Alle Beiträge von Michael Birke

Scalzi, John – Krieg der Klone

Im Alter von 75 Jahren meldet sich John Perry bei der KVA (Koloniale Verteidigungsarmee). Seine Frau ist tot, und auch John Perry fühlt, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Doch die Armee bietet Senioren eine einmalige Chance: Eine vollständige Verjüngung – für zehn Jahre Militärdienst und der Auflage, nie wieder auf die Erde zurückkehren zu dürfen. Strenge Quarantänegesetze sollen die Urheimat der Menschheit schützen, für ihre Dienste erhalten die Soldaten der KVA ein Stück Land auf einer der hart umkämpfen Kolonialwelten. Denn die Menschheit ist nicht allein im Weltall, blutige Kriege sind an der Tagesordnung.

_Der Autor_

John Scalzi (* 10.05.1969, Kalifornien) begann seine Karriere in der Blogger-Szene. „Krieg der Klone“ (im Original: „Old Man’s War“) erschien bereits 2002 in Fortsetzungen im Blog seiner Website, bis Patrick Nielsen Hayden, Senior Editor von |Tor Books|, auf ihn aufmerksam wurde. Womit dieser ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen hat: Scalzis Debüt war gleichzeitig auch sein Durchbruch, das Buch verkaufte sich in den USA ausgezeichnet und kam bei den Lesern gut an. Als Sahnehäubchen wurde es 2006 mit dem |John W. Campbell Award| ausgezeichnet und für den |Hugo Award| nominiert. Scalzis „Krieg der Klone“ musste gegen Werke etablierter Autoren wie George R. R. Martin, Charles Stross und Ken MacLeod antreten, und sich nur dem überragenden [Spin 2703 von Robert Charles Wilson geschlagen geben.

_Mehr als eine Hommage an „Starship Troopers“ und „Der ewige Krieg“_

„Krieg der Klone“ ist Military Science Fiction, keine Frage. Das Szenario ist stark an Robert A. Heinleins „Starship Troopers“ angelehnt, doch Scalzi wäre ein Narr, wenn er dessen Ideologie und Pathos im Jahr 2007 reanimieren würde. Stattdessen positioniert er sich zwischen Heinlein und dem oft als Anti-Starship-Troopers gelesenen [„Der ewige Krieg“ 488 von Joe Haldeman.

Derber, sarkastischer Humor und John Perry als sympathischer, menschlicher Held geben dem Roman eine eigene Note. Wo Heinlein im Vorwort von [„Starship Troopers“ 495 das Hohelied auf Technologie und Fortschritt in Form des Kampfanzugs der Mobilen Infanterie singt, Haldeman die Gefahren moderner Technologien heraufbeschwört, zeigt sich in „Krieg der Klone“ der spezielle Scalzi-Humor. Die alten Männer, die dem Tod von der Schippe springen wollen, wissen nicht, worauf sie sich eingelassen haben. Ihr neuer Körper ist ein geklonter und verbesserter Alien-Mensch-Hybrid ihrer selbst, mit grüner Haut, fähig zur Photosynthese, Katzenaugen für Nachtsicht und nanotechnischem SmartBlood anstelle echten Blutes. Der Schock ist groß, aber auch die Freude: Denn der neue Körper ist jung, stark und schön. Hier neigt der Roman eher in Richtung von Haldemans „Der ewige Krieg“, denn natürlich wollen die älteren Herren und Damen ihre neuen Körper recht bald ausgiebig „testen“ …

Die Ausbildungssituation ist ähnlich wie in „Starship Troopers“, allerdings ohne jeglichen ideologischen Ballast. Ähnlich wie Johnnie Rico macht auch John Perry eine Blitzkarriere, dennoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden. Rico akzeptiert im Laufe seiner Karriere immer mehr das System, in dem er dient und erzogen wird, Perry hingegen zweifelt immer mehr an den hehren Zielen der KVA, je länger er in ihren Kriegen kämpft. So auch an den Quarantänegesetzen; sie scheinen eher dazu zu dienen, die Menschen der Erde als unerschöpflichen Rekrutierungspool in Unwissenheit zu halten und auszubeuten. Auch die Kriegsziele werden angezweifelt. Oft findet sich die KVA in der Rolle des Aggressors; Strafexpeditionen gegen nur fingerlange Aliens, bei denen die Soldaten wie Godzilla mit bloßen Stiefeltritten ihre Städte zerstören, sollen hier als Beispiel dienen.

Bei der Charakterisierung der Aliens ist Scalzi alles andere als homogen. So bedient er sich bei Stereotypen für einige eher billige Lacher, sein Humor ist leider oft doch etwas zu plump. Hässliche Monster mit Tentakeln und riesigen Fangzähnen in sabbernden Mäulern werden als die besten und treuesten Verbündeten der Menschheit dargestellt, während Aliens mit Bambiaugen menschliche Frauen in Farmen halten, künstlich schwängern und ihre Babies als Delikatesse frittieren! Hier spielt Scalzi zu oft mit dem BEM-Klischee (Bug-Eyed Monster) der Science-Fiction.

Tiefschürfend ist das Buch selten, allerdings darf man sich von solchen Passagen nicht irritieren lassen. Flach und „nur“ unterhaltend ist dieser Roman nicht. Scalzis Stil ist nicht homogen; wie man auch in seinem Blog lesen kann, ist er stets um ein Späßchen bemüht, was auch seine Hauptfigur John Perry auszeichnet. Wenn John Perry über dies und das sinniert, liest sich der in der Ich-Perspektive geschriebene Roman am besten. Hier spricht Scalzi aus Perry, er schreibt, wie er denkt, wie in seinem Blog. Und das gibt Perry Leben und Authentizität, er kann mit seinen Gedanken überzeugen.

Scalzi ist kein Technomane, er beschreibt meistens Near-future-Technologie und ist in dieser Hinsicht sicher kein Visionär. Er ist an den Einflüssen auf den Menschen interessiert; hier bietet er im letzten Drittel des Romans einige Denkanstöße. Perry begegnet den Soldaten der „Geisterbrigaden“, geklont aus der DNA Freiwilliger, die starben, bevor sie in die Dienste der KVA traten und ihr Bewusstsein transferiert werden konnte. Ihre Körper wurden noch gravierender verändert, sind effizienter und stärker, ihre Persönlichkeit nahezu völlig neu erschaffen. Einer dieser Elitesoldaten rettet Perry, der in ihm jemanden wiedererkennt, den er einmal sehr gut kannte.

Anstelle von Ideologie tritt bei Scalzi Humor – blanke Gewalt und Action satt gibt es jedoch auch in seiner Form der Military Science Fiction. Scalzi hat eine besonders ausgeprägte Gabe, Bilder in den Köpfen seiner Leser zum Leben zu erwecken. Egal wo John Perry im Einsatz ist, diese Welten sind lebendig und faszinierend fremd. Oft sogar sind diese Welten und ihre Bewohner so fremd, dass sie ein Mensch nicht wirklich verstehen kann. Selbst das Oberkommando rätselt oft über die Motivationen bestimmter Rassen; man befindet sich in Kriegen und weiß nicht, wie man sie beenden kann, da man nicht einmal weiß, was genau sie ausgelöst hat. So wird der kriegerische Konflikt als die häufigste Form der Kommunikation und Problemlösung im Universum dargestellt.

In der deutschen Fassung findet sich als Epilog noch die Kurzgeschichte „Fragen an einen Soldaten“, in der interessanterweise John Perry unter anderem von der seltenen friedlichen Einigung mit einer anderen Spezies berichtet. Gut und Böse liegen in Scalzis Universum nahe beieinander, oft muss man eine Aktion im Nachhinein ganz anders bewerten, aufgrund neuer Informationen, die man zuvor nicht hatte:

|“Mein Gott, das tut mir natürlich sehr leid“, sagte Bender. „Das hätte ich nicht sagen sollen. Aber ich wusste ja nichts davon.“ „Natürlich nicht, Bender. Und genau darauf wollte Viveros hinaus. Hier draußen wissen Sie von nichts. Sie wissen |gar| nichts.“| (S. 221)

_Fazit:_

John Perry ist ein interessanter Charakter, aus dessen Sicht Scalzi dem Leser seine Welt sehr plastisch in starken Bildern vor Augen führt, trotz oder gerade wegen der Ich-Perspektive, in welcher der Roman geschrieben ist. Die Übersetzung von Bernhard Kempen ist in Stil und Ton gut gelungen, auch wenn einige Wendungen und relaxte amerikanische Umgangssprache, wie sie in den Dialogen vorherrscht, mir im Original einfach besser gefallen haben.

Ein bemerkenswertes Debüt, in meinen Augen eine unserem Zeitgeist entsprechende Version von „Starship Troopers“. Viel leichter verdaulich für unseren heutigen Geschmack, spielt Scalzi mit Klischees und lässt Ideologien außen vor; sein Roman ist deutlich geprägt von Ideen der Postmoderne, Skepsis ist angebracht, die Dinge sind oft nicht so, wie sie zu sein scheinen. Mir persönlich gefiel Scalzis staubtrockener, sarkastischer Humor, allerdings könnte er anderen Lesern als viel zu banal und derb erscheinen. Mit „The Ghost Brigades“ und „The Last Colony“ sind bereits Fortsetzungen erschienen, die hoffentlich bald auch in Übersetzung für den deutschen Markt vorliegen.

Homepage des Autors:
http://www.scalzi.com/

|Originaltitel: Old Man’s War
Übersetzt von Bernhard Kempen
Taschenbuch, 432 Seiten|
http://www.heyne.de

Lynch, Scott – Lügen des Locke Lamora, Die (Locke Lamora 1)

|Locke Lamora / Der Gentleman-Bastard:|

Band 1: _“Die Lügen des Locke Lamora“_
Band 2: [„Sturm über roten Wassern“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5172
Band 3: „Die Republik der Diebe“ (11.10.2011)
Band 4: „The Thorn of Emberlain“ (noch ohne dt. Titel)
BAnd 5: „The Ministry of Necessity“ (noch ohne dt. Titel)
Band 6: „The Mage and the Master Spy“ (noch ohne dt. Titel)
Band 7: „Inherit the Night“ (noch ohne dt. Titel)

„Scott Lynch“ ist keinesfalls der neue Roman des Autoren Locke Lamora – dass es dennoch so erscheint, liegt an der völlig unpassenden Titelbildgestaltung, die leider an ältere |Dungeons & Dragons|-Romane erinnert. Es ist vielmehr umgekehrt: Der 1978 in Minnesota geborene Scott Lynch ist der Autor von „Die Lügen des Locke Lamora“, einem Edelganovenroman im Fantasymilieu. Diese recht seltene Kombination bescherte ihm großen Verkaufserfolg und gute Kritiken in den USA. _Anmerkung:_ Der Heyne-Verlag hat mittlerweile das Erscheinungsbild der Serie zum Besseren verändert, [hier]http://www.jagve.org/jpg/dldll.jpg zum Vergleich das alte Cover, auf das sich die Kritik bezieht.

Mag der Dieb als Charakter auch ein Archetyp der Fantasy sein, so ist er doch meistens eher eine Nebenfigur. Zumindest in den |Forgotten Realms| (Vergessenen Reichen) pflegen die werten Langfinger sich in mächtigen Gilden zusammenzurotten und gewissen Klischees zu huldigen, mit denen Lynch jedoch zu brechen versucht durch ein italienisch angehauchtes Szenario mit britischem Einschlag. Der Stadtstaat Camorr, in dem die Handlung spielt, ist zwar auch die Heimat vieler organisierter Banden (und deutlich an die Camorra und Neapel angelehnt), im Gegensatz zu Calimhafen im |D&D|-Universum jedoch wesentlich detailverliebter dargestellt. Es herrscht ein „Geheimer Friede“ zwischen dem Oberhaupt der Banden, Capa Barsavi, und dem Adel von Camorr. Auch die Gendarmerie ist in diesen eingeweiht. Diebe dürfen mehr oder weniger ungestraft ihr Unwesen treiben, solange die Aristokratie von ihnen verschont bleibt.

Doch der gewitzte Locke Lamora, ein Lehrling von Vater Chains, einem angeblich halbblinden Bettelmönch des Perelandro, hält sich selten an den Frieden. Nicht ganz in Robin-Hood-Manier stiehlt er von den Reichen. Allerdings nicht, um es unter den Armen zu verteilen, die lässt man einfach in Ruhe und genießt selbst das süße Leben, das die reiche Beute den Gentleman-Ganoven ermöglicht. Hier liegt auch der Unterschied zum britischen Edelganoven: Locke und seine Bande sind Waisen und keine bereits reichen Snobs mit Attitüde. Was sie von den übrigen Schlägern und Gaunern Camorrs unterscheidet, sind ein gewisses Schauspieltalent und eine umfassendere Bildung. So kann sich Locke als Edelmann verkleiden und überzeugend als Geschäftsmann auftreten, denn er versteht etwas von Buchhaltung und den Sitten am Hof von Herzog Nicovante und anderen Herrschern.

Die Geschichte beginnt mit der Überstellung Locke Lamoras an Vater Chains, der seine besonderen Talente erkannt hat. Gleichzeitig hat ihn ein gewisser Übermut in eine gefährliche Lage gebracht. Denn Locke hat bereits in seiner Ausbildung beim „Lehrherrn der Diebe“ im „Hügel der Schatten“, der junge Waisen aufsammelt und sie für die Banden Camorrs ausbildet, über die Stränge geschlagen. Er hat sich mit den Ordnungshütern der Stadt angelegt und sie bestohlen, was eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Bewegung setzte, die mit dem Brand eines Wirtshauses, Verhaftungen und dem Tod einiger seiner Gefährten endete. Grundsätzlich ist auch er des Todes. Denn Capa Barsavi kann nicht dulden, dass irgendjemand den „Geheimen Frieden“ bricht. Der Lehrherr ist gezwungen, beim Capa um seinen Tod zu bitten und ihn dann auch zu töten, doch Vater Chains fordert den verwegenen Bursche für sich an. Zusammen mit den Zwillingen Calo und Galdo Sanza, Bug, Jean Tannen und Sabetha bildet er sein Team von Gentleman-Ganoven. Locke entwickelt sich zum Kopf der Bande, in der jedes Mitglied seine besonderen Talente hat. Der kurzsichtige aber starke Jean zum Beispiel ist ein gefährlicher Schläger mit aufbrausendem Temperament, aber da er aus bürgerlichem Hause stammt, auch der beste Rechner der Bande, mit der bei weitem schönsten Handschrift.

Scott Lynch erzählt die Ausbildung von Locke Lamora parallel zum ersten Coup Lockes, einem Betrug an Don Salvara, dem gegenüber er sich als ein Bevollmächtigter des Hauses bel Auster, bekannt für seinen weltberühmten Austershalin-Kognak, ausgibt. Doch die Geschichte wird noch komplexer, denn in Camorr tobt ein Bandenkrieg. Der „Graue König“ versucht, Capa Barsavi die Vormachtstellung abzunehmen. Er intrigiert gegen Locke und bringt ihn unter seine Kontrolle. Er soll für ihn mit Capa Barsavi verhandeln. Dank eines Soldmagiers aus Karthain konnte er bisher der geballten Macht der Banden widerstehen, doch nun möchte er ihn sprechen. Locke vermutet zu Recht eine List – er wird als Köder einer raffinierten Falle missbraucht, die ihn fast das Leben kostet. Viele Anhänger Barsavis und Freunde Lockes sterben auf bewusst brutale und grausame Art und Weise, der „Graue König“ ist jedoch damit nicht zufrieden. Er will nicht nur Herr über die Unterwelt Camorrs sein, auch mit dem Adel hat er ein Hühnchen zu rupfen …

Ab diesem Zeitpunkt gewinnt das Buch deutlich an Klasse und Fahrt, denn die ersten 238 Seiten bis zum Beginn des zweiten Buches „Komplikationen“ sind ziemlich langweilig. Lockes Ganovenabenteuer und Genialität werden zu oft gepriesen, ohne dass Lynch einen genialen Coup folgen ließe. Die Rückblenden in die Vergangenheit wirken hier besonders bremsend und störend. Im weiteren Verlauf der Handlung, sobald sie an Komplexität und Witz gewinnt, erzeugt diese Erzähltechnik jedoch durchaus eine gewisse Abwechslung und Steigerung der Spannung. Die Zwischenspiele und Sprünge sind kürzer als zu Beginn, nicht mehr so willkürlich, sondern haben Bezug zur Haupthandlung.

Der Charakter Locke Lamora ist eine bewusste Leerstelle des Autors. Wir erfahren mehr über Vater Chains, Capa Barsavi und Jean Tannen als über Locke selbst und seine unglückliche Liebe Sabetha. Geschickt offenbart Lynch häppchenweise Details. Erst erfahren wir, dass Locke in Sabetha verliebt war, dann, dass sie über einem halben Kontinent geflüchtet ist – warum auch immer. Dann indirekt ihre Haarfarbe, dass sie eine perfekte Verführerin und Schönheit ist … und mehr nicht. Sabetha könnte in weiteren Romanen eine wichtige Rolle spielen. Locke selbst ist ein eher schmächtiger und nicht gerade gutaussehender junger Mann, dem man die Spuren der Unterernährung in der Jugend noch ansieht. Seinen wahren Namen – er heißt weder Locke noch Lamora – flüstert er am Ende des Romans Jean Tannen ins Ohr. Dem Leser bleibt er vorenthalten.

Camorr selbst, der einzige Schauplatz der Handlung, ist eine Hafenstadt, die, wie bereits erwähnt, an Neapel angelehnt ist. Magie spielt weitgehend keine Rolle, stattdessen Gift, List und Tücke. Ein sehr italienisches Szenario, mit einigen britischen Spritzern wie dem Gentleman-Aspekt und den Waisenkinderbanden. Lynch ließ es sich jedoch nicht nehmen, noch eine Hai-Variante des Stierkampfs und gläserne Bauwerke der Eldren, mystischer und ausgestorbener Vorfahren der Menschen, einzubauen. Nebenher erzählt er über weit entfernte Gebiete und zwielichte Organisationen, wie die Soldmagier von Karthain. Diese Welt ist auf Expansion angelegt, und so wundert es nicht, dass Locke am Ende des Buchs gezwungen ist, Camorr auf dem Seeweg zu verlassen. Der nächste Band wird unter dem Titel „Sturm über roten Wassern“ erscheinen.

_Fazit:_

Ganz so originell, wie die vielen Rezensionen und Pressestimmen auf dem Buchrücken behaupten, ist „Die Lügen des Locke Lamora“ sicher nicht. Das Szenario mag einem Amerikaner exotisch vorkommen, einem Europäer dürfte es wesentlich geläufiger sein. Italienisches Mittelalter beziehungsweise frühe Neuzeit treten immer häufiger in der englischsprachigen Fantasy auf, wie bereits in [„Der venezianische Ring“ 1401 von Cherith Baldry. Das soll nicht heißen, „Locke Lamora“ sei ein Langweiler, ganz und gar nicht. Ein sehr verhaltener Start und ein unausgereifter Spannungsbogen sowie starke Qualitätsschwankungen machen den Roman zu einem Wechselbad der Gefühle. Auf wirklich vorzügliche Passagen folgen Kapitel, die an Trivialität und Banalität kaum zu überbieten sind. Der sehr indirekte und vage Stil der Charakterisierung Lockes ist ausgeprägte Geschmackssache, ebenso die Erzählweise mit den vielen Zwischenspielen in der Vergangenheit.

Doch mit viel Witz und Liebe zum Detail macht Scott Lynch einiges wett, und im Genre der Fantasyganoven ist Locke Lamora ohne Zweifel bereits jetzt der unangefochtene Capa. Auf seine weiteren Abenteuer kann man gespannt sein, denn Locke hat sich in diesem Buch mehr Feinde als Freunde geschaffen. Sehr gefährliche Feinde.

|Originaltitel: The Lies of Locke Lamora (Teil 1) – The Gentleman Bastard Sequence Bd. 1
Originalverlag: Gollancz
Aus dem Englischen von Ingrid Herrmann-Nytko
Deutsche Erstausgabe
Paperback, 848 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de
http://www.scottlynch.us

Baxter, Stephen – Imperator (Die Zeit-Verschwörung 1)

Britannien, im Jahre 4 vor Christus: In einer eisigen Nacht wird Nectovelin in einem brigantischen Rundhaus geboren. Seine Mutter stirbt an der schweren Geburt, doch sie spricht eine Prophezeiung in Latein, der ihr völlig fremden Sprache der Römer.

|Dann schrie Brica, ein Laut, der die stille Nachtluft durchbohrte. Und sie begann hastig zu reden, ein hohes, schnelles, seltsames Gebrabbel, das Cunovic das Brut gefrieren ließ. (…) Bricas Sturzbach lateinischer Wörter versiegte jedoch immer noch nicht; Cunovic kritzelte weiter auf seine Tafel. Die Wörter waren seltsam, rätselhaft und unzusammenhängend: haushohe Pferde … kleinen Griechen … toter Marmor (…) Cunovic dämmerte allmählich, dass dies eine Beschreibung der Zukunft – oder einer Zukunft – war, eine Schilderung von Ereignissen, die erst eintreten konnten, wenn er und Brica und sie alle schon längst tot waren. Voller Furcht stellte er sich einen Zauberer in einer dunklen Zelle vor, irgendwo in der Vergangenheit oder Zukunft, der dafür sorgte, dass sich in diesem Augenblick, in dem Geburt und Tod im Gleichgewicht waren, die fremdartigen Wörter in den Kopf der hilflosen Brica ergossen – einen Zauberer, einen Weber, der die Fäden der Geschichte verwob, Fäden, die Menschenleben waren. Aber warum?|

_Stephen Baxter_

Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch dem deutschen |Kurd-Laßwitz-Preis| ausgezeichnet.

Doch Baxter ist kein Technomane, er ist vielmehr ein Visionär. Er scheut sich nicht, Handlungsbögen aus tiefster Vergangenheit über die Gegenwart bis hin in die ferne Zukunft zu schlagen, wie er es bereits in seiner |Kinder des Schicksals|-Trilogie getan hat.

Dies könnte auch hier der Fall sein, denn ohne Folgebände ist dieser erste Band von |Die Zeit-Verschwörung| ein reinrassiger |Alternate History|-Roman mit keinerlei Science-Fiction-Elementen, sieht man von der nur vermuteten Existenz eines „Webers“, der das Schicksal der Welt manipulieren möchte, ab. Dieser Roman ist nur ein extrem offener Auftakt, der leider keinerlei Hinweise liefert, in welche Richtung Baxter den Stoff weiterentwickeln will.

_Eine Rückkehr in das römische Britannien_

In derselben Zeit wie „Imperator“, dem hier besprochenen ersten Band der auf vier Bänden geplanten Serie |Die Zeit-Verschwörung|, spielt übrigens auch „Der Orden“. Baxter-Kenner könnten aus dem dritten Band der |Kinder des Schicksals|-Trilogie, [„Transzendenz“, 3193 unter Umständen Rückschlüsse ziehen, um wen oder was es sich bei dem ominösen „Weber“ handelt, allerdings gibt es darauf leider keine weiteren Hinweise.

Stephen Baxter hat sich bereits öfter in die Zeit der römischen Besetzung Britanniens verirrt, und seine Kenntnisse dieser Zeit und der Geschichte Britanniens sind wirklich profund. Wie er dieses Mal den Bogen zur Science-Fiction schlagen möchte, bleibt wie gesagt leider offen, aber auch als |Alternate History|-Autor kann er überzeugen.

Die erwähnte kryptische Prophezeiung steht im Mittelpunkt, die ein von Urahn Cunovic vermuteter „Weber“ seiner Familie gesendet hat. Aber warum und zu welchem Zweck, kann nur vermutet werden. Der Leser begleitet die Familie Cunovics durch die Jahrhunderte. Jeder Nachfahre interpretiert sie auf seine Weise, erlebt, wie die Prophezeiung wahr zu werden scheint, nur um enttäuscht zu werden. Ebenso droht sie verloren zu gehen, nachdem ein Teil der Familie verarmt ist und in die Sklaverei gezwungen wird.

_Chronologie einer Prophezeiung_

Die Geschichte der Interpretation der Weissagung beginnt mit Nectovelin, der in dem Wortlaut der Prophezeiung den Auftrag und die Deutung sieht, dass Britannien von den Römern frei sein wird. Er wird Augenzeuge der römischen Landung und wirft sich der Invasion entgegen – doch er verliert sein Leben und das Land seine Freiheit. Seine Base Agrippina überlebt und mit ihr die Prophezeiung.

Jahrhunderte später sieht seine ferne Nachfahrin Severa eine Chance auf Reichtum. Die Prophezeiung spricht von einer „steingewordenen Schlinge“ im Norden Britanniens. Kaiser Hadrian plant, eine Grenzbefestigung zu bauen – und Severa arbeitet darauf hin, dass der Wall nicht aus Grassoden, sondern aus Stein besteht. Getrieben von der Prophezeiung und Profitgier verheiratet sie ihre Tochter Lepidina mit dem Eigentümer eines Steinbruchs.

Doch auch zu dieser Zeit wird die Prophezeiung nicht wahr, Britannien nicht frei. Severas Nachkommenschaft versinkt in Sklaverei, nur in Form eines auf den nackten Rücken tätowierten [Akrostichons]http://de.wikipedia.org/wiki/Akrostichon können die Worte des Webers überdauern. Spätere Generationen verbinden einen Teil der Prophezeiung – „Erhoben in Brigantien, wird später er in Rom gepriesen, Paladin eines Sklavengottes, am Ende selbst ein Gott“ – mit dem Aufstieg des Christentums unter Kaiser Konstantin. Will der Weber den Tod des Kaisers und das Ende des Christentums?

Der Sklave Atrox, ferner Nachkomme Severas, wird das Leben Kaiser Konstantins in der Hand halten. An seiner Entscheidung hängt die Zukunft Britanniens.

_Aufstieg und Fall Roms aus britannischer Sicht_

„Imperator“ hätte eine kontrafaktische Erzählung werden können. Doch Baxter folgt exakt dem geschichtlichen Verlauf. Drei Kaiser, die nicht nur aus britannischer Sicht von Bedeutung sind, werden hervorgehoben. Kaiser Claudius als Eroberer Britanniens und Mauretaniens steht für das expansive Zeitalters des römischen Reichs. Das römische Heer selbst ist nicht nur eine Eroberungsmaschine, es schafft mit seiner Verwaltung, seinen Kastellen und seiner Disziplin auch römische Kultur, die nach und nach fast alle Britannier zu Bürgern Roms, echten Römern, macht. Kaiser Hadrian baut einen Wall, er zieht Grenzen und sichert, was vorhanden ist. Baxter betont dies als einen Wendepunkt in der Strategie und des Wesens des römischen Reichs. In den Provinzen verfällt die Disziplin, lokale Volksstämme und ihre Bräuche gewinnen an Einfluss, Britannien wird in der Folge eine Vielzahl von Usurpatoren hervorbringen.

Mit Konstantin I. beginnt zwar noch lange nicht der Fall des römischen Reichs, aber Baxter sieht hier schon den Keim des Untergangs aufgehen, der während der Zeit Hadrians gelegt wurde. Seine Regierungszeit steht im Zeichen des Aufstiegs Konstantinopels (damals noch Byzantion, erst nach dem Tod des Kaisers wurde die Stadt umbenannt) zur Hauptstadt und der nach ihm benannten konstantinischen Wende, mit welcher der Siegeszug des Christentums begann. Diese nahm ihren Ursprung in der Verwendung des Christusmonogramms in der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312.

Hier kann man nun trefflich spekulieren. Der Sklave Atrox gewinnt für sich und seine Nachkommen die Freiheit: War das die Prophezeiung? Was beabsichtigt der Weber? Hat überhaupt eine Generation seiner Familie irgend etwas bewirkt, hat sie die Prophezeiung wahr gemacht, verhindert, oder hat diese sich als wahr erwiesen, egal welche Schlüsse man aus ihr abzuleiten versuchte? Welche Bedeutung wird das Christentum für den weiteren Verlauf der Geschichte und der Prophezeiung haben?

_Fazit:_

Trotz der Wissensvorteile, die Leser, Rezensenten und Kenner Stephen Baxters gegenüber Nectovelins Nachkommen haben, sind sie am Ende genauso ratlos. Baxter gibt keine Erklärungen zu der Prophezeiung ab, der Sinn der Prophezeiung bleibt auch nach dem Ende des Romans kryptisch und vage. Dies macht den Reiz der Geschichte aus, gleichzeitig wird diese Lust zum Frust – denn Baxter erbarmt sich mit keinem noch so kleinen Fingerzeig seiner Leser, man kann nur hoffen, dass der Folgeband „Eroberer“ ein wenig mehr Licht in vermeintliche Absichten des „Webers“ bringt.

Was Baxter geschaffen hat, findet man im Titel des Romans: Anhand dreier Imperatoren Roms schildert er Aufstieg, Stagnation und Fall des Reichs – aus britannischer Sicht. Ein lupenreiner Historienroman aus einer interessanten Perspektive, nämlich der einer über Jahrhunderte beteiligten Familie. Dabei bleibt es nicht aus, dass die Charaktere austauschbar sind. Eine Hauptfigur gibt es nicht, die Generationen der Familie wechseln sich ab. Sie sind nur Statisten, die große Idee der Prophezeiung und die gesamte Vielfalt der Geschichte stehen im Mittelpunkt. Hier bietet Baxter seinen Lesern sehr viel, setzt aber auch sehr viel Wissen der römischen und britannischen Geschichte voraus. Er weist nicht gesondert darauf hin, welche geschichtliche Bedeutung Konstantin I. hatte; hier muss man Baxters Gedanken folgen können, er lädt zum Denken ein, ohne selbst allzu sehr zu kommentieren, um die Gedanken des Lesers in von ihm gewünschte Bahnen zu lenken. So sehr ich diese Vorgehensweise auch schätze, der Nachteil ist, dass sie rücksichtslos davon ausgeht, dass der Leser Baxter folgen kann, was bei dem vorausgesetzten Wissen seine Gedankengänge sicher für viele Leser hermetisch unzugänglich erscheinen lässt.

Da die gesamte Serie als Science-Fiction vermarktet wird, kann ich mir vorstellen, dass viele Fans des Science-Fiction-Autors Baxter von ihr enttäuscht sein werden. Denn ob diese bisher rein historische Sachverhalte reflektierende und illustrierende Quadrologie noch die Wende zu einem noch so kleinen Anteil Science-Fiction schaffen wird, kann man nicht sagen, es gibt keinerlei Anzeichen dafür.

Wer historische Romane liebt und mit Baxters viele Romane überspannenden Handlungsbögen etwas anfangen kann, sollte „Imperator“ eine Chance geben. Wer [„Der Orden“ 1040 geschätzt hat, wird mit „Imperator“ sogar noch eine Steigerung erfahren. Alle Leser die Science-Fiction lesen möchten, seien gewarnt; diese Quadrologie ist für das Genre atypisch und schwer einzuordnen. Das englische Genre der |Alternate History| beschreibt sie am besten.

Das Ende des Romans gibt einen Hinweis auf den Folgeband „Eroberer“, der im Jahr 1066 spielen wird. Isolde, eine ferne Nachfahrin Nectovelins, gebiert ein Kind, und die Worte der Prophezeiung entströmen erneut ihrem Mund – diesmal jedoch auf sächsisch!

|“Weshalb spricht sie sächsich?“, knurrte Tarcho. „Die Zukunft ist brigantisch, nicht sächsisch!“ (…) Nennius‘ Stimme klang verblüfft. „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück? Was hat das zu bedeuten? Wenn das die Worte des Webers sind, was ist das für ein Traum? Oh, was hat das zu bedeuten?“|

Der erwähnte „Eroberer“ des Jahres 1066 ist Wilhelm der Eroberer. Seine Zukunft wird ebenfalls von den prophetischen Worten beeinflusst, die selbst die Brandschatzung des Klosters Lindisfarne überdauern und seine Entscheidungen beeinflussen werden. Auf Baxters Homepage findet man zudem einige weitere Hinweise: Der dritte Band wird Kolumbus und das Jahr 1492 thematisieren, der vierte Band Großbritannien im Jahr 1940, zur Zeit der Luftschlacht um England.

Wohin Baxter diese Quadrologie führen wird, ist nicht abzusehen. Wem dies zu wenig ist, der sollte von ihr Abstand nehmen. Der von Baxter gewählte Erzählstil kann nur polarisieren. Wer Baxters historische Reflexionen und das Genre der |Alternate History| zu schätzen vermag, sollte definitiv zuschlagen.

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.stephen-baxter.com/

Verlagshomepage:
http://www.heyne.de

Eschbach, Andreas – Ausgebrannt

Markus Westermann will es schaffen – in den USA. Er träumt den „American Dream“, und wie so viele andere landet er unsanft auf dem harten Boden der Tatsachen. Doch dann lernt er Karl Block kennen, einen alten Österreicher mit einer Idee, die niemand ernst nimmt, die Fachleute belächeln.

Block will da Öl finden, wo niemand auch nur suchen würde. Er behauptet, dass mehr als genügend Öl für Jahrtausende noch darauf wartet, entdeckt zu werden. Markus glaubt an ihn, und gemeinsam überzeugen sie den PPP – den Peak Performance Pool, eine Gemeinschaft superreicher Investoren. Als Block Öl mitten in der amerikanischen Pampa findet, glaubt Markus sich am Ziel seiner Träume.

Doch damit beginnen die Probleme. Das saudische Königshaus und die CIA sind hinter der Block-Formel her. Doch diese kennt Markus nicht, nur der alte Block, dessen Ausführungen er nicht folgen kann. Schließlich wird er von Wang, dem Vater seiner verwöhnten Geliebten Amy-Lee, erpresst: Er wird nicht in das milliardenschwere Unternehmen Wangs einheiraten, ohne Blocks Formel als Brautgeschenk mitzubringen. Schließlich werden Block und Westermann auch noch von den Saudis angeheuert, die aber scheinbar nicht an einem Erfolg Blocks interessiert sind, ganz im Gegenteil. Block wird entführt und verschwindet spurlos, Markus aus dem Land gejagt und der Probebohrauftrag gekündigt, seine Investoren drohen ohne Block abzuspringen. Als der CIA-Agent Taggard ihm noch offenbart, dass Amy-Lee des Öfteren für das Familienunternehmen mit diversen Männern ins Bett gegangen ist, bricht für Markus eine Welt zusammen.

Doch nicht nur die Welt des Markus Westermann gerät aus den Fugen. Das Ghawar-Feld, das größte Ölfeld der Erde, erlischt. Es ist bereits lange erloschen, und die Öltanks in Ras Tanura, dem größten Ölhafen, wurden ebenso lange heimlich geleert. Die USA sichern die saudischen Ölreserven militärisch, erlauben Bohrungen im Arctic Wildlife Refuge, während die Ölpreise steigen. Die Welt, wie wir sie kennen, hört auf zu existieren, eine soziale und wirtschaftliche Veränderung ohne Gleichen, das Ende des Erdölzeitalters. Markus erhält erneut eine Chance zum Aufstieg – auf ganz andere Weise, als er es sich erträumt hat.

_Ein Leben in zwei Zeitaltern_

Erfolgsautor Andreas Eschbach (*15.09.1959, Ulm) malt eine apokalyptische Zukunftsvision von Ende des „Ölzeitalters“, die erschreckend ist, da sie durch ihre akribische Recherche und Logik überzeugt, ein Roman, der zum Nachdenken anregt.

Durch den Roman begleitet werden wir von Markus Westermann, einen ehrgeizigen jungen Mann, der aufgrund Benzinmangels einen Unfall erleidet und von Gläubigern gejagt wird. Im Krankenhaus erinnert er sich an den Anfang vom Endes des Ölzeitalters, das nun unwiderruflich vorbei ist. Er wollte als „Mark S. Westman“ ein echter Amerikaner werden, er träumt den „American Dream“. Seine Versuche, sich in der Welt des Big Business hochzuarbeiten, scheiterten immer wieder, der Traum von harter Arbeit und garantiertem Erfolg wurde zum Alptraum von sehr harter Arbeit und vergänglichen Erfolgen.

Markus ist die Figur, an der man den Wandel der Welt verfolgen kann. Von harter Arbeit über ein kurzes Leben in Saus und Braus bis hin zu einer abgelegenen christlichen Gemeinde mitten in den USA, in der er Kuhscheiße schaufelt und wegen einer Dorfschönheit, der hübschen Tochter des diktatorischen Dorfpredigers, schließlich vor einem Lynchmob fliehen muss. In Deutschland erleben wir das Ende des Ölzeitalters aus der Sicht seiner Verwandschaft, während Markus die Apokalypse in den extrem vom Automobil abhängigen Sozial- und Wirtschaftsstrukturen der USA durchmachen muss.

Die ersten 250 (von 750) Seiten, immerhin ein Drittel des Romans, sind ein zäher und manchmal etwas zu belehrender Einstieg in den Roman, der die notwendigen Grundlagen und Prämissen für den weiteren Handlungsverlauf legt. Diese Einleitung ist viel zu langatmig, Markus Karriere wirkt klischeehaft; dass Komplimente bereits als sexuelle Belästigung angesehen werden können und dass Gott und die Bibel eine große Rolle im Land der unbegrenzten Möglichkeiten spielen, dürfte jedermann sattsam bekannt sein. Die Welt des „Big Business“ mit milliardenschweren Investoren und ihren Schlichen, die der zuvor beim Versuch, sich in der Softwarelokalisierung hochzuarbeiten, gescheiterte Markus schließlich zusammen mit dem charismatischen Karl Block überzeugen muss, konnte mich ebenfalls nicht begeistern. Das Bild der saudischen Königsfamilie und ihres Landes, welches abwechselnd aus der Sicht eines Angehörigen der Familie und der des CIA-Agenten Taggard gezeigt wird, ist sehr westlich und, wenn auch überzeugend, deshalb voreingenommen und oberflächlich, insbesondere wenn Eschbach Abu Jabr sehr westliches Gedankengut und die entsprechenden Worte in den Mund legt. Als Taggards Motivation, in Arabien zu arbeiten, mit den Terroranschlägen des 11. Septembers in Zusammenhang gebracht wurde – seine Tochter überlebte eine Herztransplantation nicht, da ein Startverbot herrschte -, verzweifelte ich an diesem Roman.

Diese schwache und viel zu lange Einleitung mit verwirrenden und zuerst zusammenhanglosen Rückblicken muss man erdulden, bis es zur Explosion im Hafen von Ras Tanura kommt. Mit dem Anfang vom Ende des Ölzeitalters wird der Roman richtig interessant, und die vorhergehende schwache Handlung klarer. Mit dem vom „unstudierten“ Selfmade-Man Block beiläufig und mundgerecht vermittelten Wissen über Ölfelder, Ölförderung, Geschichte und politische Zusammenhänge wird klar, warum das Versiegen eines Feldes, das immerhin „nur“ sechs Prozent der Weltförderung liefert, eine derartig katastrophale Wirkung haben kann. Diese „Peak Oil“-Theorie basiert auf dem Buch „Twilight in the Desert: The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy“ von Matthew R. Simmons, der übrigens Berater von George Bush in Energiefragen war, und wird vortrefflich erläutert.

Den Wandel der Welt darzustellen, die Verzweiflung und wie eine Welt ohne Öl aussehen könnte, das ist Andreas Eschbach meisterlich gelungen. Hier zeigt das Buch seine Stärken. Jeder hat sich wohl schon Gedanken darüber gemacht, wie die Welt aussieht, wenn das Erdöl knapp wird. Dass es knapp wird und dass alternative Energiequellen noch und wohl auf lange Zeit keinen Ersatz darstellen können – weder Wasserstoffzellen noch Kernkraft sind für Autos und Baumaschinen wirklich geeignet -, steht außer Frage. Doch dermaßen akribisch und akkurat recherchiert haben wohl nur wenige. Aus diesen blanken Zahlen und Fakten wirtschaftliche Rückschlüsse zu ziehen und sie in den Alltag in den USA, Deutschlands oder Arabiens, ja der ganzen Welt zu projizieren, das ist es, was diesen Roman auszeichnet.

Markus ist der Bezugspunkt des Lesers in dieser Welt. Sein Leben nimmt stets unerwartete Wendungen, ein ständiges Auf und Ab im Wandel der Zeiten. Der anfangs karrieregeile Yuppie erlangt schließlich ein gerütteltes Maß an Weisheit im gehobenen Alter, und auch Erfolg – natürlich ganz anders, als er es „geplant“ hatte. Leider ist dieser mit einem arg aufgesetzten Deus Ex Machina verbunden, einem alten „Familienerbe“, das in erdöllosen Zeiten Gold wert ist.

_Fazit:_

Zäh wie Ölschlamm beginnt der Roman, lange und ereignislos erklärt Andreas Eschbach seinen Lesern die heutige Welt. Doch es ist wie bei einer Ölbohrung, man muss erst durch viel Geröll und Sand, bis man auf Öl stößt. Und Andreas Eschbach hat im übertragenen Sinne ein riesiges Ölfeld angebohrt. Dann wacht auch Markus Westermann aus seinen Träumen auf, sein Leben wird farbiger, interessanter, in gewisser Weise auch realistischer. Die Wechsel zwischen Handlungsträgern wie Markus, Taggard oder Abu Jabr, Rückblenden und Hinweise auf historische Ereignisse wie den mysteriösen Tod Rudolf Diesels sorgen für blendende Unterhaltung und eine wohlstrukturierte Informationsflut. Das Glanzstück dabei ist Eschbachs Vision einer Welt nahezu ohne Erdöl. Wie fremd diese Welt ist, möchte ich anhand dieser Textpassage (Gartenbaukurs) zeigen:

S. 709: |“‚(…) Europa hat relativ gute Aussichten, sich auch weiterhin ernähren zu können.‘ Er klatschte in die Hände. ‚Und damit das so bleibt, fangen wir mit dem ersten Beet an. Bitte nehmen Sie sich von dort drüben jeder eine Schaufel …'“|

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.andreaseschbach.de/
http://www.luebbe.de

Thiemeyer, Thomas – Magma

Südtiroler Alpen, Mai 1954: Professor Mondari entdeckt auf einem privaten Bildungsausflug zufällig eine Anomalie in einem Riff-Fazies des beginnenden Jura. Mitten im Kalzit steckt eine perfekte Kugel aus einem grauen, metallischen Material, das seine Kompassnadel verrückt spielen lässt. Selbst seinem Diamantschleifer widersteht das Material, es lässt das kostbare Werkzeug platzen. Der wütende Professor bearbeitet die Kugel mit Hammer und Meißel – bis ein leuchtender Riss entsteht. Gleißendes Licht und sengende Hitze verbrennen Montari zu Staub.

|50 Jahre später …|

Etwas tickt. Im Pazifik, genauer gesagt im Challenger-Tief, einer der tiefsten Stellen des Marianengrabens (ca. 10900 m). Bisher waren mehr Menschen auf dem Mond als in diesen tödlichen Tiefen. Das Bedrohliche daran ist, dass es sich bei dieser Gegend um eine Subduktionszone handelt, in der sich kontinentale Platten reiben und vulkanische Aktivitäten häufen.

Das Ticken ist mit heftigen Beben verbunden; Tsunamis drohen, die verheerende Folgen für Pazifikstaaten haben würden. Die Ursache ist mysteriös, Anlass zur Sorge ist gegeben: Die Erdstöße sind regelmäßig. Alle zwei Stunden und achtundvierzig Minuten bebt es im Pazifik, und das Epizentrum ist nicht wie zu erwarten unter dem Challenger-Tief, sondern direkt auf dessen Grund!

Die amerikanische Marine ist besorgt, in Zusammenarbeit mit Japan will man die |Shinkai 11.000| hinabschicken, um die Ursache zu erkunden. An Bord befindet sich die risikobereite und privat in komplizierten Verhältnissen lebende Geologin Dr. Ella Jordan, die das Office of Naval Research mitten aus ihrer Vorlesung geholt hat. Mit Joacquin Esteban ist auch der Geheimdienst an Bord, aus gutem Grund: Er weiß von dem anonymen Drohanruf, den Ella erhalten hat, der ihr rät, nicht an Bord zu gehen, denn das U-Boot werde untergehen. Wie passt der unsympathische und fachlich offensichtlich unqualifizierte Schweizer Geologe Konrad Martin in das Bild, ein Mann mit einer wasserdichten Identität, der aber scheinbar keinerlei Vergangenheit besitzt?

Die Fahrt der |Shinkai| scheitert tatsächlich beinahe an Sabotage und man kann sich nur mit Mühe und Not retten, doch Ella kann zuvor noch etwas entdecken: Eine 200 Meter große Kugel am Grund der Challenger-Tiefe, von der die Erdstöße ausgehen.

Professor Martin offenbart sich schließlich Ella und lädt sie in zu einem Besuch bei Helène Kowarski am Lago Maggiore ein, der Leiterin der streng geheimen Kowarski-Labors, die dem CERN (Lew Kowarski war ein Atomphysiker und am Aufbau des CERN beteiligt) nahestehen. Versteckt tief unter der Erde in einem Berg wird die Kugel aus dem nach griechischer Mythologie „Adamas“ (das Unbezwingbare) genannten Material untersucht, die Francesco Montari vor Jahrzehnten entdeckt hat. Man scheint einen Weg gefunden zu haben, sie gefahrlos zu öffnen, ohne den Verteidigungsmechanismus zu aktivieren. Doch nicht alle Mitwisser sind damit einverstanden. Der seit der Erfindung der Atombombe verbitterte Atomphysiker Elias Weizmann warnt davor, diese Kugel zu öffnen. Er hält sie für ein Krebsgeschwür, das man besser nicht anrühren sollte, für die Büchse der Pandora; er hat noch das Grauen in Erinnerung, das Oppenheimers Bau der Atombombe auslöste.

Doch die Zeit drängt. Überall auf der Welt, von der Antarktis über Costa Rica, von Neuseeland bis ins russische Tunguska findet man dutzende kleiner Kugeln, die Beben auslösen und beginnen, sich mit der großen am Grund des Challengertiefs zu synchronisieren. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn die Beben werden immer stärker, Vulkane brechen aus und schleudern Staub in die Atmosphäre. Der Effekt dieser Synchronisierung würde dem des Gleichschritts über eine Brücke entsprechen und fatal enden: Der Weltuntergang steht bevor.

Zeitgleich zu Beginn der Beben registrierte das Radioteleskop von Effelsberg eine Supernova im Orion, der Beteigeuze zum Opfer fiel. Marten Enders und seine Assistentin Jan Zietlow entdecken, dass die von dem explodierten Stern ausgehenden Neutrinos in einem bestimmten Rhythmus eintreffen: Zwei Stunden und achtundvierzig Minuten. Eine außerirdische Macht scheint hinter den Ereignissen zu stecken – und scheinbar kann man die Kugeln auch deaktivieren! Es scheint ein Intelligenztest zu sein, mit der gesamten Menschheit als Einsatz. Das Ei des Kolumbus zu finden, liegt an Ella Jordan, die von Konrad Martin unterstützt wird, der offensichtlich mehr über die Kugeln weiß als jeder andere Mensch. Der Countdown läuft …

_Von Afrika in die Tiefen des Pazifik_

Thomas Thiemeyer (* 1963) hat den Schauplatz seiner Romane gewechselt. Aus dem in der Sahara spielenden Bestseller [„Medusa“ 482 und dem dunklen Dschungel im finstersten Herzen Afrikas in „Reptilia“ stößt er in „Magma“ in die ebenso fantastischen und abenteuerlichen Tiefen des Ozeans vor, die letzten noch weitgehend unerforschten, geheimnisvollen Flecken unserer Erde. Mehr noch als bei seinen Vorgängern kann er hier mit dem seinem Studium der Kunst und der Geologie zu verdankenden Wissen glänzen. „Magma“ ist dennoch eher ein Abenteuerroman denn ein Wissenschaftsthriller; der Leser lernt auf angenehme Weise nebenbei noch ein wenig über Geologie und Tektonik.

Schriftstellerisch ist „Magma“ ebenso ein Sprung ins kalte Wasser, der aber geglückt ist. Im Gegensatz zu „Medusa“ wurde das Spielfeld auf den gesamten Erdball und viele unterschiedliche Personen ausgeweitet, von der in [„Reptilia“ 1615 verwendeten Ich-Perspektive hat sich Thiemeyer ebenso verabschiedet. Aus den Blickwinkeln vieler über alle zahlreichen Handlungsorte verteilter Personen treibt er die Handlung voran und erlaubt dem Leser so zu kombinieren und gleichzeitig am Schicksal der betreffenden Person teilzuhaben. So meint Marten Enders, seine attraktive Studentin Jan Zietlow wäre in ihn verliebt, und hält ihr gegenüber eine etwas peinliche Rede, dass er ein verheirateter Mann wäre und sich kein Abenteuer erlauben dürfe. Dummerweise ist diese Verliebtheit nur Einbildung; aus Jans Sicht erfahren wir, dass sie ihn lieber in diesen Glauben lässt, da sie nicht riskieren will, vom Observatorium versetzt zu werden, weil sie Enders auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat, denn ihre Verliebtheit ist nur eine Wunschprojektion Enders.

Auch die anderen Charaktere, allen voran Ella Jordan, haben ihre jeweilige persönliche Geschichte, die in den großen Rahmen des Rätsels der unzerstörbaren Kugeln eingebettet ist. Ein wenig erinnert diese Erzählweise an die beliebte Serie „Akte X“, wobei die Charaktere Thiemeyers wesentlich glaubhafter und weniger getrieben erscheinen, einschließlich des verbitterten Weizmann, ein Bösewicht, dessen Motive weitgehend nachvollziehbar sind; er ist vielmehr eine tragische Figur, denn seine Versuche, das Schlimmste zu vermeiden, enden stets in einem Desaster, kosten Menschenleben und verhindern dennoch keine weitere Erforschung der Kugeln, was Weizmann nur noch verzweifelter und gefährlicher macht. Nicht alles ist jedoch so gut gelungen; die geschiedene und problematische Figur Ella wird am Ende ein geradezu traumhaftes und bemühtes Happy-End erleben, bei dem nur noch der Hund zu einer stereotypisch glücklichen Familie fehlt.

Davon abgesehen können die Charaktere jedoch durchweg überzeugen, sie fügen sich nahtlos in die Handlung ein und ergänzen sie vortrefflich um eine persönliche Komponente im großen Ganzen. Hier punktet der Autor erneut, denn die Geschichte ist gut durchdacht und abwechslungsreich. Dabei verliert man nie die Handlung aus dem Blick; ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, kein Kapitel war langweilig und ich habe es in einer Nacht förmlich verschlungen. Anspielungen auf die griechische Mythologie (im Prolog erzählt Hesiod von der Nachkommenschaft des Uranos, den Titanen, Kyklopen und Hekatoncheiren, die Uranos verhasst sind und deshalb von ihm in der Tiefe der Erde im Tartaros gefangen gehalten werden, bis Gaia ihnen eine Sichel aus dem grauen Metall Adamas gibt, mit der sie entkommen und ihren Vater Uranos entmannen können) und Teile der Handlung, die an in Mystery-Serien beliebten Orten wie der Tunguska spielen, runden ein rundum gelungenes Mystery-Abenteuer ab. Beängstigend und faszinierend zugleich ist auch die Verwandlung, die einer der Charaktere an diesem Ort durchmacht – Lovecraft hätte es nicht besser gekonnt. Einen humorvollen Seitenhieb auf den beliebten Governator Kaliforniens konnte sich Thiemeyer nicht ersparen: |“Es ist soeben eine Meldung hereingekommen, dass an der Westküste der USA eine Kugel gefunden wurde. Der Gouverneur von Kalifornien hat Befehl gegeben, sie zu zerstören. Und das, obwohl ich die Warnung herausgegeben habe, die Kugeln in Ruhe zu lassen. Eine unerhörte Schlamperei. Kommen Sie, das Ereignis wird live im Fernsehen übertragen.“|

_Fazit:_

Thomas Thiemeyer hat sich selbst übertroffen. Ein höherer Spannungs- und Mysteryfaktor als in den Vorgängern gekoppelt mit einem unglaublichen Erzähltalent machen „Magma“ zu einem Pageturner erster Güte. Das Titelbild hat er als Illustrator selbst beigesteuert; im Gegensatz zu vielen seiner Konkurrenten kann er sowohl mit gefälliger Verpackung als auch zum Inhalt passender Umschlaggestaltung punkten.

In einem [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=74 mit |Buchwurm.info| hat Thiemeyer bereits sein nächstes Projekt angekündigt: Es wird eine Fortsetzung zu „Medusa“ geben.

Website des Autors: http://www.thiemeyer.de/
Website zu „Magma“: http://www.droemer.de/magma/

Westerfeld, Scott – Weltensturm

Captain Laurent Zai und Meisterpilot Jocim Marx von der kaiserlichen Raumflotte befinden sich in tödlicher Gefahr. Denn ihre Mission gestattet kein Versagen. Es würde einen Blutfehler darstellen, der nur mit dem Verlust des ewigen Lebens gesühnt werden kann. Denn Anastasia Vista Khaman, Schwester und Thronerbin des Auferstandenen Kaisers, der den Tod überwunden hat und seit 1600 Jahren über das Reich der Achtzig Welten herrscht, wurde von den Rix als Geisel genommen. Zusätzlich ist es den Rix-Invasoren gelungen, auf Legis XV ein globales KI-Verbundbewusstsein zu installieren, etwas, das dem Kaiserreich ein Gräuel und deshalb verboten ist.

Dieser Coup stellt den Auftakt eines weiteren Kriegs gegen die Rix dar, der Kaiser beruft umgehend einen Kriegsrat ein, zu dem auch Senatorin Nara Oxham gehört. Sie macht sich Sorgen um ihren Geliebten Captain Laurent Zai, aber auch um Legis XV. Denn der Kaiser ist willens, Zai und die gesamte Bevölkerung des Planeten sowie auch seine eigene Schwester zu opfern, wenn er nur sein |Geheimnis| bewahren kann, das in die Hände des Verbundbewusstseins der Rix zu fallen droht.

_Der Autor_

Scott Westerfeld (05.05.1963) wurde in Texas geboren. Er lebt und arbeitet heute abwechselnd in New York und Sydney, Australien. „Weltensturm“ ist ein Sammelband der im Jahr 2003 erschienenen Romane „The Risen Empire“ und „The Killing of Worlds“, |Tor Books| teilte das ursprünglich „Succession“ genannte Werk. Der Roman ist somit wieder vereint und in sich abgeschlossen. Der deutsche Science-Fiction-Autor Andreas Brandhorst zeichnet für die einem Extralob würdige exzellente Übersetzung verantwortlich. Einziger kleiner Makel ist, dass „the Lazarus-Symbiant“ auch in der Übersetzung als „Symbiant“ anstelle des deutschen „Symbiont“ bezeichnet wird. Das irritiert ein wenig während der Lektüre.

_Never judge a book by its cover_

Man sollte ein Buch nie anhand seines Covers oder seines Klappentextes bewerten, angesichts haarsträubender Vergleiche zu |Dune|, |Star Wars| und anderen Space-Operas in einigen Rezensionen und dem extrem pathetisch-trivialen Klappentext des |Heyne|-Verlags möchte ich dennoch darauf eingehen. Die an und für sich recht hübsche Umschlaggestaltung schlägt in dieselbe Kerbe, was bedauerlich ist. Der etwas reißerische Titel „Weltensturm“ ist mir unerklärlich und passt nicht zum Inhalt und soll wohl den Verkauf fördern. Das Gegenteil könnte der Fall sein, was sehr schade wäre!

Denn hinter dem vermeintlichen 08/15-Schinken eines unbekannten Autors verbirgt sich eine Space-Opera, die einige aktuelle und dennoch erfolgreiche Langweiler etablierter Autoren wie Peter F. Hamilton und Stephen Baxter mühelos übertrifft. Vergleiche mit Frank Herbert, Isaac Asimov und Dan Simmons, um Thematik und Stil Westerfelds zu beschreiben, sind zwar nahe liegend, aber leider auch irreführend und bemüht, darum möchte ich kurz das Universum des „Risen Empire“ vorstellen.

_Das ewige Leben der lebenden Toten_

Das Kaiserreich der Achtzig Welten umfasst einen dreißig Lichtjahre großen Raumsektor und hat gegenüber anderen menschlichen Reichen einen entscheidenden Vorteil: den Lazarus-Symbianten, der ewiges Leben nach dem Tod ermöglicht. Ursprünglich suchte der Auferstandene Kaiser nach Heilung für seine todkranke Schwester Anastasia, aber er fand das Geheimnis des ewigen Lebens. Oder des ewigen Todes, denn der Lazarus-Symbiant verbindet sich nur mit den Körpern toter Wesen. Um in den Genuss der Unsterblichkeit zu kommen, muss man sterben. Seit dem Erfolg der „Heiligen Experimente“ an Katzen und dem heroischen Selbstversuch des Kaisers verehrt man ihn und seine Schwester Anastasia, von ihren gläubigen Anhängern schlicht „der Grund“ genannt, wie Halbgötter. Das Reich basiert auf dieser unglaublichen Errungenschaft, jeder kann sich die Unsterblichkeit verdienen. Wer im Kampf für Kaiser und Reich fällt und dessen Körper nicht zu stark beschädigt ist, der zieht in eine Art Walhall ein, ihm werden die Ehre des Lazarus-Symbianten und der Aufstieg in die Reihen der „Grauen“, der auferstandenen Toten, zuteil. Diese bilden seit Jahrhunderten die Führungsschicht des Reichs, ein ultrakonservativer und stets kaisertreuer Block.

Die Schranke der Lichtgeschwindigkeit wurde in dieser Zukunft nicht überwunden, eine Vorliebe der Grauen neben der Betrachtung für Normalsterbliche kontrastloser schwarzer Bilder und Wände sind jahrhundertelange Pilgerfahrten mit relativistischen Geschwindigkeiten. Außerirdische Rassen sind nicht bekannt, dafür hat sich die Menschheit in unterschiedliche Gruppierungen entwickelt. Neben dem Reich der Achtzig Welten existieren beispielsweise noch die Tungai, die den Tod mit überlegener Biotechnologie lange hinauszögern, aber nicht verhindern können. Auch die Rix sind nicht unsterblich, aber ihre Götter sind es nahezu. Die Rix sind Cyborgs, die ihren menschlichen Körper nach und nach mit maschinellen Komponenten verbessern und ersetzen. Sie sehen sich als Geburtshelfer künstlicher Intelligenzen an, die, wenn sie zu einem gewaltigen planetaren Verbundbewusstsein verschmelzen, gottgleiches Wissen und Fähigkeiten entwickeln. Im Kaiserreich und vielen anderen Reichen werden KIs in ihrer Entwicklung gezielt beschränkt, was zur Folge hat, dass man den Rix technologisch hinterherhinkt. Die Grauen sind erklärte Feinde der gefürchteten Rix, die erste „Rix-Inkursion“ forderte unzählige Opfer und schürte zusätzlich zu den ideologischen Differenzen den Hass, vor allem auf Seiten des Kaiserreichs.

Politisch brodelt es im Kaiserreich. Die „pinken“ Säkularisten wie Nara Oxham lehnen das ewige Leben ab, sie sterben. Denn nach ihrer Überzeugung sind es die unsterblichen Dickköpfe aus längst vergangenen Zeiten, die Kreativität und Fortschritt behindern. Als Beispiel dient Nara Oxham der Fall Galileo Galileis, dessen heliozentrisches Weltbild sich in ihrer Überzeugung nur deshalb durchsetzen konnte, da die alten Kirchenfürsten mitsamt ihren überholten Vorstellungen starben – wohingegen das Kaiserreich seit Jahrhunderten stagniert und zurückfällt. Der Tod wird als Motor der Veränderungen und der Evolution gesehen, eine Vorstellung, die das Reich spaltet, denn ebenso viele gieren nach dem ewigen Leben.

_High-Tech-Drohnen statt Raumjäger_

Scott Westerfeld greift gar nicht so weit in die Zukunft, wenn er anstelle von Piloten in Raumjägern ferngesteuerte oder autonome Drohnen in Kampfeinsätzen verwendet. So ist Meisterpilot Jocim Marx dank computergestützten synästhetischen Sehens in der Lage, ganze Schwärme von Kampfdrohnen in Weltraumschlachten zu befehligen oder selbst vollständig zu steuern. Daten und Diagramme werden dabei als Sinnesreizung ins Hirn projiziert und können visualisiert werden; so markiert Nara Oxham im Parlament die Angehörigen verschiedener Parteien mit unterschiedlichen farbigen Punkten und kann bei Bedarf Dossiers zu ihnen ansehen. Die Fähigkeit zur [Synästhesie]http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie wird operativ erzeugt, die bereits heute bekannte Wahrnehmung der Sinnreize eines Sinnorgans gekoppelt mit denen eines anderen (zum Beispiel Farben als Töne hören oder Töne als Farben sehen) wird so nutzbringend angewendet. Marx steuert vom staubkorngroßen Mikrogleiter bis zur Weltraumkampfdrohne alles von seinem Leitstand an Bord von Captain Zais Fregatte |Luchs| aus, was ungewöhnliche Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.

Raumschlachten sind in diesem Universum an die Regeln der realen Physik gebunden, die nur selten ein wenig gebeugt werden. Hier gieren keine Raumschiffe oder erzeugen Triebwerksgeräusche wie in actionlastigen Science-Fiction-Filmen aus Hollywood. Dass sie nicht minder spannend sind, liegt nicht nur an den ungewöhnlichen Perspektiven aus der Sicht von Marx beziehungsweise seinen Drohnen, Westerfeld beschreibt die Probleme der Besatzung der |Luchs| und wie sie sich mit Glück und dank der verschlagenen Raffinesse Captain Zais dennoch gegen einen überlegenen Kreuzer der Rix halten kann, trotz schwerer Schäden und einem vermeintlich selbstmörderischen Auftrag. Hier springt Westerfeld häufig zwischen Marx, Zai und seinem ersten Offizier Hobbes sowie dem einfachen Soldaten Bassiritz – diese Erzähltechnik ist ein Markenzeichen des Romans. So erleben wir die Handlung aus der Sicht der Rixkämpferin h__rd, des Verbundbewusstseins „Alexander“, der Senatorin Nara Oxham und einiger anderer Charaktere, kurz sogar aus Sicht der Kindkaiserin Anastasia oder der illegalerweise überentwickelten KI von Nara Oxhams Haus! Westerfelds KIs sind leider eher simpel gestrickt und können nicht die Faszination und Komplexität anderer Cyberspace-Welten vermitteln, aber insbesondere der direkte Einblick in die Gedankenwelt der „feindlichen“ Rix ist erhellend und dient der besseren Reflexion über die beiden Parteien.

Einigen Charakteren merkt man an, dass sie in einem frühen Stadium der Planung des Romans entstanden sind. Westerfeld wollte laut seiner Webseite schon seit seiner Jugend George Lucas zeigen, wie eine Space-Opera auszusehen hat. Er störte sich maßlos an den aller Physik spottenden Effekten in |Star Wars|. Der smarte und tapfere Captain Zai ist so auch durchaus ein Stereotyp; interessanterweise wird er in der Folge auch kaum näher charakterisiert, zugunsten der weiblichen Charaktere wie seinem ersten Offizier Hobbes oder seiner Geliebten Nara Oxham. Auch die Rix h__rd und Rana Harter stellen weibliche Charaktere dar, die allesamt deutlich tiefer dargestellt als ihre männlichen Kollegen. Auch Meisterpilot Jocim Marx geht in seiner Rolle als Pilot genauso auf wie Zai in der des Captains und bietet wenig mehr. Diese Vorliebe für weibliche Charaktere scheint auch auf andere Romane Westerfelds zuzutreffen, seine 2005/06 erschienenen Romane „Uglies“, „Pretties“ und „Specials“ haben mit Tally Youngblood eine weibliche Hauptfigur, die sich für ihr natürliches Aussehen anstelle der ab dem sechzehnten Lebensjahr vorgesehenen Standard-Schönheitsoperation entscheidet.

Diese Romane gehören jedoch nicht dem Genre der Space-Opera an, bedienen sich aber lose an dieser bereits in „Weltensturm“ vorgestellten Idee: Durch Genmanipulation hat sich die Menschheit selbst perfektioniert und von Erbkrankheiten befreit, allerdings merkt man fast zu spät, was man eigentlich erreicht hat. Menschliche Monokulturen, perfekt angepasst aber auch inflexibel und anfälliger gegenüber unbekannten Krankheiten. Westerfelds Idee ist es, dass als krank oder schlecht erkannte Merkmale oft versteckte Vorteile haben: Sichelzellenanämie macht immun gegenüber Malaria, Autismus ist oft mit Genie verbunden. All diesen genetischen Reichtum hat man jedoch vernichtet, und die ehemals Armen und Kranken, die sich keine Verbesserung leisten konnten, werden zum wichtigsten genetischen Pool der Menschheit, der sogenannten „Seuchenachse“, die sogar im Kriegsrat des Kaisers eine eigene Stimme hat.

Die Ursache hinter den Angriffen der Rix und treibende Kraft hinter den Aktionen des Kaisers, die Captain Zai auszuführen hat, ist das bereits erwähnte |Geheimnis|. Andeutungen auf das Geheimnis des Kaisers ziehen sich von Beginn an durch den Roman, dessen Enthüllung fatale Folgen für das Reich haben wird. Bis Westerfeld die Katze aus dem Sack lässt, bietet er abwechslungsreiche und für das Space-Opera-Genre sogar anspruchsvolle Science-Fiction, wie man sie gerne öfter lesen würde.

_Fazit:_

Ein gelungener Roman, der einige Werke jüngeren Datums bekannterer Autoren mühelos in den Schatten stellt. Schade nur, dass Scott Westerfeld derzeit keine weiteren Science-Fiction-Romane plant, er hat sich mittlerweile ausschließlich dem Feld der Young Adult Novels zugewandt. Bedauerlich, denn frischer Wind könnte viele ein wenig selbstgefällig und langatmig gewordene Science-Fiction-Autoren wachrütteln. „Weltensturm“ ist eine ungewöhnlich tiefschürfende Space-Opera mit allem, was dazugehört – und noch viel mehr.

Homepage des Autors:
http://www.scottwesterfeld.com/

http://www.heyne.de

Baxter, Stephen – Transzendenz (Kinder des Schicksals 3)

Der |Kinder des Schicksals|-Zyklus:
Band 1: [„Der Orden“ 1040
Band 2: [„Sternenkinder“ 1591
Band 3: „Transzendenz“

„Transzendenz“ stellt den Höhepunkt von Stephen Baxters „Kinder des Schicksals“-Trilogie dar. Die in „Der Orden“ begonnene und in „Sternenkinder“ fortgeführte Evolution der Menschheit zu etwas höherem, der sogenannten Transzendenz, ist ca. 500.000 Jahre in der Zukunft erfolgt.

Ähnlich der in „Der Orden“ vorgestellten menschlichen Schwarmgesellschaft ist die Transzendenz ein telepathisches Kollektiv vieler Menschen, von denen einige die Unsterblichkeit erlangt haben. Individualität schwindet und tritt deutlich hinter Kollektivität zurück. Diese Entität besitzt gottgleiche Macht über Raum und Zeit und hat sich einem hehren und verwegenen Ziel verschrieben: der Erlösung der gesamten Menschheit in allen Zeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, durchlebt jeder in die Transzendenz aufsteigende Mensch das Leben eines Menschen der Vergangenheit und versucht es zum Besseren der gesamten Menschheit zu verändern.

So auch die an Bord eines uralten und mittlerweile hoffnungslos veralteten Generationenschiffs lebende Alia, eine junge Frau, die das Leben des um 2040 lebenden Michael Poole beobachtet. Poole ist ein Ingenieur, der entscheidenden Einfluss auf die Zukunft der Menschheit haben wird, denn er soll die Methanhydratlager der Polarregion stabilisieren und den GAU des Weltklimas verhindern:

Die globale Erwärmung hat die Ozeane ansteigen lassen, England, die Niederlande und Florida sind in den Fluten versunken. Um den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren, hat man Autos abgeschafft und Flugreisen sind zur Seltenheit geworden, viele Tierarten sind dennoch bereits ausgestorben und die Zukunft der Menschheit steht ebenfalls auf der Kippe. Neben diesen Problemen wird Poole auch noch von Geistererscheinungen seiner toten Frau und persönlichen Differenzen mit seinem Sohn geplagt.

|Baxtersche Heilslehre, Familiendrama oder Öko-Thriller?|

Diese drei Elemente dominieren den Roman, wobei der sonst bei Baxter stark ausgeprägte naturwissenschaftliche Aspekt deutlich in den Hintergrund tritt. Vielmehr verwirrt und langweilt er seine Leser mit hinlänglich bekannten Thematiken wie der globalen Erwärmung und ihren möglichen Folgen.

Baxter malt eine apokalyptische und wenig erstrebenswerte Zukunft, die sich auf das Negative der menschlichen Entwicklung konzentriert. Doch Alia greift in der Geistesgestalt von Michael Pooles toter Frau Morag helfend ein und steht ihm und somit auch der Menschheit bei. Auch in persönlichen Dingen wie dem schwer gestörten Verhältnis zu seinem Sohn Tom steht sie ihm zur Seite.

Die Familiengeschichte Michael Pooles ist leider von minderer Qualität. Baxter ist kein Charakterdarsteller, seine Romane leben von seinen Ideen. In „Der Orden“ konnte zumindest das historische Ambiente überzeugen und den Leser bei Stange halten, während Baxter seine Idee einer Schwarmgesellschaft langsam – für viele zu langsam – und anschaulich entwickelte. „Sternenkinder“ führte für Baxtersche Verhältnisse diese Entwicklung actionreich und anschaulich fort, Konflikte mit sich selbst, der eigenen Vergangenheit und mit anderen Rassen wie den Xeelee und oder gar deren Ausrottung, wie bei den „Silbergeistern“, standen im Mittelpunkt.

Nun hat Baxter eine Zukunft erreicht, in der die Menschheit in das Stadium der Transzendenz eintritt und in einer Art Katharsis jedes ihrer Individuen die Fehler der Vergangenheit durchleiden lässt, ihnen aber auch die Fähigkeit gibt, korrigierend einzugreifen.

Nun stelle man sich vor, Alia hätte nicht das Leben Michael Pooles als eine Art Schutzengel begleitet, sondern das Ivans des Schrecklichen oder einer anderen Schreckensgestalt, die außer Gräueltaten wenig Einfluss auf die Zukunft der Menschheit hatte. Was soll das? Alia ist eine junge und recht naive junge Frau, die ihr Leben lang auf einem alten Generationsschiff lebte und keineswegs bereits Teil der Transzendenz. Dennoch wird ihr die Macht gegeben, die Vergangenheit zu verbessern oder vielmehr zu verändern.

Nun möchte ich gar nicht näher auf den Schmetterlingseffekt und die Chaostheorie eingehen, aber diese Vorgehensweise erscheint mir recht bedenklich – für Baxter ist sie scheinbar kein Problem, auf das er auch nur ansatzweise eingeht. Baxter verrennt sich in theologischen und metaphysischen Ansätzen, stets ausgehend von dem Baxterschen Dogma der Schwarmgesellschaft, das sich wie ein roter Faden durch den Zyklus zieht. Hier steht der religiöse Wunsch nach Erlösung im Mittelpunkt, denn sowohl Michael Poole als auch die gesamte Menschheit und ihre Umwelt befinden sich in einem bemitleidenswerten Zustand, den sie zusätzlich mit einer Überdosis Selbstmitleid noch steigern.

Diese Veränderung der Vergangenheit ausgehend von der Zukunft scheint Baxter zu faszinieren, er schwenkt hier bereits auf die scheinbar ebenfalls religiös geprägte Schiene seiner für Februar angekündigten Serie „Time Tapestry“ / „Die Zeit-Verschwörung“ ein.

Doch was macht die Transzendenz nun eigentlich? Nichts! Auch sie kann nicht die Probleme der Menschheit lösen, das Ende des Romans ist enttäuschend und nichtssagend. Baxter zeichnet ein düsteres Bild und nimmt dieses auch noch im Detail unter die Lupe. Hoffnungslosigkeit? Das Warten auf göttliche Erlösung scheint die Erkenntnis zu sein, die menschliche Halbgöttlichkeit „Transzendenz“ kann sie ja leider nicht erbringen.

_Fazit_

Keine Klimakatastrophe, aber eine literarische. Der über weite Strecken unangenehm metaphysisch angehauchte Roman baut auf sehr dünnem Eis, denn weder als Öko-Thriller noch als Familiendrama kann er überzeugen. Hier hätte man deutlich kürzen können, was auch der Verständlichkeit gutgetan hätte. Leider muss in Baxters sphärischer Zukunft anscheinend nichts mehr den Gesetzen der Logik folgen, schlimmer noch, um den Lesengenuss weiter zu erschweren, schlägt er mitten im Buch noch einen Bogen zu der im ersten Band „Der Orden“ flüchtig erwähnten Kuiper-Anomalie!

Die relativ dünne und einfältige Zukunftsvision der Transzendenz wurde in den vorherigen Romanen bereits ausreichend behandelt, nun erreicht Baxter sie und stößt an eine Grenze, er kann sie einfach nicht erklären und endet in metaphysischen Plattitüden. Eine Kürzung hätte diesem Roman gutgetan, als Familiendrama leidet er unter peinlich unterentwickelten Charakteren und als Öko-Thriller greift er alte, sattsam bekannte Themen auf, ohne etwas Neues beitragen zu können. Baxters Flucht in den Glauben (Menschen der Zukunft wie Alia treten in der Form von Geistern/Engeln auf) wirkt wie eine hilflose Kapitulation vor der von ihm selbst geschilderten tristen Zukunft. Einzig die Übersetzung von Peter Robert verdient Lob; der bereits in [„Ilium“ 346 und „Sternenkinder“ bewährte Übersetzer hat den Roman tadellos ins Deutsche übertragen.

Der noch nicht übersetzte und vermutlich abschließende Band „Resplendent“ ist eine Kurzgeschichtensammlung, die sich auf die im zweiten Band „Sternenkinder“ auftretenden Xelee und die in den Sekunden nach dem Urknall entstandenen supersymmetrischen Lebensformen konzentriert.

The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.baxterium.org.uk/

Glineur, Jean-Louis – Todesangst in der Nordeifel

Die junge Mutter Marianne Belder wird in einem Wald nahe Dedenborn in der Nordeifel von einem Osteuropäer überfallen und vergewaltigt. Sie soll nicht das einzige Opfer bleiben. Kurze Zeit später wird eine Jugendliche vergewaltigt und ermordet.

Mariannes Ehemann Wolfgang arbeitet die Polizei zu langsam, ihre Ehe hat unter der Vergewaltigung gelitten und er beauftragt die Privatdetektive Alwin Schreer und Anne-Catherine Vartan mit Ermittlungen. Bei Schreer kann er sich des nötigen Engagements sicher sein, denn Marianne war seine Jugendliebe.

Die Vergewaltigungsserie reißt nicht ab und wird zum politischen Problem. Die Besucherzahlen des Nationalparks Eifel könnten leiden und die wirtschaftlich schwache Region schädigen. Für Schreer und Vartan ist es jedoch schon lange kein Auftrag mehr, sondern etwas Persönliches.

Wolfgang Bender wird bei dem Versuch, den Mörder zu stellen, von ihm getötet. Eine junge Türkin aus Schreers Bekanntenkreis wurde ebenfalls vergewaltigt und hat bisher aus Scham geschwiegen. Als wäre das nicht genug, wird eine Informantin Alwins, deren Aussage aufgrund eines Fehlers seinerseits in die Lokalpresse gelangte, von mehreren Personen entführt und brutal misshandelt. Auch auf Schreer und seine Partnerin wird ein Anschlag verübt – eine ganze Bande wehrt sich vehement gegen die Nachforschungen, die immer mehr in die Richtung einer Verwicklung deutscher Geschäftsleute zielen. Die Vergewaltigungen stellen nur die Spitze eines Eisbergs dar …

_Der Autor_

Der 42-jährige Deutsch-Belgier Jean-Louis Glineur wurde im belgischen Verviers geboren, wohnt in Dedenborn in der Eifel, ist gelernter Industriekaufmann und freier Mitarbeiter der Kölnischen Rundschau.

Der Lokalkolorit des Hörbuchs und seine Erfahrungen mit Presse und Polizeiarbeit sind somit aus erster Hand. Vorlieben des Autors wie Formel-1-Rennen und schnelle Autos zeichnen auch seinen Hauptcharakter Alwin Schreer aus, der dadurch besonders authentisch wirkt. „Todesangst in der Nordeifel“ ist sein Debütroman.

_Der Sprecher_

Julian Mehne ist Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Er wurde 1998 in Nordrhein-Westfalen als Nachwuchsdarsteller des Jahres ausgezeichnet und erhielt 2001 den Bad-Hersfeld-Preis. Als Hörbuchsprecher scheint jedoch auch bei ihm ein Debüt vorzuliegen.

Mehne stellt für das Hörbuch einen echten Glücksgriff dar, er hat eine angenehme und deutliche Stimme und kann zwischen verschiedenen Dialekten und Akzenten wechseln, ohne in übertriebene Betonungen zu verfallen.

_Ein einfühlsamer Privatermittler_

Alwin Schreer ist ein Detektiv, dessen Stärke in seinem Einfühlungsvermögen und seiner Menschlichkeit besteht. Er versteht es nicht nur, sowohl mit dem aufgebrachten Ehemann und der verstörten Marianne als auch mit seinem alten Freund Kommissar Welsch umzugehen, als toleranter Typ hat er auch keine Probleme im Umgang mit Homosexuellen, Prostituierten und Ausländern. Rücksichtslos sensationslüsternen Reportern gegenüber kann er jedoch auch eine härtere Gangart einschlagen, was sonst eher seiner schönen und schlagkräftigen Partnerin Anne-Catherine Vartan vorbehalten bleibt.

Bei aller Einfühlsamkeit mangelt es Schreer doch oft an Professionalität, er ist oft nachlässig und unvorsichtig, durch einen Fehler seinerseits wird die Zeugin Jana Kohlstock erst gefährdet. Er ist aber auch ein findiger Ermittler, durch seine Methoden und Intuition wird die Polizei erst auf übersehene Indizien und Zusammenhänge aufmerksam.

Der sympathische Detektiv ist der am besten ausgearbeitete Charakter des Hörbuchs; auffallend ist, wie wenig er äußerlich beschrieben wird, während andere Charaktere meist mit bildhaften Vergleichen charakterisiert werden. So wird Mariannes Ehemann Wolfgang als „Conan der Barbar“ vorgestellt, er verhält sich auch entsprechend impulsiv und ist versessen auf Rache und Vergeltung. Leider werden auch andere Charaktere wie der Journalist Pierre derart beschrieben, er sieht aus wie „George Clooney“, womit dann alles gesagt ist. So bleiben viele Charaktere leider blasse und unterentwickelte Abziehbilder ihrer Vorlagen.

Ein Hauch Romantik und Sexappeal liegen im Verhältnis Schreers zu Frauen, der immer noch für seine einstige Jugendliebe Marianne schwärmt und auch gerne mal bei seiner begehrenswerten Partnerin Anne landen würde, die leider erst spät zum Zuge kommt.

Besonders gelungen ist die Behandlung brisanter Themen wie der oft schuldzuweisenden Haltung der Gesellschaft gegenüber Vergewaltigungsopfern, Vorurteilen gegenüber Ausländern sowie der komplexen Beziehung zwischen den Medien und der Polizei. Wie die Region Eifel selbst leidet auch die Polizei unter Sparzwängen; Personalmangel und –einsparungen zwingen Kommissar Welsch widerwillig zum Pakt mit dem Teufel, das heißt einer Zusammenarbeit mit der Presse und Schreer. Dabei zeigt Glineur deutlich, wo man eine Grenzlinie zwischen verantwortungsvollem und für alle Seiten nützlichen Journalismus und rücksichtsloser und gefährlicher Berichterstattung in Revolverblättern ziehen muss.

Interessante Wendungen gewinnt der Roman durch die Behandlung eben dieser Themen; so baut Glineur bewusst auf Klischees und Vorurteile, um diese zu widerlegen oder falsche Spuren zu legen. Das einzige Klischee, das er ungeschoren davonkommen lässt, ist das des bei jeder Gelegenheit rauchenden Detektivs – Schreers gesammeltes soziales Umfeld greift interessanterweise ebenso zwanghaft und beständig zum Glimmstengel.

Die Handlung selbst schreitet rasant voran, es fliegen des Öfteren die Fäuste, und passend zu diesem Tempo sind Schreer und Vartan oft mit dem Auto unterwegs – mit überhöhter Geschwindigkeit selbstverständlich. Der Plot ist sehr gut und überzeugend ausgearbeitet, die angesprochenen Klischees und Aspekte fügen sich harmonisch in die Handlung ein und geben genügend Anreize zum Spekulieren und Kombinieren, hervorragend gelungen ist die Verbindung mit der geographischen und politischen Lage (Grenznähe) der Eifel, die Vor-Ort-Kenntnisse des Autors wirken sich hier sehr bereichernd aus.

_Fazit:_

Liebenswerter und einfühlsamer Humor zeichnet die kurzweilige, rasante Geschichte und ihren Hauptcharakter Alwin Schreer aus. Julian Mehne scheint wie geschaffen für diese Sprecherrolle, denn er beherrscht die leisen Töne und schafft das Kunststück, polnische Akzente und Eifeler Dialekt semi-authentisch und dennoch gut verständlich zu sprechen. Auf Geräusche oder Musikuntermalung wurde dabei verzichtet, was jedoch angesichts des hohen Erzähltempos und der spannenden Geschichte gar nicht stört. Es fällt jedoch eine gewisse Hetze auf; die 225 Minuten des Hörbuchs sind auf drei CDs verteilt, was bei den üblichen 74 Minuten einer CD sehr knapp wird. Hier wollte der Verlag sich die vierte CD offensichtlich sparen; so gibt es kaum eine Sekunde Pause zwischen den Kapiteln und auf den üblichen Abspann am Ende eines Hörbuchs hat man ebenfalls verzichtet, nicht einmal ein kurzes „Ende“ oder „Sie hörten …“ folgt.

Neben den etwas dürftig bildlich beschriebenen Nebencharakteren störte mich nur die vielen Actioneinlagen stets vorangehende unglaubliche Dummheit der jeweils verwickelten Personen. Diese wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig, was jedoch glücklicherweise vom hohen Tempo und den vielen Wendungen der mit Themen dicht gepackten Geschichte kaschiert wird. Für 9,80 EUR erhält man einen hervorragenden Krimi, der mich auf einsamen Autobahnfahrten gut unterhalten hat. Die unkompliziert, temporeich und spannend erzählte Geschichte und die kaum übersehbare Liebe des Autors für Autos prädestinieren „Todesangst in der Nordeifel“ geradezu dafür.

http://www.hoerbuchnetz.de/

Gemmell, David – Sturmreiter (Rigante 4)

Mit „Sturmreiter“ beendet David Gemmell (1948-2006) seinen Zyklus um das keltische Volk der Riganten. Zivilisationskritik und der Kampf um die Bewahrung der Naturkultur der Keltoi-Stämme standen im Mittelpunkt der ersten beiden Bände „Die Steinerne Armee“ und „Die Nacht des Falken“, die in einer an die spätrömische Zeit angelehnten Welt spielten. Der Rigante-Zyklus zeichnet sich besonders durch diesen ungewöhnlichen Mix aus historischem Roman, Heroic Fantasy und aktuellen Themen aus.

„Rabenherz“ und „Sturmreiter“ spielen 800 Jahre später in einer Zeit, in der die Siege der legendären Könige Connavar und Bane nur noch Legenden sind. Die Riganten wurden zu den einschlägig bekannten Highlandern, geschlagen und unterdrückt von den Varliern, ihrer Kultur weitgehend beraubt. In diesem bereits spätmittelalterlichen Szenario gibt es schon Pistolen und Musketen.

Während Kaelin Ring den Aufstand der Schwarzriganten gegen den grausamen Landlord Moidart anführt, einen kalten und gefährlichen Mann, der die Riganten abgrundtief hasst, entdeckt der „Erlöser“-Ritter Winter-Kay bei einem Überfall auf ein Dorf vermeintlicher Ketzer ein uraltes Artefakt: den Schädel eines toten Seidh-Gottes (angelehnt an die „Sidhe“ des inselkeltischen Sagenkreises) der Rigante. Dieser dunkle Gott bemächtigt sich des ehrgeizigen Winter-Kay und verstärkt dessen Ehrgeiz.

Bald ist Winter-Kay zu Lord Winterbourne geworden, Vertrauter des Königs und Anführer der Erlöser-Ritter. Er nutzt geschickt den Bürgerkrieg zwischen den Royalisten und Anhängern der Republik für seine eigenen Zwecke aus und hegt auffälliges Interesse an den im Norden lebenden Riganten. Bald fällt sein Blick auch auf Gaise Macon, den ungeliebten „Sohn“ des Moidart. Ungeliebt, da der Moidart nicht weiß, ob er sein Sohn ist oder der seines verhassten Rivalen Lanovar, dem letzten großen Rigante-Führer, der ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Gaise hat ein grünes und ein goldbraunes Auge – wie Lanovar, die Großmutter des Moidart oder auch der legendäre König Connavar …

In den Wirren des Bürgerkriegs kämpfen der Moidart und Gaise für den König, der immer mehr unter den Einfluss Winter-Kays gerät. Bald müssen die Riganten unter Kaelin Ring, der Moidart und sein entfremdeter Sohn Gaise sich widerwillig verbünden gegen den neuen und übermächtigen Feind. Der dunkle Gott in Winter-Kay will sich der verbliebenen Magie der Rigante bemächtigen, sie vernichten und damit das Schicksal der Welt besiegeln.

_Wenn man zu dem werden muss, was man am meisten hasst_

Gaise Macon, der „Sturmreiter“, stellt in gewisser Weise das Negativ Banes in „Die Nacht des Falken“ dar. Während Bane der verhasste Sohn des großen und geehrten Königs Connavar war, der stets versuchte, seinem Vater nachzueifern, nie anerkannt wurde, bis seine Liebe in Hass umschlug, ist bei Gaise das Gegenteil der Fall. Sein Vater ist der von allen gehasste, grausame Landlord, und Gaise versucht ein guter Mensch zu sein, niemals so zu werden wie der böse Moidart.

Im Krieg lernt Gaise, dass in ihm wie in jedem Menschen der Keim des Bösen steckt. Oft muss er grausame Entscheidungen in der Art des Moidart treffen, um größeres Übel zu vermeiden. Diese Erkenntnis droht ihn zu zerbrechen; zur Verzweiflung seines Vertrauten und ehemaligen Lehrers Mulgrave wird Gaise fast genauso hart und gnadenlos wie der Moidart. Dieser hingegen wird zur Symbolfigur des Widerstands gegen Winter-Kay, geachtet von allen, sogar den Riganten. So endet „Sturmreiter“ auch mit folgendem höchst ironischen Satz: „‚Erzähl uns vom Moidart‘, bat ein Mann. ‚Sie sagen, er ist ein Heiliger.'“

Gemmell verwischt hier die so vermeintlich klaren Fronten der Schwarzweißmalerei. Die Umstände diktieren das Verhalten seiner Helden. So kann ein böser Charakter wie der Kopfjäger Huntsekker auch seine guten Seiten haben, tapfer und selbstlos sein. Ja, sogar der Moidart kann zum Helden werden, während Gaise für das Wohl aller kämpft und dabei Gräuel begeht – und oft sogar geradezu begehen muss, was ihm das Herz bricht. Ihm, der alles sein wollte, nur nicht wie sein Vater.

Die Besessenheit Winter-Kays, dessen Name an den stets missgünstigen Kaye/Keie der Artussagen angelehnt ist, erinnert an frühere Werke Gemmells wie „Der dunkle Prinz“. Die übernatürlichen Fähigkeiten, die er seinen Rittern verleiht, und die Verbindung zur „Quelle“ findet man bereits in früheren Bänden des Rigante-Zyklus wie „Die Nacht des Falken“ aber auch in seiner Drenai-Saga. Die Tragik Winter-Kays und seiner Ritter ist ihr hehrer Anspruch, die fanatischen Eiferer werden ihre eigenen Ideale aus dem Blick verlieren.

Faszinierend ist, wie Gemmell seinen Nebenfiguren Leben einhaucht und sie weiterentwickelt. Neben der Wandlung des bereits erwähnten Huntsekker werden auch Figuren aus früheren Rigante-Romanen auftauchen. Um Kaelin Ring und Gaise Macon werden sich die Nachfahren der Generäle und Vertrauten Connavars scharen, die Highlander besinnen sich ihrer Wurzeln und der alte Geist der Keltoi lebt noch einmal auf.

_Fantasyliteratur mit kritischer Botschaft_

Gemmell zerschlägt das starre Gut-Böse-Schema der Fantasyliteratur und zeigt die Dualität des Menschen auf – Gut und Böse liegen oft ununterscheidbar nahe beieinander. An Kämpfen, unglücklicher Liebe und Heldentum mangelt es nicht, Gemmell nimmt jedoch bewusst die Kehrseite der Medaille unter die Lupe und zeigt, wie aus Engeln Teufel werden – und umgekehrt. Der nachdenklich machende Epilog zeigt parabelhaft sehr deutlich die starke Zivilisationskritik Gemmells. Die naturverbundene Lebenweise und Mystik der Rigante-Highlander/Keltoi wird zwar romantisiert, dennoch ist Gemmell sehr überzeugend, wenn er darlegt, wie unsere moderne Zivilisation die Eigenschaften verstärkt, die uns selbst und unserer Umwelt schaden.

Die Übersetzung ist wieder einmal von Gemmells deutscher Stimme, Irmhild Seeland, was für ihre Qualität spricht. „Sturmreiter“ ist ein würdiges und tief schürfendes Finale für den Rigante-Zyklus, der zweifellos einen der Höhepunkte von Gemmells Werk darstellt. Freunden anspruchsvoller Fantasy im historischen Gewand kann ich ihn nur empfehlen.

„Sturmreiter“ erscheint nur in broschierter Form und ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht als Band der gebundenen Reihe „Bibliothek der Phantastischen Literatur“ erhältlich.

_Der Rigante-Zyklus im Überblick_

Band 1: [„Die Steinerne Armee“ 522
Band 2: [„Die Nacht des Falken“ 169
Band 3: [„Rabenherz“ 498
Band 4: [„Sturmreiter“ 2961

Weber, David – dunkle Göttin, Die (Schwerter des Zorns 4)

„Die dunkle Göttin“ ist der zweite Teil des für die deutsche Übersetzung aufgeteilten Romans „Wind Rider’s Oath“ von David Weber und schließt den „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus um den Barbaren Bahzell Bahnakson vorläufig ab.

Der sonst eher für seine Science-Fiction-Romane um Honor Harrington bekannte Weber entführt den Leser in die urige, barbarische Fantasywelt Norfressa, in der gute und böse Götter durch ihre sterblichen Diener ihre Kriege austragen. Der sture Hradani Bahzell wurde ein wenig widerstrebend zum Paladin des Kriegsgottes Tomanâk und konnte sich gegenüber Monstren und Schergen des Bösen durchsetzen, aber auch Vorurteile gegenüber sich und seinem Volk, den als blutrünstig und primitiv verschrienen Hradani, abbauen.

In den letzten beiden Bänden konnte er einen Krieg zwischen Hradani und den Sothôii verhindern, traditionellen Erzfeinden. Gewarnt durch die Erfolge der Paladine Tomanâks, haben die dunklen Götter jedoch ihre Strategie geändert und schlagen nun an mehreren Fronten offen oder verdeckt zu. Während Bahzell sich um die von einer unbekannten Macht gejagten Windrenner der Sothôii kümmert, klärt Paladina Kaeritha ungewöhnliche Vorgänge im Reich der Axt auf, die den Kriegsbräuten (eine Art Amazonen) der Göttin Lillinara, eine Schwester des Kriegsgottes Tomanâk, schaden könnten.

_Von den Windreitern zu den Kriegsbräuten_

Die von der Göttin Krahana im letzten Band fast ausgerotteten intelligenten magischen Rösser der Sothôii, die Windrenner, verdanken Bahzell ihr Überleben. Mehr noch, der Hengst Walsharno erwählt Bahzell zum ersten Hradani-Windreiter der Geschichte. Der reiterisch völlig unbegabte Barbar gewinnt mit dem Hengst einen mächtigen Verbündeten, mit dem er gemeinsam gegen die „Shardohn“ genannte Dämonenbrut Krahanas vorgehen kann. Diese zweite Hälfte des Doppelbands konzentriert sich auf Kaeritha und die Kriegsbräute Lillinaras, deren Tempel vom Bösen entweiht wurde, wie Kaeritha fast zu spät herausfindet.

Die Kriegsbräute werden aus der Sicht der Tochter Baron Trellians geschildert, die so einer ungewollten politischen Hochzeit entgehen will. Neben Kaeritha erzählt sie den größten Teil der Geschichte, der so leider der bissige Humor und die spritzigen Dialoge Bahzells mit dem Kriegsgott oder seinen Freunden fehlen. Stattdessen wird eine verwirrende Unzahl von Nebencharakteren eingeführt, die blass bleiben und wenig zur Fortführung der Handlung beitragen. Selbst Kaeritha wirkt ohne Bahzell nur wie ein Schatten ihrer selbst. Zu viel wollte Weber in diesen Roman packen; so faszinieren auch die Kriegsbräute bei weitem nicht so sehr wie der Orden des Tomanâk oder die Windrenner, trotz betont knapp und kurz, bauchfrei gehaltenem Habit.

Im Gegensatz zu den ersten Bänden ist leider auch ein in der Rollenspielwelt als „Power Creep“ bekanntes Phänomen festzustellen: Die Todesgöttin Krahana reicht nicht mehr aus als Gegner, Weber greift im Pantheon der dunklen Götter bis an die Spitze … und Kaeritha kämpft an der Seite des Kriegsgottes selbst, greift durch ihn auf einen „Ozean aus Macht“ zu und dergleichen mehr. Der gelungene Humor und die spritzigen Dialoge der ersten Bände leiden ein wenig darunter, auch neigt Weber leider wieder zu simpleren, recht eindimensional gezeichneten Charakteren, die er unnötigerweise |en masse| einführt.

_Fazit_

David Weber erweitert seine Welt Norfressa in diesem zweiten Teil des aufgeteilten „Wind Rider’s Oath“ um einen weiteren Kriegerorden und zahlreiche Charaktere, bauscht Konflikte immer weiter auf verfällt damit leider auf einen Irrweg, von dem die Serie bislang verschont geblieben ist. Anstelle neuer Ideen versucht es Weber mit einer Steigerung bereits bekannter Konflikte und treibt die Action in geradezu metaphysische Sphären, die nicht begeistern können. Bei der Schilderung Kaerithas und der zur Kriegsbraut gewordenen Tochter Baron Trellians hätte er punkten können, leider versäumt er dies und führt viel zu viele neue und relativ blasse, eindimensionale Charaktere ein. Ein relativ unspektakuläres vorläufiges Ende für die „Schwerter des Zorns“. Die große und liebevoll ausgearbeitete Welt Norfressa, ihr griechisch-nordisch inspiriertes Götterpantheon und die exzellenten Karten machen jedoch Hoffnung auf eine Fortsetzung. Die beiden ersten Bände dieser Saga gehören zu den besten Werken Webers überhaupt; es wäre schön, wenn er in möglichen Fortsetzungen an deren Qualität anschließen könnte.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Weber, David – Windreiter, Der (Schwerter des Zorns 3)

Mit „Der Windreiter“ setzt der gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbundene Autor David Weber seinen „Schwerter des Zorns“-Fantasyzyklus fort. Das Original „Wind Rider’s Oath“ wurde für die deutsche Übersetzung in die Einzelbände „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ aufgeteilt.

Der sture Hradani-Barbar Bahzell Bahnakson erkämpfte sich in den ersten beiden Bänden der Serie die Achtung des Kriegsgottes Tomanâk, wurde gar zu einem seiner Paladine und bewahrte seine Heimat vor einem Krieg mit dem Reitervolk der Sothôii. Gegen alle Widerstände und Vorurteile auch in den eigenen Reihen (Hradani sind nicht ganz zu Unrecht als blutrünstige Barbaren bekannt, außerdem essen sie Pferde, was den Sothôii ein Gräuel ist) konnte er viel Unheil verhindern und sich behaupten, doch die bösen Götter Norfressas greifen nun zu subtileren Mitteln und greifen an mehreren Fronten an. Ausgerechnet der „pferdefressende“ Hradani Bahzell muss sich mit den Sothôii auseinandersetzen, deren von ihnen verehrte magische Rösser, die Windreiter, von einem unbekannten Feind gejagt werden. Kaeritha hingegen wird von Tomanâk zur Untersuchung von Rechtsstreitigkeiten der Kriegsbräute Lillinaras im Reich der Axt geschickt, hinter denen sich weit mehr als nur ein juristisches Problem steckt …

Bahzell ist ein Barbar im Stile Conans, jedoch mit einem gutmütigem Humor gesegnet, was sich auch in seinen Dialogen widerspiegelt. Egal, ob er mit dem Kriegsgott Tomanâk selbst oder seinem Freund Brandark spricht, sie sind stets eine gelungene Mischung aus an David Eddings erinnernder Schnoddrigkeit und Gutmütigkeit, gepaart mit dem passend rauen, herzlichen Humor der Hradani-Barbaren.

Standen in der umfangreichen und detaillierten Fantasywelt Norfressa, in der sich Zwerge, Elfen und Halbelfen (genannt „Rote Lords“) sowie das Reitervolk der Sothôii neben den barbarischen Hradani tummeln, im Vorgängerband „Der Kriegsgott“ neben dem Kampf gegen dunkle Götter und ihre Schergen die Überwindung von Vorurteilen im Mittelpunkt, wendet sich Weber in diesem Doppelband den an Amazonen erinnernden Kriegsbräuten der Lillinara sowie den magischen Rössern der Sothôii, den Windrennern, zu.

_Die Windrenner_

Die Windrenner sind den für ihre leichte Kavallerie berühmten Sothôii heilig. Die intelligenten Pferde leben in Herden auf den weiten Ebenen und kehren im Winter in der Art von Ehrengästen an den Höfen der Sothôii Fürsten ein. Körperlich größer und stärker, schneller und ausdauernder als normale Pferde, wählen sie sich ihre Reiter selbst aus. Diese können sich telepathisch mit ihrem Windrenner verständigen. Als Windreiter auserwählt zu werden, ist für jeden Sothôii die größte denkbare Ehre.

Das Konzept hinter dieser intelligenten Pferderasse ist eine vereinfachte Version der „Nighthorses“ in C.J. Cherryhs „Finisterre“-Zyklus, von dem Weber sichtlich inspiriert wurde. Wieder einmal spielt er mit Vorurteilen, denn gerade den aus dem Stamm der Pferdediebe stammenden Barbaren Bahzell ihren traditionellen Erzfeinden, den Sothôii, und ihren Windreitern zur Hilfe zu schicken, garantiert Konfliktpotenzial. Dieses wird jedoch bei weitem nicht ausgereizt wie in den vorherigen Bänden, stattdessen konzentriert sich Weber auf die Beschreibung der neuen Pferderasse. Kaerithas Abenteuer im Reich der Axt wird man erst im Folgeband lesen können.

Hier ist auch der große Haken dieses Buchs zu finden: Es endet in der Mitte abrupt mit der Heilung einer verwundeten Windrenner-Stute durch Bahzell. Die Aufteilung ist gründlich misslungen, denn so hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, bleibt völlig offen und es mangelt an Höhepunkten. So fehlt der Bezug zu Kaeritha und der ins Reich der Axt geflohenen Tochter Baron Trellians, die sich den Kriegsbräuten anschließen will, um einer politischen Hochzeit zu entgehen. Der Handlungsbogen um Selbstbestimmung und Emanzipation geht so völlig unter. Auch an der sonst üblichen und gelungenen Action wird diesmal leider arg gespart.

_Fazit_

Die Aufteilung hat diesem Roman schwer geschadet. „Der Windreiter“ und „Die dunkle Göttin“ haben mit 351 beziehungsweise 366 Seiten fast nur die Hälfte des Umfangs der 559 Seiten von „Der Kriegsgott“. Die Handlung baut sich langsam auf und kommt erst im Folgeband in die Gänge, dessen Verständnis durch die Aufteilung erheblich erschwert wird. Die sieben Seiten lange Auflistung der wichtigsten Personen, die diesem Roman zusätzlich zu dem exzellenten Kartenmaterial und dem detaillierten Anhang zum kompletten griechisch-nordisch inspirierten Götterpantheon Norfressas hinzugefügt wurde, kann da leider auch nicht helfen.

Denn die sonst so zahlreichen humorvollen Dialoge Bahzells werden zugunsten einer Unzahl neu eingeführter und eher blasser Charaktere vernachlässigt, die schreckliche Bedrohung der Windreiter bleibt diffus. Dennoch ist dieser Roman lesenswert – man muss ihn nur zusammen mit dem Folgeband „Die dunkle Göttin“ lesen. Denn die neue Schwerpunktsetzung Webers auf Themen wie Emanzipation und Selbstbestimmung wird klarer und die Handlung unterhaltsamer, sobald sich der Handlungsstrang Bahzells mit dem der in diesem Roman nahezu nicht erwähnten Kaeritha im Reich der Axt verbindet.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Weber, David – Kriegsgott, Der (Schwerter des Zorns 2)

David Weber wird gewöhnlich eher mit Science-Fiction und seiner starken Kommandantin Honor Harrington verbunden, in „Der Kriegsgott“, dem zweiten Band der „Schwerter des Zorns“-Trilogie (der dritte Band wurde für den deutschen Markt zweigeteilt), entführt er seinen Leser jedoch in urig barbarische Fantasygefilde.

Bahzell Bahnakson, Prinz von Hurgrum, ist stark, sehr stark – und mit viel gutmütigem Humor gesegnet. Zwar ist der fuchsohrige (im wörtlichen Sinne!) Hradani-Barbar wie die meisten Conan-Archetypen nicht gerade der hellste, aber dafür ein ausgesprochen moralischer Charakter. Das muss er auch sein, denn am Ende des ersten Bandes „Der Schwur“ ist der sture Bahzell, wenn auch widerstrebend, zum Paladin des Kriegsgottes Tomanâk geworden.

Leider muss der jüngste und wohl auch starrsinnigste Paladin Tomanâks erkennen, dass er mit seinem Rang auch eine ganze Menge an Pflichten aufgebürdet bekommen hat. So ist er wie die anderen Paladine ein Führer des Ordens des Tomanâk, einer militärischen Organisation, die überall in Norfressa für das Gute streitet.

Doch der Orden ist selbstgefällig und eitel geworden, viel zu viele Ritter sind wie Vaijon von Almerhas, der stets in schillernder Wehr und voller Standesdünkel aufgrund seiner adeligen Herkunft droht, die nötige Demut und Bodenhaftung zu verlieren. Dass ein stinkender Hradani-Pferdedieb von Tomanâk selbst zum Paladin auserwählt wurde, ist für ihn und viele andere Ritter ein Schlag ins Gesicht. Kaeritha, der zweite Paladin, der das Kapitel aufsucht, entpuppt sich als eine ehemalige Bauerntochter. Die beiden Paladine haben einige Erziehungsarbeit zu leisten, bevor das Kapitel in die Schlacht ziehen kann. Die Intrigen der dunklen Götter sehen vor, die von internen Konflikten zerrissenen Hradani in einen Krieg mit den Sothôii, ihren Erzrivalen, zu verwickeln.

Hier zu vermitteln, strapaziert die beschränkten diplomatischen Fähigkeiten Bahzells auf das Äußerste, die kluge und besonnene Kaeritha ist ihm dabei eine große Hilfe.

_Vorurteile sind härter als stählerne Fäuste_

Dem Kriegsgott bereitet es offensichtlich großen Spaß, seinen jüngsten Paladin vor eine Aufgabe zu stellen, für die er so scheinbar gar nicht geeignet ist. Bahzell lernt Verantwortung für mehr als nur sich selbst zu übernehmen. Das Thema Vorurteile gegenüber anderen Rassen/Hautfarben oder gegenüber Frauen hat Weber bereits in der Honor-Harrington-Serie aufgegriffen, dieses Mal wird es jedoch vielschichtiger und interessanter behandelt als die recht eindimensionalen und groben Vorurteile der Graysons gegenüber Frauen.

Dabei zeichnet er die durch ihre Vorurteile geblendeten Charaktere differenzierter als sonst üblich, gute und böse Charaktere sind in dieser Saga sonst von vornherein klar definiert. Hier jedoch beschreibt er sehr interessante Entwicklungen, einige Figuren werden ihre Vorurteile überwinden und gar vom Saulus zum Paulus werden, während andere von ihnen zu an Verrat grenzenden Handlungen getrieben werden.

Wie bereits im ersten Teil spart Weber nicht mit gelungenen, humorigen Dialogen, die ein wenig an den schnoddrigen Stil von David Eddings erinnern, aber passend zu der Figur des starken Hradani und seines Freunds Brandark rauer, hart aber herzlich sind. Die Paladina Kaeritha trägt dazu ebenso ihren Teil bei, sie ist mehr als nur eine Quotenfrau. Interessant ist, dass Weber wie bereits im ersten Teil auf eine Liebesgeschichte völlig verzichtet, er belässt es bei sehr zart angedeuteten Romanzen.

Action und Abwechslung satt werden geboten. Von den Höhlen der technisch sehr bewanderten Zwerge über die weiten Ebenen der Sothôii und ihren mystischen „Windrenner“-Pferden bis hin zu den Kapiteln des Ordens des Tomanâk und den Tempeln dunkler Götter voller entsprechender Monstren reicht das Spektrum. Dabei präsentiert sich Bahzell nie so archaisch wie Robert E. Howards Ur-Conan; schwarze Magie, Blutlachen und abgetrennte Gliedmaßen und vom Kampfschweiß geschwängerte Luft gibt es dennoch reichlich.

Der Weltentwurf Webers ist detailliert und liebevoll. Zwar ist der Kampf guter Götter gegen böse Götter klischeehaft, aber das Götterpantheon ist umfangreich und sorgfältig geplant. Im Anhang befinden sind zahlreiche Karten der Welt Norfressa und eine Auflistung und Beschreibung aller ihrer Gottheiten. Auf einen historischen Abriss der Weltgeschichte, der zum Verständnis einiger Details nötig ist und im ersten Band geschildert wird, wurde leider verzichtet. Der Krieg der Götter wird von auserwählten sterblichen Stellvertretern wie den Paladinen Tomanâks und ihren dunklen Gegenspielern geführt, direktes Eingreifen ist den Göttern untersagt, sie wirken durch ihre Diener.

_Fazit_

Bahzell erlebt unterhaltsame und actionreiche Abenteuer in einer detaillierten und faszinierenden Fantasywelt, Esprit und Humor zeichnen ihn aus. Besonders gelungen sind die Dialoge des sturen Hradani mit seinem Freund Brandark, Kaeritha oder dem Kriegsgott selbst. Die Übersetzung von Wolfgang Thon ist sehr gut gelungen, leider haben sich wie in allen Bänden der Serie viele kleine Setzungsfehler eingeschlichen.

„Der Kriegsgott“ stellt gegenüber dem ersten Band „Der Schwur“ sogar noch eine Steigerung dar, und bereits diesen kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Der „Schwerter des Zorns“-Zyklus bei |Buchwurm.info|:

1. [„Der Schwur“ 2093
2. [„Der Kriegsgott“ 2889
3. [„Der Windreiter“ 2890
4. [„Die dunkle Göttin“ 2891

Harrison, M. John – Centauri-Maschine, Die

In ferner Zukunft hat die Menschheit bei ihrer Expansion in das All viel Schuld auf sich geladen und eine Spur der Zerstörung hinterlassen. So wurde die Rasse der Centaurier nahezu vollständig ausgerottet. Die Ursachen und Motive sind weitgehend vergessen, die zerstörte Heimatwelt der Centaurier ist die einzige Erinnerung an diese Zeit.

Doch tief unter der Oberfläche des toten Planeten entdeckt man in einem Bunker eine „Maschine“ der Centaurier. Bei dieser scheint es sich um eine Waffe unglaublicher Schlagkraft zu handeln. Alle rätseln, warum die Centaurier sie nicht eingesetzt haben, doch schon bald streiten sich vier Machtblöcke um die Maschine: Die Israelische Weltregierung (IWG) vertreten durch Generalin Alice Gaw, die Vereinigung Arabischer Sozialistischer Republiken (UASR) durch Colonel Gadaffi ben Barka, ein gewisser Grishkin von der religiösen Sekte der so genannten „Öffner“ und der Drogenkönig Veronica.

Nicht hinter der Maschine ist man jedoch her, vielmehr hinter Raumcaptain John Truck. Truck ist mütterlicherseits ein halber Centaurier, der letzte bekannte lebende Mischling. Ohne seine centaurischen Gene kann man die Maschine nicht aktivieren.

Doch Truck möchte sich nicht vor den Karren irgendeiner Ideologie spannen lassen und verweigert sich. Auf der Flucht durch heruntergekommene und abgelegene Lokalitäten werden seine Freunde nach und nach getötet, es gelingt ihm jedoch, die Maschine an sich zu bringen.

„Die Centauri-Maschine“ von M. John Harrison (* 1945, Nordengland) ist einer der umstrittensten Romane der Siebzigerjahre, damals wie heute schlug dem Roman viel Unmut und Feindseligkeit entgegen. Seine Aufnahme in die Reihe der Meisterwerke der Science-Fiction verdankt er somit wohl auch eher der negativen Resonanz, mit keiner Auszeichnung kann er sich schmücken.

Einer der Gründe für die vor allem in den Siebzigern ablehnende Haltung war sicher, dass der Konflikt zwischen Israelis und Arabern, aber auch der Holocaust (Ausrottung der Centaurier) in die Zukunft verlagert wurden. Die klischeehafte Zeichnung der Figuren trug ebenfalls dazu bei: Gadaffi ben Barka ist das Paradebild des bösen Arabers mit blitzend weißen Zähnen und einem schwarzen, verotteten, den er bei jedem fiesen Grinsen zeigt. Eine ganze Flut von rassistischen Vorurteilen und Klischees muss auch Alice Gaw über sich ergehen lassen, eine hässliche Frau, die den amerikanischen Kapitalismus verkörpert.

Dass es geradezu lächerlich ist, Kommunismus und Islam in dieser Form miteinander zu vereinen, sollte klar sein. Denn Harrison überzeichnet bewusst, weist mehrfach darauf hin, dass weder IWG noch UASR überhaupt noch wissen, warum sie sich bekämpfen. Auch ist an Alice Gaw nicht viel Jüdisches, außer einer an den israelischen General Mosche Dajan erinnernden Augenklappe. Sie steht für eine autoritäre, kapitalistische Demokratie und maßt sich an, die IWG als Wächter der Freiheit und Demokratie der ganzen Galaxis zu sehen. Ben Barka ist ein pragmatischer Kommunist stalinistischer Prägung extremster ideologischer Härte, allerdings fehlt jeglicher arabischer Fundamentalismus, während Grishkin die zur Karikatur gewordene Rolle der Religion repräsentiert. Die Öffner haben operativ eingearbeitete Plastikfenster im Körper, um ihr Innerstes zu offenbaren, und halten die Centauri-Maschine für ein Behältnis des göttlichen Geistes, mit dem sie Kontakt zu Gott aufnehmen können. Dabei verkommen sie jedoch zur Freakshow. Der kriminelle Drogenbaron Veronica steht für das organisierte Verbrechen, das von den Machtblöcken geduldet und oft instrumentalisiert wird, aber weitgehend nach seinen eigenen Gesetzen lebt.

John Truck wirkt in diesem Chaos verloren und weniger als durchschnittlich, er sieht sich selbst als „Loser“ an, ein Lebensgefühl, das der Roman sehr deutlich ausstrahlt. Zerstörte Gegenden, Ruinen, verkommene Raumhäfen – Harrison offenbart als einer der ersten Science-Fiction-Autoren eine sehr pessimistische und nihilistische Einstellung, die sich erst viel später in den Achtzigerjahren in Cyberpunk-Romanen widerspiegelte.

Anspruchsvoll ist Harrisons Ausflug in die literarische Dekadenz; er setzt dieser verkommenen Welt eine sphärische, übermäßig ästhetisierte Raumstation voller avantgardistischer Randexistenzen gegenüber. Auf seiner Flucht findet sich Truck in dieser unwirklichen Welt voller ekrü getönter Wände, Hokusai-Drucken unglaublicher Feinheit und ätherisch ingwerfarbenen Porzellankrügen wieder. Zusätzlich haben diese Dekadents goldene Raumschiffe, die mit überlegener Technologie und einem intergalaktischen Antrieb ausgestattet sind. Doch leider wissen sie sich dieser nicht zu bedienen, ihr Geheimnis ging mit dem Tod des letzten gestrandeten Aliens verloren. Man konnte nicht ausreichend mit ihm kommunizieren. Mit dem sinnigerweise |Driftwood of Decadence| genannten goldenen Raumschiff zieht Truck los, doch auch dieses letzte Überbleibsel verlorenen Wissens wird zu Klump geschossen. Hier kontrastieren Hedonismus und Luxus mit den vorherrschenden trostlosen Manifestationen des ökonomischen und sozialen Verfalls.

Dieser Verlust der Erinnerung zeichnet auch den Genozid an den Centauriern und andere Konflikte aus: Nur noch rauchende Trümmer und Schlacke erinnern daran, dass etwas geschehen ist. Sinn und Zweck, Ursachen und Gründe sind schon lange hinter Ideologien zurückgetreten. Interessanterweise präsentiert Harrison auch ein entvölkertes, zerstörtes Deutschland auf der Erde, das bar jeglichen Lebens ist und gemieden wird. Warum dies geschehen ist, wird jedoch genauso wenig beantwortet wie der Massenmord an den Centauriern. Genozid und Dekadenz werden als Ausgeburten der menschlichen Natur dargestellt, unausweichlich und eine Tatsache, deren Gräuel wir nicht rational erklären können. Angesichts dieser Tendenzen kann man bereits erahnen, wie dieser Roman enden wird.

_Fazit:_

Ein nachdenklich machender Roman, der jedoch schwer zu lesen ist, gerade wegen der symbolhaften und zweidimensionalen, unrealistischen, klischeehaften Charaktere und der starken Bezüge zur Politik und Situation der Mittsiebzigerjahre. Auch aus heutiger Sicht irritiert diese Projektion realweltlicher Verhältnisse im Roman. Andererseits geht Harrison in positiver Weise über die Grenzen einfach zu konsumierender Science-Fiction und Unterhaltung hinaus.

Der negative, nüchterne Nihilismus des Romans karikiert unsere reale Welt und zeigt ihre Schwächen und die alarmierende Sinnlosigkeit historischer Grausamkeiten. Eine unglaublich dichte Atmosphäre nimmt den Leser dieses Romans gefangen, allerdings ist diese Welt so frustrierend und einseitig negativ, dass man davon erdrückt wird. Der weitgehend zusammenhanglose Plot ist wahrhaft apokalyptisch. Beeindruckend und anspruchsvoll zu lesen, konnte mir dieser Roman dennoch nicht gefallen. Er ist einfach zu dekadent und hoffnungslos, oft zu simplifizierend und von einer ausschließlich negativen Weltsicht geprägt. Wie anders kann man einen Roman nennen, in dessen Epilog über John Truck zu lesen ist: |“Man muss aber ebenso zugeben, dass er das Leben zwar unerfreulich, den Tod aber noch weit unerfreulicher fand. Er verabscheute das Morden und das absichtliche Peinigen, er verabscheute Heuchelei und Frömmelei und die wohlfeilen Lippenbekenntnisse der Ideologen, wenn es um die Linderung menschlichen Elends ging – aber ihm fehlten die Mittel, diesen Abscheu zu artikulieren. Diese redlichste Unredlichkeit kam nur in Bärbeißigkeit, Prahlerei und der dauernden Suche nach kurzzeitigem Vergessen zum Ausdruck.“|

Ein Meisterwerk, das man nur schwerlich lieben kann und dessen Aussage fragwürdig ist. Die Übersetzung vom Hendrik P. und Marianne Linckens hingegen ist ausgezeichnet und wird der Atmosphäre des Romans und dem Stil des Autors mehr als gerecht.

|Mit einem Vorwort von Adam Roberts|

Homepage von M. John Harrison:
http://www.mjohnharrison.com/

http://www.heyne.de

Ergänzend: Unsere [Rezension 907 zum zuletzt bei |Heyne| erschienenen SF-Roman „Licht“.

Rempel, Christian – Ein Tag im Leben des Zauberers Ambrosius

Ambrosius ist ein Zauberer, der mit seiner berufstätigen Frau Penthesileia auf einem Schloss in einem undurchdringlichen Gebirge Deutschlands lebt. Oft sind es ganz alltägliche, persönliche oder auch anrührende Dinge, die den Zauberer beschäftigen, doch in seinem langen Leben macht er auch Bekanntschaft mit illustren Persönlichkeiten und ihren Frauen, die unter leicht verfremdeten Namen auftreten, wie der Geheimdienstgeneral Markus Wolf, C.G. Jung, ein deutscher Physiker der Frühromantik namens Ritter oder gar Goethe.

Mit diesem erlauchten Kreis spricht Ambrosius über Gott und die Welt – im Sinne des Wortes. Was mit der rituellen morgendlichen Fütterung der anspruchsvollen Hauskatze und eifersüchtigen Bedenken des Zauberers wegen seiner schönen Frau beginnt, weitet sich bald zu einem Diskurs über naturromantische Vorstellungen von einer Belebtheit in der Physik sowie Überlegungen zu Staatstheorien, Gott und Christentum aus.

_Der Autor_

Der verheiratete Physiker Dr. Christian Rempel (1953) arbeitet für eine Berliner Hightech-Firma. In seinem Vorwort schreibt er, sein Buch wäre aus in einem Zeitraum von drei Jahren geschriebenen, lose zusammenhängenden Aufsätzen über den Zauberer Ambrosius entstanden.

_Ein netter Plausch mit Goethe, Markus Wolf und C.G. Jung_

Die fiktive Zusammenführung interessanter Persönlichkeiten ist es, was „Ambrosius“ auszeichnet. Der Autor hat dem Zauberer Ambrosius offensichtlich viele seiner eigenen Ansichten, Charaktereigenschaften und vielleicht auch einige seiner kleineren Schwächen mitgegeben. Diese Geschichten beruhen sowohl auf profundem geschichtlichem Wissen als auch realen persönlichen Erfahrungen und vermischen diese miteinander. Die erste Geschichte „Der Morgen“ schildert das frühmorgendliche, fast abergläubische Ritual der Fütterung der anspruchsvollen Hauskatze durch Ambrosius, was sehr humorvoll und für Katzenfreunde nachvollziehbar beschrieben ist. Hier sollte man aber nicht der Versuchung erliegen, „Ambrosius“ für eine liebe und nette Sammlung von humorigen Alltagsgeschichten zu halten, denn bereits in der nächsten Geschichte „Der Zauberer und der General“ stellt Rempel die Weichen für weitere Episoden seines Zauberers und anspruchsvolle, komplexe Themen.

Ausgezeichnet ist dabei die Präsentation dieser Gedanken in Dialogform. Das ungezwungene Gespräch des über ihre Frauen bekannten Generals und des Zauberers über die Frage eines gewissen Physikers namens [Ritter]http://de.wikipedia.org/wiki/Johann__Wilhelm__Ritter über seine Entdeckung von vermeintlich in sowohl der lebenden als auch toten Natur geltenden Prinzipien, von General Agnus alias Markus Wolf als „Disziplin“ bezeichnet, klingen so überzeugend und natürlich, als hätten diese Gespräche wirklich stattgefunden. Dies ist insbesondere köstlich, wenn der unter seiner Eifersucht leidende Ambrosius zu seinem Psychiater C.G. Althaus geht – und als Patient seinem Psychiater vielmehr eine Gralsgeschichte erzählt denn von ihm therapiert wird! Mit Prinzessin Diana über die Monarchie zu reden, hat auch seinen Reiz, mein persönliches Highlight ist jedoch das Gespräch von Ambrosius als Fuzzy4@world.de mit Johann.Andreä@schwaben.de, dem vermutlichen Autor der |Confessio Fraternitatis| und |Chymischen Hochzeit| der legendären Rosenkreuzer, das in Form eines Mailaustauschs erfolgt, bei dem die Antworten Andreäs in auf Altdeutsch getrimmter Sprache und passend verschnörkeltem Zeichensatz abgedruckt sind.

Obwohl Rempel betont, dass seine Aufsätze über einen längeren Zeitraum entstanden sind, fügen sie sich jedoch zu einem harmonischen Ganzen zusammen, Figuren und Gedanken aus älteren Geschichten treten oft erneut auf und werden weiterentwickelt. Dabei fallen störend einige Erzählungen auf, die nicht so ganz in den Rahmen passen und mir fast wie Lückenfüller in den ansonsten so konzentriert geschriebenen und gelungenen 170 Seiten des Buchs vorkommen. Etwas mehr Stringenz und weniger Abschweifung von den anspruchsvolleren Thematiken des Buches hätte hier gut getan; auch wenn der Autor zugesteht, eine dichterische und romantische Neigung zu haben die sich in positiver Weise auch im Buch widerspiegelt, wirken Dinge wie das Herbeizaubern eines Hamsters als Ersatz für den verstorbenen eines Kindes oder die oft etwas zu gefühlsduselnde Verehrung Ambrosius für seine Frau eher bremsend und deplatziert. Das Buch sollte am besten in kleinen Dosen gelesen werden, ein oder zwei Geschichten pro Tag reichen völlig aus, denn sie erfordern Konzentration und ein gewisses historisches Wissen und Interesse, regen zum Nachdenken und zur Diskussion an. Das Buch enthält zudem zwölf Illustrationen, die interessanterweise allesamt in gräulichen Erd/Naturfarben gehalten sind. Ihre Qualität schwankt leider sehr stark, einige gefielen mir sehr gut, andere hingegen gar nicht. Positiv aufgefallen ist mir die stärker als gewöhnliche Textnähe, die Illustrationen unterstützen so die Wirkung des Textes und stehen nicht, wie man es leider zu oft erlebt, als Einzelkunstwerke mit recht entferntem Bezug verloren im Text.

_Fazit:_

Amüsante Unterhaltung mit Anspruch. Die meisten Geschichten konnten mich überzeugen und sogar begeistern. An der vermeintlichen Kürze der zwölf Geschichten (170 Seiten) sollte man sich nicht stören, denn sie sind sehr gehaltvoll und bilden ein harmonisches Ganzes. Trotzdem, ein abschließendes Ende vermisse ich dennoch; „Ambrosius“ schließt offen und ein wenig unbefriedigend. Allerdings weckt es auch Hoffnungen auf einen weiteren Band über einen Tag aus dem Leben seiner Frau Penthesileia. Vielleicht geht diese noch einen Schritt weiter als „Ambrosius“ und bietet eine durchgehende Handlung – „Ambrosius“ ist eher geeignet für Freunde von knackigen Kurzgeschichten, die jedoch akzeptieren müssen, dass es sich empfiehlt, in Sequenz vom Anfang bis zum Ende zu lesen, da viele für das bessere Verständnis nötige Zusammenhänge zwischen den einzelnen Geschichten vorhanden sind.

Lem, Stanislaw – Unbesiegbare, Der

Der „Unbesiegbare“ ist ein schwerer Raumkreuzer, der Nachforschungen über das Schicksal seines Schwesterschiffs „Kondor“ anstellen soll, das auf Regis III, einem Planeten im Sternbild der Leier, verschollen ist.

Kommandant Horpach und sein Stellvertreter Rohan finden den „Kondor“, stehen jedoch vor einem Rätsel: Es gibt keine Überlebenden, obwohl genügend Lebensmittel, Wasser- und Sauerstoffvorräte für Monate vorhanden gewesen wären. Das Raumschiff selbst ist weitgehend unversehrt, die Innenräume sind jedoch ein totales Chaos. Es stellt sich heraus, dass die Besatzung ohne Kampf an einem vollständigen Gedächtnisverlust und der daraus folgenden Hilflosigkeit zugrunde gegangen ist.

Dabei scheint es auf Regis III weder feindliche Flora noch Fauna zu geben, es gibt einfach keinerlei höher entwickelte Lebewesen an Land. Die Meerestiere flüchten völlig untypisch vor den Sonden, die man in die Tiefe schickt, auch sind die Uferregionen, in denen normalerweise höheres Leben entsteht, bar jeglichen Lebens.

Schließlich entdeckt man eine „Wolke“ aus flexiblen, kleinen metallischen Roboter-Fliegen, die sich zu Einheiten variabler Größe zusammenschließen und mittels enorm starker magnetischer Felder Gehirne und Rechenanlagen funktionsunfähig machen beziehungsweise „löschen“ können. Eine Kommunikation mit der bald als „Nekrosphäre“ bezeichneten Roboterspezies erweist sich als unmöglich. Der „Unbesiegbare“ beginnt einen erfolglosen Kampf; obwohl die Mannschaft aus hochqualifizierten Wissenschaftlern besteht und zahllose mächtige Waffen wie der „Zyklop“, ein nahezu unzerstörbarer Kampfroboter, zur Verfügung stehen, wird die Besatzung von den primitiven Maschinen dezimiert und in die Defensive gedrängt. Als die Niederlage des „Unbesiegbaren“ abzusehen ist, versucht Rohan verzweifelt im Alleingang noch einige vermisste Besatzungsmitglieder zu retten.

_Der Autor_

Stanislaw Lem (1921 – 2006) war ein bekannter polnischer Philosoph, Essayist und vor allem Science-Fiction-Autor. Seine Bücher wurden bisher in 57 Sprachen übersetzt und erreichten eine Auflage von mehr als 45 Millionen Exemplaren. Sein Roman „Solaris“ wurde 1967 von Andrei Tarkowski und 2002 von Steven Soderbergh mit George Clooney verfilmt, Lem hielt nach Angaben der FAZ von beiden Verfilmungen jedoch nichts.

_Dumme Maschinen gegen schlaue Militärwissenschaftler_

Lem beschreibt eine paradoxe Situation. Die zahllosen Wissenschaftler an Bord des „Unbesiegbaren“ müssen erkennen, dass der „Feind“ eine tote Lebensform ist, simple, primitive Maschinen, Reste des Maschinenparks einer untergegangenen Zivilisation. Die Roboterfliegen besitzen keine herausragenden intellektuellen Fähigkeiten, sie sind einfach strukturiert und zeichnen sich durch ihre Flexibilität aus. Man ist sich nicht einmal sicher, ob sie zusammengeschlossen über eine Art Bewusstsein verfügen, ihre Intelligenz kann jedoch auch dann nicht groß sein, denn sie greifen den „Unbesiegbaren“ oft auf von vornherein aussichtslose Weise an und reagieren viel mehr, als dass sie agieren.

Dennoch hat diese flexible, verteilte Intelligenz die intellektuell hoch überlegenen Makro-Roboter damals ausgelöscht und ebenso die Besatzung des „Kondor“ besiegt. Interessant ist, dass die Besatzung des „Unbesiegbaren“ zahllose hochspezialisierte Roboter zur Verfügung hat, die alle niederen oder spezielle Tätigkeiten übernehmen. Obwohl das Raumschiff ein militärischer Kreuzer ist, scheint jedes der 83 Besatzungsmitglieder ein Wissenschaftler zu sein, von Biologen, Chemikern, Physikern bis hin zum Astrogator Horpach, der gleichzeitig der Kommandant ist. Einzig Rohan wird stets nur mit seinem vermutlichen Vornamen Rohan angesprochen, alle anderen Besatzungsmitglieder werden ihrer Tätigkeit gemäß als „Chefingenieur“, „Kartograph“ oder mit ihren Nachnamen bezeichnet. Sie sind ebenso wie ihre Maschinen weit höher entwickelt und spezialisierter als die Roboterfliegen, auf der Leiter der Evolution sollten sie weit höher stehen.

Ihre Vorgehensweise gleicht jener der höher entwickelten Maschinen, die jedoch bereits von den Roboterfliegen vernichtet wurden. So scheitert auch der Einsatz des mächtigen „Zyklopen“; trotz der Steuerung durch überlegene Intelligenzen und überlegene Ausstattung scheitert er an den Fliegen, die schon vor langer Zeit Methoden entwickelt haben, sich gegen solche Bedrohungen zu behaupten.

Die Besatzung des „Unbesiegbaren“ nimmt die Roboterfliegen als Gegner wahr, obwohl sie als Roboterwesen faktisch tot sind; nur eine Minderheit schlägt vor, sie eher als eine Art Naturgewalt zu betrachten. Der Kampf gegen die Roboterfliegen wird so sinnlos wie der Kampf gegen Naturgewalten, die man nur gelegentlich in ihre Schranken verweisen, aber niemals besiegen kann.

Diese Erkenntnis trifft Rohan auf seiner Rettungsmission: |“(…) er fühlte sich überflüssig in diesem Reich des vollendeten Todes, in dem nur tote Formen siegreich hatten überdauern können, um geheimnisvolle Vorgänge zu vollziehen, die nie ein lebendes Wesen erblicken sollte. Nicht entsetzt, sondern benommen und voller Bewunderung hatte er das miterlebt, was kurz zuvor geschehen war. Er wusste, dass kein Wissenschaftler fähig sein würde, seine Empfindungen zu teilen (…) Nicht überall ist alles für uns bestimmt, dachte er, als er gemächlich abwärts stieg.“|

_Fazit:_

Der Roman thematisiert die Problematik der nahezu unmöglichen Kommunikation mit einer Spezies, die eine vollkommen andere Interpretationsbasis als der Mensch besitzt, und die Frage, warum diese geradezu dazu verdammt ist zu scheitern. Ebenso ist er ein Experiment, das zeigt, dass nicht unbedingt eine hoch entwickelte und ebenso hoch spezialisierte intelligente Lebensform die Krone der Schöpfung darstellen muss. Technologie beziehungsweise Maschinen wird zudem ein Platz in der Evolution eingeräumt, der gewöhnlich nur biologischen Lebensformen zugestanden wird.

Der 1964 entstandene Roman liegt bei |Suhrkamp| mittlerweile in der 8. Auflage vor. Der exzellenten Übersetzung von 1967 merkt man jedoch ihr Alter an, ebenso ist es bedauerlich, dass einige Fehler („auf maximale Feuerkraft herunterschalten“, das Wort „Annihilation“ wird oft im falschen Kontext gebraucht) bislang nicht verbessert wurden. Wenn Elektromotoren den Widerstand von eingetrocknetem Schmieröl überwinden und hermetisch verpackte Karten in ihren Rollen (Sternenkarten in Form von Folien!) unruhig in den Kartenräumen schaukeln, erkennt man das Alter deutlich und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Die Themen sind jedoch intelligent und nach wie vor aktuell. Zudem ist der Roman spannend, unterhaltsam, packend und nachdenklich stimmend. In nur 227 Seiten bringt Stanislaw Lem mehr Inhalt und mehr Unterhaltung unter als einige seiner heutigen Kollegen in ganzen Zyklen.

Wikipedia über Stanislaw Lem:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaw__Lem

Baker, Keith – Stadt der Türme, Die (Die Träumende Finsternis 1)

Die Welt Eberron erzittert unter den Kriegen fünf großer Nationen auf dem Kontinent Khorvaire, die aus dem ehemaligen Königreich Galifar entstanden sind. Diese als „Letzter Krieg“ bezeichneten Nachfolgekriege kommen vorübergehend zum Stillstand, als nach knapp einhundert Jahren eine Nation, Cyre, durch eine schockierende magische Katastrophe unbekannten Ursprungs völlig vernichtet wird. Ein unruhiger Frieden, der jederzeit brechen kann.

Vier heimatlose Veteranen der Armee Cyres machen sich auf in die breländische Metropole Sharn, die größte Stadt Khorvaires, auch bekannt als die Stadt der Türme.

Die dem Drachenhaus Cannith angehörende Lei hofft in Sharn ihren Bräutigam Hadran zu heiraten. Hauptmann Daine sowie der Halbling-Heiler Jode und der Kriegsgeschmiedete Stoß begleiten sie und hoffen auf einen Neuanfang in Sharn. Doch Sharn entpuppt sich als eine düstere Metropole voller Ränkespiele und Schatten, aber auch Wunder.

Lei wird plötzlich und scheinbar grundlos von ihrem Haus ausgestoßen, das Schlimmste, was dem Träger eines Drachenmals widerfahren kann. Schlimmer noch, ihr zukünftiger Mann Hadran wurde ermordet. Um über die Runden zu kommen, tritt die Gruppe in die Dienste der hübschen Halbling-Magierin Alina Lyrris, hinter deren entzückendem Äußeren sich eine mächtige und skrupellose Kriminelle verbirgt. Die Suche nach einem Kurier Alinas, dem ein wichtiges Paket abhanden gekommen ist, bringt Lei auf die Spur einer Verschwörung, die im Zusammenhang mit ihrer Verfemung steht. Einer dunklen Verschwörung, die mehr als nur eine Nummer zu groß für die Gruppe und sogar Alina ist …

_Keith Baker und Eberron_

Der Autor Keith Baker ist gleichzeitig der Schöpfer der D&D-Kampagnenwelt Eberron, die 2002 von |Wizards of the Coast| aus über 11.000 Einsendungen für eine neue Fantasywelt ausgewählt wurde. Im Jahr 2004 wurde schließlich das [Eberron Kampagnenset]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3937255354/powermetalde-21 von Keith Baker, Bill Slavicsek und James Wyatt veröffentlicht, das auf großen Anklang bei den Fans stieß. Für die deutsche Übersetzung zeichnet der Verlag |Feder & Schwert| verantwortlich.

Eberron zielt auf eine jüngere Zielgruppe von D&D-Spielern, die mit klassisch mittelalterlich geprägten Welten wie den Vergessenen Welten, Greyhawk oder Drachenlanze weniger anfangen können. Das Szenario ist düsterer, an Agententhriller angelehnte Abenteuer und Technomagie, wie die magisch erzeugten Wolkenkratzer der Stadt Sharn oder die „Kriegsgeschmiedeten“, beseelte magische Konstrukte, sollen so gefördert werden.

Doch trotz vollmundiger Ankündigungen ist Eberron sehr klassisch, Orks, Elfen, Oger, Menschen und andere bekannte D&D-Monster gibt es auch in dieser Welt. Oft ist gerade die vermeintliche Nähe ein irritierender Störfaktor; so haben Goblins und Orks in dieser Welt nahezu nichts miteinander zu tun, im Gegensatz zu den Vergessenen Welten, und auch die Elfen unterscheiden sich vom gängigen D&D- oder Tolkien-Schema. Vier neue Rassen werden zudem eingeführt: Wechselbälger, Wandler (Halb-Werwesen), Kalashtar (Menschen, die mit einem Geist der äußeren Ebenen eine Verbindung eingegangen sind) und lebende Konstrukte wie die Kriegsgeschmiedeten.

Als neue Klasse kommt der Magieschmied hinzu, der unter anderem die Kriegsgeschmiedeten erschafft. Die Heldin Lei gehört dem Drachenhaus Cannith an, dessen Drachenmal ihnen erlaubt, derartige Magie zu wirken. Es gibt insgesamt dreizehn Drachenhäuser – eine magische Zahl in der Welt Eberron; Zwölf und Dreizehn sind oft vertreten, auch beim Götterpantheon und der Zahl der Monde. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Keith Baker („Bäcker“) sich einen Scherz erlaubt hat: Die Zahl Dreizehn wird oft auch als „Bäckerdutzend“ oder eben „Baker’s dozen“ bezeichnet. Jedes Drachenhaus ist aus den Angehörigen einiger Familien hervorgegangen, die ein magisches Drachenmal auf ihrer Haut manifestierten. Dieses Drachenmal gibt ihnen spezielle magische Fähigkeiten, die die Ausrichtung und das Betätigungsfeld der Häuser bestimmen – im Falle des Hauses Cannith die Herstellung von Konstrukten, bei den Halblingen des Hauses Jorasco die Fähigkeit zur Heilung.

_Vier Helden in Sharn_

Mit der unerklärlichen und katastrophalen Vernichtung Cyres im Prolog und der folgenden Orientierungslosigkeit der vier Helden beginnt das Abenteuer in der Stadt Sharn. Leis zukünftiger Gemahl wird ermordet, sie verfemt, und keiner weiß, warum.

Diese Phase nutzt Keith Baker, um den Lesern seine Welt vorzustellen. Das düstere Ambiente Sharns und Eberrons im Allgemeinen bringt er sehr gut rüber, er überfordert den Leser auch nicht mit unnötigen Details, sondern entfaltet alles nach und nach. Ein gewisser Reiz liegt auch im Entdecken von Unterschieden zu älteren D&D-Welten; wie bereits erwähnt, ist die vermeintliche Nähe oft irreführend, allerdings sorgt dies auch für Überraschungen.

Als Inspiration zur Welt Eberron gibt Keith Baker unter anderem Filme und Bücher wie |Casablanca|, |Der Name der Rose| und |Der Malteser Falke| an; diese Ambitionen versucht er auch in diesem Roman umzusetzen. Die hübsche kriminelle Halblingmagierin Alina Loredan Lyrris passt vorzüglich in diese zwielichte Welt. Der magische High-Tech-Einschlag tritt erst spät in Erscheinung, anfangs ist er nur in Form der Kriegsgeschmiedeten und der fliegenden Türme Sharns vorhanden. Bis zum Ende des Buchs stellt Baker jedoch nach und nach alle neuen Rassen wie zum Beispiel die Kalashtar vor.

Eine Karte Sharns und zwei Anhänge, ein Glossar sowie ein Führer durch die Welt Eberron runden den Roman ab, der zudem sehr sorgfältig und fachkundig übersetzt wurde.

_Fazit:_

Die Welt Eberron wird zu Recht gelobt. Sie ist sorgfältig erdacht und bringt frischen Wind in das D&D-Genre; dabei bleibt sie klassisch genug, um alte Veteranen nicht zu verschrecken. So gut es Keith Baker aber gelungen ist, seine Welt zu entwickeln und vorzustellen, so unterentwickelt sind seine Charaktere und seine Erzählkunst.

Der bemühte Versuch, in Sharn einen Agententhriller abzuliefern, schlägt fehl; Keith Baker mag diese Art von Geschichten mögen, seine Stärke liegt jedoch eher im visionären Weltenbau denn im subtilen Thrillergenre, insofern gerät die Geschichte auch sehr lau und wenig mitreißend. Dasselbe kann man leider auch über die Charaktere sagen. Daine und Lei, bereits die Namen konnte mich nicht begeistern. Ein R. A. Salvatore mag für vieles kritisiert werden, seine Charaktere haben jedoch unverkennbare Charakterzüge und Charisma, einen Drizzt oder Jarlaxle, um nur zwei zu nennen, findet man bei Keith Baker leider nicht.

So scheitert „Die Stadt der Türme“ trotz vorzüglichem und faszinierendem Szenario an einer lauen Story mit ebenso lauen Charakteren. Da es sich jedoch um den ersten Teil der Trilogie „Die Träumende Finsternis“ handelt und die Welt viel versprechend ist, würde ich Keith Baker dennoch eine zweite Chance geben.

Band 2 „Das Zerstörte Land“ und Band 3 „Die Tore der Nacht“ erscheinen laut |Feder & Schwert| im September 2006 bzw. April 2007. Der nächste Roman spielt – etwas überraschend – nicht mehr in Sharn auf Khorvaire, sondern auf dem Kontinent Xen’drik, auf dem die Ruinen einer untergegangenen Kultur von Riesen zu bestaunen sind. Man sollte nicht vergessen, die Ursache der Katastrophe, die Cyre vernichtete, muss auch noch erforscht werden …

Eberron-Seite der Wikipedia mit vielen hilfreichen Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Eberron

http://www.feder-und-schwert.com/

Michael McCollum – Lebenssonden

Die Menschheit ist nicht die einzige intelligente Spezies im Weltraum. Die „Schöpfer“ entdeckten, lange bevor der Mensch überhaupt existierte, zahlreiche andere intelligente und hoch entwickelte Rassen, doch mit keiner konnte man wirklich kommunizieren, eine gemeinsame natürliche Barriere trennte alle Rassen: Die Lichtgeschwindigkeit.

Selbst die schnellsten Raumschiffe und Funksignale benötigen Jahrhunderte oder gar Jahrtausende, um viele Lichtjahre entfernte Planetensysteme zu erreichen. Seit mehreren hunderttausend Jahren entwickelt man sich technologisch weiter, aber der Traum, schneller als das Licht zu fliegen, bleibt eine Utopie. Schließlich wird die Frage, ob es möglich ist, schneller als das Licht zu fliegen, existenziell: Die Rohstoffe im System der Schöpfer werden knapp. Man startet das Projekt der LEBENSSONDEN, die nur eine Aufgabe haben, nämlich Kontakt zu anderen Spezies herzustellen, ihre Erkenntnisse zu speichern und zurückzubringen. Man erhofft sich davon entscheidende Impulse in der Forschung; Kontakte mit anderen Rassen führten in der Vergangenheit oft zu Quantensprüngen in der technologischen Entwicklung. Im Idealfall würde eine Sonde eine Rasse mit überlichtschnellem Antrieb entdecken und mit dieser, sofern sie ihr nicht als Bedrohung der Schöpfer erscheinen, ins Geschäft kommen.

Michael McCollum – Lebenssonden weiterlesen

Schröder, Rainer M. – Amulett der Wüstenkrieger, Das (Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 2)

Ägypten im Jahr 1291: Mit Akkon ist die letzte Bastion der Christenheit im Heiligen Land gefallen. In letzter Sekunde ist es den frisch zu Gralshütern geweihten Templern Gerold, Tarik, Maurice und McIvor gelungen, den Heiligen Gral aus der untergehenden Stadt zu retten. Während der alte Gralshüter Abbé Villard den Tod durch die Hände Sjadús erwartet, dem Anführer der Iskaris genannten Satansjünger, werden die Gralshüter in Kairo gefangen genommen. Einzig Tarik kann entkommen und muss seine Gefährten sowie die schöne Beatrice und ihre Schwester aus dem Harem beziehungsweise dem Kerker des Emirs befreien.

Der Gral und die beiden Mädchen müssen in Sicherheit gebracht werden, nach Paris, in die Ordensburg der Templer. Doch die Häfen werden von den Iskaris überwacht; den Hütern bleibt nur die Flucht quer durch die lybische Wüste. Neben glühender Hitze, Iskari-Verfolgern und gefährlichen Sklavenhändlern bedrohen interne Konflikte die Gruppe. Der ewige Spötter Maurice hat sich ernsthaft in Beatrice verliebt, die diese Gefühle erwidert. Gerold ist besorgt darüber, ob Maurice seinen Eid als Gralshüter halten wird. In Frankreich angekommen, werden die Gralshüter mit der ganzen Macht der Satansjünger konfrontiert, die ihre Reise nach Paris verzögert. Statt mit blanker Gewalt versuchen sie nun mit List und Tücke des Grals habhaft zu werden …

_Der Autor_

Rainer M. Schröder (* 1951) beschreibt sich selbst als Mann mit vielen Neigungen und Talenten. Bevor er im Jahr 1977 zum Schriftsteller wurde, studierte er Gesang, später Jura und Theaterwissenschaften, arbeitete als Lokalreporter für rheinische Lokalzeitungen und den Rundfunk. Beeinflusst von Autoren wie Jack London und Joseph Conrad, unternahm er zusammen mit seiner Frau abenteuerliche Reisen, von den Everglades über den stürmischen Nordatlantik bis in die australische Wildnis. Zusammen mit dem berühmten Schatztaucher Mel Fisher tauchte er nach der spanischen Schatzgaleone Atocha; diese Erlebnisse verarbeitete er in seinem Abenteuerroman „Das Goldriff“. Heute lebt er in Palm Coast, Florida.

Während Rainer M. Schröder in Deutschland vor allem als Jugendbuchautor mit Schwerpunkt auf historischen Themen bekannt ist, veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ashley Carrington umfangreiche historische Gesellschaftsromane für ein erwachsenes Publikum. „Das Amulett der Wüstenkrieger“ stellt den zweiten Band der Trilogie „Die Bruderschaft vom Heiligen Gral“ dar, mit der Rainer M. Schröder sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum erreichen will.

_Quer durch die Wüste nach Frankreich_

„Das Amulett der Wüstenkrieger“ setzt nahtlos die Handlung des ersten Bandes fort. Tarik darf raffinierte Befreiungspläne schmieden, während Gerold und Maurice im Kerker schmoren und dasselbe versuchen. Besonders die Rettung McIvors drängt; der Schotte ist als Arenasklave in Lebensgefahr. Schröder beschreibt sehr schön die Verhältnisse am Hofe des Emirs, in den Kerkern und Sklavenarenen Ägyptens, wobei er wie bereits im ersten Teil nicht mit ausführlich erläuternden Fußnoten zu historischen Daten oder fremdländischen Begriffen wie alten Maßeinheiten geizt. So unterhaltsam dieser Abschnitt auch beschrieben ist, kann er nicht ganz die Stimmung und geballte Fülle an geschickt eingebundenen historischen Details bieten wie der erste Teil, was sich leider auch in der folgenden Flucht durch die Wüste fortsetzt. Auch Schröder kann der kargen Landschaft und ihren harten, stolzen und ehrenhaften Bewohnern nur einen begrenzten Unterhaltungsfaktor abgewinnen.

Interessanter sind die Episoden aus der Sicht des bösen Sjadú, dessen Ehrgeiz und Gewissenlosigkeit nur noch von seiner teuflischen Schläue übertroffen werden. Ein hervorragend charakterisierter Antagonist, der den Leser um die Gruppe bangen lässt. Seine List und Finesse zeigen sich im in Frankreich spielenden dritten Handlungsabschnitt des Buches, der mir am besten gefallen hat. Scheinbar fühlt auch Schröder sich im europäischen Mittelalter eher zu Hause als in der Wüste, denn hier zündet er wieder ein Ideenfeuerwerk, das in ein spannendes Finale mündet. Obwohl Sjadú und der Leser zwei Worte Satans höchstpersönlich vernehmen dürfen, hält sich Schröder mit übernatürlichen Dingen und insbesondere den Fähigkeiten, die er Iskaris und Gralshütern verliehen hat, angenehm zurück. Die Macht der Iskaris, Menschen zu verführen, und jene der vier Gralshüter, je eines der vier Elemente zu manipulieren, wird nur dezent eingesetzt und lässt sie nicht zu Superhelden mutieren.

Mit einem viel versprechenden Ausblick auf Kommendes endet der Roman: Sjadú realisiert, dass, solange der mächtige Templerorden der Gralshüterbruderschaft der Arimathäer Unterschlupf gewährt, der Gral nicht zu erringen ist. Die legendäre Nacht- und Nebelaktion, die zum Untergang des Templerordens führte, dürfte im Mittelpunkt des nächsten Bands |“Das Labyrinth der Schwarzen Abtei“| stehen, in dem es die vier Gralshüter in besonderer Mission nach Spanien verschlagen wird:

|“Nun legte Sjadú dem Fürsten der Finsternis ausführlich dar, wie er sich diesen vernichtenden Schlag gegen den mächtigen Orden der Templer vorstellte und wie er ihn in die Wege zu leiten gedachte. Und es war ein wahrhaft überzeugender, teuflischer Plan (…).“|

_Fazit_

Die wunderschöne und aufwändige Umschlaggestaltung sowie das Lesebändchen und das ausgezeichnete Kartenmaterial im Anhang heben dieses Buch wie bereits den Vorgänger weit aus der Masse vergleichbarer Veröffentlichungen heraus. Schröder setzt die Schlacht um den Gral spannend fort, wobei das Wüstenszenario dieses Romans mir leider nicht ganz so gut gefiel die grandiose, historisch reichere Belagerung Akkons. Dafür kann die Schilderung Sjadús begeistern – ein würdiger Gegner der Gralshüter für die nächsten Bände.

Der abschließende Band der Trilogie verspricht ein grandioses Finale, das Schröders entgegen kommen dürfte: Die Verquickung von historischen Details wie der Verschwörung, die zum Untergang der Templer führte, mit seiner Fiktion der Gralshüter und Satansjünger dürfte seine Stärken besser zur Geltung bringen als die leider etwas dürre Flucht durch die Wüste. Trotzdem ist auch dieser Roman eine Empfehlung wert; wer ein Faible für Wüstenromane hat, wird ihn vermutlich sogar etwas höher einschätzen.

Band 1: [Der Fall von Akkon 2324

Offizielle Homepage von Rainer M. Schröder:
http://www.rainermschroeder.com/

Homepage des Arena Verlags:
http://www.arena-verlag.de/

Gentle, Mary – 1610: Söhne der Zeit

Band 1: [„Der letzte Alchimist“ 2360
Band 2: [„Kinder des Hermes“ 2662

Mary Gentle (* 1956, Sussex), so könnte man meinen, sollte aufgrund ihrer Master-Abschlüsse in Kriegsgeschichte und Geschichte des 17. Jahrhunderts vermutlich Romane des Genres schreiben, das man gemeinhin als „historischer Roman“ bezeichnet.

Doch sie hat einen sehr eigenwilligen Stil und verbindet historischen Roman mit Science-Fiction-Elementen zu ihrer sehr eigenen Art von Phantastik; sehr oft verwendet sie einen Ich-Erzähler oder rekonstruiert die Handlung aus den Memoiren ihrer Hauptperson. Eine ungewöhnliche Mischung, die jedoch ankommt: Ihre [Legende von Ash, 303 einer Söldnerführerin, die im späten 15. Jahrhundert Burgund und Westeuropa vor einer karthagischen Invasion verteidigt, die in keinem Geschichtsbuch zu finden ist, wurde mit dem |British Science Fiction Award| sowie dem |Sidewise Award for Alternate History| ausgezeichnet.

„1610: Die Söhne der Zeit“ ist der dritte und abschließende Teil der (erstklassigen) Übersetzung von „1610: A Sundial in a Grave“, für die wie bereits bei „Ash“ Rainer Schumacher verantwortlich zeichnet. Gentle erzählt die Geschichte einer Figur, die literarisch stets als Antagonist der drei Musketiere aufgetreten ist: Valentin Rochefort. In seinen Memoiren lässt sie den amüsanten und teilweise gar selbstkritischen Rochefort aus dem Nähkästchen eines als Spion und Attentäter bekannten Haudegens über die Ereignisse des Jahres 1610 berichten.

Rochefort fällt in „1610: Der letzte Alchemist“ in Ungnade; er soll im Auftrag der Königin, Maria von Medici, ihren König und Gemahl Heinrich töten. Sie erpresst ihn mit dem Leben seiner Vertrauten Maignan und Santon und zwingt ihn somit, gegen die Interessen seines Herrn, dem Duc de Sully, einen Freund Heinrichs, zu handeln. Rocheforts Plan, das Attentat so stümperhaft durchzuführen, dass es scheitern muss, schlägt fehl: Wider Erwarten gelingt es dem unfähigen François de Ravaillac, Heinrich zu ermorden.

Rochefort muss aus Frankreich fliehen, gesucht wegen Beteiligung am Königsmord – zusätzlich gejagt von den Agenten Maria von Medicis wegen Mitwisserschaft. Er muss das Land verlassen und wird von dem jungen Duellanten Dariole begleitet, zu dem er eine seltsame Hassliebe hegt. Auf der Flucht nach England retten sie an der Küste Frankreichs den schiffbrüchigen japanischen Samurai Saburo, der dem englischen König James ein Geschenk überbringen soll.

In England angekommen, entpuppt sich Dariole zu Rocheforts Überraschung als eine junge Dame, was ihn in gewisser Hinsicht erleichtert, aber sein Gefühlsleben gehörig durcheinander bringt. Die Drei geraten unter den Einfluss des Mathematikers und Astrologen Robert Fludd. Fludd kann die Zukunft berechnen und vorhersagen, und was er sieht, gefällt ihm nicht. Rochefort versucht, sich ihm zu entziehen, doch Fludd kennt alle seine Winkelzüge bereits im Voraus. Er wird von Fludd erpresst, die Zukunft nach seinen Vorstellungen zu verändern: Er soll König James ermorden; nach Fludds Berechnungen kann nur Rochefort das Attentat erfolgreich ausführen und die Zukunft in die gewünschte Richtung lenken. Doch nicht nur er beherrscht diese häretische Kunst. Die Karmeliterin Schwester Caterina warnt Rochefort: Sollte er James ermorden, wird Dariole ebenfalls sterben …

In „1610: Die Kinder des Hermes“ gelingt es Rochefort dank Caterinas Ratschlägen, König James in seine geplante Ermordung einzuweihen und das Komplott Fludds zu vereiteln. Leider kann er nicht die Vergewaltigung und Entführung Darioles durch Handlanger Fludds verhindern, aber entgegen Fludds Berechnungen nimmt sich diese nicht das Leben und treibt damit auch nicht Rochefort zu unüberlegten Handlungen.

Zwar gelingt es Rochefort, Fludd in eine Falle zu locken, aber Caterina wird getötet und Dariole kann ihm die Vergewaltigung nicht verzeihen und fordert seinen Tod. Rochefort ist jetzt weniger Handelnder als Getriebener, denn König James und andere Machthaber wollen Fludd – als lebendigen Propheten und somit als ein Machtmittel ohne Gleichen.

Das Verhältnis zwischen Rochefort und Dariole leidet darunter. Eine unerwartete Wendung zwingt Rochefort zur Seereise nach Japan: Saburo ist mit Fludd geflüchtet – und die tollkühne Dariole hat sich sofort an die Verfolgung gemacht!

Hier setzt die Handlung von „1610: Söhne der Zeit“ ein. Rochefort gelingt es, Dariole einzuholen und Saburo und Fludd in Japan zu stellen. Doch Fludd ist kein Gefangener; Saburo weiß Dinge über eine 500 Jahre ferne Zukunft, die es unerlässlich machen, sich seiner zu bedienen – nicht nur im Interesse Japans. Aus diesen Überlegungen wird eine bekannte Geheimorganisation hervorgehen …

Mary Gentle überrascht den Leser bereits zu Beginn dieses dritten Teils gleich zweimal: Wer eine detaillierte Schilderung Japans im 17. Jahrhundert erhofft, was man erwarten könnte, wird überrumpelt werden. Denn Mary Gentle lässt Saburo mit Rochefort über die Zukunft reden. Vor ihrem Tod hat Caterina ihm von der glorreichen Zukunft Japans, aber auch von seinem Niedergang berichtet. Ein grausamer „Feuerregen“, der die japanischen Inseln verwüsten wird, droht in knapp 400 Jahren. Die offensichtlich damit beschriebenen Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki sowie der Zweite Weltkrieg werden auch durch Fludds Berechnungen bestätigt, die hinsichtlich zukünftiger Verwendung nuklearer Waffen für die Zukunft gar noch Schlimmeres voraussehen.

Dass Rochefort zu den Mitbegründern einer der bekanntesten Geheimorganisationen des 17. Jahrhunderts wird, mag überraschen, dramaturgisch wird es jedoch genauso wenig ausgeführt, wie die Schiffsreise nach Japan nötig ist. Hier wird nicht viel Konkretes beschrieben; die entscheidenden Aussagen werden wieder einmal bereits zu Beginn des Buches gemacht, was wegen der Dreiteilung der deutschen Übersetzung leider besonders antiklimatisch und negativ auffällt. Stattdessen wird die Beziehung zwischen Dariole und Rochefort erneut thematisiert. Leider ist Mary Gentle keine Romantikerin, und der Reiz dieser ungewöhnlichen Beziehung blieb bereits im zweiten Band auf der Strecke. Allerdings können Rochefort und der wieder aus der Versenkung aufgetauchte Robert Fludd diesmal wieder punkten. Rochefort ist nach wie vor ein unterhaltsamer Erzähler, auch Darioles Schlussmonolog ist humorvoll und amüsant; so bringt sie ihren Beichtvater mit einigen Jugenderinnerungen an Rochefort arg in Verlegenheit.

Die plötzliche Wende hin zur Gründung einer Geheimorganisation mit Wissen um die Zukunft erfolgt recht früh, ohne dass darauf Näheres zum Thema folgen würde. Auch wenn Gentle Rochefort und Dariole zu einer Art Happy-End verhilft – diese seltsame Liebesgeschichte allein sowie Darioles persönliche Fehde mit Fludd können dies nicht wettmachen.

Vorzüglich ist Mary Gentle aber die Hommage an den meist als Antagonisten der Musketiere dargestellten Rochefort gelungen. Der alte Haudegen ist wesentlich amüsanter und unterhaltsamer als bisherige Helden Gentles und verleiht dem Roman Schwung und Elan. Gewisse Ähnlichkeiten zu der „Legende von Ash“ lassen sich nicht verleugnen, phantastische und Science-Fiction-Einflüsse treten hier allerdings weniger stark hervor, dafür wurde mehr Wert auf Charaktere und ihre Interaktion gelegt, was der Geschichte gut getan hat. „1610“ liest sich wesentlich einfacher und unterhaltsamer als Mary Gentles bisheriges Meisterwerk, der Aufbau der Geschichte ist leider nicht so gut gelungen. Ist der erste Teil noch spannend und eine hervorragende Einleitung, leiden sowohl der zweite als auch dieser dritte und abschließende Teil unter den an den Anfang gestellten unerwarteten entscheidenden Wendungen, die zwar überraschen aber auch spannungszerstörend wirken. Wenn man klassische Spannungsbögen so bewusst dekonstruiert, sollte man alternativ etwas Besseres als Ersatz anbieten. Selbst Rocheforts geistreiche und unterhaltsame Erzählweise sowie die Beziehung zwischen ihm und Dariole können das jedoch nicht völlig kompensieren.

Trotz dieser Schönheitsfehler kann man „1610“ aufgrund des überzeugenden Rochefort historisch interessierten Lesern mit Liebe zu ungewöhnlicher Phantastik nur empfehlen.

Wilson, Robert Charles – Spin

Robert Charles Wilson (* 1953, Kalifornien) wurde bereits mit dem renommierten |Philip K. Dick Award| („Mysterium“, 1994, nicht übersetzt) sowie dem |John W. Campbell Award| für [„Die Chronolithen“ 1816 (2002) ausgezeichnet. Sein ebenfalls ausgezeichneter Roman „Darwinia“ erhielt den kanadischen |Aurora Award| und war für den |Hugo Award 1999| nominiert.

Der hier vorgestellte Roman „Spin“ wurde zwischenzeitlich übrigens ebenfalls für den |Hugo Award 2006| vorgeschlagen, was für die Konstanz und Qualität des Autors spricht.

Wilson greift in „Spin“ erneut ein bereits in den „Chronolithen“ behandeltes Thema auf: Wie beeinflussen menschliche Erwartungen ihr Verhalten und die Zukunft? Doch „Spin“ ist kein bloßer Neuaufguss, die Handlung dehnt sich diesmal von der Erde bis hin zum Mars und darüber hinaus aus, Raumfahrt und Astrophysik sind von zentraler Bedeutung für das zweite große Motiv des Romans: Menschliche Kolonisation und Evolution im Kosmos.

_Die Sterne erlöschen_

Eines Nachts sitzen der junge Tyler Dupree und seine Freunde Jason und Diane Lawton im Garten und beobachten ihre Nachbarn durch ein Fernglas. Völlig unerwartet verschwinden plötzlich die Sterne vom Himmel. Noch weiß keiner der Drei, dass die Zeit des später als „Spin“ bezeichneten Phänomens begonnen hat.

Eine Art Energieschirm hat die gesamte Erde umhüllt und vom Licht der Sterne abgeschnitten. Wie man später herausfindet, auch von dem der Sonne. Eine künstliche Sonne geht jeden Morgen auf und beleuchtet die Erde. Noch schlimmer als der Verlust der Satellitenkommunikation ist die Erkenntnis, dass die Erde verlangsamt oder der Rest des Universums beschleunigt wurde: Zurückkehrende russische Kosmonauten berichten, sie hätten wochenlang die umhüllte, schwarze Erde umkreist. Dabei sind sie im Moment der Umhüllung notgelandet. Man findet heraus, dass außerhalb der Barriere für jede Sekunde auf der Erde 3,17 Jahre vergehen …

Die Barriere entpuppt sich als eine Art schützende Membran, da Raketen sie passieren und auch wieder zurückkehren können. Aber vor den schädlichen Folgen permanenter direkter Sonneneinstrahlung auf eine unglaublich verlangsamte Erde schützt sie die Menschheit. Diese stellt sich die Frage: Wer steht hinter dem Spin? Warum wurde die Erde umhüllt und verlangsamt, was bezwecken die Unbekannten, die schließlich nur noch als die „Hypothetischen“ bezeichnet werden?

_Das Ende der Welt und die Schöpfung einer neuen_

Der „Spin“ wird zum festen Bestandteil des menschlichen Lebens. Bald werden die ersten Generationen geboren, die nie die Sterne mit eigenen Augen gesehen haben. Jasons geschäftlich erfolgreicher Vater E.D. Lawton hat sein ohnehin großes Vermögen durch die Produktion von Aerostaten (Fesselballons), welche die ausgefallenen Satelliten ersetzen, noch weiter erhöht und gehört zu den Gründern der |Perihelion|-Stiftung, die sich der Erforschung des Spins und der Hypothetischen widmet. Sein hochbegabter Sohn Jason wächst als Wissenschaftler in Führungspositionen der Stiftung hinein, die bald einen globalen Machtfaktor darstellt.

Tyler wird Mediziner, während Jasons Schwester Diane, die er seit Jahren unerwidert liebt, sich religiösen Gruppen anschließt, die ein baldiges Ende der Welt propagieren und den unerklärlichen Spin auf verschiedenste Weisen religiös interpretieren. Neue Krankheiten und Seuchen werden als Prüfung der Hypothetischen angesehen. Die Tierseuche KVES sorgt bei Kühen für eine intensive Rotfärbung der Haut und des Fells, was diverse Sekten biblisch deuten und sie dazu motiviert, ein reinrotes Kalb zu züchten, mit dessen Blut sie die Menschheit „reinigen“ wollen.

Jason erläutert Tyler seine Befürchtungen und Pläne. Anstatt wie weite Teile der Menschheit in einer Endzeitstimmung zu erstarren, hat er ehrgeizige Pläne. Die extreme Verlangsamung der Erde und das entsprechend rasende Vergehen der Zeit außerhalb sind Bedrohung und Chance zugleich. In weniger als einem Erdjahrhundert droht die Sonne sich in das Stadium eines roten Riesen weiterzuentwickeln und die inneren Planeten inklusive der Erde zu verschlingen. Keiner weiß, ob der Schirm der Hypothetischen die Menschheit auch davor schützt. Doch diese extreme Zeitdifferenz macht etwas möglich, von dem man bisher nur träumen konnte: Innerhalb weniger Jahrzehnte könnte man den Mars terraformen und kolonisieren – und dem Spin entkommen!

Mehr als genug Zeit hat man: Ein Monat auf der Erde entspricht 8,3 Millionen Jahren, ein Jahr zirka einhundert Millionen Jahren. Das Experiment wird unter der Leitung |Perihelions| gestartet und erweist sich als Erfolg. Der Mars wird erfolgreich besiedelt und eine Zivilisation entsteht. Doch zum Entsetzen der Erdmenschen wird auch diese nicht vom „Spin“ verschont. Doch ein Marsianer kann die Erde noch erreichen …

_Endzeit, Ecopoiesis und Evolution _

„Spin“ vereinigt drei Lieblingsthemen Wilsons, die zusammen erfreulicherweise noch mehr ergeben als nur die Summe der Teile. Standen bei den „Chronolithen“ das menschliche Verhalten und seine Auswirkungen angesichts erschütternder, weltverändernder Umstände im Mittelpunkt, hat Wilson den Fokus in „Spin“ auf Kosmologie und Astronomie verschoben, verbunden mit Evolutionstheorien.

Die Furcht vor den „Hypothetischen“ und die religiöse Verehrung, die ihnen zuteil wird, zeigt, wie viel stärker der (Aber-)Glaube in Zeiten sein kann, in denen die Wissenschaft scheitert und Phänomene nicht erklären kann. Selbst Jason muss dies eingestehen, trotzdem kann er einen Bruch in der Beziehung zu seiner ihr Heil in der Religion suchenden Schwester nicht vermeiden.

Tyler Dupree, der als Ich-Erzähler den Leser durch den Roman begleitet, ist wie bereits Scott Warden in „Die Chronolithen“ ein eher langweiliger Durchschnittstyp, der im Schatten großer Personen an den Ereignissen beteiligt ist. Als Freund der Familie Lawton hat er Kontakt zu dem zynischen Geschäftsmann E.D., der in einer konfliktreichen Beziehung zu seinem von ihm stark geförderten und zur Leistung angetriebenen Sohn Jason steht. Die Familie Lawton ist ein Musterbeispiel für die Gesellschaft des Spins. E. D. ist ein ultrakapitalistisches Relikt der Prä-Spin-Zeit, das sich nicht anpassen kann und will, während seine Frau Carol, die schon vorher eine Alkoholikerin war, von der Flasche nicht mehr loskommt. Jason ist ein scharfsinniger Denker, der seine intellektuelle Überlegenheit andere oft in verletzender Weise spüren lässt. Er ist vom Spin besessen, er ist die treibende Kraft im „Kampf“ gegen den Spin. Seine Schwester Diane stellt das Sorgenkind dar; wie viele andere Menschen flüchtet sie sich in die Lehren religiöser Sekten.

Dieses Personenschema ist Wilson-Lesern bereits aus den „Chronolithen“ hinlänglich bekannt, die Fixierung Tylers auf Diane ist nicht überzeugend und unnötig. Tylers wenige, stark fixierte Interessen gepaart mit seinen sozialen Problemen bei normaler beziehungsweise überdurchschnittlicher Intelligenz deuten auf das dem Autismus verwandte Asperger-Syndrom hin. Spuren und Andeutungen darauf finden sich an mehreren Stellen des Romans, sollten aber keine Entschuldigung dafür sein, dass nicht nur Tyler eher ein Konzept verkörpert denn eine reale Person. Die Charaktere wirken somit leider etwas schematisch, wie Abziehbilder der entsprechenden Chronolithen-Charaktere, bei denen sich Wilson mehr Mühe und Zeit für eine glaubhaftere Charakterisierung gelassen hat. Der religiöse und massenpsychologische Teil der Handlung ist sehr deutlich von den „Chronolithen“ inspiriert, was für seine Qualität bürgt, leider aber auch bereits allzu bekannt ist. Jedoch konzentriert sich Wilson in „Spin“ nicht nur auf diesen Aspekt; ihm war sehr wohl bewusst, dass er diesen Komplex bereits erschöpfend behandelt hat.

Was „Spin“ auszeichnet, ist die von Wilson inzwischen zur Meisterschaft entwickelte Kunst, interessante Fragen aufzuwerfen und den Leser häppchenweise mit Informationen zu füttern, die andererseits neue Fragen aufwerfen, und einige der bisherigen Fragen zumindest teilweise zu beantworten. Das Themenspektrum ist sehr breit und daher ungemein abwechslungsreich; angefangen bei Massenpsychologie und –hysterie, werden Themen wie menschliche Evolution und Raumfahrt mit der Besiedlung des Mars und Kosmologie verquickt.

Was Wilson auszeichnet und ehrt, ist, dass er all dies in einem einzigen Roman mit 555 Seiten untergebracht hat. Viele seiner Kollegen hätten daraus einen mehrbändigen Zyklus geschaffen und die faszinierende Ideenflut verdünnt und totgeredet. Er packt unheimlich viele phantastische Ideen in diesen Roman, der deshalb stets unterhaltsam ist und zum Weiterlesen motiviert. Das gelungene Ende belohnt den Leser mit dem viel zitierten „sense of wonder“, der vielen modernen Science-Fiction-Romanen ein wenig abhanden gekommen ist. Zwar ist auch bei „Spin“ ähnlich wie bei den „Chronolithen“ eher der Weg das Ziel, dieses Mal endet Wilsons Roman jedoch wesentlich befriedigender als die in dieser Hinsicht schwachen „Chronolithen“.

„Spin“ stellt Wilsons Meisterwerk da. Es verbindet die besten Elemente seiner bisherigen und bereits vorzüglichen Romane, einzig die etwas einfallslose schematische Charakterisierung ist ein kleiner Wermutstropfen dieses durch und durch gelungenen Romans. „Spin“ zieht den Leser in seinen Bann; hat man einmal angefangen zu lesen, will man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.

Homepage des Autors:
http://www.robertcharleswilson.com/

[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92