Alle Beiträge von Michael Birke

Abercrombie, Joe – Königsklingen (The First Law 3)

Die „The First Law“-Trilogie:

Band 1: Kriegsklingen (The Blade Itself)
Band 2: Feuerklingen (Before They Are Hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Für Logen, den Barbarenkrieger, sind die Zeiten siegreicher Schlachten vorbei – und dennoch steht ihm der größte Kampf seines Lebens bevor … Zu viele Herren und zu wenig Zeit haben den zynischen Inquisitor Glokta in ganz andere Schwierigkeiten gebracht – unversehens steht er im Zentrum eines tödlichen Geheimnisses … Als die Schatten des Bösen auf das Land fallen, hat der Erste der Magier wie immer einen Plan zur Rettung der Welt – doch dieses Mal geht er ein schreckliches Risiko ein … (Verlagsinfo)

Der Brite Joe Abercrombie ist mittlerweile kein Unbekannter mehr. Mit komplexen und faszinierenden Charakteren sowie einer Abkehr vom gängigen Gut-Böse-Schema hat er hat sich in die Herzen der Fans geschrieben und folgt damit einem Trend im Fantasy-Genre, mit dessen populärsten und prominentesten Vertreter George R. R. Martin er keinen Vergleich zu scheuen braucht. Mag man einwenden, dass Martin eine noch größere und komplexere Welt geschaffen hat, während Abercrombie doch etwas weniger Charaktere in die Schlacht wirft und eine Karte der Welt von vielen Fans bislang schmerzlich vermisst wird. Abercrombie bietet dafür eine Extraprise Zynismus und kernigere Charaktere; seine Meinung zu Karten in Fantasyromanen kann man in seinem Blog nachlesen: „Call me foolish as well, but I do think having a map there can damage the sense of scale, awe, and wonder that a reader might have for your world.“

In einer Hinsicht könnte Abercrombie Martin etwas vormachen, beziehungsweise er hat es getan: Er hat seine Trilogie (vermeintlich) vollendet. Deshalb möchte ich das Buch getrennt als Abschluss der Serie sowie als eigenständiges Werk besprechen.

Kein Ende, sondern der Auftakt zur nächsten Trilogie

Witzigerweise lässt Abercrombie die Serie so enden, wie sie begann: Mit einem mehr oder minder unfreiwilligen Sturz Logens aus dem Fenster beziehungsweise in die Schlucht. Wie und warum es dazu kam, möchte ich nicht vorwegnehmen. Die Konsequenzen sind allerdings klar: Logen kommt wieder. Ebenso seine Gefährten, auf neuen Positionen, um den Kampf gegen Khalul und eventuell einen in „Königsklingen“ überraschend mächtigen und sehr listig und erfolgreich manipulierenden Bayaz aufzunehmen.

Doch zuvor kommt noch das für den 1. September 2009 angekündigte „Racheklingen“ (Best Served Cold), das allerdings keine Fortsetzung der Geschichte darstellt, sondern den Rachefeldzug der verratenen Söldnerin Monzcarro Murcatto begleitet. Ob Abercrombie mit „Styria“ die Steiermark meint, ist unklar, allerdings lehnt er sich nur an das europäische Mittelalter an, ähnlich wie Martin mit Westeros in seinem Lied von Eis und Feuer. Abercrombie plant, das komplette erste Kapitel demnächst online zu veröffentlichen. Etwas Neues darf man dabei wohl nicht erwarten, eher eine Variation der First Law-Trilogie. Wem kommt folgende Beschreibung nicht bekannt vor: Her allies include Styria’s least reliable drunkard, Styria’s most treacherous poisoner, a mass-murderer obsessed with numbers and a Northman who just wants to do the right thing. (aus der Kurzbeschreibung)

Ich frage mich, ob man Abercrombie mit solchen stereotypen Beschreibungen gerecht wird, denn sein Markenzeichen ist es, mit solchen vermeintlich klar determinierten Charakteren zu spielen und unerwartete Wendungen einzubauen. Ein Großteil des Vergnügens beim Lesen seiner Romane basiert gerade darauf.

Als abgeschlossen kann man die First Law-Trilogie nicht bezeichnen. Das Ende ist offen, der Zyklus beginnt von neuem. Im Gegenteil, der Auftakt zu einem noch größeren Konflikt ist gegeben, die Abrechnung mit Khalul steht noch aus. Der Norden ist nach wie vor eine Bedrohung, auch wenn Bethod mit seiner Hexe untergeht. Gleich zwei neue Könige wird es geben, nicht unbedingt unerwartet. Beide müssen jedoch feststellen, dass man leichter König wird, als es zu bleiben.

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

In höchste Höhen befördert, Lieblinge und Helden des Volkes, und am Ende doch kein Happy End. Zynisch und überzeugend präsentiert uns Abercrombie, wie unsere Helden gnadenlos scheitern. Ironischerweise ist gerade der in „Feuerklingen“ so übel scheiternde Bayaz der große Gewinner. Auch Glokta erfährt unerwartetes Glück, wohingegen Luthar und Logen nur aufsteigen, um noch tiefer zu fallen… Logen sogar im wörtlichen Sinne aus dem Fenster. Ich habe mit Luthar gefiebert und erlebt, wie aus der Made ein Mann geworden ist. Was Abercrombie seiner Figur antut, ist eine Tragödie par excellence. Seine Liebe zu Ardee West endet tragisch, sein ehemaliger Freund Collem West wird ein Kriegsheld, aber gesundheitlich dürfte es sogar Glokta besser gehen. Luthars Freiheit wird ihm ebenfalls genommen, er wird zur Marionette der Spinne Bayaz.

Bei aller Finesse und gekonnten, oft angenehm überraschenden Wendungen, wird Abercrombie leider trotzdem durchschaubar: Er treibt den Zynismus der Serie so weit, dass er geradezu krampfhaft jedes kleine bisschen Glück brutal mit dem Vorschlaghammer oder auf eine noch perfidere Weise zerschlagen muss. Man wartet nur noch darauf, wie er es tut. Richard K. Morgan („Das Unsterblichkeitsprogramm“) könnte es nicht besser; auch dessen Romane leiden manchmal unter diesem zwanghaften Zynismus. Hier wäre weniger sicherlich mehr.

Während Gloktas und Logens innere Dialoge wieder einmal echte Highlights des Romans sind, bleibt Ferro Maljinn erneut ein relativ funktionsloser Charakter, dessen einzige Aufgabe scheinbar darin besteht, von Lesern und Rezensenten als Unsympath gehasst zu werden. Hoffentlich ist Abercrombies Söldnerin Murcatto keine zweite Ferro!

Fazit:

Als perfekt inszenierte Tragödie präsentiert sich „Königsklingen“, nur an Details kann ich mäkeln. Das Verhalten von zwei Nebencharakteren war für mich nicht wirklich nachvollziehbar motiviert; auf diese Weise die Geschichte einen Haken schlagen zu lassen, ist leider zu willkürlich und aufgesetzt. Wo in den ersten beiden Bänden Faszination über Abercrombies bemerkenswerte Charaktere den Leser in den Bann zog, ist es diesmal der Automatismus der jeweils persönlichen Katastrophe, der sie scheinbar nicht entgehen können, der den Leser mitleiden lässt und mich tief beeindruckt hat.

Mitleiden und genießen! Eine leichte Verstimmung wegen eines Übermaßes an schwarzem Humor und Zynismus muss der eine oder andere Leser aber unter Umständen befürchten. Ein wenig vermisse ich die Innovation – will Abercrombie das bewährte Schema wirklich in einer weiteren Trilogie und den „Racheklingen“ erneut breittreten? Viele Kritiker vermissten eine Handlung, einen roten Faden, dem sich Abercrombie aber konsequent verweigern muss. Seine Welt ist dynamisch und überraschend, nicht determiniert mit einem klassischen Endkampf, wie es traditionell oft der Fall ist. Ist unter solchen Voraussetzungen überhaupt ein klassisches Ende möglich? Tendenziell müsste „Racheklingen“ vielleicht gerade das bieten, aber wird uns Abercrombie wirklich eine erfolgreich vollzogene Rache präsentieren? Ich wage das zu bezweifeln.

So sehr ich mich auch auf eine Fortsetzung der Abenteuer Logens, Gloktas und Co. freue, Abercrombie hat sie bereits durch den seelischen und körperlichen Fleischwolf gedreht, und bei aller Tragik hat er die Charaktere nicht nur weiterentwickelt, sondern faktisch ebenso zurückentwickelt, insbesondere Logen, der wieder einmal ins Bodenlose fällt – ein zyklisches Schema mit Wiederholungsgefahr. Angesichts der Begeisterung, mit der ich alle Romane Abercrombies bisher verschlungen habe, möchte ich mich darüber jedoch nur auf sehr hohem Niveau beklagen.

Paperback: 944 Seiten
Originaltitel: Last Argument of Kings
Übersetzt von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman

Homepage und Blog des Autors:
http://www.joeabercrombie.com/

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Thiemeyer, Thomas – Nebra

Kaum jemand würde die kleine sächsische Stadt Nebra kennen, wäre dort nicht 1999 die nach dem Ort benannte „Himmelsscheibe von Nebra“ von Raubgräbern gefunden worden. Das rund 3600 Jahre alte Artefakt ist von unschätzbarem Wert, bereits seine Fundgeschichte ist ein Krimi. Über Mittelsmänner wurde die Scheibe illegal weiterverkauft, bis die Schweizer Polizei sie im Jahr 2002 bei einem fingierten Kauf sicherstellen und an das Land Sachsen-Anhalt zurückgeben konnte. Heute wird die Scheibe als Prunkstück im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ausgestellt, von einem ungefähren Versicherungswert von 100 Millionen Euro wird gemunkelt.

Mittlerweile ist es eher ruhig geworden um die Himmelsscheibe, die gründlich untersucht wurde und zu zahlreichen Spekulationen verleitet hat. Denn die weltweit älteste Darstellung des Nachthimmels mit ihren Mond-, Sternen- und Sonnensymbolen, rund 200 Jahre älter als die ältesten bekannten ägyptischen, ist in ihrer Deutung nach wie vor umstritten und gibt den Archäologen Rätsel auf. Eine der faszinierendsten Theorien stammt von der an der Erforschung beteiligten Archäologin und Spezialistin für Religionen der Bronzezeit, Miranda Aldhouse-Green: Die Häufung religiöser Themenkreise wie Sonne, Sonnenwenden, Sonnenbarke und Mond sowie der Plejaden stelle eine Sammlung verschiedener europäischer (Anmerkung: Die Sonnenbarke steht eher in ägyptischer Tradition) religiöser Symbole dar und könnte einem europaweiten, komplexen Glaubenssystem angehören und eine heilige Botschaft repräsentieren.

Da man die Himmelsscheibe von ihrem Fundort am Mittelberg aus an dem ca. 85 Kilometer entfernten Berg Brocken im Harz justieren und so zur Beobachtung von Sommer- und Wintersonnenwenden nutzen kann, bot sich für den Autor Thomas Thiemeyer eine blendende Gelegenheit, ein archäologisches Rätsel mit einer geballten Ladung Mythologie und Abenteuer zu verbinden. Der Brocken ist bekannt für die Walpurgisnacht und Hexensabbat. Der christliche Versuch, das heidnische Beltanefest durch das Überstülpen eines christlichen Feiertags, eben den der heiligen Walburga, zu assimilieren und in Vergessenheit zu bringen, war bis heute nicht völlig erfolgreich.

Hier setzt Thiemeyer an: Auch im Jahr 2008 gibt es den heidnischen Kult noch. Der ganze Harz ist auf den Beinen und bereitet sich auf eine groß angelegte Walpurgisnacht vor, ein großes Fest für den Tourismus und ein Gräuel und Frevel für die Sekte. Doch die Sterne stehen günstig, zudem wurde die fehlende Himmelsscheibe mittlerweile entdeckt. Mit ihrer Hilfe will man die Tore zur Hölle öffnen und strafende Dämonen entfesseln. Blitze, Hagel und Wetterleuchten rund um den Brocken sind nur der Anfang … Unfreiwillig im Mittelpunkt steht die aus Thiemeyers erstem Roman [„Medusa“ 482 bekannte Archäologin Hannah Peters, die zu diesem Zeitpunkt versucht, die Geheimnisse der Himmelsscheibe von Nebra zu lüften.

_Ein Riesenbrocken Spaß, Spannung, Mythologie, Archäologie und Abenteuer_

Thomas Thiemeyer (* 1963) studierte Kunst und Geologie in Köln und machte sich sowohl als Schriftsteller als auch Illustrator einen Namen. Das kommt auch der Gestaltung von „Nebra“ zugute, denn das Cover hat der Meister, wie bereits bei „Medusa“, „Reptilia“ und „Magma“, selbst gestaltet.

Schriftstellerisch hat Thiemeyer sich seit „Medusa“ kontinuierlich weiterentwickelt. Nebra liest sich noch flüssiger als „Magma“ und ist noch packender und faszinierender als seine Vorgänger. Wie er die reiche Kultur und Geschichte Deutschlands als Grundlage seines Romans nutzt, ist wirklich großartig. Wer hätte gedacht, dass man babylonische, ägyptische, britisch-bronzezeitliche und andere mythologische Elemente stimmig in den Harz verlegen kann? Der Prolog um vier Jugendliche, die sich während einer Klassenfahrt in eine Höhle im Brocken verirren, von einer Art Wolfsmenschen gefangen und in ein heidnisches Ritual als Opfer eingebunden werden, ist nur der Beginn eines Ideenfeuerwerks, das seinesgleichen sucht. Ich fühlte mich spontan an Michael Crichtons „Eaters of the Dead“ erinnert, beziehungsweise an die bekannte Verfilmung „Der 13te Krieger“ mit Antonio Banderas.

Interessant dürfte auch ein Vergleich mit Dan Brown und Ken Follett sein, die einen ähnlichen Stil pflegen, zumindest, was die Länge der Kapitel und Wechsel der Perspektive angeht. „Nebra“ unterteilt seine 507 Seiten in 57 Kapitel. Liegt das Geheimnis moderner Romane etwa auch in Kürze und Abwechslung? Wegen der gelungenen Kombination von Fiktion und Deutung archäologischer Hinweise kann „Nebra“ hier punkten, die Geschichte entwickelt sich im Schneeballsystem zu einer wahren Lawine. Ständig erfährt man etwas Neues, Faszinierendes. Gelegentlich kann ein aufmerksamer Leser sogar den Charakteren voraus sein und Fakten und Verdachtsmomente erfolgreich kombinieren, was mir sehr gut gefallen hat.

Eine meiner Lieblingsfiguren war der pensionierte Kommissar Pechstein, der ein guter Freund des Polizeipräsidenten ist und seine ehemalige „Schülerin“ und Nachfolgerin Ida Benrath bei aller Freundschaft mit seiner väterlich-bevormundenden Art doch gehörig nervt und die Ermittlungen teilweise auch eher behindert. Glaubhafte und interessante Nebencharaktere geben „Nebra“ noch eine Extraportion Würze. Leider trifft das nicht auf die Hauptfigur Hannah Peters zu. Eine schöne, intelligente und leider auch komplizierte Frau, die gelegentlich doch sehr naiv ist, mag an und für sich eine interessante Figur sein, doch scheint das Genre Abenteuerroman zwischen zwei Extremen zu pendeln. Entweder hat man charismatische Über-Figuren wie einen Indiana Jones oder relativ austauschbare Stichwortgeber und Rätselknacker à la Robert Langdon. Letzterer musste in „Sakrileg“ seine geliebte Vittoria aus „Illuminati“ für ihre Forschung an einem ominösen Schwarm wandernder Rochen vor der indonesischen Küste aufgeben, während Hannah Peters ihr Ex- oder Möchtegern-Freund John nach wie vor hinterherhechelt. Ob es nun Hannah Peters, David Astbury oder Ella Jordan sind, die in Thiemeyers Romanen agieren, der Hauptcharakter ist grundsätzlich ersetzbar, denn es ist stets die fabelhafte Geschichte selbst, die fasziniert.

_Fazit:_

„Nebra“ könnte bereits im Frühjahr der Roman des Jahres 2009 sein. So viel geballte und intelligente Unterhaltung scheint nur Thiemeyer in Serie produzieren zu können, und wieder einmal übertrifft er sich selbst. Dabei ist er abwechslungsreicher als Dan Brown, der stets dasselbe grundlegende Schema neu aufkocht. Das Mythologie/Archäologiespektakel am Brocken ist zudem aktueller und innovativer als ein zugegeben gelungener Neuaufguss längst bekannter Gralslegenden. Kurz gesagt, wer Dan Browns Romane mag, der muss Thiemeyers Romane lieben; ich persönlich halte sie, wie erwähnt, in vielerlei Hinsicht für noch besser.

Tipp: „Nebra“ kaufen, „Google Earth“ installieren und sich die Gegend um den Brocken und andere Handlungsschauplätze des Romans ansehen und zusätzlich zur Lektüre kredenzen. Hannah Peters ist, wie vermutlich der Autor des Romans auch, von dem Programm begeistert.

Home

_Mehr von Thomas Thiemeyer auf |Buchwurm.info|:_

[Interview mit Thomas Thiemeyer 03/07 – »Magma ist großes Kino«]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=74
[Interview mit Thomas Thiemeyer 09/04 – »Am liebsten male ich groß, fett und in Öl.«]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=25
[„Medusa“ 482
[„Reptilia“ 1615
[„Magma“ 3415
[„Magma“ 4796 (Hörbuch)

Stephen Lawhead – Scarlet – Herr der Wälder (Rabenkönig 2)

Die Rabenkönig-Trilogie:

Hood – König der Raben
Scarlet – Herr der Wälder
Tuck (Januar 2009, US-Ausgabe)

Stephen Lawhead (* 1950) setzt seine historisch fundiert recherchierte Fassung der Legenden um Robin Hood auf interessante Weise mit einem erzählerischen Kniff fort:

Der titelgebende Will Scarlet, Vertrauter des Rabenkönigs Rhi Bran y Hud, sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Nur der Verrat am Rabenkönig und seinen Gefährten könnte ihn vor Abt Hugos Zorn retten. Scarlet diktiert Bruder Odo seine Geschichte, und beide werden allmählich Freunde, denn Scarlet denkt gar nicht daran, Hugo oder den Sheriff mit Informationen zu versorgen. Er schildert Odo, wie sein Thane Aelred entmachtet und er zum Geächteten wurde, wie er sich dem Rabenkönig anschloss und schließlich gefangen gesetzt wurde.

Erst nach dieser Rückschau setzt die weiterführende Handlung des zweiten Bandes ein:

Rhi Brans Männer haben einen an den Papst adressierten Brief erbeutet, dessen Inhalt sie vorerst nicht richtig deuten können. Dieser ist jedoch brisant und grenzt an Hochverrat: Einige der Barone von König Wilhelm Rufus kochen lieber ihr eigenes Süppchen als treu zu ihrem Lehnsherrn zu stehen. Auch die Familie de Braose ist in das Komplott verwickelt, und Bran sieht die lang erwartete Gelegenheit gekommen, sein Erbland Elfael zurückzugewinnen und die Gnade und Gerechtigkeit des Königs zu erlangen.


Meine Eindrücke

Da dies der zweite Band einer Trilogie ist, kann man erahnen, dass Rhi Bran/Robin und der König differierende Auffassungen von ‚Gerechtigkeit‘ haben. Historisch wurde Wilhelm Rufus von dem verirrten Pfeil eines Untergebenen niedergestreckt; nach dem Ende des zweiten Bandes bin ich mir sehr sicher, dass es sich in dieser Trilogie nicht um ein Versehen handeln wird. Aber in „Scarlet“ wird der König überleben; die Eskalation des Kampfes zwischen dem König, dem Sheriff und Robin Hood wird erst im abschließenden Band „Tuck“ stattfinden.

Der erste Teil des Buches behandelt das Leben William Scatlockes, der sich selbst Scarlet nennt – aufgrund seines Namens, nicht wegen einer besonderen Vorliebe für die Farbe. Er wird nie in scharlachroter Montur auftreten, wie dies in diversen Filmfassungen der Fall ist. Diese Romanpassage langweilte mich ein wenig, denn so nett und interessant Scarlets Geschichte auch sein mag, die Erzählung vom brutal durch die Normannen enteigneten Waliser, der daraufhin zum Geächteten wird und in die Wälder flüchtet, wurde im ersten Band bereits erzählt. Robin und Scarlet sind beide erstklassige Bogenschützen, auch sonst sind sie sich sehr ähnlich, sowohl in ihrer Geschichte als auch in ihrem Charakter.

Erst als die Sprache auf den Brief kommt, läuft „Scarlet“ zur Höchstform auf. Mit Sir Guy de Gysburne und Richard de Granville, dem Sheriff, treten notorisch berühmt-berüchtigte Figuren der Legenden um Robin Hood auf. Auffallend ist, dass Granville zwar Sheriff, aber nicht der Sheriff von Nottingham ist. Hier möchte ich daran erinnern, dass Lawhead die Handlung in das walisische Grenzgebiet verlegt hat. Im Gegensatz zu anderen Fassungen sind der Sheriff und Sir Guy auch nicht ein Herz und eine Seele oder Herr und Untergebener. Sir Guy und seine Ritter dienen dem ehrgeizigen Abt Hugo, nachdem sie von Robin überfallen und ausgeraubt wurden, ihren Baron enttäuschten und Guys Karriere in dessen Diensten beendet war. Er ist dem Sheriff nicht direkt unterstellt, obwohl dieser sehr oft nach Gysburne ruft.

Ziemlich zurückgenommen hat Lawhead den Groll, den Gysburne gegen Robin hegt. Er dient jetzt dazu, zwei verschiedene Arten von Grausamkeit und Unrecht zu zeigen, unter denen die Waliser zu leiden haben: So töten die jungen Ritter Guys nach einer frustrierend erfolglosen Jagd ein paar Tiere aus der Herde eines walisischen Hirten. Er lässt sie gewähren und schlägt den ihn um Gerechtigkeit anflehenden Hirten nieder. Er hat keine besondere Beziehung zu den Bewohnern oder dem Land, in dem er jetzt dient und lebt. Sie sind ihm völlig egal. Die Grausamkeit des Sheriffs ist anderer Natur: Er kennt die Regeln der Macht und setzt das Gesetz mit erbarmungsloser Härte durch. Bewusste Abschreckung durch Terror und ein Hang zum Sadismus zeichnen ihn aus, der dem gedankenlos brutalen Guy fehlt. Sir Guy kennt Ritterehre; er nimmt es den Sheriff übel, wenn er Wort bricht und Gefangene trotzdem hängen will, obwohl er ihnen zuvor Versprechungen gemacht hat.

Der weitere Verlauf ist geradezu klassisch: Der Sheriff jagt Robin, doch er erwischt ihn nicht. Robin versucht einmal sogar, den betrunkenen Sheriff zu entführen, und schleppt ihn wie einen nassen Sack über der Schulter mit sich. Verkleidet unter den Männern des Sheriffs, schlägt er ihnen so manches Schnippchen, und es kommt sogar zu einem Bogenschießen mit Sir Guy, obwohl es kein direkter Wettbewerb zwischen den beiden sein wird. Besonders interessant wird die Geschichte, als Robin sich in die Dienste des Königs stellt: Sein Erbland Elfael gegen die Aufdeckung einer Verschwörung gegen Wilhelm Rufus. Dieser ist leider, wie bereits erwähnt, kein edler Richard Löwenherz. So entledigt sich Robin zwar der Familie de Braose, sein Land erhält er dennoch nicht zurück:

|“Nach einer angemessenen Zeit des Nachdenkens ist der König zu dem Schluss gekommen, dass es nicht im besten Interesse der Krone ist, Elfael zu diesem Zeitpunkt wieder unter walisische Herrschaft zu stellen.“ „Und was wird aus uns?“, schrie Bran, der nun sichtlich wütend wurde. „Das ist unser Land – unsere Heimat! Man hat uns Gerechtigkeit versprochen!“

„Gerechtigkeit“, erwiderte der in Seide gewandete Bischof kühl, „habt ihr auch bekommen. Euer König hat ein Urteil gefällt. Sein Wort ist Gesetz.“
(…)

Gysburne war der Einzige, der diese Katastrophe amüsant fand – er und ein paar der nicht ganz so klugen Soldaten bei ihm.| (S. 444/446)

Ich hoffe etwas klüger zu sein als die Soldaten Gysburnes, aber als Leser finde auch ich die Situation köstlich. Erst jetzt wird Robin Hood vom lästigen Räuber zum ernsthaften Problem, eine Eskalation und das Aufeinanderprallen von Sheriff, Gysburne und Robin unvermeidlich. Und auch mit dem König und Abt Hugo wird noch abgerechnet. Viel Stoff also für den abschließenden Band, der wieder von einer anderen Person – dem aufgrund der Ernährung im Wald nicht mehr ganz so dicken Mönch Tuck – erzählt werden wird.

Fazit

Erwähnenswert ist auch das neue Erscheinungsbild der Trilogie: „Scarlet“ verwendet dasselbe moderne und hübsch anzusehende Titelbild wie die amerikanische Fassung. Auch wenn mir dieser Stil persönlich besser gefällt als der des ersten deutschen Bandes „Der König der Raben“, ist es dennoch ärgerlich, dass das Erscheinungsbild der Trilogie verändert wurde. „Der König der Raben“ ist jetzt im neuen Einband unter dem leicht veränderten Titel „Hood – König der Raben“ erhältlich.

Bei der wie üblich lobenswerten Übersetzung von Rainer Schumacher fielen mir einige Schludrigkeiten bei der Namensgebung auf: Baron Neumarché heißt jetzt Baron Neufmarché (im ersten Band Neumarché), das englische William und das deutsche Wilhelm werden wahllos miteinander gemischt und vermischt für ein- und dieselbe Person, und aus Guy von Gysburne wird manchmal auch Guy de Gysburne. Die verschiedenen Stadien der Verballhornung von Rhi Bran y Hud über Rhi Bran Hud zu Riban Hud und schließlich Robin Hood sensibilisieren für die Namensgebung, und es mag gut möglich sein, dass im Original Gysburne von normannischen Adeligen als „de Gysburne“ und von den Walisern als „von Gysburne“ bezeichnet wird, allerdings konnte ich diese mögliche Unterscheidung im Text der deutschen Übersetzung nicht nachvollziehen und die Verwendung erschien mir wie bei William/Wilhelm sehr willkürlich.

Auch wenn mir der Charakter Will Scarlet wie ein schwächeres Abziehbild Robin Hoods erscheint, kompensieren die späteren Auftritte des Sheriffs und die Handlung um den politisch brisanten Brief für diese gewisse Redundanz zum ersten Band. Es wird nicht mehr so viel Hintergrund über die Lage im Land dargelegt, nur wenige, spärlich kurze Passagen werden noch aus der Sicht der normannischen Adeligen erzählt. Das habe ich ein wenig vermisst, dafür gibt es jetzt mehr äußere Handlung – es wird erfrischend viel gekämpft, intrigiert und getrickst.

Zu meiner großen Freude scheint der Abschlussband aufgrund des Cliffhangers, in dem Abt Hugo Sir Guy de Gysburne gezielt auf die Jagd nach Robin schickt, noch mehr davon zu bieten. Stephen Lawhead, obwohl – wie seit Anfang 2007 bekannt ist – an Krebs erkrankt, geht es nach eigenen Angaben wieder besser, und die Ankündigung im Nachwort der deutschen Übersetzung (der abschließende Band könne aufgrund gesundheitlicher Probleme eine Weile auf sich warten lassen) ist somit überholt. „Tuck“ erscheint im US-Original am 10. Februar 2009; über den Erscheinungstermin der Übersetzung ist noch nichts bekannt.

Gebunden: 461 Seiten
Originaltitel: Scarlet
Ins Deutsche übertragen von Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-3-7857-2341-8

http://www.stephenlawhead.com
http://www.luebbe.de

_Mehr von Stephen Lawhead auf |Buchwurm.info|:_

[Hood – König der Raben
[„Der Sohn des Kreuzfahrers“
[„Der Gast des Kalifen“
[„Die Tochter des Pilgers“
[„Taliesin“
[„Empyrion – Die Suche“
[„Empyrion – Die Belagerung “
[„Der Sohn der grünen Insel“

Kashina, Anna – erste Schwert, Das

Das shandorianische Reich befindet sich in einer Krise: Der König liegt im Sterben, und das Konzil der Edlen ist zusammengetreten, um einen Nachfolger zu bestimmen. Denn der gewöhnliche Ritus der Thronfolge kann nicht mehr eingehalten werden. Der Favorit auf die Nachfolge des Königs, Herzog Evan Dorn, hat weder einen Erben, noch könnte er ihn der traditionellen Schwertprobe unterziehen. Er war der Letzte, der durch das magische Schwert geprüft wurde und den Stich durch das Herz, die Königsprobe, überlebt hat. Seitdem ist das Schwert verschwunden.

Die Kirche des Shal Addim erwartet von ihm, seinen Anspruch aufzugeben. Dazu ist Evan Dorn auch bereit, bis ihm die Bruderschaft der Bewahrer mitteilt, dass sein seit siebzehn Jahren tot geglaubter Sohn noch lebt. Doch leider ist er nicht wie gewünscht vor Ort. Die Kirche hat von den Plänen der Bewahrer erfahren, und der Bote der Bewahrer kam nie bei dem Königskind an.

In völliger Unkenntnis der Lage beobachten Skip und Erle, Söhne eines armen Hufschmieds, gemeinsam mit ihrer Freundin Ellah am Rande der Waldlande Seltsames: Priester auf Reitechsen erschießen einen flüchtigen Fremden, bevor sie sich selbst vor den die Ebenen des Graslandes beherrschenden Cha’ori-Kriegern retten müssen. Der Sterbende entpuppt sich als Adeliger, der sie bittet, Bruder Nikolaos in Eichenhain ein Päckchen auszuhändigen, bevor er seine letzten Worte stammelt: „Das Kind muss das Dorf verlassen … unverzüglich … Bring das Schwert … zu den Bewahrern. Auch … ein Diamant unterwegs …“

_Die Autorin: Anna Kashina_

Die in Russland geborene Molekularbiologin Anna Kashina emigrierte 1994 in die USA, wo sie seit 2004 eine Professur für Biochemie an der Universität von Pennsylvania innehat. Bei |dtv| erschien bereits im März 2008 ihre Kurzgeschichte „Die Sonnwendherrin“. Interessanterweise wurde ihr bereits im Jahr 2000 erschienener Roman „The Princess of Dhagabad: The Spirits of the Ancient Sands: BOOK ONE“ – Beginn einer bereits zumindest den Exzerpten auf ihrer Homepage nach dreiteiligen, von arabischen Märchen inspirierten Fantasy-Serie – noch nicht übersetzt. Dafür „The First Sword“, deutsch „Das erste Schwert“, ebenfalls der erste Band einer kommenden Trilogie. Ob es einen zweiten Band geben wird, scheint auch vom Erfolg in Deutschland abzuhängen: In den USA ist das erste Schwert noch gar nicht veröffentlicht worden, und die geplanten Fortsetzungen der vor acht Jahren erschienenen „Princess of Dhagabad“ lassen ebenfalls auf sich warten.

_Eine spannend erzählte Geschichte mit schillernden Nebencharakteren_

So würde ich auf die Frage antworten, wie ich „Das erste Schwert“ in einem Satz beschreiben würde. |Dtv| schreibt „Ein großes Abenteuer, erste Liebe und spannende Zweikämpfe“, was durchaus der Wahrheit entspricht. Unser etwas unbedarfter Held Skip, der als Hufschmied aufwächst und natürlich der vermisste Königssohn ist (was niemanden wirklich überraschen dürfte, die Karrierechancen von Bäckerlehrlingen, Stallknechten und Schmieden sind in der Fantasyliteratur gewöhnlich grenzenlos), verliebt sich in die geheimnisvolle Söldnerin Kara, eine exotische Schönheit, die auch mit ihren Waffenkünsten zu beeindrucken weiß.

Doch Anna Kashina bietet durchaus die heute vielzitierte „All Age“-Fantasy, denn bei dieser Liebelei lässt sie es nicht bewenden; die Handlung ist weitaus komplexer als das und verdient ein großes Lob. Sehr geschickt verschweigt Kashina Details, die sie nach und nach enthüllt, der Leser ist Skip und seinen Freunden oft einen Schritt voraus im Kenntnisstand. Der erwähnte „Diamant“ steht für einen Diamant-Majat, einen Meister-Assassinen, der Skip und seine Freunde retten soll. Aber auch die Kirche hat sich der Dienste eines Assassinen im Meisterrangs gesichert … ja, spannende Zweikämpfe sind wahrlich zu erwarten, und sie werden nicht nur versprochen, sondern auch geliefert.

Besonders erwähnen möchte ich schwergepanzerte Ritter auf Reitechsen, die sich ähnlich der kleinen Wegeidechsen wieselflink bewegen können, bis zu dreimal schneller als ein Pferd. Das ist nur eine der faszinierenden Ideen Anna Kashinas, deren Welt stark von russischer Mythologie und Märchenwelt geprägt ist. So gibt es zum Beispiel Baba Jagas, die russische Variante der mitteleuropäischen Hexe. Leider keine Vamps mit roten Haaren, eine Variante, der ich sehr viel abgewinnen könnte, sondern eher gruselige, alte Mütterchen. Was die Zwielichtstecher im dunklen Pfuhl angeht, einem ausgedehnten, verfluchten Sumpf: Sie sind wirklich erschreckend, und es gibt dort noch viel schrecklichere Kreaturen, gegen die sie sich wie harmlose, nur die Seele stehlende Mücken ausnehmen. Die Cha’ori sind ein stark an nordamerikanische Indianer angelegtes Reitervolk, gemischt mit ein wenig Kosakentradition, mit denen die Gruppe um Skip kurz in Kontakt kommt.

Über den Rest des Reiches erfahren wir leider nichts, außer über den Konflikt zwischen Kirche, Krone und Bewahrern, wobei wieder einmal die Kirche als verruchte Institution des Bösen herhalten muss. Der Kartenausschnitt der namenlosen Welt der Handlung ist auch nicht gerade groß; hier hält sich Kashina alle Optionen offen. Das hat den Vorteil, dass die 637 Seiten geballte Handlung bieten statt ausufernder Einführung in eine fremde Welt. Leider bleibt dadurch wenig Stoff für Spekulation, denn am Ende wird Evan Dorn König und sein Sohn Skip zum Kronprinzen Erskip – Ende gut, alles gut?

Die Geschichte ist in sich abgeschlossen; viele Ansatzpunkte für einen Folgeband bieten sich nicht gerade, dazu hat Kashina einfach nicht genug über ihre Welt erzählt. Dieser Stil ist allerdings auch erfrischend anders, denn George R.R. Martin und andere populäre Autoren neigen ja leider dazu, viel über ihre unzähligen Charaktere zu schreiben, was auch gut beim Leser ankommt, darüber aber auch oft die Handlung versumpfen und auf der Stelle treten lassen. Bei Anna Kashina ist es genau anders: Sie bietet viel Geschichte ohne viel Beiwerk.

Leider ist ihr Held Skip eine einzige Leerstelle, oder vielleicht auch eine Identifikationsfigur für junge Leser. Aber der junge und unerfahrene Skip ist ziemlich unbedarft und kann wirklich nichts; im Gegensatz zum gängigen Schema der Entwicklung eines Helden lernt er leider auch kaum etwas hinzu! Der Name ist fast ein Omen, denn man kann diesen Helden wirklich „skippen“, und die Geschichte verliert nichts von Bedeutung. Die Nebencharaktere, obwohl durchaus faszinierend – insbesondere Kara -, sind ebenfalls sehr statisch angelegt, sie entwickeln sich nicht weiter. Das gilt auch für die sehr zarte Liebesbeziehung zwischen Skip und Kara.

_Fazit:_

Die große Stärke Anna Kashinas ist ihr Erzähltalent. Sie erzählt eine Geschichte, unterhaltsam, spannend und kurzweilig. Sie verliert sich nicht in Einzelheiten, schwimmt allerdings auch ein wenig gegen den Strom der Zeit und gängige Lesegewohnheiten und –erwartungen.

Die Übersetzung von Martin Baresch sowie das Lektorat glänzen mit Perfektion; bei der Auswahl des Titelbildes und des Klappentextes hat man sich jedoch alle Mühe gegeben, potenzielle Käufer zu verunsichern. Als reines Fantasy-Jugendbuch möchte ich „Das erste Schwert“ definitiv nicht bezeichnen, doch dieser Eindruck wird leider erweckt. Die eher nordisch angehauchte Kriegerin auf dem Titelbild erweckt den Eindruck, die Hauptfigur des Romans zu sein, taucht aber nirgends in dieser Form auf. Mit der atemberaubend verführerischen, kaffeebraunen Kampfschnecke Kara hat sie leider auch nicht die geringste Ähnlichkeit. Von diesen Äußerlichkeiten, die hoffentlich nicht den Erfolg des Romans negativ beeinflussen werden, sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen: Anna Kashina bringt mit ihrem Stil frischen Wind in den deutschen Fantasymarkt, und ich würde gerne noch mehr von ihr lesen.

|Originaltitel: The First Sword
Deutsch von Martin Baresch
637 Seiten, kartoniert, mit zwei Karten
ISBN-13: 978-3-423-21085-0|
http://www.dtv.de

Homepages der Autorin:

http://www.med.upenn.edu/camb/faculty/cbp/kashina.html (University of Pennsylvania)
http://www.geocities.com/akashina/ (wissenschaftlich/beruflich)
http://www.geocities.com/akashina/personal.html (als Schriftstellerin)

Lynch, Scott – Sturm über roten Wassern (Locke Lamora 2)

|Locke Lamora / Der Gentleman-Bastard:|

Band 1: [„Die Lügen des Locke Lamora“ 3624
Band 2: _Sturm über roten Wassern_
Band 3: The Republic of Thieves (2009)
(Laut Autor wurde die Serie vertraglich auf sieben Bände festgelegt)

In „Sturm über roten Wassern“ schickt Scott Lynch seinen Gentleman-Ganoven Locke Lamora nicht nur in die nächste Runde seiner Abenteuer, sondern auch in neue Gefilde: Aus dem geplanten Coup in Tal Verrars exklusivstem Spielcasino, dem „Sündenturm“, wird nichts. Die Soldmagier von Karthain verübeln Locke die Verstümmelung des „Falkners“ und versprechen ihm eine bittere Abrechnung. Sie spielen ein perverses Spiel der Rache mit Locke und liefern ihn der Gnade von Stragos, dem Archonten von Tal Verrar, aus.

Dieser sieht in ihm ein nützliches Werkzeug und macht sich Locke und Jean mit einem Gift gefügig; ohne regelmäßige Dosen des Gegengifts müssen sie sterben. Er schickt beide auf das Messingmeer – als vermeintliche Piraten sollen sie die Seeräuber der Geisterwind-Inseln dazu ermutigen, wieder in den Gewässern von Tal Verrar zu räubern. Denn in dem Poker um die Macht streichen die Priori-Handelsherren dem Archonten die Gelder, die er zum Unterhalt seiner gewaltigen Flotte benötigt, und Maxilan Stragos hat weit ehrgeizigere Ziele als nur Archont von Tal Verrar zu sein.

In dieser misslichen Situation voller Intrigen, Tricks und Täuschungen blühen die Gentlemen-Ganoven allerdings erst so richtig auf und beginnen, alle Parteien gegeneinander auszuspielen. Doch auch ihre Gegenspieler schrecken vor nichts zurück, und vor Überraschungen ist man nie gefeit – ebenso kann man sich im Netz der eigenen Intrigen tödlich verfangen …

Mit „Die Lügen des Locke Lamora“ konnte Scott Lynch bereits viele Leser bezaubern, doch der Nachfolger sticht ihn mühelos aus. Lynch hat Routine gewonnen – eine viel detailreichere und sehr raffiniert angelegte Handlung ist das große Plus des Nachfolgers. Ob der gute Kontakt zu dem ebenfalls hervorragenden [Joe Abercrombie 4190 hier erste Früchte zeigt, überlasse ich der Spekulation und zähle lieber auf, was die großen Pluspunkte des Nachfolger sind.

Im Gegensatz zum Vorgänger wird nicht nur von vermeintlich großartigen Coups Lockes geschwärmt, sondern Locke führt jetzt auch tatsächlich einige wirklich ausgeklügelte Tricks und Bluffs vor – und das abwechslungsreich und am laufenden Band; alle Achtung, Mr. Lynch! Die im Vorgänger stets etwas verwirrenden und den Lesefluss eher bremsenden Rückblenden in die Vergangenheit wurden stark reduziert, die Vorgeschichte (Lockes erzwungene Flucht aus Camorr am Ende von Band 1) wird in einigen wenigen Rückblenden erzählt, und gleich zu Beginn schlägt Lynch in einem raffinierten Kniff einen Bogen fast bis zum Ende: Jean verrät anscheinend Locke – während dieser die ganze Zeit gegenüber seinen Auftraggebern einen Verrat an Jean vorspielt. Der Leser wird im Ungewissen gelassen, das Verwirrspiel noch einmal potenziert. Die Handlung spielt diesmal auf höheren Niveau, Locke und Jean haben den Schmutz von Camorr hinter sich gelassen und spielen nun auf höherer Ebene in Adelskreisen und vornehmen Casinos, obwohl es dort genauso hart und oft noch grausamer zur Sache geht. Der Ausflug auf die See ist zwar unglaublich bemüht konstruiert – einer der wenigen wirklichen Kritikpunkte, die ich anbringen kann -, schafft aber eine zusätzliche Handlungsebene und Abwechslung.

Als im Schnellverfahren zu Möchtegern-Seeleuten geschulte Scheinpiraten machen Locke und Jean wie eigentlich – wie nicht anders zu erwarten – keine gute Figur, die Mannschaft meutert schon bald und es dauert nicht lange, bis eine richtige Piratin sich ihres Schiffs „annimmt“. Die Piratenepisode ist nicht so zentral, wie es der Titel andeutet, sondern nur das letzte Drittel des Buches; bei satten 941 Seiten reicht das aber für ein vollwertiges Piratenabenteuer innerhalb der Handlung, bei dem Lynch einige Klischees und Aberglauben des Seemannsgarns Realität werden lässt und einige Dinge unterhaltsam verdreht. Zum Beispiel bringen Frauen und Katzen an Bord Glück, man braucht beides, sonst erzürnt man den Gott des Meeres.

Der Humor kommt auch nicht zu kurz; im Gegensatz zum Vorgänger setzt Lynch auf gehobenere Situationskomik anstelle launischer Sprüche. So finden sich unsere beiden Edel-Ganoven unter anderem in einer Situation wieder, in der sie bei einer Kletterübung ein anderer Dieb bestiehlt und dieser, nachdem sie ihn wüst beschimpfen und bedrohen, zur Sicherheit dann doch lieber die beiden Seile durchtrennen will, an denen sie hängen. Ebenso geht nicht jede Intrige auf, oft bringt die beiden ihr eigenes Lügengespinst nur noch tiefer in die Zwickmühle.

_Fazit:_

Was das Buch jedoch weit über den Vorgänger hinaushebt und – egal ob man ihn gelesen hat oder nicht – zu einer absoluten Empfehlung macht, ist die Mischung aus ausgeklügelter Handlungsführung, spannender Story und sehr exotischen fantastischen Elementen. Den kapitelweisen Leerlauf und die beachtlichen Qualitätsschwankungen des ersten Bandes gibt es nicht mehr, Lynch schreibt durchgehend auf hohem, sogar deutlich höherem Niveau. Meine einzigen Kritikpunkte sind die etwas zu sehr konstruierten Gründe, gerade die Landratte Locke auf See zu schicken, sowie ein gewisser Overkill an schönen, kompetenten und gefährlichen Frauen. Und das stets alles in einem. Die Namen der Damen sind ziemlich austauschbar, sie sind ausnahmslos emanzipierte und taffe Femmes fatales. Interessanterweise rückt Lockes im ersten Band arg penetrantes Schmachten nach seiner verlorenen Liebe, Sabetha, in diesem Band angenehm in den Hintergrund, obwohl der nächste Band der Reihe, „Republic of Thieves“, sich vornehmlich mit dem auch explizit auf dem Titelbild dargestellten Rotschopf befassen wird.

Wer Gefallen an Locke Lamora gefunden hat, wird sicher erfreut darüber sein, dass der Nachschub garantiert ist: Lynch hat die Reihe vertraglich auf sieben Bände fixiert und zudem „zügige“ Belieferung versprochen. Was immer man als erfahrener Fantasy-Leser davon halten mag – wer Interesse an Spoilern und näheren Informationen hat, sollte Scott Lynchs Webseite aufsuchen. Alleine die in der deutschen Fassung fehlenden und unter „Bonus Materials“ zu findenden exzellenten Karten des Messingmeers, Tal Verrars und Camorrs sind bereits den Besuch wert.

Homepage des Autors:
http://www.scottlynch.us

Homepage des Verlages:
http://www.heyne.de

|Originaltitel: Red Seas under Red Skies
Übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko
Paperback, 944 Seiten|

Scalzi, John – letzte Kolonie, Die

John Perry, Jane Sagan und ihrer Adoptivtochter Zoe ist kein ruhiger Lebensabend auf der Kolonie Huckleberry vergönnt. Als lokale Autoritäten genießen sie Ansehen und Respekt, aber beide finden das Leben in der Kolonie eintönig, verglichen mit ihren bisherigen Erlebnissen. General Rybicki macht den beiden ein verlockendes Angebot: Sie sollen die neue Kolonie Roanoke leiten und aufbauen. Roanoke ist ein Novum, denn die Siedler stammen nicht von der Erde, sondern von bereits existierenden Kolonialwelten, die gegenüber der Kolonialen Union ihre Ansprüche auf freie Kolonisation durchsetzen wollen.

Perry ahnt nicht, welches Schicksal der Kolonie zugedacht ist. Roanoke dient der Kolonialen Union als Bauernopfer. Die Verteidigung ist bewusst unzureichend gestaltet. Eine der Menschheit feindselig gesinnte Allianz von Alien-Völkern, das Konklave, hat unmissverständlich klargemacht, dass in diesem Bereich der Galaxis keine weitere Kolonisation durch die Menschheit oder andere Rassen geduldet wird. Die KU spekuliert auf eine Auslöschung Roanokes, die ihren Status als einzige Sicherheit und Erfolg garantierende Instanz zementieren soll. Gleichzeitig will man so eine Rekrutierung nicht nur auf der Erde, sondern direkt von den Kolonien durchsetzen. Denn die rücksichtslose Expansionspolitik der KU hat ihr nicht nur das mächtige Konklave zum Feind gemacht, andere Rassen erkennen die verzweifelte Lage der Menschheit und zögern nicht, diese auszunutzen.

Während Perry gegen die Koloniale Union und das Konklave für das Überleben Roanokes kämpft, steht weit mehr auf dem Spiel: Das Schicksal der gesamten Menschheit liegt in den Händen des Konklave. Dessen militärischer Oberbefehlshaber, General Gau, ist durchaus an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Doch auch in seinen Reihen gibt es Kriegstreiber. Perry erhält Hilfe von General Szilard und seiner Spezialeinheit, auch die Obin eilen Perry zu Hilfe, denn seine Adoptivtochter Zoe ist als Kind des „Verräters“ Charles Boutin für sie eine Art Heilige und der einzige Grund, warum die Obin einen wackeligen Frieden mit der Kolonialen Union aufrechterhalten.

_Der Autor_

John Scalzi (* 10.05.1969, Kalifornien) begann seine Karriere in der Blogger-Szene. „Krieg der Klone“ (im Original: „Old Man’s War“) erschien bereits 2002 in Fortsetzungen im Blog seiner Website, bis Patrick Nielsen Hayden, Senior Editor von |Tor Books|, auf ihn aufmerksam wurde. Womit dieser ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen hat: Scalzis Debüt war gleichzeitig auch sein Durchbruch, das Buch verkaufte sich in den USA ausgezeichnet und kam bei den Lesern gut an. Als Sahnehäubchen wurde es 2006 mit dem |John W. Campbell Award| ausgezeichnet und für den |Hugo Award| nominiert. Scalzis „Krieg der Klone“ musste gegen Werke etablierter Autoren wie George R. R. Martin, Charles Stross und Ken MacLeod antreten und sich nur dem überragenden [„Spin“ 2703 von Robert Charles Wilson geschlagen geben.

Die Abenteuer von „Krieg der Klone“ waren nur der Anfang, die Fortsetzung [„Geisterbrigaden“ 4467 gab Einblick in die Denkweise der gezüchteten Spezialeinheiten und der Kolonialen Union, deren ambivalente Rolle als selbsternannter Beschützer der Menschheit und gleichzeitige Ursache vieler Animositäten mit außerirdischen Rassen in dem abschließenden Band „Die letzte Kolonie“ kulminiert. So verspricht es der Autor, allerdings greift er in dem noch nicht übersetzten „Zoe’s Tale“ die Geschichte der letzten Kolonie aus der Sicht Zoes auf. Mit Perry und Sagan hat er nach eigener Aussage aber abgeschlossen, mit seinem von postmodernen Ideen geprägten Koloniale-Union-Universum scheinbar noch nicht. Als Bonusmaterial bietet „Die letzte Kolonie“ die Kurzgeschichte „Sagans Tagebuch“, die Jane Sagans Leben im Anschluss an „Geisterbrigaden“ bis zu ihren Abschied von der Spezialeinheit und dem Neuanfang mit John Perry auf Huckleberry beschreibt.

[„Krieg der Klone“ 3677
[„Geisterbrigaden“ 4467

_Der Feind in den eigenen Reihen_

Scalzi führt mit „Die letzte Kolonie“ logisch seine in den Vorgängern entwickelten Gedankengänge zu Ende. Der Bösewicht ist die Koloniale Union, welche die Menschheit bevormundet und sich mit ihrer aggressiven Kolonisationspolitik zahlreiche Feinde geschaffen hat. Dass Roanoke, benannt nach der gleichnamigen ersten englischen Kolonie in der Neuen Welt, die unter bis heute ungeklärten Umständen völlig ausgelöscht wurde, für politische Interessen geopfert werden soll, ist Scalzis Wink mit dem Zaunpfahl, was die Menschheit von der Kolonialen Union zu erwarten hat.

Damit einher geht jedoch auch ein Bühnenwechsel. Nicht mehr nur die Wahrnehmung von Perry, Sagan oder Dirac wie in den vorherigen Bänden treibt die Handlung voran, Scalzi spannt sie jetzt stärker denn je in einen weit größeren politischen Rahmen ein. Dies hat leider einige negative Konsequenzen; so wirken die Problematiken der Besiedlung einer neuen Welt, Streitigkeiten unter den Kolonisten und eine gehörige Medienschelte Scalzis, demonstriert an einem stereotypen Klatsch-Reporter, sehr nebensächlich und aufgesetzt. Der Roman ist eine Aufforderung, sich nur vermeintlich wohlmeinenden Autoritäten zu widersetzen, Freiheit und Demokratie müssen erkämpft werden. Dabei bleibt leider Scalzis Humor ziemlich auf der Strecke, denn er ist eher ein Charakterdarsteller; dieser große Rahmen ist ihm unvertraut, hier kann er nicht so begeistern wie in seinen vorherigen Werken. Etwas störend wirkt mittlerweile sein stark an realen Charakteren orientierter Schreibstil. Die Figuren General Rybicki, Jane Sagan und Zoe sind von einem Bekannten beziehungsweise seiner Frau und Tochter inspiriert. Ich bin nicht wirklich erbaut von dem Gedanken, noch mehr Zoe-Lobhudelei in „Zoe’s Tale“ zu erleben – mir war bereits die bisherige Dosis unangenehm.

Mit dem Verlust der Leichtigkeit und einer eher unbeholfenen Zuwendung zu ernsteren Themen tut sich Scalzi keinen Gefallen. Zwar ist „Die letzte Kolonie“ immer noch eine sehr unterhaltsam und kurzweilig erzählte Geschichte, die persönlichere, charakterbezogene Note der ersten beiden Scalzi-Romane fehlt mir jedoch sehr. Die Handlung ist in Gegensatz zu diesen recht vorhersehbar und politisch (in-)korrekt, es fehlt ein wenig an Überraschungen. Leider ist dieser Roman nur ein relativ unspektakulärer Abschluss der von Scalzi in den Vorgängern entwickelten Andeutungen über die Koloniale Union.

_Bonus: Sagans Tagebuch_

Zeitlich zwischen „Geisterbrigaden“ und „Die letzte Kolonie“ angesiedelt, schreibt Scalzi ein Tagebuch Jane Sagans, in Form von Auszügen gespeicherter Daten ihres BrainPals, das uns unmittelbar an ihren persönlichen Gedanken teilhaben lässt. Die Kurzgeschichte (ca. 60 Seiten) erhielt ein verhaltenes Echo, sie wurde sowohl kostenfrei im Internet als auch als Vollpreis-Hardcover auf dem amerikanischen Markt angeboten. Dass |Heyne| sie als Bonusmaterial liefert, ist zu begrüßen, als eigenständiges Produkt oder als Teil einer Kurzgeschichtensammlung hätte sie wohl keinen Platz auf dem deutschen Markt gefunden.

Leider ist die Geschichte selbst nicht überzeugend. Thematisch hat Scalzi die Problematik der fehlenden Jugend der gezüchteten Spezialeinheit-Soldaten bereits mit Jared Dirac in „Geisterbrigaden“ wesentlich differenzierter dargestellt, zumal der Charakter Jane Sagan hier ganz anders als in „Geisterbrigaden“ erscheint. Ich sehe ihre plötzliche extreme Emotionalität eher als Widerspruch denn als Bereicherung des Charakters Jane Sagan, den Scalzi in meinen Augen so eher demontiert und verwässert.

_Fazit:_

Bei aller Kritik, Scalzi ist immer noch ein hervorragender Schriftsteller, der zu unterhalten versteht. Leider hat er seine bisherige Façon bekömmlicher und zeitgemäß angepasster Heinleinesker Science-Fiction diesmal zugunsten einer politisierenderen, globaleren Sicht der Dinge aufgegeben. Schade, denn so kommen seine Stärken, die in Charakterisierung und Humor liegen, leider nicht zum Tragen. Thematisch hat wohl auch Scalzi erkannt, dass sein simples Credo der Beschränktheit des Wissens auf die eigene Perspektive, während verborgene Mächte im Hintergrund agieren und Autoritäten meistens nur das eigene Wohl im Blick haben, mittlerweile ausgelutscht ist. So ist „Die letzte Kolonie“ ein runder Abschluss für Scalzis Abenteuer mit Perry und Sagan, der sich gegen Heinleinschen Imperialismus und Kolonialismus wendet. Allerdings ist das nicht überraschend, denn Scalzi hat das bereits getan, nur auf humorvollere Weise. Ein konsequentes Finale, gelungen, dennoch leider ein wenig fade.

|Originaltitel: The Last Colony
Übersetzt von Bernhard Kempen
Taschenbuch, 476 Seiten|
http://www.scalzi.com/
http://www.heyne.de

Wilson, Robert Charles – Axis

„Axis“ ist die Fortsetzung von Robert Charles Wilsons (* 1953, Kalifornien) mit dem |Hugo Award 2006| ausgezeichnetem Roman [„Spin“ 2703 und handelt einige Jahre nach dem Zusammenbruch des Energieschirms um die Erde. Ein riesiger Torbogen im indischen Ozean verbindet ihn mit den Meeren einer fremden Welt, die allmählich kolonisiert und von den meisten Bewohnern trotz einer riesigen Anzahl großartig klingender mythologischer Namensvorschläge nach ihrem größten Kontinent schlicht |Äquatoria| genannt wird.

Doch nach wie vor weiß man nicht, wer für den Spin verantwortlich war oder warum es ihn überhaupt gegeben hat. Der Glaube an die „Hypothetischen“ nimmt teilweise groteske Formen des Aberglaubens an, während verschiedene Gruppen gezielt versuchen, Kontakt mit den unbekannten Intelligenzen aufzunehmen, für einige Radikale gleichbedeutend mit einem Kontakt mit Gott. Jason Lawton hat dies bekannterweise bereits in „Spin“ versucht, überlebte die Kontaktaufnahme aber nicht.

Im Alter von zwölf Jahren scheint die Zeit des speziell zu diesem Zweck genetisch veränderten Isaac gekommen zu sein: Ein Meteoritenschauer erzeugt nicht nur hübsch anzusehende Sternschnuppen, sondern seltsame, absurde Lebensformen, die jedoch rasch sterben und die Städte mit lästig dicken Staubschichten bedecken. Auf der Suche nach ihrem Vater, der vor zwölf Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist, treffen Lise Adams und ihr Freund Turk Findley auf die aus „Vierten“ bestehende Gruppe um Isaac. Unterstützt werden sie von Diane Lawton, die enge Kontakte zu mehreren illegalen „Vierten“-Gemeinschaften unterhält, die von einer eigens dafür geschaffenen Regierungsbehörde – dem Ministerium für genomische Sicherheit – unnachgiebig verfolgt werden.

_Das Leben in einer Post-Spin-Koloniewelt_

Wilson schaltet trotz vieler offener Fragen einen Gang zurück. Er legt den Fokus jetzt auf das Leben der Menschen in einer neuen Welt, die kurz nach dem Ende des Spins kolonisiert wurde. Die Nachwirkungen des Spins beschäftigen noch immer die Gemüter, und so wird die Suche von Lise Adams nach ihrem gegen Ende der Spinzeit verschwundenen Vater auch zu einer Art Sinnsuche. Für Neueinsteiger ist das Buch nicht geeignet, denn Wilson setzt stillschweigend Kenntnis von „Spin“ voraus. Ohne diese Kenntnisse kann man mit Begriffen wie „Vierten“ für speziell lebensverlängerte Personen und der zumindest bei den Marskolonisten für sie existierenden Sozialhierarchie und den Problemen der Erdmenschen und Äquatorias mit den langlebigen „Vierten“ nichts anfangen; auch im Hinblick auf die „Hypothetischen“ werden Vorkenntnisse benötigt. „Axis“ ist der Mittelband einer geplanten Trilogie um den Spin, was mich überrascht. Denn auch wenn „Spin“ ein sehr offenes Ende hat, kann ich mir nicht vorstellen, was Wilson hier noch einbringen könnte. Gerade dass er auf nur 555 Seiten eine ungeheure Vielzahl von Ideen untergebracht hat, anstatt daraus einen mehrbändigen Zyklus zu produzieren, ehrte ihn in meinen Augen. Um eines vorwegzunehmen: Das Ende von „Axis“ ist faszinierend, aber auch unbefriedigend, da es eher zum Staunen anregt als neue Erkenntnisse zu liefern.

Isaac und seine Mutter Mrs. Rebka – benannt nach einem Charakter des verstorbenen Charles Sheffield aus seinem |Heritage|-Zyklus; er selbst wohl nach Isaac Asimov – stehen nicht im Zentrum der Handlung, obwohl die Geschichte mit Isaac und der mit Referenzen auf andere SF-Autoren ein wenig überfrachteten Vierten-Gruppe beginnt. Wilson hat keine dominante Hauptfigur, sofern man nicht unbedingt Lise Adams, Turk oder Isaac zu solchen erklären möchte; er erzählt vom Leben auf dieser neuen Welt aus verschiedenen Blickwinkeln und gibt dem Leser so einen Einblick in die Post-Spin-Gesellschaft und ihre zahlreichen Manien. Die Kolonisierung der neuen Welt hingegen wird recht stiefmütterlich behandelt: Neben Äquatoria gibt es noch eine Wüste, in der ein weiterer Torbogen steht, der auf einen Ödplaneten mit Giftatmosphäre führt, weshalb er noch nicht näher untersucht wurde. Nun, vielleicht geschieht dies ja im dritten Band; bei allem Fokus auf soziale Geflechte und Motivationen – was Wilson wirklich sehr gut gelungen ist; kein Vergleich zu seinem damit überfrachteten und mit dem Label Science-Fiction beinahe fehldeklarierten [„Quarantäne“ -, 4264 hat er beide Welten nur recht stiefmütterlich beschrieben. Diese Kolonie wirkt auf mich nicht fremdartiger als das heutige Hörensagen vom Leben in Australien; bis auf eine riesige Schiffabwracker-Industrie an den Stränden Äquatorias scheint der einzige nennenswerte Unterschied in der Haltung der Menschen zum mittlerweile vergangenen Phänomen des Spin und den Hypothetischen zu bestehen. Und diese Fragen bleiben leider auch am Ende offen – ebenso ergebnislos verläuft auch die etwas aufgesetzt wirkende Hetzjagd der genomischen Sicherheit, die Wilson nur etwas beiläufig nebenher eingebaut hat.

_Fazit:_

Leider fehlt es der Fortsetzung an der Ideendichte und dem atemberaubenden kosmischen Rahmen des Vorgängers „Spin“. Dafür sind alle Charaktere deutlich ausgefeilter und harmonisch in die Handlung eingebunden. Ebenso ist die Geschichte spannend erzählt und ein angenehmer Lesefluss die Regel. Wilson erweist sich als abwechslungsreicher Erzähler, doch bei aller Finesse und obwohl ich die Geschichte sehr gerne gelesen habe, frage ich mich, ob man dieses Bisschen zusätzlicher Information in einem eigenen Roman breitschlagen musste. Wer „Spin“ mochte, darf mit erwähnten Vorbehalten zuschlagen; wem das Ende von „Spin“ bereits zu unbefriedigend war, der sollte diesen Roman besser meiden. Erzählerisch hat Wilson „Spin“ übertroffen, insgesamt fehlt es diesem Roman jedoch an dem höheren Grad der Faszination und der geballten Ladung an Ideen, die „Spin“ einen |Hugo| einbrachten. Wilson selbst befürchtete solche Vergleiche, wie er auf seinen Blog erwähnt, denn „Axis“ sollte bewusst eine ganz andere Art von Buch sein. Vielleicht leidet „Axis“ einfach nur unter dem Mittelband-Syndrom; eventuell gelingt es Wilson, die Vorzüge von „Spin“ und „Axis“ in dem geplanten Abschlussband „Vortex“ zu vereinen.

http://www.heyne.de
http://www.robertcharleswilson.com

_Robert Charles Wilson auf |Buchwurm.info|:_

[„Spin“ 2703
[„Quarantäne“ 4264
[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92
[„Bios“ 89

Stackpole, Michael A. – neue Welt, Die (Die Saga der neuen Welt 3)

|Die Saga der neuen Welt (Age of Discovery):|

Band 1: [„Das verlorene Land“ 1036 (A Secret Atlas)
Band 2: [„Der Kampf um die alte Welt“ 2238 (Cartomancy)
Band 3: _Die neue Welt_ (The New World)

Mit „Die neue Welt“ schließt Michael A. Stackpole nach zwei Jahren endlich die „Saga der neuen Welt“ – im Original etwas knackiger als „Age of Discovery“ betitelt – ab. Einen Seitenhieb auf den wirklich unpassenden Titel kann ich mir nicht verkneifen: denn nur der geringste Teil des Buchs spielt in der neuen Welt, die Monster des Kraft seines Geistes von Qiro Anturasi aus dem Nichts geschaffenen Kontinents Anturasixan sind bereits im letzten Band in kriegerischer Absicht in die alte Welt übergesetzt. Und hier setzt ironischerweise auch der abschließende Band ein, was mich ein wenig an Paul Kearneys „Königreiche Gottes“ erinnerte. Auch in dessen Zyklus war die Entdeckung eines neuen Kontinents geplant, die jedoch aufgrund des starken Handlungsschwerpunkts in der alten Welt und Terminnöten des Autors ebenfalls stark gekürzt wurde, die Monster der neuen Welt kamen stattdessen per Schiff zur Invasion der alten Welt herübergesegelt. Bei Stackpole ist es kaum anders; die neue Welt ist ein einziges Heerlager für die Truppen eines Bösewichtes aus vergangenen Zeiten:

Der aus seiner versiegelten Wüstengruft auferstandene Prinz Nelesquin zieht erneut in die Schlacht gegen die ebenfalls wieder unter den Lebenden weilende Kaiserin Cyrsa. Diese entpuppt sich als niemand anderer als die als „Unsere Dame von Jett und Jade“ bekannt gewordene Edel-Kurtisane. Dieser gelingt es im dritten Kapitel auf nur zehn Seiten, die unversöhnlichen Feinde Cyron und Pyrust zu versöhnen. Sie ernennt Pyrust zu ihrem Feldherren, während Cyron sich um Logistik und Verwaltung sowie die Verteidigung der Hauptstadt Moriande kümmert.

Entschieden wird der uralte Konflikt jedoch zwischen den beiden Meisterkartografen der Familie Anturasi. Der alte Qiro Anturasi formt die Welt, wo immer es geht, nach seinen Wünschen um. Er leitet Flüsse um, verkürzt Distanzen willkürlich, reißt klaffenden Wunden gleichende Gräben, in denen nichts existiert, durch das Land, um den Vorstoß von Nelesquins Armeen zu beschleunigen und die Verteidigung seiner Feinde zu erschweren. Nur die von ihm persönlich vor seinem Aufstieg zum Mystiker gezeichnete große Weltkarte in Moriande fehlt ihm, um seine Kontrolle über Welt und Schöpfung zu vervollständigen. Sie ist sein Fokus – er kann nicht alles völlig ungeschehen machen oder verändern, was er auf ihr zuvor gezeichnet hat. Sein Enkel Keles Anturasi ist entsetzt über den alten Tyrannen und stemmt sich gegen ihn, doch er ist sich des Ausmaßes seiner Kräfte nicht bewusst; er mag ebenso begabt sein wie sein Großvater Qiro, ist aber unerfahren und es fehlen ihm dessen Verschlagenheit und Gewissenlosigkeit.

Doch Keles ist nicht allein; der Schwertkämpfer Moraven Tolo erinnert sich an sein altes Leben als Virisken Soshir, Mitglied der Leibwache der Kaiserin, begierig nicht nur auf ihre Liebe, sondern auch auf den Platz als Kaiser an ihrer Seite. Trotz aller Bemühungen schlägt Prinz Nelesquin Cyrsas Feldherren Pyrust vernichtend; während Moriande vom Feind berannt wird, schlagen sich Moraven Tolo und Ciras Dejote hinter die feindlichen Linien, mit dem Ziel, Prinz Nelesquin den Todesstoß zu versetzen, den sie vor Jahrhunderten versäumt haben.

_Götterauflauf mit unausgegorenem Ideen-Eintopf_

Michael Stackpoles Fantasie ging mit ihm durch. Was sonst seine Stärke ist, uferte in dieser Trilogie endlos aus, zum Schaden von Handlung und Charakterisierung der Figuren. Zu viele Handlungsstränge hat er eröffnet, zu viele Beziehungsgeflechte. Am Ende wurden sie alle zu Stereotypen, wurden sang- und klanglos entsorgt oder enttäuschten. Eine fragwürdige Entscheidung war auch die Willkürlichkeit, mit der einfache Sterbliche zu langlebigen Mystikern ihrer Kunst aufsteigen, in ihren Fähigkeiten denen sterblicher Meister weit überlegen. Das an und für sich interessante Konzept, dass Meisterschaft in welcher Disziplin auch immer – vom Schwertkampf über Magie und Liebeskünste bis hin zur Kartografie – zu einer Art halbgöttlichen Zustandes führen kann, ist ein zweischneidiges Schwert. Qiro Anturasi zaubert an einem Tag völlig willkürlich ganze Kontinente oder Monster für Nelesquins Armeen mühelos herbei, am nächsten kann er dafür kaum eine Brücke über einen Fluss erschaffen, später lässt er dann den ganzen Fluss einfach verschwinden.

Keles Bruder Jorim ist derweil gar zum Gott aufgestiegen. Er kämpft sich durch die Neun Höllen wieder ins Leben zurück, um den bösen Vater der Götter, Nessagafel, der die ganze Schöpfung ungeschehen machen will, zu zerstören. Dabei wird er unterstützt von seiner toten Schwester Nirati und einem im Laufe der Handlung verstorbenen Charakter, den ich nicht verraten möchte. Diese Episode wirkte unnötig aufgesetzt und läuft nahezu parallel und zusammenhanglos zum Kampf gegen Prinz Nelesquin. Eine Art von Dantes Inferno, wie man es definitiv nicht verhunzen sollte!

Die Idee der Reinkarnation von Helden vergangener Zeitalter, die sich erneut bewähren, alte Fehler korrigieren können, scheint mir stark dem [„Rad der Zeit“ 2470 Robert Jordans entlehnt. Allerdings ist auch dies nicht wirklich gelungen. Kaiserin Cyrsa taucht überraschend in Gestalt einer legendären Kurtisane auf – was hätte man daraus für eine Geschichte machen können! Aber da einfach zu viele Handlungsstränge zur Eile gemahnen, übernimmt sie auf mir nach wie vor unbegreifliche Weise innerhalb von zehn Seiten unangefochten das Kommando über die verschlagenen Prinzdynasten, die sich ihr trotz ihrer in den Vorgängern massiv aufgebauten machiavellistischen Natur sofort und bedingungslos unterwerfen und dabei sehr glücklich sind.

Eine als Hauptfigur aufgebaute und später wie so viele vernachlässigte Figur ist die des Schwertmeisters Moraven Tolo, der sich als Virisken Soshir, früherer Leibgardist und Liebhaber der Kaiserin entpuppt:

|Auf Dunos‘ Stirn formte sich ein Keil von Falten.
„Was Kaerinus heilte, war nicht die Narbe, sondern die Erinnerung, die ich verloren hatte, als ich so schwer verwundet wurde. Ich bin nicht Moraven Tolo. Wirklich nicht. Ich bin Virisken Soshir.“
Der Knabe blinzelte verständnislos.| (S. 69)

So kommt es zu dem Paradoxon, dass Virisken Soshir von seinem ehemaligen Schüler zum Meister Moraven Tolo ausgebildet wurde. Auch das ist an und für sich eine reizvolle Idee, leider wird sie inflationär gebraucht und überstrapaziert; ähnliche Sachverhalte treffen auch auf Ciras Dejote und viele andere zu.

_Fazit:_

Stackpole kämpft literarisch an zu vielen Fronten, baut zu viele Ideen und Charaktere auf. So kommt es, dass keine davon ausreichend gewürdigt, keiner Figur wirklich Raum gegeben wird. Dass Stackpole auch umfangreiche Zyklen konzipieren und erfolgreich beenden kann, hat er bereits in seinem siebenbändigen Zyklus [Düsterer Ruhm 748 bewiesen. Dieses Mal hat er zu viel gewollt, die Fantasie ist mit ihm durchgegangen. Die Idee der „Kartomantie“ der Anturasis ist faszinierend, allerdings drückt sie sich im Roman zu oft durch blanke Willkürlichkeit aus, die den für Fantasy notwendigen Rahmen des grundsätzlich Vorstellbaren und noch glaubhaften Fantastischen sprengt. Ich komme nicht über den Eindruck hinweg, dass Michael Stackpoles vorzügliche Qualitäten in charaktergetriebener epischer Fantasy und Science-Fiction besser in dem einengenden, aber auch stützenden Korsett fremder Universen wie |BattleTech| oder |Star Wars| aufgehoben sind. Mit der Warrior-Trilogie und der Blut-der-Kerensky-Trilogie im |BattleTech|-Universum hat er bereits um 1988 Klassiker geschaffen, gegenüber denen sich sein neuestes Werk sehr kläglich ausnimmt. Schade, denn die „Saga der neuen Welt“ war sehr vielversprechend angelegt und erweckte große Hoffnungen. Leider konnte sie bis zum Ende diese Versprechen nicht einlösen.

Für die sehr gute Übersetzung sorgte wie bei fast allen Stackpole-Romanen seine deutsche Stimme Reinhold H. Mai.

http://www.stormwolf.com
http://www.heyne.de

Hennen, Bernhard – Albenmark, Die (Elfenritter 2)

Die |Elfenritter|-Trilogie:
Band 1: [Die Ordensburg 4578
Band 2: _Die Albenmark_
Band 3: Das Fjordland

|Man mag von großen Schlachten in fernen Heidenwäldern hören. Der wirkliche Krieg jedoch wird mitten unter uns ausgetragen. (…) Sie sind unter uns. Und sie sind nicht nur im Schatten. Im Lichte, wo man sie nicht sucht, sind sie am stärksten. (…) Ihre Waffen sind Heimlichkeit und Täuschung. Und das grausamste ihrer Spiele ist die Erschaffung von Wechselbälgern. (…) Blitzschlag, missgebildetes Vieh, ein Hagel aus heiterem Himmel, der die Ernte vernichtet. Das sind ihre Waffen im heimlichen Krieg. Nur ein Fragender, ein Priester, der besonders fest im Glauben ist, kann dann noch Rettung verheißen. (…) So wie die Ritter in der Ferne kämpfen, schlagen sie ihre Schlachten mitten unter uns, und das reinigende Feuer ist ihre Waffe, wenn Seelen verloren scheinen.|

Aus: |Der Heidenhammer|, von Henri Épicier.

Immer noch ist Prinzessin Gishild in der Ordensburg der Neuen Ritterschaft in Valloncour gefangen. Sie hofft auf eine Rettung, die nicht kommt, denn ihre Beschützerin Silwyna starb, bevor sie Nachricht vom Überleben Gishilds ins Fjordland bringen konnte.

Doch auch zartere Bande binden Gishild an die Feinde des Fjordlands: Mit der Zeit erweicht auch ihr hartnäckiger Widerstand, sie lernt ihre Kameraden und Lehrer zu schätzen und zu lieben; insbesondere Luc: Aus Zuneigung entwickelt sich eine tiefe Liebe.

Luc beweist bei einem Unglück erneut seine heilenden Kräfte: Er überlebt eine Wunde, die ihn hätte töten müssen, ohne dass eine Narbe zurückbleibt. Er wird einer Prüfung auf Leben und Tod überantwortet, bei der die geheime Bruderschaft vom Heiligen Blut feststellt, dass seine Gabe tatsächlich diejenige Guillaumes und kein Albenwerk ist. Das Schwert des Primarchen Leon schwebte schon über seinen Nacken, doch nun leistet er Luc Abbitte und führt ihn in die geheime Bruderschaft ein, stärkt das Selbstbewusstsein des Zweiflers Luc, der sich zum glühenden Anhänger Tjureds entwickelt und Gishild nicht in sein Geheimnis einweiht. Doch auch seine Liebe zu Gishild wird nicht nur geduldet, sondern insgeheim gefördert. Immer noch träumt der Orden davon, den Krieg in die Albenmark zu tragen, und Lucs starke Begabung könnte der Schlüssel zum Sieg sein; denn seine heilende Gabe wirkt auf Elfen und andere Albenkinder tödlich, sie ist das hinterhältige Geschenk des elfenhassenden Devanthars an die Blutlinie seines Sohns Guillaume, dem ersten Heiligen der Tjuredkirche.

Nach langen Jahren erst gelangt der Elfenfürst Tiranu unter merkwürdigen Umständen an Hinweise auf den Aufenthaltsort Gishilds. Er findet die letzten von Silwyna in den Stein gekratzten Worte, Gishild und Valloncour. Elfenkönigin Emerelle beauftragt ihn und Ollowain mit einer Rettungsaktion. Doch diese steht unter keinem guten Stern.

Ausgerechnet am Hochzeitstag Gishilds mit Luc greifen die Elfen mit Unterstützung der Adler die Ordensburg an. Doch der verschlagene Honoré hat von ihrem Plan erfahren und stellt ihnen eine Falle. Seine schwarze Schar lauert den Elfen auf, Arkebusiere mit für Elfen tödlichen Bleikugeln stehen bereit. Nur den Primarchen Leon hat er nicht gewarnt, denn er hofft, seine Nachfolge antreten zu können.

Gishild wird vor Lucs Augen entführt, er selbst vom Schwertmeister Ollowain wie ein Schüler entwaffnet, viele seiner Lanzenkameraden und Lehrer werden getötet. Der in der Folge zum Primarchen aufsteigende Honoré wird sein Freund und Vertrauter, und Luc lernt die Elfen zu hassen; seine Zweifel an Tjured sind endgültig beseitigt. Die Spitzel des Primarchen schaffen es, Briefkontakt zwischen den Liebenden herzustellen. Durch geschickte Zensur gelingt es Honoré, Lucs und Gishilds Gefühle zu lenken.

Im Fjordland wird Gishild in eine ihr fremd gewordene Welt geworfen. Viele Jarls geben nur widerstrebend ihre Macht ab, in den Jahren ohne König sind sie selbstherrlich geworden. Nur die Leibwache der Mandriden und ihre Elfenverbündeten halten zu ihr. Gishild kann sich als mutige Kriegerkönigin beweisen, die gute Ausbildung der Ordensritter und das Wissen um ihre Taktiken helfen ihr. Doch viele Traditionen des Nordens erscheinen ihr, die unter den in Sachen Geschlechterrollen viel liberaleren Ordensrittern aufgewachsen ist, mittlerweile rückständig und barbarisch. Sie wird zwangsverheiratet, willigt widerstrebend ein. Doch sie ist stolz und unerbittlich, herrscht an Stelle ihres Königs, gewährt ihm keine Liebe oder Nachkommen.

Dank eines verräterischen Lutins gelingt es den Ordensrittern, eine Seeverbindung zwischen der Menschenwelt und der Albenmark herzustellen. Die Flotte des Blutbaums greift unter Lucs und Honorés Führung überraschend Vahan Calyd an, zur Zeit der jährlichen Krönungszeremonie Emerelles, um mit ihrem Tod das Schicksal des Fjordlands und der Albenmark zu besiegeln.

_Der Autor_

Bernhard Hennen (* 1966) studierte Germanistik, Geschichte sowie Vorderasiatische Altertumskunde und lebt mit seiner Familie in Krefeld. Er machte sich bereits mit seiner |Elfen|-Trilogie („Die Elfen“, „Elfenwinter“, „Elfenlicht“) einen Namen und stürmte mit ihr die Bestsellerlisten. Davor schrieb er DSA-Romane, unter anderem mit Wolfgang Hohlbein. Seine Spezialität ist die Kenntnis nordischer Mythologie, auf deren Grundlage er die Albenmark und ihre Völker erschuf, in die sich allerdings auch einige Kentauren verirrt haben. So sind seine Elfen aufgrund derselben Grundlage denen Tolkiens zwar ähnlich, aber doch anders und sehr differenziert dargestellt.

Mit der |Elfenritter|-Trilogie ändert er den Fokus der Erzählung; aus der Sicht der elfenfeindlichen Ordensritter der Tjuredkirche erzählt er die Geschichte der tragischen Liebe zwischen zwei vermeintlich natürlichen Feinden, Gishild, der Prinzessin des Fjordlands, und Luc, Mitglied einer geheimen Bruderschaft innerhalb des Ordens, die sich dem Tod aller Alben verschworen hat.

_Nicht kleckern, sondern klotzen …_

… hat sich Bernhard Hennen gedacht, als er seine |Elfenritter|-Trilogie fortsetzte. Die Befreiung Gishilds ist eine Schlacht mit epischen Qualitäten. Sie erinnerte mich fast an ein modernes Luftlande-Unternehmen: Adler steigen von zu „Trägern“ umgebauten Elfenschiffen auf, greifen von kleinen Blütenfeen markierte Ziele an und bombardieren mit in der Art von Streubomben abgeworfenen Stahldornen die Ordensritter, während Ollowain und Tiranu sich eine widerspenstige Gishild schnappen. Doch die Befreiung endet tragisch, viele Elfen werden eingekesselt und können nicht mehr entkommen. Man kann sagen, Bernhard Hennen habe die „Brücke von Arnheim“ der Fantasy-Literatur geschaffen.

Das zweite Highlight – für die weniger blutrünstigen Fantasy-Leser – stellt die Rückkehr Gishilds ins Fjordland dar. Sie ist eine Fremde in ihrer eigenen Heimat, in der sich nicht jeder darüber freut, dass sie zurückgekehrt ist. Ihr von Natur aus widerspenstiges Wesen, gepaart mit der Erziehung durch die Ordensritter und für ihr Volk zu modernen Ansichten, schafft ihr viele Feinde, trotz aller militärischen Erfolge beim Kampf um Drusna. Wie sie sich dennoch durchsetzt, ist sehr spannend inszeniert – auch im Fjordland weht ein rauer Wind.

Ebenfalls sehr gelungene Nebenhandlungen sind weitere Streitigkeiten der Neuen Ritterschaft mit dem älteren Orden des Aschenbaums, bei denen Lilianne ihre Gerissenheit erneut unter Beweis stellen kann. In diesem Zusammenhang fallen die Städtenamen „Marcilla“ und „Cadizza“, ebenso die Provinz „Equitania“, die berühmt für ihre Pferdezucht ist. Noch gibt es keine Karte des Fjordlands, aber die Namensgebung legt nahe, dass Hennen sich stark an der realen Europakarte orientiert; in diesem Fall könnte man das Fjordland vermutlich mit Norwegen gleichsetzen. Im Umschlag findet sich diesmal eine schöne Risszeichnung von Lucs Galeere |Nordstern|, bei der sich alle „Bronzeschlangen“ (gleich Kanonen) im Bug befinden, gleich neben dem Pulvermagazin. Bei dieser Bauweise verwundert es, dass eine im Buch explodierende fehlerhafte Kanone nicht gleich das ganze Schiff vernichtet hat. Aber Schwamm drüber, die Risszeichnung ist eine tolle Idee – ich hoffe, in weiteren Bänden mehr davon zu sehen.

Interessant ist in diesem Band der Wandel Lucs: Seine Zweifel schwinden, Honoré zieht ihn auf seine Seite. Dass gerade Honoré wenig honorabel vorgeht – er nimmt den Tod seines Vorgängers als Primarch billigend in Kauf -, warnt den Leser vor dem blinden Vertrauen, das Luc seinem Meister entgegenbringt. Auch hier hatte ich eine Assoziation zu moderner Popkultur: „Star Wars“ lässt grüßen. Honoré wäre demnach der Imperator, Luc analog zu Luke/Anakin Skywalker. Der mit einer nicht verheilenden, schwärenden Wunde geschlagene und dennoch lebende Honoré ist ein knackiger Bösewicht, der raffiniert mit jeder erdenklichen List und Tücke arbeitet. Kaum zu glauben, wie überraschend positiv sich dieser Charakter entwickelt hat; er dürfte noch für viel Kurzweil und ebenso viel Unheil sorgen.

Bei all den Highlights gibt es leider jedoch auch Schatten. Einiges wirkt mir zu arg konstruiert. So wird Luc erneut getestet; hätte man das nicht schon im ersten Teil tun können – wie lange zweifelt man eigentlich noch an seiner Gabe? Hier hätte ich ein Inquisitionstribunal nach den Regeln des Hexenhammers erwartet. Doch was folgt, ist eher simpel und enttäuschend; im selben Moment gewinnt man als Abfallprodukt noch einen Verräter, der den Schlüssel zum Eintritt in die Albenmark darstellt. Primarch Leon befindet in Hochstimmung, in dieser Nacht habe sich alles gefügt. Ja, hier hat sich wirklich alles gefügt: Gishild bettelt für Luc, Luc vertraut der geheimen Bruderschaft und alles läuft bestens. Hier hat Hennen es sich etwas einfach gemacht, andererseits erlaubt diese Schlüsselszene eine flotte Weiterführung der Handlung.

Doch am übelsten stieß mir die Fortsetzung des grausamen „Murmeltiereintopfs“ auf. Silwyna musste sterben, damit Gishild nicht vorzeitig gerettet wird. Nun muss man sie, terminlich passend zur Hochzeit, wieder befreien, zu einem Zeitpunkt, als sie genug Ordensritter geworden ist, um bei der Rückkehr ins Fjordland massiv Probleme zu bekommen. Damit Gishild gerettet wird, findet Fürst Tiranu zufällig Silwynas Rapier bei einem erschlagenen Soldaten. Er nimmt den Kopf der Leiche mit zu der Trollschamanin Skanga, die den Toten befragen soll. Der Zauber geht schief, Skanga schreit Tiranu zu, es sei nicht der Tote, der spricht, sondern ein böser Zauber. Tiranu findet sich in der Menschenwelt wieder, wo die magisch perfekt konservierte Leiche Silwynas auf die in Stein geritzten Worte „Gishild“ und „Valloncour“ deutet. Was soll das denn? Entweder hat hier der Devanthar oder eine andere höhere Macht geschickt manipulierend eingegriffen, oder es handelt sich um einen mit viel Brimborium aufgeblasenen Weg, einen Stichwortgeber zur rechten Zeit wieder ins Spiel zu bringen.

_Fazit_

Trotz der genannten recht konstruiert wirkenden Wendungen ist „Die Albenmark“ durch und durch gelungen. Das liegt vor allem an den starken Charakteren und der zügigen Handlungsführung. Hier gibt es keinen Leerlauf, dafür viele verschiedene Charakterperspektiven und auch eine gehörige Portion Humor. Bernhard Hennen nimmt selbstironisch seine eigenen Charaktere auf die Schippe; so sagt Skanga zu Yulivee: |“Yulivee. Du hast die Seelen der Dschinne befreit, nicht wahr? Ich habe auch gehört, dass du manchmal im Grasmeer des Windlands sitzt und dich mit Schmetterlingen unterhältst. Hast du dir vielleicht einmal irgendwo sehr hart den Kopf gestoßen?“| (S. 199).

Auffallend waren viele Referenzen an die Popkultur in Personenkonstellationen und Handlungsmustern; ich hoffe, diese werden im Folgeband etwas reduziert, denn zu viele davon würden stören und sind bei so starken Charakteren und überzeugender Handlung ohnehin nur das i-Tüpfelchen, und davon reicht eines bekanntlich aus. Nebenher führt Hennen elegant noch ein neues Volk ein, von dem wir im Juli in dem nicht zu dieser Trilogie gehörenden Roman „Elfenlied“ mehr erfahren werden. Leser der |Elfenritter|-Trilogie müssen sich bis Dezember 2008 gedulden, wenn der Abschlussband „Das Fjordland“ erscheinen wird.

http://www.heyne.de
http://www.bernhard-hennen.de/

Die |Elfen|-Trilogie:
Band 1: [Die Elfen 2169
Band 2: [Elfenwinter 2185
Band 3: [Elfenlicht 3505

Scalzi, John – Geisterbrigaden

In einer fernen Zukunft verteidigen alte und kranke Rentner die Kolonien der Menschheit gegen unzählige außerirdische Rassen, die mit der Kolonialen Union (KU) im ständigen, blutigen Konflikt um die wenigen bewohnbaren Welten liegen, in einer Galaxis in der Grenzen genauso flexibel sind wie die Moralvorstellungen ihrer Bewohner. Die lebenserfahrenen, aber körperlich alten und kranken Rekruten der Kolonialen Verteidigungsarmee (KVA) hoffen auf eine Verjüngung, wie sie in den Rekrutierungsbüros der KVA auf der Erde versprochen wird. Doch ihr Bewusstsein wird in geklonte Alien-Mensch-Hybridkörper ihrer Selbst mit grüner Haut – stärker, schneller und robuster – transferiert. Bis zum Ende ihres Dienstes, an dem sie wählen können, ob sie auf einer der Kolonien der Menschheit in einem nicht-aufgerüsteten Normalkörper leben wollen. Bis dahin müssen sie sich den Feinden der Menschheit zum Gefecht stellen.

Einige Freiwillige sterben, bevor der Bewusstseinstransfer in den neuen Körper vollzogen werden kann. Ihre Körper dienen der KU als Basis für genetische Experimente, aus denen die |Geisterbrigaden| genannten Spezialeinheiten hervorgehen. Ihre Körper werden aus der DNA der Toten hergestellt, tiefgreifender modifiziert, leistungsfähiger gemacht. Einige wenige sind so spezialisiert, dass ihr Körper keine menschliche Form mehr besitzt. Die Spezialeinheiten haben keinen Bewusstseinsspender. Wenn sie zum Leben erweckt werden, sind sie Kinder, die unheimlich schnell lernen, dank des wie bei allen KVA-Angehörigen im Gehirn implantierten |BrainPals|, eines Minicomputers. Doch die Vernetzung ist weit fortgeschrittener und umfassender als bei normalen Soldaten. Er formt, entwickelt und indoktriniert das junge Bewusstsein. Zu einem Zweck: um mit ihren überlegenen Fähigkeiten Dinge zu tun, die kein |normaler| Mensch könnte. Um Dinge zu tun, die kein |Mensch| mit einem Gewissen tun würde …

Doch die stärksten Krieger der Menschheit erleiden in letzter Zeit verheerende Niederlagen, Raumschiffe der Spezialeinheit verschwinden spurlos. Bis Jane Sagan im Verhör von einer Allianz gegen die Menschheit erfährt. Drei außerirdische Spezies haben sich verbündet – mit einem Menschen: Dr. Charles Boutin. Niemand weiß, was Boutin zum Verräter an der Menschheit gemacht hat. Der Spezialist für Bewusstseinstransfer und BrainPal-Software hat an seiner Stelle einen Boutin-Klon sterben lassen, um seine Desertation zu tarnen. Doch man findet noch etwas, das man bislang für unmöglich gehalten hat: ein gespeichertes Bewusstsein – vermutlich das von Charles Boutin. Da Boutin offiziell für tot erklärt wurde, überstellt man seine Gene der Spezialeinheit, die daraus einen Klon Boutins erschafft, in dem das gespeicherte Bewusstsein transferiert wird.

Doch aus dem geplanten Verhör wird nichts. Zwar gelingt der Transfer, doch das erwachende Bewusstsein ist nicht perfekt. Jared Dirac besitzt Züge der Persönlichkeit Boutins und Erinnerungsfragmente, was den Generälen Mattson und Szilard jedoch nicht weiterhilft. Ähnlich wie ein Amnesiepatient wird er auf eine Reise in die Vergangenheit geschickt, starke Reize wie Kampfeinsätze oder Erinnerungsgegenstände von Boutins toter Tochter Zoë sollen ihn dazu anregen. Jared Dirac erinnert sich, kommt dem Verräter an der Menschheit und seinen Motiven allmählich auf die Spur – und wird ihm immer ähnlicher …

_Der Autor_

John Scalzi (* 10.05.1969, Kalifornien) begann seine Karriere in der Blogger-Szene. [„Krieg der Klone“ 3677 (im Original: „Old Man’s War“) erschien bereits 2002 in Fortsetzungen im Blog seiner Website, bis Patrick Nielsen Hayden, Senior Editor von |Tor Books|, auf ihn aufmerksam wurde. Womit dieser ein ausgezeichnetes Gespür bewiesen hat: Scalzis Debüt war gleichzeitig auch sein Durchbruch, das Buch verkaufte sich in den USA ausgezeichnet und kam bei den Lesern gut an.

Als Sahnehäubchen wurde es 2006 mit dem |John W. Campbell Award| ausgezeichnet und für den |Hugo Award| nominiert. Scalzis „Krieg der Klone“ musste gegen Werke etablierter Autoren wie George R. R. Martin, Charles Stross und Ken MacLeod antreten, und sich nur dem überragenden [„Spin“ 2703 von Robert Charles Wilson geschlagen geben.

_Ein Plädoyer für Entscheidungsfreiheit_

Mittlerweile ist Scalzis Universum rund um die Koloniale Union auf drei Romane („Krieg der Klone“, „Geisterbrigaden“ und „Die letzte Kolonie“ (erscheint im Juni 2008)) und eine Novelle („The Sagan Diary“) angewachsen, gleichzeitig hat er sich weiterentwickelt, weg von den Sternenkriegern à la Altmeister Heinlein. Ein vierter Roman, „Zoe’s Tale“, wird gegen Ende 2008 erscheinen. Die im ersten Band nur sehr leise angedeutete Kritik an der Politik und den Methoden der Kolonialen Union wird insbesondere in „Die letzte Kolonie“ erneut aufgegriffen und Heinleins imperialistische Ideologie durch postmoderne Ideen ersetzt.

Ursprünglich erwartete ich mehr über Jane Sagan zu lesen, doch der Boutin-Klon Jared Dirac ist die Hauptfigur von „Geisterbrigaden“. Zwar geizt Scalzi nicht mit actionreichen Einsätzen der Spezialeinheit, doch der Fokus liegt ganz klar auf dem Verhältnis zwischen den geklonten Frankenstein-Kindersoldaten der Spezialeinheit und dem Rest der Menschheit. Zusätzlich ist der Roman auch eine Detektivgeschichte; neben Jareds Persönlichkeitsproblemen (Bin ich Jared Dirac oder Charles Boutin?) führt Scalzi den Leser zurück in Boutins Vergangenheit, beginnend bei einer Lakritzschnecke, die Erinnerungen und Trauer um Zoë in Jared weckt, eine Tochter, die er nie gehabt hat. So kommt man nach und nach den Motiven Boutins auf die Spur, kann seinen Hass auf die Koloniale Union nachvollziehen. Diese bevormundet die Menschheit, behält ihr wichtige Informationen vor und ist keineswegs nur der Beschützer vor den brutalen Aliens, sondern auch selbst Aggressor und hat einen Großteil ihrer Probleme selbst verschuldet.

Besonders gut gelungen ist Scalzi der Konflikt in Jared Dirac. Als eine |Tabula Rasa| wird er mit einem Minimalbewusstsein in die Welt geworfen und dazu gezwungen, jemand zu werden, der er nicht ist. Eingeweihte, die um seine Geschichte wissen, wie Jane Sagan, begegnen ihm als potenziellen Verräter mit Misstrauen. Unterstützung erfährt er ausgerechnet von Boutins ehemaligem Assistenten und einem gefangenen Alien, die ihm zum ersten Mal in seinem Leben vor die Wahl stellen: Willst du weiter Boutins Spur folgen, mit allen möglichen Konsequenzen, oder nicht? Sie sind die Ersten, die Jared als eigenständige Person respektieren. Im Vergleich zu seinen Gefährten von der Spezialeinheit besitzt Jared einen ausgeprägten Eigensinn, ebenso einen gewissen Sinn für Humor. Dieser ist bei den bereits vor dem Erwachen des Bewusstseins konditionierten Spezialsoldaten sonst eher gering ausgeprägt. Dennoch schildert Scalzi auch die von den Normalgeborenen oft misstrauisch beäugten Klonsoldaten als eigenständige Persönlichkeiten. So besitzt Jareds bevorzugte Geliebte Sarah Pauling einen Sinn für Humor, während Steve Seaborg ein humorloser, eher eifersüchtiger und hinterhältiger Typ ist, der schließlich doch noch mit dem in den Augen der Spezialeinheiten spürbar „anderen“ Jared zurecht kommt. Insbesondere die Textpassagen mit Lieutenant Cloud und Jared Dirac über das etwas andere Humorverständnis der Spezialeinheit und dessen Hintergründe sind in Scalzi-Manier humorvoll, leicht und zugleich tiefsinnig.

_Fazit:_

„Geisterbrigaden“ ist ein gelungener Mix aus actionreicher Science-Fiction, Detektivgeschichte/Krimi, abgemischt mit viel Humor und dennoch tiefsinniger und abwechslungsreicher als „Krieg der Klone“. Die Hauptfigur Jared Dirac ist ein tragischer Held, der Humors Scalzis ist noch genauso trocken, ironisch und erfrischend wie in „Krieg der Klone“, aber auch hier hat er sich gesteigert: Allzu platte, klischeehafte Schenkelklopfer kommen nicht mehr vor. Zudem geht er mehr in die Tiefe, bei komplexeren und düsteren Themen, die er zuvor nur angerissen hat, wie der Ausbeutung der Spezialeinheiten, aber auch der zwielichtigen Rolle der Kolonialen Union. Interessant ist es auch, ab und an über Aktionen der Spezialeinheit aus Sicht der Aliens zu lesen, was dem Buch eine faszinierende neue Perspektive gibt, gerade weil Scalzi den Leser überrumpelt und man die Aliens anfangs oft für Menschen hält, was überrascht und zudem zur Reflexion anregt. Als Schwächen fielen mir nur einige Brüche in der Logik auf: Dass Boutin einen Groll auf die KU hegt, ist nachvollziehbar, der Verrat an der ganzen Menschheit jedoch nicht. Ebenso wenig, warum er eine Bewusstseinskopie zurückgelassen hat. Dieser Zusammenhang, den ich hier nicht vorwegnehmen möchte, wirkte ziemlich konstruiert auf mich. Ebenso unbefriedigend war die Begründung, warum der Boutin-Klon Dirac das Bewusstsein Boutins nicht vollständig angenommen hat – bei den KVA-Klontransfers geschieht prinzipiell nichts anderes.

Das hält mich jedoch nicht von einer uneingeschränkten Kaufempfehlung ab. Humor, Action und trotzdem gehaltvoll – John Scalzi weiß, wie man den Leser unterhält. Das scheint sein Markenzeichen zu werden, denn ohne zu viel verraten zu wollen: Auch der erst 2008 in Übersetzung erscheinende Band „Die letzte Kolonie“ hat mich im Original überzeugen können. Die Übersetzung von Bernhard Kempen verdient ebenfalls ein Lob; er hat den Humor und Stil Scalzis hervorragend ins Deutsche übertragen.

|Originaltitel: The Ghost Brigades
Übersetzt von Bernhard Kempen
Taschenbuch, 432 Seiten|
http://www.scalzi.com/
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Baxter, Stephen – Eroberer (Die Zeit-Verschwörung 2)

|Die Zeit-Verschwörung|:
Band 1: [„Imperator“ 3516
Band 2: _“Eroberer“_
Band 3: „Navigator“ (2008)
Band 4: „Weaver“ (2008/09)

Britannien, im Jahre 607 nach Christus: Der Halleysche Komet zieht über den blassen Himmel über London und erschreckt die Sachsen, die sich über die Hinterlassenschaften der Römer hermachen und das Land in Besitz nehmen. Der junge Sachsenkrieger Wuffa erfährt von einer uralten Prophezeiung, dem Menologium der Isolde, die der „der letzte Römer“ genannte Ambrosias im Norden bewahrt. Dieser teilt die Prophezeiung mit ihm und seinem Freund Ulf sowie Sulpicia, einer hübschen Britannierin, die sie zu Rivalen um ihre Gunst macht.

Die Prophezeiung erschreckt ihn, denn Teile davon sind anscheinend bereits eingetreten: Der Wolf des Nordens, der den Bären erlegt, muss sich auf die Sachsen und Nordmänner beziehen, die König Artus besiegten. Doch was ist die Insel, die doch nicht Insel ist, Schild und doch nicht Schild? Was sind die Drachenklauen aus dem Osten, welches Blut mischt sich, welcher Drache muss das Haupt neigen?

Bis hin ins Jahr 1066, dem Datum der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer, reicht die Prophezeiung. Doch hier versagt die Prophezeiung des geheimnisvollen „Webers“ zum ersten Mal – das zehntausendjährige „Arierreich reinen Blutes aus dem Norden zu Christi Ruhm“ entsteht nicht, Wilhelm ist 1066 siegreich in der Schlacht von Hastings. So sinnieren der Wikinger Orm und der Priester Sithric bei der Krönung Wilhelms: |“Das hier ist falsch. Wir sind in der falschen Zukunft, mein Freund. Und nun werden wir sie nicht mehr los.“ „Hätte es denn anders kommen können?“ „Du warst doch dabei, Wikinger. Du weißt, wie wenig gefehlt hat …“|

_Stephen Baxter_

Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch dem deutschen |Kurd-Laßwitz-Preis| ausgezeichnet.

Doch Baxter ist kein Technomane, er ist vielmehr ein Visionär. Er scheut sich nicht, Handlungsbögen aus tiefster Vergangenheit über die Gegenwart bis hin in die ferne Zukunft zu schlagen, wie er es bereits in seiner |Kinder des Schicksals|-Trilogie getan hat.

Dies tut er auch in der |Zeit-Verschwörung|, die ich treffender dem Genre Alternate History denn der Science-Fiction zuordnen möchte. Das Zeitalter der Römer in Britannien und seinen Niedergang behandelte er im ersten Band, in „Eroberer“ zeigt er den Aufstieg und Fall der germanischen und nordischen Stämme. Dabei macht er die Schlacht bei Hastings 1066 als den Dreh- und Angelpunkt der Prophezeiung fest; Harold Godwinson hat es in der Hand, die Prophezeiung des Webers zu erfüllen und die Tür für die prophezeite zehntausendjährige glorreiche nordische Zukunft Britanniens aufzustoßen. Doch der Normanne Wilhelm siegt, der Plan des ominösen „Webers der Zeit“, von dem die Prophezeiung stammt, erfüllt sich nicht. Oder etwa doch?

_Britannische Geschichte häppchenweise_

Das Menologium der seligen Isolde gibt verschlüsselt Auskunft über bedeutende geschichtliche Ereignisse. Anhand der Wiederkehr des Halleyschen Kometen werden exakte Datumsangaben gemacht, zum Beispiel über das Jahr der Plünderung von Lindisfarne durch die Wikinger. Das sorgt für einen sehr episodischen Charakter des Buchs; mit Ausnahme der abschließenden Episode um Wilhelm den Eroberer sind die anderen eher kurz gehalten. So wechseln sich die Hauptcharaktere recht schnell ab; interessanterweise fallen ihre Nachkommen wie bereits im Vorgänger der Sklaverei anheim, können aber dennoch die Prophezeiung bewahren und weitergeben. Besondere Sympathien für die Handlungsträger können sich so leider nicht entwickeln, dafür wird man mit einer kurzweiligen Rundreise quer durch Höhepunkte der britannischen Geschichte verwöhnt, die Baxter sorgfältig recherchiert hat.

Nach wie vor bleiben jedoch die Motive des „Webers“ im Dunklen. Das großartige britannische Reich der Zukunft unter Harold Godwinson ist gescheitert, Wilhelm regiert jetzt das Land. Die Prophezeiung fällt einem maurischen Sklaven in die Hände, der sie nach Spanien bringt, wo der nächste Band des Zyklus („Navigator“) zum ersten Mal außerhalb Englands spielen wird, mit Kolumbus‘ Entdeckung der Neuen Welt als zentralem Thema. Es stellt sich jedoch, insbesondere für Science-Fiction-Leser, die Frage, ob hier nicht Etikettenschwindel betrieben wird. Für einen Thriller reicht der mysteriöse „Weber“ im Hintergrund nicht aus, Science-Fiction-Elemente sind auch nicht vorhanden, stattdessen liefert Baxter einen reinrassigen historischen Episodenroman.

_Fazit:_

Quo vadis, Baxter? Die Prophezeiung entspricht exakt den historischen Tatsachen, Überraschungen gibt es keine. Auch der Grad der Beeinflussung der Hauptcharaktere durch die Kenntnis der Prophezeiung wird in diesem Buch im Unterschied zu „Imperator“ nicht thematisiert, gewisse Elemente wie der Abstieg in die Sklaverei und die Bewahrung der Prophezeiung trotz aller Widrigkeiten hingegen wiederholen sich.

Im Vergleich zum Vorgänger bietet Baxter nichts Neues, die Charaktere sind weniger memorabel und bis auf die Wilhelm-Episode erzählt er auch kaum eine eigene Geschichte, sondern käut nur bekannte Historie wieder. Das ist mir einfach zu wenig. Baxter scheint erpicht darauf zu sein, ein kleines bisschen historischen Roman in jeder Epoche der britannischen Geschichte unterzubringen, wirklich interessante Aspekte wie einen möglichen Sieg Harold Godwinsons bei Hastings, was diesen Roman zu einer Alternate History Novel machen würde, verkneift er sich jedoch. Im Genre des historischen Romans muss sich Baxter jedoch mit anderen Autoren messen, denen er mit diesen von einer Prophezeiung zusammengehaltenen historischen Episoden-Häppchen meiner Ansicht nach, trotz vorzüglicher Recherche, nicht das Wasser reichen kann. Und alleine diese reicht bei weitem nicht aus, diese Serie als Science-Fiction zu klassifizieren. Hoffentlich lässt der „Weber“ im nächsten Band ein wenig mehr von seinen Absichten erkennen – das Episoden-Schema alleine kommt nicht über Mittelmaß hinaus.

Einzig die Übersetzung (insbesondere der Prophezeiung, unter Beibehaltung des Akrostichons) verdient ein Extralob: Peter Robert leistet, mittlerweile fast schon wie gewohnt, exzellente Arbeit.

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Wilson, Robert Charles – Quarantäne

Spätestens seit sein Roman „Spin“ im Jahr 2006 den |Hugo Award| gewann, ist der 1953 in Kalifornien geborene Robert Charles Wilson auch in Deutschland in aller Munde; der direkte Nachfolger „Axis“ erscheint im April 2008 in deutscher Übersetzung. Als „Das neue phantastische Abenteuer vom Autor des Bestsellers ‚Spin'“ wird „Quarantäne“ etwas zu vollmundig auf dem Buchrücken angepriesen, auch in der Gestaltung des Umschlagbildes zeigt man sich sichtlich von diesem inspiriert. Hingegen handelt es sich nur um die Übersetzung des bereits 2003 erschienen Romans „Blind Lake“, der immerhin für den |Hugo| 2004 nominiert war, sich aber nicht gegen Lois McMaster Bujolds [„Paladin der Seelen“ 973 durchsetzen konnte.

Die Handlung von „Blind Lake“ / „Quarantäne“ lässt sich schnell zusammenfassen; sie teilt sich in einen eher geringen Science-Fiction-Anteil und ein weitaus größeres Beziehungsdrama, das durch die Quarantäne der im Norden Minnesotas am namensgebenden Blind Lake gelegenen Forschungsstation verschärft wird. Dort beobachtet die Xenobiologin Marguerite Hauser eine fremde (als „das Subjekt“ bezeichnete) Lebensform auf UMa47/e. Das „Auge“ genannte Gerät besteht aus drei heliumgekühlten Zylindern, in denen sich Einstein-Bose-Kondensate befinden. Diese Quantencomputer wurde ursprünglich eingesetzt, um Rauschen und Verzerrungen des Galileo-Arrays (ein Riesenteleskop im Orbit um den Jupiter) auszugleichen, was sie mit unheimlicher Brillanz zu leisten vermochten. Eines Tages schaltete man das Array ab – und die um eine organische Komponente angereicherten O/BEK genannten Quantencomputer lieferten trotzdem noch perfekte Bilder ferner Welten. Wie das funktioniert, bleibt ein Rätsel, niemand versteht die O/BEKs wirklich, dennoch nutzt man sie, um ferne Welten zu beobachten. Man hat es sogar geschafft, das „Auge“ darauf zu trainieren, dem von Marguerite beobachteten Subjekt zu folgen.

Urplötzlich wird Blind Lake unter Quarantäne gestellt, niemand erfährt wieso. So wird der aufgrund eines kritischen Artikels zu Unrecht in Verruf geratene und verbitterte Journalist Chris Carmody mit Marguerite Hauser, ihrer Tochter Tess und ihrem tyrannischen, fiesen und paranoiden (ja, ein Unsympath, wie er im Buche steht …) Ex-Mann Ray Scutter, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist, eingeschlossen. Ray ist jedes Mittel recht, Marguerite zu verunglimpfen, um Punkte im schwelenden Sorgerechtstreit um Tess zu sammeln. Diese bereitet ihrer Mutter Sorgen, denn sie sieht wieder „Mirror Girl“, ein Spiegelbild ihrer selbst, das mit ihr redet und sie seltsame Dinge tun lässt. Deswegen war sie schon einmal in psychologischer Behandlung – für Ray der Beweis, dass Marguerite sich mehr um das außerirdische „Subjekt“ kümmert als um ihre Tochter. Mit zunehmender Dauer der Quarantäne entwickelt sich Chris zum Ersatzvater für Tess, es knistert zwischen ihm und Marguerite, was den überreizten Ray zur Weißglut bringt.

_Zu viel Quarantäne-Thriller, viel zu wenig Science-Fiction_

Von Wilson bin ich ein Übermaß an Ideen und scharfsinnigen Beobachtungen gewohnt, wie in den [„Chronolithen“ 1816 oder in „Spin“, bei denen das persönliche Schicksal der Helden eng mit der Handlung verbunden ist. Doch „Quarantäne“ bricht mit diesem Schema und setzt andere Schwerpunkte. Der Science-Fiction-Anteil ist geradezu erbärmlich, die auch von Wilson verständlicherweise kaum erklärten, O/BEKs genannten „Quantencomputerteleskope“, mit denen man Aliens sogar auf der Toilette beobachten kann, werden bei weitem nicht so sehr genutzt, wie der Klappentext reißerisch mit „Lebewesen, die eines Tages bemerken, dass sie beobachtet werden – und sich erheblich gestört fühlen …“ suggerieren möchte. Das „Subjekt“ hat einen festen und sehr langweiligen Alltagsrhythmus, zudem beobachtet Wilson nicht die Aliens oder kümmert sich darum, wie diese Beobachtung funktionieren könnte. Er zielt darauf ab, dass Menschen mit Geräten herumspielen, die sie nicht im Geringsten verstehen, und beobachtet stattdessen das Verhalten verschiedener Charaktere in Extremsituationen, wie eben einer unbegründeten Quarantäne; etwas Ähnliches hat er in größerem Maßstab bereits in den „Chronolithen“ getan.

Der Roman ist eher aufgebaut wie ein Thriller – wie und was beobachtet wird, worum es überhaupt geht und warum Chris Carmody von vielen Wissenschaftlern wie ein Aussätziger behandelt wird, das wird alles erst nach und enthüllt. Vielleicht etwas zu langwierig, denn ich konnte dem Beziehungsdrama um Marguerite, Ray, Chris und Tess wenig abgewinnen und wartete vergeblich auf einen Schwenk in Richtung Science-Fiction. Obwohl die Charaktere relativ glaubwürdig gezeichnet werden, wirken sie schablonenhaft; insbesondere Ray wird von vorneherein als unsympathischer Mensch mit Hang zur Paranoia dargestellt. Tess und „Mirror Girl“ stellen das Element des Unheimlichen in dieser Dreiecksbeziehung dar, denn Letztere ist, wie unschwer zu vermuten, mehr als nur das Phantasieprodukt eines Kindes.

Die Übersetzung ist Karsten Singelmann insgesamt sehr gut gelungen; Wilsons recht schlichter und umgangssprachlicher Stil wurde perfekt in sein deutsches Äquivalent übertragen. Eine „muskrat“ wörtlich mit „Moschusratte“ anstelle von „Bisamratte“ zu übersetzen, sollte dennoch nicht passieren, hier hätte er ruhig einmal zum Wörterbuch greifen sollen.

_Fazit:_

„Quarantäne“ ist ein gut gelungener Thriller mit nur sehr wenigen SciFi-Elementen. Für Wilson untypisch, können die Charaktere in der Regel überzeugen und erregen Anteilnahme, mit Ausnahme des überzeichneten Ray Scutter. Leider geht in dem Beziehungsdrama der ohnehin geringe und sehr magere Science-Fiction-Anteil der Geschichte völlig unter. Ein klarer Fall von Etikettenschwindel – wer einen Nachfolger von [„Spin“ 2703 oder ganz allgemein Science-Fiction erwartete, wird mit diesem Beziehungsthriller wenig Freude haben.

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_Robert Charles Wilson auf |Buchwurm.info|:_
[„Spin“ 2703
[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92
[„Bios“ 89

Abercrombie, Joe – Feuerklingen (The First Law 2)

Die |“The First Law“|-Trilogie:
Band 1: [Kriegsklingen 4190 (The Blade itself)
Band 2: _Feuerklingen_ (Before they are hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Die Lage für die Union spitzt sich dramatisch zu: Im Norden bedrängt König Bethod das Reich. Um den traumtänzerischen Kronprinz Ladisla ein wenig mehr Respekt bei der Bevölkerung zu verschaffen, will ihn Marschall Burr als Kriegsheld aufbauen und gleichzeitig an einen unbedeutenden Frontabschnitt versetzen und so aus dem Weg räumen, bevor er Unheil anrichten kann. Collem West wird zum Oberst befördert und der Aufpasser des Prinzen und inoffizielle Befehlshaber seiner Truppe. Logens Nordmänner schließen sich West an und entdecken Schreckliches: Bethod ist nahe und marschiert geradewegs auf Ladisla zu – der sich zum heldenhaften Kampf stellen will!

Im Süden übernimmt Superior Glokta die Befehlsgewalt in Dagoska. Eine riesige gurkhisische Armee rückt an, und in der Stadt wimmelt es nur so von potenziellen Verrätern. Sein Vorgänger Davoust verschwand eines Nachts spurlos, man geht davon aus, dass er getötet wurde. Doch wer hält die Fäden in der Hand? Die schöne Carlot dan Eider von der Händlergilde, der ehrgeizige Sohn des greisen Statthalters Vurms, der inkompetente General Vissbruck oder der käufliche, aber kompetente Söldnerführer Cosca? Zudem muss er die einheimische Bevölkerung, die von der herrschenden ausländischen Oberschicht diskriminiert wird, auf seine Seite ziehen, wenn er die Stadt halten will. Das scheint angesichts der Stärke des auf ihn zumarschierenden Heeres immer fragwürdiger, doch Erzlektor Sult besteht darauf, dass die Stadt unter allen Umständen gehalten wird. Glokta kommt den Verschwörern auf die Spur und erkennt, dass diese edlere Motive haben als das Königreich oder Sult.

Bayaz erreicht währenddessen Adua, die zerstörte alte Hauptstadt des von Juvens geschaffenen Kaiserreichs. Er will dort ein Artefakt bergen, mit dem er in den Krieg gegen Khalul ziehen kann, seinem Erzfeind und ebenfalls ein Magi-Schüler Juvens. Dieser verzehrt Menschenfleisch als Quelle seiner Macht und bricht somit das zweite Gesetz der Magie. Bayaz ist bereit, sich gegen das erste zu versündigen und ein Tor zur anderen Seite zu öffnen, nur um es mit ihm aufzunehmen. In Adua angelangt entdecken sie, dass die Stadt von den Schanka verseucht ist. Luthar erlebt seine erste Schlacht, ist völlig überfordert und wird schwer verletzt. Er lernt den Barbaren Logen zu schätzen, für den er zuvor wenig übrig hatte. Bayaz erzählt seiner Gruppe mehr über die glorreiche Vergangenheit und die Konflikte zwischen den Söhnen des göttlichen Euz und seinen Schülern. Khalul scheint jedoch nicht die einzige Gefahr zu sein, denn einige Nordmänner laufen zu der in Logens Abwesenheit von Dreibaum geführten Gruppe über, da sie die „Hexe“, dank deren Hilfe Bethod sich mit den Schanka verbünden konnte, fürchten.

_Der Autor_

Joe Abercrombie wurde 1974 in Lancaster geboren und studierte Psychologie an der Universität Manchester. Dort zeigte er einen recht ausgeprägten Spieltrieb, er liebt Würfel- und Computerspiele. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Barbaren Logen Neunfinger, die ihm jedoch selbst als etwas zu aufgeblasen erschien und schnell verworfen wurde. Schließlich zog Abercrombie nach London, um als Cutter in einem Post-Production-Studio zu arbeiten. Nach zwei Jahren verließ er das Studio und arbeitet seitdem freischaffend im selben Beruf. Im Jahr 2002, dank seiner freischaffenden Tätigkeit mit mehr Freiraum für andere Dinge, schrieb er erneut über die tragischen Abenteuer Logens. Im Jahr 2004 vollendete er „The Blade itself“, den ersten Band der „First Law“-Trilogie, die seit 2005 von |Gollancz| und seit kurzem von |Heyne| auch auf Deutsch verlegt wird. Der Erstling war zugleich sein Durchbruch und ein Erfolg auf der ganzen Linie: Die Serie wird bereits in acht Ländern in sieben verschiedenen Sprachen vertrieben.

_Ein Königreich in Nöten_

Die Bedrohung der Union gewinnt durch die Beteiligung der Magi an den verschiedenen Fronten eine ganz neue Dimension, allerdings ist auch ohne diese verdeckte Bedrohung die Lage bereits kritisch. Ohne zu viel verraten zu wollen: Kronprinz Ladisla wird vernichtend geschlagen und muss mit den Nordmännern und West flüchten, der ihn zähneknirschend gegenüber dem berechtigten Spott der Nordmänner verteidigen muss. Wie wird das nur enden?

Glokta muss sich von einem reichen Bankhaus bestechen lassen, will er seinen Befehlen nachkommen und Dagoska verteidigen. Dafür wird er für die Zukunft um einen „Gefallen“ gebeten. Im Spiel um die Macht wird er erneut zur Figur. Seine Ermittlungen in Dagoska ergeben, wie nutzlos die Stadt für das Reich ist und welch verheerende Folgen Widerstand gegen Gurkhul für die Stadt hätte. Zumal die Gurkhisen anscheinend auch noch ehrlichen gemeinten Frieden anbieten, im Austausch gegen Dagoska. Doch obwohl dies im Sinne der Union wäre, torpedieren einige Gruppen insgeheim diesen Frieden …

Dank des recht pathetisch die Größe der Vergangenheit preisenden Bayaz, was sowohl bei seinem Lehrling als auch bei Ferro und Logen für Belustigung sorgt, erfährt der Leser einige interessante Details, die den Konflikten eine ganz neue Dimension und Bedeutung geben. Bayaz wird leider so gut wie nichts gelingen, der mächtige Magi steht schon bald ziemlich ratlos da.

Joe Abercrombie spinnt seine Geschichte geschickt weiter; ich habe einige entscheidende Details wie das Schicksal von Prinz Ladisla, das intrigante Bankhaus, Khalul oder die „Hexe“ im Dienste Bethods nur am Rande erwähnt. Wie sich diese Geschichten entwickeln, zeigt erneut Abercrombies große Kunst, den Leser stets im Ungewissen zu lassen. Man kann nie sicher sein, wie sich die Dinge entwickeln werden, besonders Bayaz muss gehörig improvisieren und umplanen. Das macht Abercrombies Welt so lebendig. Negativ fällt mir mittlerweile das Fehlen einer Karte Anglands auf, da die Handlung aufgespalten auf viele weit voneinander entfernte Orte ist, die ich nur noch mit Mühe geographisch zuordnen kann. Obwohl Abercrombie die Weichen für den dritten Band stellt und vieles enthüllt, kann man dennoch keine Vorhersagen über die zukünftige Handlung machen, was sich langsam zu seinem Markenzeichen zu entwickeln scheint. Das ist neben den ausgefeilten Charakteren seine große Stärke.

_Fazit:_ Die Handlung wird immer komplexer, man erhält neues Wissen und so wesentlich mehr Durchblick über das große Ganze als im ersten Band, dennoch bleibt sie unvorhersehbar – Respekt! Auch die Charaktere entwickeln sich in sehr positiver Weise weiter. Abgesehen von der zickigen Ferro, mit der ich nie so richtig warm werde, zeigt sich das besonders bei Glokta und Luthar. Insbesondere bei Glokta könnte ich mir eine Abwendung von Erzlektor Sult im letzten Band vorstellen, während Luthar ordentlich seine Hofschranzen-Attitüden ausgetrieben worden sind. Aber auch der mittlerweile zum Oberst beförderte West hat beträchtlich an Profil und Charakter gewonnen und wird zu einer zentralen Figur im Kampf gegen Bethod. Bis auf das schmerzliche Fehlen einer Karte habe ich an „Feuerklingen“ nichts auszusetzen; wer im ersten Band eine klare Linie vermisste, wird jetzt nicht mehr ganz so arg im Dunkeln gelassen, ohne dass Abercrombie vorhersehbar würde, was mir sehr gut gefällt.

In seinem Blogeintrag vom 12. September schreibt Joe Abercrombie übrigens über „Feuerklingen“ und gibt ein paar interessante Gedanken zur deutschen Fassung und Fantasy im Allgemeinen zum besten: |“The slightly-abstract-titles-derived-from-quotes approach evidently doesn’t work for our cousins across the channel. (…) The Germans have gone stripped-down and ready for battle with Kriegsklingen, Feuerklingen, and I don’t know what they’re planning to call Last Argument of Kings, but I bet it’s got Klingen on the end of it. Not enormously closely related to the content, but looking at titles and covers of current German fantasy series, there does seem to be a trend over there for these simple, punchy, repetitive series titles and these dark, graphicy covers. A linguistic thing? A cultural thing? Who knows, but one can only assume that the publishers know their own markets, and brand their products accordingly …“|

|Originaltitel: Before they are hanged
Übersetzt von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman
Paperback, 800 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de/

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Abercrombie, Joe – Kriegsklingen (The First Law 1)

Die |“The First Law“|-Trilogie:
Band 1: _Kriegsklingen_ (The Blade itself)
Band 2: [Feuerklingen 4199 (Before they are hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Fast hätte ich Joe Abercrombie in die Kategorie „noch ein britischer Fantasy-Jungautor“ eingeordnet. Denn der Klappentext von „Kriegsklingen“ klang so klischeehaft wie der Titel, der mit dem englischen „The Blade itself“, einem verkürzten Homer-Zitat („The Blade itself leads to violent action“), nur sehr wenig zu tun hat. Als ich dann die Auflistung „Ein Barbar. Ein Inquisitor. Ein Magier.“ auf den Buchrücken las, habe ich das Buch erst einmal zur Seite gelegt. Ein schwerer Fehler. Denn als ich es dann erst einmal in den Händen hatte, konnte ich mich kaum noch davon losreißen – und habe anschließend ungeduldig auf den mittlerweile erschienenen zweiten Band „Feuerklingen“ gewartet.

_Der Autor_

Joe Abercrombie wurde 1974 in Lancaster geboren und studierte Psychologie an der Universität Manchester. Dort zeigte er einen recht ausgeprägten Spieltrieb, er liebt Würfel- und Computerspiele. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Barbaren Logen Neunfinger, die ihm jedoch selbst als etwas zu aufgeblasen erschien und schnell verworfen wurde. Schließlich zog Abercrombie nach London, um als Cutter in einem Post-Production-Studio zu arbeiten. Nach zwei Jahren verließ er das Studio und arbeitet seitdem freischaffend im selben Beruf. Im Jahr 2002, dank seiner freischaffenden Tätigkeit mit mehr Freiraum für andere Dinge, schrieb er erneut über die tragischen Abenteuer Logens. Im Jahr 2004 vollendete er „The Blade itself“, den ersten Band der „First Law“-Trilogie, die seit 2005 von |Gollancz| und seit kurzem von |Heyne| auch auf Deutsch verlegt wird. Der Erstling war zugleich sein Durchbruch und ein Erfolg auf der ganzen Linie: Die Serie wird bereits in acht Ländern in sieben verschiedenen Sprachen vertrieben.

_Eine Welt mit ungewöhnlich komplexen Beziehungsgeflechten_

Joe Abercrombie erzählt stets aus der Perspektive eines seiner zahlreichen ausgefeilten Hauptcharaktere, die zu Beginn getrennt voneinander an völlig verschiedenen Orten agieren. Dabei wechselt er jedoch nie in die Ich-Perspektive.

Dankenswerterweise beginnt die Geschichte recht einfach mit Logen Neunfinger, dem vermeintlich archetypischen Barbaren. Sein Stamm wurde gerade von den „Plattköpfe“ genannten Schanka, einer Art Orks, überrannt. Alleine und getrennt von seiner Jagdtruppe, die er für tot hält, kämpft Logen um sein Überleben. Im weiteren Verlauf der Handlung erfahren wir die Geschichte Logens, der sich als der „Blutige Neuner“ – einen Finger hat er bereits in der Schlacht verloren – einen Namen gemacht hat. Er diente auch unter Bethod, der sich selbst zum König des Nordens ausgerufen hat – ein Unding, denn so etwas gab es noch nie. Jeder Krieger oder Clan folgt nach alter Tradition einem von ihm selbst aufgrund seiner Fähigkeiten oder seines Rufes anerkannten Häuptling. Doch Bethod will mit seinen Mannen über den ganzen Norden herrschen, und er hat sein Auge auf die geschwächte Union im Süden gerichtet. Logen hat zudem noch ein Problem mit Bethod, mit dessen Söhnen er eine seiner zahlreichen Fehden führt.

Im Süden leidet die reiche von Adelsfamilien beherrschte Union unter ihrem schwachen König, der vor sich hin kränkelt und nur zwei leidlich geeignete Söhne hat. Die wahre Macht liegt bei der Inquisition, den Bluthunden des Königs. Diese hat das Recht, in der Art einer Staatspolizei jeden mutmaßlichen Feind des Königreichs unter der Folter zu befragen – und macht davon reichlich Gebrauch. In Sachen Religion hält sich Abercrombie bedeckt, sie ist unbedeutend und wird kaum thematisiert.

Großinquisitor Sand dan Glokta, ein verkrüppelter und von den Gurkhisen gefolterter ehemaliger Kriegsheld, ist der erfolgreichste Mann von Erzlektor Sult. Mit Gloktas Hilfe gelingt es ihm, die Macht der Tuchmachergilde zu brechen und der Inquisition noch mehr Macht im Inneren Rat zu verschaffen. Glokta sollte ein gebrochener Mann sein, er hat keine Zähne und keine Zehen mehr, humpelt und wird von Muskelkrämpfen gepeinigt. Doch sein zynischer Selbsthass macht ihn zu einem exzellenten Folterknecht, der seinem alten Leben als Liebling des Hofes und Kriegsheld nachtrauert. Die Gurkhisen haben ihn zu einem körperlichen Wrack gefoltert, und die wenigsten seiner alten Freunde wollen noch etwas mit ihm zu tun haben. Gemeinsam mit seinen Praktikalen (Schläger, Folterknechte und Diener in Personalunion) Frost und Severard klärt Glotka die vertracktesten Fälle, nur um festzustellen, das er von Erzlektor Sult für höchst eigennützige Ziele benutzt wird. Doch so schlau Glokta auch sein mag, er muss dieses perfide Spiel mitspielen – denn irgendwie hängt er trotzdem noch am Leben.

Der junge Adelige Jezal dan Luthar ist das, was Glokta einmal war: ein Frauenheld, Säufer, Zocker und Tunichtgut, der allerdings das Zeug zu einem begabten Degenfechter hat. Er soll wie einst Glokta das jährliche Fechtturnier gewinnen und wird deshalb von Marschall Burr zu einem harten Training verdonnert. Burr selbst hält abgesehen davon nicht viel von ihm, dafür aber umso mehr von seinem fechterisch nicht ganz so begabten, aber dafür vernünftigen und verantwortungsbewussten bürgerlichen Freund Collem West, der unter seinen Fittichen Karriere macht. Dessen hübsche Schwester Ardee verdreht Jezal gehörig den Kopf, für den es eine verstörende Erfahrung ist, dass eine Frau mit ihm spielt, und nicht umgekehrt. Doch die Affäre kommt West zu Gehör, und er verpasst Ardee eine ordentliche Maulschelle, während sich Jezal eingestehen muss, dass er Ardee trotz des in seinem bornierten Weltbild unüberbrückbaren gesellschaftlichen Unterschiedes liebt.

Die verschiedenen Charaktere treffen sich schließlich in der Hauptstadt der Union. Logen wurde von dem mächtigen Zauberer Bayaz, einem Schüler des mächtigen Juvens selbst, als Leibwächter angeworben. Doch niemand glaubt dies dem kahlköpfigen und ganz und gar nicht mächtig aussehenden Bayaz. Er muss erst mit einem misstrauischen Glokta und Luthar als Zeugen das seit Jahrhunderten magisch versiegelte Haus des Meisterschöpfers Kanedias öffnen, um sein Anrecht auf einen Sitz im Inneren Rat geltend zu machen.

Hier endet die Geschichte vorerst, und auch die Wege der Hauptpersonen trennen sich erneut. West wird mit Kronprinz Ladisla in den Norden geschickt, um der Bedrohung durch Bethod zu begegnen. Ardee bleibt zurück, während Luthar mit Bayaz, Logen und der auf Rache sinnenden Südländerin Ferro Maljinn in den Süden aufbricht, um einer vorerst von Bayaz diffus beschriebenen Bedrohung zu begegnen. In den Süden verschlägt es auch Glokta, der im Auftrag des Erzlektors die Stadt Dagoska gegen seine Erzfeinde, die Gurkhisen, verteidigen soll – angesichts der widrigen Umstände ein wahres Himmelfahrtskommando.

_Der Anfang einer unvorhersehbaren Geschichte_

Um was es eigentlich in dieser Trilogie geht, wird im ersten Band noch nicht ersichtlich. Vorerst baut Abercrombie seine faszinierenden Charaktere auf. Egal ob es Glokta, Logen oder Luthar sind – sie sind alle frisch und unverbraucht, man kann sie genauso wenig in Stereotypen pressen wie die Handlung. Diese entwickelt sich dynamisch, man weiß nie, wie es weitergeht. Das ist das herausragende Talent Abercrombies neben seiner Gabe, interessante und vielschichtige Charaktere zu schaffen. Seine Welt lebt, die Dinge entwickeln sich zeitgleich und man kann die Bedrohung nicht sofort im Sinne eines allwissenden Lesers identifizieren. Nur bruchstückhaftes Wissen erhält man appetitlich häppchenweise vorgesetzt, den Rest der Zeit verwendet Abercrombie auf seine Charaktere und die Kultur der Nordmänner, ihre Beziehungen untereinander und die Situation in der dekadenten Union, die zusätzlich von einem zwielichtigen Kaiser aus dem Süden bedroht wird – Khalul, wie Bayaz ein ehemaliger Schüler von Juvens. Dieser hat sich über einige Gesetze hinweggesetzt, die von Juvens und den anderen Söhnen des Euz propagiert wurden. Dazu gehören Gebote, kein Tor zu der „anderen“ Seite zu öffnen, dem Reich der Dämonen, oder kein Menschenfleisch zu verzehren. Leider ist jegliche Form der Magie letzen Endes ein Zugriff auf diese Mächte, was mitunter zu recht großzügiger Auslegung des ersten Gesetzes geführt hat …

Der von Kirsten Borchardt sehr gut übersetzte 796 Seiten dicke Schmöker ist somit keine abgeschlossene Geschichte, sondern der Anfang einer Trilogie. Trotz des martialischen Titels und des bei einem Folterknecht und Barbaren zu erwartenden Gemetzels machen blutige Schlachten und Folterszenen nur den geringsten Teil des Buchs aus; der Fokus liegt auf der Charakterisierung seiner Figuren, Abercrombie legt keinerlei Wert auf Splatter um des Splatters willen, wie in den oft nur aus aneinandergereihten Kampfeinlagen bestehenden |D&D|-Romanen der schlechteren Art – er spielt mehrere Klassen höher. Die Handlung geht so leider etwas unter, und mancher Leser mag sich deshalb etwas orientierungslos vorkommen, allerdings möchte ich keine Seite missen, auf der Abercrombie sein einzigartiges Talent zur Charakterisierung zeigt. Er bietet nicht nur abwechslungsreiche Geschichten einzelner Charaktere wie Logen, Luthar, Glokta oder Ferro, er verknüpft sie geschickt miteinander und schafft so eine lebendige und realistische Welt voller Dramatik garantierender Beziehungsgeflechte.

Nach und nach wird dem Leser die Haupthandlung klarer, während die Charaktere an ganz unterschiedlichen Orten nur individuelle Teile des großen Ganzen erleben. Diese geschickte und unvorhersehbare Handlungsführung ist neben der Charakterisierung der größte Pluspunkt des Romans und setzt neue Akzente in einem vor Stereotypen sonst nur so strotzendem Genre. Der zynische und selbstironische Humor Gloktas, seine messerscharfen Einsichten und der für einen Barbaren auf praktische Weise recht kluge Logen runden das positive Bild ab. Sogar der geckenhafte Luthar wird menschlich beschrieben und nicht zum Gespött gemacht, er ist glaubhaft und keine Witzfigur. Er wird von allen Charakteren in der Folge wohl die deutlichste Wandlung durchmachen.

_Fazit:_ Joe Abercrombie scheint Klischees zu bedienen – und zeigt, was man aus altbekannter Machart mit ein paar Kniffen in der Erzählweise, Handlungsführung und begnadeter Charakterisierung machen kann. Wenn er mit George R. R. Martin und Glen Cook und anderen Größen verglichen wird, ist das keineswegs anmaßend – Abercrombie selbst ist bekennender Leser und Kenner derselben und in dem dezidierten Martin-Forum http://www.westeros.org/ und bei [SFFWorld]http://www.sffworld.com/ aktiv an Diskussionen beteiligt. Auf seiner Webseite und in seinem Blog findet sich viel Lesenswertes über den Autor und seine Serie.

Ich kann das Buch nur ausdrücklich empfehlen. Ein derartiges Lesefieber habe ich sonst nur bei meinen Favoriten George R. R. Martin, David Gemmell oder Raymond Feist erlebt.

|Originaltitel: The Blade Itself – The First Law Book 1
Originalverlag: Orion
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman
Paperback, 800 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de

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Rebecca Gablé – Das Spiel der Könige

„Das Spiel der Könige“ ist die direkte Fortsetzung von „Die Hüter der Rose“, und somit der sechste historische Roman der deutschen Bestsellerautorin Rebecca Gablé (* 25.09.1964), die sich mit dem Roman „Das Lächeln der Fortuna“ und ihren weiteren historischen Werke einen Namen gemacht hat. Sie studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Bankkauffrau Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt auf Mediävistik, wobei ihr besonderes Interesse offenkundig den englischen Königshäusern galt, insbesondere dem Haus Lancaster.

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Duncan, Dave – Omar, der Geschichtenhändler

Omar, der Geschichtenerzähler, ist ein typischer Vertreter seiner Zunft. Mit der Wahrheit nimmt der gewitzte Schelm es nicht so genau, auch wenn er von sich selbst behauptet, aus hehren Motiven Geschichten|händler| geworden zu sein, für ihn ist das ein wesentlicher Unterschied zum bloßen Geschichtenerzähler: Die meisten Geschichten sind bloß nacherzähltes Garn, nur wenige Geschichten hingegen sind wahr und werden so erzählt, wie sie sich zugetragen haben. Omar sieht es als seine Aufgabe an, solch große Geschichten selbst mitzuerleben, nur so kann er sicher sein, dass sie auch authentisch sind. So gerät er oft in gefährliche Situationen und wird selbst Teil der Geschichte.

Als Omar über die |Straße der Plünderer| nach Zanadon kommt, auf der Flucht vor den barbarischen Horden der Vorkan, wird er versklavt. Doch gewitzt wie er ist, kann er mit seinem Gefährten Thorian ausbrechen. Zufällig wird er Zeuge einer verschlagenen Intrige, mit der die Priesterschaft, der Kriegsherr und reiche Kaufleute die Macht an sich reißen wollen. Die bildschöne Shalial Tharpit soll Hohepriesterin werden und als Marionette gemeinsam mit dem legendären Kriegsgott Balor, in Wahrheit Publian Fotius, ein brutaler und unfähiger Enkel des Kriegsherren, über Zanadon herrschen. Omar und Thorian haben Mitleid mit der von der Priesterschaft übertölpelten Shalial und helfen ihrem Liebhaber, sie zu retten. Doch ohne die Vermählung der Hohepriesterin mit dem Kriegsgott selbst würde Zanadons Armee den Glauben an den uralten Mythos der Unbesiegbarkeit verlieren, der auf dieser Geschichte beruht …

Auch in der |Jägerschenke| befindet sich Omar in einer sehr misslichen Situation: Er ist splitternackt, hat kein Geld und den Hund des Wirts erschlagen. Dieser möchte ihn ohne viel Federlesens in die tödliche, eiskalte Nacht hinausjagen. Omar lässt sich auf einen Wettstreit ein, um seine Haut zu retten: Jeder der Gäste erzählt eine Geschichte, und Omar muss sie überbieten. Leider erweisen sich viele Gäste als begabte Erzähler mit schier unglaublichen Geschichten, doch Omar ist raffiniert: Er erzählt seine „wahre“ Version der Geschichte, die entweder noch unglaublicher ist, oder die Geschichte mit einem Cliffhanger fortführt, so dass man ihn gewinnen lassen muss, damit er weitererzählen kann …

_Der Autor_

Dave Duncan wurde 1933 in Schottland geboren, lebte und arbeitete aber nach Abschluss seines Universitätsstudiums seit 1955 in Kanada als Geologe auf Erdölfeldern. Er ist verheiratet und hat mit seiner Frau Janet drei Kinder und wohnt derzeit in Victoria, British Columbia. Seine Karriere als Schriftsteller begann 1988 mit der Trilogie „Das Siebte Schwert“, 1990 folgte die „Pandemia-Saga“. Er schrieb auch Science-Fiction und historische Romane unter den in Deutschland eher unbekannten Pseudonymen Ken Hood und Sarah B. Franklin. Am bekanntesten dürfte er für die Serie „Des Königs Klingen“ (1998) sein, Mantel- und Degengeschichten in einem fiktiven Mittelalter mit einigen Spritzern Magie. Der bisher letzte Teil der noch nicht abgeschlossenen Serie, „Die Jaguar-Krieger“, erschien 2007 in deutscher Übersetzung bei |Bastei Lübbe|. Drei ein wenig mehr auf Jugendliche ausgelegte Abenteuer junger Klingen, scherzhaft „Des Königs Dolche“ genannt, erschienen 2006 als Sammelband gleichen Namens im |Otherworld|-Verlag.

Auch „Omar, der Geschichtenhändler“ ist ein Sammelband aus denselben Verlag, der die beiden bisher erschienenen Romane um Omar vereint: „Die Straße der Plünderer“ und „Die Jägerschenke“.

_Ein gewitzter Schelm, so wie sein Schöpfer_

Omar dürfte sehr viel von seinem Schöpfer Dave Duncan besitzen; der Humor, mit dem er über dessen (Un-)Taten schreibt, zeugt von viel Selbstironie. Das Szenario ist vor allem in „Die Straße der Plünderer“ sehr orientalisch; hier kann Omar seine an 1001 Nacht erinnernden märchenhaften Geschichten blumig und wortgewaltig zum Besten geben. Doch leider muss er seine Gabe meistens für Lügenmärchen verwenden, nur um seinen Kopf zu retten. Das Umschlagbild zeigt den nackten Omar in der Jägerschenke, eine für ihn typische Situation; oft besitzt er nichts anderes mehr als seine Geschichten und seinen Verstand, um sich aus misslichen Situationen zu befreien. Ein reicher Mann ist Omar nicht, verwahrt sich aber vehement gegen die Bezeichnung „Bettler“. Ein königlicher Gewaltherrscher und sogar ein Gott war er schon im Verlaufe seines ereignisreichen Lebens. Nun ja, alles leider nur für sehr kurze Zeit, eben bis der Schwindel aufgeflogen ist.

In „Die Straße der Plünderer“ ist Omar selbst in das Geschehen verwickelt, gemeinsam mit seinem Gefährten Thorian, von dem in der zweiten Geschichte des Sammelbands, „Die Jägerschenke“, keine Rede mehr sein wird. Der Reiz dieser Geschichte ist die Vermischung von Omars Geschichten, Zanadonischen Legende und Wahrheit. Viele Charaktere sind nicht das, was sie von sich zu sein behaupten, einige sind mehr, als es den Anschein hat. Selbst Omar wird überrascht, und weder für ihn noch den Leser ist es ganz klar, ob nicht doch der Gott Balor schließlich der Stadt zur Hilfe gekommen ist, oder ob es nur ein einfacher Mensch war. Omar selbst darf als Gott der Geschichte an der Seite des Kriegsgotts wandeln, während das Volk ihnen zujubelt.

„Die Jägerschenke“ spielt in einem eisigen Nordland, es gibt keinen Bezug zur Omars vorherigen Abenteuer. Die gesamte Handlung spielt in der Schenke, in der ein – wieder einmal – splitternackter Omar mit einem Geschichtenerzählerwettstreit seine Haut zu retten versucht. Das besondere Vergnügen dieses Romans ist, wie Omar aus einer anfangs recht simplen Geschichte einen langen Faden spinnt, bis alle Geschichten zusammen einen schlüssigen Geschichtenzyklus ergeben. Sehr witzig ist, wie er selbst die absurdesten Geschichten seiner Mittbewerber elegant zurechtbiegt und in seine eigene Geschichte einbringt. „Die Jägerschenke“ braucht ein wenig Zeit, bis sie fesseln kann, sie steigert sich deutlich, je mehr man liest und kann am Ende fast mit der von mir favorisierten „Straße der Plünderer“ mithalten.

_Fazit:_ Omar ist ein liebenswerter Gauner, der den Leser mit Witz und Verstand sowie unvorhersehbaren und angenehm überraschenden Wendungen bei Laune hält. Leider existieren nur diese beiden in den Jahren 1992 und 1995 geschriebenen Romane, gegen das weitaus umfangreichere und detailliertere Universum der „Klingen des Königs“ können sie nur schwer bestehen. Für Fans von Dave Duncan und den „Klingen“ jedoch sind die Geschichten um Omar ein humoriger Leckerbissen erster Güte, bei dem Dave Duncan seine ganze Finesse als Geschichtenerzähler eindrucksvoll demonstrieren kann. Die stilsichere und hervorragend gelungene Übersetzung stammt von Michael Krug, der bereits Dave Duncans „Klingen des Königs“ und Paul Kearneys „Königreiche Gottes“ übersetzte. Leider ist sie nicht ganz frei von einigen Wortdrehern und Setzfehlern, was dem Lesevergnügen und der Qualität der Übersetzung an sich jedoch keinen Abbruch tut. Bindung und Druck sind von erster Güte, das Lesebändchen rundet den gelungenen Eindruck ab.

http://www.otherworldverlag.com/

Hoffmann, Markolf – Splitternest (Das Zeitalter der Wandlung 4)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: [Flammenbucht 1280
Band 3: [Schattenbruch 2288
Band 4: _Splitternest_

Das Zeitalter der Wandlung strebt seinem apokalyptischen Finale entgegen. Nicht nur die unversöhnlichen Zauberer Mondschlund und Sternengänger streben nach der Macht und danach, den Menschen von Gharax die Rettung und eine neue Welt nach ihren Vorstellungen aufzuzwingen. Auch die Goldéi und die Bathaquar haben ihre Vorstellungen der kommenden neuen Ordnung, folgen ihren eigenen Interessen, Legenden und Glaubensgrundsätzen. Das Schicksal der gemeinen Menschen ist allen Gruppierungen nicht so wichtig wie ihre eigenen Ziele, niemand fragt sie nach ihren Wünschen. Es liegt in den Händen abtrünniger Anhänger der Zauberer, Fürsten und Kirchen, sich von dem Blendwerk aus Lug und Trug, das diese zugunsten ihrer Sicht der Dinge verbreitet haben, zu befreien und ihre eigene Welt zu schaffen. Doch scheint man keine wirkliche Wahl zu haben, wie sollte man sich dem Chaos der entfesselten Quellen stellen, ohne sich mit einem der Zauberer zu verbünden? Gibt es eine Alternative oder muss man sich mit der Wahl des kleineren Übels zufriedengeben?

Der abschließende Band des „Zeitalters der Wandlung“ ist eine Tragödie. Die Welt Gharax liegt im Sterben, alte Ordnungen zerbrechen, eine neue Welt ist im Entstehen. Doch bereits in den Todeswehen streitet man um die Macht in der neuen Welt oder begleicht alte Rechnungen, nimmt Rache. Viele liebgewonnene Hauptcharaktere werden sterben, einige überraschend überleben. Viele können nicht Abschied von den alten Zeiten ihrer Macht nehmen, wie Binhipar Nihirdi, die Könige Eshandrom von Kathyga und Tarnac von Gyr ebenso wenig; Durta Slargin lässt sie geködert mit der Aussicht auf Rettung grausam wie Puppen nach seiner Pfeife tanzen. Talomar Indris jagt bis zuletzt fanatisch einer verlorenen Liebe hinterher, die zu einer fixen Idee geworden ist, die mit Liebe nichts mehr zu tun hat. Falsche Legenden und Versprechungen führen zu Gräueltaten, begangen in bestem Wissen und Gewissen.

Dieses Grundgerüst bringt die Stärken des Romans sehr gut zur Geltung: Das unrühmliche Ende einiger „Bösewichte“ machte mich sehr traurig, selbst mit ihnen konnte ich mitfühlen. Besonders schockiert hat mich das Schicksal von Laghanos, der wenig mehr als ein Werkzeug für Durta Slargin gewesen ist, der ihn, die Goldéi und viele andere benutzt und genarrt hat. Er hatte nie eine Chance und eine Wahl in diesem Spiel. Gelungen ist auch die zwiespältige Darstellung Durta Slargins, der, zuerst als der große Held der Menschheit dargestellt, in den Folgebänden in ein immer düstereres Licht gehüllt wurde, je mehr über seine Taten bekannt wurde. Doch wer erzählte dem Leser eigentlich |seine| Geschichte über Durta Slargin, zu welchem Zweck? Denn auch sein Widersacher Mondschlund, zuerst verschrien als „Der Blender“, ist kein verkannter Heiland. Die Anhänger der Zauberer erkennen dies nach und nach und glauben ihnen nicht mehr vorbehaltlos. Dieser höchst dynamische Erkenntnisprozess ist spannend und überzeugend dargestellt. Viele Einzelschicksale werden beschrieben in ihrer ganzen Tragik, allen ist zueigen, dass sie sich nicht von den Lügen und dem Einfluss anderer lösen konnten. Selbst die entstehende neuen Welt ist nicht frei vom Keim der Lügen, den Hoffmann bereits im Prolog dieses Bands anspricht. Neue Legenden und Lügen warten darauf, geboren zu werden, um auch diese Welt ins Verderben zu stürzen, mit Gewalt und Verrat.

Hoffmann zeigt sich wie stets wortgewandt, was gerade in den hitzigen Dialogen, wenn gläubige Anhänger mit abtrünnigen Bürgern zusammenstoßen, für eine fantastische Atmosphäre sorgt, die Verzweiflung und Angst der betreffenden Charaktere, aber auch der feste Wille, sich nicht mehr dem Willen anderer unterzuordnen, werden so lebendig. Dies gilt auch für die tragischen Szenen, die mich nachdenklich stimmten und lange über Leben und Handeln der betreffenden Charaktere nachdenken ließen.

_Fazit:_ „Splitternest“ ist ein hervorragendes Finale für die Tetralogie, das mitreißend und spannend ist sowie nachdenklich macht. Der Abschlussband arbeitet vorzüglich die bewussten Lügen und Täuschungen der vorherigen Bände auf, der Leser selbst wird in Zweifel versetzt, welche Lösung für die Welt Gharax und ihre Menschen die beste wäre. Zwar bleibt bei der enormen Fülle an Charakteren und Handlungsorten für einige nur wenig Zeit, doch gerade diese Vielfalt und die Tragik jedes einzelnen Schicksals machen in der Summe den Reiz des Romans aus.

Von dieser Art Fantasy würde ich gerne mehr lesen; starke und interessante Charaktere, eine faszinierende Welt am Rande des Untergangs, eine spannende Geschichte über ein Netz aus Legenden, Lügen und Intrigen – das macht das Zeitalter der Wandlung aus. Besonders die Abgeschlossenheit der Handlung und das gelungene Finale möchte ich herausheben, denn gerade daran kranken viele Fantasyromanen und aktuelle Endloszyklen. Jeder Band dieses Zyklus hat andere Schwerpunkte gesetzt und somit für Abwechslung gesorgt, „Splitternest“ hat mich jedoch am meisten beeindruckt; bei keinem anderen fühlte ich mich dermaßen in die Handlung hereingesogen. Diese Tragödie aus Lug und Trug stellt wahrlich einen krönenden Abschluss für den Zyklus „Das Zeitalter der Wandlung“ dar.

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.nebelriss.de/

Verlagshomepage |Serie Piper Taschenbuch|:
http://www.piper-verlag.de/serie/

[Unser Interview mit Markolf Hoffmann]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34

Schröder, Rainer M. – Labyrinth der schwarzen Abtei, Das (Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 3)

|Die Bruderschaft vom Heiligen Gral:|
Band 1: [Der Fall von Akkon 2324
Band 2: [Das Amulett der Wüstenkrieger 2727
Band 3: _Das Labyrinth der schwarzen Abtei_

Paris im August 1306: Die vier Gralshüter Gerolt, Tarik, Maurice und McIvor haben den Gral aus Akkon retten und nach einer abenteuerlichen Flucht aus Ägypten, quer durch die Sahara und verfolgt von den Häschern des ersten Knechts des Teufels, Sjadú, sicher in den Gewahrsam der Templerburg im Herzen Frankreichs bringen können.

Im Schutz des Templerordens verweilt der Gral lange Zeit sicher vor dem Zugriff der Iskaris, während die vier Gralshüter im Streit auseinandergegangen sind. Tarik arbeitet an einer Übersetzung des Koran, der Stein des Anstoßes für den Zwist. So kommt es, dass Gerolt in Deutschland weilt und seinen verhassten Bruder aufsucht, während Maurice vom Ordensobersten Antoine einen Bußgang auferlegt bekommen hat, da er einfach nicht weiblichen Reizen widerstehen kann. Tarik selbst ist als Stellvertreter Antoines in der Ordensburg zurückgeblieben, während McIvor diesem geflissentlich aus dem Weg geht. So kommt es auch, dass er alleine in einer Schänke über einen Krug Bier brütet, als er in der Nacht vom 12. auf Freitag, den 13. Oktober, von Männer des Königs belästigt wird.

McIvor ist gezwungen, sich gegen die unverhohlene Aggression zur Wehr zu setzen. Er findet ein versiegeltes Dokument mit Befehlen, die eine unverzügliche Verhaftung aller Templer in Frankreich anordnen. Ihnen wird Ketzerei, Sodomie und Götzendienst vorgeworfen. Obwohl McIvor sofort aufbricht, um seine Brüder zu warnen, ist es zu spät: Tarik und Antoine werden mitsamt der gesamten Besatzung der Ordensburg eingekerkert, nur wenige Templer können der perfekt organisierten Polizeiaktion des Königs von Frankreich entkommen.

Für den Plan Philipp des Schönen zeichnet sein Vertrauter Wilhelm von Nogaret verantwortlich, Sjadú hat die günstige Gelegenheit ergriffen, um den König und seinen Stellvertreter zu manipulieren und bereits vorhandenen Hass in seinem Sinne zu nutzen. Der König braucht Geld, welches der Orden im Übermaß besitzt. Zudem musste Philipp sich erst kürzlich schmachvollerweise vor einem Aufstand der eigenen Bürger in der Pariser Ordensburg verstecken, die zu einem Distrikt von beachtlicher Größe gewachsen ist. Das Missfallen des Königs gegen einen mächtigen Staat im Staat und die Tatsache, dass sein Mitgliedsantrag im Templerorden abgelehnt wurde, führen schließlich dazu, dass Philipp IV. nur zu gerne Sjadú und Nogaret sein Ohr leiht …

Es liegt in den Händen McIvors, die Gefährten wieder zu vereinen und den Gral zu retten. Doch ist es damit alleine nicht getan; der Gral muss erneut vor den Iskaris verborgen werden. Die Flucht führt die Gruppe fort aus Frankreich, man beschließt, nach Portugal zu reisen, wo die Templer nicht verfolgt werden. Auf ihren Weg durchziehen die Gralshüter das Gebiet der Katharer, wo es zu einem Wiedersehen mit Beatrice und Heloise kommt, die in die Hände der Inquisition geraten sind und ihrer Hilfe bedürfen.

_Der Autor_

Rainer M. Schröder (* 1951) beschreibt sich selbst als Mann mit vielen Neigungen und Talenten. Bevor er im Jahr 1977 zum Schriftsteller wurde, studierte er Gesang, später Jura und Theaterwissenschaften, arbeitete als Lokalreporter für rheinische Lokalzeitungen und den Rundfunk. Beeinflusst von Autoren wie Jack London und Joseph Conrad, unternahm er zusammen mit seiner Frau abenteuerliche Reisen, von den Everglades über den stürmischen Nordatlantik bis in die australische Wildnis. Zusammen mit dem berühmten Schatztaucher Mel Fisher tauchte er nach der spanischen Schatzgaleone Atocha; diese Erlebnisse verarbeitete er in seinem Abenteuerroman „Das Goldriff“. Heute lebt er in Palm Coast, Florida.

Während Rainer M. Schröder in Deutschland vor allem als Jugendbuchautor mit Schwerpunkt auf historischen Themen bekannt ist, veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ashley Carrington umfangreiche historische Gesellschaftsromane für ein erwachsenes Publikum. „Der Fall von Akkon“ stellte den ersten Band der Trilogie „Die Bruderschaft vom Heiligen Gral“ dar, mit der Rainer M. Schröder sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum erreichen will. Es folgten „Das Amulett der Wüstenkrieger“ und „Das Labyrinth der schwarzen Abtei“.

_Die Zerschlagung des Templerordens_

|“Nun legte Sjadú dem Fürsten der Finsternis ausführlich dar, wie er sich diesen vernichtenden Schlag gegen den mächtigen Orden der Templer vorstellte und wie er ihn in die Wege zu leiten gedachte. Und es war ein wahrhaft überzeugender, teuflischer Plan (…)“|

So unheilvoll deutete Rainer M. Schröder bereits am Ende des letzten Bandes an, was der Leser in „Das Labyrinth der schwarzen Abtei“ zu erwarten hat. Allerdings beschränkt er sich auf die historische exakte Wiedergabe einer der ersten Großrazzias der Geschichte; Sjadú kommt hier nur die Rolle eines Einflüsterers zu. Der Fokus liegt auf den vier Gralshütern, bei denen Gerolt und Maurice weitab vom Geschehen sind und ihre eigene kleine Geschichte erzählen, bis McIvor sie zur Rettung des Grals und Tariks wieder einsammelt. So verspielt Schröder leider die Chance, der Verschwörung etwas mehr Biss zu geben. Vielleicht ging er davon aus, dass die Fakten bereits hinlänglich bekannt sind, dennoch hätte ich mir hier mehr gewünscht.

Schröder wechselt die Erzählperspektive nicht, sie bleibt stets starr auf die Gralshüter fixiert. So erlebt Tarik die Befragungen beziehungsweise Folter der Inquisition nur aus der Sicht eines Gefangenen im Kerker mit, der mit fast zu Tode gefolterten, standhaften Templern und weniger standhaften Geständigen die Zelle teilt. Die Aussagen Großmeister Jacques von Molays, Konflikte zwischen Papst und König sowie die unterschiedliche Verfolgung der Templer außerhalb Frankreichs (nur in Frankreich gelang eine vollständige Zerschlagung des Ordens, in England, Spanien und insbesondere Portugal wurden die Templer oft von den gegen sie erhobenen Scheinvorwürfen freigesprochen) werden nicht direkt erlebt, sondern nur berichtend nacherzählt.

Stattdessen erzählt Schröder in diesem geschichtlichen Rahmen seine eigene Mantel- und Degengeschichte, verbunden mit der Befreiung eines gefangenen Mitbruders, die qualitativ aber nicht an eine ähnliche Situation im zweiten Band „Das Amulett der Wüstenkrieger“ heranreicht. Hier hätte ich mir wirklich mehr erwartet; eine so erfreulich gelungene Verbindung von Historie und Geschichte wie im ersten Band hat er hier leider nicht einmal versucht.

_Im Land der Katharer_

Angenehm überrascht war ich von den Wendungen, die die Flucht der Hüter im Languedoc nimmt. Dort wütet die Inquisition nach wie vor unter den Katharern, sehr zur Freude des Teufels und seiner Knechte, die dort mit ihren Verlockungen viele Diener gewinnen können. Die Gebräuche der Katharer werden dem Leser unterhaltsam nahegebracht und geschickt mit der Story verwoben. Maurice hat den Fluchtweg mit Absicht so geplant, dass sich ihre Wege mit dem der mittlerweile verwitweten Beatrice kreuzen. Diese befindet sich unter dem Verdacht der Ketzerei; gemeinsam mit ihrer mittlerweile zu einer schönen jungen Frau herangewachsenen Schwester Heloise planen die Gralshüter ihre Befreiung, bei der sie mit Hilfe ihrer besonderen Fähigkeiten ein positives Gottesurteil fingieren, um Beatrice der Inquisition zu entreißen. Doch zwei schöne, junge Frauen und vier Gralshüter, von denen einer erwiesenermaßen ein Schürzenjäger ist, schreien nach Problemen. Die Iskaris nützen gnadenlos menschliche Schwächen aus, um sich des Grals zu bemächtigen …

_Das Labyrinth der schwarzen Abtei_

Der Teufel selbst residiert in dieser Festung am Fuße der Pyrenäen. Der Vordereingang ist schwer bewacht von seinen Jüngern, der Hintereingang liegt unter dem „Atem des Todes“; niemand kann dieses Tal betreten und dort überleben. Bis auf Iskaris und Gralshüter. Die vier Hüter müssen sich durch ein zur Bestrafung versagender Teufelsjünger angelegtes Labyrinth voller trickreicher Fallen und gefährlicher Monster vorankämpfen, um den Teufel, seinem ersten Knecht Sjadú und einer Unzahl seiner Jünger zuvorzukommen, die den Gral in einer unheiligen Zeremonie vernichten und ewige Nacht über die Menschheit bringen wollen.

Hier hat Schröder sich viel einfallen lassen; die Rätsel und Gefahren, denen sich die Gralshüter stellen müssen, übertreffen alles, was Steven Spielberg in „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ geboten hat. Der große Showdown selbst fällt etwas antiklimatisch aus, insbesondere Sjadú wird recht unrühmlich und unspektakulär abserviert. Dafür hat der Autor eine sehr interessante Idee, wie der Gral in Zukunft gehütet werden soll, und vor allem: Wo er versteckt wird.

_Fazit_

Mit „Das Labyrinth der schwarzen Abtei“ findet die Trilogie um die Bruderschaft des Heiligen Grals ein gelungenes Ende. Insbesondere jüngeren Lesern wird mit den gut kommentierten Fußnoten und der Handlung an sich viel spannendes geschichtliches Hintergrundwissen vermittelt. Auch für ältere Leser bietet Schröder eine spannende Abenteuergeschichte; mein einziger großer Kritikpunkt ist die etwas fantasielose und unspektakuläre, recht nebensächlich wirkende Abwicklung des Untergangs des Templerordens, die viel mehr Potenzial geboten hätte.

Die gewohnt edle Ausstattung der Trilogie – ausgezeichneter Druck, hervorragendes Kartenmaterial und ein sehr gelungener goldener Umschlag des Hardcovers mit Lesebändchen – runden erneut das vorzügliche Gesamtbild der Trilogie ab. Der auf der Umschlagvorderseite gezeigte Gral entspricht exakt der Schilderung Schröders im Roman – so etwas sieht man heute viel zu selten!

Auch wenn ich mir wegen des ersten Bands etwas mehr Stoff für erwachsene Leser erhofft hatte, werden diese nicht enttäuscht sein. Für Kinder und Jugendliche ist diese Trilogie jedoch uneingeschränkt empfehlenswert.

Offizielle Homepage von Rainer M. Schröder:
http://www.rainermschroeder.com/

Homepage des Arena Verlags:
http://www.arena-verlag.de/

Novik, Naomi – Drachenbrut (Die Feuerreiter Seiner Majestät 1)

Drachen gehören seit jeher zum Standardrepertoire der Fantasyliteratur. Uralt, weise, mächtig und tödlich, Hüter von Horten voller magischer Schätze, wohlwollend oder blutrünstig, und stets faszinierend. Die amerikanische Autorin Naomi Novik (* 1973) jedoch macht Drachen zu intelligenten, sprechenden und treuen Verbündeten der Menschen, und versetzt sie in die Zeit der Napoleonischen Kriege. Als „Die Feuerreiter Seiner Majestät“ sichert das Luftkorps gemeinsam mit der Royal Navy die englische Luft- und Seeüberlegenheit im Ärmelkanal und verhindert so die Invasion durch Napoleons Truppen.

Dem englischen Kapitän Will Laurence ist das Kriegsglück hold: Es gelingt ihm, eine französische Fregatte zu kapern, deren Besatzung sich trotz hoffnungsloser Lage verbissen zur Wehr setzt. Der Grund ist ihre seltene und wertvolle Fracht: ein Drachenei, das kurz vor dem Schlupf steht. Dies bringt Laurence in arge Nöte, denn ein Drache muss nach seiner Geburt sofort gebunden und angeschirrt werden. Doch das bedeutet, einen seiner Offiziere an das Luftkorps zu verlieren. So wichtig und unverzichtbar Drachen für die Sicherheit Englands auch sind, ist der Dienst im Luftkorps wenig geachtet und eine wahre Lebensaufgabe, weshalb kein Gentleman sich um diese zweifelhafte Ehre reißt. Doch der kleine Drache schlüpft noch auf dem Schiff, und er erwählt Laurence …

Dies bedeutet für Laurence den Verzicht auf eine glänzende Zukunft in der Marine, ebenso den Verlust seiner Verlobten. Sein Vater zeigt sich ebenfalls ungehalten. Doch findet er in dem von ihm |Temeraire| (die |HMS Temeraire| deckte Lord Nelsons |Victory| in der Schlacht von Trafalgar) getauften Drachen einen wundersamen und intelligenten Gefährten, weit mehr als ein nützliches Tier, zu dem er bald tiefe Zuneigung und Liebe empfindet. Gemeinsam mit Temeraire wird er vom britischen Luftkorps zum Drachenreiter ausgebildet, der viel zu früh seine ersten Luftkämpfe mit französischen Drachen bestehen muss. Auch wenn Temeraire nicht ganz das Kampfgewicht der größten britischen Drachen erreicht, ist er etwas ganz Besonderes, denn er ist ein chinesischer Drache vorerst unbestimmter Art – wie sich später herausstellt, ein Geschenk des chinesischen Kaiser an Napoleon persönlich. Temeraire kann seine Fähigkeiten bald eindrucksvoll zur Schau stellen, denn Verrat und Intrige führen zu einer gefährlichen Situation: Die Invasion Britanniens droht, und es ist an Lord Nelson und den Feuerreitern Seiner Majestät, diese Bedrohung abzuwenden.

_Ein Offizier und Gentleman und sein edler Drache_

Naomi Novik setzt zwei Schwerpunkte in „Drachenbrut“: Die Beziehung zwischen Temeraire und Will Laurence sowie die soziale Sonderstellung des Luftkorps in der konservativen britischen Gesellschaft nehmen den Großteil des Romans ein, Luftkämpfe in der Art früher Jagdflieger als „Helden der Lüfte“ finden sich erst gegen Ende des Romans. Trotz der oft heftigen Kämpfe wird die Brutalität des Krieges weitgehend ausgeblendet, Bodenangriffe feuerspeiender Drachen findet man nicht, stets kämpfen sie gegen andere Drachen, während ihre Besatzungen den anderen Drachen zu entern versuchen und ihn beziehungsweise seinen Kapitän mit vorgehaltener Pistole zur Aufgabe zwingen.

Will Laurence ist ein echtes Musterbeispiel eines britischen Offiziers. Treu und pflichtbewusst, mutig und tapfer sowie mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden versehen, ist er der geborene Held. Sein Drachen steht ihm da kaum nach: Temeraire gehört zu den intelligentesten Drachen überhaupt, zudem zeichnet er sich durch grenzenlose, uneingeschränkte und rührende Liebe und Treue zu Laurence aus. Diese Beziehung ähnelt der zwischen Flipper, Lassie und ihren menschlichen Partnern, hat aber auch aufgrund der Sprachfähigkeit und Intelligenz Temeraires durchaus etwas von einer perfekten Ehe/Partnerschaft, welche den Reitern meist aufgrund des intensiven Pflege- und Zuwendungsbedarfs ihrer gigantischen Schützlinge verwehrt ist.

Diese Mischung erscheint merkwürdig, aber Temeraire und Laurence sind zweifellos eines der liebenswertesten und faszinierendsten Gespanne, über das ich je gelesen habe. Interessant ist auch die Stellung der Drachenreiter in der britischen Gesellschaft: Sie werden als Sonderlinge betrachtet, der enge Umgang mit einem Tier wird vom Adel sehr skeptisch gesehen, was des öfteren Laurence‘ Groll erregt. Untereinander pflegen die Drachenreiter einen lockereren Umgangston als in der Marine, dennoch gibt es auch bei ihnen – und bei ihren Drachen – feste Hierarchien und recht komplexe Umgangsformen und Etikette, die dem Roman einen Hauch von Stil und Klasse eines vergangenen Zeitalters verleiht.

_Große Drachen, kleine Drachen_

Eine ausführliche Drachenkunde darf in diesem ersten Band der Tetralogie um die Feuerreiter Seiner Majestät natürlich nicht fehlen. So haben die Briten mit den mächtigen Königskupfer-Drachen zwar die größten Drachen, mit entsprechender Tonnage (sie werden entsprechend in der Art von Linienschiffen im dichtesten Getümmel eingesetzt), aber es fehlt ihnen an feuerspeienden Drachen, wie sie die Franzosen oder Spanier zum Beispiel mit dem Flamme-de-Gloire besitzen. Das britische Luftkorps dagegen kann mit den Langflüglern auftrumpfen, schnellen und säurespeienden Drachen mittlerer Größe, die gewöhnlich auf weibliche Reiterinnen bestehen – der Grund, warum es im Luftkorps auch Pilotinnen gibt, was Laurence aufs Tiefste verwundert, denn das gefährliche Drachenreiten ist in seinen Augen alles andere als „Lady-like“.

Temeraire selbst ist ein nicht genau klassifizierbarer Sonderfall; er besitzt mehr Krallen an den Klauen als europäische Drachen und ist somit ein chinesischer Drache, dessen besondere Fähigkeiten vorerst verborgen bleiben. Neben ungewöhnlich hoher Intelligenz und Sprachbegabung ist er auch ein exzellenter Flieger und kann in der Luft auf der Stelle stehen, was sonst nur kleineren Sturzflüglern (eine Art Sturzkampfbomber) vorbehalten ist. Kleinere Graulinge und Winchester-Drachen werden meistens zu Kurierflügen eingesetzt; viele französische Drachen sind gewöhnlich nachtaktiv und deshalb gegenüber Lichtblitzen empfindlich.

_Die Helden der Lüfte_

Eine gehörige Suspension of Disbelief ist bei der etwas arg romantisierenden Kriegsführung mit Drachen nötig: Die Drachen fliegen in Formationen am Himmel, und obwohl es „Bomber“ gibt, liegt Naomi Noviks Augenmerk ausschließlich auf den Luftkämpfen zwischen Drachen und ihren Besatzungen. Die Drachen selbst sind recht empfindlich – ein Scharfschütze kann einen Drachen mit einem gezielten Schuss auf Entfernung töten, deshalb tragen sie eine Art Kettenpanzerung, aber einer Kanonenkugel kann kein Drache widerstehen. Auf direkte und wohl eher brutale Beschreibungen der Wirkung eines feuerspeienden Drachen auf Schiffe oder eines Säureregens auf ungeschützte Soldaten am Boden lässt sich Naomi Novik nicht ein; der Tod eines Drachen ist auch die absolute Ausnahme, mehr als schwer verwundet und unter Tränen wieder gesundgepflegt wird hier kein Drache. Sehr verwunderlich ist auch, warum diese oft hochintelligenten Geschöpfe so sehr die Nähe des Menschen suchen und in seinen Kriegen auf verschiedenen Seiten kämpfen. Die Treue eines Drachen zu seinem Reiter, und in den meisten Fällen umgekehrt ebenso, ist absolut.

_Fazit:_

Laurence und Temeraire sind einfach faszinierend. Ich hätte nicht erwartet, dass eine wie beschrieben etwas schwer zu verdauende Verbindung der Kriege des napoleonischen Zeitalters mit Drachen mich so fesseln könnte. Die Faszination des Romans entsteht aus der Verbindung von Stil und Klasse britischer Offiziere mit einem absolut faszinierenden gefährlichen und überaus fähigen Schoßtierchen, womit ich Temeraire keinesfalls gerecht werde. Meine einzigen Kritikpunkte sind die recht braven Verharmlosungen und Verniedlichungen kriegerischer Auseinandersetzungen sowie die Frage, ob die Faszination, einen Drachen als Freund und Gefährten zu haben, auf Dauer unterhalten kann. Naomi Novik bedient hier gezielt Träume nach einem faszinierenden (Tier-)Gefährten. Als historisch exakt würde ich diese Saga, wie so oft behauptet wird, auch nicht bezeichnen, bereits im ersten Band weicht Novik, abgesehen von den Drachen, erheblich von historischen Tatsachen ab, insbesondere bei der Schlacht von Trafalgar.

„Drachenbrut“ hat mir trotz dieser Kritikpunkte ausgezeichnet gefallen; das ungewöhnliche Szenario ist ungemein reizvoll, voller ungewöhnlicher und interessanter Charaktere, die mir oft ein wenig zu perfekt und liebenswert erschienen. Ein Subplot über einen Kapitän, der seinen Drachen nur aufgrund seiner Herkunft bekam und ihn schlecht behandelt, zielt in die andere Richtung und drückt auf die Tränendrüse des Lesers.

Auch Regisseur Peter Jackson („Der Herr der Ringe“, „King Kong“) ist bekennender Fan von Temeraire: Seine Produktionsfirma hat die Rechte erworben, er selbst bezeichnet die Verfilmung als groß angelegtes Projekt – „groß“ lässt aus seinem Munde einiges erwarten! Eine angemessene Darstellung der innigen Beziehung zwischen Temeraire und Laurence dürfte sich als große Herausforderung erweisen.

In der Folge wird sich die Serie schnell in Richtung eines noch exotischeren Handlungsorts bewegen: China. Der chinesische Kaiser ist nicht allzu glücklich darüber, dass sein wertvolles Geschenk in die Hände eines gewöhnlichen britischen Marineoffiziers gefallen ist …

Offizielle Homepage der Autorin:
http://www.temeraire.org/

Deutsche Fanseite:
http://www.temeraire.de/

Website des Verlags:
http://www.cbj-verlag.de