab und zu gern wieder in diesen wunderschön festgehaltenen Erinnerungen. Außerdem sei noch die Verpackung erwähnt – so kommt der Band in einem Schuber aus Holz, mit schwarzem Hochglanz überzogen, und das Ganze wiegt unglaubliche zwei Kilogramm!

Allen, die ein Live-Konzert von unten genannten Künstlern ohne Ton, aber dafür mit umso schöneren Bildern in den heimischen vier Wänden erleben wollen, sei dieser Bildband ans Herz gelegt.

Die Fotografien stammen von folgenden Künstlern:
ALIEN SKULL PAINT, ANDI SEX GANG, ANGELZOOM, ANNE CLARK, ANNE CLARK & DAVID HARROW, ANTIWORLD, APOCALYPTICA, APOPTYGMA BERZERK, ASP, ASSEMBLAGE 23, ATROCITY, AUSGANG, BLOODY DEAD & SEXY, BLUTENGEL, CATASTROPHE BALLET, CHAMBER, CINEMA STRANGE, COMBI CHRIST, COVENANT, CULTUS FEROX, CYBER AXIS, DAS ICH, DEATHSTARS, DECODED FEEDBACK, DEINE LAKAIEN, DEVILISH PRESLEY, DIARY OF DREAMS, DIVA DESTRUCTION, ELIS, ENTWINE, ESCAPE WITH ROMEO, EXILIA, FAITH AND THE MUSE, FIXMER/MCCARTHY, FLIEHENDE STÜRME, FRANKENSTEIN, FUNKER VOGT, GOD MODULE, GOETHES ERBEN, GOLDEN APES, GOTHMINISTER, HAGGARD, HIM, HOCICO, ICON OF COIL, IN EXTREMO, IN STRICT CONFIDENCE, JUSTIN SULLIVAN, LACRIMAS PROFUNDERE, LACRIMOSA, LACUNA COIL, L‘ÂME IMMORTELLE, LONDON AFTER MIDNIGHT, MILÙ, MORTIIS, MY DYING BRIDE, NEUROTIC FISH, NEW DAYS DELAY, NICK CAVE, ORDEAL BY FIRE, ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO, PHILLIP BOA, PILORI, PINK TURNS BLUE, PROJECT PITCHFORK, PSYCHE, QUÍDAM, RED LORRY YELLOW LORRY, ROTERSAND, RUN LEVEL ZERO, SALTATIO MORTIS, SAMSAS TRAUM, SCARY BITCHES, SCHANDMAUL, [:SITD:], SKELETAL FAMILY, SPETSNAZ, STATEMACHINE, SUBSTANCE OF DREAM, SUBWAY TO SALLY, SUICIDE COMMANDO, SYSTEM SYN, TERMINAL CHOICE, THE 69 EYES, THE BEAUTIFUL DISEASE, THE BREATH OF LIFE, THE CASCADES, THE CHAIN, THE COLD, THE CRÜXSHADOWS, THE DEEP EYNDE, THE ETERNAL AFFLICT, THE FAIR SEX, THE HOUSE OF USHER, THE KLINIK, THE LAST DANCE, THE LAST DAYS OF JESUS, THE MISSION, THE OTHER, THE VISION BLEAK, THERION, TRAIL OF TEARS, TRISTANIA, UMBRA ET IMAGO, UNHEILIG, VENENO PARA LAS HADAS, VNV NATION, VOODOO CHURCH, WAYNE HUSSEY, WELLE:ERDBALL, WHISPERS IN THE SHADOW, WITHIN TEMPTATION, WITT, WOLFSHEIM, XANDRIA, ZADERA, ZERAPHINE, ZOMBINA AND THE SKELETONES.

|544 Seiten mit ca. 750 Abbildungen
Premium-Hardcover mit Schutzumschlag im Großformat 24 x 30 cm, fadengeheftet
schweres Bilderdruckpapier, durchgehend duplex gedruckt, im Schmuckschuber|

http://www.angst-im-wald.com
http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de

_Robby Beyer_

Kröhnert, Steffen / Medicus, Franziska / Klingholz, Reiner – demografische Lage der Nation, Die

Wollten wir nicht alle schon mal wissen, wie es um unseren Heimatort steht? Steht er kurz vor dem Kollaps oder vor seiner Blüte? Sind unsere Arbeitsplätze sicher und lohnt es sich, hier Kinder zu kriegen?

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beziehungsweise das Autorenteam Steffen Kröhnert, Franziska Medicus und Reiner Klingholz gibt in „Die demografische Lage der Nation“ Antworten. Wie der Titel schon andeutet, geht es hier etwas trockener zur Sache. Man beschäftigt sich mit einzelnen Bundesländern und ihren prosperierenden oder absterbenden Landkreisen und zeigt interessante Entwicklungen auf in Bezug auf Demografie, Wirtschaft, Integration, Bildung, Ab- und Zuwanderung und Kinderfreundlichkeit. Am Ende jedes Bundeslandkapitels gibt es dann eine Trendtabelle, in der diese Faktoren anhand im Anhang erklärter, empirischer Maßstäbe bewertet und mit einer Trendnote versehen werden. Dadurch ist es möglich, Vergleiche anzustellen, wobei dies schon dadurch erleichtert wird, dass verschiedene Farbabstufungen für verschiedene Notenbereiche benutzt werden. Der Anfang des Buches ist schließlich das Ende des Buches. Statt einer Zusammenfassung der Ergebnisse im letzten Kapitel nimmt man diese vorweg und macht daran zwölf Punkte fest, die auffällig waren. Beispiele dafür sind die fehlenden Frauen im Osten oder natürlich die Überalterung der Gesellschaft.

Der Inhalt des Buches gebärdet sich dabei weit interessanter, als man denkt. Schließlich ist einem als deutscher Staatsbürger der eine oder andere Landstrich bekannt und die umfassenden Informationen, die man in dem Buch darüber bekommen kann, sind sehr interessant. Aufgelockert wird das eigentlich trockene Thema der Demografie durch das Einstreuen kleiner Anekdoten, wie zum Beispiel dem Versagen verschiedener Regierungen in bestimmten Punkten, was man als normaler Bürger vielleicht gar nicht so mitbekommt.

Geschrieben wurde glücklicherweise auf eine unterhaltsame, aber dennoch wissenschaftliche Art. Leichtfüßig und in Alltagssprache, aber nüchtern und wertfrei, dafür ab und an mit einem kleinen Augenzwinkern widmen sich die Autoren „Daten, Fakten, Analysen“, wie das Buchcover verspricht. Mit viel Fachwissen und doch leicht verständlich erklären sie die zahlreichen Tabellen und Schaubilder in vier Farben, die den Inhalt anschaulich und vergleichend darstellen.

Präzise und ohne Ausschweifungen fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen und bescheren dem Leser dabei einen guten Überblick über die deutsche Lage und inwiefern welche Umstände für den jeweiligen Heimatort gelten. Klare, aber nüchterne Sprache, viele Abbildungen und eine sorgfältige Auswahl in Bezug auf den Inhalt halten das Interesse des Lesers wach. Auf der einen Seite gibt es Fakten, auf der anderen wird auch die eine oder andere lockerere, nicht besonders wissenschaftliche Anekdote zum Besten gegeben. Empfehlenswert für den, der einen guten Überblick über das Thema haben möchte, ohne überfordert zu werden.

Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
http://www.dtv.de

Meißner, Tobias O. – Hiobs Spiel – Frauenmörder

_Handlung:_

Hiob Montag, ein Mann mit seltsamem Namen und großen Ambitionen: neuer Herrscher über das Wiedenfließ werden, in der heutigen Zeit auch Hölle genannt. Um das zu vollbringen, muss er in einem unheiligen Spiel 78 Punkte erringen, indem er Prognostica und Manifestationen des Bösen zerstört. Im ersten Buch des auf 50 Jahre ausgelegten Zyklus bekämpft er Missgeburten aus einem kolumbianischen Irrenhaus, erledigt ein im amerikanischen Stromsystem nistenden Dämon, reist in die Zeit zurück, um einem grauenhaften Familienmord beizuwohnen, und stellt sich in den Weg einer Vampirsekte, die einen Schritt zu weit gegangen ist.

_Schreibstil:_

Um ehrlich zu sein, ist dieser erste Teil einer langen Geschichte eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Das fängt schon im Design des Buches an. Schwarze Balken am Rand, ein schräg geschriebenes Schriftbild oder ständige Ausstreichungen mitten im Satz wirken in einem Buch wie das verstörende Rauschen eines TV-Bildschirms während eines Horrorfilms. Und auch sonst wird mit dem Medium Buch herrlich gespielt, indem Wörter visuell passend dargestellt werden. Auf- und abhüpfende Buchstaben bei einem stark zitternden Sprecher zum Beispiel, oder Versuchungseinflüsterungen, die fast die Hälfte der Seite einnehmen und wie bei der entsprechenden Person auch jegliches Denken an Anderes vernichtet.

Das kleine Warnquadrat auf dem Titel – Warning: explicit lyrics – sollte nicht abschreckend aufgenommen werden. Klar, wer sehr zart besaitet ist, wird mit der zum Glück ausschließlich zweckdienlichen Brutalität garantiert nicht zurecht kommen, doch nie wird die Brutalität eines Stephen King oder Thomas Harris überschritten, weswegen das Quadrat eher der Werbung dienen soll. Trotzdem ist die Brutalität ein wesentlicher Bestandteil des Buches und lässt ein bisschen an David Finchers Film „Sieben“ denken. Da Hiob das Grausame in der Welt bekämpft, wartet man wie in „Sieben“ mit perverser Furcht auf die nächste Entstellung und dessen Umsetzung.

Der ehrgeizige Hiob Montag steht dabei auf dem schwierigen Grat zwischen zynischem Superheld und sympathischem Antiheld. Abgehärtet wie er ist, sind ihm normale Moralvorstellungen fremd, trotzdem sind seine Kämpfe gegen Abnormitäten Kämpfe um die Rettung der Welt, die in einer typischen Superheldenmanier ausgeführt werden. Das macht den Hauptcharakter sehr interessant, wenn er gegen jede normale Handlungsweise die abartigsten Dinge zur Rettung der Menschheit über sich ergehen lässt.

Die einzelnen Episoden im Buch selber sind sehr abwechslungsreich, und wie oben erwähnt, wartet man mit Spannung drauf, welche irren Ideen diesmal auf Hiob warten. Während das erste Kapitel an Krankheit nicht mehr überboten wird und sich der Aufenthalt in Amerika fast schon wieder normal liest, sind trotzdem in jedem Kapiteln Geschichten enthalten, die sich jedes Mal an Abnormität zu überbieten versuchen, obwohl niemals die Geschmacksgrenze für billige Splattereffekte überschritten wird. Auch inhaltlich läuft keine Geschichte nach dem Schema F ab, immer gibt es andere Arten, wie die Geschichte erzählt wird, zum Beispiel mit Wechsel zu Vergangenheit und Zukunft in der Geschichte des Bayrischen Familienmordes oder komplett in der Perspektive der zukünftigen Opfer Hiobs, wie in der Geschichte der Vampirsekte.

Was das Buch von allen anderen Büchern aber auch abhebt, ist die Tatsache, dass es in Deutschland spielt und sich vor allem auch an deutschen Problemen orientiert. Da es hier strenge Waffengesetzte gibt, ist es nur logisch, dass der Protagonist nicht ständig mit einer dicken Knarre rumrennt und sämtliches Böse, das ihm vor die Flinte läuft, mit einem coolen Spruch auf den Lippen abknallt. Nein, hier wird mit allem gekämpft, was einem zur Verfügung steht, sei es mit Verstand oder guten Plänen, wilde Schießereien kommen im ganzen Buch zum Glück nicht vor. Auch wird der Weg zu diesen Ereignissen nicht einfach zum Flug im Privatjet, sondern jedes Mal hart erkämpft. Geld für Flüge muss zusammengeraubt, Reisen in die Vergangenheit müssen über perversen Schamanen erkämpft und Strecken Innerlands per Anhalter zurückgelegt werden.

Ein weiterer Vorteil des Schauplatzes Deutschland ist, dass man sich viel besser in dem Buch zurechtfindet als in den amerikanischen, da einem die Landschaft geläufiger ist und die Anspielungen auf die Kultur nur mit dem Gedächtnis und nicht mit Wikipedia verstanden werden können. Auch läuft man hier nicht Gefahr, einen Wortwitz zu überlesen, weil er unübersetzbar ist.

_Fazit:_

Ein spannendes, originelles und herrlich zu lesendes Buch, das förmlich nach mehr schreit. Was Tobias O. Meißner abgeliefert hat, ist genau das, was ich schon lange gesucht habe, nachdem ich mich nach sämtlichen Klischeeromanen langsam gefragt habe, ob es nicht auch anders geht. Und da in „Hiobs Spiel – Frauenmörder“ trotzdem nicht auf eine einfache, fesselnde Sprache verzichtet wurde, kann man das Ergebnis locker an einem guten Abend durchlesen, wovon ich aber wegen der langen Durststrecke abrate, da bisher nur ein weiterer Band der Reihe erschienen ist und der nächste voraussichtlich erst Ende 2006 erscheinen wird.

http://www.eichborn.de

|Tobias O. Meißner bei |Buchwurm.info|:|

[„Das Paradies der Schwerter“ 2379
[Interview dazu]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=35
[„Die dunkle Quelle“ 1938 (Im Zeichen des Mammuts 1)
[„Die letzten Worte des Wolfs“ 2418 (Im Zeichen des Mammuts 2)

Gregory, Philippa – Schwiegertochter, Die

Ruth und Patrick Cleary sind seit vier Jahren glücklich verheiratet. Sie leben in einer hübschen Wohnung mitten in der Stadt Bristol, Patrick arbeitet erfolgreich bei den Fernsehnachrichten und Ruth ist zufrieden mit ihrem Job beim Radiosender. Da Ruth mit sieben Jahren zur Vollwaise wurde, ist es für sie umso schöner, dass Patrick engen Kontakt zu seinen Eltern pflegt. Regelmäßig stattet Ruth mit ihm ihren Schwiegereltern Elizabeth und Frederick Besuche ab, sogar die Wohnung war ein Geschenk von ihnen.

Bei einem ihrer Besuche eröffnet Frederick dem Paar, dass ein kleines Haus in der Nachbarschaft sehr günstig zum Verkauf steht. Elizabeth unterstützt den Vorschlag, dass Patrick und Ruth ihre Wohnung aufgeben und zu ihnen aufs Land ziehen sollen. Auch Patrick gefällt diese Idee. Passenderweise erhält er zur gleichen Zeit eine Beförderung, die den Kauf finanziell möglich macht. Nur Ruth ist anderer Meinung. Ihr gefällt die bisherige Wohnung, sie fühlt sich in der Stadt besser aufgehoben als auf dem abgeschiedenen Land und der neue Weg zur Arbeit wäre viel zu weit. Patrick und seine Eltern plädieren dafür, dass sie ihren Beruf aufgeben und bald ein Kind bekommen soll. Zwar möchte Ruth grundsätzlich gerne Kinder haben, doch erst in ein paar Jahren. Lieber möchte sie noch eine Weile arbeiten und schließlich ihren Traum vom Reisen verwirklichen – schon lange plante sie mit Patrick nach Boston zu fahren und dort ihr altes Zuhause zu suchen. Es gelingt ihr jedoch nicht, sich gegen die begeisterten Fürsprecher durchzusetzen.

Kurz darauf verliert Ruth, ebenso wie ein paar ihrer Kollegen, ihren Job durch Stellenabbau. Sie arbeitet nur noch freiberuflich, was Patrick zu ihrem Missfallen begrüßt. Genau zu diesem Zeitpunkt wird Ruth ungewollt schwanger. Während Patrick und seine Schwiegereltern außer sich vor Freude sind, wird Ruth immer deprimierter. Ihre alte Wohnung findet schnell Käufer und in der Übergangszeit zieht das Paar zu Elizabeth und Frederick. Zum Leidwesen von Ruth wird ihre Schwiegermutter immer aufdringlicher. Elizabeth übernimmt alle Organisationen und vermittelt der jungen Frau immer mehr das Gefühl, nichts zufrieden stellend zu erledigen. Das ändert sich auch nicht, als Ruth den kleinen Thomas zur Welt bringt. Im Gegenteil – Ruth verfällt in postnatale Depressionen, ist mit ihrem Kind völlig überfordert. Verzweifelt bemüht sie sich, ihre Schwiegermutter auf Abstand zu halten, die immer dominanter wird und Ruth offenbar vertreiben will …

Fünf sind einer zu viel, scheint das Motto des Romans zu sein. Wenn es nach dem Willen der Clearys geht, bilden Elizabeth, Frederick, Patrick und Baby Thomas das perfekte Quartett, in dem sich die Mutter nur wie ein Störenfried ausmacht. Es ist eine Mischung aus Thriller und Psychodrama, eine Geschichte über die Rivalität von Frauen, über Abhängigkeit und falsche Passivität ebenso wie über die erdrückende Überbehütung einer Mutter, was letztlich zu einer Eskalation im Duell beider Seiten führt.

|Keine Schwarz-Weiß-Malerei bei Charakteren|

Eine der Stärken des Romans liegt in der Darstellung von Ruth‘ Charakter, den der Leser nicht auf Anhieb einordnen kann. Im Beruf präsentiert sie sich als starke Frau, die ihren Willen durchsetzt, erfolgreiche Programme gestaltet und den Kollegen ein Vorbild und eine geschätzte Mitarbeiterin ist. Im Privatleben jedoch schaltete sie um auf Zurückhaltung. Patrick und seine Eltern sind die erste Familie, die Ruth haben darf, und sie ist bestrebt, es ihnen so recht wie möglich zu machen, um jeden Anflug von Zwist zu vermeiden. Sie ordnet sich Patrick völlig unter, was dem dominanten Ehemann wiederum nur zu gut ins Konzept passt. Ruth bewundert ihren attraktiven, beruflich höchst erfolgreichen Mann und fühlt sich kaum würdig, seine Ehefrau zu sein.

Auch Patricks Eltern fördern unbewusst dieses Verhalten. Sein Vater Frederick ist ein kerniger Mann mit Autorität, einem einflussreichen Bekanntenkreis und traditionellen Vorstellungen. Elizabeth ist nicht nur eine hervorragende Hausfrau, sondern auch stets top gestylt, hingebungsvolle Mutter und Ehefrau in einem.

Von Anfang an wagt es das Waisenkind Ruth nicht, dieses Dreiergespann in Frage zu stellen oder gar aufzubegehren. Etwaige Zweifel werden leise, zögerlich und passiv geäußert, ehe Ruth sich der Mehrheit anschließt. Bis zu diesem Punkt genießt sie die Sympathie und das Mitleid des Lesers. Sehr positiv ist jedoch, dass Philippa Gregory sich nicht mit einer Schwarz-Weiß-Darstellung der Charaktere begnügt. Tatsächlich gibt es mehrere Situationen, in denen man Elizabeth zugute halten muss, dass Ruth ihr zu Recht für vieles dankbar ist. Voller Elan übernimmt sie auch unangenehme Aufgaben, ohne Ruth ihren freiwilligen Einsatz vorzuhalten. Sie ist eine Hausfrau mit Leib und Seele, die ihren Männern in vielen Punkten eine Wärme und Geborgenheit bietet, die die junge und recht unerfahrene Ruth nicht vermitteln kann.

Umgekehrt ist Ruth nicht ausschließlich das Opferlamm, dem übel mitgespielt wird. Die ungewollte Schwangerschaft ist zum großen Teil Produkt ihrer Nachlässigkeit und hätte mit etwas Bemühen verhindert werden können. Oftmals ist sie ihrem neugeborenen Sohn nicht gewachsen, bringt ihn sogar mehrmals in Gefahr, so dass einige Kritikpunkte ihrer Schwiegereltern und ihres Mannes sehr gerechtfertigt sind. Mehrere Male reagiert Ruth unverständig auf die Vorwürfe, obwohl sie sich bewusst ist, dass sie ihrem Sohn Thomas alles andere als eine angemessene Mutter ist. Parallel dazu gibt sie manchmal Äußerungen von sich, bei denen ihr klar sein müsste, dass sie bei Patrick oder seinen Eltern Entsetzen hervorrufen und nicht dazu beitragen, ihr Vertrauen in sie zu stärken. Im Gegenteil, in emotionalen Diskussionen über ihre Mutterrolle rutschen ihr Bemerkungen heraus, in denen sie zugibt, dass sie oft nur noch genervt von ihrem Kind ist, einmal gar, dass sie es an manchen Tagen am liebsten aus dem Fenster würfe. Sie erläutert zwar sofort, dass sie diesen Gedanken nicht ernst meint, gießt dadurch aber natürlich unnötig Öl ins Feuer.

Die Autorin kreiert hier keine Heldin, bei der man jeden ihrer Schritte gutheißt, sondern eine durchaus zwiespältige junge Frau, die sich nicht bis ins letzte Detail in ein Raster einordnen lässt. In abgeschwächtem Maß gilt das auch für die restlichen Hauptcharaktere, die trotz ihrer grundsätzlichen Kontraposition zwischendurch immer wieder Verständnis für Ruth durchblicken lassen.

|Spannung bis zum Ende|

Von Anfang bis Ende ist für Spannung gesorgt, so dass der Leser beständig von der Handlung gefesselt ist. Zwar wird bereits auf den ersten Seiten klar, dass es auf einen Zweikampf zwischen Ruth und ihrer Schwiegermutter hinausläuft, aber welche Formen er schließlich annimmt, lässt sich nicht vorausahnen. Die Geschichte durchläuft mehrere Wendungen; sowohl Ruth als auch ihr Mann und dessen Familie greifen zu originellen Methoden, um sich gegeneinander zu verteidigen. Immer wieder bringt Frederick die dank seiner guten juristichen Kontakte als letzte Konsequenz mögliche Entmündigung und Einweisung Ruth ins Spiel, die damit ihren Sohn verlöre. Ärztliche Gutachten zur Untersuchung ihres Gemütszustandes werden angesetzt; bei Ruth wiederum wechseln sich stabile Phasen mit Betäubungsmittelmissbrauch ab. Was als scheinbar kleine Differenz zwischen Mutter und Schwiegertochter begann, wächst sich zu einem Psychokrieg aus, in dem beide Seiten sich gnadenlos bekämpfen und rücksichtslos vorgehen.

Der Leser kann nicht vorhersehen, in welche Richtung die Handlung driftet, denn alles ist denkbar: Wird Ruth ihr Kind durch die Behörden verlieren? Kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung von Mutter und Schwiegertochter? Wechseln Patrick und Frederick die Fronten? Bekommt Ruth von außerhalb Hilfe? All diese Fragen beantworten sich erst nach und nach, lange Zeit ist offen, welchen Ausgang der Roman für die Leser bereithält. Zum schnellen Lesetempo trägt außerdem der glatte Stil der Übersetzung bei. Das Werk beginnt |in medias res|, gleich zu Beginn werden die Fronten offenkundig und die Ereignisse spielen sich in rascher Zeitfolge ab.

|Zu stark konstruierte Ereignisse|

Abzüge gibt es dagegen für die konstruiert wirkende Anhäufung von Geschehnissen. Offenbar hat sich das Schicksal komplett gegen Ruth verschworen, denn alles, was sich in der nächsten Zeit ereignet, spricht gegen sie und für die Pläne ihrer Schwiegermutter. Ausgerechnet als Patrick und seine Eltern den Kauf des kleinen Hauses in Erwägung ziehen, verabschiedet sich mit Ruth‘ Arbeitsstelle eines ihrer Hauptargumente, das gegen den Umzug sprach. Ruth betont, wie gerne sie beim Radiosender arbeitet und dass sich dieser Job unmöglich mit der Entfernung der neuen Wohngegend vereinbaren lässt. Wenige Tage darauf werden Ruth und mehreren Kollegen aus Rationalisierungsgründen die Stellen gekündigt. Lediglich als Freie Mitarbeiterin darf sie weiterhin im kleinen Rahmen beim Sender mitwirken, was natürlich für Patrick kein Argument mehr gegen einen völligen Ausstieg bedeutet.

Genau zu diesem Zeitpunkt lässt Ruth eine Schwangerschaft zu, die sie endgültig ins Abseits der Argumente katapultiert. Zwar ist sie eigenen Kindern nicht abgeneigt, doch für sie steht fest, dass sie erst in einigen Jahren darüber näher nachdenken möchte. Indem sie sich auf Patricks Drängen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr einlässt, besiegelt Ruth ihr Schicksal. Die werdende Mutter bemüht sich, das Beste aus ihrer Lage zu machen, doch auch hier ist ihr kein Glück vergönnt. Patrick erweist sich als unzuverlässiger Schwangerschaftsbegleiter; regelmäßige Überstunden hindern ihn, seiner Frau zur Seite zu stehen, die sich in einsamen Stunden mit Fachliteratur auf das große Ereignis vorbereitet. Wenn sie schon ungewollt schwanger geworden ist, will sie wenigstens möglichen Komplikationen so gut es geht entgegenwirken. Aber statt einer natürlichen Geburt erwartet sie ein komplizierter Kaiserschnitt.

Die ohnehin schon unsichere junge Frau wird nachts von Baby Thomas entbunden, erwacht mittags aus der Narkose und ist somit erst einen halben Tag nach der Geburt in der Lage, ihr Kind zu begrüßen. Nicht die Mutter, sondern Patrick und vor allem die herbeigeeilte Elizabeth verbringen die ersten Stunden mit dem Säugling. Als Ruth ihn zu Gesicht bekommt, ist er bereits gewaschen, gepudert und mit einem Strampler gekleidet. Wie es der böse Zufall will, ist auch Thomas von der langen zeitlichen Distanz beeinflusst und verweigert Ruth die Brust. Kein einziges Mal gelingt es Ruth, ihren Sohn zu stillen. Die mit Kindern unerfahrene Mutter nimmt die Abneigung sehr persönlich. Umgekehrt ist Elizabeth rund um die Uhr bereit, sich um den Kleinen zu kümmern und die Mutterrolle zu übernehmen. Eine übertriebene Verkettung misslicher Umstände sorgt dafür, dass Ruth keine Chance hat, ein normales Verhältnis zu ihrem Kind aufzubauen. Stattdessen spielen alle Entwicklungen ihrer Schwiegermutter in die Hände, was in seiner Gesamtheit sehr unrealistische und übertriebene Züge besitzt, die stark an Groschenheftromanmethode erinnern.

|Übertriebene Dramatik|

In die Richtung von Groschenheftromanen geht auch die zeitweilige Dramatik, die zu sehr auf die Spitze getrieben wird. Regelmäßig reden die Charaktere mit sich selber, sprechen bedeutsame Gedanken aus, die dunkel und unheilvoll in der Luft liegen und auf kommende Konflikte hindeuten, aber ganz und gar unrealistisch sind. Fast jedes Kapitel endet mit einem sinnträchtigen Ausspruch, einer Bemerkung, die Elizabeth‘ Ziele verdeutlicht, etwa wenn ein Unbeteiligter den Einsatz der lieben Oma lobt oder Elizabeth in einem ruhigen Moment darüber sinniert, wie sie Thomas noch mehr für sich vereinnahmen kann.

Während es bei den ersten Kapitel noch nicht weiter stört, fällt es mit zunehmender Lesedauer unangenehm auf. Statt subtile Andeutunmgen einzubauen, wird plakativ dargestellt, dass Elizabeth geradezu manisch in ihrem Vorhaben ist und dass jeder Außenstehender nur die aufopfernde Schwiegermutter in ihr sieht. Besonders ärgerlich ist diese reißerische Methode an der Stelle, an der Elizabeth sich spitz bei Ruth erkundigt, weshalb sie neuerdings von der Anrede „Mutter“ zu „Elizabeth“ gewechselt ist. Statt dass der Leser erfährt, wie sich Ruth aus dieser unangenehmen Situation befreit, endet das Kapitel, die Frage, obgleich sie wirklich interessant war, wird nicht wieder aufgegriffen, der Handlungsort somit zu früh verlassen, zum Zweck eines zweifelhaften Pseudo-Cliffhangers.

_Unterm Strich_ bleibt ein spannender, vor allem für Frauen interessanter Roman in einer Mixtur aus Psychodrama und Thriller. Der glatte, schnörkellose Stil sorgt für eine guten Lesbarkeit, ebenso der hohe Spannungsfaktor, der den Leser von Anfang bis Ende fesselt. Schwächen liegen dagegen in der übertriebenen Dramatik und den unrelistisch konstruierten Ereignissen. Kein Highlight, aber ein unterhaltsamer Roman für kurzweilige Stunden.

Schirrmacher, Frank – Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft

„Deutschland braucht Kinder!“, predigt die Politik seit einiger Zeit und kürzt auf der anderen Seite alle möglichen Gelder, die junge Familien beim Kinderkriegen unterstützen würden.

Wie dringlich es wirklich ist mit den Kindern, zeigt Frank Schirrmacher in seinem neuen Buch „Minimum“ auf. Der Untertitel ist „Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ und er beschreibt in wenigen Worten, womit sich dieses Buch beschäftigt.

Aufgegliedert nach Geschlecht und Alter erklärt Schirrmacher, welche Funktion Männer, Frauen und Kinder in unserer Gesellschaft haben, welche sie hatten und welche sie haben werden. Er erklärt das Zusammenleben der Deutschen, aber nicht in trockener, wissenschaftlicher Art und Weise, sondern recht lebendig mit kleinen Geschichtchen, die seine Aussagen quasi-empirisch belegen, zum Beispiel die Geschichte vom Donner-Pass. Eine Gruppe Menschen versucht im 19. Jahrhundert, die Sierra Nevada im Winter zu durchqueren, was sich aber schwierig gestaltet und einige Opfer fordert. Tagebucheinträge von Mitgliedern des Trecks zeigen auf, wie das Überleben sich damals abspielte und Schirrmacher zieht Schlüsse daraus, die plausibel klingen.

In einem weiteren Kapitel mit der Überschrift „Rollenspiele“ legt er anschaulich dar, wer welche Funktion innerhalb unserer Gesellschaft hat. Allerdings geht es weniger um trockene Themen wie dsa Kinderkriegen oder das Geldverdienen. Überschriften wie „Wer rettet wen?“ oder „Wer vernetzt wenn?“ machen neugierig, denn man kann sich nur schwerlich vorstellen, was sich dahinter verbirgt.

Es spricht für Schirrmacher, dass er es schafft, so ein trockenes Thema wie Demografie dermaßen interessant darzustellen. Mit einer galanten Leichtfüßigkeit streift er einige Aspekte zwar nur am Rand, und seine Methode, seine Thesen mit kleinen Geschichten und Ausschweifungen darzustellen, ist vielleicht nicht besonders wissenschaftlich, aber dafür sehr unterhaltsam, was für einen Laien eine gute Sache ist.

Applaus verdient sein Schreibstil. Das ganze Buch erzählt sehr luftig-locker, wertneutral und unterhaltsam. Schirrmacher schafft den Spagat zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und beinahe schon prosaischer Schreibe mit stellenweise poetisch angehauchter Sprache. Er benutzt viele Quellen und Zitate, die allesamt korrekt im Anhang belegt sind, und trotzdem entstehen dadurch keine Brüche.

In der Summe ist „Minimum“ für den interessierten Laien durchaus empfehlenswert. Der schöne Schreibstil und der anschaulich verpackte Inhalt eröffnen einen guten Einblick in dieses Thema. Das Buch geht allerdings nicht zu tief. Wer wirkliche Informationen möchte, sollte sich an andere Literatur wenden, wer einfach nur etwas Interessantes, Spielerisches sucht, ist hier gut beraten.

http://www.randomhouse.de/blessing

Dark, Jason – John Sinclair – Der Todesnebel (Folge 36)

_Story_

In der Nähe eines kleinen Küstendorfes schwebt ein seltsamer Nebel übers Meer, der vor allem den älteren Bewohnern große Angst einjagt. Der junge Phil muss als Erster erfahren, wie begründet diese Ängste sind, als er nach einer Irrfahrt auf seinem Boot ‚verändert‘ zurückkehrt und beim Aufeinandertreffen mit seiner Familie in London ein Blutbad anrichtet. Gerade noch rechtzeitig kann Sinclair einschreiten und zumindest die Mutter des Jungen retten, wohingegen der erst 13-jährige Phil in der Gestalt eines Mumien-ähnlichen Dämons von Sinclair tödlich verletzt wird.

Währenddessen geht Phils Onkel der Sache auf den Grund und steuert mit einem befreundeten Schiffsmann mitten in den Nebel hinein. Bei ihrer Rückkehr scheint alles normal zu sein, so dass beide sich vor den wartenden Bewohnern noch über die angeblichen finsteren Mächte hinter dem Nebel lustig machen. Doch die beruhigten Leute werden schnell eines Besseren belehrt, als Billy und Gard im Dorf Amok laufen und beim Versuch, den Pfarrer und die religiösen Symbole des Dorfes zu vernichten, ebenfalls nur noch vom herbeigereisten Sinclair aufgehalten werden können. Doch selbst der Geisterjäger weiß keinen Rat, muss aber schnell handeln, denn der Nebel steuert direkt auf das Dörfchen zu, und wie grausam sich sein Kontakt auswirkt, haben mittlerweile viele leibhaftig bezeugen können …

_Meine Meinung_

Die jüngste Veröffentlichung aus der „John Sinclair“-Hörspielserie ist im Hinblick auf die prickelnd gruselige Atmosphäre eines der absoluten Highlights aus dem bisherigen Audio-Katalog des Geisterjägers. Alleine der Handlungsschauplatz birgt schon genügend Potenzial für eine weitere schaurige Geschichte, und dies haben die Sprecher von „Der Todesnebel“ unter der Anleitung von Oliver Döring nicht nur verinnerlicht, sondern diesbezüglich auch einen erstklassigen, würdigen Transfer geleistet.

Zudem verfolgt man in Episode 36 mal wieder einige frische Ansätze, was schon damit beginnt, dass der neue Gegner des Geisterjägers erst einmal unscheinbar und vor allem auch undurchschaubar ist. Sinclair ist sich nicht sicher, wie er die aktuelle Bedrohung definieren soll, denn ihm ist nicht bekannt, ob die dichte Nebeldecke von einer höheren Macht befohlen wird oder ob es sich hier um eine neue, eigenständige teuflische Erscheinung handelt, die alle bislang bekannten Charakteristika der dämonischen Geschöpfe außer Kraft setzt. Lediglich eines ist sicher, und das ist die Gefahr, die inmitten des Nebels lauert. Menschen verändern sich nach direktem Kontakt, und keiner kann sagen, was genau passiert, wenn man von der diesigen Luft festgehalten wird. Sinclair bieten sich auch keine Möglichkeiten, dies herauszufinden, weil alle Betroffenen ihr Verhalten derart krass modifiziert haben, dass ihr wahres Ich zur Unkenntlichkeit entstellt wurde.

Eine harte Nuss für unseren Geisterjäger, und ein unheimlich spannendes Hörspiel für seine Fangemeinde. So lautet schon einmal vorab das Resümee nach dieser wiederum recht langen Erzählung. Der Regisseur scheint wirklich sehr bemüht, die Saga mittels frischer Zutaten lebendig zu halten, ohne dabei auf altbewährte Elemente zu verzichten, und dies ist ihm hier auch fabelhaft gelungen. Abgesehen von den ermittelnden Hauptdarstellern ist in „Der Todesnebel“ nämlich so ziemlich alles neu; die Gegner, Sinclairs Handeln, das der Story bisweilen sogar die Ausstrahlung eines Action-Thrillers verleiht, sowie der recht unkonventionelle Kampf gegen den bedrohlichen Nebel, der innerhalb eines Gotteshauses geplant und durchgeführt wird. Dass dabei auch der ziemlich häufig eingeworfene Humor nicht Fehl am Platze ist, spricht weiterhin für den starken Plot, in dem neben kurzzeitigen Cliffhangern auch stets Platz für einen lockeren, ja sogar witzigen Spruch bleibt. Meist sogar aus dem Munde des Geisterjägers selbst.

Und weil man sich des hohen Potenzials des neuesten Hörspiels absolut bewusst ist, macht man auch schon relativ frühzeitig deutlich, dass diese Geschichte nur der Anfang eines neuen gespenstischen Zeitalters ist, und dass auch die nachfolgenden Hörspiele unmittelbar an die Story von „Der Todesnebel“ anknüpfen werden. Inwieweit dies der Fall sein wird, bleibt abzuwarten, doch um hier Genaueres zu sagen, müsste ich an dieser Stelle schon auf das Ende der aktuellen Geschichte vorgreifen, und das wäre ja nicht fair. Feststeht nur eines: Die Nr. 36 ist eine der abwechslungsreichsten und damit auch besten Folgen von „John Sinclair“ und gehört folgerichtig auch an eine der vordersten Stellen jeder Geisterjäger-Sammlung. Wehe, hier meckert noch einmal jemand über die jüngsten Veröffentlichungen dieser Serie!

http://www.sinclairhoerspiele.de

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Ragan, Anthony / Pramas, Chris / Schwalb, Robert J. / Flack, Kate / Priestley, Rick – Sigmars Erben (Warhammer Fantasy-RPG)

_Allgemein_

Nachdem im „Warhammer-Grundregelwerk“ das Imperium beschrieben wird, das ja eigentlich der zentrale Spielplatz dieses Rollenspieles ist, wurde ein Quellenband mit den Infos über dieses Gebiet von vielen Spielern förmlich herbeigesehnt. Mit „Sigmars Erben“ ist er nun auch endlich erschienen. Die Qualität ist die altbekannte: Hardcover, durchgehend farbig mit tollen Bildern und Grafiken.

Aber kommen wir zum Inhalt. Zunächst erfährt man allgemeine Informationen über das Imperium, sprich die Geographie und die darin lebenden Völker. Dabei wird deutlich tiefer in die Materie eingestiegen als beim Grundregelwerk, so dass man sich hier einen guten Überblick über die Bewohner verschaffen kann.

Darauf folgt eine Abhandlung über die Geschichte des Reiches, bei der alle wichtigen Ereignisse erzählt werden, die zur Entstehung des heutigen Imperiums führten. Dabei haben es die Autoren erreicht, sich so kurz zu fassen, dass es einerseits nicht langweilig wird und andererseits genügend Informationen enthalten sind, um die Fakten in das Rollenspiel einzubeziehen zu können.

Kapitel drei ‚Regierung und Nachbarstaaten‘ hat schon eine eindeutige Überschrift, denn es geht tatsächlich um die Regierenden (Imperator, Kurfürsten, Staatsrat) und das Verhältnis zu den Nachbarstaaten Bretonia, Kislev, Tilea und diversen anderen Regionen.
Als besonders wichtig erachte ich die nächsten beiden Kapitel, die sich mit Recht und Gesetz sowie der Religion des Imperiums befassen. Die Rechtssprechung im Imperium ist zwar relativ verstrickt, doch werden die Grundzüge verständlich und eingehend erläutert.
Bei der Religion wird zuerst kurz auf die verschiedenen Aberglauben der Bevölkerung eingegangen und danach werden die verschiedenen Kulte der Götter Manann, Morr, Myrmidia, Ranald, Shallya, Sigmar, Taal und Rhya, Ulric und Verena ausführlich vorgestellt. Außerdem gibt es auch noch eine Reihe von geringen Göttern, die aber keine wirklich wichtige Aufgabe haben.

Im längsten Kapitel wird dann detailliert auf die Kurpfalzen und deren Bewohner eingegangen. Hier werden die Länder (Averland, Hochland, Middenland, Mootland, Nordland, Ostmark, Ostland, Reikland, Strirland, Talabecland und Whisenland) einmal in geografischer Hinsicht beschrieben sowie deren Bewohner mit ihren Eigenarten und den wichtigen Orten des jeweiligen Landes. Auch eine Übersichtstafel der einzelnen Orte mit Daten wie Größe, Einwohnerzahl, Ressourcen und Militär erweisen sich als sehr hilfreich. Den Abschluss der jeweiligen Beschreibung bilden immer jeweils zwei regional zugeschnittene Abenteuerideen.

Der Quellenband wird dann mit einer Beschreibung von zwei Verbotenen Kulten, dem Abenteuer ‚Missetaten in Bögenhafen‘, einigen neuen Karrieren und einer regeltechnischen Ergänzung (Fertigkeiten und Talente nach Herkunft) zum Abschluss gebracht.

_Mein Eindruck_

„Sigmars Erben“ ist sicherlich der wichtigste Quellenband für das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“. Schließlich werden sich die Gruppen den größten Teil ihrer Abenteurerlaufbahn über im Imperium aufhalten. Alles in allem bekommt man mit dieser Lektüre einen guten Überblick über die Kulturen und das Leben in den verschiedenen Ländern des Imperiums sowie die regionalen Eigenheiten ihrer Bewohner. Der geschichtliche Rückblick ist insofern sehr gelungen, weil solche Dinge mich schon bei manch anderem Rollenspiel ziemlich gelangweilt haben, das Lesen sich hier aber sehr viel interessanter gestaltet. Die Beschreibungen sind allgemein so gehalten, dass sie zwar einen guten Eindruck über das Land, die Regierenden und die Ereignisse verschaffen, den Spielleiter aber nicht in ein enges Korsett zwängen. Dies verschafft dem Spielleiter einerseits Halt, andererseits aber auch die optimale gestalterische Freiheit. Die Texte sind wieder alle sehr lesenswert ausgefallen, ähnlich wie beim „Bestiarium der Alten Welt“, so dass auch hier der Spagat zwischen Lesefreude und Fakten gelungen ist.

_Fazit_

„Sigmars Erben“ ist der wichtigste Quellenband für das „Warhammer Fantasy-Rollenspiel“ und eigentlich für ein richtiges Erleben der Alten Welt unverzichtbar.

[Warhammer Fantasy-Rollenspiel 2444 (Grundregelwerk)
[Warhammer: Das Bestiarium der Alten Welt 2597
http://www.feder-und-schwert.com

Charles P. Crawford – Der Drohbrief

Die drei Freunde Chad, B.G. und Frosch besuchen gemeinsam den Englischkurs von Mr. Patterson. B.G. ist ein vorlauter Anführertyp, der sich in der Schule durchmogelt. Frosch ist ein skurriler Spaßvogel, der alle Dinge als Spiel betrachtet. Chad, ein guter Schüler, ist der Zurückhaltendste und Vernünftigste der drei. Mr. Patterson ist der strengste Lehrer von allen; sein Unterricht ist nicht nur anspruchsvoll, sondern er liebt es auch, böse Witze über seine Schüler zu machen.

Während einer Klassenarbeit beobachtet er, wie B.G. vom deutlich besseren Chad abschreibt. Als Strafe gibt er beiden eine Fünf, was vor allem Chad ärgert. In ihrem Frust über die Schule kommen die Jungen auf die Idee, sich ein paar Streiche einfallen zu lassen, um „das perfekte Verbrechen“ zu üben. Dabei wollen sie keine wirklichen Delikte begehen, nur kleine Mutproben. Sie schleichen sich heimlich ins Kino ein, stehlen eine Flasche Wein, deponieren einen BH auf einer Jagdtrophäe in der Schule. B.G. hat es vor allem auf Mr. Patterson abgesehen. Er deponiert verfaultes Katzenfutter in der Lüftung, so dass Mr. Patterson schließlich den Hausmeister zu Hilfe rufen und die Englischstunde ausfallen lassen muss.

Charles P. Crawford – Der Drohbrief weiterlesen

Hohlbein, Wolfgang / Winkler, Dieter / Oden, Matthias – Wenn Engel fallen (Der Hexer von Salem-RPG)

Der Abenteuerband „Wenn Engel fallen“ setzt sich aus zwei getrennten Parts zusammen. Ersterer ist die brandneue „Hexer“-Kurzgeschichte ‚Der Sturmbringer‘ von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler. Der zweite und namengebende Part ist das Abenteuer ‚Wenn Engel fallen‘ von Matthias Oden.

|Der Sturmbringer|
Robert Craven ist auf der Suche nach seinem verschollenen Sohn Richard. Seine Suche führt ihn nach China, wo er schiffbrüchig und nahe Kiautschou an Land gespült wird. Dort trifft er auf die zwei deutschen Marineangehörigen Vizeadmiral Meyer-Waldeck und Korvettenkapitän Plüschow, die im Besitz von zwei äußerst gefährlichen Amuletten sind …

|Wenn Engel fallen|
Richard Craven und die Charaktere sind mit einem Flugzeugprototyp auf der Reise zwischen Singapur und Australien, als sich dieses verselbstständigt und vor einer geheimnisvollen Insel weitab jeglicher Zivilisation notlandet. Dort finden sie nicht nur einen Furcht einflößenden Ritualplatz, sondern auch ein Dorf mit äußerst merkwürdigen Bewohnern. Und es kommt noch besser, einer der Charaktere trägt etwas in sich, von dem er selber nichts weiß …

_Mein Eindruck_

Die Kurzgeschichte hat ihren Namen wirklich verdient, denn sie ist mit ihren gerade mal fünfzehn Seiten nicht wirklich umfangreich. Dafür halten sich aber Hohlbein und Winkler auch nicht lange mit irgendwelchem Vorgeplänkel auf, sondern starten gleich rasant in eine atmosphärisch sehr dicht gestrickte Geschichte, über die ich natürlich ob ihrer Kürze nicht viel verraten möchte. Nur so viel: Sie lohnt sich für „Hexer“-Fans auf jeden Fall zumal sie im Frühjahr 1925 spielt und eine Art Parallelbezug zum Abenteuer ‚Wenn Engel fallen‘ hat. Denn genau wegen der im Abenteuer beschriebenen Notlandung auf der Insel sucht Robert Craven seinen Sohn, weswegen es ihn wiederum nach China verschlagen hat. Dies ist für den Leser sehr interessant, wird Robert in der Kurzgeschichte doch auch von einigen Visionen geplagt, die dann auch für das spätere Abenteuer von Bedeutung sind bzw. dort vorkommen.

‚Wenn Engel fallen‘ ist ein sehr rasantes und teilweise etwas überdrehtes Abenteuer, was ja aber bei diesem Pulp-Rollenspiel durchaus erwünscht ist. Es ist so gehalten, dass es ohne Probleme von Einsteigern (sowohl Spieler als auch Spielleiter) gespielt werden kann. Das Abenteuer ist gut konzipiert und verfügt über einen interessanten Plot sowie eine abgefahrene Hintergrundgeschichte. Ein wenig könnte diese Geschichte auch auf die Fernsehserie „Lost“ zutreffen, und es würde mich nicht sehr wundern, wenn deren Ende ähnliche Züge aufweisen würde und deren Autoren sich danach als Lovecraft-Fans outen, aber ich schweife ab. Das Abenteuer kann zudem problemlos an das im Grundregelwerk enthaltene ‚Das Erbe der Templer‘ angehängt werden. Sehr gut gefällt mir zudem, dass nicht Richard Craven die Hauptperson ist, sondern einer der Spielercharaktere diese Rolle ausfüllt, was natürlich bewirkt, dass sich die Spieler nicht mehr nur als Richard Cravens Begleiter sehen, was ja auf die Dauer sicherlich auch keinen Spaß macht. Dass man sich als Autor natürlich auch besondere Dinge einfallen lassen muss, um die Spieler aus den großen Schatten der Cravens treten zu lassen, ist klar. Dies bewirkt natürlich, dass die Charaktere wichtige Figuren im Kreis des „Cthulhu-Mythos“ werden, und nicht hauptsächlich Beobachter wie im eigentlichen „Cthulhu-Rollenspiel“ – Pulp halt!

_Fazit_
Dieser erste Abenteuerband für das „Der Hexer von Salem“-Rollenspiel ist zwar mit seinen 43 Seiten etwas dünn ausgefallen, ist aber mit 9,95 € auch nicht gerade teuer. Daher sprechen sowohl die Hohlbein’sche Kurzgeschichte als auch das rasante Abenteuer ganz klar für eine Kaufempfehlung.

http://www.pegasus.de/cthulhu.html
http://www.cthuloide-welten.de/
[Grundregelwerk – Der Hexer von Salem 2660