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Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Grangé, Jean-Christophe – Herz der Hölle, Das

Gibt es den Teufel? Oder wer ist für das Schlechte auf der Welt verantwortlich? Wie kann eine Nahtod-Erfahrung einen Menschen prägen? Und wie kann eine Leiche an den verschiedenen Körperteilen unterschiedlich stark verwest sein? All dies sind die Fragen, die der französische Bestsellerautor Jean-Christophe Grangé in seinem neuesten packenden Thriller aufwirft, und wieder einmal ist seine Mischung anders, sie hebt sich vom Mittelmaß ab und weiß über knapp 800 Seiten zu begeistern – so viel sei schon einmal vorweg genommen.

_Vom Teufel besessen_

Mathieu Durey ist bereits seit Jahren mit Luc Soubeyras befreundet. Sie haben sich kennengelernt, weil sie beide strenggläubig waren. Sie wollten Gott dienen und das Böse auf der Welt bekämpfen. Doch während Mathieu seinen Glauben immer weiter stärken kann, fühlt Luc sich immer mehr dem Bösen zugeneigt. Er hinterfragt die Existenz des Teufels und wendet sich von Gott ab. Nach seinen prägenden Kriegserfahrungen beschließt er, dem Guten lieber als Polizist zu dienen. Mathieu kann dies zunächst nicht nachvollziehen, doch nachdem er in Ruanda selbst etliche Gräuel erlebt hat, die er sich zuvor in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können, folgt er Luc auf seinem Weg. Mathieu kehrt seinem Priesterseminar den Rücken zu und wird ebenfalls Polizist. Im Gegensatz zu Luc jedoch besucht er weiterhin regelmäßig den Gottesdienst und lebt seinen Glauben aus.

Doch dann geschieht das Unmögliche: Luc versucht, sich das Leben zu nehmen. Mit Gewichten beschwert, will er sich ertränken. Dank des kalten Wassers und da er nicht ertrunken, sondern früh genug ohnmächtig geworden ist, kann Luc aber wiederbelebt werden. Fortan liegt er im Koma und Mathieu steht mit seinen Fragen alleine. Wie kann Luc als gläubiger Katholik diese Todsünde begehen? Und wieso ist er mit Einstichstellen an den Armen aufgefunden worden? Mathieu kann nicht glauben, dass Luc Drogen genommen hat und nicht mehr leben wollte. Etwas Schreckliches muss passiert sein. Eine Münze, die Luc bei seinem Selbstmordversuch in den Händen hielt, ist es, die Mathieu schließlich auf die Spur des Teufels bringt.

Schritt für Schritt versucht Mathieu, Lucs Selbstmordversuch auf die Spur zu kommen. An welchem Fall hat Luc zuletzt gearbeitet? Wo hat er sich aufgehalten? Und was kann ihn dazu veranlasst haben, sich das Leben zu nehmen? Schon bald erfährt Mathieu, dass Luc regelmäßig nach Besançon gefahren ist. Lucs Frau Laure befürchtet, dass Luc dort schon seit längerem eine Freundin hat. Zu häufig ist er vor seinem Selbstmordversuch verreist, zu oft hat er seine Frau und seine beiden Töchter zurückgelassen, um sich davonzustehlen. Doch auch dies kann Mathieu einfach nicht glauben. Er durchsucht Lucs Arbeitszimmer und findet eine umfangreiche Aktensammlung, welche die grausamsten Kriminalfälle dokumentiert. Diese Aktenordner und die Münze sind es, die Mathieu nach Mordfällen suchen lassen, die auf satanistische Praktiken hindeuten. Dabei stößt er auf den Fall der getöteten Sylvie Simonis aus Sartuis, der viele Rätsel aufwirft. Die örtliche Polizei versucht, den Fall zu verschweigen und versorgt auch die Presse nicht mit Informationen. Doch Mathieu kann schließlich herausfinden, dass Sylvies Leiche für Aufsehen gesorgt hat. Während ihr Gesicht noch klar erkennbar war, wiesen ihre anderen Körperteile starke Verwesung auf. Alle Verwesungsstadien waren an nur einer Leiche zu finden, sie war übersät mit Maden, Fliegen und anderem Getier.

Je weiter Mathieu nachforscht, umso mehr Fragen wirft er dabei auf, denn Sylvies Leben ist von vielen Geheimnissen umgeben. Nicht nur ihr Mörder ist unbekannt, auch ihre Tochter Manon ist Jahre zuvor unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Damals gab es zwar drei Verdächtige, doch verurteilt wurde niemand. Außerdem gehen Gerüchte um, dass Manon vom Teufel besessen war. Hatte etwa Satan seine Finger im Spiel? Zumindest sind es teuflische Morde, auf deren Spur Mathieu nach und nach kommt. Denn Sylvie war nicht die einzige Leiche, die unterschiedlich stark verwest war, in Europa gab es noch weitere Fälle. So führen Mathieus Nachforschungen ihn bald nach Sizilien, wo er eine Frau im Gefängnis besucht, die vor Jahren nach einer Pilgerfahrt nach Lourdes geheilt wurde. Ihr Fall wurde sogar durch den Vatikan als Wunder anerkannt, doch nun wurde sie als Mörderin ihres Mannes verurteilt. Es ist eine teuflische Schnitzeljagd, auf die Mathieu sich begibt. Und immer war Luc schon vor ihm dort, immer war er ihm einen Schritt voraus …

_Eine teuflische Schnitzeljagd_

Nicht etwa ein Mord ist es, der Anlass für Mathieu ist, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, sondern es ist der versuchte Selbstmord seines besten Freundes Luc. Dies ist schon zu Beginn des 800 Seiten starken Buches eine kleine Überraschung, die vom gewohnten Thrillermuster abweicht. Doch schnell wendet sich Jean-Christophe Grangé dem bekannten Muster zu, denn ungewöhnliche Mordfälle sind es, die es schließlich aufzuklären gilt. Bis Mathieu jedoch zu dieser Einsicht gelangt, muss er einen im wahrsten Sinne des Wortes weiten Weg gehen. Denn seine Ermittlungen führen ihn bald über die Grenzen Frankreichs hinaus; zunächst begibt er sich nach Sizilien, um Agostina Gedda kennenzulernen, die für den Mord an ihrem Ehemann verurteilt wurde, obwohl sie doch von Gott auserwählt ist, da sie nach einer Pilgerreise nach Lourdes von einer tödlichen Krankheit geheilt wurde. Geheimakten aus dem Vatikan sind es an dieser Stelle, die Mathieu auf negative Nahtod-Erfahrungen aufmerksam machen, die nicht vom Licht handeln, auf das man sich zubewegt, sondern von einer schreckenerregenden Gestalt, in der die Menschen den Teufel vermuten. Kann diese Begegnung mit dem Teufel eine solche Persönlichkeitswandlung hervorrufen? Obwohl alle Hinweise darauf hindeuten, will Mathieu die Existenz des Teufels nicht anerkennen und sucht nach einer logischen Erklärung für die Taten der Verurteilten.

Immer sind es nur winzige Hinweise, die ihn voranbringen. Es ist eine mühsame Spurensuche, auf die sich Mathieu begibt, zumal seine Ermittlungen in Sartuis von der örtlichen Polizei auch noch behindert werden. Niemand will ihm Informationen über Sylvie und ihre Tochter geben, alles wird unter Verschluss gehalten, und wieder einmal ist es der Zufall, der Mathieu die Lösung von Manons Tod zuspielt. Mathieu ist schockiert, als er den wahren Mörder der kleinen Manon identifiziert, doch langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Ganz allmählich entsteht ein immer klareres Bild von den Taten, von den bösen Dingen und schließlich auch vom Mörder. Doch Mathieu ist klar, dass Luc noch mehr gewusst haben muss, erst spät erkennt Mathieu, was Luc in den Selbstmord getrieben hat.

Im Mittelpunkt der gesamten Geschichte steht die Figur des Teufels. Schreckliche Nahtod-Erfahrungen scheinen es zu sein, die der Vatikan gerne verschweigen möchte, die aber dazu führen, dass die Menschen wahrlich teuflische Taten begehen. Der Teufel scheint es zu sein, der den Mördern die notwendigen Informationen zuspielt, denn woher sollen die Mörder sonst wissen, wie man eine Leiche zu präparieren hat, damit diese unterschiedlich stark verwest ist? Woher bekommen die Mörder das dazu nötige Getier? Es scheint keine logische Antwort auf diese Fragen zu geben, es muss etwas Übersinnliches im Spiel sein, so zumindest scheint es. Doch als gläubiger Katholik will Mathieu das nicht wahrhaben, für ihn darf es keinen Teufel geben, der Teufel muss für ihn Menschengestalt haben, doch wie kann das sein? Agostina Gedda beispielsweise wurde verurteilt für den Mord an ihrem Ehemann, nichts deutete auf einen anderen Mörder hin, den Agostina nun decken möchte. Sie muss einfach vom Teufel besessen gewesen sein, oder?

Mathieu stellt für uns die Frage nach der Existenz des Teufels und stimmt uns selbst nachdenklich, denn woher kommt das Böse auf der Welt, wenn es denn keinen Teufel gibt? Mathieu kennt seine Antwort auf diese Frage, doch wird sein Glauben durch die Nachforschungen stark erschüttert.

_Gläubiger Held_

Held der gesamten Geschichte ist Mathieu Durey, den wir bei all seinen Schritten stets begleiten. Wir sind bei ihm, während er auf Spurensuche geht, und haben daher den gleichen Kenntnisstand wie er. All seine Gedanken fühlen wir nach, wir stellen uns die gleichen Fragen und empfinden wie er das gleiche Entsetzen. Im Laufe der Geschichte lernen wir Mathieu zwar immer besser kennen, doch bleibt stets eine gewisse Distanz, da uns sein unerschütterlicher Glaube nicht immer nachvollziehbar gemacht wird, auch seine Lebensweise ist uns fremd. Obwohl er dem Priesterseminar den Rücken gekehrt hat, lebt er einsam und alleine, lässt keine Frau an sich heran und wünscht sich offenbar auch keine Familie. Später soll sich dies zwar ändern, doch dann sind es andere Punkte, die uns nachdenklich stimmen. Er lernt eine Frau kennen und lieben, beginnt eine Affäre mit ihr, obwohl doch alle Beweise gegen sie sprechen. Alle anderen sind überzeugt, dass sie schuldig ist, einen Mord begangen zu haben, doch Mathieu vertraut ihr blind, und das, obwohl er selbst noch keine Lösung für den fraglichen Mord hat. Aber vielleicht macht Liebe auch wirklich blind?

Obwohl wir Mathieu auf Schritt und Tritt begleiten, bleibt doch immer eine gewisse Distanz zwischen ihm und dem Leser. Jean-Christophe Grangé stellt nicht seine Figuren in das Zentrum seiner Erzählung, sondern die Taten und vor allem natürlich die vielen kleinen Hinweise, die es zu verfolgen und zu finden gilt. So kommt es, dass wir trotz des Umfangs dieses Buches kaum eine Figur wirklich gut kennenlernen, doch merkwürdigerweise – obwohl ich dies sonst immer ankreide – stört mich die distanzierte Charakterzeichnung hier nicht, da es so viel anderes zu entdecken und aufzuklären gibt, dass bei mir keine Wünsche offen geblieben sind.

_Reise durchs Grauen_

Die ganze Geschichte nimmt in Frankreich ihren Anfang und beginnt zunächst recht gemächlich. Mathieu hat noch keinen Anhaltspunkt, er ist fassungslos und kann sich rein gar nicht erklären, was Luc zu seinem Selbstmord getrieben haben kann. Längere Zeit braucht es, bis er auf die Spur des Teufels und auf den Mordfall Sylvie Simonis stößt. Doch je weiter die Handlung fortschreitet, umso mehr packt Grangé seine Leser. Das Bild, das er uns eröffnet, könnte kaum komplexer sein. Viele Figuren sind es, die uns begegnen, und viele Verbrechen, die aufzuklären sind. So fiebert man stets mit und bemüht sich, im Dschungel der Ereignisse nicht den Überblick zu verlieren. Ich muss gestehen, dass ich ab und an zurückblättern musste, wenn Grangé einen alten Fall nochmals aufgerollt und ich nicht mehr alle Details parat hatte. Jean-Christophe Grangé bietet uns exzellente Thrillerunterhaltung, verlangt im Gegenzug aber auch ein gutes Maß an Aufmerksamkeit (das man ihm aber nur zu gerne schenken mag).

Insgesamt gibt es nur Winzigkeiten zu bemängeln, etwa die Fülle an Figuren, die ein Personenverzeichnis durchaus sinnvoll gemacht hätte, oder die fehlende Tiefe der Charakterzeichnung. Dem gegenüber stehen ein perfekt inszenierter Spannungsbogen und eine komplexe Handlung, die es wahrlich in sich hat und den Leser spätestens nach den ersten hundert Seiten vollkommen aufsaugt, fasziniert und mitreißt. Selten habe ich einen so gut ausgeklügelten Plot erlebt, der zu meiner großen Freude logisch aufgeklärt wurde, ohne dabei ins unnötig Mystische abzudriften.

http://www.ehrenwirth.de

|Siehe ergänzend dazu unsere [Rezension 4404 zur Lesung bei Lübbe Audio.|

Stott, Rebecca – Und Blut soll dich verfolgen

Isaac Newton ist einer der bekanntesten Wissenschaftler, selbst Laien kennen die Geschichte von dem Apfel, der Newton angeblich auf den Kopf gefallen sein soll und der dann zur Idee der Gravitation geführt hat. Aber Newton umranken noch andere Geschichten; so fand sein Aufstieg am Trinity College in Cambridge unter mysteriösen Umständen statt. Was ist damals wirklich passiert und hatte Newton womöglich seine Finger im Spiel in der Reihe ungeklärter Todesfälle, die seine Berufung erst ermöglichten? Rebecca Stott geht in ihrem Erstlingswerk „Und Blut soll dich verfolgen“ dieser Frage nach.

_Wenn die Vergangenheit dich einholt_

Die bekannte Elizabeth Vogelsang wird tot aufgefunden, leblos treibt sie im Wasser und niemand kann sich ihren Tod erklären. Hat sie etwa Selbstmord begangen? Doch dies ist kaum vorstellbar, hat Elizabeth doch gerade an ihrem größten Werk gearbeitet – einer Biografie über Isaac Newton, welche die gesamte Wissenschaftswelt auf den Kopf stellen sollte. Nur ein einziges Kapitel fehlte noch, und dieses sollte sich Newtons Berufung als Fellow an das Trinity College widmen. Diese Berufung kam damals mehr als überraschend, denn Newton stand nicht wirklich weit oben in der Wunschliste damaliger Wissenschaftler. Eine Reihe ungeklärter Todesfälle am Trinity College hatte den Weg freigemacht für Newton. Hatte er etwa seine Finger im Spiel? Elizabeth Vogelsang hat es herausgefunden, denn sie war die Erste, die auch das letzte Geheimdossier Newtons entschlüsseln konnte.

Ihr Sohn Cameron Brown vertraut die Arbeit an Elizabeth‘ Opus Magnum der Schriftstellerin Lydia Brooke an, mit der er einst eine Affäre hatte. Lydia ist Expertin für das 17. Jahrhundert und stürzt sich sogleich in die Arbeit, da sie eine tiefe Freundschaft mit Elizabeth Vogelsang verbindet und sie die Person Newton ebenfalls reizt. Zunächst kämpft sie sich durch Elizabeth‘ bisherige Kapitel, die sich Newtons Forschung widmen und von seinen Experimenten mit dem Prisma erzählen. Diese Passagen berichten detailreich, wie Newton sich eine Nadel ins Auge geschoben hat, um Farberscheinungen zu untersuchen. Je weiter Lydia vordringt in die Geschichte, umso mehr unerklärliche Dinge geschehen um sie herum. Elizabeth‘ Aufzeichnungen scheinen verschwunden zu sein, auch sieht Lydia immer wieder eine Gestalt in roter Robe. Wer verfolgt sie in Cambridge?

Auch Cameron Brown wird verfolgt und bedroht. Er experimentiert mit Tieren und sieht sich bedroht von einer Tierschutzorganisation mit dem merkwürdigen Namen NABED. Selbst die Haustiere seiner Kinder sind nicht mehr sicher, eines muss sein Leben lassen, was Camerons Frau dazu bewegt, sich mit den gemeinsamen Kindern in Sicherheit zu bringen. Doch NABED ist nicht nur der Name der Tierschutzorganisation, dieses Wort taucht auch in Newtons verschlüsselten Schriften auf. Was verbirgt sich dahinter? Und wer will verhindern, dass Elizabeth Vogelsangs Newton-Biografie veröffentlicht wird? Irgendwann wird Lydia es herausfinden, aber vielleicht ist es dann schon zu spät für sie …

_Dieses Buch wird dich nicht weiter verfolgen_

Rebecca Stott, die als Professorin für Englische Literatur an der Universität tätig ist, hat sich für ihren ersten Roman eine faszinierende historische Figur herausgegriffen. Isaac Newton kennen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch wissenschaftlich Interessierte; seine Person umgibt ein großes Geheimnis, dem Stott hier auf die Spur kommen möchte. Im Anhang macht sie schließlich auch deutlich, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit in ihrem Roman liegen, was reine Spekulation ist und wo wir die historischen Fakten finden.

Hauptfigur im Roman ist Lydia Brooke, die Elizabeth Vogelsangs Opus Magnum redigieren und vervollständigen soll. Mit viel Eifer und Neugierde stürzt sie sich in die Arbeit, pendelt zwischen Bibliothek und Elizabeth‘ Haus, wo sie die Biografie beenden möchte. Doch schnell merkt sie, dass es eine Macht gibt, welche die Veröffentlichung des Buches verhindern möchte. Elizabeth‘ Haustier wird ebenso brutal ermordet wie das Haustier von Cameron Browns Kindern, doch um Cameron diesen weiteren Verlust zu ersparen, verschweigt Lydia ihm, was wirklich vorgefallen ist. Auch als sie selbst Opfer eines Angriffs wird, erzählt sie ihm nichts davon. Dass dies ein großer Fehler ist, der ihre Feinde schützt, merkt sie allerdings zu spät.

Wer wirklich zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, das lässt Rebecca Stott lange Zeit im Dunkeln. Sie sät Misstrauen und beleuchtet ihre Charaktere von unterschiedlichen Seiten, doch erst spät offenbart sie ihren Lesern die wahren Zusammenhänge.

_Brieftagebuch_

Schon früh deutet Stott an, dass unheimliche Mächte am Werkeln sind, dass Lydia und Elizabeth mächtige Gegner haben, welche die Veröffentlichung der Biografie verhindern wollen, und früh wird auch klar, dass Cameron Brown dieses Buch nicht überleben wird. Denn das gesamte Buch ist in einer Art Briefform aus Sicht Lydias geschrieben. Sie erzählt in der Ich-Form von ihren Erlebnissen, von den mysteriösen Erscheinungen in Elizabeth Vogelsangs Haus und von ihren Ängsten, die sie anfangs noch versucht zu unterdrücken.

Rebecca Stotts Schreibstil ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig, da das Buch einem Brieftagebuch von Lydia an Cameron gleicht. Alles ist in der Vergangenheitsform geschrieben, was darauf hindeutet, dass zumindest Lydia die Gefahren offensichtlich überstehen wird. Auch ist wörtliche Rede nicht so häufig zu finden, da Lydia die Gespräche oftmals in der Passivform wiedergibt. Hinzu kommt Rebecca Stotts bemüht poetischer und ausschmückender Schreibstil, der die wahren Geschehnisse oftmals in einer Flut von Adjektiven und Umschreibungen verschwinden lässt. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel:

S. 235: |“Ich stellte mir vor, wie du deine SMS an mich poliertest, sie auf der Zunge schmecktest, den Text löschtest und noch einmal von vorn anfingst. Die Kurzmitteilungen gingen zwischen uns hin und her, durchzogen die Tage und Nächte. Assoziationen, Fragmente, Verszeilen. Ob auch du in diesem heiklen Austausch das Mahlen der Steine, die Auflösung von Stein zu Pulver hörtest, die Anfänge jenes über Jahrhunderte in den heißen italienischen Glashütten betriebenen, immer weiter verfeinerten, vervollkommneten Verfahrens spürtest? Ich meinte, das weiße Pulver an den Händen zu fühlen, Soda und Quarzsand zu riechen, als ich in jener Nacht, in den vielen langen Nächten danach zu dir ins Bett kam.“|

Derartig lange Sätze und schwülstige Beschreibungen sind im vorliegenden Buch an der Tagesordnung. Hinzu kommen die permanenten Andeutungen von Beginn an, dass etwas Schlimmes passieren würde. Bis es tatsächlich aber mal so weit kommt, dass außer den Angriffen der Tierschützer etwas passiert, dauert es (zu) lange.

_Gepflegte Langeweile_

Über rund 400 Seiten zieht sich Rebecca Stotts Newton-Thriller, der stets krampfhaft bemüht ist, ein wenig Spannung aufzubauen. Wahrscheinlich aus diesem Grund schreibt Lydia von Anfang an, dass sie durch ihr Handeln das Böse erst beschworen hat, dass sie durch ihr Schweigen Schlimmeres ermöglicht hat und dass sie all dies hätte verhindern können. Doch was sie hätte verhindern können, welches Blut sie verfolgt und wer der Mann in der roten Robe ist, von dem Lydia sich verfolgt fühlt, das erfahren wir erst sehr spät. Rebecca Stott belässt es lange Zeit bei inhaltslosen Ankündigungen, sie wirft uns auch kaum Hinweise hin, die zu eigenen Spekulationen hätten animieren können. Über mehr als 300 Seiten tappen wir im Dunkeln und verheddern uns in Stotts überfrachteten Wortkonstrukten. Von Spannungsbogen kann hier keine Rede sein, zumindest mich konnte Rebecca Stott kaum bei der Stange halten.

Nur um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht, ob Newton wirklich an den mysteriösen Todesfällen beteiligt war und welche gefährliche Macht hinter Elizabeth her war und nun Lydia verfolgt, habe ich mich durch 400 schwerfällig zu lesende Seiten gekämpft. Doch am Ende blieb Ernüchterung, Stotts Finale verpufft und hinterlässt gähnende Leere. Natürlich hat sie keine erschütternden neuen Erkenntnisse über Isaac Newton zutage gefördert und natürlich blieb der große Knall am Ende aus. Auch die Geisterbeschwörung und das Auftauchen einer mysteriösen Gestalt aus Newtons Zeit trugen nicht gerade dazu bei, mir das Buch schmackhaft zu machen.

Rebecca Stotts Debütroman ist eine misslungene Mischung aus Historien- und Mysterythriller, die zwar beide Genres bedient, aber historisch wenig Neues zu berichten hat, kaum Spannung aufbaut und insbesondere sprachlich absolut fehlgeschlagen ist.

http://www.blessing-verlag.de

Libor Schaffer – Tod am Galgen

Der Odenwald – das klingt nach einer behaglichen Gegend, in der sich Fuchs und Gans noch gute Nacht sagen. Doch der Odenwald ist neben den beschaulichen Landschaften und den vielen schönen Burgen auch der Ort, an dem Privatdetektiv Tobias Bloch seine Kriminalfälle löst. Dieses Mal beschäftigt ihn ein Mordfall am berühmten Beerfeldener Galgen. An diesem Galgen nämlich hängt eines schönen Morgens eine tote Frau, deren langer Rock an den Knöcheln zusammen gebunden ist, damit ihr auch niemand darunter schauen kann. Denn im Odenwald – da herrschen noch Zucht und Ordnung!

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Siegner, Ingo – Gustav vor, noch ein Tor

Womit beschäftigen sich Erdmännchen eigentlich den lieben langen Tag? Mit Fußballspielen natürlich – jedenfalls im Hannoveraner Zoo! Dort trainieren Gustav und seine beiden Freunde Pauline und Rocky fleißig Fußball. Platz und Zeit haben sie ja, denn der Zoo ist groß und der Erdmännchen-Tag nicht allzu ausgefüllt. Während des Trainings, zu dem auch Max der Marabu und Zora das Flusspferd hinzustoßen, dichten die Tiere sich ihre Fußballlieder und Schlachtrufe, um sich selbst anzufeuern und gute Aktionen zu feiern. Doch plötzlich taucht Kurt der Maulwurf auf und kommentiert das Spiel. Die Tiere sind verwirrt – was versteht ein Maulwurf schon vom Fußball? Mehr als man denkt, denn Kurt und seine Artgenossen buddeln sich gerne ihren Weg in die AWD-Arena, wo sie den Profis zuschauen können – Hannover 96!

Neugierig wie sie sind, begleiten die drei Erdmännchen die Maulwürfe auf ihrem nächsten Ausflug und finden sich zu ihrem Erstaunen plötzlich in einem riesigen Stadion wieder, wo ganz viele Menschen auf den Tribünen sitzen, um dem Spiel zu folgen. Schnell ist die Idee geboren, einmal gegen diese Profis zu spielen. Zur Ehrenrettung behauptet Rocky, dass die Zoo-Tiere viel besser spielten als 96, woraufhin eine Wette abgeschlossen wird. So wetten die Maulwürfe, dass die Tiere nicht ein einziges Tor gegen die Profis schießen. Da es um die Ehre geht, ist der Ehrgeiz der Tiere sogleich geweckt.

Da ihnen zur Zoo-Elf noch ein paar Mitstreiter fehlen, schreiben die Tiere flugs einen Rundbrief an ihre Zoo-Gefährten. Schon am nächsten Tag melden sich der Marabu, das Flusspferd, die Giraffe, der Orang-Utan, der Strauß, die Schildkröte und das Faultier zum Duell an. Doch noch immer fehlt ein Mitspieler, weswegen die Erdmännchen zum Dschungelpalast laufen und mit der Elefantendame Califa sprechen. Eigentlich war die Elefantendame ja fürs Tor angedacht, doch Califa will lieber Stürmerin sein, worauf die Erdmännchen aber auch gerne eingehen, als sie Califa das erste Mal spielen sehen. Fortan ist der Zooalltag streng durchgeplant, die Tiere machen Ausdauertraining und üben sich in Pässen und Torschüssen, um sich auf den großen Tag vorzubereiten, der dann auch schneller da ist, als die Erdmännchen vorher gedacht hätten …

Der Autor und Zeichner Ingo Siegner wurde in Hannover geboren, wuchs in Großburgwedel auf, lebt und arbeitet heutzutage aber in der niedersächsischen Hauptstadt, wo offensichtlich der regelmäßige Zoobesuch zu seinen liebsten Hobbys zählt. So tragen seine Romanfiguren dann auch die gleichen Namen wie die tatsächlichen Tiere im Hannoveraner Zoo. Elefantendame Califa beispielsweise gehört zu den Jungelefanten, die nach 30-jähriger Wartezeit im Zoo Hannover geboren wurden. Auch die Schauplätze, an denen die Tiere ihre Technik und Ausdauer optimieren, kennt der kundige Zoobesucher, sodass man sich wieder an diesen zauberhaften Ort versetzt fühlt. Für Hannoveraner also ein echter Lesegenuss.

Aber auch die Geschichte überzeugt: Schon auf der ersten Seite schließt man Freundschaft mit den sportlichen drei Erdmännchen, die den mutigen Plan fassen, gegen echte Fußball-Profis zu spielen. Jedes Tier hat seine Eigenarten, die wir im Laufe der Geschichte immer besser kennen lernen; so beliebt das Faultier selbstverständlich zwischendurch einzuschlafen, während Califa ganz undamenhaft den Fußballrasen als Toilette missbraucht, weil das eigentliche Klo für ihren Umfang zu winzig ist. Dass der Orang-Utan mit seinen langen Armen und seinen guten Reaktionen später das Tor hüten muss, wundert dann nicht mehr weiter. Und die Tiere lassen sich nicht unterkriegen, auch wenn die erste Ausdauereinheit mehr schmerzt als vorher angenommen. Doch die Tiere erhalten kompetente Hilfe in Kurt dem Maulwurf, der durch seine regelmäßigen Besuche in der Arena ein echter Fußballkenner ist und den Tieren folglich ihre Strategie unterbreitet und sie in der Spielpause coacht. Das Wichtigste ist und bleibt den Tieren aber immer noch der Spaß an der Freud, weswegen sie sich oft genug lieber damit vergnügen, neue Fußballlieder zu erdichten.

„Gustav vor, noch ein Tor“ ist vor allem optisch eine Pracht, denn jede Seite wird dominiert von hübschen Farbzeichnungen der Tiere in ihren Spielsituationen; da sehen wir das Faultier gemütlich auf dem Fußball schlummern, während das Flusspferd den Ball lieber mit der Schnauze fängt als mit den Beinen, der Maulwurf legt sich an einer Tafel die Taktik für das Spiel zurecht und der Orang-Utan beißt kräftig beim Dauerlauf in seine Wegzehrung, die selbstverständlich in einer leckeren Banane besteht. Auch das Layout ist positiv hervorzuheben; neben der kindgerecht großen Schrift wird es durch die Bilder immer wieder aufgelockert, so sind die Textblöcke oftmals durch kleinere Bilder unterbrochen, sodass meist nicht allzu viel durchgehender Text zu lesen ist.

Das Buch ist wirklich allerliebst und für jeden Hannover-Fan – ob jung oder alt – ein absolutes Muss. Wer sich dann noch für den Zoo oder für Fußball interessiert, sollte die knapp 13 € für dieses hübsche Buch investieren und sich von Ingo Siegner in den Hannoveraner Zoo entführen lassen, um dort Bekanntschaft zu machen mit den Erdmännchen und ihren sportiven Mitstreitern.

http://www.leuenhagen-paris.de/

Trudi Canavan – Magier (Das Zeitalter der Fünf 2)

Band 1: „Priester“

Trudi Canavan hat sich mit ihrer ersten Trilogie „Die Gilde der Schwarzen Magier“ ihren Platz in den Bestsellerlisten erobert – und das vollkommen zu Recht. Wie wenige andere Autoren schafft sie es, sympathische Charaktere und faszinierende Völker zu zeichnen und die Spannung zum nächsten Buch immer weiter zu steigern. So auch bei ihrer zweiten Fantasy-Trilogie „Das Zeitalter der Fünf“, zu der inzwischen der zweite Band vorliegt. Dass die Kritiken des Einstiegsbandes nicht durchweg positiv waren, finde ich zwar schade, denke aber, dass es an den zu hohen Erwartungen liegt und daran, dass Canavan diesen ersten Band als Vorstellung und Einstieg in eine komplexe Reihe braucht, die im Laufe der Zeit noch mehr Faszination und Spannung entwickelt. So habe ich mit Spannung zum zweiten Teil „Magier“ gegriffen und wurde nicht enttäuscht …

Wiedersehen mit alten Freunden

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Nasaw, Jonathan – Kuss der Schlange, Der

Treue Fans von Jonathan Nasaw und seinem Erstlingsroman [„Die Geduld der Spinne“ 82 dürfen in Nasaws neuestem Werk nun ein Wiedersehen feiern mit dem Serienkiller Ulysses Maxwell. Seine Mordserie liegt bereits einige Zeit zurück, doch nachdem er in einem psychiatrischen Institut von seiner Persönlichkeitsstörung geheilt wurde, soll ihm nun der Prozess gemacht werden. Für diese wundersame „Heilung“ ist Dr. Al Corder verantwortlich, der dank einer Elektroschocktherapie den handzahmen Lyssy als Persönlichkeit etabliert hat. Lyssy hat sich seitdem viele Freiräume erspielt, er darf unbewacht spazieren gehen und ist auch im Hause des Arztes ein gern gesehener Gast, doch ahnt niemand, dass dunkle Stimmen in Lyssys Kopf spuken, die immer mehr Platz fordern.

Auch Lily leidet an einer Persönlichkeitsspaltung, seit sie in ihrer Kindheit von ihren Eltern schwer missbraucht worden ist. Mehrere weitere |Alters| helfen ihr, über diese erlittenen Grausamkeiten hinweg zu kommen. Da gibt es beispielsweise die selbstbewusste Lilith, die immer dann hervorkommt, wenn Lily sich ängstigt und mit einer Situation nicht mehr klarkommt. Als sie dann vom Tod ihrer geliebten Großeltern hört, wechselt Lily die Identität und bringt erst Lilah und dann auch wieder Lilith hervor, die sich mit einer Rockerbande auf die Reise begeben. Als Lilith dann vergewaltigt wird, weiß sie sich anders zu helfen als Lily; sie beißt ihrem Vergewaltiger die Nase ab und flüchtet. Doch Dr. Irene Cogan und E. L. Pender können sie aufspüren und bringen sie auf Wunsch von Lilys Onkel in das gleiche Institut, in dem auch der Serienmörder Maxwell von seinem dissoziativen Identitätssyndrom geheilt werden konnte.

Lyssy verliebt sich auf den ersten Blick in die verschüchterte Lily, aber dann wechseln beide ihr Alter und begegnen sich bald als Max und Lilith wieder, die sofort ihre Seelenverwandtschaft entdecken und die Flucht planen. Dieser Flucht stehen natürlich einige Menschen im Wege, die sodann ihr Leben lassen müssen. Auf eigene Faust verfolgen Cogan und Pender das mörderische Pärchen, um Schlimmeres zu verhindern. Die beiden sind jedoch auf Rache aus, und da spielen natürlich auch Cogan und Pender eine wichtige Rolle, da sie zumindest Maxwells Leben auf dem Gewissen haben. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dessen Verlauf viel Blut fließen und viele Persönlichkeiten auftauchen werden …

Nach seinen zwei Vampirthrillern widmet sich Jonathan Nasaw nun wieder seinem angestammten Genre, dem Psychothriller. Und hier beruft er sich auf seine alten Stärken, nämlich die Persönlichkeitsspaltung und seine bekannten und bewährten Charaktere: Maxwell, Pender und Cogan. Nur leider funktioniert diese Ansammlung im vorliegenden Thriller nicht. „Der Kuss der Schlange“ ist gerademal 444 Seiten kurz, doch bis zur Hälfte dauert es, bis Max und Lilith aus dem Institut fliehen und ihren mörderischen Rachefeldzug beginnen. Dieser beginnt allerdings zunächst mit einem weiteren Persönlichkeitswechsel, denn Corder kann vor seinem Tod noch Lyssy heraufbeschwören, der Lilith zunächst in ihrer Flucht behindert, denn Lyssy ist handzahm und möchte gar nicht aus dem Institut fliehen, wo er so viele Privilegien gewonnen hat, dass er sich dort wohlfühlt. Und auch Lilith muss bald wieder Lily Platz machen, die allerdings ungewohnte Stärken an sich entdecken kann. Sie erinnert sich daran, dass Irene Cogan ihr einst erzählt hat, dass man die Persönlichkeitsstörung heilen kann, indem die verschiedenen Alter in einer Persönlichkeit integriert werden; so nimmt sie nach und nach Liliths Selbstbewusstsein an und überwindet auch ihre Kindheitstraumata.

Die Flucht ist geprägt von zahlreichen Persönlichkeitswechseln, in Maxwell kämpfen Max und Lyssy um die Vorherrschaft, aber kaum ist ein Messer im Spiel, dringt auch Kinch, der Metzger, wieder hervor. Doch im Grunde sind es nur noch Max und Lyssy, die stark genug sind, um sich länger im Körper des Serienkillers zu halten. Sobald aber Lyssy das Sagen hat, brauchen die Opfer nichts zu fürchten, und so kommt es, dass auf dem Rachefeldzug auch das eine oder andere Opfer überlebt, wenn nämlich Lyssy und Lily beschließen, Gnade walten zu lassen.

Cogan und Pender versuchen derweil, die Spur des Pärchens aufzunehmen, ohne aber zu wissen, welche Persönlichkeiten dort gerade die Vorherrschaft haben und ob Maxwell Lily entführt hat und diese selbst zum Opfer geworden ist, oder ob diese womöglich aktiv an der Flucht beteiligt ist. Noch sind Cogan und Pender die Verfolger, doch da Maxwell und Lilith noch einige Rechnungen mit den beiden offen haben, werden sie bald zu den Verfolgten. So erwacht Cogan eines Nachts und sieht sich ihrem ehemaligen Peiniger gegenüber, der in ihr Haus eingedrungen ist und Cogan nun als Geisel hält.

Das Buch nimmt leider nie so richtig Fahrt auf, da das Tempo durch das Auftauchen von Lyssy und Lily immer wieder ins Stocken gerät und Nasaw viel Zeit darauf verwendet, die Beziehung des mörderischen Pärchens unter Berücksichtigung aller ihrer Alters zu beleuchten. Hier sind natürlich viele Aspekte zu erörtern, da die verschiedenen Alters so unterschiedliche Charakterzüge aufweisen. Ausgesprochen hanebüchen wird es schließlich im Showdown, wenn Cogan und Pender die beiden aufspüren und sie überwältigen wollen. In diesem Showdown wechseln Lily und Maxwell so oft ihr Alter, dass man fast schon den Überblick zu verlieren droht; hinzu kommt, dass die aktuellen Alter immer versuchen, ihre Mitmenschen zu täuschen, indem sie die Charakterzüge eines anderen Alters annehmen. So spielt sich Lily als Lilith auf, um Maxwells Vertrauen zu erlangen, aber auch Maxwell gibt sich oft genug als Lyssy aus, um der Verfolgung durch Lily, Pender und Cogan zu entgehen. Dies artet in ein heilloses Wirrwarr aus, das eher ärgert als mitreißt.

Jonathan Nasaw hat viel Potenzial verspielt, denn der Klappentext klingt noch ausgesprochen vielversprechend und gaukelt dem Leser vor, hier würde sich ein mörderisches Serienkillerpärchen auf eine blutige Flucht begeben. In Grundzügen stimmt das auch, doch beschreibt der Klappentext nur den zweiten Teil des Buches, der erste widmet sich ausschließlich dem Institut und dem Kennenlernen von Lily und Lyssy, außerdem gerät auch die Flucht nicht halb so blutig wie angekündigt. So viele Spannungsbremser finden sich in der Story, dass der Thriller nicht so recht zu packen weiß.

Unter dem Strich hat Jonathan Nasaw leider nicht an seine alten Psychothrillererfolge anknüpfen können. Er beruft sich nahezu ausschließlich auf bereits dagewesene Komponenten, die in „Die Geduld der Spinne“ noch so überzeugend umgesetzt waren; der vorliegende Thriller artet allerdings zu einem lieblos geschriebenen Abklatsch aus, der insbesondere zum Ende hin arge Hänger hat und einen faden Nachgeschmack hinterlässt. So bleibt nur zu hoffen, dass sich Nasaw für den nächsten Psychothriller wieder etwas ganz Neues ausdenkt, denn die Geschichte um Ulysses Maxwell scheint mir inzwischen arg ausgefranst zu sein.

http://www.heyne.de

_Jonathan Nasaw auf |Buchwurm.info|:_
[„Blutdurst“ 2299
[„Seelenesser“ 926
[„Angstspiel“ 430
[„Die Geduld der Spinne“ 82

Bardola, Nicola – Schlemm

|“Genug für andere gelebt, leben wir wenigstens dieses letzte Stück Leben für uns selbst … packen wir unsere Sachen; nehmen wir rechtzeitig Abschied von der Gesellschaft; machen wir uns los von diesen aufdringlichen Banden, die uns an anderes fesseln und uns von uns selbst entfremden.“| Montaigne

Paul Salamun hat Krebs. Er ist 75 und hat sein Leben gelebt, sodass er beschließt, sich nicht operieren zu lassen, keine lange Therapie durchzustehen und ohne Schmerzen und weiteres Leid aus dem Leben zu scheiden. Gemeinsam mit seiner Frau Franca beschließt er, sich am 9. Dezember das Leben zu nehmen, Franca will es ihm gleichtun, obwohl sie gesund ist. Sie informieren nur ihre beiden Söhne von dem geplanten Selbstmord, damit die Familie voneinander Abschied nehmen kann. Die Salamuns wenden sich an die „Right of Way Society“ (ROWS), die ihnen am festgesetzten Sterbetag den Todescocktail mixen und die beiden auf ihrem Weg aus dem Leben begleiten wird. Moderne Sterbehilfe, das ist möglich in der Schweiz, sorgt aber auch dort noch für Aufsehen.

Elf Tage vor dem 9. Dezember erfährt Sohn Luca von den Plänen seiner Eltern, mit denen er schon lange keinen guten Kontakt mehr hat. Nur noch elf Tage lang wird er das Kind seiner Eltern sein, danach werden sie ihrem Leben eigenhändig ein Ende setzen. Luca ist aufgewühlt, nur wenig Zeit bleibt ihm, um mit seinen Eltern ins Reine zu kommen, um Abschied zu nehmen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass seine Eltern ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmt haben. „Lebenssatt“ sind die beiden, wie Franca es bezeichnet. |“Eine späte Variante der eisernen Lunge. Kinder längst aus dem Haus. Erste Gebrechen, die Hüfte, Gallensteine. Mehr Falten. Alles erledigt. Alles Sehenswerte gesehen. Alles gelebt. Aufgaben erfüllt. Vieles nur noch Routine. Auch die kleinen Freuden – nur Wiederholungen. Neugier abhanden gekommen“.|

All dies erfährt Luca aus den Tagebüchern seines Vaters, die Paul seinem Sohn vermacht hat, um von seinem Leben zu erzählen und um seinem Sohn seine innersten Gedanken und Erlebnisse mitzuteilen. Einst war Paul ein begabter Mathematiker und leidenschaftlicher Bridge-Spieler, doch mit dieser Welt seines Vaters kann Luca nichts anfangen. Lange braucht es, bis er diese Begabungen seines Vaters nachvollziehen kann und bis er sein eigenes Interesse am Kartenspiel entdeckt.

Der Schweizer Autor Nicola Bardola hat ein – für deutsche Verhältnisse – heißes Eisen angefasst. Aktive Sterbehilfe ist hierzulande verboten, nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sich auch hier eine Organisation bildete, die Menschen mit Todeswunsch auf ihrem Weg begleiten und ihnen dann sogar den Todescocktail mixen würde. Doch ist es wirklich so abwegig, dass Menschen lieber ohne langes Leid sterben wollen? Wenn sie es noch selbst entscheiden können? Wenn sie noch selbst wissen, was sie tun und ihnen Gelegenheit bleibt, von ihren Freunden und Verwandten Abschied zu nehmen? Paul und Franca entschließen sich in „Schlemm“ dazu, genau dies zu tun. Und Bardola weiß, wovon er schreibt, denn seine eigenen Eltern sind diesen Weg gegangen. Bardola selbst findet sich in Luca wieder, dem Sohn, dem es so schwer fällt, den Wunsch seiner Eltern zu verstehen und der lange braucht, um dies zu verdauen.

Paul und Franca haben an alles gedacht, sie konnten ihre eigene Beerdigung planen. Am Tag vor ihrem Tod haben sie ihre Söhne und deren Ehefrauen zu einem letzten gemeinsamen Abendessen eingeladen. Anschließend haben sie alles beiseite geräumt, die Küche geputzt und die Briefe an die Bekannten zum Briefkasten gebracht, die erst dann ankommen würden, wenn bereits alles zu spät wäre. Wie aber lebt es sich mit dem Wissen, dass die eigenen Eltern diesen Schritt tun wollen? Wie soll man sich wirklich von ihnen verabschieden? Diese Frage versucht Bardola zu klären. In vielen Rückblicken erzählt er aus Pauls und Francas Vergangenheit, er beleuchtet ihre Ehe und lässt durchblicken, dass diese eigentlich gar nicht die beste gewesen ist. Doch wieso folgt Franca dann ihrem Mann, obwohl sie selbst doch noch gesund ist? Wieso dieser Wunsch, einem Mann zu folgen, der vielleicht gar nicht zu ihr gepasst hat? Die beiden unternehmen vor ihrem Tod einen langen Spaziergang zusammen, blicken über ihre Heimat, lassen ihr Leben Revue passieren, rauchen noch ein paar Zigaretten gemeinsam und stellen sich auf das nahende Ende ein.

Bardola ist sehr nah an den Menschen dran, er schildert ihre Gedanken, blickt in die Vergangenheit zurück und beschreibt ihre Handlungen und Gefühle. Doch missglückt dieser Versuch meiner Meinung nach. Bardola springt von einer Szene zur nächsten, er wechselt ständig die Zeitebenen, macht nur sehr kurze Kapitel, die kurzen, abgerissenen Gedankenfetzen gleichen. So mutiert „Schlemm“ zu einem Stück Prosa, dem jedweder Zusammenhang fehlt. Ich bin nie mit den Charakteren warmgeworden, die Handlung und Zeitebenen sind chaotisch und schwer nachvollziehbar. Und auch Nicola Bardolas teils recht kühle Sprache stand in einem zu krassen Gegensatz zu dem Thema, das er hier abhandeln möchte.

Auch wenn das Thema das Buches so wichtig ist, so beladen mit Gefühlen, mit Trauer, Verzweiflung, Abschied, so wenig schafft es Bardola letztlich, diese Gefühle zum Leser zu transportieren. Die permanenten Gedankensprünge stören immer wieder den Lesefluss und auch die vielen Exkurse über das Bridgespielen passen so gar nicht zum Thema Sterbehilfe. Die widersprüchlichen Kritiken – insbesondere über Bardolas Sprache – sind in einem Anhang im Buch zusammengefasst und machen nochmals deutlich, wie unterschiedlich sein Stil beurteilt wird. Mir persönlich war seine Sprache zu distanziert und abgeklärt, obwohl dies vielleicht für Bardola der Weg gewesen ist, um selbst eine Distanz zu diesem Buch herstellen zu können. So sehr ich es mir auch gewünscht hätte, ließ mich dieses Buch kalt und berührte mich trotz der dramatischen Thematik überhaupt nicht. Nur kurze Zitate, überaus treffende Beobachtungen, wie ich sie oben angeführt habe, ließen mich aufhorchen und stimmten mich nachdenklich, doch zu selten sind diese Passagen, die den Leser berühren, als dass ich dieses Buch weiterempfehlen könnte.

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Sabine Thiesler – Hexenkind

In einem einsamen Waldhäuschen wird Sarah Simonetti brutal ermordet. Ihre Kehle ist so tief durchgeschnitten, dass ihr Kopf fast abgetrennt wurde. Ihr Ehemann Romano ist erschüttert – wer könnte seine Frau ermordet haben? Schnell tauchen aber die ersten Verdachtsmomente auf, denn Sarah hatte einen jüngeren Liebhaber. Als dann die Polizei auch noch bemerkt, dass in der Küche der Trattoria, die die Familie Simonetti betreibt, das größte Messer fehlt, ist für den Chefermittler Donato Neri klar, dass Romano die Tat begangen hat. Kurzerhand nimmt er den Familienvater fest, der seinen behinderten Sohn Edi in der Obhut seiner Großeltern lassen muss und sich fortan in einer winzigen Zelle befindet, die von drei weiteren mutmaßlichen Mördern bewohnt wird.

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Sendker, Jan-Philipp – Flüstern der Schatten, Das

Paul Leibovitz lebt einsam und alleine, in freiwillig gesuchter Isolation auf einer kleinen Insel nahe bei Hongkong. Kein Ereignis, keine Menschen sollen seine Erinnerungen stören – Erinnerungen an seinen kleinen Sohn, der starb, bevor sein Leben richtig begonnen hatte. Justin war schon immer ein schmächtiger Junge, deswegen fielen die Symptome spät auf, doch bei Leukämie spielt die Früherkennung keine große Rolle. Dennoch plagt Paul sich auch Jahre nach Justins Tod noch mit Schuldgefühlen. Pauls Frau Meredith hat eine andere Art der Trauerbewältigung gewählt; sie hat sich noch mehr in die Arbeit gestürzt und sich noch häufiger im Ausland aufgehalten. Das Ende der Ehe war nur noch eine Frage der Zeit. Der große Schicksalsschlag hat die beiden sich entfremdenden Erwachsenen noch weiter voneinander entfernt.

Nur wenige Rituale sind es, die fortan Pauls Leben bestimmen, eines davon ist eine traditionelle Wanderung an Justins Todestag. Es ist heiß und Paul schwitzt schon, während er noch auf der Fähre nach Hongkong ist, doch dieser Tag wird sein Leben verändern. Auf der Spitze des Berges lernt er eine amerikanische Frau kennen, die dort in Ohnmacht fällt. Aus Hilfsbereitschaft bietet Paul an, sie ins Krankenhaus zu begleiten. Langsam beginnt die Frau zu erzählen, und zwar von ihrem 30-jährigen Sohn Michael Owen, der vor ein paar Tagen spurlos verschwunden ist. Sie bittet Paul, der sich in Hongkong besser auskennt, Nachforschungen anzustellen und sich bei der Polizei zu erkundigen, ob sie Michael schon gefunden haben. Tatsächlich ist Kommissar David Zhang einer der wenigen Freunde, zu denen Paul noch Kontakt hat. Auch wenn es ihn viel Überwindung kostet, weil er den Kontakt zur Außenwelt so weit wie möglich meiden möchte, ruft Paul seinen alten Freund an. Und dieser berichtet ihm dann von einer bisher nicht identifizierten Leiche eines Mannes, dessen Beschreibung der Michael Owens auf erschreckende Weise gleicht. Doch ein ausländischer Toter ist in China eine Sache, die es nicht geben darf. Der Fall soll also so schnell wie möglich unter den Teppich gekehrt werden. So beschließen David und Paul, der Sache gemeinsam auf den Grund zu gehen.

Noch ahnen die beiden nicht, welche Gefahren ihnen bei ihrer Suche drohen, denn Michael Owen war sehr vermögend und bewegte sich in den höchsten Kreisen Hongkongs, seine Freunde (oder doch Feinde?) sind mächtige Menschen, die man sich besser nicht zum Feind machen sollte. Auch Pauls Freundin Christine Wu, die Paul bislang immer auf Distanz gehalten hat, ängstigt sich (zu Recht) um Paul. Doch bei der Suche nach den Gründen für Michaels Ermordung kommen sich auch Paul und Christine langsam näher …

Zunächst beginnt „Das Flüstern der Schatten“ als gefühlvoller Roman, der die Trauer Paul Leibovitz‘ in so einfühlsamen und wortgewaltigen Sätzen beschreibt, dass es einem beim Lesen die Tränen in die Augen treibt. Jan-Philipp Sendker lässt sich hier viel Zeit, um Paul und seine Trauer zu entfalten. Sendker beschreibt Pauls Leben, seine Rituale, seine Gedanken an Justin und seine Verzweiflung, die nichts durchbrechen kann. Auch die Besuche und Telefonanrufe Christines werden Paul meist zu viel, da sie ihn in seiner Trauer und in seinen Gedanken an Justin stören. Es ist wirklich erstaunlich, welch überzeugende Worte Sendker findet, um all diese Gefühle und Facetten glaubwürdig ins rechte Licht zu rücken.

Doch mit der Begegnung zwischen Paul Leibovitz und Frau Owen wendet sich der Roman. Ein Mordfall ist aufzuklären, der eigentlich nicht geschehen durfte. Ein toter Ausländer ist schlecht fürs Image, es muss also schnellstmöglich ein Schuldiger her, und tatsächlich sitzt bald ein Verdächtiger im Gefängnis, der ein Geständnis unterschreibt. Bei seinen Nachforschungen hat David Zhang allerdings bereits erfahren, dass dieser Verdächtige ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit und das Geständnis mit großer Sicherheit nicht freiwillig unterschrieben hat. Schon hier wird die Bedrohung deutlich, die von dem Fall ausgeht. David und Paul müssen verdeckt ermitteln, um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden.

Ganz langsam entwickeln sich die Motive, wir kämpfen uns immer weiter in Michael Owens Leben vor, wir lernen seine Geliebte kennen, seine Arbeit und seinen Geschäftspartner, doch noch können wir die Zusammenhänge nicht durchschauen. Die meisten Protagonisten scheinen etwas verbergen zu wollen, sie geben David und Paul keine Auskunft und füttern sie nur häppchenweise mit Informationen, doch langsam kommen David Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit und er muss erkennen, dass Michaels Geschäftspartner für ihn kein Unbekannter ist. Langsam fügen sich die Puzzleteilchen zusammen und der Schuldige wird immer weiter eingekreist. Es ist eine unglaubliche Spannung, die Sendker aufbaut, denn der Leser weiß von Anfang an, was die beiden aufs Spiel setzen, indem sie gegen den Willen aller anderen auf eigene Faust ermitteln.

Obwohl in Pauls Leben schon genügend Aufregung Einzug gehalten hat, nimmt auch Christine Wu immer mehr Platz ein. Während er sich früher immer versteckt hat, wenn sie zu Besuch kam, sucht Paul nun von sich aus den Kontakt. Er verbringt die erste Nacht mit ihr, scheitert jedoch bei seinen Annäherungsversuchen, weil er sich auf diese Affäre noch nicht genügend einlassen kann. Seine Verzweiflung und Verwirrung wachsen weiter, doch erkennt Paul, dass er gar nicht anders kann, als Christine eine echte Chance zu geben. Wie zwei Jugendliche vor dem allerersten Kuss nähern die beiden sich zaghaft und behutsam an, gehen mal einen Schritt vorwärts, dann aber auch zwei zurück. Und all dies findet noch Platz in Jan-Philipp Sendkers Roman, der sich langsam zu einem Kriminalfall entwickelt, der auch an der Vergangenheit Chinas rüttelt. Der Mord an Michael Owen führt viel weiter; im Hintergrund passieren so viele Dinge, die Paul und David nur mühsam auseinander klamüsern.

„Das Flüstern der Schatten“ lässt sich keinem Genre zuordnen, es beginnt als Portrait eines trauernden Menschen, entwickelt sich dann zu einem Kriminalfall, rollt politische Hintergründe auf, schildert aber auch die Liebesgeschichte zweier Menschen. Obwohl dies sehr viele Elemente für ein Buch von nur knapp 450 Seiten sind, schafft es Sendker, die meisten davon überzeugend auszubauen. Die Krimi-Anteile konnten mich persönlich nicht vollauf überzeugen, da der Schuldige zu offensichtlich ist und sich gleich als Erster anbietet. Die Hintergründe aufzuklären, ist dabei schon deutlich aufwändiger. Sprachlich gefällt das Buch aber ausgesprochen gut; Sendker gelingt es, jede Gefühlsregung, jede Situation und jede Figur glaubwürdig und in beeindruckender Wortwahl zu beschreiben. Wer etwas über China lesen und lernen möchte, der ist hier genau richtig.

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Canavan, Trudi – Priester (Das Zeitalter der Fünf 1)

Fantasybücher gibt es wie Sand am Meer, doch nach guten Geschichten und Serien, die einen von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann ziehen, sucht man doch etwas länger. Trudi Canavans „Gilde der Schwarzen Magier“ war hier eine höchst erfreuliche Entdeckung, die allerdings nach dem dritten Band ein ziemliches Loch hinterlassen hat. Bevor Canavan nun Prequel und Sequel nachliefert, muss diese Zeit überbrückt werden, und da kommt ihre zweite Fantasyreihe „Das Zeitalter der Fünf“ gerade recht.

_Frauenpower_

Im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht Auraya, die mit dem Traumweber Leiard befreundet ist und von diesem einiges über die Heilkunst der Traumweber lernt. Doch diese Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als Aurayas erstaunliche magische Fähigkeiten entdeckt werden und sie fortan als Priesterin lebt. Denn als Priesterin gehört sie einem anderen Glauben an als die Traumweber; sie ist den weißen Göttern unterstellt, die sich fünf Vertreter auf der Erde erwählt haben, nämlich die weißen Priester.

Auraya wird schließlich die fünfte Auserwählte und muss fortan die weißen Götter vertreten, die es allerdings verbieten, die Heilkunst der Traumweber anzunehmen, obwohl deren Heilkunst deutlich mächtiger ist als diejenige der Priester von Ithania. Auraya versucht zwischen den beiden Völkern zu vermitteln und beruft Leiard zu ihrem Berater, der die Vermittlerrolle auf Seiten der Traumweber übernehmen soll. Obwohl die Verbindung vielen ein Dorn im Auge ist, fühlen sich Auraya und Leiard immer mehr zueinander hingezogen und beginnen bald eine leidenschaftliche Affäre.

Diese wird jedoch unterbrochen, als schwarze Magier auftauchen, die dem Volk der Pentadrier gehören. Diese glauben an andere Götter und sind deswegen mit Nord-Ithania verfeindet, dessen Bewohner davon ausgehen, dass sie an die einzig wahren Götter glauben. Die weißen Priester stellen sich den schwarzen Magiern und müssen erschrocken feststellen, dass sie ihnen kräftemäßig unterlegen sind. Ein Krieg zwischen den verfeindeten Völkern bahnt sich an, für den die Anhänger der weißen Götter dringend Verbündete brauchen.

Zu diesem Zweck reist Auraya, die auf der Flucht vor einem Pentadrier die Kunst des Fliegens erlernt hat, zum Volk der Siyee. Die Siyee sind ein kleines, zartes Völkchen, das von der Göttin Huan erschaffen wurde und nun im unwirtlichen Land Si lebt, das zu Fuß nur schwer zu erreichen ist. Doch nun werden die Siyee von Landgängern bedroht, die Si erreichen und die Siyee bedrohen. Diese können sich allerdings nur schlecht wehren, denn ihre Körper sind so zart und ihre Flügel so zerbrechlich, dass sie kaum fliegen, geschweige denn dabei mit Waffen hantieren können. Der Siyee Tryss will dies allerdings ändern; er entwirft einen Harnisch, der so leicht ist, dass er damit immer noch fliegen kann, der ihm aber das Mitführen einer Waffe ermöglicht. Doch besonders seine Cousins verspotten Tryss und glauben nicht an seinen Erfolg. Nur die hübsche Drilli, in die nicht nur Tryss, sondern auch seine verhassten Cousins verliebt sind, glaubt an Tryss und unterstützt ihn sogar mit eigenen Ideen. Was die beiden noch nicht ahnen, ist allerdings, dass ihnen bald ein Krieg drohen könnte, der den Harnisch erforderlich machen wird. Auraya fliegt also zu den Siyee und gewinnt nach und nach die Sympathien des Volkes, das sie schließlich von einer Allianz mit dem Volk der Weißen überzeugen kann. Ein weiteres Volk, das im Wasser lebt, soll Auraya vor Ausbruch des Krieges noch zu einer Allianz überzeugen, doch bei ihnen nützt ihr die Fähigkeit des Fliegens nicht, sodass ihr Auftrag noch deutlich schwieriger ist als bei den Siyee.

In einem weiteren Handlungsstrang lernen wie eine Zauberin kennen, die den Traumwebern angehört. Emerahl ist eine mächtige Heilerin, die sich aber bald von den Priestern verfolgt findet. Nur knapp kann sie ihren Widersachern entkommen, indem sie ihren eigenen Tod vortäuscht. Um ihr Leben wieder aufnehmen zu können, verzaubert sie sich in eine junge, gutaussehende Frau mit feurigen roten Haaren. Da sie nun nicht länger Heiltränke verkaufen kann, um die Priester nicht erneut auf ihre Spur zu locken, beschließt Emerahl, als Prostituierte zu arbeiten. Dank ihres neuen verjüngten Äußeren wird bald die Besitzerin des renommiertesten Bordells auf sie aufmerksam, die Emerahl – die ihren Namen bald in Jade ändern muss – davon überzeugt, im Bordell zu arbeiten. Dort avanciert sie schnell zur beliebtesten Prostituierten, aber insgeheim plant sie längst ihre Flucht, die jedoch vom Krieg noch erschwert werden wird …

_Krieg und Frieden_

Die Messlatte liegt hoch; Trudi Canavan hat bereits bewiesen, dass sie hervorragende Fantasybücher schreiben kann, dass sie Fantasie besitzt, interessante Charaktere mit Ecken und Kanten zeichnen und eine ganz eigene Welt entwerfen kann. Umso spannender war für mich die Frage, ob sie dies auch in ihrer zweiten Serie schafft und ob diese sich dann auch noch von der Gilde der Schwarzen Magier abheben kann, wo all die Charaktere mitspielen, die mir im Laufe von drei Büchern so sehr ans Herz gewachsen sind.

Zunächst fallen allerdings die Parallelen auf: Auraya ist genau wie ihre „Vorgängerin“ Sonea rebellisch, sie verfügt zwar über außergewöhnliche magische Fähigkeiten, aber trotzdem lässt sie sich nicht in einen Käfig zwängen; sie will sich ihre Freunde selbst aussuchen und nimmt es dabei auch in Kauf, anzuecken und sich Feinde zu machen. Gegen den Willen der Götter und der anderen weißen Priester lässt sich Auraya auf eine Affäre mit Leiard ein, die sie zwar anfangs noch geheimhalten kann, die aber natürlich zwangsläufig auffliegen muss und dann für einen großen Skandal sorgt. Die Parallelen hören allerdings glücklicherweise bald auf: Bei Auraya überspringen wir die Jugend, sodass nahezu das gesamte Buch in einer Zeit geschrieben ist, in der sie zwar noch viel lernen muss, in der sie aber bereits über große Fähigkeiten verfügt und die Götter sie unsterblich gemacht haben. Dass sie allerdings immer noch verwundbar ist, muss Auraya schnell schmerzhaft erfahren, als sie dem ersten Pentadrier gegenübertritt.

Obwohl der vorliegende Band erst der Einstieg in die Reihe „Das Zeitalter der Fünf“ ist, droht schon früh ein großer Krieg zwischen den Weißen und den Pentadriern. Die Vorstellung der verschiedenen fantastischen Völker und die Zeichnung der Charaktere ist folglich geprägt von der nahenden Kriegsgefahr, in der die handelnden Figuren auf der Jagd nach Verbündeten sind, die das Zünglein an der Waage sein könnten. Besonders hervorzuheben sind hier die Siyee, die Canavan ausgesprochen liebevoll und zeitintensiv präsentiert. Schon lange, bevor Auraya sich nach Si aufmacht, lernen wir Tryss und sein Volk kennen, das an der Macht der Götter zu zweifeln beginnt, weil Huan sie so verletzlich und schwach gemacht hat, dass sie eher eine verunglückte Ausgeburt der Götter zu sein scheinen. Doch Auraya ist sofort fasziniert von den Siyee, die zwar nie große Krieger sein können, allerdings ihren Beitrag leisten wollen (und werden!). Das Wasservolk dagegen, das Canavan anschließend vorstellt, erreicht lange nicht die Faszination der Siyee und spielt im weiteren Verlauf des Buches auch keinerlei Rolle; warum Auraya dieses Volk also aufsuchen musste, ist mir bis zum Schluss des ersten Bandes ein großes Rätsel geblieben, und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass sich das noch einmal ändern wird.

_Auf in den Kampf_

Verwundert hat mich, dass Trudi Canavan die Weichen so früh stellt und Nord-Ithania so schnell von dunklen Magiern bedroht wird, denn in der |Gilde der Schwarzen Magier| hat es deutlich länger gedauert, bis schwarze Magie zum großen Thema wurde. Allerdings kommt so trotz der ausschweifenden Beschreibungen und all der vielen Details, die Canavan in ihre Geschichte hineinstrickt, kaum Langeweile auf. Denn zwischendurch verlangt die Autorin zugegebenermaßen einen ziemlich langen Atem von ihren Lesern. Ihre Erzählung teilt sie ein in drei Haupthandlungsstränge, von denen nur einer Auraya begleitet. Der zweite Handlungsfaden handelt von Tryss und seiner Erfindung, seinen Problemen mit seinen Cousins und der aufkeimenden Liebe zwischen ihm und Drilli. Der dritte Handlungsstrang widmet sich der Traumweberin Emerahl, die so alt ist, dass sie sogar noch den berühmt-berüchtigten Traumweber Mirar kennt, der bereits vor einiger Zeit von den weißen Göttern besiegt wurde. Doch auch Mirar findet seinen Eingang in die Geschichte, denn in Leiards Person schlummert noch eine zweite, nämlich die von Mirar. Oftmals spricht Mirar wie ein zweites Ich zu Leiard, allerdings wird Mirar im Laufe der Zeit immer stärker, sodass er später sogar die Kontrolle über Leiard übernehmen, für ihn sprechen und handeln kann.

Welche Rolle Mirar und Emerahl in der weiteren Geschichte einnehmen werden, ist bislang unklar; Trudi Canavan nimmt sich zwar viel Zeit, um Emerahl detailliert vorzustellen und ihre Geschichte zu erzählen, doch am eigentlichen Geschehen ist sie niemals beteiligt, sodass wir auf ihren großen Auftritt noch warten müssen.

_Fantasievoller Einstieg_

Ähnlich wie bei der |Gilde der Schwarzen Magier| nimmt Trudi Canavan sich viel Zeit, um ihre Figuren vorzustellen, die verschiedenen Völker, das unbekannte und fantastische Land, und um ihre Leser auf die Geschichte einzustimmen. So war der gut 800-seitige erste Band kein wirklicher Pageturner, auch wenn wegen des drohenden Krieges früh viel Spannung aufgebaut wird. Was Canavan aber wieder einmal hervorragend gelingt, ist die Tatsache, dass man praktisch sofort weiterlesen möchte, weil man seine neuen Fantasyhelden mitten in der Geschichte verlassen musste.

Dank der liebevollen Charakterzeichnung, einer sympathischen Auraya, die eine sehr unglückliche Beziehung zu Leiard führt, und dank der spannungsgeladenen Atmosphäre animiert „Priesterin“ definitiv dazu, auch gleich zum zweiten Band und dann zum abschließenden dritten zu greifen. Zwar reicht der Einstiegsband dieser Reihe nicht an den dritten Teil der |Gilde der Schwarzen Magier| heran, doch auch Canavans erste Fantasyreihe begann erst ganz gemächlich und steigerte sich dann zu einem unglaublichen Tempo, sodass ich davon ausgehe, dass Canavan auch bei „Das Zeitalter der Fünf“ in den Folgebänden noch ein paar Briketts auflegen wird, denn natürlich wollen wir wissen, wie es mit Auraya weitergeht, ob Leiard Mirar in sich besiegen kann, ob die weißen Götter gegen die Pentadrier gewinnen können und welche Rolle Emerahl im Gesamtgefüge spielt. All diese Fragen sind offen geblieben und ich brenne darauf, die Antworten zu erfahren.

http://www.cbj-verlag.de

|Originaltitel: Priestess of the White (Age of the Five 1)
Originalverlag: Orbit / [Blanvalet]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/344224479X/powermetalde-21
Aus dem Englischen von Michaela Link
Ab 12 Jahren
Taschenbuch, 832 Seiten, 12,5 x 18,3 cm|

_Trudi Canavan auf Buchwurm.info:_
[„Die Rebellin“ 3041 (Die Gilde der Schwarzen Magier 1)
[„Die Novizin“ 2989 (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)
[„Die Meisterin“ 3065 (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

Clark, Mary Higgins – Und hinter dir die Finsternis

Die Grande Dame der Kriminalliteratur meldet sich mit einem neuen packenden Roman zurück und zeigt, dass sie auch im hohen Alter noch nichts von ihrer Fähigkeit verlernt hat, ihre Leser mitzureißen und vor allem zu überraschen.

_Mord in der High Society_

Kay Lansing ist Bibliothekarin und auf der Suche nach der richtigen Location für eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Sofort kommt ihr der Gedanke an das Anwesen der sagenumwobenen Familie Carrington. Die Carringtons sind nämlich nicht einfach nur steinreich, sondern die Familie umgibt auch viele Geheimnisse. Vor 22 Jahren ist nach der Party bei den Carringtons ein junges Mädchen spurlos verschwunden und Peter Carrington, der Sohn des Hauses, der inzwischen zum Herren über das Anwesen aufgestiegen ist, haftet immer noch der Verdacht an, für dieses Verschwinden verantwortlich zu sein. Aber auch seine erste Frau Grace ist auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen, und es konnte nie geklärt werden, ob sie Selbstmord begangen hat, verunglückt ist oder gar ermordet wurde.

Als Kay Lansing zum ersten Mal Peter Carrington in natura trifft, um ihn wegen der Wohltätigkeitsveranstaltung zu fragen, verliebt sie sich trotz aller Gerüchte, die seine Person umgeben, auf den ersten Blick in ihn. Und diese Gefühle beruhen auf Gegenseitigkeit. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre und heiraten kurz darauf. Klingt alles nach einem Happy-End, doch bald holt Peters Vergangenheit ihn ein, als Gladys Althorp, die Mutter des verschwundenen Mädchens, einen Privatdetektiv engagiert, der endlich das Geheimnis um das Verschwinden ihrer Tochter Susan aufklären soll. Und tatsächlich, Nicholas Greco findet schnell eine Zeugin, die ihre Aussage von damals, die Peter Carrington entlastet hat, zurücknimmt. Als ein weiteres Beweisfitzelchen auftaucht, das Peter belastet, wird er festgenommen.

Nun beginnt auch Kay auf eigene Faust, den Familiengeheimnissen auf die Spur zu kommen, weil sie immer noch felsenfest an die Unschuld ihres Mannes glaubt, obwohl doch alles gegen ihn spricht. Auch Kays Großmutter, die seit dem frühen Tod ihrer Mutter und dem Selbstmord ihres Vaters vor 22 Jahren immer wie eine Mutter für Kay war, misstraut Peter Carrington und macht sich Sorgen um ihre Enkelin. Als diese entdeckt, dass sie schwanger ist, könnte sie eigentlich glücklich sein, doch ihr Mann sitzt derweil in Untersuchungshaft und muss sich immer schwereren Vorwürfen aussetzen. Langsam kommen auch Kay Zweifel, denn sie erinnert sich an eine Nacht kurz nach der Hochzeit, als sie ihren Mann beim Schlafwandeln am Pool gesehen hat, wie er versucht hat, etwas (oder jemanden?) unter Wasser zu drücken. Hat er womöglich die Morde im Schlaf begangen? Die Polizei ermittelt und findet kurze Zeit später zwei Leichen auf dem Anwesen der Carringtons …

_In dubio pro reo?_

In gewohnter Manier führt uns Mary Higgins Clark durch ihren Kriminalroman, und wieder einmal sind mysteriöse Morde aufzuklären, deren Täter fast schon festzustehen scheint. Doch wie nicht anders zu erwarten war, ist bei Mary Higgins Clark nie etwas so, wie es scheint. Gemeinsam mit Kay Lansing begeben wir uns auf Spurensuche und finden zunächst immer mehr erdrückende Hinweise, die für die Schuld Peter Carringtons sprechen. Alle Menschen sind von Peters Unschuld überzeugt und als er von Kay erfährt, dass er immer noch schlafwandelt und dabei die Morde „nachstellt“, glaubt er fast schon selbst an seine Schuld. Das Problem ist nur, dass in den USA Menschen auch für Morde verurteilt werden können, die sie ohne ihr Wissen im Schlaf begangen haben. Trotzdem will Peter ein Zeichen setzen, begibt sich in ein Schlaflabor, um endlich zu beweisen, dass er sich nicht an das erinnern kann, was er im Schlaf tut.

Nach und nach entdecken wir immer mehr Spuren, die auch den Selbstmord von Kays Vater in einem ganz neuen Licht zeigen. Seine Leiche konnte nämlich nie gefunden werden und auch ein Abschiedsbrief fehlte. Es gab also immer wieder Gerüchte, ob Kays Vater nicht verschwunden ist, weil er womöglich mit Susan Althorps Verschwinden zu tun hat. Doch Kay mag an diese Theorie nicht glauben, wird aber bald eines Besseren belehrt. Langsam kehrt auch eine Erinnerung zurück an die Nacht von Susans Verschwinden: Ihr Vater arbeitete damals nämlich als Gärtner für die Carringtons. In besagter Nacht musste er Kay mitnehmen zum Anwesen, um vor der Party noch etwas zu klären. Aus Neugierde schlich Kay damals in die Kapelle des Anwesens und wurde Zeugin eines Streites zwischen einem Mann und einer Frau. Die Frau wollte damals Geld haben, doch der Mann wies sie ab. Kay hat diesem Ereignis nie viel Bedeutung beigemessen, doch irgendwann beginnt sie sich zu fragen, ob sie nicht Peter und Susan belauscht hat und damit das Motiv für Peters Tat kennt.

Die Ermittlungen sind packend, spannend und verwirrend. Als Fan der Romane Mary Higgins Clarks war ich mir von Anfang an sicher, dass die Grande Dame mich wieder auf eine falsche Spur führen will, doch auch dieses Mal gelingt ihr dies voller Überzeugung, denn man kann sich bald gar nicht mehr vorstellen, wie Peter überhaupt unschuldig hätte sein können; doch wenn die große Krimiautorin eines kann, dann schier hoffnungslose Situationen überraschend aufklären. Und so hat Mary Higgins Clark auch hier wieder die eine oder andere Überraschung parat, mit der man ganz sicher nicht gerechnet hat. Nach und nach fügen sich alle Teilchen zu einem schlüssigen Ganzen zusammen, doch erst ganz spät kann man erahnen, wer womöglich noch ein Motiv für die Taten hätte haben können. Allerdings muss ich gestehen, dass ich immer jemand anderen im Blick hatte.

_Ein Leben wie im Märchen_

Große Teile des Romans sind aus der Ich-Perspektive Kays erzählt. Kay erzählt ihre Geschichte, offenbart uns ihre Gedanken und Ängste. Doch gleichzeitig gibt es auch immer wieder Passagen, die aus Sicht eines neutralen Beobachters geschrieben sind und dafür sorgen, dass wir nichts verpassen, sondern immer dort dabei sind, wo etwas Wichtiges passiert. Mary Higgins Clark eröffnet hier viele Schauplätze; so lernen wir die beiden Hausangestellten der Carringtons kennen, die schon viele Jahre dort arbeiten und die guten Seelen des Hauses zu sein scheinen. Doch natürlich haben auch diese beiden etwas zu verbergen. Wir treffen Peters Stiefmutter und ihren Sohn Richard Walker, die immer noch auf dem Anwesen leben, obwohl Peters Vater längst verstorben ist. Peters Verhältnis zu den beiden ist gut, doch Kay misstraut ihnen bald. Richard Walker betreut eine Kunstgalerie, die allerdings mehr schlecht als recht läuft, außerdem macht er beim Pferdewetten immer mehr Schulden, sodass seine Mutter ihm immer häufiger aus der Patsche helfen muss.

Den größten Raum im Buch erhält Kay Lansing, die die Liebe ihres Lebens gefunden hat, um diese aber gleich wieder zu verlieren. Verzweifelt sucht sie nach Hinweisen, die ihren geliebten Mann entlasten könnten. In unerschütterlicher Weise glaubt sie weiterhin an seine Unschuld, obwohl doch alles gegen ihn spricht. Teilweise konnte ich ihren festen Glauben nicht mehr nachvollziehen, aber Liebe macht ja bekanntlich blind.

Eine weitere wichtige Figur ist der Privatermittler Nicholas Greco, der zunächst für Susan Althorps Mutter arbeitet, der seine Dienste aber später auch für die Gegenseite verkauft. Greco ist stets auf der Suche nach der Wahrheit, doch hat man manchmal das Gefühl, dass er sich zu früh eine eigene Meinung bildet und dabei wichtige Hinweise übersieht. Doch am Ende wendet sich alles zum Guten und er findet gemeinsam mit Kay die Wahrheit heraus.

Durch das Auftreten zahlreicher Figuren gewinnen nur wenige genügend Profil, dennoch überzeugt die Charakterzeichnung über weite Strecken.

_Wettlauf mit der Zeit_

„Und hinter dir die Finsternis“ packt von der ersten Seite an und reißt den Leser mit, da man unbedingt wissen muss, was im Keller der Familie Carrington für Leichen begraben sind. Mary Higgins Clark inszeniert ein rasantes Katz-und-Maus-Spiel gegen die Zeit, denn sollte Peter wirklich unschuldig sein (und alles andere wäre nun wirklich zu simpel), dürfte der wahre Mörder sich in Kays unmittelbarer Nähe befinden und es sollte ihm viel daran gelegen sein, Peter für diese Taten im Gefängnis zu wissen. Wie man es von Mary Higgins Clark gewöhnt ist, hebt sie sich ihr großes Überraschungsmoment so lange auf, bis sie nicht mehr länger warten kann, und so erwartet den Leser auch hier ein Finale, das sich gewaschen hat. Was ich der Autorin hier hoch anrechnen möchte: Sie dreht nicht im letzten Moment alles um, was sie vorher aufgebaut hatte, nur um den größten Effekt zu erreichen, nein, sie löst ihre Geschichte überzeugend auf, erklärt die Motive und präsentiert uns den wahren Täter. Zwar ist das Auffinden dieses Täters vom einen oder anderen Zufall begleitet, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte ein wenig leiden lässt, aber die Auflösung ist absolut stimmig und überzeugt auf ganzer Linie. So bleibt nur zu hoffen, dass die Großmeisterin der Kriminalliteratur uns noch viele weitere ähnlich spannende Krimis bescheren wird.

|Originaltitel: I Heard That Song Before
Originalverlag: Simon & Schuster
Aus dem Amerikanischen von Andreas Gressmann
Gebundenes Buch, 400 Seiten, 13,5 x 21,5 cm|
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Becka, Elizabeth – Engelsgleich

Den perfekten Mord gibt es vielleicht nicht, doch das perfekte Todesarrangement, das präsentiert uns Elizabeth Becka, und zwar gleich in dreifacher Ausführung …

_Ein Kunstwerk_

Die schwerreiche Grace Markham wird ermordet in ihrer teuer eingerichteten Wohnung aufgefunden. Eigentlich ist die Wohnung eine Festung: Nur mit einem bestimmten Code, den nur Grace, ihr Mann und ihr Zugehmädchen kennen, kann man den Aufzug überhaupt dazu bewegen, in der richtigen Etage zu halten, und doch hat es ihr Mörder bis in diese Festung hineingeschafft und Graces Leiche kunstvoll arrangiert. Mit Gurten befestigt, sitzt sie auf einem Stuhl, die Hände auf den Tisch gelegt. Ein teures Collier schmückt ihren Hals, doch gerade dieses hätte dem Mörder im Weg sein müssen, denn Grace Markham wurde erwürgt. Bleibt nur eine Lösung: Das Collier gehört ebenfalls zum Arrangement und wurde ihr nach der Tat angelegt. Wer würde so etwas tun?

Bevor die Forensik-Expertin Evelyn James darauf eine Antwort findet, wird auch ihre Kollegin und Freundin Marissa in genau dem gleichen Haus angegriffen, doch glücklicherweise kann sie dem Angreifer entkommen, bevor er auch sie ermorden kann. Marissa liegt schwer verletzt im Krankenhaus und wird künstlich beatmet. Hat sie den Angreifer gesehen und vielleicht erkannt? Diese Fragen kann Marissa nicht beantworten, und vielleicht wird sie es auch nie können, denn der Mörder folgt ihr ins Krankenhaus und versucht dort, seine schreckliche Tat zu vollenden.

Evelyn tappt im Dunkeln. Zwar konnte die DNA des Täters an Grace Markhams Leiche sichergestellt werden, da sie post mortem vergewaltigt wurde, doch nutzt das wenig ohne eine einzige Spur auf den Mörder. Nur einige Farbspuren auf Graces Kleidung und ein merkwürdiges Wachsmalbild am Kühlschrank scheinen nicht in die ansonsten perfekte Wohnung zu passen. Gehört beides zur Visitenkarte des Täters? Evelyn vermutet es und versucht, die Spuren zu analysieren. Doch wie kommt eine Kinderzeichnung aus Wachsmalstiften in Grace Markhams Wohnung, die doch keinerlei Kontakte zu Kindern hatte?

Bald wird eine zweite Leiche gefunden, die noch vor Grace Markham den Tod gefunden hat, allerdings erst entdeckt wurde, als bereits die Verwesung eingesetzt hat. Frances Duarte ist auf die gleiche Weise ums Leben gekommen wie Grace Markham, und auch hier finden sich kaum verwertbare Spuren, bis auf die gleichen Farbspuren, merkwürdige Fettflecken und ein ähnliches Kinderbild. Wo liegt die Verbindung zwischen den beiden Frauen? Oder hat der Mörder sie zufällig ausgewählt? An diese Theorie mag Evelyn nicht denken, denn sie entdeckt ein Beuteschema, das sie nach langer Ermittlungsarbeit schließlich auch auf eine heiße Spur führen wird, doch wird sie den Mörder rechtzeitig finden oder fällt sie ihm womöglich selbst zum Opfer?

_Katz- und Maus-Spiel_

Elizabeth Becka lässt sich nicht viel Zeit; gleich auf den ersten Seiten begleiten wir Evelyn James bei ihrer grausigen Arbeit am Tatort. Sie sammelt Spuren ein, wo sie keine vermutet, und grübelt über ein mögliches Tatmotiv. Doch die drängendste Frage ist wohl die, wie der Täter in eine so perfekt gesicherte Wohnung eindringen konnte. Genau hier verbirgt sich jedoch die Lösung, aber Becka verpackt diese so geschickt, dass man sie einfach nicht bemerken will.

Die Spurenauswertung verläuft träge, Evelyn findet nicht die richtigen Wachsmaler und weiß einfach nicht, wie eine Kinderzeichnung in die Wohnung zweier reicher Frauen kommen kann, die gar keine Kinder haben. Auch eine Verbindung zwischen den Opfern findet sich zunächst nicht. Doch Evelyns Ehrgeiz ist geweckt. Es ist nicht nur die Neugier, die sie umtreibt, es ist auch die Angst um ihre Freundin Marissa, die hilflos im Krankenhaus und damit auf dem Präsentierteller für den Mörder liegt. Dem möchte Evelyn allerdings zuvorkommen. Hartnäckig und auch jenseits ihrer Kompetenzen ermittelt sie auf eigene Faust, gibt sich als Ärztin aus, um an mehr Informationen heranzukommen, und bringt sich dabei sogar selbst in tödliche Gefahr.

Die Polizei dagegen scheint machtlos, sie findet keine heiße Spur und auch keine Zeugen. Die Gebäude, in denen die Opfer gewohnt haben, sind zwar videoüberwacht, dennoch findet sich keine Aufnahme von dem Mörder; es scheint, als müsse man ein Phantom jagen. Doch dass dieses Phantom aus Fleisch und Blut ist, wird spätestens Evelyn am eigenen Leib spüren müssen.

Die Jagd nach dem Mörder, die kleinschrittige Spurensuche und die Frage nach der Verbindung zwischen den Opfern treiben nicht nur Evelyn und die Polizei an, sondern auch den Leser. Elizabeth Becka streut nur wenige Indizien ein, lässt den Fall lange vor sich hinplätschern, ohne dabei aber den Spannungsbogen leiden zu lassen, denn immer fühlt man sich vom unbekannten Mörder bedroht und spürt die nahende Gefahr. Im Nu hat man das Buch durchgelesen, weil man es einfach nicht mehr aus der Hand legen kann. Der Fall ist packend und rasant geschrieben; Becka inszeniert einen nahezu perfekten Spannungsbogen, der zwischendurch nicht einmal abbricht – bravo!

_Einsame Heldin_

Im Mittelpunkt des Buches steht Evelyn James, die zwar nicht die Ermittlungen leitet, aber ihre eigenen Motive hat, die sie antreiben und auf eigene Faust ermitteln lassen. Des Nachts wird Evelyn aus dem Bett geklingelt, um an den nächsten Tatort zu eilen, doch begibt sie sich auch freiwillig mitten in der Nacht in ihr Labor, um die drängendsten Fragen aufklären zu können. Während die Polizei auf der Stelle tritt, findet sie ein Indiz nach dem anderen und kombiniert diese schlau, bis das Bild des Täters immer klarer wird.

Dabei hat Evelyn James auch genügend eigene Probleme; ihre Tochter ist unglücklich verliebt und ihr Freund (oder doch Ex-Freund?) steht unter genauer Beobachtung durch Evelyn, die ihre Tochter vor allem Übel der Welt beschützen will. Doch das ist natürlich nicht so einfach bei einer Tochter, die flügge wird. Gleichzeitig befindet sich ihre Liebelei mit dem Polizisten David Riley in der Krise; der möchte nämlich endlich bei Evelyn einziehen, sie denkt allerdings noch mit Schrecken an ihre Scheidung zurück und möchte sich lieber noch nicht zu eng binden, außerdem fragt sie sich immer wieder, ob sie aus den richtigen Motiven mit David zusammen ist oder nur deswegen, weil sie ihn gerade braucht.

Je länger wir Evelyn bei ihrer Arbeit begleiten, umso besser lernen wir sie kennen. Während sie dem Mörder auf die Spur kommen will, verblasst die gesamte Polizeiarbeit nebenbei und erhält deswegen auch nur wenig Raum im Buch. David Riley und seinen Kollegen stellt Elizabeth Becka aber trotzdem vor, damit Evelyn das Buch nicht ganz alleine bestreiten muss. Beckas Charaktere sind sympathisch, menschlich und vor allem herrlich „unperfekt“. Genau diese allzu menschlichen Fehler sind es, welche die Distanz zwischen Leser und Romanfigur überbrücken und einen in jeder Situation mit Evelyn fühlen lassen. Ich bin schon jetzt neugierig auf die Fortsetzung, weil ich einfach wissen muss, wie es mit Evelyn James weitergeht.

_Teuflisch gut_

Mit ihrem zweiten Thriller um die Figur Evelyn James hat Elizabeth Becka genau ins Schwarze getroffen. Das Buch ist spannend von der ersten Seite an und lässt den Leser bis zur letzten Seite nicht mehr los. Die Charaktere sind gelungen und auch die Auflösung weiß zu überzeugen – was will man mehr?

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Philip Kerr – Game over

Computerspiele sind gefährlich, das vermitteln uns nicht nur die Medien, sondern auch Politiker oder Eltern. Welche Auswirkungen sie in der Zukunft haben könnten, malt uns Philip Kerr in seinem packenden Thriller „Game over“ aus, in welchem ein Computer sich selbstständig macht und auf Menschenjagd geht.

Häusle baue

Ray Richardson ist nicht einfach nur ein erfolgreicher und schwerreicher Architekt, nein, er plant in Los Angeles das ultimative High-Tech-Hochhaus, in dem praktisch alle Funktionen computergesteuert sind, und zwar von einem Rechner, den seine Programmierer liebevoll Abraham genannt haben. Doch Abraham ist nicht einfach nur irgendein Computer; er beginnt bereits während der Bauarbeiten, von seinen „Bewohnern“ zu lernen und neue Prozesse zu steuern, er verbessert sich und bringt seinen eigenen Sohn hervor – Isaac. Doch leider geschieht dies zu früh, denn noch ist das Bürohaus nicht von seinen eigentlichen Nutzern bewohnt, sondern von den Bauarbeitern, Architekten und Computerspezialisten. Schweren Herzens beschließen die Programmierer daher, Isaac zu löschen. Dass sie damit eine Katastrophe auslösen, ahnen sie zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

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Hawking, Lucy & Stephen – geheime Schlüssel zum Universum, Der

Das Weltall, unendliche Weiten – kaum etwas fasziniert so sehr wie der Kosmos, doch kaum etwas ist schwieriger zu begreifen als die Physik, die sich dort abspielt. Im Weltall sind schwarze Löcher verborgen, wir sehen Sterne am Nachthimmel, die bereits lange ihr Leben ausgehaucht haben und doch trotzdem noch für uns leuchten, und wir entdecken immer noch neue Physik. Das Weltall birgt für die Menschen noch so viele Geheimnisse, dass es kaum wundert, dass sich selbst der Nicht-Physiker dafür interessiert, was jenseits unserer Erde zu finden ist und was sich außerhalb unserer Galaxie abspielt. Und auch Kinder fragen schon früh nach den Sternen am Himmel. Dass man ihnen einfache Antworten geben kann, das beweisen Lucy und Stephen Hawking in ihrem neuesten Gemeinschaftswerk.

_Schwein gehabt_

Auf der Suche nach seinem entlaufenen Schwein Freddy krabbelt der kleine George in den nachbarlichen Garten, auch wenn ihm seine Eltern dies strengstens verboten haben. Aber das ist nicht das Einzige, was sie ihm verbieten. George darf keinen Computer besitzen und die Familie kommt auch ohne Fernseher aus, denn all diese technischen Neuerungen sind der Anfang vom Ende unserer Erde – so glauben zumindest Georges Eltern. Dass er deswegen in der Schule gehänselt wird und seine Schulkameraden über die merkwürdigen Pausenbrote lachen, das ahnen Georges Eltern wahrscheinlich nicht. Doch an diesem einen Abend muss er sich ihnen einfach widersetzen, denn Freddy ist sein einziger richtiger Freund, und wenn es in Nachbars Garten nun wirklich gefährlich ist, dann muss er sein geliebtes Schwein eben retten.

Langsam geht er auf das Nachbarhaus zu, dessen Eingangstüre geöffnet steht. George schleicht sich ins fremde Haus und folgt den Spuren seines Schweins, das er in der Küche findet, wo es eine gefährlich aussehende dunkelrote Flüssigkeit trinkt. George glaubt sofort an eine Falle und vermutet Gift in der Schüssel, doch das Mädchen, das neben Freddy steht, lacht ihn nur aus, denn es war lediglich Johannisbeersaft. Das fremde Mädchen, das sich als Annie vorstellt, kommt George etwas komisch vor, doch noch hat er nicht ihren Vater Eric kennengelernt, der Physiker ist und den leistungsstärksten und erstaunlichsten Computer der ganzen Welt besitzt, nämlich Cosmos. Cosmos ist allerdings kein gewöhnlicher Rechner, denn Cosmos eröffnet den Mitgliedern einer geheimen Gemeinschaft die unendlichen Weiten des Weltalls. So lernt George an diesem Abend viel über den Kosmos.

Am nächsten Tag verplappert er sich aus Versehen in der Schule und verrät seinem verhassten Lehrer Dr. Reeper, dass sein Nachbar über einen gar wunderlichen Computer verfügt. Reeper wird gleich auffallend interessiert und führt offensichtlich etwas im Schilde. Noch weiß George allerdings nicht, dass Cosmos nicht nur Filme über das Weltall zeigen kann, sondern er kann seine Nutzer direkt dorthin versetzen. Bei seinem ersten Ausflug zu den fernen Planeten, die er per Komet bereist, merkt George allerdings schnell, dass diese Ausflüge sehr gefährlich sein können. Nur mit Mühe und Not kann er sich mit Annie zusammen wieder in das nachbarliche Wohnzimmer retten. Es gibt allerdings noch viel gefährlichere Abenteuer zu überstehen, bei denen Dr. Reeper seine schmutzigen Finger im Spiel hat …

_Logbuch des Kosmos_

Mit Unterstützung ihres Vaters, des berühmten Kosmologen Stephen Hawking, hat Lucy Hawking ein fantastisches Kinderbuch geschrieben, das, in kindgerechten Worten geschrieben und in eine wunderbare Geschichte verpackt, die Grundlagen der Astrophysik erläutert. Gemeinsam mit George lernt der Leser viel über unser Planetensystem, wir erfahren, welche Planeten zu unserem Sonnensystem gehören, dass Pluto zum Zwergplaneten degradiert wurde, damit aber nicht alleine dasteht, denn zum Sonnensystem zählen noch zwei weitere Zwergplaneten. Wir reisen zusammen mit George und Annie auf einem Kometen zu den beiden Riesenplaneten Jupiter und Saturn und erfahren ganz nebenbei die wichtigsten Informationen über die beiden Planeten und ihre Monde.

Immer wieder sind zwischendurch Infotafeln abgedruckt, welche die physikalischen Hintergründe derjenigen Dinge erklären, die George und Annie gerade erleben. Wenn sie beispielsweise auf einem Kometen an unseren Planeten vorbeirauschen, sind Informationen über die Planeten und das Sonnensystem abgedruckt. Aber auch Grundlagen wie das Licht und seine Geschwindigkeit, das Teilchenmodell, Aufbau der Materie und der Unterschied zwischen Masse und Gewicht werden so einfach und verständlich eingeführt, dass ich mir sicher bin, dass ein Schüler ab etwa 12 Jahren diesen Ausführungen folgen kann. Während das Buch zunächst mit recht einfachen Fakten beginnt, steigert sich das Niveau gen Ende, wenn auch schwarze Löcher, weiße Zwerge, Supernovae oder Neutronensterne thematisiert werden. Selbstverständlich sind viele Dinge vereinfacht dargestellt, aber trotzdem werden dabei keine physikalischen Fakten verdreht.

Ganz nebenbei thematisieren die beiden Hawkings auch die Frage nach Leben jenseits der Erde, sie erzählen von den Exoplaneten und von der Entdeckung von Gliese 581c, der eventuell über Wasser verfügt. Dank Georges umweltbewussten Eltern geht es auch um die Frage, ob man lieber nach einem Exoplaneten suchen soll, der ebenfalls bewohnbar ist, oder ob es nicht sinnvoller ist, die Erde zu schützen und bewohnbar zu halten. Auf diese Frage gibt es zwar keine eindeutige Antwort, aber auch George erfasst schnell, wo der Kern des Problems verborgen liegt.

_Prächtiges Universum_

Optisch ist das Buch ein Hochgenuss. Entfernt man den bunt bedruckten Schutzumschlag, so zeigt sich ein ebenfalls bedruckter Bucheinband, der das gleiche Motiv wie der Umschlag trägt. Die Schrift ist kindgerecht groß und mit angenehmem Zeilenabstand gedruckt. Die Infotafeln, die zwischendurch die wesentliche Physik erläutern, sind zwar in Schwarzweiß gehalten, dennoch sind sie optisch so nett gestaltet, dass der Leser sich sofort neugierig in das Studium der Infotafeln vertieft. Aber was wäre ein Buch über den Kosmos ohne die faszinierenden Bilder, die uns dank Raumsonden oder Teleskopen inzwischen zur Verfügung stehen? So sind auch hier an vier Stellen jeweils vier Blätter Hochglanzpapier eingefügt, die in bestechenden Farben die faszinierendsten Aufnahmen aus dem Weltall zeigen. Wir sehen die Planeten und ihre Monde, das Zentrum der Milchstraße, Kometen oder auch die Andromeda-Galaxie. Jedes Bild ist mit einer informativen Bildlegende versehen, sodass man immer genau weiß, was auf dem Bild zu sehen ist.

Aber nicht nur die Physik und die optische Gestaltung sind überaus gelungen. Die Rahmengeschichte, die Lucy Hawking erzählt, ist nicht minder spannend und ergreifend. Wir lernen den sympathischen George kennen, mit dem wir gleich mitfühlen, wenn er von seinen Mitschülern tyrannisiert wird. Als er dann in die faszinierende Welt seiner Nachbarn eintauchen und seine eigenen Eltern vergessen kann, ist er glücklich und bemerkt zum ersten Mal, dass er frappierende Wissenslücken hat, die ihm vorher nie bewusst gewesen sind. Doch kaum haben Annie und Eric ihn mit den ersten Informationen über das Universum gefüttert, ist Georges Ehrgeiz geweckt; er will mehr darüber wissen und meldet sich später sogar zu einem Wissenschaftswettbewerb an, bei dem er einen Vortrag über das Weltall halten will.

Doch da ist auch noch Dr. Reeper, der dem Leser (und nicht nur ihm) von Anfang an unsympathisch ist. Reeper führt etwas im Schilde, das ist sofort klar, doch welch perfiden Plan er wirklich schmiedet, das wird erst im Laufe der Geschichte deutlich. Dass er es auf Cosmos und Eric abgesehen hat, kann man sich denken, doch reicht es ihm nicht, Cosmos für sich zu gewinnen, nein, er will Eric vernichten und loswerden. Auch George ahnt nicht, welch schreckliche Pläne sein Lehrer hat, doch wenn Reeper Eric immer näher kommt, wittert man sogleich die Gefahr, die zu einem richtig gelungenen Spannungsbogen führt. Obwohl dies ja „nur“ ein Kinder- oder Jugendbuch ist, muss ich doch gestehen, dass die beiden Hawkings mich von der ersten Seite an mitgerissen haben und die Geschichte auch für den erwachsenen Leser so spannend wird, dass man das Buch erst dann aus der Hand legen kann, wenn man sich von George verabschieden muss, weil das Buch zu Ende ist.

_Zwei kleine Weltraumreisende erobern das Universum_

Auch die Figurenzeichnung ist lobend hervorzuheben, denn mit George und Annie präsentieren uns die Hawkings zwei neugierige Kinder, die dem Geheimnis des Universums auf die Spur kommen möchten. George hat alleine schon dank seines niedlichen Schweines Freddy von Anfang an einen Sympathiebonus, aber auch Annie mit ihrer blühenden Fantasie, die erst von sich behauptet, eine Waise zu sein und später dann aber meint, ihre Mutter würde als Tänzerin in Moskau arbeiten (was sie natürlich nicht tut), wächst einem schnell ans Herz. Wie es im Zuge der Emanzipation nicht weiter verwundert, ist hier Annie diejenige, die mehr über Physik weiß als George, dem sein Unwissen aber bald so peinlich wird, dass er alles daransetzt, so schnell und so viel wie möglich dazuzulernen. Beide Protagonisten sind hervorragende Identifikationsfiguren für den jugendlichen Leser, aber auch ich konnte mich wunderbar in die Geschichte hineinversetzen.

Selbst der sensible Supercomputer Cosmos wird einem regelrecht sympathisch, wenn er vor sich hinsingt oder dem ekelhaften Lehrer Reeper nicht verraten will, was denn nun der geheime Schlüssel ins Universum ist. Cosmos erhält so menschliche Züge, dass man am Ende auch um sein Leben fürchtet. Doch auch der Gegenpart ist wunderbar besetzt mit Dr. Reeper, der keinen freundlichen Charakterzug erhält, Georges verhasste Mitschüler zu seinen Gehilfen macht und ihnen aufträgt, Cosmos zu entwenden. Natürlich sind alle Figuren etwas überspitzt dargestellt, aber in Anbetracht des geringen Buchumfangs von nur 263 Seiten ist es absolut erstaunlich, wie gut wir die einzelnen Charaktere überhaupt kennenlernen.

_Lob auf ganzer Linie_

Insgesamt ist „Der geheime Schlüssel zum Universum“ für mich ein ganz großer Wurf und schon jetzt ein Geschenktipp für Weihnachten, denn Lucy und Stephen Hawking schaffen es in kindgerechter und verständlicher Weise, dem Leser die Grundzüge des Universums zu erklären, und das auf so unterhaltsame und spannende Weise, dass man kaum merkt, dass man nebenbei auch etwas lernt. Die Rahmengeschichte überzeugt so sehr, dass sie selbst den erwachsenen Leser fesseln kann und auch die Charaktere überzeugen auf ganzer Linie. Einzig der Preis von knapp 17 € schmerzt ein wenig in Anbetracht der Tatsache, dass man das Buch in knapp drei Stunden bereits durchgelesen hat, doch auch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn dieses Buch ist etwas für die ganze Familie. Unbedingte Empfehlung!

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|Ergänzend dazu:|
[„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ 3119

Rosenboom, Hilke – Teeprinzessin, Die

|Reisen ist besonders schön, wenn man nicht weiß, wohin es geht. Aber am allerschönsten ist es, wenn man nicht mehr weiß, woher man kommt.| Lao Tse

Mit diesen Worten beginnt Hilke Rosenbooms zweiter Jugendroman „Die Teeprinzessin“, und welche Worte könnten die Traumwelt, die Rosenboom uns eröffnet, besser beschreiben als die obigen? Wir werden in das 19. Jahrhundert versetzt und reisen gemeinsam mit der Protagonistin von Deutschland über Indien und China in die USA und schließlich wieder zurück nach Deutschland. Einmal rund um die Welt geht es, ständig weht uns ein leichter Duft kostbaren Darjeelingtees um die Nase und immer jagen wir der großen Liebe hinterher. Fast hört es sich an wie ein Märchen, und genau das ist es auch.

_Es war einmal ein hübsches Mädchen …_

Elisabeth Henningson, von allen nur Betty genannt, ist vierzehneinhalb Jahre alt, als wir sie kennenlernen. Ihr Vater ist Silberschmied in Emden, doch das Geschäft läuft schlecht, weil sich niemand mehr die schimmernden Kostbarkeiten leisten kann. Trotzdem wird Betty auch an dem Morgen eines ganz besonderen Tages um fünf Uhr in der Früh durch das Klappern der Silberhämmer geweckt. Eigentlich hasst Betty diese frühe Ruhestörung, doch an diesem Morgen hat sie sich mit ihrem Jugendfreund Anton verabredet, um vor Sonnenaufgang Fotografien von ihr zu machen. Als sie bei Anton im Teehandelshaus ankommt, ist dieser jedoch so aufgeregt und abgelenkt, dass die Fotos in weite Ferne gerückt sind. Antons Vater empfängt einen geheimnisvollen Gast, der ihm von Tee aus Darjeeling erzählt. Davon hat Antons Vater noch nie gehört, hat er sich doch auf feinen Chinatee spezialisiert. Bettys und Antons Neugierde ist jedenfalls so stark, dass sie sich auf den Lagerboden schleichen, um dem Gespräch zwischen Antons Vater und dem mysteriösen Fremden zu lauschen. In einem unbedachten Moment rutscht Betty allerdings vom Boden und fällt dem Fremden – John Francis Jocelyn – direkt in die Arme.

Dies ist wohl der Moment, der sowohl Antons wie auch Bettys Leben vollkommen verändern wird, denn Betty hat vor ihrem Sturz ihre Haarspange verloren, die Anton hektisch zu suchen beginnt. Um besser sehen zu können, zündet er eine Kerze an, vergisst jedoch, diese wieder zu löschen. Später am Tag brennt das ganze Teehandelshaus nieder und Anton wird zur Strafe zu einer Ausbildung nach Hamburg geschickt. Betty hat derweil Hausarrest und ahnt noch gar nicht, dass ihr Freund bereits die Stadt verlassen hat. Aber auch Betty muss Emden bald verlassen, denn der Wandergeselle ihres Vaters beginnt ihr nachzustellen, und da ihr Vater unheilbar krank ist, sieht er keine andere Möglichkeit, als sie zu einer Familie nach Hamburg zu schicken, damit Betty dort als Haustochter lebt.

Schweren Herzens begibt Betty sich also nach Hamburg, ahnt aber noch nicht, dass sie dort nicht als Haustochter leben wird, sondern als einfaches Hausmädchen schwere Arbeit zu verrichten hat. Betty ist verzweifelt, sie vermisst ihren Vater und Anton, fühlt sich im Stich gelassen und träumt immer noch von dem geheimnisvollen Fremden, der Tee in Darjeeling anbaut. Einige Zeit dauert es noch, einige Hindernisse sind zu überwinden, schwierige Situationen zu überstehen, bevor Betty die Gelegenheit hat, als Junge verkleidet gen Osten zu reisen, um dort mit Tee zu handeln. Eigentlich ist China ihr Ziel, doch als ihre wahre Identität unterwegs enthüllt wird, setzt der Kapitän sie kurzerhand in Kalkutta ab. Nachdem der erste Schreck überwunden ist, begibt sich Betty nach Darjeeling und auf die Suche nach John Francis Jocelyn.

_Bunte Bilder und Wohlgerüche_

Hilke Rosenboom entführt uns in eine faszinierende Welt. Zu Beginn befinden wir uns noch in deutschen Landen und lernen die Protagonisten in Emden kennen, doch später werden wir uns gemeinsam mit Betty auf eine weite und abenteuerliche Reise begeben. Zunächst nimmt sich Rosenboom viel Zeit, um ihre Geschichte und ihre Charaktere zu entwickeln. In schillernden Farben beschreibt sie Bettys Leben in der Silberschmiede und ihre Vorliebe für Tee. Dieser ist allerdings so kostbar geworden, dass sie daheim keinen mehr trinken darf. Umso besser gefallen ihr die Besuche bei Anton im Teehandelshaus, wo sie zumindest die Wohlgerüche des teuren chinesischen Tees erschnuppern darf. Anton hat dafür allerdings nicht viel übrig, er würde viel lieber Fotograf werden, doch dafür hat sein Vater nur leider gar kein Verständnis.

Betty ist erst vierzehn Jahre jung, doch träumt sie bereits von der großen, weiten Welt. Als sie John Francis Jocelyn von Darjeeling sprechen hört und den ungewohnten Duft des neuartigen Tees in die Nase bekommt, träumt sie sich bereits nach Darjeeling, das für sie zum Inbegriff des Teeparadieses wird. Bevor sie diesen Träumen allerdings nachgeben kann, bricht zunächst ihre kleine, heile Welt zusammen. Anton wird fortgeschickt und sie hat Hausarrest, weil sie ebenfalls schuld am Brand im Handelshaus gewesen ist.

_Eine kleine Prinzessin_

Im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht Betty Henningson, die viele Abenteuer zu überstehen hat. Besonders groß ist ihre Not, als sie bei der Hamburger Familie in einem ungemütlichen Kellerverschlag hausen und schwere Hausarbeit erledigen muss. Erst später erfährt sie, dass es eine Verwechselung gegeben hat und sie bei der falschen Familie gelandet ist, doch zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits ihre Fühler ausgestreckt nach einer Familie in Hamburg, die mit Tee handelt. Mit viel Liebe zum Detail entwickelt Hilke Rosenboom ihre Hauptfigur. Obwohl ihr Roman aus Sicht eines neutralen Beobachters geschrieben ist, verlassen wir Betty in keiner Szene, wir fühlen mit ihr, wir kennen ihre Gedanken, Wünsche und Träume und wissen von Anfang an, dass ihr Herz am Tee und schließlich auch an John Francis Jocelyn hängt, der für sie den köstlichen Darjeeling verkörpert. Später sind es schließlich Antons Liebe zur Fotografie und zu einem gewissen Fotografen, die es Betty ermöglichen, ihren Teeträumen hinterherzureisen.

Im Laufe der Geschichte wird Betty nicht nur zwei Jahre älter, sondern auch viel erwachsener und reifer. Sie muss alleine in der Fremde zurechtkommen und später den Tod ihres Vaters verkraften, doch Betty lässt sich nicht unterkriegen. So wird sie zur perfekten Identifikationsfigur, da sie die Träume wahr werden lässt, die so manches Mädchen hegen mag.

Verglichen mit Betty wird allen anderen Figuren sehr wenig Platz eingeräumt. Selbst Anton, der zunächst ihre große Liebe zu sein scheint, wird schnell zu einer Nebenfigur degradiert, die zudem immer mehr Schwächen zeigt und dadurch einige Minuspunkte zu verbuchen hat. Auch John Francis Jocelyn bleibt leider ziemlich im Dunkeln. Später trifft Betty ihn zwar wieder und wir lernen ihn als eine Art indischen Teebaron kennen, doch sein Charakter entfaltet sich nicht voll. Schade, aber einzig Betty gewinnt so richtig an Profil.

_In achtzig Tagen um die Welt_

Die Schauplätze dagegen sind gut gewählt. Auch wenn Emden zunächst etwas bieder scheinen mag, so verlassen wir die kleine Stadt im Norden doch bald und begeben uns zumindest erst einmal nach Hamburg. Später führt uns die Reise dann einmal rund um den Globus. Im Gepäck hat Betty eine kostbare Lieferung an Darjeelingtee, den sie eigentlich gerne nach Hamburg transportieren möchte, doch auf ihrer Reise hat sie mindestens so viele missliche Abenteuer zu überstehen wie Phileas Fogg in Jules Vernes [Erfolgsroman. 944 Unterwegs geht alles schief, was nur schiefgehen kann, was zugegebenermaßen die Geduld des Lesers mitunter etwas überstrapaziert. Betty macht Bekanntschaft mit chinesischen Gefängnissen, mit der Teemafia und einigen üblen Gesellen. Wie aber schon bei Jules Verne, so fügt sich hier am Ende alles zusammen. Das mutet schon ein wenig unrealistisch an, auf der anderen Seite schildert Hilke Rosenboom ein traumhaftes Märchen, das sich an den jugendlichen Leser richtet, sodass man ihr diese Realitätsferne verzeihen mag.

Um noch einmal auf das Zitat zurückzukommen: Als Betty sich auf das Schiff gen Osten begibt, meint sie zwar zu wissen, wohin ihre Reise sie bringen mag, allerdings kommt dann alles anders, als sie denkt. Als sie dann erst einmal in Darjeeling angekommen ist, weiß sie sofort, dass dies ihre Heimat ist; dort findet sie genau das, was sie sich immer erträumt hat und sie befindet sich im schönsten Teeparadies, das sie sich je ausgemalt hat. Dieses „Nachhause-Finden“ schildert Hilke Rosenboom sehr überzeugend.

_Stilblüten_

Hilke Rosenbooms Sprache ist ausgesprochen blumig und ausschmückend und passt damit perfekt zu der geschilderten Geschichte, denn auch diese ist märchenhaft. Kaum ein winziges Detail entgeht Rosenbooms Aufmerksamkeit, und sie schafft es fast, uns beim Lesen den Teeduft in die Nase zu zaubern, doch in ihrem Überschwang der Gefühle passieren ihr nebenbei auch einige Patzer, die bei genauer Lektüre auffallen. So lernen wir eine Dame kennen, die ‚in Gewänder gewandet‘ ist oder entdecken Sätze, in denen sich (offensichtlich ungewollte) Wortdoppelungen finden. Wenn es einem auffällt, stört es den Lesefluss doch ein wenig, aber wenn man so richtig in der Tiefe des Buches versinkt, mag man auch oftmals über diese Kleinigkeiten hinweglesen.

_Unter dem Strich_

Insgesamt gefiel mir „Die Teeprinzessin“ ausgesprochen gut, auch wenn das Buch sich offenkundig eher an jugendliche Leser richtet, da die Geschichte doch ein wenig eindimensional gestrickt ist. Schon von Anfang an ist klar, dass es ein Happy-End für Betty geben wird; so ist es dann schließlich auch keine große Überraschung, als sich auf ihrer abenteuerlichen Reise doch alles zum Guten wendet. Auch die Charakterzeichnung, die sich einzig auf Betty beschränkt, trübt ein wenig den Gesamteindruck, dennoch macht es Spaß, in die faszinierende Welt, die Rosenboom uns schildert, einzutauchen. Besonders gut haben mir die exotischen Schauplätze gefallen, in die Betty und John Francis Jocelyn sich hervorragend einfügen.

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Cueni, Claude – große Spiel, Das

Geld regiert die Welt – schlecht ist nur, wenn man keines hat, weil es nicht genügend Metall gibt, aus dem man die Münzen fertigen könnte. Der schottische John Law of Lauriston war seiner Zeit damals weit voraus, denn während England und Frankreich noch an ihrem Münzgeld festhielten, hatte er bereits die Vision einer Bank, die Geldnoten aus Papier verteilt und ihre Rücklagen über Grundstücke versichert. Doch obwohl einige europäische Länder am Anfang des 18. Jahrhunderts bereits Papiergeld verwendet haben, stieß er in besagten beiden Ländern mit seinen Ideen auf Granit. Diese wahre Geschichte ist es, die Claude Cueni in seinem großen Historienroman erzählt …

Zunächst begegnen wir Johns Vater William, der sich einer gefährlichen Operation unterziehen muss, bei der die Wahrscheinlichkeit erschreckend hoch ist, dass er diese nicht überleben wird. Und wirklich stirbt er bei dieser Operation und vermacht seinen Besitz seiner Frau und seinem ältesten Sohn – John. Doch William hat bereits vorausgeahnt, dass sein zu der Zeit zwölfjähriger Sohn noch nicht reif genug ist, um diese Verantwortung zu tragen, und hat deshalb testamentarisch veranlasst, dass John auf ein Internat geschickt wird, das ihm Zucht und Ordnung beibringen soll. Jedoch erfüllen sich Williams Hoffnungen nicht; zwar hat John zunächst keine Gelegenheit, sein Erbe zu verspielen, doch Zucht und Ordnung lernt er leider nicht. Ganz im Gegenteil: Im Internat macht er sich einen Todfeind – George -, mit dem er sich duelliert und gegen ihn gewinnt. Doch ist dieser Kampf noch nicht vorbei, George wird ihm immer folgen und sinnt in den nächsten Jahren weiterhin auf Rache.

Zurück auf seinem Anwesen, dem Schloss Lauriston, begegnet John seinem jüngeren Bruder William, der vom Neid geplagt wird. Er neidet seinem Bruder das Erbe, seinen Intellekt und auch seinen Erfolg bei Frauen, denn John ist nicht nur ein grandioser Glücksspieler, der blitzschnell alle Wahrscheinlichkeiten beim Kartenspiel berechnen kann, er ist darüber hinaus kultiviert und ein absoluter Frauenschwarm. Als John im Suff allerdings seinen Teil des Anwesens verspielt, hilft seine gebrochene Mutter ihm finanziell aus, schickt ihn aber fort.

In London angekommen, macht John sich neue Feinde. Bei allen Glücksspielen ist er dabei und darf auch die Bank führen. Er gewinnt und gewinnt, einmal Geld und einmal das Herz der schönsten Frauen. Doch sein Herz gehört (fast) allein Catherine Knollys, die zwar bereits verheiratet ist, John aber dennoch verfällt, weil ihr Gatte das Land und damit auch sie verlassen hat. Die beiden werden ein Paar, doch währt das Glück nicht lange. Eines Tages duelliert John sich auf Befehl des Königs, wie er meint, mit einem seiner Widersacher und ersticht ihn bei dem Duell. John wird direkt nach dem Duell gefasst und da auf das Duellieren die Todesstrafe steht, blüht ihm das Gefängnis und am Ende auch der Galgen. Aber John hat nicht nur viele Feinde, sondern auch einige Unterstützer, die ihm schließlich zur Flucht aus dem Gefängnis verhelfen. So versucht John sein Glück in Frankreich, während ihm in England weiterhin die Todesstrafe droht.

In Frankreich versucht er, sich in die vornehmen Kreise einzuschleusen, da er dem König seinen Plan mit der Bank vorstellen will, aber auch in Frankreich hat John Law zunächst wenig Glück, da er sich schneller neue Feinde machen kann, als er dem König näher kommt. So muss John wieder ins Ausland fliehen und dort auf seine Chance warten. Diese kommt, doch ahnt John noch nicht, dass ihm damit großes Unglück ins Haus steht …

Claude Cueni hat sich für seinen Historienschmöker eine beachtliche Figur herausgepickt, nämlich John Law of Lauriston, der nicht Cuenis Fantasie entsprungen ist, sondern tatsächlich Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts gelebt und gewirkt hat. John Law war ein brillanter Mathematiker, der seine Gabe am liebsten im Kartenspiel ausgenutzt hat. Da er allerdings meist gewonnen hat, gab es viele Zweifel, ob sein Kartenglück tatsächlich seinem blitzgescheiten Verstand zuzuschreiben war oder nicht doch eher einer gewitzten Betrügerei. So ist er immer wieder aus einem Land verjagt worden, um in einem neuen sein Glück zu versuchen. Law war seiner Zeit weit voraus. Zwar gab es in einigen europäischen Ländern bereits Geld aus Papier, doch ging seine Vision noch viel weiter; er wollte eine Bank erschaffen, die ihr Vermögen nicht nur auf Münzen aus Metall gründet, sondern auch Grundstücke als Deckung für die im Umlauf befindlichen Geldnoten verwendet. Seine Idee war grandios, doch leider hatte er bereits zu viele Feinde, als er schließlich die Chance bekommen hat, seine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Seine Widersacher haben immer wieder versucht, ihm zu schaden. Der finale Schachzug gegen Law wurde dann allerdings von einem ganz anderen Mann geführt …

John Law steht im Zentrum der gesamten Geschichte. Als wir ihn das erste Mal treffen, vergnügt er sich als zwölfjähriger Junge gerade mit dem zwanzigjährigen Hausmädchen Janine im Turmzimmer. John hat viele Talente, doch weiß er sie nicht immer geschickt einzusetzen. In vielen Situationen ist er allen anderen überlegen, was er seine Mitmenschen auch nur zu gerne spüren lässt. So sammelt John Law nicht nur Sympathiepunkte, es gibt vielmehr das eine oder andere Duell, wo man ihm von Herzen wünscht, dass er endlich scheitern möge, damit er auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht wird. Doch zunächst wird der Wunsch des Lesers hier nicht erfüllt. Erst als sich praktisch die gesamte Handlung nur um ihn dreht und er zu Unrecht der Betrügerei beschuldigt wird, trifft er auf Feinde, die ihm die eine oder andere Niederlage beibringen können. Doch zu dieser Zeit ist John Law bereits so wichtig geworden, dass der Leser ihm schlussendlich doch Erfolg wünscht.

Claude Cueni zeichnet John Law of Lauriston mit viel Liebe zum Detail. Wir lernen viele seiner Eigenarten kennen, erleben ihn in schwachen wie in starken Momenten, erleben ihn bei Duellen mit seinen Feinden und in Stunden mit seiner Liebsten. Und nicht nur in der Finanzwelt war er seinen Mitmenschen voraus, auch als Kunstexperte hat er schon damals den Wert der großen Maler erkannt. Er wirkt fast schon fanatisch, denn nie lässt er sich von seinen Plänen abbringen, in Frankreich eine Bank zu gründen, immer hat er nur die Verwirklichung seiner Visionen im Sinn – koste es, was es wolle. Für die Umsetzung seiner Ideen geht er praktisch über Leichen, alles andere scheint ihm gleichgültig. Viele seiner Handlungen kann man deswegen nur schwer nachvollziehen, denn manchmal ist er einfach ein Trampeltier, das sich wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt; etwas mehr Feingefühl hätte ihm sicher nicht geschadet. Nichtsdestotrotz ist Cueni die Zeichnung dieser historischen Figur blendend gelungen.

Umso blasser erscheinen allerdings Laws Widersacher, von denen es wirklich genügend gibt. Aber vor allem sein Jugendfeind George erscheint blass und auch ziemlich unmotiviert. Zwar treffen wir ihn im späteren Verlauf der Geschichte noch einige Male wieder, doch nie entfaltet er so viel Persönlichkeit, dass man ihm wirklich Erfolg wünschen würde. Er wird von Cueni zu einer Randfigur degradiert, was ich schade finde, da George bereits sehr früh auftaucht und sich zu einer wirklich gefährlichen Figur hätte entwickeln können.

Was Claude Cueni sehr gut gelingt, ist die Ausgestaltung der historischen Schauplätze. In wahrlich meisterhafter und fast schon ekelerregender Manier beschreibt er die Straßen der europäischen Hauptstädte zur Zeit des John Law. Damals gab es keine Kanalisation, sodass die Menschen ihre Notdurft in Nachttöpfen verrichtet und diese dann auf der Straße ausgekippt haben. Förmlich steigt einem der unglaubliche Mief beim Lesen in die Nase und auch am königlichen Hof war es nicht viel besser, wenn man bedenkt, dass die morgendliche Toilette des Königs ein großes Schauspiel war und ein naher Verwandter dafür Geld zahlen musste, dass er sich um den gefüllten Nachttopf des Monarchen kümmern durfte. Der historische Rahmen gefällt – auch wenn es einem oft genug schaudert bei Cuenis realistischen Ausführungen – ausgesprochen gut. Auch die Schauplätze der Handlung sind gut gewählt, wir reisen durch einige europäische Hauptstäde wie London, Edinburgh, Paris und Amsterdam und erleben diese Städte im ausklingenden 17. Jahrhundert bzw. im beginnenden 18. Jahrhundert; besonders die Zeichnung Paris‘ und Londons gelingt Claude Cueni so realistisch, sodass man sich in die damalige Zeit hineinversetzt fühlt.

Was mich nicht überzeugen konnte, ist der Aufbau der Geschichte. Zu viele Zeitsprünge durchkreuzen sie, manchmal ist es nur ein winziger Abschnitt, der sich einem bestimmten Jahr widmet, während Cueni gleich darauf wieder einige Jahre in die Zukunft springt. Dadurch muss man sich häufig neu zurechtfinden und mutmaßen, was wohl in der Zwischenzeit geschehen sein mag. Eventuell wäre es nicht schlecht gewesen, sich nur auf John Laws späte Jahre zu beschränken und auch dort eine gewisse Auswahl zu treffen; so hat es eher den Eindruck, dass Cueni zu jedem Jahr, zu dem er eine historische Quelle über John Law gefunden hat, auch etwas schreiben wollte. Die Erzählung wirkt dadurch aber ein wenig abgehackt und gestückelt. Schade, denn der historische Rahmen ist absolut grandios und auch die Figur des John Law of Lauriston gibt definitiv genug her für einen großen Historienschmöker. Etwas schwer nachzuvollziehen sind darüber hinaus manchmal John Laws Visionen, wenn man keine Grundkenntnisse seiner Theorie von Geld und Handel mitbringt. Manchmal muss man sich hier über längere Passagen hinweglesen, die etwas zu abgehoben sind, aber in Gründzügen kann man Claude Cuenis Gedankengängen schließlich doch stets folgen.

So bleibt am Ende ein positiver Eindruck zurück. Claude Cueni widmet sich in seinem farbenreichen und schillernden Historienroman einer faszinierenden historischen Persönlichkeit, nämlich John Law of Lauriston, der damals das europäische Finanzwesen revolutionieren wollte. Ganz nebenbei trifft er auf andere bekannte Figuren wie Daniel Defoe, über den es hier noch einige interessante Details zu erfahren gibt, oder auch den Sonnenkönig, den Law von seinen Ideen überzeugen wollte. So entfaltet „Das große Spiel“ eine unglaubliche Faszination und unterhält über weite Strecken ausgesprochen gut, nur die vielen Zeitsprünge trüben ein klein wenig den Lesegenuss.

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Behrend, Anke – Fake Off!

Liebe auf den ersten Blick ist out – heutzutage trifft man seinen Zukünftigen nicht mehr im echten Leben, sondern im virtuellen. Online-Partnerbörsen und Chat-Foren boomen und nicht selten werden dort die ersten Liebesbande geknüpft. Ob diese dann das erste Treffen allerdings überstehen, steht wohl auf einem anderen Blatt.

Diese Erfahrung muss auch Protagonistin Alex machen, die im wirklichen Leben zwar nicht schlecht aussieht, aber trotzdem den Traummann noch nicht gefunden hat. So meldet sie sich in verschiedenen Foren und Single-Börsen an, doch erst als sie „Listen2Me“ – im wirklichen Leben ganz schlicht Roman – kennenlernt, meint Alex, am Ziel zu sein. Roman ist IT-Spezialist, doch seine einfühlsame Seite zeigt er im Internet durch das Posten verschiedener Gedichte. Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen ausgiebig zu telefonieren. Ein wenig schreckt Alex zurück, als Roman von Beginn an sehr besitzergreifend ist und von ihr verlangt, in ihrem Profil zu vermelden, dass sie nun vergeben sei. Das will sie sich allerdings nicht gefallen lassen, meldet sich kurzerhand ab und bastelt sich ein neues Profil. Mit Roman läuft es trotzdem telefonisch prima, sodass die beiden beschließen, dass sie sich kennenlernen sollten.

Kurzerhand fährt Alex aus ihrer Heimatstadt Leipzig gen Hessen, um dort ihr Herzblatt zu treffen. Doch aufgrund von Romans momentaner Arbeitslosigkeit wohnt er bei einem komischen Kauz, der sich offensichtlich als Messie erweist. Alex ist schockiert angesichts des Chaos in Romans Übergangswohnung. Doch noch ahnt sie nichts Böses, denn sie schiebt diese Unordnung auf den Wohnungseigner und gibt Roman keine Schuld. Auch wenn der erste Sex nicht gerade berauschend ist, bleibt Alex zuversichtlich. Nach dem ersten Treffen ist sie zwar unsicher geworden, hegt aber immer noch gewisse Hoffnungen auf ein Happy-End. Merkwürdig findet sie zwar, dass immer sie Roman anrufen muss und er nicht bereit ist, die Telefonkosten zu tragen. Auch dass er sich die Fahrt nach Leipzig nicht leisten kann und Alex das Ticket zahlen muss, schreckt sie noch nicht genügend ab. Als Roman in Leipzig dann aber schließlich mit einem verschlissenen Mantel und deutlichem Körpergeruch vor ihr steht und seinen Trolley öffnet, der lauter nasse Klamotten enthält, steht Alex plötzlich ihrem wahr gewordenen Albtraum gegenüber. Aber es kommt noch schlimmer …

Das Internet – es ist eine schöne neue virtuelle Welt, die sich uns erschließt. Alles ist bequemer geworden, man muss nicht mehr in überfüllten Läden stöbern, um Sachen einzukaufen, man kann alles von zu Hause ordern, vor allem aber muss man nicht mehr nervös seinem Angebeteten gegenübertreten und ihn um ein Date bitten, man kann sich erst anonym im Internet kennenlernen, telefonieren und dann entscheiden, ob man sich dem realen Leben stellen möchte. Dass nicht alles Gold ist, was im Internet noch glänzt, das muss Alex auf erschreckende Weise feststellen, denn Roman ist im echten Leben ein Albtraum!

Anke Behrend schildert herrlich komisch, wie Alex und Roman sich langsam näherkommen, wie sie telefonieren und diskutieren. Langsam aber sicher wird man als Leser immer skeptischer; Roman offenbart merkwürdige Eigenschaften, er ist eifersüchtig, besitzergreifend und hat sehr eigene Ansichten. Doch Alex lässt sich davon nicht abschrecken. Wie frau eben so ist, stolpert sie blind in ihr Unglück und will ihre Hoffnungen erst dann begraben, wenn sie wirklich unsanftest auf den Boden der Tatsachen gebracht wird. Ach, wie sehr kommen mir einige ihrer Eigenschaften bekannt vor. Wer kennt diese Hoffnung nicht, dass ER doch nicht so schlimm ist, wie es gerade wirkt, er wird sich schon noch bessern und am Ende wird alles gut sein. Nein, aufgeben gibt es nicht, frau kämpft bis zum bitteren Ende – bis zu einem Ende, wie es bitterer kaum sein könnte. Anke Behrend hält ihren Leserinnen einen unbarmherzigen Spiegel vor Augen. Ganz so naiv und blind ist frau vielleicht nicht, aber Behrend überzeichnet so gekonnt, dass man sich manchmal schon schämen kann, eine Frau zu sein.

Doch ganz ehrlich. Den Mann trifft es in „Fake Off!“ noch härter. Behrends männliche Protagonisten sind schlimm: Sie räumen nicht auf, drehen sich permanent misslungene Zigaretten und rauchen sie an Ort und Stelle und scheren sich keineswegs darum, ob sie gerade in der Wohnung einer Nichtraucherin sitzen. Männer waschen nicht ab und übersehen gekonnt sämtliches dreckiges Geschirr. Männer duschen natürlich auch nicht und tragen im Bett ihre dreckigen Socken, die ihre beste Zeit schon längst hinter sich haben. Männer tragen stinkende, abgetragene Klamotten und merken gar nicht, dass sie damit zwar Aufmerksamkeit erregen, aber sich wahrlich keine Freunde machen. Und vor allem halten Männer sich für die Größten, ihr Intellekt ist unübertreffbar und natürlich kann keine Frau ihnen in Sachen Computer das Wasser reichen, Männer sind dazu da, um hilflose Frauen zu beschützen und um ihnen das Leben zu erklären. Doch da haben sich die Männer geschnitten! Alex lässt sich zwar viel gefallen, aber auch nicht alles.

Zunächst beginnt das Buch noch recht alltäglich; die weibliche Hauptfigur meint, ihren Traumpartner im Internet gefunden zu haben, und ist anschließend blind vor Liebe. Als sich bei Alex aber die Blindheit legt, wird sie zur rächenden Furie. Sie muss eine schreckliche Entdeckung machen, fühlt sich erst hilflos und ausgenutzt, doch hat sie schnell einen Plan, um es einem ganz bestimmten Mann heimzuzahlen. Spätestens ab hier wird die Geschichte urkomisch. Alex schleicht sich mit ihrem zweiten anonymen Account an ihr Opfer heran, chattet mit ihm, spielt ihm etwas vor und kommt der Erfüllung ihres Racheplanes immer näher. Anke Behrend überzeichnet ihre Figuren und die geschilderten Situationen so sehr, dass es herrlich abstrus wird.

Sprachlich ist das Buch ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn viele Teile der Geschichte spielen im Chat, und dort sind großbuchstaben eher die ausnahme und die wesentliche aussage findet sich meist zwischen zwei sternen versteckt *dieStirnrunzel*. Aber irgendwo passt es schon, zumal Roman der deutschen Sprache offensichtlich nicht allzu mächtig ist, sich ständig verschreibt und die herrlichsten Rechtschreibfehler einbaut. Hier hat niemand die Fehler herausredigiert, aber das ist okay so, denn dadurch gewinnt die Geschichte irgendwie auch an Charme.

„Fake Off!“ erzählt eine völlig überzogene Geschichte, die sich den Irrungen und Wirrungen der Internetliebe widmet. Und so sehr die Charaktereigenschaften der handelnden Figuren auch überspitzt sein mögen, so findet sich doch ein Fünkchen Wahrheit darin, sodass einem auf schonungslose Weise vorgeführt wird, wie naiv und merkwürdig man sich manchmal verhält, wenn man einfach blind vor vermeintlicher Liebe ist!

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Brennan, Allison – Leichte Beute

Leichen im Keller – die hat die berühmte Bestsellerautorin Rowan Smith genügend, auch wenn sie diese lieber in Vergessenheit wüsste. Doch nun scheint ihre mysteriöse Vergangenheit sie einzuholen, denn ein Mörder nimmt ihre Psychothriller zur Vorlage für seine eigenen grausigen Taten und lässt das entsprechende Buch, von dem er sich hat inspirieren lassen, am Tatort zurück.

Eigentlich hat Rowan alles, was man sich nur träumen kann: Sie hat vier Bestseller veröffentlicht, die fünfte Veröffentlichung steht kurz bevor und auch die Buchverfilmungen sind ein voller Erfolg. Außerdem ist Rowan unglaublich gut aussehend, durchtrainiert und steht in der Blüte ihres Lebens, doch dann geschieht der erste Mord und ihre erste Romanprotagonistin muss in der Realität auf grausame Art und Weise sterben. Sofort ist klar, dass nicht die Protagonisten das Ziel des Mörders sind, sondern die erfolgreiche Autorin selbst. Doch erst will der große Unbekannte seinen Spaß haben und Rowan noch lange quälen. Erst wenn sie gebrochen ist, sich fürchtet und kein eigenes Leben mehr führen kann, dann will er sie holen, foltern und schließlich ermorden.

Nicht nur Rowans Agentin hat Angst um Rowan, sondern auch ihr ehemaliger Chef beim FBI. Die beiden heuern einen Bodyguard für Rowan an, obwohl diese sich mit Händen und Füßen dagegen wehren möchte und der Meinung ist, dass sie als ehemalige FBI-Agentin allein für sich sorgen und auf sich aufpassen kann. Als Rowan ihren Bodyguard Michael Flynn allerdings kennen lernt, erkennt sie schnell, dass sie tatsächlich Schutz benötigt und nimmt die Hilfe widerwillig an. Michael verliebt sich auf den ersten Blick in Rowan, doch als sein Bruder John ins Spiel kommt, merkt Michael schnell, dass er nicht nur gegen einen gefährlichen unsichtbaren Mörder kämpft, sondern auch gegen seinen eigenen Bruder, der ebenfalls Gefühle für Rowan entwickelt hat. Das Spiel gegen die Uhr beginnt, doch nicht jeder wird diesen Kampf gewinnen …

Allison Brennans Geschichte ist nicht neu; sie ist nicht die erste, die von einer Krimiautorin schreibt, deren Fantasiemorde von einem Psychopathen in die Tat umgesetzt werden, doch gelingt ihr der Plot davon unabhängig ausgesprochen gut. Von Anfang an schlägt ihr Psychothriller den Leser in den Bann. Schon im Prolog lernen wir den Mörder kennen, wissen allerdings zunächst nicht, auf wen er es abgesehen hat und um wen es sich überhaupt handelt. Lange lässt Brennan uns darüber im Unklaren, in welcher Verbindung Rowan und der unbekannte Mörder zueinander stehen. Doch früh ist klar, dass Rowan Smith etwas zu verbergen hat. Bevor sie angefangen hat, Romane zu schreiben, hatte sie eine vielversprechende Karriere beim FBI. Ein Mordfall war es damals, der Rowan schlagartig dazu bewegt hat, ihren Job an den Nagel zu hängen und sich einer neuen Karriere zu widmen. Wieso hat der Fall Franklin Rowan so sehr erschüttert, dass sie nicht länger für das FBI arbeiten konnte? Nur ganz allmählich klärt Brennan diese brennende Frage auf.

Währenddessen mordet der Unbekannte weiter und stellt einen fiktiven Mord nach dem anderen nach. Doch schon beim zweiten Mord begnügt er sich nicht mehr damit, Rowans Geschichte zu imitieren, er schickt ihr einen Grabkranz und macht ihr somit klar, dass er es im Endeffekt nur auf sie abgesehen hat, dass sie seine Mordserie wird krönen müssen. Rowan ist erschüttert und fühlt sich schuldig, weil sie die Figuren erdacht hat und die Taten ihrer Fantasie entsprungen sind. Rowan ist sich sicher, dass die Lösung für die Mordserie in ihrer FBI-Vergangenheit zu finden ist, sie wühlt sich durch ihre alten Akten, kommt der Lösung allerdings kein Stückchen weiter. In diesem rasanten Katz-und-Maus-Spiel baut Allison Brennan immer weiter Spannung auf, bis man schließlich bis in die Nacht hinein weiterlesen muss, um endlich zu ergründen, was den Mörder antreibt und welchen Hass er Rowan gegenüber hegt.

Obwohl ihr Erzähltempo hoch ist, nimmt Brennan sich Zeit, ihre Protagonisten vorzustellen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Rowan Smith, die uns zunächst unergründlich scheint. Dass sie etwas verheimlicht, merken wir früh, auch dass sie in ihrer Vergangenheit großen Schmerz ertragen musste, lässt Brennan bald durchblicken, doch wer Rowan Smith wirklich ist, was sie zu verbergen hat, das erfahren wir spät. Auf den ersten Blick ist Rowan Smith die taffe Ex-FBI-Agentin, die mit der Waffe unter ihrem Kopfkissen schläft und jeden Tag mindestens zehn Kilometer am Strand entlangjoggt, sie kann also auf sich selbst aufpassen. Doch auf den zweiten Blick ist sie verletzlich, die Morde jagen ihr eine Heidenangst ein und reißen alte Wunden auf, die Rowan längt verheilt geglaubt hat. Sie wird immer schwächer, ängstlicher und verzweifelter, als der Mörder ihr immer näher kommt. Rowan Smith hat viele Facetten und wir lernen viele davon kennen, sodass sie nach und nach viel Profil gewinnt. Michael und John Flynn sind die beiden Männer, die ihr zur Seite stehen und die um Rowans Herz kämpfen. Beide Brüder haben sich verliebt, doch Rowan hat ihre Wahl längst getroffen. Der ebenso unergründliche John ist es, in dem sie einen Seelenverwandten wiederfindet. Er ist es, der schließlich ihr Herz erobert und mit dem sie eine gefährliche Affäre beginnt. Denn während die beiden sich ihrer Leidenschaft hingeben, schleicht sich der Mörder immer näher und droht den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen.

Im Rahmen der packenden Thrillerhandlung gelingt Allison Brennan die Charakterzeichnung ausgesprochen gut, obwohl sie durchaus Schablonen verwendet. Natürlich ist die weibliche Hauptfigur schön, stark und erfolgreich und natürlich steht ihr ein ebenso starker Mann zur Seite, der sie beschützen will. Dennoch fügt sich diese Charakterisierung stimmig in den Plot ein.

Nicht ganz schlüssig gelingt allerdings die leidenschaftliche Affäre zwischen Rowan und John, die zu einer Zeit beginnt, als um die beiden herum bereits die Welt einzustürzen droht. Rowan rückt auf der Liste des Mörders immer weiter nach oben, dennoch sind die beiden Verliebten kaum aus dem Bett zu kriegen und schaffen es nur mit Not, nicht gleich am Strand nach dem Joggen übereinander herzufallen, sondern erst dann, wenn die Haustür hinter ihnen zugefallen ist. Irgendwie erscheint es mir nicht sonderlich glaubwürdig, dass zwei Menschen die Welt um sich herum so weit verdrängen können, wo geliebte Menschen bereits sterben mussten und in jeder Sekunde der Angriff des Unbekannten zu befürchten ist. Auch die ausgiebige und detaillierte Schilderung der zahlreichen Sexszenen bedient sich aller greifbaren Klischees. Etwas mehr Einfallsreichtum wäre Allison Brennan dann doch zu wünschen gewesen.

Natürlich darf am Ende nicht der packende Showdown fehlen, bei dem Mörder und Opfer sich schließlich gegenüberstehen und um ihr Leben kämpfen. So lernt Rowan am Ende ihren Widersacher kennen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt längst wusste, wer sie erwarten würde. Das Buchende wirkt ein wenig abgedroschen und war irgendwo auch absehbar, aber das mag man Brennan vielleicht verzeihen, denn es war ein Buchende wie jedes andere. Hier ist kein Knaller, keine große Wendung mehr zu erwarten, sie schildert lediglich überwiegend stimmig ihre Geschichte zu Ende. Mich persönlich konnte das Ende zwar nicht vom Hocker reißen, doch angesichts des gelungenen Spannungsaufbaus und der kurzweiligen und packenden Erzählung möchte ich der Autorin den einen oder anderen kreativen Hänger verzeihen.

„Leichte Beute“ ist ein Thriller, der einen von der ersten Seite an packt und nicht mehr loslässt, bis man das Buch endlich durchgelesen hat und an die Seite legen kann. Allison Brennan schlägt ein unglaubliches Tempo an und schafft es dennoch, nebenbei ihre Protagonisten vorzustellen. Brennan schafft es immer wieder genau im richtigen Moment, neue Informationen einzustreuen, die den Leser der Lösung des Falles ein winziges Stückchen näher bringen und die Spannung noch weiter steigern. Die Geschichte ist mysteriös, faszinierend und wahnsinnig spannend. Und auch wenn „Leichte Beute“ vielleicht nicht der ganz große Wurf ist, so unterhält der Psychothriller ausgesprochen gut.

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Remes, Ilkka – Blutglocke

Der finnische Bestsellerautor Ilkka Remes hat sich mit seinen rasanten Thrillern einen Namen als Meister der Spannung gemacht, sodass auch sein aktuelles Werk „Blutglocke“ von seinen Fans heiß erwartet wurde. Schauen wir uns an, ob sich das sehnsüchtige Warten denn auch gelohnt hat.

_Kling, Glöckchen, kling_

Zu Beginn des Buches werden wir Zeuge, wie der sechzehnjährige Sohn des deutschen Innenministers Klein beim Baden entführt wird. Schnell schaltet Remes zur finnischen Kommissarin Johanna Vahtera, der beim Zahnarzt gerade eine kleinere Tortur bevorsteht, vor der sie ein wichtiger Anruf allerdings vorerst rettet. Vahtera wird als Profilerin nämlich hinzugerufen, als die Entführung Sebastian Kleins bekannt wird. Doch die Entführer locken den Innenminister ohne polizeiliche Unterstützung zum vereinbarten Übergabeort. Dort lassen sie den Sohn fast unverletzt zurück, doch der Vater hat es nicht so gut getroffen: Klein ist nicht nur ermordet, sondern ausgeblutet worden. Was um Himmels Willen will der Mörder mit Kleins Blut, fragt sich nicht nur Vahtera, doch dauert es noch lange, bis sie des Rätsels Lösung finden wird.

Der Leser hat es hier besser, denn er lernt den Strippenzieher hinter der Entführung schnell kennen. Dabei handelt es sich um Rem Granow, der jüngst seine Mutter verloren hat und dessen Vater – ein berühmt-berüchtigter russischer Mafiaboss – nun ebenfalls im Sterben liegt. Er möchte eine Blutglocke anfertigen, also eine Glocke, in die Kleins Blut eingearbeitet ist, um sie zur Beerdigung seiner Mutter besonders hell erklingen zu lassen. Doch das ist nicht Granows einziger Plan, denn seine ausgefeilte Racheaktion ist bereits angelaufen. Bei einer Polizeiaktion, angeordnet vom deutschen Innenminister Klein, die eigentlich Rems Vater treffen sollte, stirbt durch einen dummen Zufall Rems Mutter. Rem sinnt auf blutige Rache, die die ganze deutsche Politikerriege treffen soll.

Dazu heuert er die unterschiedlichsten Handlanger an, die ihn mit Bakterienstämmen und diversem technischen Material versorgen, die für Rems teuflischen Plan gebraucht werden. Auch der deutsche Umweltminister Beck spielt eine tragende Rolle in Rems Plan, denn er ist es, der künftiger Bundeskanzler werden soll, wenn der bisherige Rems Anschlag zum Opfer gefallen ist. Johanna Vahtera kommt früh auf Rems Spur, doch traut sie zeitweise ihrer eigenen Intuition nicht und lässt sich von einigen Internetbekanntschaften ablenken, die nicht immer das sind, was sie zu sein vorgeben …

_Wie Bauern auf einem Schachbrett_

Ilkka Remes‘ Plot in „Blutglocke“ ist vielschichtig und spaltet sich in zahlreiche Handlungsfäden auf, in denen wir die beteiligten Personen (mehr oder weniger) kennen lernen. Rem Gramows Vorhaben ist dermaßen ausgefeilt, dass er unzählige Helfer benötigt, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Lange braucht es, damit wir überhaupt erahnen können, was Rem beabsichtigt und welche Rolle den einzelnen Figuren dabei zufällt. Kaum bilden wir uns ein, nun alle wichtigen Personen zu kennen, bringt Remes weitere (Schach-)figuren auf sein literarisches Spielbrett, die oftmals unwissend Teil von Rem Gramows Plan werden, was sie meistens mit dem Leben bezahlen müssen. Denn eins ist klar: Gramow geht rücksichtslos über Leichen und tut alles, um seine Eltern zu rächen, die seiner Meinung nach dem deutschen Innenminister zum Opfer gefallen sind.

Aufgrund der zahlreichen Figuren lässt die Charakterzeichnung leider an manchen Stellen zu wünschen übrig. Nur wenige Charaktere sind es, die Profil erhalten und uns im Gedächtnis bleiben werden. Zum einen wäre das auf jeden Fall Johanna Vahtera, die von Anfang an daran glaubt, dass Rem Gramow hinter der Ermordung des deutschen Innenministers steckt. Doch sie ist unsicher, weil sie keine Beweise findet, die ihr Gefühl untermauern könnten. Und wenn sie ehrlich ist, so spricht objektiv gesehen vieles gegen Gramow. Auch privat ist Vahtera nicht gerade vom Glück verfolgt; mit Männern hat sie einfach kein Glück und auch ihre Internetbekanntschaften sind nicht mehr als ein verzweifelter Hoffnungsschimmer für ihre einsamen Abende und Wochenenden. Unverhofft taucht jedoch ihr Exfreund Craig wieder in ihrem Leben auf, der inzwischen allerdings mit einer neuen Frau zusammenlebt. Doch scheint Johanna vielleicht trotzdem eine zweite Chance zu bekommen.

Eine weitere Hauptfigur ist sicherlich Rem Gramow selbst, der erst kaltblütig den Innenminister ermordet hat und nun weitere Morde plant, die wohl noch schwerer wiegen dürften, denn eines seiner Opfer soll der Bundeskanzler werden. Gramow ist auf der einen Seite eine tragische Figur, hat er doch gerade beide Elternteile kurz hintereinander verloren, auf der anderen Seite kann er aufgrund seiner Kaltblütigkeit trotzdem keine Sympathiepunkte sammeln, obwohl wir einen größeren Teil der Handlung an seiner Seite verbringen.

Anders ist es bei Nick Boyd, der sich einen Namen als Werbefilmregisseur gemacht hat und nun in die Geschichte hineinstolpert, weil er für Gramows Propaganda benötigt wird. Zunächst läuft Boyd unwissend in sein Unglück, doch bald beginnt er zu ahnen, dass nicht nur sein Leben in Gefahr ist, sondern auch das seiner Frau und seiner Tochter. Verzweifelt versucht Boyd im weiteren Verlauf der Geschichte, sich und seine Familie zu retten, doch leider wurde er in ein kleines Dörfchen in Russland verschleppt, wo niemand seine Sprache spricht. Die Zeichen stehen also schlecht für ihn.

Dies sind zwar noch lange nicht alle wichtigen Figuren, aber doch alle, die uns Ilkka Remes etwas näher vorstellt. Die meisten anderen auftauchenden Personen werden zu Randfiguren degradiert, auch wenn sie in Gramows teuflischem Plan eine entscheidende Rolle spielen. Viele Menschen müssen dabei ihr Leben lassen, doch da Remes kaum Zeit darauf verwendet, seine Figuren alle entsprechend vorzustellen, war es mir irgendwann auch ziemlich gleichgültig, wenn mal wieder eine seiner Schachfiguren zum Bauernopfer wurde. Trauer habe ich keine empfunden, da man im Verlauf der Lektüre höchstens zu Johanna Vahtera und Nick Boyd eine „Beziehung“ aufbauen kann.

_Ausgefranst_

Die vielen einzelnen Handlungsstränge führen zwar dazu, dass Ilkka Remes‘ Erzählung ein hohes Tempo aufnimmt, doch leider ist es schwierig, sich in dem Gewühl verschiedener Schauplätze und in der Masse von Menschen zurechtzufinden. Ich hatte teilweise tatsächlich Probleme, Namen und Biografien richtig zuzuordnen, und musste mich auch dabei ertappen, dass ich überrascht war, eine Person in Deutschland anzutreffen, obwohl ich sie in der Geschichte eigentlich in Russland vermutet hatte. Denn Ilkka Remes begnügt sich nicht damit, seinen Thriller klassisch in seiner Heimat Finnland spielen zu lassen. Von dort „flüchtet“ bald sogar Johanna Vahtera, um den Ereignissen näherzukommen. Die Hauptgeschichte spielt in Deutschland, und zwar genauer in Berlin und Umgebung, doch die Hintergründe sind fast sämtlich in Russland zu suchen. So reisen wir gemeinsam mit den handelnden Personen kreuz und quer durch die Gegend, sodass es fast schon verständlich ist, dass man zwischendurch den Überblick verlieren kann.

Ilkka Remes‘ vorliegender Thriller ist leider schwer durchschaubar; es ist nicht nur schwierig, alle Figuren richtig zuzuordnen, sondern auch deren Handlungen und Funktion im Gesamtgeschehen. Erst spät erhalten wir so viele Erklärungen, dass wir in etwa abschätzen können, was Rem Gramow ausgeheckt hat. Doch sein Racheplan ist so verworren, dass er nicht all sein Gräuel entfachen konnte, weil die Lektüre den Leser zu sehr verwirrt, um wirklich schockiert sein zu können. Ein roter Faden hätte der Handlung sicher sehr gut getan und vielleicht hätte auch die Hälfte der Handlungsfäden ausgereicht. Manchmal habe ich mich gefühlt wie in einem Labyrinth, aus dem nur schwer herauszufinden ist und bei dem auch nicht klar ist, was einen am Ausgang erwarten wird. Zudem kamen mir einige der Handlungsstränge völlig überflüssig vor, da sie weder für Gramows Rache notwendig erschienen noch die Geschichte vorangebracht haben.

Kiefer Sutherland und Jon Cassar hätten aus der verworrenen Story vielleicht eine spannende Staffel [„24“ 3118 gestalten können, aber diese wäre auch getragen gewesen von einem überragenden Kiefer Sutherland, für den alleine man immer wieder einschalten würde. Doch Remes hat leider keine Helden wie Cassar, die auch einen völlig überkonstruierten Plot retten und über hanebüchene Wendungen hinwegtrösten können.

_Klingelingeling_

Am Ende war ich doch etwas enttäuscht von Ilkka Remes‘ neuestem Thriller, der meines Erachtens inhaltlich völlig überfrachtet war, sodass man schnell im Personen- und Handlungsgewirr unterzugehen droht. Zu viele Figuren treten auf den Plan, als dass Remes Zeit gehabt hätte, sie alle entsprechend zu würdigen, aber auch viele Szenen kamen mir so überflüssig vor, dass ich mir wünschte, Remes hätte sich mehr auf das Wesentliche konzentriert. „Blutglocke“ ist sicherlich kein absoluter Fehlgriff gewesen, die Geschichte hatte durchaus ihren Reiz und entwickelte eine gewisse Spannung, aber Remes hat viel Potenzial verspielt, das dieser Virenthriller mit politischem Hintergrund in sich hat. Ich hatte den Eindruck, dass Remes zu viel wollte und jede seiner (Schnaps-)Ideen Einzug in das Buch gefunden hat. Der Killer hätte sicherlich nicht einen Privatjet mit Sauna fliegen müssen, Vahtera hätte auch nicht unbedingt den Clarice-Starling-Touch benötigt und auch das ziemlich überzogene Ende war vielleicht doch etwas zu viel des Guten.

Insgesamt ist „Blutglocke“ eher etwas für Leser, die sich gerne durch einen Wust an Handlungssträngen kämpfen und bereit sind, sich mindestens zwei Dutzend fremdländische Namen zu merken, auch wenn die Personen keine wirklich tragende Rolle spielen. So bleibt zu hoffen, dass Ilkka Remes mit diesem Buch seine Durststrecke überwunden hat und mit dem nächsten Thriller wieder mehr zu überzeugen weiß.

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[„Ewige Nacht“ 2039
[„Das Hiroshima-Tor“ 2619

http://www.ilkka-remes.de/
http://www.dtv.de

Veloso, Ana – Duft der Kaffeeblüte, Der

|“Vom Winde verweht mit brasilianischem Feuer“|, so preist das Buchcover Ana Velosos Erstlingsroman an und hängt die Messlatte für Freunde „historischer Schmöker mit Liebesgeschichte inklusive“ sehr hoch, doch so viel sei vorweggenommen: Dieses kurze Zitat verspricht nicht zu viel, denn wer Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ geliebt hat und vielleicht noch ein Fan von „Fackeln im Sturm“ ist, der ist bei Ana Veloso sehr gut aufgehoben.

Die siebzehnjährige Vitória da Silva lebt auf der blühenden Kaffeeplantage Boavista zusammen mit ihrem älteren Bruder Pedro und ihren Eltern. Vita liebt das Leben und wird von ihm geliebt, an jedem Finger hat die hübsche junge Dame einen Verehrer, aber keiner konnte bislang ihr Herz erobern, doch das soll sich ändern, als ihr Bruder mit drei seiner Freunde zu Besuch auf die Plantage kommt. Eines Nachmittags taucht an der Tür der Plantage ein verwahrloster Mann auf, dem Vita kurzerhand die Tür vor der Nase zuknallt, weil er sich erdreistet hat, an der Vordertür statt am Dienstboteneingang zu klingeln. Zu Vitas Schande stellt sich hinterher allerdings heraus, dass sie damit Pedros Freund León Castro des Hauses verwiesen hat, der abends geschniegelt und gestriegelt auftaucht und sich als der berühmte Journalist und Abolitionist vorstellt.

Von Anfang an knistert es zwischen Vita und León, der sie immer wieder mit diesem Missverständnis aufzieht und sich als ihr persönlicher Sklave gibt. Als Vita daher einige Zeit später eine Einladung von León zu einer Theaterpremiere in Rio de Janeiro erhält, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um tatsächlich nach Rio reisen zu können, doch leider bekommen ihre Eltern spitz, was Vita plant, und verpassen ihr Hausarrest. Doch das wird Vita und León nicht trennen können. Als Vitas Bruder Pedro und seine Angebetete Joanna nämlich ihre Verlobung auf Boavista feiern, ist auch León eingeladen, der Vita ebenso verfallen ist wie sie ihm.

Als sie bei einem nächtlichen Treffen von einem Unwetter überrascht werden, flüchten sie sich in eine Hütte und erleben dort ihre erste gemeinsame Liebesnacht, die Vita allerdings ungewollt ein „Geschenk“ hinterlässt, sie wird nämlich schwanger. In einem Brief setzt sie León von der Schwangerschaft in Kenntnis, doch dieser unternimmt eine längere Reise und ist für Vita unerreichbar. Diese ist am Boden zerstört und tief verletzt, verzweifelt wägt sie ihre Alternativen ab. Soll sie das Kind abtreiben oder zur Adoption freigeben und anschließend ins Kloster gehen? Oder soll sie womöglich einen ihrer ungeliebten Verehrer heiraten? Keine der Alternativen erscheint ihr erträglich, doch als schließlich ein Brief Leóns eintrifft, erleichtert dieser ihr die schwere Entscheidung …

Ana Velosos Debütroman ist großes Kino; sie zeichnet eine exotische Welt im ausklingenden 19. Jahrhundert. Vita lebt ein glückliches Leben auf der florierenden Kaffeeplantage ihrer Eltern und genießt den Reichtum. Aufgrund der Krankheit ihrer Mutter muss Vita schon früh Verantwortung übernehmen, doch ihre starke Persönlichkeit erleichtert ihr diese Arbeit. Erst als León sich aus der Verantwortung stiehlt, wächst ihr alles über den Kopf. Wir erleben eine Welt in Brasilien, die noch dominiert ist von der Sklaverei, doch dann platzt der berühmte Sklavereigegner León Castro in das Leben der da Silvas und ist bei Vitas Eltern natürlich kein gern gesehener Gast. Als eines Tages der stumme Félix von Boavista verschwindet, ahnt noch niemand, dass León ihm zur Flucht verholfen hat und Félix nun auf seiner Plantage arbeitet und dort lesen und schreiben lernt.

Zu der Zeit, in der die Geschichte beginnt, bricht das System in Brasilien zusammen, die Sklaverei steht kurz vor der Abschaffung und auch die Monarchie ist deutlich marode geworden. All diese Umwälzungen erleben wir hautnah mit, auch den Tag, als die Sklaven plötzlich befreit sind und ihre Plantagen verlassen, um ihr Glück in der Stadt zu suchen. Die vormals reichen Plantagenbesitzer stehen vor dem Nichts und müssen nun ihren eigenen Haushalt führen und die Plantagen verfallen lassen, da sie niemanden haben, der den Kaffee ernten kann. Doch Vita hat vorgesorgt; sie lebt bereits als reiche Frau in Rio, die ihr Geld in andere Industriezweige investiert und gut angelegt hat, was ihr so viel Wohlstand beschert hat, dass sie ihre ganze Familie damit weiter versorgen kann.

Vor diesem dramatischen Hintergrund erzählt Ana Veloso die Geschichte der Vita, die in der Tat viele Charakterzüge einer Scarlett O’Hara trägt. Natürlich ist sie das schönste Mädchen weit und breit, das sich vor Verehrern kaum retten kann, aber ihr Herz verschenkt sie dann an einen Rebellen, mit dem ihre Eltern nicht einverstanden sind. Genau wie Rhett und Scarlett zwischen Liebe und Hass schwanken, ist auch die Beziehung von Vita und León von großer Leidenschaft, aber auch viel Leid und Schmerz geprägt, da sie einfach nicht zueinander finden wollen.

Zu Beginn schafft es Ana Veloso überzeugend, die magische Anziehungskraft zwischen Vita und León zu beschreiben, von der ersten Begegnung an knistert es zwischen den beiden, und dem erfahrenen „Historienschmöker-Leser“ ist natürlich sofort klar, dass sich zwischen ihnen eine leidenschaftliche und dramatische Affäre entwickeln wird. Als Vita dann aber schwanger wird und León durch die Lande reist, anstatt sich um seinen entstehenden Nachwuchs zu kümmern, kommt es zum Bruch zwischen den beiden. Vita schickt León einen Hilferuf, auf den León gar nicht reagiert.

Als sie sich einige Zeit später wiedersehen, erfährt Vita, dass León von ihrer Schwangerschaft nichts gewusst hat. Doch anstatt das Missverständnis aufzuklären, eiern die beiden ziellos umeinander und verletzen sich fortan bewusst gegenseitig. Mir ist Vitas Verhalten ehrlich gesagt nicht ganz klar geworden. Sie hätte eventuell die Möglichkeit gehabt, ihre Beziehung zu León zu retten, aber sie macht es nicht. Hier konnte Ana Veloso das Handeln ihrer beiden Hauptfiguren leider nicht ganz glaubwürdig schildern. In punkto Charakterzeichnung überzeugt Ana Veloso nicht auf ganzer Linie, denn auch Vitas Bruder Pedro zeigt teilweise merkwürdige Anwandlungen, die nicht immer schlüssig erscheinen. Aber vor dem exotischen Hintergrund und vor allem der spannenden historischen Rahmenhandlung mag man das Veloso durchaus verzeihen.

Während sich Ana Veloso zu Beginn des Buches noch auf die Familie da Silva konzentriert und sich die gesamte Handlung auf Boavista abspielt, spaltet sich die Erzählung im weiteren Verlauf der Geschichte in mehrere Handlungsstränge auf. So begleiten wir den stummen Félix auf seiner Flucht vor der Sklaverei, die er ohne Leóns Hilfe nie geschafft hätte. Dank León erhält Félix Arbeit und kann das Schreiben erlernen, sodass er sich mithilfe einer Tafel schließlich auch verständigen kann. Die Geschichte um Félix, der es schafft, in Rio sein eigenes Leben zu führen, nimmt später viel Raum ein und fügt sich stimmig in das Buch ein, was aber erst sehr spät klar wird, wenn uns Ana Veloso gen Ende mit einigen erschütternden Details füttert. Auch von Pedro und seiner Frau Joana werden wir viel zu lesen bekommen, sodass wir uns manchmal über weite Strecken des Buches von Vita trennen müssen. Genau das hat mich aber immer wieder zum Weiterlesen verleitet, weil ich natürlich wissen wollte, wie es mit den beiden Hauptfiguren weitergeht. Ohne den bunten Strauß an Nebenhandlungen hätte „Der Duft der Kaffeeblüte“ mit Sicherheit nicht sein volles Aroma entfaltet und kein solches Tempo entwickelt.

Am Ende bleibt ein sehr positiver Eindruck zurück. Ana Veloso versetzt ihre Leser in das 19. Jahrhundert und nimmt uns mit nach Brasilien auf eine florierende Kaffeeplantage, die schließlich aber verfällt, als die Sklaven befreit werden und niemand mehr den Kaffee ernten kann. Vor diesem spannenden Hintergrund zeichnet sie eine tragische und bewegende Familien- und Liebesgeschichte, die einen einfach gefangen nehmen und hinreißen muss. Wer schon „Vom Winde verweht“ verschlungen hat, wird auch dieses Buch lieben!

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