Archiv der Kategorie: Rezensionen

Farmer, Nancy – Skorpionenhaus, Das

Eine düstere Version der Zukunft skizziert Nancy Farmer in ihrem Roman „Das Skorpionenhaus“. Fortschreitende biotechnologische Entwicklung, Klonen, Organhandel, ausbeutende Gesellschaftsstrukturen, Umweltverschmutzung und ungerechte politische Machtstrukturen thematisiert Farmer in ihrer Geschichte und legt damit den Finger in die Wunden unserer Zeit. „Das Skorpionenhaus“ wirft für ein Jugendbuch überraschend viele Fragen und Gedanken auf, ist vielschichtig und komplex und obendrein spannend. Kein Wunder, dass ein solches Werk nicht unbemerkt bleibt. In den USA konnte Nancy Farmer den |National Book Award| einstreichen, hierzulande gab’s noch den renommierten deutschen Jugendbuchpreis „Buxtehuder Bulle“ obendrauf.

„Das Skorpionenhaus“ erzählt die Geschichte von Matt Alacrán. Matt ist kein gewöhnliches Kind. Matt ist ein Klon des Drogenbarons und Diktators Matteo Alacrán, auch El Patrón genannt. El Patrón hat an der Grenze zwischen Atzlan (heute wohl eher unter dem Namen Mexiko geläufig) und den USA ein eigenes Imperium aufgebaut. Im Volksmund heißt sein Land Opium und der Name ist Programm. El Patrón beliefert von seinen Ländereien aus die ganze Welt mit Opium und hat damit ein Vermögen verdient. Als Patriarch ist El Patrón gefürchtet und an Macht hat er nichts eingebüßt, auch wenn er mittlerweile über 140 Jahre alt ist.

In diesem Land wächst Matt auf und hat als Klon ein schweres Leben. Niemand respektiert ihn; wo er hinkommt, löst er bestenfalls Missfallen, schlimmstenfalls gar Ekel aus. Viele zählen ihn eher zum Vieh, als dass sie einen Mensch in ihm sähen. Nur einer hält zu ihm: El Patrón, der den Jungen hütet wie seinen Augapfel. Kontakt hält er außerdem zu der kleinen María, die ihn zwar auch nicht unbedingt als Menschen ansieht, ihn aber wenigstens zu respektieren scheint.

Je älter Matt wird, desto mehr hinterfragt er seine Existenz. Hat er eine Seele? Kommt er in den Himmel, wenn er stirbt? Als El Patróns Gesundheitszustand sich verschlechtert, findet Matt heraus, was der Sinn seines Lebens ist und er hat nur eine Chance: Flucht. Doch die Grenzen werden von der brutalen Farmpatrouille bestens bewacht. Hat Matt eine Chance?

Die Thematik, die Nancy Farmer in ihrem Roman anschneidet, birgt einige Brisanz. Farmer wirft eine Haufen ethischer Fragen auf. Das Klonen ist ein Aspekt davon, aber längst noch nicht das Ende vom Lied. Die Bewirtschaftung von El Patróns Farm erfolgt recht altmodisch, in Handarbeit. Doch es sind keine Menschen, die diese Arbeiten übernehmen, sondern „Migits“. Die „Migits“ sind willenlos gemachte Menschen, denen ein Computerchip eingepflanzt wurde. Ihre Fähigkeiten sind eng begrenzt, aber sie führen jeden Befehl aus und empfinden weder Hunger noch Müdigkeit. „Migits“ werden als ebenso verabscheuungswürdig angesehen wie Klone, und Matt wird oft auf eine Stufe mit ihnen gestellt.

So hat Matt sichtbare Schwierigkeiten, seine eigene Existenz zu definieren. Er ist den Menschen bis ins Detail ähnlich, soll aber dennoch nicht mehr als ein „Migit“ sein. María sieht ihn in etwa auf einer Stufe mit ihrem Schoßhund Fellball und auch dieser Vergleich kann für Matt nur neue Fragen aufwerfen. Während beispielsweise Charlotte Kerner, die sich in „Blueprint“ ebenfalls auf Ebene eines Jungendbuches mit dem Thema Klonen befasst, eher die Probleme der persönlichen Abgrenzung zwischen dem Klon und seinem älteren Ebenbild in den Mittelpunkt rückt, geht es bei Nancy Farmer eher darum, wie der Klon sich gegenüber den normalen Menschen definiert. Für Matt stellt sich das Problem der Abgrenzung seiner eigenen Persönlichkeit zu El Patrón gar nicht erst.

Während bei „Blueprint“ das Klonen eher aus narzisstischen Motiven vollzogen wurde, sind die Gründe bei Nancy Farmer wesentlich pragmatischer. Es geht um das Bereithalten von Ersatzteilen im Falle einer gesundheitlichen Reparaturbedürftigkeit, und bis Matt dies erfasst hat, scheint es schon fast keine Rettung mehr für ihn zu geben. Sein verzweifelter Versuch, seinem vorbestimmten Schicksal zu entrinnen, macht den wichtigsten Teil der Spannung des Romans aus.

Doch Klonen, Gentechnik, Organhandel sowie deren moralische Fragwürdigkeit sind nicht die einzigen Punkte, in denen „Das Skorpionenhaus“ nachdenklich stimmt. Die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen sind genauso wie die politischen Machtverhältnisse in vielen Punkten fragwürdig. Ausbeutung von Arbeitskräften, Flüchtlinge, die zu Sklaven werden, und Kinderarbeit sind in Nancy Farmers Welt an der Tagesordnung. Auch die Umwelt ist arg in Mitleidenschaft gezogen. Flüsse sind verseucht, ganze Meeresbuchten ausgetrocknet, Chemieabfälle sorgen für Probleme – in gewisser Hinsicht ist Farmers Szenario ein Produkt, das aus dem Hier und Jetzt resultiert und damit indirekt die Probleme unserer Zeit anprangert.

Das mutet allesamt sehr düster an. Eine Zukunft, in der das Negative überwiegt, wird zu einem beklemmenden Szenario ausgestaltet. Doch Farmers Zukunftsvision ist nicht durchweg pessimistisch. Inmitten all der fragwürdigen und schlechten Gegebenheiten ist auch immer wieder Platz für Wärme, Hoffnung und zwischenmenschliche Begegnungen. Auch Matt wird geliebt – besonders von Celia, die ihn aufgezogen hat, aber ebenso von Tam-Lin, der Matt von El Patrón als Leibwächter zur Seite gestellt wird (selbstverständlich aus rein egoistischen Gründen) und von María.

Matt verliert geliebte Menschen und schließt Freundschaften. Und schließlich erfährt er, was es heißt, Verantwortung übernehmen zu müssen. In Matts Brust schlagen zwei Herzen – das eine, das El Patrón folgen möchte und nur an den eigenen Vorteil denkt, und das andere, das zu lieben fähig ist, das ehrlich und fair ist. Matt ist somit auch als Figur durchaus vielschichtig skizziert. Und damit steht er nicht allein. Auch die meisten anderen Figuren in Farmers Welt von morgen wirken facettenreich und glaubwürdig. Sie sind nicht plump schwarz/weiß gezeichnet. Gut und Böse werden nicht ganz klar umrissen, Klischees nicht plump breitgetreten. „Das Skorpionenhaus“ ist damit ein Roman, der nicht nur aufgrund des beklemmenden, düsteren Szenarios in Erinnerung bleibt, sondern auch dank der recht vielschichtig angelegten Figuren.

Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, „Das Skorpionenhaus“ käme mit der berühmten, gefürchteten moralischen Keule daher, doch das täuscht. Farmer belehrt den Leser nicht mit erhobenem Zeigefinger. Sie prangert nicht laut an und sucht keine Schuldigen. Sie skizziert einfach eine düstere Utopie, formuliert eine Weltsicht aus Matts Perspektive, teilt dem Leser seine Gedanken mit und lässt diesen selbst die offensichtlichen Schlüsse daraus ziehen.

Und das macht sie auf durchaus spannende Art und Weise. Über die Welt hinter den Grenzen von Opium streut sie immer nur Andeutungen aus. Sie macht den Leser stets neugierig und krönt das Ganze mit einem Sahnehäubchen sich kontinuierlich steigernder Spannung. Ein wenig zu einfach mag es gegen Ende hin erscheinen, wie manche unüberwindbar scheinenden Probleme im Handlungsverlauf gelöst werden, aber dennoch liest sich „Das Skorpionenhaus“ gerade zum Ende hin absolut fesselnd.

Sprachlich ist das Buch leicht verständlich geschrieben. Einfacher, klarer Satzbau, der stets kurz und prägnant bleibt, so dass der Roman einerseits tatsächlich Jugendbuchniveau hat, andererseits aber dennoch auch Erwachsenen Freude bereiten dürfte. Der Verlag empfiehlt das Buch für Kinder ab 12 Jahren, aber das bedarf sicherlich einer weiteren Differenzierung. Der Roman wirft so viele ethische und moralische Fragen auf und ist teilweise so düster angelegt, dass sicherlich nicht jedes Kind dieser Altergruppe ohne zusätzliche Unterstützung gleich gut damit umgehen kann. In jedem Fall ist es ein Buch, über das sich anschließend zu reden lohnt.

Alles in allem weiß Nancy Farmer mit „Das Skorpionenhaus“ zu gefallen. Sie hat ein vielschichtiges und nachdenklich stimmendes Buch vorgelegt, das ein düsteres Zukunftsszenario zeichnet, in dem trotz all der negativen Entwicklungen noch Platz für positive Werte wie Freundschaft und Menschenwürde ist. So schafft Farmer es nicht nur zu unterhalten, sondern auch noch eine Botschaft zu übermitteln. Das Resultat ist ein spannender Roman mit interessanten und größtenteils sehr glaubwürdigen Figuren, der noch eine ganze Weile im Gedächtnis haften bleibt.

Conte, Domenico – Oswald Spengler. Eine Einführung

Ein kleines Rätsel zum Einstieg: Wann und von wem wurden folgende Sätze geschrieben?

„Die Diktatur der Parteihäupter stützt sich auf die Diktatur der Presse. Man sucht durch das Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter die eigne Gedankenzucht zu bringen. Hier erfahren sie nur noch, was sie |sollen|, und ein höherer Wille gestaltet das Bild ihrer Welt. Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Geister auf, … bis sie Waffen |fordern| und ihre Führer zu einem Kampf zwingen, zu dem diese gezwungen sein |wollten|.“
Ein politischer Beobachter des Irak-Kriegs 2003?

„Auf dieser Stufe beginnt das … Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. … [Die Bevölkerung] wird von der Spitze herab abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land […] Und trotzdem schwindet die Bevölkerung rasch und in Masse dahin, trotz der verzweifelten Ehe- und Kindergesetzgebung“
Ein Soziologe zur neuesten demographischen Studie der Bundesregierung?

Nein, diese Worte schrieb Oswald Spengler (1880-1936) in seinem 1918/22 erschienenen Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“. In diesem tausendseitigen Werk stellt er die Theorie auf, dass in einer normal regellosen Geschichte manchmal die Menschen eines bestimmten Großraums unter dem Eindruck der Landschaft plötzlich von einem einheitlichen Weltbild und Weltgefühl erfasst werden. Dann entsteht eine Hochkultur, in der dadurch alle kulturellen Äußerungen (Politik, Religion, Wissenschaft, Kunst) einen inneren Zusammenhang haben und die nun wie ein Organismus bestimmte schicksalhafte Stadien (Wachstum, Blüte, Reife, Alterung, Tod) durchläuft.

Der italienische Spengler-Experte Domenico Conte hat eine Einführung in das Denken dieses Kulturphilosophen vorgelegt. Nach einer kurzen Darlegung der Selbsteinschätzung Spenglers und biographischen Angaben aus der Zeit _Vor dem „Untergang“_ führt das erste große Kapitel in die Grundgedanken des Hauptwerks ein: Conte stellt zunächst kurz die Kapitel beider Bände von _“Untergang des Abendlandes“_ vor, um dann der Reihe nach die wichtigsten Grundgedanken dieses Buches wie den Zusammenhang von Kultur und Zivilisation oder den Gegensatz von Natur und Geschichte darzulegen. Die Reihenfolge, in der die Hauptgedanken behandelt werden, erscheint zunächst etwas regellos. Aber bald entdeckt man in Conte einen profunden Spengler-Kenner. Seine Ausführungen, insbesondere zur Seele als kulturstiftender Kraft oder zu Spenglers Ursymbolen, sind kurz und treffend, die angeführten Zitate sehr gut ausgewählt. Vielleicht hätte man hier noch etwas zur Bedeutung der Landschaft, ihrer Topographie und Vegetation, bei der Entstehung einer Hochkultur sagen können. Immer wieder kehrt Conte zu Spenglers Auffassung von Kulturen als Organismen zurück und widerlegt damit unsinnige, aber seit Jahrzehnten unausrottbare Fehlurteile, etwa die Vorwürfe des Pessimismus oder Defätismus gegen Spengler.

Es verwundert zunächst, dass zwischen der Einführung in Spenglers kulturgeschichtliches und derjenigen in sein politisches Denken das Kapitel über _Vordenker und geistige Väter_ eingefügt ist, dies wird bald aber klar durch die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse. Der erste Band von „Untergang des Abendlandes“ war auf der Stelle ein Verkaufsschlager und wurde bald Gegenstand der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion, die sich auch um die geistigen Vorläufer Spenglers drehte. Conte befasst sich zunächst natürlich mit Goethe und Nietzsche, auf die Oswald Spengler selber ausdrücklich verwiesen hatte. Hier zeigt der Autor knapp aber deutlich die Einflüsse der beiden großen Denker auf. Dann nennt er weitere Köpfe und Traditionen, von denen Spengler profitierte, von Hegel über verschiedene geschichtsmorphologische Konzepte aus dem 19. Jahrhundert bis zur Kunstgeschichte, deren Denkweise auf Spengler auch über den Bereich von Kunst und Kultur weit hinausreichte. Erstaunlich ist aber, dass der Althistoriker Eduard Meyer, der mit seiner neuen Interpretation der Antike sehr stark auf Spengler wirkte und vermutlich die am häufigsten zitierte Quelle im „Untergang“ sein dürfte, hier nicht erwähnt wird.

Danach wird also _Der politische Autor_ Oswald Spengler dargestellt. Natürlich stehen hier der Aufsatz „Preußentum und Sozialismus“ (1919) und sein Vermächtnis „Jahre der Entscheidung“ (1933) im Mittelpunkt. Es spricht wieder sehr für den Autor, dass er den schillernden und oft missverstandenen Spenglerschen Begriff |Sozialismus| auf Gedanken aus dem „Untergang“ zurückführt und damit aus tagespolitisch begründeten Missverständnissen zieht. Aus „Jahre der Entscheidung“, „das einzige unverkennbar regimekritische Werk“ (Frank Lisson) jener Zeit, werden einige Hauptgedanken referiert. Insgesamt bleibt dieses Kapitel aber eher schwach. Die politischen Thesen Spenglers werden sehr oft in eine enge Verbindung zu damaligen politischen Auseinandersetzungen gebracht. Dass Spenglers politisches Schreiben eher wirkungslos blieb, verleitet Conte gelegentlich zu einem ironischen Unterton. Dabei kommt der Bezug zu Spenglers Erkenntnissen aus dem „Untergang“ zu kurz. Für Spengler war Geschichtsmorphologie, d.h. die Lehre von der (typischen) Gestalt historischer Epochen, nie eine theoretische Spielerei im Elfenbeinturm, sondern sie sollte immer auch praktisch zu einer besseren Lageeinschätzung und damit Politikformulierung genutzt werden.

Seit Mitte der 20er Jahre widmete sich Spengler verstärkt Studien zu grundlegenden kulturphilosophischen Fragen. Seine Aufzeichnungen dazu wurden erst nach seinem Tode geordnet und schließlich in den 60er Jahren veröffentlicht. _Die postum erschienenen Werke_ behandelt das letzte Kapitel. Die „Frühzeit der Weltgeschichte“ ist wieder ein geschichtsmorphologisches Buch, das sich mit einer primitiveren Kulturstufe als den Hochkulturen aus dem „Untergang“ befasst. Auf diesem Gebiet ist Conte offenbar zu Hause. Wieder referiert er sicher und sehr dicht die Hauptthesen. Durch Querverweise auf verwandte Gedanken in kleinen Schriften und Redemanuskripten macht er die Bedeutung dieser neueren Erkenntnisse für Spengler deutlich. Sehr interessant sind auch die Ausführungen, inwieweit Thesen aus dem „Untergang des Abendlandes“ bestätigt, ergänzt oder zurückgenommen werden. Die „Urfragen“, eine „Metaphysik des Lebens“, entwickelt aufgrund der Gegenüberstellung von Pflanze und Tier eine Anthropologie, welche eine Grundlage für die übrigen geschichtsphilosophischen Thesen wird. Auch hier haben wir wieder eine klare, prägnante und verständliche Arbeit von Conte.

Nach einer mehrseitigen Zeittafel zu Leben und Werk folgt noch ein Anhang über _Die Geschichte der Spengler-Rezeption_. Hier wird chronologisch die Auseinandersetzung mit Spengler vorgestellt, von den ersten heftigen Kontroversen ab Erscheinen des ersten Bandes des „Untergangs“ bis zu neueren wissenschaftlichen Publikationen. Kurz wird die Aufnahme seiner Gedanken in unterschiedlichen Ländern und Fachbereichen geschildert. Arnold Toynbee, der mit „A Study of History“ ein ähnliches Werk schrieb, wird leider nur knapp angerissen. Überraschenderweise unterschlägt der Italiener Conte seinen Landsmann Julius Evola vollständig.

_Fazit_
Domenico Contes kurzer Band bietet eine knappe, kenntnisreiche Einführung in Spenglers Denken, mit den erwähnten Einschränkungen bei den politischen Schriften. Einem Spengler-Neuling kann das Buch unbedingt empfohlen werden. Aber auch dem etwas fortgeschritteneren Leser bietet es noch wertvolle Hinweise. Oswald Spengler erfährt in den letzten Jahren wieder ein stärkeres Interesse, besonders seitdem immer wieder ein Einfluss Spenglers auf aktuelle amerikanische politische Bücher (S. Huntington: „Kampf der Kulturen“, Z. Brzezinski: „Die einzige Weltmacht“) vermutet wird, die ihrerseits die gegenwärtige Politik der USA beeinflusst haben sollen. Insofern ist die Übersetzung von Contes Buch auch für den politisch Interessierten keinen Moment zu früh erschienen.

Hyung, Min-Woo – Priest – Band 4

[Band 1 1704
[Band 2 1705
[Band 3 1707

Im vierten Band der „Priest“-Reihe gräbt Autor und Zeichner Min-Woo Hyung tief in der Vergangenheit des Hauptdarstellers Ivan Isaacs und schildert die Geschichte des jungen Priesters aus dessen eigener Sicht, ganz so, wie er sie in seinem Tagebuch auch selbst dargestellt hat. Dieses Tagebuch hat er einst auf der Jagd nach Temozarela geschrieben, und durch seine Aufzeichnungen wird auch deutlich, wie sich der Hass auf den gefallenen Erzengel entwickelt hat und warum Ivan all seine Hoffnungen und Träume dafür hat aufgeben müssen.

Der junge Priester Vater Simon zweifelt noch immer an den Thesen seiner Glaubensbrüder und an der Wahrheit um das ‚heilige Gefängnis‘ namens Heshion. Doch andererseits kann er sich kaum vorstellen, dass die dort lebenden Kollegen den Großteil ihres Lebens damit verbracht haben, einer nicht vorhandenen Wahrheit herzujagen, und so liest er mit großem Interesse das Tagebuch des jungen Ivan Isaacs. Dort erfährt er von einem adoptierten Jungen, der von seiner Schwester nie als Stiefbruder akzeptiert wurde, eigentlich aber ausschließlich aus dem Grunde, um eben jener das Leben nach dem Tod ihrer Mutter einfacher zu machen, in die Familie Isaacs aufgenommen wurde. Doch Ivan beweist Standfestigkeit, und nach dem Tod seines Stiefvaters ist er Gena, so der Name seiner Halbschwester, schon sehr nahe gekommen, auch wenn sich dies beide nicht eingestehen wollen. Erst als er nach einem neunjährigen Priesterseminar in seine Heimat und somit auch zu Gena zurückkehrt, wird er sich seiner Gefühle bewusst, und auch Gena fühlt sich zu ihm hingezogen.

Doch dann taucht der seltsame Priester Raul Piestro auf und bittet Ivan um Mithilfe bei der Aufdeckung einiger vertuschter, religiöser Geheimnisse. Hin- und hergerissen zwischen seiner Berufung auf der einen und Gena auf der anderen Seite, kämpft Ivan mit heftigen Gewissensbissen, entschließt sich letztlich aber doch dazu, Raul Piestro zu folgen. Es dauert nicht lange, bis er genau diesen Beschluss bereut, denn danach ist nichts mehr so, wie es einmal war …

Band numero vier ist für meinen Geschmack bisher der beste und vor allem spannendste Teil dieser Reihe, weil sich hier schon einige Kreise schließen und man doch langsam hinter das mysteriöse Geheimnis hinter dieser Geschichte steigt bzw. eine Vorstellung davon bekommt, worum es in „Priest“ neben der ganzen Action auch geht. Hyung zeichnet unter anderem sein Bild von der Kirche, was aber im weiteren Verlauf dieser Serie noch krasser werden wird. Hier geht es zunächst mal darum, den Teufel als das Böse und als eine Bestie darzustellen, dabei aber auch zu beleuchten, dass die Kirche in vielerlei Hinsicht ein scheinheiliges Spiel betreibt, wobei Hyung hier auch Parallelen zu den oftmals hervorgehobenen Kreuzzügen zieht, und deren Ereignisse schließlich auch mit in die Geschichte einbezieht.

In erster Linie geht es in Band 4 aber darum, wie Ivan Isaacs innerlich von Selbstzweifeln geplagt wird, die sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben ziehen. Zunächst die Entscheidung, Priester zu werden, anschließend seine Liebe zu Gena mit dem Entschluss, sein Priesterdasein mit einer höheren Priorität auszustatten, und dann schließlich die gedankliche Begegnung mit dem Teufel und der Bestie Belial, zu der Ivan sich nach einigen Aufrufen hingezogen fühlt und an die er später auch seine Seele verkauft (was jedoch hier noch nicht beschrieben wird).

Durch ständig wechselnde Szenarien in den Zeichnungen hat Hyung die Gefühlswelt Isaacs‘ wirklich sehr authentisch und lebhaft illustriert. Dazu fällt auf, dass die Zeichnungen entgegen aller vorher geäußerter Kritik zwar weiterhin eckig, aber weitaus schärfer als zuvor ausgefallen sind. Auf diesem Gebiet ist eine eindeutige Verbesserung zu erkennen. Doch auch die Story gewinnt immer mehr an Farbe, wobei der Autor noch weiter abschweift und sich immer mehr Möglichkeiten für die weiteren Fortsetzungen aufbaut. Zudem ist das Thema an sich wirklich genial und mit alle seinen Nebensträngen prima aufgearbeitet worden.

Ich gebe zu, bei den ersten beiden Bänden hatte ich noch so meine Bedenken, wohin die Reise von „Priest“ gehen würde, doch jetzt bin ich davon überzeugt, eine der besten aktuellen Manga-Reihen mitzuverfolgen.

Jodi Picoult – Beim Leben meiner Schwester

Dürfen Eltern sich ihr Wunschkind aussuchen, um damit bestimmte Zwecke zu erfüllen? Was ist, wenn Eltern ein krebskrankes Kind haben und sich den idealen Spender „designen“ lassen? Die heutige Wissenschaft macht vieles möglich, doch führen manche Praktiken zu schier unlösbaren ethischen Problemen. Jodi Picoult schildert in ihrem neuen Roman eine dramatische Familiengeschichte, die genau diese Fragen aufwirft und den Leser zum Nachdenken anregen soll und auch wird.

Ich will leben

Anna Fitzgerald ist nur 13 Jahre alt, als sie ihrer krebskranken Schwester Kate eine Niere spenden soll. Dies ist der Moment, in dem Anna beschließt, sich einen Anwalt zu nehmen, um ihren Eltern die Entscheidungsgewalt in medizinischen Fragen wegnehmen zu lassen. In den Gelben Seiten findet sie den erfolgreichen Anwalt Campbell Alexander, der ihren Fall übernehmen soll. Der jedoch zeigt sich zunächst skeptisch und lässt sich nur durch die ihn erwartende Publicity zu diesem Pro-bono-Fall hinreißen. Annas Eltern Sara und Brian sind überrascht, als sie eine Vorladung vom Gericht bekommen. Sara, die früher als Anwältin gearbeitet hat, beschließt spontan, ihren Fall selbst zu vertreten.

Doch geht es nicht nur um Annas Leben, sondern auch um das ihrer älteren Schwester Kate. Im Alter von zwei Jahren wurde bei Kate eine spezielle Form der Leukämie festgestellt. Da ihr Bruder Jesse als Spender nicht in Frage kam, beschlossen Sara und Brian damals, noch ein Kind zu zeugen und zwar eines, das in allen Punkten als Spenderin für Sara passen würde. Schon das Nabelschnurblut wird für Kate gespendet, in den Jahren danach schließen sich Lymphozyten-, Granulozyten- und sogar eine Knochenmarksspende an. Einen Großteil ihrer Kindheit hat somit auch Anna im Krankenhaus verbracht, geholfen hat es ihrer Schwester immer nur zeitweise. Als schließlich Kates Nieren versagen, könnte nur Anna ein Organ spenden, da ansonsten das Risiko für Kate zu groß wäre. Die Zeit drängt, denn Kate geht es immer schlechter.

Die Verfahrenspflegerin Julia wird vom Gericht bestellt, um sich ein Bild von Anna und ihrer Familie zu machen. In vielen Gesprächen lernt sie Annas Motive und die ihrer Eltern kennen. Doch auch Julia ist ratlos angesichts der sich ihr dargestellten Situation. Gleichzeitig kämpft sie mit privaten Problemen, denn zu ihrer Highschoolzeit hatte sie einst eine kurze Affäre mit Campbell Alexander, damals allerdings hatte er sie sitzen gelassen. Nun flammt die alte Liebe erneut auf.

An allen Fronten erleben wir persönliche Dramen mit, denn in der Familie Fitzgerald liegt einiges im Argen …

Perspektivenwechsel

„Beim Leben meiner Schwester“ ist aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst lernen wir Anna kennen, die uns ihre Entscheidung mitteilt, dass sie keine Niere für ihre Schwester spenden möchte, da sie bereits oft genug im Krankenhaus gewesen ist. Anna schaltet daraufhin Campbell Alexander als ihren Anwalt ein. Auch aus der Sicht des erfolgreichen Staranwalts erfahren wir einen Teil der Geschichte, er gibt offen zu, dass er Annas Fall zunächst als reine Werbung für sich selbst ansieht und daher den Fall pro bono übernimmt. An Alexanders Seite begleitet ihn stets sein Servicehund Judge, obwohl der Anwalt doch gar nicht blind ist. Welche Funktion Judge in seinem Leben einnimmt, erleben wir hautnah mit, als Anna gerade vor Gericht ihre Aussage macht. Auch die Verfahrenspflegerin Julia erzählt ihren Teil der Geschichte, sie berichtet von den Verletzungen, die Campbell Alexander ihr zugefügt hat, als er sie damals zu Schulzeiten fallen gelassen hat, wir lernen ihre Schwester kennen und begleiten Julia auf ihren Besuchen bei Anna und ihrer Familie.

Aus Saras Perspektive wird die Familiengeschichte von Kates Krankheit erzählt. Dieser Teil der Geschichte setzt ein, als Kate zwei Jahre alt ist und Sara zum ersten Mal merkwürdige blaue Flecken bei ihr entdeckt, woraufhin nach etlichen Tests schließlich Leukämie diagnostiziert wird. Sara berichtet von ihrer Entscheidung, ein passendes Kind zu bekommen, das als Spenderin für Sara fungieren kann, und sie ertappt sich dabei, wie sie dieses ungeborene Kind gar nicht als eigenständige Persönlichkeit wahrnimmt, sondern nur als geeignete Spenderin: „Obwohl ich im neunten Monat bin, obwohl ich reichlich Zeit zum Träumen hatte, habe ich mir über dieses Kind noch keine besonderen Gedanken gemacht. Wenn ich an diese Tochter denke, dann nur daran, was sie für die Tochter tun kann, die ich bereits habe.“ Später erfahren wir aus Saras Sicht, wie Kates Krankheit sich weiterentwickelt, wie Kate schließlich bei der Chemotherapie einen anderen Patienten kennen lernt, in den sie sich verliebt. Wir werden Teil von Kates Krankengeschichte und erfahren insbesondere Saras Gründe für die vielen Behandlungen und auch für Annas Spenden.

Brian dagegen begleiten wir häufig zu seinen Einsätzen. Der Familienvater arbeitet als Feuerwehrmann und rettet andere Leben, wo ihm dies bei seiner eigenen Tochter so schwer fällt. Die Feuerwehr hat mit einem Brandstifter zu kämpfen, der verlassene Hütten anzündet und zunächst nicht gefasst werden kann. Doch aus Jesses Perspektive werden wir recht schnell Zeuge der Brandstiftungen, denn Jesse hat seine eigenen Probleme zu verarbeiten. Während seine Schwestern ständig im Mittelpunkt des Familiengeschehens stehen – die eine wegen ihrer schweren Krankheit und die andere wegen ihrer Spenden – bleibt er außen vor und rebelliert gegen die Nichtbeachtung durch seine Eltern. Sein Zimmer verfügt über einen separaten Eingang, sodass Jesse unbemerkt kommen und gehen kann.

Zunächst ist dieser ständige Perspektivenwechsel sehr gewöhnungsbedürftig, da man sich zu Beginn jedes Kapitels neu einfinden muss, doch später empfand ich dies als gelungenes Stilmittel, da uns die handelnden Personen dadurch sehr nahe gebracht werden. Wir erleben die Probleme und Sorgen jedes Einzelnen hautnah mit und lernen auch die Gründe für ihr Handeln kennen. So paradox es auch erscheinen mag, so verstehen wir dadurch sowohl Annas Weigerung zu einer Organspende als auch Saras Gründe für die Nierentransplantation. Jodi Picoult schafft es überzeugend, uns jede Perspektive deutlich zu machen, wir begleiten jeden Protagonisten immer wieder auf Schritt und Tritt und fühlen auch mit jedem mit. Das Handeln jeder Person wird verständlich, auch wenn besonders Annas und Saras Wünsche miteinander kollidieren.

Nach und nach wird offenkundig, welche Probleme die Familie Fitzgerald mit sich auszumachen hat. Die Interessen ihrer beiden Töchter stehen praktisch im Gegensatz zueinander. Um die kranke Tochter gesund zu machen, muss die gesunde Tochter immer wieder ins Krankenhaus und sogar eine schwere Knochenmarkstransplantation über sich ergehen lassen, die Anna nicht gut verträgt. Die Familie ist kurz vor dem Auseinanderbrechen, was auch den Eltern auffällt, die sich plötzlich nichts mehr zu sagen haben. Zusammengehalten werden die fünf eigentlich nur durch die zu überstehenden Krisen und durch Kates Krankheit, die nur bekämpft werden kann, wenn alle füreinander da sind. Doch speziell Jesses und Annas Interessen bleiben dabei häufig auf der Strecke. So darf Anna nicht auf das Eishockeyseminar fahren, auf das sie sich so gefreut hatte, weil sie in der Zeit eventuell für weitere Spenden gebraucht werden könnte.

„Bis dahin ist ausgeschlossen, dass sie nach Minnesota fährt. Nicht weil ich Angst habe, Anna könnte dort etwas passieren, sondern weil ich Angst habe, Kate könnte etwas passieren, wenn ihre Schwester nicht da ist. […] Und dann brauchen wir Anna – ihr Blut, ihre Stammzellen, ihr Gewebe – und zwar hier.“

Unlösbar

Jodi Picoult hat einen sehr persönlichen Roman vorgelegt, der uns die Personen wunderbar näher bringt und der es schafft, mit jedem mitfühlen zu lassen. Inhaltlich hat sie sich ein Thema herausgesucht, das ethisch schwierig zu beurteilen ist und gerade moralisch unlösbar erscheint. Wir können Annas Standpunkt sehr gut nachvollziehen, dass sie ihre Niere nicht spenden möchte, da dies einen schweren Eingriff in ihre eigene Gesundheit darstellen würde und sie danach ihr geliebtes Eishockeyspiel aufgeben müsste. Anna möchte mit ihren 13 Jahren endlich die Chance auf ein einigermaßen normales Leben haben und die Chance darauf, erwachsen zu werden (obwohl sie uns in den meisten Situationen doch schon sehr erwachsen vorkommt). Doch verbunden ist dies unweigerlich mit Kates Tod. Wie soll man hierzu eine Lösung finden? Jodi Picoult hat sich ein Ende ausgedacht, das dem Leser das Nach- und Weiterdenken ermöglicht. Sie präsentiert uns nicht ihre eigene Lösung, sondern schafft es sehr geschickt, diese Schwierigkeit zu umschiffen. Vielleicht trägt Picoult am Ende ein wenig dick auf, doch vielleicht war dies auch die einzig mögliche Auflösung in diesem Buch?!

„Beim Leben meiner Schwester“ regt zum eigenen Nachdenken an. Wie würde man selbst in dieser Situation reagieren? Ist es überhaupt gerechtfertigt, sich ein Wunschkind wie Anna erschaffen zu lassen, welches von Anfang an die Aufgabe des Spenders zu übernehmen hat? Aber ist es nicht auch völlig normal, dass Eltern alles Menschenmögliche versuchen wollen, um ihr krankes Kind zu retten? All dies sind Fragen, auf die es keine richtige und keine falsche Antwort gibt, daher fällt es uns schwer, das Buch aus der Hand zu legen und abzuschalten. Wenn wir das Buch am Ende zuklappen, rollt uns vielleicht sogar die eine oder andere Träne über die Wange, denn wir müssen loslassen von uns lieb gewonnenen Figuren. Durch die so persönlichen Schilderungen im Laufe der Geschichte haben wir uns besonders mit Anna richtig angefreundet, eine so „persönliche Beziehung“ habe ich nur selten zu Romanfiguren aufgebaut – und das, obwohl die reine Handlung des Buches nur eine gute Woche umfasst.


Etwas Besonderes

„Beim Leben meiner Schwester“ drückt auf die Tränendrüse, vielleicht ist es daher eher ein Buch für Frauen, ganz bestimmt ist es jedoch ein Buch, das Einfühlungsvermögen benötigt und die Bereitschaft, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Jodi Picoult hat ein Buch vorgelegt, das mich tief bewegt und mitgerissen hat. Der Roman ist flüssig geschrieben und schnell durchgelesen, dennoch ertappt man sich immer wieder dabei, dass man über die geschilderte Situation nachdenkt. Ein wenig störend empfand ich die beginnende Liebesgeschichte zwischen Campbell und Julia, ein reiner Familienroman wäre auch passend gewesen, insgesamt fügt sich aber sogar diese Liebelei ganz gut in das Gesamtgeschehen ein, da wir dadurch auch den Staranwalt aus einer ganz anderen Perspektive kennen lernen dürfen.

Das vorliegende Buch ist ein ganz persönliches Erlebnis, das ich jedem, der sich für dieses Thema und die damit verbundenen Fragen interessiert, nur wärmstens ans Herz legen kann.

Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: My Sister’s Keeper
ISBN-13: 978-3492247962
www.piper.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (9 Stimmen, Durchschnitt: 4,11 von 5)

Köster-Lösche, Kari – Donars Rache (Sachsen-Trilogie, Band 2)

Nachdem ich vom ersten Teil [„Das Blutgericht“ 1719 herb enttäuscht war, fiel es mir ungleich schwerer, mich noch weiter für die „Sachsen-Saga“ von Kari Köster-Lösche zu begeistern, weshalb ich die Geschichte erst einmal eine Woche lang beiseite legte, um neue Motivation zu sammeln. Unerwarteterweise kam eben jene bei der Lektüre von Band 2, „Donars Rache“, zurück, denn Köster-Lösche hat in gewisser Weise noch einmal die Kurve bekommen und es doch noch geschafft, dem Buch spannende Ansätze zu verleihen. Zum Glück …

_Story:_

Gunhild ist wieder in der Realität angekommen und berichtet ihrem Freund Günter von ihren Erlebnissen, doch der will ihr natürlich erst einmal nichts glauben und weist sie barsch ab, weil sie so lange fort gewesen ist. In diesem Moment merkt Gunhild, dass ihre Bestimmung darin besteht, ihren Geliebten Gerowulf wiederzufinden, und deshalb kehrt sie erneut in die ferne Vergangenheit zurück, um ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Doch bei ihrer Rückkehr gerät sie mitten in einen Glaubenskrieg zwischen Sachsen und Franken hinein. Letztere wollen ihre Kontrahenten mit aller Macht zum christlichen Glauben bekehren, was ihnen durch eine Zwangsbekehrung auch gelingt. Gerowulf, der Fürst der Sachsen, ist machtlos gegen die Macht der Gegner, und seine Männer, die auch nicht mehr an die Abwendung des Unheils glauben, zerstreuen sich in alle Winde.

Für Gunhild ist der Anblick all dessen zu viel. Sie kann das Leid der Franken nicht ertragen und beschließt daher, auf eigene Faust gegen das Verbrechen vorzugehen. Dazu nutzt sie ihre medizinischen Kenntnisse, um beim gemeinen Volk Ansehen zu erlangen. Dies nutzt sie dazu, gleichgesinnte Frauen um sich zu scharen und sie zum Widerstand gegen die christliche Eroberung anzustacheln. Gerowulfs Krieger bekommen Wind von der neuen Bewegung und schließen sich wieder ihrem alten Führer an. Mit gemeinsamer und geballter Kraft nimmt der Aufstand der Franken seinen Lauf …

_Bewertung:_

Eines vorweg: Auch in „Donars Rache“ ist Kari Köster-Lösche weit davon entfernt, stilistische Glanzpunkte zu setzen, denn nach wie vor ist ihre Art zu Schreiben recht hölzern und abgehackt. Und auch so manche Begebenheiten wie die Rückkehr von Gunhild sowie der seltsame Zwist zwischen ihr und ihrem ehemaligen Lebensgefährten Günter sind einem recht suspekt, weil sie das Buch nicht wirklich bereichern.

Dafür ist Köster-Lösche jedoch die Darstellung der Ereignisse in Sachsen viel besser gelungen, und tatsächlich entwickelt sich im Laufe der Story, speziell ab dem Moment, in dem Gunhild ihren Einfluss erkennt und geltend macht, ein guter Spannungsbogen, der bis zur letzten Seite anhält, auch wenn so manches Folgeereignis schon vorab zu erahnen war. Doch im Vergleich zu „Das Blutgericht“ werden hier nicht einfach nur gewisse Punkte lieblos aneinandergereiht, sondern die Geschehnisse gehen nahezu fließend ineinander über und können sich entfalten, ohne dass man befürchten müsste, dass ein bestimmter Handlungsabschnitt plötzlich beendet wird, weil schon der nächste sich anbahnt.

Natürlich ist „Donars Rache“ alleine deshalb noch kein literarischer Quantensprung, aber immerhin ein großer Schritt in die richtige Richtung, der wieder Laune und Lust auf mehr macht und das Lesen dieser Saga nicht zur Qual werden lässt. Meine großen Befürchtungen wurden also glücklicherweise nicht bestätigt, und ich bin doch wieder gespannt, ob Köster-Lösche die Serie zufrieden stellend zu Ende bringt und ich es anschließend nicht bereuen muss, meine Lesestunden für diese drei Bände ergebnislos geopfert zu haben. Im Falle von „Donars Rache“ habe ich dies jedenfalls nicht.

Haining, Peter (Hg.) – Visionen des Grauens

Peter Haining: Einleitung (Introduction) – Der Herausgeber reflektiert über den literarischen Wahnsinn als Thema dieser Sammlung und stellt die Autoren kurz vor.

Robert Bloch: (Lizzie Borden Took an Axe, 1946) – Guter, alter Wahnsinn trifft auf dämonische Besessenheit; das Ergebnis sind allemal schädelgespaltene Leichen …

Patricia Highsmith: Der Schneckenforscher (The Snail-Watcher, 1964) – Der langsamen Schnecke einzige Verteidigung ist die Vermehrung – und Sex kann eine tödliche Waffe sein, wie der allzu sorglose Hobbyforscher erfahren muss …

Harry Harrison: Die wahre Geschichte Frankensteins (At Last, the True Story of Frankenstein, 1965) – Der Sohn des großen Monsterbastlers verteidigt vor einem Reporter den Ruf des genialen Vaters und besorgt bei dieser Gelegenheit Ersatzteile für dessen beste Schöpfung …

W. C. Morrow: The Monster Maker (The Surgeon’s Experiment, 1928) – Der verrückte Wissenschaftler beschert einem Selbstmörder ein bizarres Nachleben, das dieser weder erwartet hatte noch begrüßt …

Edgar Allan Poe: Das ovale Portrait (The Oval Portrait, 1842) – Der große Maler saugt seinem schönen Modell das Leben förmlich aus, bis er es endgültig auf die Leinwand gebannt hat …

Fredric Brown: Der Napoleon-Komplex (Come and Go Mad, 1949) – Ist Wahnsinn eine Krankheit oder bedeutet er einen Riss in der gnädigen Geistesbarriere, die uns Menschen vor dem nicht zu verkraftenden Einblick in das wahre kosmische Geschehen bewahrt?

Nathaniel Hawthorne: Dr. Heideggers Experiment (Dr. Heidegger’s Experiment/The Fountain of Youth, 1837) – Wieder jung zu sein, ist der Herzenswunsch vieler Senioren; sind sie es dann, beweisen sie umgehend, dass sie die Erfahrung rein gar nichts gelehrt hat …

Henry Slesar: Wessen Krankheit? (Whosit’s Disease, 1962) – Der Arzt, der sie entdeckt und beschreibt, darf einer neuen Krankheit ihren Namen geben. Das findet der Patient empörend und verlangt seinen Anteil an solchem Ruhm – eine Reaktion, deren mögliche Folgen er besser hätte durchdenken müssen …

Harold Lawlor: (Mayaya’s Little Green Men, 1946) – Tropische Heinzelmännchen unterstützen ein Kindermädchen bei der Arbeit. Die kleinen Wichte tragen Waffen und können im Notfall sehr gut damit umgehen …

Neun Storys, in denen das Grauen nicht Ketten rasselnd um Mitternacht daherkommt, sondern sich vorwiegend im Kopf der Figuren abspielt. Mögliche Fehlfunktionen des Menschenhirns werden hier zu Auslösern dramatischer und tragischer Ereignisse. Ganz „normale“ Irre treten ebenso auf wie der immer beliebte „mad scientist“. Die Lust des Lesers am Horror mischt sich mit mehr Unbehagen als sonst, weil dieser Grusel der Realität nicht völlig enthoben ist. Wahnsinn flößt Furcht ein, da der Geisteskranke als solcher nicht zwangsläufig sofort erkannt wird und verdachtfrei sein Unwesen treiben kann. Noch immer erschrecken diejenigen Ungeheuer am besten, die ganz unscheinbar und unverdächtig wirken. Die Autoren dieser Kollektion verstehen es dies zu vermitteln.

Wenn es um literarischen Wahnsinn mit Realitätsspaltung geht, ist Robert Bloch (1917-1994) nie weit. Seit er Weltruhm mit seinem (von Alfred Hitchcock verfilmten) Roman „Psycho“ erlangte, waren mörderische Mehrfachpersönlichkeiten sein Markenzeiten, das er, ein schneller, ökonomisch arbeitender Unterhaltungsschriftsteller, in vielen Variationen immer wieder pflegte. Blochs „Interpretation“ des tatsächlichen Lizzie-Borden-Mehrfachmords von 1892 (http://ccbit.cs.umass.edu/lizzie ist eine schöne Website für diejenigen, welche es interessiert) ist nicht gerade eine seiner besten Arbeiten, aber der Schlussgag sitzt blochtypisch wieder einmal im Ziel.

Patricia Highsmithes (1921-1995) Schneckenforscher ist ein „sanfter“ Irrer, ein von öder Ehe und langweiliger Arbeit geistig und seelisch verkümmerter Mann. Als er einen Weg findet, den Teufelskreis, zu dem sein Leben geworden ist, zu durchbrechen, verliert er es, weil er sich und sein „Werk“ nicht unter Kontrolle halten kann – ein unfreiwilliger Frankenstein, der nie wirklich begreift, was er da tut. (Anekdotisch aber interessant ist die Tatsache, dass Highsmith selbst eine passionierte Schneckenforscherin war und diese Weichtiere in ihrem abgeschiedenen Haus bei Ascona hielt und studierte.)

Harry Harrison (geb. 1925) erzählt irgendwie passend dazu die „richtige“ Geschichte vom „echten““Frankenstein. Er verschafft uns einen witzigen Einblick in die alltäglichen Schwierigkeiten, denen sich ein wahrlich genialer, aber etwas zu unkonventioneller Wissenschaftler ausgesetzt sieht, und schließt mit einem grimmigen Schlussgag, der einmal mehr beweist, dass zu viel Neugier der Katze Tod sein kann. In dieselbe humoristische Kerbe schlägt Henry Slesar (1927-2002) mit einer seiner berühmten Storys, die ein frivoles oder eigentlich geschmackloses Thema kurz und elegant auf den Punkt bringen.

Normalerweise ist Fredric Brown (1906-1972) der Witzbold vom Dienst, er schrieb aber auch ernst gemeinte und dann sehr ideenreiche Geschichten mit verblüffender Auflösung. „Der Napoleon-Komplex“ fällt in diese Kategorie und bewegt sich hart an der Grenze zur Science-Fiction. Das Universum als Spielball quasi göttlicher Kräfte ist so menschenfeindlich, wie es Brown hier entwirft, tatsächlich wohl nur im Wahn zu ertragen.

Nathaniel Hawthorne (1804-1864) und Edgar Allan Poe (1809-1849) gehören zu den „Urvätern“ der Phantastik. Die Kurzgeschichte als literarische Form haben sie mit aus der Taufe gehoben. Mehr als anderthalb Jahrhunderte ist dies her, so dass man den Autoren ihre altmodische Schwerfälligkeit nicht vorwerfen darf. Dies trifft besonders auf Hawthorne zu, der seiner Epoche wesentlich stärker verhaftet war als der geradezu „modern“ erscheinende Poe. „Dr. Heideggers Experiment“ enthält denn auch mehr als ein Quäntchen moralische Belehrung: Das Alter ist nur Last für den, der sein Leben vergeudet hat; wieder jung zu sein, bedeutet deshalb höchstens die Gelegenheit zu bekommen, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Indes fasst Hawthorne dies mit trockenem Humor in Worte und schließt mit einem unerwarteten Schlussgag, der die Moral von der Geschicht’ umgehend in Frage stellt.

Poe ist hier mit einer seiner weniger bekannten und – seien wir ehrlich – ganz sicher nicht mit einer seiner besseren Kurzgeschichten vertreten. Er schrieb für wenig Geld für Zeitschriften (hier „Graham’s Lady’s and Gentleman’s Magazine“) und oft mit dem Drucker um die Wette. Dennoch ist „Das ovale Portrait“ eine beeindruckende Studie über (künstlerische) Besessenheit und ihre bösen Folgen.

William Chambers Morrow (1853-1923) und Harold Lawlor (1910-1992) sind zwei Autoren aus der „Pulp“-Ära der Unterhaltungsliteratur. Sie schrieben für die grellbunt aufgemachten Magazine der Jahre vor und kurz nach dem II. Weltkrieg. In diesem Umfeld gediehen durchaus Klassiker, aber Morror und Lawlor gehören zum „literarischen Fußvolk“, das vor allem Seiten mit actionbetonten, vordergründig spannenden Storys füllte. Morrow „bedient“ sich dabei mehr als deutlich bei M. W. Shelleys „Frankenstein“ und bringt die hochphilosophische Vorlage auf reinen Grusel herunter. Lawlors Geschichte liest sich wesentlich moderner, kann aber ebenfalls nie wirklich überraschen.

„Visionen des Grauens“ gehört zu den Büchern, die mit der Originalausgabe nur mehr marginal identisch sind. 160 Seiten hatte ein „Vampir“-Taschenbuch der frühen 1970er Jahre aufzuweisen – nicht weniger, nicht mehr. „Beyond the Curtain of Dark“ umfasst die doppelte Seitenzahl. Also blieben Storys für die Übersetzung unberücksichtigt, bis es „passte“ – ein völlig normaler Vorgang in dieser Zeit. Man durfte als Leser noch froh sein, dass dieses Schicksal eine Kurzgeschichtensammlung traf – Romane wurden nämlich durchaus und manchmal ebenso rigoros wie sinnentstellend gekürzt. Was „Beyond the Curtain …“ betrifft, so geht allerdings der rote Faden verloren, an den Herausgeber Haining die einzelnen Storys in ihrer absichtsvollen Abfolge geknüpft hatte. Der verbleibende Torso ist dennoch eine Kollektion, welche die Lektüre lohnt.

Stolze, Greg – Riten des Drachen (Vampire: Requiem)

|Ich sah mein verzerrtes Gesicht im Spiegel des Abts und wusste, was für ein Höllenwolf ich geworden war.
– Vlad Dracula|
(Auszug aus dem Quellenband)

„Riten des Drachen“ ist ein Quellenband von [„Vampire: Requiem“, 1701 der zum Verständnis des ominösen Ordo Dracul beitragen soll. Der Ordo Dracul ist wohl einer der geheimnisvollsten Bünde in der Welt der Dunkelheit. Seine Anhänger verehren Vlad Tepes, wohl besser bekannt als Vlad Dracul oder einfach nur Dracula, als ihren Gründer. Das Besondere an ihm ist, dass er (angeblich) nicht durch den Kuss zum Vampir wurde, sondern durch die Strafe und den Zorn Gottes. Also sehen seine Anhänger den Vampirismus als einen Fluch, der überwunden werden kann.

Nichts währt ewig, nicht einmal der Vampirismus. Daher wollen sie anhand von Riten und der Ansammlung von Wissen die Transzendenz erreichen. Dafür sind nicht nur ein großes Maß an Wissen, sondern auch Disziplin und die Meisterung der Mysterien der Drachen notwendig. Die Mysterien der Drachen sind eine Art Disziplin, die nur den Ordensangehörigen offen steht und deren Erleuchtung und Wissen über das Vampirsein darstellt.

In „Riten des Drachen“ wird die Geschichte des Gründers geschildert, allerdings ist es in der Ich-Perspektive verfasst, also als Draculas Tagebuch. Natürlich hat sich der Autor kleine Freiheiten bei der Gestaltung des Lebenslaufs und des geschichtlichen Kontextes genommen, um der Geschichte interessante Aspekte zuzufügen. Dies ist, da darauf hingewiesen wird, aber nicht weiter schlimm, da die Handlung ja auch in der [„Welt der Dunkelheit“ 1607 spielt.

So wird über seinen letzen Feldzug, seinen Tod mit anschließendem Disput mit Gott sowie die anschließende Wiederauferstehung berichtet. Auch seine Versuche, sein Reich wieder in Besitz zu nehmen, bis hin zu seinem Streben nach Transzendenz samt Aufenthalten bei der Lancea Sancta und dem Zirkel der Mutter (Vampirische Bünde) werden unterhaltsam beschrieben. Besonders interessant ist die Episode, bei der eine Gruppe von selbsternannten Vampirjägern auf die Burg Dracul kommt.

Relativ kurz wird allerdings leider Vlads Besuch in Paris abgetan; schade, hier hätte sich eine Möglichkeit geboten, etwas mehr Volumen in das relativ dünne Buch (ca. 120 Seiten) zu bekommen. Im letzten Kapitel werden anhand seiner ersten Kinder, Mara und Lisette, sowie an seiner Enkelin (im vampirischen Sinne) Anoushka die Strukturen des Ordo Dracul beschrieben. Zudem wird noch tiefgründiger auf seine wirkliche Philosophie eingegangen.

Fast schon sensationell muss ich die Gestaltung von „Riten des Drachen“ nennen. Im DIN-A5-Format gehalten, ist das gesamte Buch mit Samt (!) verkleidet. Auch die silberne Schrift auf diesem Einband trägt ihren Teil zum sehr edlen Eindruck bei. Dazu kommen auf den 120 Seiten über 50 teilweise sehr schöne Zeichnungen und Grafiken. Dass dabei das Leseerlebnis bei so wenigen Seiten und so vielen Bildern ein bisschen kurz kommt, ist verständlich, aber trotzdem schade.

Man muss sich allerdings wirklich fragen, ob der stolze Preis angebracht ist. Doch ich denke, dass diese fürstliche Aufmachung trotz des kurzen Lesevergnügens ihr Geld wert ist. Besonders für Spieler, die einen Angehörigen des Ordo Dracul darstellen wollen, empfiehlt sich die Anschaffung natürlich, da die Darstellung bei „Vampire: Requiem“ etwas kryptisch ausgefallen ist und sich das Verständnis der Philosophie des Ordens nach der Lektüre wirklich deutlich verbessert. So muss ich abschließend sagen, dass sich die Anschaffung lohnt, auch unter dem Gesichtspunkt, dass samtbezogene Bücher einfach herrlich dekadent sind!

Tome / Janry – Spirou & Fantasio: Abenteuer in Moskau (Band 40)

Lucky Luke und Asterix sind Klassiker der frankobelgischen Comickultur und hierzulande allseits bekannt. Aber wie sieht es mit ihren Kollegen Spirou und Fantasio aus? Wer die zwei Weltenbummler noch nicht kennen lernen konnte, hat jetzt die Gelegenheit dazu. Denn seit einigen Jahren legt der |Carlsen|-Verlag die Abenteuer der zwei Freunde neu auf. Jüngst erschien Band 40 der Reihe: „Abenteuer in Moskau“.

Eigentlich wollten Spirou und Fantasio Reportagen über Kokospalmen machen. Stattdessen sitzen sie auf der Rückbank einer muffigen Limousine, auf dem Vordersitz die beiden KGB-Agenten Wapatrowitsch und Schmonzejew. Letzterer dreht sich lässig um, blickt die beiden Abenteurer aus Frankreich trübe an und verdeutlicht ihnen mit wenigen Worten ihre Situation: „Jetzt ihrr arrbeitet fürr KGB!“

Nachdem der Page mit der roten Kappe und der rasende Reporter am Flughafen entführt und in ein Flugzeug nach Moskau verfrachtet wurden, nimmt die Geschichte schnell ihren Lauf. Spirou und Fantasio sind beim KGB für ihr Können bekannt und sollen dem russischen Geheimdienst dabei helfen, den Mafia-Boss Tanaziof aus dem Verkehr zu ziehen. Für die groben Methoden, mit denen die beiden Abenteurer nach Russland geholt wurden, entschuldigt man sich mit knappen Worten.

Obwohl Spirou und Fantasio lieber in den Süden möchten, anstatt sich in Moskau bei Minus 35 Grad die Ohren abzufrieren, interessiert sie die Angelegenheit. Spätestens als ein Attentäter auf sie schießt, die Limousine ins Schleudern gerät und auf der zugefrorenen Moskwa aufschlägt, nehmen sich die beiden Abenteurer des Falles an. Bald stellt sich heraus, dass der ominöse Prinz Tanaziof in Wirklichkeit Fantasios Vetter Zantafio ist. Dieser Erzrivale sollte regelmäßigen Spirou-und-Fantasio-Lesern ein Begriff sein, denn nicht nur einmal machte er den beiden Titelhelden in der Vergangenheit das Leben schwer (s. Bände 2, 5, 6, 14, 21). Nun gilt es, Zantafios Umtriebe wieder einmal zu stoppen und ihn und seinen Kumpanen Nikita Nikolajew aufzuhalten. Die beiden Bösewichter haben nicht weniger im Sinn, als ein nationales Desaster herbeizuführen. Sie wollen ein Relikt der russischen Revolutions-Ära stehlen, den Leichnam von Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin.

Zur Vorbereitung der „Abenteuer in Moskau“ waren die beiden Autoren Tome und Janry selbst einige Wochen in der russischen Metropole unterwegs, um sich ein realistisches Bild von der Stadt zu machen. Die Handlung jagt die beiden Titelhelden kreuz und quer durch Moskaus Straßen und entpuppt sich bald als eine Art gezeichnete Action-Sight-Seeing-Tour. Der Rote Platz, das Moskauer Schwimmbad, das Lenin-Mausoleum, der Winterpalast des Zaren und das Bolschoi-Theater dürfen da nicht fehlen. Gewürzt ist die Geschichte mit Ausschnitten russischer Lebensart: Neben Wodka, Zobelmützen und Babuschkas begegnet der Leser Russischem Roulette, Eisbaden und dem heißblütigen männlichen Begrüßungskuss.

Wer Tim und Struppi, Lucky Luke und Asterix kennt, wird sich beim Durchblättern eines Spirou-und-Fantasio-Abenteuers an den Zeichenstil dieser Serien erinnert fühlen. Obwohl Spirou und Fantasio alles andere als ein Geheimtipp sind, stehen die frankobelgischen Comic-Helden hierzulande in Sachen Popularität weit hinter ihren Kollegen zurück. Spirou und Fantasio sind Galeonsfiguren der Comic-Stilrichtung école Marcinelle, benannt nach dem Sitz des Verlages Dupuis, der die Geschichten der beiden Weltenbummler seit ihrer Erfindung in den 1930er und 1940er Jahren herausbringt. Kräftige Farben und viel Liebe zum Detail zeichnen auch dieses Spirou-und-Fantasio-Abenteuer aus dem Jahr 1990 aus, dessen Helden sich in den letzten fünfzig Jahren kaum verändert haben. Geordnete Zeilen à drei, vier oder fünf Panels prägen den Gesamteindruck des Bandes. Interessant sind die Soundwords, die sich der russischen Schreibweise angepasst haben und ein umgekehrtes N und ein umgekehrtes R verwenden.

„Abenteuer in Moskau“ ist ein weiterer charmanter Band der Spirou-und-Fantasio-Reihe, die seit einigen Jahren vom |Carlsen|-Verlag als Neuauflage herausgegeben wird. Die bunte Mischung aus Abenteuer und Sight-Seeing wird verfeinert durch einen bissigen Unterton. Im Gegensatz zu diesem Plus an Realitätsnähe und guter Recherche steht ein Minus an Humor und Slapstick, die in diesem Band für meinen Geschmack etwas zu kurz kommen. Toll hingegen: Die Seite mit editorischen Anmerkungen am Ende des Bandes. Hier erfährt man Hintergründiges über die Autoren, das Werk und seine Entstehung.

Preston, Douglas / Child, Lincoln – Burn Case – Geruch des Teufels

Der Teufel geht um in der Millionenstadt New York. So deuten jedenfalls fundamentalreligiöse Bunkerköpfe sowie die Medien verdächtige Spuren (Schwefel, Hufabdrücke), die auf und um die Leiche des berühmten aber verhassten, weil höchst gemeinen Kunstkritikers Jeremy Grove gefunden werden, als der eines schönen Tages ganz von selbst in Flammen aufgeht. Er bleibt nicht der einzige einflussreiche Fiesling, der auf diese spektakuläre Weise endet. Groß ist die Aufregung, denn die Opfer sind keine Durchschnittsbürger oder gar Unterschichtproleten, sondern mächtig und reich.

Mysteriöse Ereignisse der beschriebenen Art locken zuverlässig den unkonventionellen FBI-Agenten Aloysius Pendergast an den Ort des Geschehens. Er hat in seiner Laufbahn schon manchen Spuk erlebt, der sich bei näherer Betrachtung als Menschenwerk entpuppte. Auch hier gibt es durchaus einen Verdächtigen: den zwielichtigen Konzernmagnaten Locke Bullard, den der US-Geheimdienst verdächtigt, illegal Waffen-Hightech an die Chinesen zu verkaufen. Bullard verfügt indes über beste politische Beziehungen und dünkt sich über das Gesetz erhaben, wie Sergeant Vincent D’Agosta zu seinem Leidwesen erfahren muss.

Bullard lässt den erfahrenen Kriminalisten mehrfach ins Leere laufen. Erst als der sich mit Pendergast zusammentut, kommen die Ermittlungen in Gang. Sie nehmen freilich bald eine unerwartete Wendung: Was Bullard auch plant, es geht über Landesverrat weit hinaus. Hat der Philosoph und Theologe Friedrich von Menck Recht, wenn er verkündet, er habe in alten Prophezeiungen die Ankündigung entdeckt, dass New York bzw. seine Bewohner wegen ihrer Sündhaftigkeit noch im laufenden Jahr durch ein unlöschbares Feuer von der Erde getilgt würden? Luzifer bleibt jedenfalls sehr aktiv; Pendergast und D’Agosta müssen ihm um die halbe Welt folgen, um am Ball zu bleiben …

Preston & Child, die beiden unermüdlichen Handwerker der ganz leichten Unterhaltung, fabrizieren mit „Burn Case“ ihren alljährlichen Buchmarkt-Bestseller. Einmal mehr drehen sie beliebte oder gerade aktuelle Moden und Mysterys durch die Mangel, brechen sie auf Trivialniveau herunter und verschmelzen sie zu einem Garn, auf dessen Logik man lieber keinen Gedanken verschwenden sollte.

Was den Lesespaß an sich nicht beeinträchtigt. „Burn Case“ ist Thriller-Trash, der sich selbst niemals ernst nimmt, sondern einfach nur unterhalten will. Das ist eine ehrenhafte und höchst schwierige Aufgabe, wie jene beweisen, die von diesem Job rein gar nichts verstehen: Dan Brown, Scott McBain, Steve Alten und andere von der Werbeindustrie künstlich belebte und am Leben gehaltene Schreibkreaturen.

„Burn Case“ lebt von der flotten Handlung und uralten literarischen Tricks. Immer wieder stoßen unsere Helden auf Geheimnisse, hinter denen sich neue Rätselhaftigkeiten auftun – gut so, denn wirklich mysteriös kommt einem nicht vor, was sich das Autorenduo da ausgedacht hat. Der bewährte Cliffhanger kommt zu neuen Ehren: Mehrfach lassen uns Preston & Child auf dem Höhepunkt einer für unsere Protagonisten hoffnungslosen Situation zappeln. Erst später löst sich das Geheimnis, wie es z. B. D’Agosta gelingen konnte, mit nur einer Kugel im Lauf gleich drei Profikillern zu entkommen. Auch hier sind die Erklärungen nie überzeugend. Die Geschichte endet sogar mit einem Cliffhanger und leitet so über zur „Fortsetzung“; die 2005 unter dem Titel „Dance of Death“ erschien und den von den Toten auferstandenen Pendergast im Kampf mit seinem irren Bruder Diogenes zeigt, der in „Burn Case“ bereits Erwähnung findet.

Der Mystery-Boom der Millenniumsära hat sich allmählich verflüchtigt. Er wird nicht unmodern werden, denn die Menschen lieben das Geheimnisvolle. Doch auf die Dosierung kommt es an. Stets achten Preston & Child darauf, dem Seltsamen ein festes Standbein in der „Realität“ zu verschaffen. Es speist sich aus dem naturwissenschaftlichen Spezialwissen derer, die es auf die Welt loslassen. Glücklicherweise wissen die Verfasser hier mehr als die meisten Leser, so dass der Unfug, den sie verzapfen, zumindest glaubhaft klingt.

Für „Burn Case“ ist der Aufhänger das eigenartige Phänomen der „spontanen menschlichen Selbstentzündung“: Hier und da verbrennen Unglückspilze ohne ersichtliche Ursache offenbar aus sich selbst heraus, wobei unglaubliche Temperaturen entstehen. Die Wissenschaft ist außerordentlich skeptisch, die Anhänger des Unerklärlichen sind entzückt, zumal es eindrucksvolle Bilddokumente über solche flammenden Infernos gibt. (Bei Interesse & Kenntnissen der englischen Sprache bitte eine Suchmaschine der eigenen Wahl mit dem Begriff „spontaneous human combustion“ füttern – das Angebot entsprechender Websites ist beachtlich, was den unfreiwilligen Humorfaktor vieler durchaus ernsthaft gemeinter „Erklärungen“ einschließt.)

Da zwei Rätsel besser sind als eines, greifen Preston & Child auf einen weiteren, eher volkstümlichen Angsterreger zurück, der weniger gut belegt ist, aber Aufmerksamkeit garantiert. Dr. Faustus gilt als Prototyp jener Menschen, die auf dem Weg zu Ruhm, Macht und Vermögen eine fatale Abkürzung nehmen: Er verschrieb seine Seele dem Teufel, der ihm zunächst alles gewährte, was er forderte (den Ritt auf einem Weinfass eingeschlossen – spätmittelalterliche Scherze halt …), bis er ihn nach Ablauf der vereinbarten Frist um 1540 unter für Faustus sehr schmerzhaften Begleitumständen (die in „Burn Case“ eingehend beschrieben werden) und unter Hinterlassenschaft eindeutig satanischer Spuren holte.

So ein moderner Dr. Faustus ist Locke Bullard, der allmählich merkt, dass er in seinem Drang nach Geld und Einfluss zu weit gegangen ist. Seine Komplizen, die mit ihm den Teufelspakt schworen, hat es schon erwischt. Bullard hingegen versucht das Unmögliche: Er will Mephisto um seinen Lohn prellen und das Zusammengeraffte trotzdem behalten, was wie erwartet endet, denn: „Der Teufel ist ein Lügner und der Vater der Lügen“ (Johannes 8,44). Außerdem ist er schlau.

Wobei Satan in persona in „Burn Case“ durch Abwesenheit glänzt – schade eigentlich, denn sein Auftritt wäre in einem Märchenthriller wie diesem durchaus möglich gewesen. Wer sich wirklich hinter seinem Trugbild verbirgt, ahnt der erfahrene Leser ein bisschen zu früh, was zur Holzhammerdramaturgie des Werks freilich passt. Schließlich treten auch sonst nur Knallchargen auf. Bullard ist Bösewicht aus Passion – kein raffinierter Psychopath, sondern als Weltfeind Nr. 1 etwa so glaubhaft wie jeder beliebige James-Bond-Finsterling. Sehr passend umgibt ihn eine Horde von Schlägern und Mietmördern, deren Brutalität nur durch die Zuverlässigkeit übertroffen wird, mit der sie im entscheidenden Moment versagen und das Heldenduo Pendergast & D’Agosta aus todsicheren Todesfallen entwischen lassen.

Das ist ärgerlicher, denn beide sind als positive Hauptfiguren außerordentliche Nervensägen. Pendergast, die Denkmaschine, die alles weiß und kann und niemals zögert, die Leser mit der Vorführung beider Eigenschaften herzlich zu langweilen, ist eine erstaunlich unsympathische Gestalt. Immer noch wollen Preston & Child ihn uns als mysteriösen Mann aus dem Nichts verkaufen. Sind sie außerstande zu bemerken, wie ausgereizt und öde dieser Gag längst ist? Richtig gewirkt hat er nur in „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“), als uns Pendergast das erste Mal begegnete.

Seit „Cabinet of Curiosities“ (2002, dt. [„Formula – Tunnel des Grauens“) 192 beginnen die Autoren als buchübergreifende Nebenhandlung eine Pendergast-Familiengeschichte der kruden Art zu entwerfen. Auch hier sind Preston & Child seltsam geizig, beschränken sich auf Andeutungen – Versprechen, die bisher nie eingelöst wurden und einfach überflüssig sind, weil Aloysius Pendergast eine unerhört nichts sagende Figur ist.

Zusätzlich störend wirkt das Bestreben der Autoren, ihre Thriller quasi zu „vernetzen“: Immer wieder treten Figuren auf, die bereits in anderen Romanen Verwendung fanden. Das funktioniert mit dem bewährten D’Agosta, geht aber schief mit sinnfreien Gastauftritten: Weder Polizeifrau Laura Haywood noch Journalist Harriman bringen die Handlung voran. Stattdessen langweilen sie den Leser in einem isolierten Nebenstrang mit den Eskapaden eines selbst ernannten Neo-Heilands, der davon abgehalten werden muss, in New York einen Gottesstaat auszurufen: anscheinend musste „Burn Case“ als Buch nachträglich auf Länge gebracht werden.

Selbstverständlich sind den Autoren die Beschränktheiten ihres Personals bekannt. Deshalb gesellt sich ja der lebensnahe Watson Vincent D’Agosta zum unzugänglichen Holmes Pendergast. Leider erweist sich auch der Polizist als wandelndes Klischee: der wackere, vom Leben gebeutelte, fürs Grobe und – in Vertretung der Leserschaft – für das Stellen dummer Fragen zuständige Brummcop mit dem goldenen Herzen, der von den Vorgesetzten immer auf die Schnauze kriegt, von der Gattin verlassen wurde und sich ansonsten wie der Elefant im Porzellanladen zu benehmen hat.

D’Agosta ist es auch, der von Preston & Child in eine der peinlichsten und lächerlichsten Sexszenen gezwungen wird, die man sich vorstellen kann – oder eben nicht; man muss es einfach lesen und sich vor Lachen schütteln, wie der arme Vincent völlig unvermittelt über die schöne Kollegin Laura herfallen muss, die ansonsten die Alibifrau in unserer Geschichte mimt. (Die zeitgereiste Constance lassen wir außen vor; das ist eine weitere Figur ohne jede Bedeutung für die „Burn Case“-Story.)

Eine „Meisterleistung“ gelang dem deutschen Verlag übrigens wieder einmal mit der „Übersetzung“ des Originaltitels. „Brimstone“ bedeutet „Schwefel“, was angesichts der erzählten Geschichte Sinn ergibt. Dass „Burn Case“ – „Brandfall“? – als „Eindeutschung“ größere Klarheit schafft, kann nicht unbedingt behauptet werden.

Einmal mehr wird das Buch durch eine gut lesbare Schrift, einen kleinräumigen Satzspiegel und großzügige Ränder auf imposante Seitenstärke gebracht – eine weitere Unsitte moderner Veröffentlichungsfabriken, die von der Theorie ausgehen, dass zögernde Leser im Laden von möglichst dicken Büchern („Hier kriegt man was für sein Geld!“) magisch angezogen werden. Indes beträgt der Preis für „Burn Case“ nur 19,90 Euro, was für ein gebundenes Buch heutzutage wirklich günstig ist. Mehr möchte man für dieses kurzweilige, wegen seiner allzu offensichtlichen Schlampigkeit aber auch Ärgernis erregende Werk allerdings auch nicht anlegen.

Douglas Preston wurde 1956 in Cambridge, Massachusetts geboren. Er studierte ausgiebig, nämlich Mathematik, Physik, Anthropologie, Biologie, Chemie, Geologie, Astronomie und Englische Literatur. Erstaunlicherweise immer noch jung an Jahren, nahm er anschließend einen Job am American Museum of Natural History in New York an. Während der Recherchen zu einem Sachbuch über „Dinosaurier in der Dachkammer“ – gemeint sind die über das ganze Riesenhaus verteilten, oft ungehobenen Schätze dieses Museums – arbeitete Preston bei |St. Martin’s Press| mit einem jungen Lektor namens Lincoln Child zusammen. Thema und Ort inspirierten das Duo zur Niederschrift eines ersten Romans: „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“).

Wenn Preston das Hirn ist, muss man Lincoln Child, geboren 1957 in Westport, Connecticut, als Herz des Duos bezeichnen. Er begann schon früh zu schreiben, entdeckte sein Faible für das Phantastische und bald darauf die Tatsache, dass sich davon schlecht leben ließ. So ging Child – auch er studierte übrigens Englische Literatur – nach New York und wurde bei |St. Martins Press| angestellt. Er betreute Autoren des Hauses und gab selbst mehrere Anthologien mit Geistergeschichten heraus. 1987 wechselte Child in die Software-Entwicklung. Mehrere Jahre war er dort tätig, während er nach Feierabend mit Douglas Preston an „Relic“ schrieb. Erst seit dem Durchbruch mit diesem Werk ist Child hauptberuflicher Schriftsteller. (Douglas Preston ist übrigens nicht mit seinem ebenfalls schriftstellernden Bruder Richard zu verwechseln, aus dessen Feder Bestseller wie „The Cobra Event“ und „The Hot Zone“ stammen.)

Selbstverständlich haben die beiden Autoren eine eigene Website ins Netz gestellt. Unter http://www.prestonchild.com wird man großzügig mit Neuigkeiten versorgt (und mit verkaufsförderlichen Ankündigungen gelockt).

Sturgeon, Theodore – goldene Helix, Die

Ende 2003 erschien bei |Shayol| „Lichte Augenblicke“, der erste Teil einer Sammlung ausgewählter Kurzgeschichten von Theodore Sturgeon. Mehr als ein Jahr danach ist nun mit „Die goldene Helix“ der zweite und abschließende Teil erschienen. Das Vorwort stammt diesmal von Ray Bradbury und ist genauso wie die Geschichten für diese Ausgabe neu übersetzt worden.

Den Anfang macht „Der Mann, dem das Meer abhanden kam“, eine Story, in der der Erzähler den Leser direkt anspricht und uns eine Strandszene vermittelt, mit einem spielenden Jungen und einem kranken Mann, der das Meer betrachtet. Beide sind miteinander verbunden: der Alte, der an der Taucherkrankheit leidet, und der Junge, der ihm Mut zusprechen will und sich an seine eigenen Taucherfahrungen erinnert. Dabei gehen allwissender Erzähler, alter Mann und Junge ineinander über, es ist nie ganz klar, wessen Blickwinkel man gerade betrachtet. Die Geschichte erscheint wie viele andere von Sturgeon nicht als SF, auch wenn sie mit diesem Etikett versehen ist. Der Autor spielt mit Illusionen und Gedankenbildern, erst am Schluss lichtet sich der Nebel der Wahnbilder.

Bei der nächsten Geschichte mit dem Titel „Biancas Hände“ stehen genau diese im Mittelpunkt. Bianca ist ein behindertes Mädchen, das bei seiner Mutter wohnt, Ran ist ein junger Mann, der als Hilfskraft in einem Café arbeitet. Er verliebt sich, aber nicht in sie, sondern in ihre Hände. Die Geschichte beschreibt diese merkwürdige Beziehung, dabei werden immer nur ihre Hände beschrieben, der Rest des Körpers dagegen ausgeblendet. Die ganze Geschichte ist eher verstörend und man weiß nicht so recht, ob dies nun schon Horror ist oder etwas anderes.

Richtiggehend klassisch erscheint einem dagegen „Herr Costello, Held“. Die Geschichte wird uns erzählt von einem Zahlmeister, auf dessen Schiff Herr Costello mitreist. Wie sich bald zeigt, ist dieser Costello ein ehemaliger Politiker, Intrigant und Manipulator. Zunächst bringt er die Schiffsgemeinschaft auf seine Seite, zerstört alte Loyalitäten und sät Misstrauen und Zwietracht. Im zweiten Teil setzt er sein Werk auf einem Planeten fort und etabliert dort eine Kollektivgesellschaft, in der man nie einsam ist. Doch dabei scheint er in den Augen des Zahlmeisters, der uns berichtet, ein freundlicher und ehrbarer Mann zu sein.

„Es“ ist klassischer Horror. Eine einsame Farm in den USA, auf der zwei Brüder, eine Frau und ein kleines Mädchen leben. Das Grauen dagegen lauert im Wald auf seine Opfer. Das Monster ist nicht böse, es hat keine Ziele, es tötet einfach. Dabei ist die Handlung geradlinig und kommt ohne viele Schleifen oder Hintergedanken aus.

Ganz anders dagegen „Das andere Geschlecht“. Wie der Titel nahelegt, geht es um Mann und Frau und Frau und Mann und alles, was dazwischen liegt. Ein Biologe, der die Leichen eines bei einem Raubüberfall getöteten Pärchens untersuchen soll, und eine Reporterin, die daraus eine Story machen will, sind die Hauptpersonen. Doch dann sind da noch die merkwürdigen Leichen, die in Flammen aufgehen, als der Mann sein Büro verlässt. Und während er noch in dieser Nacht seine Traumfrau trifft, findet sie am nächsten Tag ihren Traummann. Um aber zu erkennen, was sie wirklich wollen, brauchen sie beide ein Wesen, das weder männlich noch weiblich ist. Letztlich geht es hier also um das altbekannte Spiel zwischen Mann und Frau, doch Sturgeon nutzt die phantastischen Möglichkeiten der SF, um noch eine Variante einzubringen.

In „Denkweise“ berichtet uns der Ich-Erzähler, ein SF-Autor, der früher als Seemann gearbeitet hat, von einem Freund mit einer ganz besonderen Art, an Probleme heranzugehen. Bezugspunkt der Handlung ist der Bruder dieses Freundes, der unheilbar erkrankt ist und dessen Körper einfach zu zerfallen scheint. Die Frage, die sich stellt: Wer ist schuld an dieser Krankheit? Wer ist überhaupt an etwas schuld? Bringt die Pistole einen Menschen um, oder der, der abdrückt?
Und was ist schlimmer: Hass oder Gleichgültigkeit? Diese Geschichte regt zum Nachdenken an, in erster Linie schockt sie aber.

„Die Fähigkeiten Xanadus“ weist dagegen wieder die Merkmale auf, an denen man SF erkennen kann. Die Menschheit hat sich über die Galaxis ausgebreitet und dabei sind die verschiedensten Kulturen entstanden, doch bei allen gibt es noch die alte Sprache, die als Verständigungsmittel genutzt wird. Nun landet ein Raumfahrer aus einer hoch technisierten Kultur auf dem Planeten Xanadu, dessen Bewohner vergleichsweise primitiv leben. Sie bauen ihre Häuser ohne Wände, sie kennen keine Regierung – und sie verrichten ihren Stuhlgang in der Öffentlichkeit. Wie sich herausstellt, ist die Kultur der scheinbaren Barbaren sogar älter als seine eigene, doch der Raumfahrer kann sich nicht erklären, warum sie so leben. Er selbst ist mit klaren Zielen gekommen: Er soll herausfinden, ob es sich für seine Welt lohnt, diesen Planeten zu erobern.

Den Abschluss bildet die namensgebende „goldene Helix“, die auch die längste Geschichte dieses Bandes ist. Eine Gruppe von Kolonisten, die auf dem Weg zu ihrer neuen Heimat ist, erwacht aus dem Kälteschlaf, nur um festzustellen, dass sie nicht mehr auf dem Raumschiff, sondern auf einem völlig fremden Planeten sind. Dorthin gebracht wurden sie von merkwürdig golden schimmernden Wesen, deren Zeichen eine goldene Helix ist. Diese Geschichte entstand im Herbst 1953, ein halbes Jahr, nachdem Watson und Crick das Doppelhelixmodell der DNS vorgestellt hatten. Sturgeon spinnt darin seine eigenen Vorstellungen über die Entwicklung der Menschheit und der Evolution aus.

Ergänzt werden die Geschichten von bibiographischen Informationen sowie einem Anhang von Hans-Peter Neumann und Hannes Riffel mit den in der englischen Sammelausgabe bisher erschienenen Texten und einer Übersicht über die auf Deutsch erschienenen Sammelbände mit Geschichten von Sturgeon sowie seiner Romane. Neben den durchgehend guten Neuübersetzungen erkennt man vor allem daran den hohen Anspruch des Verlags an die beiden Erzählbände.

Sturgeon selbst ist ein faszinierender Autor. Er schafft es, den Leser mit den ersten Sätzen neugierig zu machen, das Wichtigste kurz vorzustellen, so dass es einem vorkommt, als ob man Bescheid wüsste, nur um einige Seiten später überrascht zu werden. Und dabei gelingt ihm das Kunststück, dies alles auf wenigen Seiten auszubreiten. Er wird zu Recht als ein Meister der Kurzgeschichte bezeichnet.

Die hier ausgewählten Geschichten sind sehr unterschiedlich, SF und Non-SF wechseln sich ab. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, aber es wird auch jeder eine Geschichte finden, die ihm nicht zusagt. Seien es der geradlinige Horror in „Es“ oder die verwirrenden Geschehnisse in „Die goldene Helix“. Trotzdem bietet sich der Band gerade für diejenigen an, die Kurzgeschichten eher skeptisch gegenüberstehen, denn Sturgeon kann doch davon überzeugen, dass es auch auf wenigen Seiten möglich ist, vieles zu sagen, ohne dass die Geschichte bedeutungsüberladen wirkt.

_Konrad Schwenke_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Perry, Anne – Feinde der Krone

Die Inspektor-Pitt-Reihe von Anne Perry nimmt mittlerweile schon recht voluminöse Ausmaße an. „Feinde der Krone“ ist der 22. Band der Reihe und schließt sich direkt an die finalen Ereignisse des Vorgängerbandes [„Die Verschwörung von Whitechapel“ 1175 an. Vorkenntnisse sind also durchaus empfehlenswert, auch wenn Perry gelegentlich auf Vorangegangenes zurückgreift, um den roten Faden herzustellen.

Eines der Grundelemente der Inspektor-Pitt-Reihe ist eine Verschwörergruppe namens „Der innere Kreis“. Gut getarnt, sitzen Vertreter dieser Gruppe in den allen Bereichen von Verwaltung, Justiz und Gesellschaft und streben als oberstes Ziel eine Beseitigung der Monarchie an, um sich selbst zur regierenden Macht des britischen Empires aufzuschwingen. Der Titel des vorliegenden Bandes „Feinde der Krone“ deutet schon an, dass diesem Thema auch hier wieder eine tragende Rolle zukommt.

In „Die Verschwörung von Whitechapel“ gelang es Inspektor Pitt, das Bestreben des Inneren Kreises, die Krone zu stürzen, zu vereiteln. Am Ende wurde der vermutlich wichtigste Mann der Verschwörergruppe, Charles Voisey, in den Adelsstand erhoben – eine bittere Pille für jemanden, der so vehement gegen die Monarchie arbeitet. Für Pitt war es die einzige Möglichkeit, Voisey unschädlich zu machen.

Doch der holt nun mit seinem frisch erworbenen Adelstitel zum Gegenschlag aus. Er kandidiert für die Unterhauswahl und will nun auf diesem Wege die Ziele des Inneren Kreises verwirklichen. Pitt wird im Auftrag des Sicherheitsdienstes darauf angesetzt, Voisey im Auge zu behalten und zu verhindern, dass dieser mit Hilfe krimineller Machenschaften und Intrigen die Abstimmung vor seinem Gegenkandidaten, dem Liberalen Aubrey Serracold, gewinnt.

Als dann die berühmte Spiritistin Maude Lamont ermordet aufgefunden wird, ist es wiederum Pitt, der mit den Ermittlungen betraut wird. Als Pitt herausfindet, wer die Gäste von Lamonts letzter Séance waren, vermutet er gleich einen Zusammenhang zu Charles Voisey und dem Inneren Kreis, denn die letzten Gäste waren Rose Serracold, die Gattin von Voiseys Gegenkandidat und General Kingsley, der in Leserbriefen ein glühender Verfechter von Voiseys Anliegen zu sein scheint. Doch wer war der dritte Gast an diesem Abend, der in Maude Lamonts Notizbuch nur durch ein Symbol verewigt ist? Pitt versucht es herauszufinden und kommt dabei einem Skandal auf die Spur. Doch seine Zeit wird knapp, denn mit jeden Tag rücken die Unterhauswahlen ein Stückchen näher …

Wieder einmal nimmt Anne Perry sich in ihrem Roman zwei Themenkomplexe vor, die innerhalb der Handlung in einem Zusammenhang stehen. Die Verschwörung um den Inneren Kreis, die sie mit Fortschreiten der Romanreihe immer weiter ausbaut, und einen Mordfall, in dem Pitt ermittelt und der innerhalb des Buches abgeschlossen wird. Der Innere Kreise ist, ebenso wie die in jedem Band wieder auftauchenden Hauptfiguren, der rote Faden der Reihe. War der Zusammenhang zwischen den beiden thematischen Ebenen Kriminalfall und Verschwörung in „Die Verschwörung von Whitechapel“ noch ein recht nachvollziehbarer, deutlicher und ausgewogener, so wird er in „Feinde der Krone“ zunehmend abstrakter und dadurch leider auch nicht unbedingt überzeugender.

Pitt stellt sofort einen Zusammenhang zwischen dem Mord an der Spiritistin und Charles Voiseys Bestrebungen, einen Unterhaussitz zu ergattern, her. Für den Leser wird dies nicht unbedingt bis ins letzte Glied nachvollziehbar erklärt. Der Zusammenhang bleibt recht diffus und Pitts Erklärungsversuch weitestgehend spekulativ und abstrakt. So kommen auch die Ermittlungen in der Mordsache nicht so recht voran. Perry wendet sich zwischendurch immer wieder anderen Handlungsfäden und Personengruppen zu. Sie berichtet von Dinners der feinen Gesellschaft, die im Vorfeld der Wahlen von eben diesem Thema beherrscht werden. Damit gibt sie zwar sehr nachvollziehbar die politische Stimmung Englands zur damaligen Zeit wieder und macht ihren Roman gerade auch aus historischer Sicht interessant, dennoch gerät der Kriminalfall neben diesen Ausführungen manchmal schon ein wenig ins Hintertreffen.

Mit fortschreitenden Ermittlungen konzentriert Perry sich zunehmend auf den etwas mühsam bemühten Zusammenhang zwischen dem Mordfall und dem Inneren Kreis. Der Innere Kreis beginnt die Handlung zu dominieren. Alles läuft auf ein Duell zwischen Pitt und Voisey hinaus, der nach seiner Niederlage in „Die Verschwörung von Whitechapel“ darauf aus ist, es Pitt heimzuzahlen. Der Mord an der Spiritistin wird dabei schon fast ein wenig nebenbei aufgeklärt. Nachdem es Kapitel für Kapitel zunächst kaum voranging, nehmen die Dinge zum Ende hin einen recht rasanten Verlauf. Der anfangs noch etwas schleppende Spannungsbogen kommt dann ganz ordentlich in Fahrt, so dass die Lektüre zumindest im letzten Buchdrittel doch noch recht fesselnd verläuft.

Doch das macht den etwas schleppenden Start nicht vergessen. So abrupt wie „Die Verschwörung von Whitechapel“ endete, so abrupt beginnt „Feinde der Krone“. Die beiden Bände scheinen in der Tat darauf ausgelegt zu sein, dass man sie direkt nacheinander liest. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass Annes Perry das Niveau des Vorgängerromans nicht zu halten vermag. Hier wirken die verschiedenen Handlungsebenen etwas unausgewogen, so dass auch der Spannungsbogen sich nicht so kontinuierlich aufstrebend entwickelt, wie man es beim Vorgängerroman erlebt hat.

Ein Grund dafür ist auch der etwas farblos bleibende Erzählstrang um Pitts Familie. Vor allem Pitts Frau ist in der Inspektor-Pitt-Reihe immer eine wichtige Zutat gewesen. Sie trug auf ihre Art zu den Ermittlungen bei, hatte sie doch Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen, die Pitt selbst verschlossen blieben. In „Feinde der Krone“ tritt sie zusammen mit den beiden Kindern und dem Hausmädchen Gracie alleine die Urlaubsreise nach Devon an, auf die auch Pitt eigentlich mitkommen sollte. Nur gelegentlich blendet Perry diesen Handlungsstrang ein, und so richtig zu Ende geführt wird er gar nicht erst. Die Figuren rund um Inspektor Pitt – in „Die Verschwörung von Whitechapel“ noch ein echter Pluspunkt – verschenken hier ein Menge Potenzial, indem sie kaum zum Tragen kommen.

Das erweckt den Eindruck, als müsse Anne Perry ähnlich wie andere nicht minder aktive Vielschreiber auch, der Vielzahl ihrer Romane allmählich Tribut zollen. Bei dem Tempo, in dem Perrys Romane auf den Markt drängen, ist es kein Wunder, dass irgendwann auch in Sachen Qualität Einbußen zu erwarten sind. Sie scheint durchaus ehrgeizige Ziele zu haben, indem sie Kriminalfall, Verschwörung sowie gesellschaftliche und politische Zeitstudie vermischt, aber in diesem Fall fehlt der Mischung einfach die Ausgewogenheit.

Was die Lektüre immerhin noch ganz angenehm macht und dafür sorgt, dass man das Buch dennoch ohne Mühe zu Ende bringt, ist neben der einfließenden Zeitstudie auch Perrys Schreibstil. Perry kommt weitestgehend ohne Action aus und hält den Leser dank ihrer routinierten Erzählweise auch so bei der Stange. Ihr Stil ist nicht sonderlich ausschmückend, aber auch nicht zu nüchtern. Schlichte Kost, die sich leicht und flüssig konsumieren lässt. Sicherlich nichts Herausragendes, aber dennoch äußerst solide Unterhaltungsliteratur.

Alles in allem kann „Feinde der Krone“ nicht so ganz die Erwartungen erfüllen, die der Vorgängerroman „Die Verschwörung von Whitechapel“ geweckt hat. Etwas unausgewogene Erzählebenen und ein Kriminalfall, der im Laufe der Handlung ein wenig ins Hintertreffen zu geraten droht, trüben genauso die Freude wie liebgewonnene Hauptfiguren, deren Anteil an der Handlung einfach zu mager und zu wenig überzeugend ausfällt. Zwar durchaus solide Kost für Freunde historischer Krimis, da eben auch die historischen Schilderungen des viktorianischen Zeitalters sehr lesenswert sind, aber man hat von Anne Perry eben auch schon Besseres gelesen.

Hyung, Min-Woo – Priest – Band 3

[Band 1 1704
[Band 2 1705

Im dritten Band nimmt die Geschichte um den mysteriösen Priester „Ivan Isaacs“ eine plötzliche Wende, denn der Autor und Zeichner Min-Woo Hyung schwenkt nach einigen weiteren Auschnitten aus dem verhängnisvollen Leben in der Wüste 300 Jahre weiter in die Zukunft und beginnt, das Vermächtnis des Priesters näher aufzudecken. Plötzlich wird die Geschichte in einem ganz anderen Rahmen betrachtet, gewinnt dadurch aber einige zusätzliche Elemente und Hintergründe, die man bislang noch gar nicht in Betracht ziehen konnte.

Während die Führerin der Angel-Rebellen für die Anschläge in der Wüste verantwortlich gemacht wird und die verbliebenen Bewohner die Todesstrafe für dieses teuflische Verbrechen fordern, findet Lizzy bei einigen Marshalls noch einen letzten Hoffnungsfunken, denn sie glauben an ihre Unschuld und wollen der Wahrheit auf die Spur kommen. Lizzy sieht darin auch die einzige Chance, noch einmal aus ihrer Misere auszubrechen, und willigt schließlich ein, sich den Sheriffs anzuvertrauen – ansonsten besteht nämlich für sie auch die Gefahr, infolge ihrer schweren Verletzung zu einer Untoten zu mutieren.

Isaacs beginnt derweil, an seinen Memoiren zu arbeiten, die schließlich 300 Jahre später auftauchen. Der längst totgeglaubte Graham hat die letzten Jahre damit verbracht, das Tagebuch von Ivan Isaacs zu studieren und die seltsamen Vorkommnisen der Vorzeit aufzuklären. Jedoch braucht er dazu die Hilfe seines alten Kumpels Simon, der überrascht ist, Graham eines Tages wiederzutreffen, jedoch noch mehr ins Staunen kommt, als dieser ihm einen riesigen Komplex offenbart, in dem die Forschungen ein im wahrsten Sinne des Wortes diabolisches Ausmaß annehmen. Die dort lebenden Gläubigen glauben fest daran, dass Simon ihnen beim letzten Schritt zur Vollendung ihrer Theorie weiterhelfen kann, und als dieser sich die Dokumente von Isaacs ansieht, entdeckt er so manches grauenvolle Geheimnis aus der Vergangenheit.

Min-Woo Hyung hat bereits nach sehr kurzer Zeit einen gewagten Schritt gemacht und die bisherige Geschichte erst mal zur Ruhe gelegt. Schilderte er in den ersten beiden Mangas noch die Sicht der Dinge überwiegend aus dem Blickwinkel der verwirrten Lizzy, kommen nun die Ansichten und der Glauben gelehrter Theologen und Wissenschaftler an die Oberfläche, wobei die religiösen Inhalte dieser Reihe ebenfalls zum ersten Mal eine gewichtigere Bedeutung gewinnen. Hyung gibt erstmals einige Hinweise auf die ferne Vergangenheit und die Geschehnisse vor dem Tag, an dem Ivan Isaacs seine Selle an Belial verkaufte, hält sich aber dabei noch dezent zurück, so dass die Spannung stets sehr hoch und der Leser am Buch kleben bleibt.

Andererseits ist man zunächst einmal verwirrt, weil man einen solchen Schritt zu diesem Zeitpunkt absolut nicht erwartet hat. Dies soll jedoch nicht heißen, dass die Geschichte aus dem Wilden Westen damit abgeschlossen wäre – hier setzt Hyung zu einem späteren Zeitpunkt dann wieder an, doch erst einmal deckt er jetzt Schritt für Schritt die Geschichte der verschiedenen Charaktere auf und deutet in Band 3 bereits an, welche Tragweite die gesamte Story hat.

Mit dem Buch als Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart lässt der Autor schließlich zwei Geschichten parallel laufen und holt diesbezüglich auch ziemlich weit aus. In den kommenden Bänden, ich möchte es schon mal ankündigen, spielt die Geschichte sich in einzelnen Flashbacks aus der Sicht von Ivan Isaacs‘ Tagebuch ab, und dabei wird dann Schritt für Schritt die Wahrheit über den jungen Priester, den Erzengel Temozarela und schließlich auch das nebulöse Gebilde inmitten der abgelegenen Theologen-Festung aufgedeckt.

Es lohnt sich also nach wie vor, bei dieser Geschichte am Ball zu bleiben, gerade jetzt, wo Min-Woo Hyung noch mehr Pforten für noch weiter reichende Handlungsstränge öffnet und die verschiedenen Zeiten dabei exzellent miteinander verknüpft. Spätestens mit diesem Band, in dem mir übrigens auch die illustrierten Darstellungen am besten gefallen (womit auch die verminderte Brutalität einhergeht), habe ich meine Liebe für „Priest“ entdeckt!

Michael Connelly – Die Rückkehr des Poeten

Acht Jahre konnte er seine Verfolger narren und galt als tot: Mehr als genug Zeit für den Ex-FBI-Agenten und Serienmörder Jim Backus, genannt „der Poet“, um ein neues Mordkomplott anzuzetteln. Bei seinem ersten Auftritt hatten ihn ein Journalist und seine Schülerin, die FBI-Agentin Rachel Walling, daran gehindert, sein sadistisches Spiel zum geplanten Ende zu bringen. Das will Backus nun wieder aufnehmen und sich gleichzeitig an Walling rächen.

Ebenfalls in sein Visier gerät der Ex-Polizist Terry McCaleb, der nach einer Herztransplantation „ehrenamtlich“ als Profiler arbeitet und dem Poeten dabei bedrohlich nahe gekommen ist. Als McCaleb nach einem Herzanfall stirbt, glaubt seine Witwe nicht an einen natürlichen Tod. Sie bittet den Privatdetektiv Hieronymus „Harry“ Bosch, einen Freund ihres Gatten, um Hilfe und Aufklärung.

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Köster-Lösche, Kari – Blutgericht, Das (Sachsen-Trilogie, Band 1)

„Eine unfreiwilligs Reise in die Zeit Karls des Großen“, so lautet der Untertitel zum Auftakt der dreiteiligen Sachsen-Saga von Kari Köster-Lösche, in der es um eine junge Tierärztin geht, die sich plötzlich in einer Welt einige Jahrhunderte vor ihrer Zeit wiederfindet und dort einerseits als Hexerin verachtet, gleichzeitig aber auch als Zauberin verehrt wird. Eine spannende Zeitreise verspricht die Geschichte zu werden – das glaubte ich im Voraus jedenfalls noch …

_Die Autorin:_

Kari Köster-Lösche, geboren in Lübeck, hat als Tierärztin zahlreiche wissenschaftliche Bücher veröffentlicht, bevor sie mit ihren Romanen „Die Hakima“ und „Die Heilerin von Alexandria“ zur Bestsellerautorin avancierte. Mit der Geschichte über eine Raubritterin hat sich Köster-Lösche zum ersten Mal an einer mehrteiligen Reihe versucht, die aber in Historien- und Fantasy-Kreisen weniger beachtet wurde. Mit der so genannten Sachsen-Saga versuchte sie sich 2003 dann an einem neuen Mehrteiler.

_Story:_

Die moderne Tierärztin Gunhild (hm, gibt es heute überhaupt noch solche Namen …) macht mit ihrem Lebensgefährten einen Ausflug ins Grüne in der Kölner Umgebung. Als sie dabei die Umgebung alleine näher erkundet, stößt sie gegen einen Baum und verliert für eine Sekunde die Besinnung. Als sie wieder klar sieht, liegt vor ihr ein schwer verletzter Mensch, den Gunhild zunächst für einen Schauspieler hält. Als Gunhild jedoch bemerkt, dass sich die Welt um sie verändert hat, von ihrem Freund keine Spur mehr da ist und der mysteriöse Fremde es mit seinen Ausführungen über die fränkische Kirche ernst zu meinen scheint, realisiert sie, dass sie auf unerklärliche Weise einen Zeitsprung gemacht hat.

Nachdem sie dem Fremden beim Verbinden seiner Verletzungen geholfen hat, führt er sie zurück in seine Heimat und hält sie dort als Sklavin. Sein Name ist Grimoald, und er hat sich in den Sinn gesetzt, im Dienste Karls des Großen und der Kirche die Sachsen zu bekehren. Mit seiner neuen Sklavin will er nach außen hin die macht Gottes demonstrieren, weil sie mit den Utensilien, die sie mitführt, für damalige Verhältnisse magische Dinge vollführen kann. Andererseits fürchtet Grimoald die Dame aber auch, denn aufgrund ihrer seltsamen Kräfte scheint er ihr in gewisser Weise auch unterlegen.

Gunhild fürchtet in der neuen Welt um ihr Leben und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Rückkehr zu ihrem Geliebten und vor allem in ihre Heimat. Als der Priester immer grausamer zu ihr wird, flieht sie zu den Sachsen, die noch dem ‚alten‘ Glauben anhängen. Erst als sie dort den klugen Fürstensohn Gerowulf kennen lernt, schöpft sie neue Hoffnung und beginnt langsam, sich in ihrer neuen Umgebung zu akklimatisieren …

_Bewertung:_

Das Potenzial dieser Geschichte ist wirklich endlos, und aus der Historie der Sachsen und dem Zwiespalt der verschiedenen Glaubensinitiativen hätte man eine Menge herausholen können, alleine schon beim plötzlichen Eintauchen in die neue Welt. Die Autorin scheint das indes wenig interessiert zu haben, denn sie schildert die Ereignisse derart trocken und hölzern, dass einem schnell die Freude am Lesen vergeht. Nach 50 Seiten sieht man sich einfach so mit der Tatsache konfrontiert, dass Gunhild gegen einen Baum gelaufen ist, plötzlich in einer anderen Welt lebt und des Priesters Untergebene geworden ist. Spannung Fehlanzeige! Die gesamte Abfolge der Geschehnisse wird in „Das Blutgericht“ fast schon in Form eines Berichtes abgehandelt; ausführliche Beschreibungen, detaillierte Inszenierungen und all dergleichen findet man hingegen nur ganz, ganz selten.

Selbst die Sehnsucht nach der modernen Welt stellt Köster-Lösche nur unzureichend dar; bisweilen klingt das sogar wenig glaubhaft, so nach dem Motto „ach schade, dann kann ich wohl nicht mehr zurück, schade“. Auch als Gunhild sich dann endlich mal entschließt, den üblen Priester zu verlassen und für ihre Unabhängigkeit im Sachsen des 9. Jahrhunderts zu kämpfen, gewinnt die Geschichte nicht an Tempo; im Gegenteil, es wird eher noch langweiliger, weil selbst solch entscheidende inhaltliche Wendungen einen nicht aus der Reserve zu locken vermögen.

Ich bin jetzt schon sehr skeptisch, ob sich die Autorin in den nachfolgenden zwei Bänden noch irgendwie aus der Misere befreien kann und ihren Schreibstil insoweit ändert, dass die Thematik und das in ihr steckende Potenzial endlich mal ein bisschen Farbe gewinnt. Die anfangs noch vorhandene Vorfreude auf diese Trilogie ist aber erstmal weitestgehend verpufft und einer herben Enttäuschung gewichen.

Auf die unerfreulichen logischen Patzer möchte ich jetzt nicht mehr eingehen, das würde „Das Blutgericht“ ansonsten vollkommen in Grund und Boden stampfen. Aber einen Hineis trotzdem: Laut Kari Köster-Lösche konnten die Menschen damals zur Zeit von Karl dem Großen (vor 1.200 Jahren) schon die heutige, moderne deutsche Sprache verstehen. Aha …
Hoffentlich werden die nächsten beiden Bücher nicht zur nervigen Qual!

Mankell, Henning – Vor dem Frost

Nachdem seine erfolgreiche Krimireihe rund um Kurt Wallander mit der „Brandmauer“ seinen Abschluss gefunden hat und Mankell seine Leser in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ mit dem Kommissar Stefan Lindman bekannt gemacht hat, ermittelt in „Vor dem Frost“ erstmals Linda Wallander, obwohl sie eigentlich noch nicht offiziell im Polizeidienst angefangen hat. Der Generationenwechsel in Ystad hat nun stattgefunden, und nach dem Erfolg des Krimis mit Stefan Lindman als Hauptfigur hat dieser nun auch seinen Einsatzort gewechselt und arbeitet fortan ebenfalls in Ystad an der Seite des alternden und immer noch schlecht gelaunten Kurt Wallander. Ob Henning Mankell seiner neuen Krimiheldin ein überzeugendes Debüt gewidmet hat, wollen wir uns nun näher besehen …

_Bitte melde dich!_

Frisch von der Polizeischule kehrt Linda Wallander zurück nach Ystad. Da sie noch auf eine eigene Wohnung warten muss, zieht sie zunächst zu ihrem Vater Kurt, auch wenn dies zu allerlei Schwierigkeiten führt, da beide sehr impulsiv reagieren und somit immer genug Zündstoff für Streitereien gegeben ist. Leider reicht das Geld bei der Polizei nicht aus, um Linda sofort einzustellen, sodass sie ungeduldig auf ihren Einsatz warten muss. In der Zwischenzeit baut sie zwei alte Freundschaften zu ihren Schulfreundinnen Zebra und Anna wieder auf. Doch eines Tages ist Anna verschwunden, obwohl sie sonst doch immer so pünktlich und zuverlässig war. Mit Hilfe eines Dietrichs verschafft Linda sich Zugang zu Annas Wohnung und beginnt auf eigene Faust, das Verschwinden ihrer Freundin zu untersuchen. Vater Kurt hat dafür allerdings gar kein Verständnis, da er nicht an ein Verbrechen glaubt, zumal auch Annas Mutter überhaupt nicht beunruhigt zu sein scheint.

Gleichzeitig geschehen noch weitere mysteriöse Dinge in Ystad: Über dem Marebosjö fliegen brennende Schwäne, kurze Zeit später berichtet ein Bauer, dass jemand eines seiner Kälber angezündet hat. Kurt Wallander befürchtet Schlimmstes, sein Gefühl sagt ihm, dass hier nicht nur ein verrückter Tierquäler am Werke ist, sondern dass diese Taten Auftakt sind zu mehr. Und wirklich, nahe von Schloss Rannesholm wird in einer versteckt liegenden Waldhütte eine brutal ermordete Frau gefunden, der Kopf und Hände abgeschlagen wurden. Neben den Leichenteilen entdecken die Polizisten auch eine Bibel, in die jemand eigene Gedanken und Interpretationen hineingeschrieben hat.

Zufällig findet Linda in Annas Tagebuch einen Hinweis auf die ermordete Frau aus dem Wald und schafft dadurch eine Verbindung zwischen Annas Verschwinden und dem Mord an Birgitta Medberg. Auch führt ein Hinweis die junge Polizeianwärterin nach Kopenhagen, wo sie von einem hageren Mann bewusstlos geschlagen wird. Ihr Vater ist außer sich und bezieht seine Tochter nun offiziell in die Ermittlungen mit ein. Doch die Zeit rennt den Polizisten davon …

_Alles neu macht der Frost_

Um Wiederholungen zu vermeiden, beendete Henning Mankell zur Trauer seiner treuen Leser die erfolgreiche Kriminalreihe um Kurt Wallander, nur um allerdings mit einem kleinen Trick Kurt Wallanders Tochter in das Zentrum des Geschehens zu rücken. Wollte Linda in den vergangenen Romanen noch Möbelpolsterin werden, so eröffnete sie ihrem Vater am Ende seines letzten offiziellen Kriminalfalles zu seiner großen Überraschung (aber auch Freude), dass sie den gleichen Weg einschlagen möchte wie er. Nun also begleitet der Leser Linda bei ihren Ermittlungen und Gedankengängen, während ihr Vater in den Hintergrund rückt.

Doch so ganz kann Mankell hiermit nicht überzeugen. Zunächst schafft er es nicht glaubwürdig, uns Lindas Entscheidung für die Polizeikarriere zu erklären. Zwar hatte Mankell bereits in den vergangenen Romanen immer angedeutet, dass Lindas Berufswünsche mehrfach wechselten, doch plötzlich scheint sie vollkommen überzeugt zu sein von ihrem (neuen) eingeschlagenen Weg. Darüber hinaus nimmt ihre Vorstellung zu viel Raum in diesem Buch ein. Ein großes Plus in Henning Mankells Büchern ist seine liebevolle Figurenzeichnung, die immer weiter chronologisch fortgesetzt wird, sodass uns seine Krimihelden richtig ans Herz wachsen. Doch da Linda bislang immer nur eine kleine Nebenrolle innehatte, muss Mankell fast von vorne beginnen. In der „Rückkehr des Tanzlehrers“ gelang ihm die Gratwanderung zwischen einer überzeugenden Charakterisierung und einer, die die Spannung zu sehr ausbremst, sehr gut. In seinem ersten Linda-Wallander-Roman verliert er allerdings oftmals den eigentlichen Kriminalfall aus den Augen.

Da Linda noch nicht offiziell als Polizeianwärterin arbeitet, ermittelt sie wie schon ihr Vater zuvor auf eigene Faust und eher am Rande der Legalität. An den eigentlichen Ermittlungen in dem Fall der brennenden Tiere und der brutal ermordeten Frau Birgitta Medberg nehmen wir daher kaum Anteil. Genau das war es allerdings, was mich bei den bisherigen Mankell-Krimis so fasziniert hat. Wir waren bei jedem Schritt der Polizei hautnah dabei, wir haben an den Besprechungen und an den leidigen Pressekonferenzen teilgenommen, wir haben Nybergs schlechte Laune und Kurt Wallanders Ungeduld gespürt, doch dieses Mal ist alles anders. Von Anfang an rückt Linda Wallander in den Mittelpunkt des Geschehens, wir erfahren einiges aus ihrer Vergangenheit, über ihre abgebrochenen und gescheiterten Selbstmordversuche, über die schlechten Launen und Wutausbrüche ihres Vaters und über ihre Freundschaft zu Anna und Zebra. Allerdings bekommen wir von der eigentlichen polizeilichen Ermittlung viel zu wenig mit. Die personelle Komponente überwiegt in weiten Teilen der Romanhandlung, sodass der Spannungsbogen in „Vor dem Frost“ erstmals nicht perfekt gelungen ist, wie wir das inzwischen von Henning Mankell praktisch erwarten.

Interessant dagegen ist es, die bereits bekannten handelnden Personen aus Lindas Blickwinkel kennen zu lernen. So erscheinen besonders ihre Eltern unter ganz anderem Licht, aber auch Ann-Brit Höglund lernen wir von einer neuen Seite kennen.

Manchmal fehlte mir der rote Faden, der durch das Buch führt. Zwischendurch wechselte häufiger die Perspektive; so haben wir nicht nur Linda bei ihren Nachforschungen begleitet, sondern auch Birgitta Medberg auf ihrem unbekannten Pfad, der geradewegs zu ihrem Mörder geführt hat, und auch einen Unbekannten, der in der Eröffnungsszene die Schwäne in Brand steckt und auch weitere Pläne und Gedanken kundtut. Darüber hinaus erschienen mir Lindas Ermittlungen oftmals wenig zielgerichtet und vor allem wenig vernünftig. Sie tappt blindlings in die eine oder andere Falle und verliert natürlich im entscheidenden Augenblick ihr Handy (dessen Akku selbstverständlich fast leer war). Stellenweise häufen sich die Zufälle etwas zu sehr, sodass der Roman an Glaubwürdigkeit verliert. Auch erschienen mir einige Situationen nicht schlüssig zu sein; so werden wir Zeuge, wie Linda Wallander aus Wut ihrem Vater einen Aschenbecher an den Kopf wirft, woraufhin eine Platzwunde seine Stirn ziert. Wenn Kurt allerdings wirklich solche Wutausbrüche hat und impulsiv handelt, wie uns vorher weisgemacht wurde, passt seine relativ gelassene Reaktion nicht zu seinem sonstigen Verhalten.

_Thematisches_

Wie gewohnt greift sich Henning Mankell ein heißes Thema heraus, um das er seine Romanhandlung herum aufbaut. In „Vor dem Frost“ spielen fanatische religiöse Gemeinschaften eine Rolle, die ihr ganz eigenes Ziel verfolgen. Darüber hinaus setzt die eigentliche Handlung Ende August 2001 ein und spielt sich somit kurz vor den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center ab. An Lindas erstem offiziellen Arbeitstag muss sie schließlich im Fernsehen die tragischen Bilder der Terroranschläge ansehen. Sehr bewusst legt Mankell hier seine eigene Romanhandlung parallel zu den damaligen Ereignissen an, sodass nicht nur die Mankell’schen Figuren gerade ihre Anschläge planen, sondern im wahren Leben die Terroristen ebenfalls.

Leider bleiben am Ende die wahren Gründe für die geplanten Anschläge der religiösen Fanatiker etwas im Dunkeln. Mankell deutet zwar eine schwache Begründung an, doch weiß diese nicht zu überzeugen. Gerade die Hintergründe und die Motivation der religiösen Gemeinschaft hätte Mankell noch weiter ausführen können, um ihr Tun und Handeln vielleicht in Ansätzen erklärbar zu machen.

_Altbewährtes_

Selbstverständlich bleibt Henning Mankell sich weiterhin treu; seinem Roman stellt er einen Prolog voran, der im Jahre 1978 spielt und zunächst keinen Zusammenhang zu den späteren Ereignissen hat. Erst nach knapp 200 Seiten erfährt der Leser die Verbindung zwischen den weit zurückliegenden Geschehnissen und dem aktuellen Kriminalfall. Hier führt Mankell seine Handlungsstränge zusammen und beantwortet mit einem Schlag zahlreiche Fragen. Doch das mindert die Spannung nicht im Geringsten, da die Polizei weiterhin im Dunkeln tappt und Linda gar nicht ahnt, welchen Gefahren sie sich aussetzt. Mit unserem Wissensvorsprung können wir Linda, ihrem Vater und seinen Kollegen also bei ihrer Arbeit zusehen und überprüfen, ob sie die richtigen Spuren verfolgen.

Obwohl die Handlung nicht so strafft erzählt ist wie gewohnt, ist auch der vorliegende Roman schwer aus der Hand zu legen. Nach einem gemächlichen Einstieg mit den brennenden Schwänen und der ausführlichen Vorstellung Linda Wallanders lässt Mankell seine Akteure auf den Plan treten. Zwar geschieht am Anfang kein brutaler (Menschen-)Mord, doch animieren auch die brennenden Tiere zum Mitfiebern, da bereits klar ist, dass sie nur Auftakt zu größeren Taten sein können. Doch dann dauert es auch nicht lange, bis Birgitta Medbergs Leichenteile merkwürdig drapiert entdeckt werden und Lindas Sorgen um Anna immer schwerwiegender werden.

_Nach dem Frost_

Obwohl „Vor dem Frost“ seine Erwartungen nicht alle erfüllen kann, ist es dennoch ein Krimi der Extraklasse. Lediglich verglichen mit Henning Mankells bisherigen Kriminalromanen fällt die Begeisterung etwas geringer aus. Fast alle bekannten Erfolgskomponenten des schwedischen Bestsellerautors finden sich hier wieder, nur Linda überzeugt als neue Krimiheldin (noch?) nicht ganz. Ihr Vorgehen ist zu unüberlegt und auch ihre Person wirkt nicht so sympathisch wie die ihres Vaters. Zeitweise hält Mankell sich zu sehr mit seinen Beschreibungen auf und bremst dadurch die Handlung aus, auch häufen sich die Zufälle manchmal zu sehr, wodurch die Glaubwürdigkeit etwas leidet. Lesenswert ist der erste Linda-Wallander-Fall allemal, doch muss sie sich ihre Lorbeeren erst noch verdienen.

Min-Woo Hyung – Priest (Band 2)

Der zweite Teil der „Priest“-Serie von Min-Woo Hyung zeichnet sich ebenso wie sein Vorgänger durch eine oftmals sehr brutale Handlung aus, die nicht nur von den üblichen Kampfszenen, sondern auch von allerlei nervenaufreibenden Darstellungen (so zum Beispiel das Bild von Ivan Isaacs als Gekreuzigter oder so manche entstellte Person nach einem Zombieangriff) hervorgehoben wird. Komischerweise ist mir dies erst zu diesem Zeitpunkt so recht aufgefallen, obwohl das Gemetzel im ersten Band beim Zugüberfall auch schon ganz ordentlich war. Na ja, so stumpft mal wohl schon ab …

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Hill, Susan – Der Menschen dunkles Sehnen

Susan Hill, geboren 1942 in Scarborough, begann schon als junge Frau zu schreiben. Sie hat zahlreiche Romane, Jugendbücher, Hörspiele und Sachbücher veröffentlicht. Mit ihrer neuen Trilogie hochklassiger Kriminalromane erobert sie derzeit eine riesige Fangemeinde.
Susan Hill lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in einem Landhaus in Gloucestershire.

_Inhalt:_

Im englischen Kathedralstädtchen Lafferton scheint die Welt noch in Ordnung. Familien gehen ihren Geschäften nach, der Kirchenchor und ein engagiertes Ärztepaar sorgen fürs Gemeindewohl, und über allem thront ein grüner Hügel, den Sportler und Flaneure zu fast jeder Stunde bevölkern. Als die alleinstehende, 53-jährige Angela Randall beim Joggen im Nebel verschwindet, will die Polizei den Fall schnell wieder zu den Akten legen. Ist sie nicht eine Erwachsene, die gehen kann, wohin sie will? Nur Kommissarin Freya Graffham hat ein ungutes Gefühl; vor allem, als sie im Küchenschrank der Vermissten einen seltsamen Brief findet.

Bald darauf kommt eine weitere Frau, die junge Debbie Parker, nicht mehr von ihrem Morgenspaziergang auf dem Hügel zurück. Die Polizeit fragt sich, ob dies nicht alles mit den seltsamen New-Age-Heilern und Esoterikern zusammenhängt, die seit einiger Zeit ihre Praxen im Nachbarort betreiben. Als schließlich weitere Menschen verschwinden, und die Hinweise auf einen teuflisch-raffinierten Täter, der die Wissenschaft vom Körper zu lieben scheint, sich mehren, wird die Polizeistation trotz gerade anhaltender Drogen-Razzien in Alarmbereitschaft gesetzt.

Ganz langsam kriecht das Böse in die heimeligen Gässchen Laffertons, und nahezu jeder käme als Schuldiger in Frage. Wenn man genauer hinsieht, hat jeder einzelne Charakter schicksalshafte Brüche in seinem Leben gehabt, selbst Polizeichef Simon Serrailler, in den Freya sich direkt beim ersten Treffen verliebt hat. Die junge und engagierte Kommissarin lässt schließlich auch nicht locker, bis sie entdecken muss, was all jene verbindet, die niemals von Laffertons idyllischem Hügel wiederkehren …

_Bewertung:_

„Der Menschen dunkles Sehnen“ ist nicht nur ein standesgemäßer Krimi, sondern zudem auch eine Erzählung von Menschenschicksalen, bei denen nicht selten der Tod eine große Rolle spielt.

Da wäre zum einen die beliebte Ärztin Cat Derborn, die fast tagtäglich mit schwer kranken Menschen zu tun hat, denen sie in ihrer letzten Stunde Beistand leisten muss. So zum Beispiel dem alten Harry, der zusammen mit seiner Frau Iris und der Doktorin die letzten Minuten verbringt, bis er schließlich dahinscheidet. Iris hingegen kommt mit dem Tod ihres Mannes nicht zurecht, entscheidet sich schließlich für die Teilnahme an einer Seance, kann aber niemandem mehr davon erzählen, weil sie anschließend nicht mehr gesehen wird. Dieses Schicksal teilt sie wiederum mit der unscheinbaren Angela Randall, einer Frau, deren Vergangenheit und deren ganzes Leben vollkommen ungewiss ist, weshalb ihr Verschwinden zunächst auch keine großen Nachwirkungen mit sich bringt. Die andere Leidtragende, Debbie Parker, lebt ebenfalls sehr zurückgezogen und hat enorme Probleme mit ihrem Äußeren. Auch sie sucht einen alternativen Therapeuten auf, um sich gegen Akne behandeln zu lassen, und kehrt eines Tages nicht zurück.

Dann wäre da die junge Kommissarin Freya Graffham: Nach ihrem unglücklichen und peinvollen Eheleben in London hat sie in Lafferton eine neue Heimat und neue Freunde gefunden, und der letzte Schritt zu ihrem Glück wäre eine Beziehung mit dem Polizeichef Simon Serrailler. Der hingegen ist eher scheu, was solche Beziehungen betrifft, und hat schon mehrere Frauen zurückgewiesen. Seine Mutter ist da das genaue Gegenteil; sie betätigt sich bei Wohltätigkeitsorganisationen, hilft, wo sie nur kann, und sieht entgegen ihrem Mann in Simon keinen Versager, bloß weil dieser sich wie der im Gegensatz zum Rest der Familie nicht für eine Arztkarriere entschieden hat – eben so wie seine Schwester Cat, mit der die Liste ja begonnen hat. Und dann wären da noch unzählige New-Age-Therapeuten, so genannte Quacksalber, die auch allesamt ihre Gründe haben, warum sie in der heutigen Zeit nicht als ‚echte‘ Äzrte praktizieren – und die sind ebenfalls in einer schicksalhaften Vergangenheit verankert …

Susan Hill leistet wirklich einzigartige Arbeit, indem sie die verschiedenen Charaktere und ihr gesamtes Leid, ihre schmerzvolle Vergangenheit, ihre Probleme, sich so richtig in die ’normale‘ Gesellschaft zu integrieren, und die möglichen Lösungsstrategien mit allen wichtigen Details beschreibt und dabei geschickt den Bogen zum unscheinbaren aber trügerischen Dorf Lafferton spannt, wo diese Menschen nun alle aufeinandertreffen. Jede Person scheint ein Einzelschicksal zu sein, doch irgendwie besteht zwischen alldem eine Verbindung, und genau diese stellt Susan Hill episodenhaft und unheimlich spannend über die Spanne von 550 Seiten dar. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf den düsteren Eigenschaften der menschlichen Seele, die vor allem bei den betroffenen und kranken Menschen sehr gut zur Geltung kommt. Im Detail geht sie hier spezifisch auf das Wechselbad zwischen Hoffnung und Verzweiflung ein, erforscht aber in ihren Schilderungen auch, wie sich diese beiden konträren Punkte letztendlich bedingen. Am besten gelungen ist dies bei der Freundin von Cat Deerborn, die an Krebs erkrankt ist, nach außen hin eine sehr starke Persönlichkeit verkörpert und glaubt, dass alternative Behandlungsmöglichkeiten sie von ihrem Leid befreien, obwohl sie andererseits fest weiß, dass sie ohne eine echte medizinische Therapie keine Chance gegen ihre Krankheit haben wird.

Die düstere Seite der Seele wird aber auch in den ‚bösen‘ Charakteren dieses Buches beschrieben. Nicht, dass man sofort wüsste, wer nun wirklich gut und böse ist (und das ist ein weiterer Geniestreich von Susan Hill), aber wenn ich nun rückblickend betrachte, wie Susan Hill hier langsam aber mit Bestimmtheit das Bild eines eigentlich unauffälligen Psychpathen entstehen lässt, dann kann ich vor diesem Meisterstück nur den Hut ziehen. Die Autorin ist diesbezüglich aber auch sehr einfallsreich und stellt den mutmaßlichen Täter von zwei Seiten vor: einmal aus der Ich-Perspektive, durch verschiedene zwischendurch eingefügte Kapitel in Form eines Tonbands, auf dem derjenige seine Beweggründe und Gedanken äußerst; und zum zweiten aus der Sicht der Bürger Laffertons und hier besonders Freya Graffham, die sich dieses mysteriösen Falles angenommen hat.

Letztendlich ist es aber auch eine Moral, die Susan Hill hier kreiert. Sie zeichnet nämlich das Bild eines völlig unauffälligen Menschen nach, der jedoch von inneren Zwängen so sehr vereinnahmt wird, dass er abseits seines Alltags zu Greueltaten fähig ist, die man ihm niemals zutrauen würde. Und weil diese Geschichte in einem ansonsten sehr ruhigen und geselligen Dörfchen spielt, zeigt Hill zudem auf, dass die düsteren Geheimnisse des menschlichen Antriebs überall versteckt sind, selbst in einem kleinen Ort wie Lafferton!

Schlussendlich bin ich von der Geschichte schwer beeindruckt, auch wenn die Autorin für meinen Geschmack mit manchen Hinweisen ein Stück zu früh herausrückt. Das Rätsel um das Verschwinden der verschiedenen Frauen bzw. darum, was oder wer genau dahintersteckt, wird nämlich ansatzweise schon nach der Hälfte des Buches aufgelöst. Trotzdem bleibt die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht erhalten, denn Hill hat sich bis dorthin schon so viele Türen geöffnet und so viele Einzelheiten zu den verschiedenen Charakteren preisgegeben, dass man keine Ruhe hat, bevor man nicht wirklich jedes noch so winzige Detail erfahren hat. Hinzu kommt ein schier unvergleichlicher Schreibstil: kurz und prägnant, simpel und teilweise umgangssprachlich, aber nicht weniger fesselnd als so manch hochtrabender Roman – und somit auch sehr sympathisch. „Der Menschen dunkles Sehnen“ lebt von seinen meisterlich gezeichneten Charakteren und der intelligenten Herangehensweise von Susan Hill – und ist damit in Sachen Krimi/Thriller eines der besten Bücher, die derzeit auf dem Markt zu finden sind!

Wall, Mick – IRON MAIDEN – Run To The Hills

„Run To The Hills“ ist der heilige Gral für jeden MAIDEN-Fan, das verspreche ich an dieser Stelle! Das definitive Werk über eine Band, die für sich beanspruchen kann, Generationen der Metalmusik beeinflusst zu haben. Nicht immer war dabei Sonnenschein angesagt und nicht selten stand die Band vor dem definitiven Zusammenbruch. Doch immer wieder sind die Engländer wie Phönix aus der Asche auferstanden, um der Szene neue Impulse zu geben.

„Run To The Hills“ baut verdammt intelligent die Geschichte von Harris und Co. mit der Vorstellung der einzelnen Bandmitglieder auf. So umfasst die Storyline der ersten zwei Alben ein näheres Eingehen auf die Personen Stratton, Harris, Di Anno, Burr und Birch, zieht sich die Geschichte, angefangen bei „Number Of The Beast“, Dickinson und Smith weiter zu „Seventh Son Of A Seventh Son“, um mit den nachfolgenden Scheibletten Gers und Bayley ins Rampenlicht zu stellen. Nichts wird dabei beschönigt, Ehrlichkeit steht an oberster Stelle. So kann man sämtliche Bandmitgleider mit Statements zu den Splits ertappen, die einem teilweise fast die Tränen in die Augen treiben. So zum Beispiel Adrians Ausstieg nach der „Seventh Son Tour“, begleitet von einer inneren Zerrissenheit, Zukunftsangst und dem Gefühl, das vielleicht Falsche getan zu haben.

Keine Frage, „Run To The Hills“ ist das bislang schonungsloseste Werk über diese Band. Doch wird zumindest mir im Verlauf des Buches klar, um welch sympathischen Haufen es sich eigentlich handelt. Kerle, die sich im Grunde genommen lieben wie Familienmitglieder und die eine angespannte Atmosphäre, in der auch mal ordentlich die Fetzen fliegen und Egos zertreten werden, benötigen, um Höchstleistungen zu erbringen. Desweiteren wird einem die Firma MAIDEN als perfekt funktionierende Geldmaschinerie vorgestellt. Etwas, was der Band heutzutage häufig vorgeworfen wird, was aber im Grunde genommen auf einem knallharten Jahrzehnt voller Entbehrungen fußt, um den Bandmitgliedern ein sorgenfreies Leben zu bescheren. Man mag darüber denken, wie man will. Zumindest mir hat es aber die Sprache verschlagen, als ich von den Mammutkreuzzügen der Band in den Achtzigern las, die kein bisschen Raum mehr für Familie, Freunde und Sonstiges ließ. Der harten Arbeit Lohn ist der Status der heutigen MAIDEN, die sich meiner Meinung nach verdient auf ihren Lorbeeren ausruhen können.

Die Bayley-Ära wird zudem gesondert unter die Lupe genommen. Die Gründe für die stilistische Ausrichtung des progressiven und mächtig düsteren Bayley-Erstlings „The X-Factor“, die Kurskorrektur beim Nachfolger sowie der unvermeidbare Rauswurf des ehemaligen WOLFSBANE-Sängers und dessen Hintergründe. Am Ende befasst sich der Autor natürlich mit der triumphalen Rückkehr MAIDENs in der Quasi-Urbesetzung, deckt aber auch die Komplikationen der Reunion auf. Wieder einmal merkt man, wie sehr die Band aneinander hängt, obwohl sie doch so grundverschiedene Charaktere in sich birgt, die nur in dieser zwischenmenschlichen Chemie zur wahren Glanzleistungen fähig ist.

Die Übersetzung von Klaas Ilse ist perfekt, orthographisch stimmt ebenfalls alles. Garniert mit einigen Fotos aus allen Schaffensphasen, ist zumindest für mich „Run To The Hills“ das A und O in Sachen [IRON MAIDEN.]http://de.wikipedia.org/wiki/Iron__Maiden

H. G. Francis – Das Antares-Riff (Perry Rhodan Extra 2)

Noch vor dem offiziellen Start des neuen Handlungsabschnitts „Terranova“ in der Perry-Rhodan-Serie, der mit Band 2300 beginnen wird, bringt der Verlag |Pabel Moewig| einen Sonderroman zum Auftakt des Zyklus. „Das Antares-Riff“ ist nicht nur ein Roman, sondern enthält außerdem das Hörspiel „Beinahe ein Mensch“ nach einem Roman von Hubert Haensel, ohne Frage ein Kaufanreiz, da die Verkaufsausgabe des Hörspiels etwa doppelt so viel kostet wie diese Sonderausgabe.

Angesiedelt ist der Roman offensichtlich zwischen den beiden Handlungsabschnitten „Sternenozean“ und „Terranova“, die große Gefahr durch die überlegene Wesenheit |Gon-Orbhon| ist überwunden und macht Platz für ein neues Abenteuer.

_Das Riff_

Durch den Ausfall fortschrittlichster Technik brach auf der Erde das Fernsehprogramm der privaten Sender zusammen, die öffentlichen Sender arbeiten unter der Ägide der Regierung mit am Wiederaufbau der Zivilisation. Keine guten Zeiten für einen Unterhaltungsjournalisten, wie Albion Aldograd einer ist. Er ist jedoch sicher, dass die Menschen nach Unterhaltung dürsten und der ständigen trockenen Fakten überdrüssig sind, also sammelt er Material und arbeitet an Sendungen, die er den Sendern regelmäßig und genauso erfolglos anbietet. Sein Riecher bringt ihm erschütterndes Material über gelangweilte Jugendliche, die sich auf der Suche nach Ablenkung in Todesgefahr begeben. Außerdem gerät er über eine bekannte Journalistin an gefährliche Drogengeschichten. Die beiden Themen bringt er in seinem Zorn über seinen eigenen kleinen, kaum zu finanzierenden Sender, und keine Stunde später sieht er sich einem der Unsterblichen, Reginald Bull, gegenüber, der sich für ihn und seine Ideen einsetzt.

In Bulls Auftrag bereitet Albion eine gefährliche Dokumentationsreise vor, die ihn und sein Team zum neuerdings bedrohlichen „Antares-Riff“ führt: Ein durch Weltraumstürme unpassierbares Sonnensystem in unmittelbarer Nachbarschaft der Erde, über das er berichten soll. Albions Team sammelt unglaubliche Eindrücke vor Ort, doch eine weitere Annäherung kann Albion nur mit Mühe beim Kommandanten des Raumschiffs durchsetzen, bis man plötzlich Notsignale direkt aus dem Sonnensystem auffängt. Dem kann sich kein Raumfahrer entziehen, also dringt das Schiff in die gefährliche Region vor – und macht dabei eine unerfreuliche Entdeckung, die für das Schiff, aber primär für die Menschheit große Gefahr bedeutet. Entgegen dieser Gefahr muss man der Erde Bericht erstatten …

_Francis_

Heute ist Hans Gerhard Franciskowsky, der meist als H. G. Francis veröffentlicht, einer der produktivsten, vielseitigsten und erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands. Einige hundert Romane hat er verfasst, darunter allein 200 für PERRY RHODAN, die größte Science-Fiction-Serie der Welt. Seine rund 600 Hörspiele erreichen zusammen die stattliche Gesamtauflage von 120 Millionen. (Quelle: perry-rhodan.net)
Seit Beginn des Jahres 2005 ist Francis nicht mehr im regelmäßigen Autorenteam der Serie vertreten, schreibt aber ab und zu einen Beitrag, wie das vorliegende „Extra“.

Francis entwickelt die Handlung durch den Kunstgriff eines neuen Charakters in größtmöglicher Eigenständigkeit, ohne Einzelheiten zum Ende des vorhergehenden Zyklus, der ja noch zwei Wochen läuft, zu verraten. Dass die derzeitige Gefahr gebannt werden wird, steht aufgrund des Seriencharakters natürlich außer Frage, daher kann man gefahrlos vorweggreifen. Der Roman steht außerhalb des direkten Serienzusammenhangs (auch wenn er schließlich den neuen Zyklus einläutet) und bemüht sich, auch für unregelmäßige Leser verständlich zu sein. Mit einem gewissen Maß an Interesse für die aktuellen technischen Fantasien der Science-Fiction wird man hier nicht überfordert. Begriffe wie „Hyperraum“, „Antigravitation“, „Traktorstrahl“ und dergleichen sind in diesem Umfeld inzwischen wohlbekannt, serieninterne Bezeichnungen wie „Syntron“ und „Hyperimpedanz“ sind für den Zusammenhang einigermaßen belanglos oder erschließen sich aus dem Kontext. Francis bemüht sich, durch einfache Beschreibungen den einen oder anderen verwirrenden Begriff zumindest für das geistige Auge sichtbar zu machen, auf der anderen Seite flechtet er die Bilder routiniert in das Konstrukt der Geschichte ein, so dass ein durchaus unterhaltsames Abenteuer entsteht.

Dass die Charaktere keine außerordentliche Tiefe haben, beeinträchtigt die Geschichte kaum. Hier geht es vordergründig um ein Bild aus dem Leben der Menschen in dieser fantastischen Zukunft als Träger der psychologischen Anreize zum Einstieg in die Serie mit dem Start des neuen Zyklus: In einem flüssigen Plauderton skizziert Francis die Gefahren, die auf Perry Rhodan und seine Gefährten zukommen, verrät aber gerade so viel, dass die Neugierde vom Leser Besitz ergreift und sich ein Hauch des faszinierenden Gefühls einstellt, das den Erfolg der Serie seit ihrer Geburt ausmacht.

„Das Antares-Riff“ ist kein außergewöhnlich guter Roman. Sein Pluspunkt ist, dass er flüssige Unterhaltung bietet, ohne durch den gewaltigen Serienhintergrund zu erschlagen. Der typische Drang nach mehr, der Seriencharakter, entsteht dabei nicht durch platte Cliffhanger (aber er entsteht), und der Roman ist tatsächlich eigenständig lesbar und befriedigend.

Romanheft: 125 Seiten

Hyung, Min-Woo – Priest – Band 1

Zombie-Horror im Wilden Westen; verkaufte Seelen, Banditen, düstere Gestalten und noch finstere Geheimnisse – dies sind die Themen der neuen Manhwa-Serie „Priest“ von Min-Woo Hyung, der hier sowohl das Skript als auch die Zeichnungen beigesteuert hat. Hyung outete sich bereits vorzeitig als großer Fan des klassischen Italo-Western und hat dessen coole Charaktere auch mit in seine neue Story einfließen lassen. Dazu fügt er die üblichen Elemente des Gothic-Horror, dies aber in einer intelligent inszenierten Geschichte mit zahlreichen Wendungen und einigen Überraschungen. Die Hauptfiguren von „Priest“ sind dabei alle an ein Schicksal gebunden, bei dem durchaus Parallelen zu erkennen sind. So hat es sich der junge Priester Ivan Isaacs, gleichzeitig der Hauptdarsteller dieser Reihe, zur Aufgabe gemacht, den Tod seiner Freundin Gena zu rächen. Zu diesem Zweck hat er seine Seele dem Dämonen Belial verkauft, um so die Chance auf ein zweites Leben zu bekommen.

Ihm entgegen stehen der mächtige Priester Temozarela und sein Scherge Jarbilong. Letzterer tritt unter dem Deckmantel der Kirche als Dämon in Menschengestalt auf und setzt alles daran, die Wiederkehr seines Meisters auf der Erde vorzubereiten und Ivan Isaacs ein für allemal aus dem Weg zu räumen.

Irgendwo dazwischen steht die junge Lizzy, ihrerseits Anführerin der Angel-Rebellen, die nach dem Tod ihres Vaters diese Rolle übernommen und noch ein reines Gewissen hat – bis zu dem Tag, als sie Ivan Isaacs trifft und eine schreckliche Begegnung macht …

Im ersten Band wird die Geschichte mitsamt ihrer Charaktere direkt in einem actiongeladenen Szenario eingeleitet. Die gefürchtete Anführerin der Angel-Rebellen, Lizzy, wurde von den Marshalls gefangen genommen und wird auf einem Zug festgehalten. Ihre Bandenmitglieder wollen sie auf dem Weg ins Zuchthaus befreien, was ihnen auch mühelos gelingt. Dann jedoch taucht eine mysteriöse Gestalt auf, die sämtliche Insassen des Zugs ums Leben bringt und brutal abschlachtet. Sämtliche Gegenwehr, selbst die Maschinengewehrsalven, prasselt an der Oberfläche des monströsen Dämonen ab, und die Angel-Gang sitzt in der Falle. Dann taucht der junge Priester Ivan Isaacs auf und stellt sich der Bestie in den Weg, bleibt dabei aber zum Erstaunen der anderen unversehrt. Es beginnt ein wilder Kampf, in den neben dem eigentlichen Monster auch die Zugpassagiere eingreifen, jetzt aber als Zombies, deren einziger Sinn darin besteht, das restliche Leben auszulöschen. Ein wilder Fight um Leben und Tod beginnt, und Lizzy kann noch gar nicht fassen, was sich da in so kurzer Zeit vor ihrem Auge abgespielt hat und noch abspielen wird …

Die Mischung aus Western- und Horror-Elementen ist wirklich interessant und wurde in der Storyline von Min-Woo Hyung auch sehr gut und vielseitig umgesetzt. So findet man einerseits diese coolen Gestalten aus dem Western-Bereich, auf der anderen Seite dann die finsteren Dämonen und Untoten, die hier das Böse charakterisieren. Mich erinnert das Ganze dabei sehr stark an den Klassiker „Hellsing“, vor allem aufgrund des Zeichenstils, der wirklich ziemlich eckig und im Gesamten auch sehr, sehr düster ist. Dementsprechend ist auch die Geschichte gehalten; trotz der hitzigen Atmosphäre einer Wüstenstadt regiert hier das Böse, wird jedoch vom Zeichner und Autor nicht genau definiert. Dadurch, dass man die beiden Parteien Gut und Böse hier noch nicht auseinanderhalten kann und nicht weiß, wer nun den Titelhelden abgeben soll – sofern es einen solchen bei „Priest“ überhaupt gibt – ist auch kaum vorhersehbar, in welche Richtung sich die Story weiterentwickeln wird. Hyung hält hier direkt zu Beginn einige Türen auf, gibt vereinzelte Hinweise auf die oftmals dramatische Vergangenheit der Hauptakteure und setzt ziemlich viele Fragezeichen in den Raum, die es in insgesamt 14 folgenden Bänden aufzuklären gilt.

Sowohl die Rolle von Ivan Isacs als auch die der Verbrecherin Lizzy ist nicht offensichtlich, man spürt aber schon, dass hier eine enge Verbindung besteht, gerade zum Ende hin, wo Lizzy dem mysteriösen Priester folgt. Und trotzdem weiß man noch nicht, was man nun von den einzelnen Personen halten soll.

Dies macht dann auch die Spannung bei „Priest“ aus; trotz hohem Erzähltempo stiftet Hyung hier einiges an Verwirrung, die jedoch in diesem Moment willkommen ist, weil man so auch viel mehr auf die einzelnen Details in den Zeichnungen schaut. Schade nur, dass diese in den Kampfszenen etwas verschwommen und undeutlich werden, gerade wenn sie nur in kleinen Bildausschnitten ilustriert wurden. Dies habe ich an „Priest“ dann neben der übertriebenen Darstellung der Nebengeräusche (zum Beispiel beim Nachladen der Waffen) zu bemängeln. Doch sieht man mal über diverse Unschärfen hinweg, macht der erste Band direkt eine ganze Menge Spaß und schnell Lust auf mehr. Zum Glück muss der Leser in diesem Fall aber nicht warten, denn Hyung hat bereits die ersten fünf Bücher auf den deutschen Markt gebracht. Und wer auf gut gemachten Manga-Horror abfährt und „Hellsing“ zu seinen Favoriten zählt, der wird mit dieser neuen Serie wirklich auch sehr gut bedient und sollte sich diesen einleitenden Band mal zu Gemüte fühen.