Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Atkins, Charles – Gift

„Schuster, bleib bei deinen Leisten!“, dachte sich wohl Charles Atkins, als er den Thriller „Gift“ schrieb. Der Autor ist Psychiater, und anscheinend liegt es da nahe, sich auch literarisch mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen.

Dr. Peter Graininger ist Psychiater in der psychiatrischen Notfallaufnahme der New Yorker Universitätsklinik. Obwohl er es weit gebracht hat, lässt ihn die Erinnerung an den Unfall, bei dem seine Frau Beth ums Leben kam, immer noch nicht los. Mithilfe seines Sohns Kyle und seines Vaters, der ebenfalls Psychiater ist, versucht er wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Sein alter Studienfreund Ed Tyson, der mittlerweile ein hohes Tier an der Universität ist, hat ihm seinen Posten und auch die Wohnung, in der Peter lebt, beschafft.

Doch das hat Ed nicht nur aus Eigennutz getan. Er verfolgt Pläne, um Peter für eine Sache zu bestrafen, die bereits einige Jahre zurückliegt. Peter hat davon keine Ahnung, als er eines Tages Ann Walsh, Studentin, Gelegenheitsprostituierte und Geliebte von Ed, nach einem Selbstmordversuch behandeln soll. Wenig später wird Ann ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Peter war an diesem Abend bei Ed und seiner Familie zum Essen eingeladen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, muss er feststellen, dass seine Erinnerungen an diese Nacht bei der Verabschiedung an Eds Haustür aufhören. Wo war er danach? Ist der Filmriss eine Nachwirkung des Traumas von Beths Tod oder geht es hier um etwas ganz anderes? Peter merkt schnell, dass er in einem perfiden Spiel gefangen ist …

Es ist nicht nur der Beruf, den Autor und Protagonist teilen. Auf seiner [Website]http://www.charlesatkins.com erläutert Atkins, dass er in „Gift“ auch eine persönliche Tragödie verarbeitet – genau wie Dr. Graininger. Aus dieser Verbindung resultiert eine sehr authentische Hauptfigur, die die Abgründe der menschlichen Seele aus eigener Erfahrung kennt. Immer wieder blendet Peter Erinnerungen an frühere Zeiten ein und gibt sich mehr als einmal der Schwäche hin, sich selbst gehen zu lassen.

An und für sich steht aber die rasante, geradlinige Thrillerhandlung im Vordergrund. Bis auf Peters persönliche Erinnerungen gibt es kaum Abschweifungen. In großen, abgestuften Schritten geht die Geschichte voran. Atkins verzichtet auf großartige Action und Blut oder weitläufige Plots. Er hält die Handlung im kleinen Rahmen, was sie sehr bodenständig wirken lässt. Sie enthält Bewegung, haarsträubende Ereignisse, aber dennoch bezieht sie ihre Spannung mehr aus der leisen, stillen Art und Weise der Manipulation, deren Opfer Peter wird.

Die Handlung besteht hauptsächlich aus einem Strang. Es gibt kaum Nebenhandlungen und auch die Nebencharaktere haben zumeist keine große Aufgabe, wenn sie nicht direkt in die Gesamtgeschichte verwickelt sind. Dadurch wirkt das Buch sehr kompakt, lässt an einigen Stellen aber etwas an Originalität missen. Das flotte Erzähltempo verhindert, dass sich bestimmte Charaktere entfalten können und Atkins Schreibstil ist ebenfalls nicht wirklich bemerkenswert.

Er arbeitet sowohl mit einer Perspektive aus der ersten als auch mit Perspektiven der dritten Person. Der Ich-Erzähler ist natürlich Peter, dem es dadurch besonders gut gelingt, seine traumatischen Erinnerungen zu beschreiben. Die anderen Perspektiven beschränken sich auf wenige Personen und unterscheiden sich untereinander kaum vom Schreibstil her.

Atkins schreibt flüssig und mitreißend. Er benutzt einen gehobenen Wortschatz und schafft es, klare Sätze zu bauen, die sich zu einem fließenden Text verbinden. Während Peters Perspektive durch die starke Subjektivität hervorgehoben wird, wirken die anderen jedoch etwas beliebig. Sie sind zu gleichförmig, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt „Gift“ insgesamt nicht unbedingt, dafür aber erstaunt hochgezogene Augenbrauen während der Lektüre. Der Thriller sprüht nicht vor Originalität, aber der Amerikaner Charles Atkins liefert saubere Handarbeit ab. Besonders positiv sind dabei der gut ausgearbeitete, sympathische Protagonist und vor allem die flotte und schnörkellose Handlung, die eine Menge Spannung aufzubauen vermag.

http://www.bastei-luebbe.de

Reginald Hill – Das Fremdenhaus

Das geschieht:

Illthwaite ist ein kleines Dorf in der englischen Provinz Cumbria. Seit Jahrhunderten lebt hier eine nicht unbedingt harmonische doch verschworene Gemeinschaft, die es gewohnt ist, Probleme intern zu lösen und der Außenwelt die kalte Schulter zu zeigen. Dabei ist es im Verlauf der Zeit mehrfach zu definitiv illegalen Aktivitäten gekommen, auf die man zum Teil stolz ist, während man weniger schmeichelhafte Ereignisse sorgfältig geheim zu halten sucht.

Nun kommen gleich zwei Besucher von sehr weit her nach Illthwaite, wo sie Nachforschungen über ihre Familien bzw. einen bestimmten Kirchenmann anstellen möchten. Samantha Flood, eine Mathematik-Studentin, reist aus Australien an, weil sie feststellen möchte, wieso ihre Großmutter, die hier im Ort ansässig gewesen sein soll, vor mehr als vier Jahrzehnten und noch als Kind davongejagt wurde. Reginald Hill – Das Fremdenhaus weiterlesen

Remes, Ilkka – Höllensturz

_Story_

Im nordfinnischen Provinzörtchen Pudasjärvi entdecken drei Wilderer die Leiche einer jungen Frau, der bereits kurze Zeit der Fund einer weiteren Toten folgen soll. Karri Vuorio, ein einstiger Großunternehmer, der sich der Wilderertruppe aus Abenteuerlust angeschlossen hatte, ist zutiefst entsetzt, handelt es sich bei den beiden Toten, Erja und Anne-Kristiine, doch um enge Freundinnen seiner Ehegattin Saara, einer Bibelforscherin, die jüngst in den Nahen Osten aufgebrochen ist, um ihre aktuellen Wissenschaften voranzubringen.

Die Kriminalkommissarin Johanna Vahtera wird mit dem Fall beauftragt und erfährt alsbald, dass sich die beiden Opfer, Saara und eine weitere junge Dame namens Lea, kürzlich in einem libanesischen Restaurant getroffen haben, kurz bevor die Vuorio nach Jordanien aufgebrochen ist. Vahtera nimmt Kontakt zu Lea auf und vereinbart ein Treffen in ihrem Haus, findet aber zum vereinbarten Zeitpunkt nur noch ihre Leiche auf.

Nun überschlagen sich die Ereignisse; der dreifache Mord erschüttert die gesamte Region, und als Karri schließlich noch erfährt, dass seine Frau von einer Gruppe islamischer Fundamentalisten entführt wurde, brechen in Pudasjärvi mehrere Welten zusammen. Haben die Morde etwas mit der Verbundenheit der Damen zur Glaubensgemeinschaft der Laestadianer zu tun? Besteht tatsächlich eine Verbindung zwischen den Attentaten und der Entführung in Nahost? Und welche Rolle spielen die inzwischen hinzugestoßenen Israelis, die großes Interesse daran bekunden, Saara zu befreien? Karri reist entgegen aller Vernunft nach Amman und versucht mit dem europäischen Spezialagenten Timo Nortamo, seine Frau zu befreien. Doch derweil spitzt sich auch in Finnland die Lage zu …

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem fantastischen Debüt auf dem deutschen Markt, „Ewige Nacht“, durfte man berechtigterweise mit sehr großen Erwartungen auf den neuen Remes-Thriller „Höllensturz“ vorausschauen, selbst wenn die teils religiösen Inhalte zunächst einmal oberflächlich Skepsis hervorriefen, schließlich scheint dieser Themenkreis derzeit immer mehr Buchautoren zu inspirieren. Allerdings zäumt der Finne das Pferd von hinten auf und macht den brisanten religiösen Hintergrund nicht zum Aufhänger seines neuen Romans, sondern fügt ihn nahtlos und kontinuierlich in seine atemberaubende Kriminalgeschichte ein, die aufgrund der Fülle von stetig neuen Informationen in Sachen Spannung niemals abreißt und letztendlich den Anspruch auf ein Meisterwerk, wie er damals bei „Ewige Nacht“ berechtigt gestellt werden durfte, auch völlig befriedigt.

Dabei benötigt „Höllensturz“ jedoch eine nicht gerade unbescheidene Anlaufzeit, bis sich die komplexen Schemen lösen und die Szenerie vom Leser halbwegs nachvollziehbar nachkonstruiert werden kann. Zunächst nämlich versucht man vergeblich, die wirren Zusammenhänge zwischen der Mordserie in Saara Vuorios Heimat mit der Entführung der Bibelforscherin zu finden und den recht losen Gedankenkonstrukten eine Verbindung zuzuweisen. Zu weit hergeholt scheinen die ersten Theorien im Bezug auf Terrorakt und Dreifachmord in der finnischen Provinz. Dementsprechend zügig gehen dann auch die Ermittlungen voran; der Mörder scheint schnell gefunden, seine Motive erscheinen transparent und der befürchtete Aufwand erweist sich für die Ermittler fast schon als haltlos, noch bevor die Medien überhaupt Kenntnis von der Existenz der Ratte, wie Vahtera den Mörder bezeichnet, nimmt.

Dies ist für Remes genau der richtige Zeitpunkt, um das thematisch brisante Puzzle kurz auseinanderzureißen und die vorerst falsch eingesetzten Teile mit unheimlichem Geschick richtig zusammenzusetzen. Mit Karris Aufbruch nach Nahost werden die Grenzen der Ermittlungen in Pudasjärvi gesprengt; und wie schon zuvor eröffnet der Autor seiner Geschichte plötzlich eine Tragweite, die abzuschätzen man später kaum noch wagt. Internationale Organisationen, verschiedene Terrororganisationen und dazu noch einige unberechenbare Elemente halten Einzug in die Story, und noch bevor einem bewusst wird, welch enormes Geflecht Remes insgesamt doch wieder gesponnen hat, befindet man sich inmitten eines durch und durch von Verschwörungen und Überraschungen gezeichneten Thrillers, dem es zwar bisweilen ein wenig an tatsächlichem Realitätsbezug fehlt (diverse Entwicklungen laufen definitiv zu optimal und idealistisch), welcher aber genau diesen unbeschreiblich hohen Gehalt an Spannung innehat, wie es in dieser Sparte nur ein Qualitätswerk aufweisen kann. Darüber hinaus sind die Charakterzeichnungen auch dieses Mal wieder brillant, getragen von einer durchaus heftigen Entwicklung und erstellt auf Profilen, die kaum professioneller ausgearbeitet sein könnten.

Mit anderen Worten: Ilkka Remes ist allen Anforderungen gerecht geworden, die ein Genre-Meisterwerk beansprucht, und hat dabei den Balanceakt zwischen religiösen Verschwörungen, politischen Außergewöhnlichkeiten und einer reinen Kriminalgeschichte geschickt und gekonnt vollzogen – ohne dabei auch nur im Ansatz in die Reihe der Dan-Brown-Epigonen abzudriften. „Höllensturz“ ist der nächste Auszug einer bis dato bemerkenswerten Schriftstellerkarriere und eines der größten Schmankerl der aktuellen Saison!

http://www.ilkka-remes.de/
http://www.dtv.de/

_Ilkka Remes auf |Buchwurm.info|:_

[„Ewige Nacht“ 2039
[„Das Hiroshima-Tor“ 2619
[„Blutglocke“ 3911

Tandefelt, Henrik – Ultramarin

Im Vorwort seines Buches „Ultramarin“ schreibt Henrik Tandefelt:

|“Ein Krimi enthält vor allem Sex und Gewalt. Die Sprache ist niveaulos, die Charaktere sind billig. Deshalb ist es nicht gesund, Krimis zu lesen!“| (Seite 6)

Inwiefern sich das verallgemeinern lässt, ist fraglich. Schließlich gibt es auch genug Autoren, die das Gegenteil beweisen. Henrik Tandefelt möchte auch zu diesen gezählt werden. In seinem zweiten Roman schickt er deswegen den sympathischen Ich-Erzähler aus seinem Debüt [„Lauf, Helin, lauf!“ 3912 ins Rennen. Allerdings verschlägt es den Fotografen Joseph Friedmann dieses Mal nach Helsinki anstatt nach Småland.

Seine Freundin, die Opernsängerin Bella, hat eine Gastrolle an der finnischen Nationaloper bekommen, und Josef, der nicht wirklich etwas zu tun hat, kümmert sich um den Haushalt und die Hunde. Der Frieden währt allerdings nicht lange. Lindström, der Polizist, der mit Josef dessen ersten „Fall“ gelöst hat, ruft an und macht ihn mit einem Freund, der bei der Polizei in Helsinki arbeitet, bekannt.

Josef schließt Freundschaft mit Olli Mustonen und besucht ihn gerne in seinem abgelegenen Ferienhaus. In der Nähe liegt ein verwaister Hof, auf dem vor fünf Jahren der griesgrämige Arzt Jens Bäck ermordet wurde. Seitdem fehlen drei Bilder des russischen Malers Ajvazovskij und Bäcks Gehilfe Dimitri. Die Ermittlungen verliefen damals im Sande, doch natürlich kennt Josefs Neugier keine Gnade. Er beginnt auf dem Hof und in Bäcks Leben herumzuschnüffeln. Bald findet er heraus, dass Bäck, anders als die Polizei glaubt, sehr wohl einen Sohn hat, der in Schweden lebt und behauptet, seinen Vater kaum zu kennen. Warum ist er aber dann auf vielen Fotos mit Bäck zu sehen? Das soll nicht die einzige Ungereimtheit bleiben …

Was die Kritik in seinem Vorwort angeht, hält Tandefelt Wort. Josef Friedmann ist ein äußerst sympathischer Charakter. Er erzählt aus der Ich-Perspektive im Präsens, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Seine Wesenszüge sind klar gezeichnet, wirken aber etwas zu positiv. Es mangelt an wirklichen Macken, die den Protagonisten noch authentischer hätten dastehen lassen.

Die Geschichte konzentriert sich hauptsächlich auf Josefs Sicht, doch wie bei „Lauf, Helin, lauf!“ gibt es auch bei „Ultramarin“ eine zweite Perspektive. Während sie das letzte Mal aus der Sicht des menschlichen Opfers erzählte, begleitet sie dieses Mal die drei gestohlenen Gemälde und berichtet, jeweils aus dem Blickwinkel des momentanen Besitzers, wie sie immer weiter gegeben werden. Das ist auf jeden Fall ein geschickter Schachzug, auch wenn diese erfrischenden zweiten Perspektiven eher selten sind.

Als niveaulos kann man Tandefelts Schreibstil ebenfalls nicht bezeichnen. Er schreibt gehoben, aber dennoch einfach. Da aus der Ich-Perspektive erzählt wird, ist alles sehr subjektiv gefärbt, was kein Nachteil ist. Die persönliche Note macht es leicht, sich mit Josef Friedmann zu identifizieren, und seine lockere, humorvolle Art gefällt. Das Erzähltempus – Präsens – ist zwar, wie gesagt, etwas gewöhnungsbedürftig und hakt auch an einigen Stellen, alles in allem präsentiert sich „Ultramarin“ aber als runde Angelegenheit.

Einzig die Handlung dürfte dem Leser ein bisschen Kopfschmerzen bereiten. Tandefelt verlässt sich tatsächlich mehr auf die leisen Töne als auf Sex und Gewalt, aber so einen dichten, spannenden Plot wie bei seinem ersten Buch bekommt er dieses Mal nicht hin. Das liegt eventuell daran, dass es weniger Perspektiven und weniger aufzuklärende Fälle gibt.

Während sich „Lauf, Helin, lauf!“ durch eine mehrdimensionale Geschichte mit vielen losen Spannungsenden auszeichnete, ist „Ultramarin“ sehr einstrangig. An einigen Stellen plätschert die Story vor sich, und trotz des schönen Erzählstils finden sich einige Ausschweifungen. Tandefelt tendiert sehr stark dazu, präzise jeden einzelnen Handlungsschritt von Josef aufzuzählen. Mit der Zeit wird das mühsam, genau wie die Wiederholungen bei Josefs Ermittlungsarbeit. Man hat das Gefühl, als ob sein Leben daraus bestünde, Leute aufzutreiben, mit ihnen zu telefonieren und sie zu besuchen. Das führt dazu, dass die Handlung sich des Eindrucks einer leichten Konstruiertheit nicht erwehren kann.

Trotzdem gefällt Tandefelts Schreibstil nach wie vor. Wer die schwedische Krimischwermut satthat, wird an diesem Autor Gefallen finden, auch wenn „Ultramarin“ nicht an seinen Vorgänger heranreicht. Es bleibt aber zu hoffen, dass die sympathische Hauptfigur uns auch in weiteren Büchern beehrt. An der Art und Weise, wie Henrik Tandefelt seine Bücher schreibt, liegt es nämlich nicht. Es ist fast einzig und allein die Handlung, die in diesem Fall nicht ganz rund läuft.

http://www.dtv.de

Barclay, Linwood – Ohne ein Wort

Um „Ohne ein Wort“ von Linwood Barclay wird in den Medien derzeit ein ziemlicher Wirbel veranstaltet. |Ullstein| hat sogar eigens eine [Website]http://www.ohne-ein-wort.de ins Leben gerufen und bewirbt das Buch mit einem Filmtrailer.

So viel Tamtam ist man eher von Autoren der Größenordnung einer Joanne K. Rowling gewohnt. Dementsprechend hoch sind deshalb die Erwartungen an „Ohne ein Wort“. Ist Linwood Barclay wirklich der neue Stern am Thrillerhimmel, wie der Verlag suggeriert?

Eine Supernova ist es nicht gerade, die Barclay dem Leser beschert, aber immerhin auch kein schwarzes Loch. „Ohne ein Wort“ ist ein gemütliches Büchlein, das sich hauptsächlich durch seine Alltagsnähe auszeichnet.

Nun gut. Das, was Cynthia Archer, mittlerweile 39 und Ehefrau und Mutter einer achtjährigen Tochter, mit vierzehn Jahren erlebt hat, ist alles andere als alltäglich. Nach einem heftigen Streit mit ihren Eltern wacht sie am nächsten Morgen auf und muss feststellen, dass alle verschwunden sind. Das große Haus ist leer, ihre Eltern und der ältere Bruder Todd sind samt den Autos verschwunden. Gepackt haben sie nichts, auch einen Abschiedsbrief haben sie nicht hinterlassen. Was ist passiert? Wurden die Bigges ermordet? Wieso wurde Cynthia verschont?

25 Jahre später möchte Cynthia Licht ins Dunkle bringen und wagt einen verzweifelten Versuch. Mithilfe eines lokalen Fernsehsenders dreht sie eine Reportage über ihr Schicksal und hofft, dass die Zuschauer ihr weiterhelfen können. Anfangs passiert nichts, doch dann fühlt Cynthia sich plötzlich verfolgt, in ihr Haus wird eingebrochen und am Ende stirbt auch noch ihre geliebte Tante Tess, die sie aufgezogen hat. Wenig später findet die Polizei einen zweiten Toten, Denton Abagnall. Der Privatdetektiv sollte im Auftrag der Archers ermitteln, und das hat ihn das Leben gekostet. Doch anstatt den wahren Mörder zu suchen, der laut Cynthia von den Ereignissen vor 25 Jahren weiß, ermittelt die Polizei gegen die Familie. Da trifft ein anonymer Brief ein, der mit dem Verschwinden von Cynthias Eltern zu tun hat …

Anders als man es vielleicht erwartet, ist Cynthia nicht die Erzählerin dieser Geschichte. Ihr Mann Terry berichtet, wie das Wiederaufrollen des Verschwindens die Familie zerrüttet und ihren Alltag belastet. Terry ist ein sympathischer Ich-Erzähler, wenn auch nicht sonderlich interessant. Er verkörpert den netten, aber leicht langweiligen Lehrer, der es mit niemandem böse meint. Trotzdem ist er gut ausgearbeitet und wirkt dadurch, dass er so alltäglich ist, sehr authentisch.

Der Schreibstil, der Terry Archer begleitet, ist sehr stimmig gelungen. Barclay schreibt flüssig mit einem leichtfüßigen, nie bösen Humor. Sein Wortschatz ist gewählt, aber nicht zu sehr, und sein Satzbau ist klar. „Ohne ein Wort“ lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen.

Bei den anderen Personen ist es ähnlich. Sie sind gut ausgearbeitet, aber es fehlt ihnen an Originalität. Sie wachsen dem Leser zwar ans Herz, aber wer auf der Suche nach etwas Neuem und Besonderem ist, wird bei „Ohne ein Wort“ nicht fündig. Insgesamt präsentiert sich das Buch mehr als Hausmannskost denn als echte Delikatesse.

Das merkt man auch der Handlung an, die recht konventionell aufgebaut ist. Alle Ereignisse, die darauf hindeuten, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, bleiben in einem Rahmen, der nur wenig Spannung zulässt. Das bedeutet nicht, dass die Story schlecht wäre. Im Gegenteil baut Barclay sein Buch logisch auf und steigert die Spannung schön zum Ende hin. Dennoch ist das Buch nicht so fesselnd wie manch anderer Psycho-Thriller. Dafür fehlen die wirklich ausgefallenen Ereignisse und weniger leicht durchschaubare Ungereimtheiten.

Was Barclay sich über das Buch hinweg aufbaut, hält er am Ende leider nicht ein. Die Auflösung des Falls ist nicht wirklich spektakulär, auch wenn sie überrascht. Trotzdem hätte es sich gelohnt, das Ende so zu gestalten, dass die Auflösung auch wirklich am Ende steht. An dieser Stelle verschießt Barclay sein Pulver ein wenig zu früh, auch wenn man seiner sauberen Handarbeit keinen Vorwurf machen kann.

Insgesamt ist „Ohne ein Wort“ ohne Frage ein Psycho-Thriller der besseren Sorte. Der Schreibstil ist gelungen und reißt mit, und die Personen sind sympathisch, wenn auch nicht gerade Originale. Barclays Art, auf Qualität statt auf Innovation zu setzen, rächt sich erst bei der Handlung. Der Aufbau ist konventionell und das Ende wenig spektakulär. Dadurch hat die Spannung wenig Gelegenheit, um sich wirklich gut zu präsentieren, verschwindet aber nie von der Bildfläche.

http://www.ullstein-taschenbuch.de

Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief

Im einsamen Haus lauern verfeindete Verwandte auf den Tod des reichen Familienoberhaupts, bis die Anwesenden sich gegenseitig zu dezimieren beginnen. Eine Krankenschwester betätigt sich als Privatdetektivin und kommt des Rätsels Lösung dabei zu nahe … – Atmosphärisch dichter „Whodunit“ mit wirklich allen Elementen dieses Genres, deren Autorin nach vielen falschen Fährten und Rätselraten den Täter aus dem Kreis der sämtlich verdächtigen Figuren herausfiltert.
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Eckert, Renate – Hungrige Schatten

Renate Eckert weiß, wovon sie schreibt. Genau wie die Protagonistin in ihrem ersten Buch, arbeitete auch sie lange Zeit als Journalistin. Sie kennt sich also aus mit den inneren Strukturen einer Redaktion.

Diese sind es, die der Journalistin Anne Michels das Leben schwer machen. Ihr Vorgesetzter mobbt sie, und das lastet schwer auf der jungen Frau. Sie ist neu in der beschaulichen Stadt Burgstadt, und bis auf Angie, eine Arbeitskollegin, und Phil, einen Kollegen, der heimlich in sie verliebt ist, hat sie noch nicht viel Anschluss gefunden.

Das ändert sich, als sie für die bevorstehende Oberbürgermeisterwahl die Kandidaten interviewen soll. Matthias Reininger, der charismatische Anwalt, ist ihr bereits bei einer Ordensverleihung für verdiente Kommunalpolitiker aufgefallen. Als sie ihn in seinem teuren Haus besucht, zeigt sich, dass sie ihm auch aufgefallen ist. Er spinnt sie ein mit seiner Aufmerksamkeit. Doch schnell zeigt sich, dass mit seiner Zuwendung eine dunkle Seite einhergeht. Er ist dominant, manchmal geradezu sadistisch. Anne ist trotzdem verrückt nach ihm und merkt erst viel zu spät, worauf sie sich da eingelassen hat …

Im Vordergrund der Geschichte steht Anne, die als Neue in der Redaktion viel einstecken muss. Für sie bedeutet der Job eine gute Gelegenheit, um sich von ihrer Vergangenheit freizustrampeln, die von der Autorin gut ausgearbeitet wurde. Anne hat auch eigene Charakterzüge, aber die sind größtenteils schwammig dargestellt, so dass es schwerfällt, sich mit der Protagonistin zu identifizieren.

Im Großen und Ganzen bleibt die junge Journalistin dem Leser verschlossen. Der Grund dafür ist der altbackene Schreibstil von Eckert. Sie benutzt einen gehobenen Wortschatz und bemüht sich um Abwechlsungsreichtum bei der Wortwahl. Dennoch klingen viele ihrer Formulierungen gestelzt und künstlich. Das Vokabular, auf das sie zurückgreift, ist stellenweise zu erhaben, und sie schafft es nur selten, wirkliche Emotionen zu erzeugen.

Dieser Schreibstil hat weitreichende Folgen. Die Grundidee, auf der Eckert ihre Geschichte aufbaut, ist nicht unbedingt schlecht. Eine junge, vielleicht etwas naive und vor allem einsame Frau gerät in die Fänge eines charismatischen, aber verdorbenen Mannes. Daraus ließe sich ohne Probleme das stricken, was auf dem Buchdeckel angegeben ist: ein Psychothriller.

Leider verbaut sich die Autorin mit dem Schreibstil diese Möglichkeit. Durch die Verschlossenheit und Künstlichkeit kann kaum Spannung aufgebaut werden. Selbst der Kriminalfall, den Annes Kollege Phil verfolgt, kann kaum punkten. Er steht nicht im Vordergrund und verläuft mehr oder weniger im Sande, weil aufgrund des Schreibstils einfach keine Spannung aufkommen möchte.

Ähnlich ist es mit der verhängnisvollen Verbindungen zwischen Anne und Matthias. Hier fehlt es an psychologischer Tiefe, obwohl die einzelnen Stufen dieses Handlungsstrangs gut aufgebaut sind. Letztendlich ist es wieder Eckerts Schreibstil, der die Spannung blockiert. So gewandt er auch erscheinen mag, verhindert er doch, dass das Buch in die Tiefe gehen kann.

Hinzu kommen die vielen Nichtnotwendigkeiten, zu denen abgeschweift wird. Was in manch anderen Büchern für Vielschichtigkeit und Erzähldichte sorgt, wirkt in diesem Fall überflüssig. Auch das lässt sich wieder auf den Schreibstil zurückführen, der es nicht schafft, solche Abschweifungen in den Erzählfluss zu betten.

Wie man sieht, ist bei „Hungrige Schatten“ der Schreibstil der springende und wunde Punkt. Handwerklich kann man sich nicht über ihn beschweren. Eckert kann schreiben und sie greift auf einen großen Wortschatz zurück. In diesem sind leider sehr viele gestelzte Ausdrücke und Formulieren enthalten, die schuld daran sind, dass es dem Buch an Lebendigkeit fehlt. Das wirkt sich negativ auf Handlung und Personen aus. Besonders dem Plot fehlt es an Spannung und Emotionen, auch wenn er auf einer passablen Grundidee fußt.

http://www.heyne.de

Kusnezow, Sergej – Hülle des Schmetterlings, Die

Bereits die Widmung von Sergej Kusnezows Buch „Die Hülle des Schmetterlings“ macht neugierig: |“Dieses Buch wollte ich zwei Freunden widmen. Beide haben sich geweigert es zu lesen und darauf bestanden, in keiner Weise damit in Verbindung gebracht zu werden.“| Was für ein Buch muss das sein, wenn Leute nicht damit in Verbindung gebracht werden? Der Verlag selbst sieht es als |“Das russische Gegenstück zu Thomas Harris‘ ‚Schweigen der Lämmer'“|, und damit hat er gar nicht mal so unrecht.

Ein Serienkiller hält die russische Hauptstadt Moskau in Atem. Schon seit Monaten foltert und tötet er Frauen zwischen 15 und 40, und die Polizei hat keine einzige Spur. Xenia, die junge Chefredakteurin einer mäßig erfolgreichen Internetseite, hat eine zündende Idee. Zusammen mit ihrem Kollegen Alexej und ihrer besten Freundin Olga ruft sie eine Website ins Leben, auf der alle Informationen zu dem Serienkiller zusammengetragen werden. Daneben werden Expertenmeinungen veröffentlicht und in einem Forum können die Besucher der Seite über die Morde diskutieren.

Ihr Plan geht auf. Die kontroverse Internetseite erlangt schnell Ruhm und Xenia wird zu einer kleinen Berühmtheit. Eines Tages meldet sich ein Fremder, der sich „alien“ nennt, über ICQ bei ihr. Xenia geht auf seine Gespräche ein und hört auch nicht auf, als der Fremde sie „kleine Schwester“ nennt und zu selbstverletzenden Aktionen zwingt. Ehe sie es sich versehen hat, steckt sie tief in einem Strudel aus roher Gewalt und blindem Gehorsam …

Sergej Kusnezow hat mit großer erzählerischer Beweglichkeit ein sehr düsteres Buch über die Abgründe im Menschen geschrieben. Diese Menschen arbeitet Kusnezow als originellen Charaktere sehr gut aus und versieht sie mit ganz eigenen Charakterzügen und einer detailreichen Vergangenheit. Auffällig ist, dass er auf positive Emotionen beinahe gänzlich verzichtet. So gut wie alle Protagonisten, allen voran natürlich der Serienkiller, zeigen nur ihre dunkle Seite, was dem Buch eine besondere Stimmung verleiht. An dieser Stelle sei besonders die Andersartigkeit der Charaktere betont. Xenia ist zum Beispiel Fan von BDSM-Spielchen, was ja nicht gerade alltäglich ist. Dadurch wird das Buch zusätzlich interessant und erlaubt einen Blick in Welten, die der normale Leser so nicht kennt.

Dieser Blick wird durch die unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Der russische Autor legt hierbei eine große Kreativität an den Tag. Der Serienkiller berichtet sehr anschaulich, ohne zu viel von sich preiszugeben, aus der Ich-Perspektive. Neben Erinnerungen und aktuellen Ereignissen flicht er außerdem sehr poetische Kapitel ein. In einem schildert er zum Beispiel ausführlich, wieso jede Jahreszeit eine gute Jahreszeit zum Töten ist und greift dabei auf viele bildhafte Beschreibungen zurück. In anderen berichtet er in Form eines reimlosen Gedichtes davon, wie er seine einzelnen Opfer umgebracht hat. Kusnezow schafft es dabei, auf geniale Art und Weise die brutalen Details mit einer blumigen Sprache und der Liebe des Tötens, die der Killer verspürt, zu verbinden.

Die anderen Perspektiven wechseln dagegen munter durch. Zumeist schreibt er aus der dritten Person, manchmal aber auch aus der ersten, was die Gedanken und Gefühle des jeweiligen Ich-Erzählers besonders intensiv und oft beklemmend wirken lässt. Oft greift er aber auch auf eine völlig andere, unbekannte Art von Perspektive zurück, die „Du-Perspektive“. Eine Du-Perspektive setzt natürlich voraus, dass es einen Ich-Erzähler gibt, der das Du anspricht. Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall der Serienkiller, auch wenn er sich in den Kapiteln mit der Du-Anrede, die zumeist an Xenia gerichtet ist, zurückhält. Er erzählt den Tagesablauf der Protagonisten so, als ob er sie gerade dabei beobachtet und sehr genau über ihre Gepflogenheiten Bescheid weiß. Das sorgt für Gänsehaut. Der teils verspielte, teils gruselige Ton, den Kuszenow dabei anschlägt, gibt dem Leser das Gefühl, dass der Serienkiller Macht über alle Personen in dieser Geschichte hat.

Auch wenn der Autor sich sehr stark auf seine Personen konzentriert – viele Kapitel handeln einzig von deren Gedanken und Gefühlen -, vernachlässigt er nicht die Handlung. Er schweift zwar oft ab und bietet dem Leser eine große Fülle an Informationen, aber diese lenken nicht unangenehm ab, sondern sorgen für eine hohe Erzähldichte. Die Handlung kommt zwar langsam in Gang, aber sie schreitet zügig fort und findet ihren Höhepunkt in einem überraschenden, offenen Ende. Oft gehen solche Experimente schief, doch Kusnezow gelingt es, seinen originellen Abschluss sauber über die Bühne zu bringen.

Was „Die Hülle des Schmetterlings“ neben den scharf gezeichneten Personen und dem Spiel mit den Perspektiven auszeichnet, ist der Schreibstil. Dieser ist rhetorisch bemerkenswert geschickt. Kusnezow benutzt viele Reihungen und Metaphern, Bilder und Vergleiche. Manche davon ziehen sich durch das ganze Buch; die Erwähnung eines schwarzen Kokons, zum Beispiel, auf den auch der deutsche Titel des Buchs anspielt. Der Autor hält mit diesem vielfältigen Schreibstil das ganze Buch zusammen und hebt sich wohltuend von anderen Thriller-Autoren ab.

„Die Hülle des Schmetterlings“ von Sergej Kusnezow ist ein selten guter Thriller. Eine spannende Handlung und tolle, düstere Charaktere verbunden mit einem virtuosen Schreibstil – und das in einem Genre, das nicht unbedingt für seine literarische Qualität bekannt ist. Der Vergleich mit Thomas Harris hinkt trotzdem. Aber es ist Harris, der gegen Kusnezows Kreativität nicht ankommt.

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Paprotta, Astrid – Feuertod

Die in Frankfurt lebende Autorin Astrid Paprotta ist bislang vor allem durch ihre Krimis mit der Kommissarin Ina Henkel bekannt geworden. In ihrem neuen Buch „Feuertod“ führt sie zwei neue Ermittler ein: Hauptkommissar Niklas und den ihm zugeteilten LKA-Beamten Potofski.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Fall müssen sie die grausame Ermordung von vier Menschen aufklären. Die Anwältin Ellen Rupp verbrennt zusammen mit ihrem jungen Liebhaber in ihrer Wohnung. Das Gleiche gilt für Michael Brecht. Auch er wird in seiner ausgebrannten Wohnung entdeckt. Der Einzige, der die Verbindung zwischen Rupp und Brecht herstellen kann, ist Moritz Blume.

Er arbeitete als eine Art Privatdetektiv für Ellen Rupp, die eine raubeinige Wirtschaftsanwältin war. Nebenbei engagierte sich die Frau für die Bürgerinitiative „Sichere Stadt“, was ihr einen Platz im Stadtparlament verschaffte. Gegenden wie die, in der Blume wohnt, waren ihr ein Dorn im Auge, weil dort die Armen und Arbeitslosen wohnen und das Stadtbild verschandeln. Blume ermittelt auf eigene Faust, doch als er zu viel herausfindet, stirbt auch er – bei einem Wohnungsbrand.

Blume war der Polizei einige Schritte voraus, doch Niklas und Potofski, beide ein bisschen behäbig, kommen allmählich einer Geschichte auf die Spur, die schon viele Jahre zurückliegt. Doch kann sie wirklich der Grund für die Morde sein?

Was Paprotta von anderen Kriminalautoren abhebt, sind ihr bemerkenswerter Schreibstil und ihre originellen Personen. Diese beiden Dinge stehen beinahe mehr im Vordergrund als der eigentliche Kriminalfall. Anders als erwartet, führt das aber nicht zu Problemen, sondern zu einem auffällig guten Krimi.

Neben den Ermittlern Niklas und Potofski stehen mehrere andere Perspektiven im Vordergrund, die von den Morden betroffen sind. Neben Blume sind dies das Paar Westheim und der Friseur Czerny. Czerny hat seinen Salon in der Stoltzestraße, die einen schlechten Ruf hat, und Blume ist sein Nachbar und so etwas wie ein Freund. Dadurch erfährt er vieles über die Morde und bewertet die Frisuren der einzelnen Toten mit Kennerblick.

Paprottas Perspektiven sind wunderbar gestaltet. Es gibt nur wenige objektive Beschreibungen. Zumeist scheinen die gedruckten Worte direkt aus den Köpfen der Perspektiven zu kommen. Das hängt mit dem Schreibstil zusammen, der sehr alltäglich gehalten ist. Paprotta benutzt Alltagssprache, die sich auch im Satzbau widerspiegelt. Oft verbindet sie mehrere Hauptsätze mit Kommas, anstatt Nebensätze zu bilden. Trotzdem liest sich das Resultat frisch und flüssig und erinnert an einigen Stellen an den so genannten „stream of consciousness“. Diese Erzählweise definiert sich dadurch, dass sie ungefiltert aus dem Kopf der Person erzählt, was diese gerade sieht, erlebt und denkt. Dadurch entsteht ein rundes, kompaktes Bild der Situationen mit einer sehr subjektiven Färbung. Der beiläufige, trockene Humor, den die Autorin einwebt, und die sarkastischen Bemerkungen von Niklas, bevorzugt über seinen neuen Kollegen, sorgen dafür, dass eine angenehme Frische in den flüssigen Schreibstil einzieht.

Wer so sehr aus dem Kopf seiner Personen berichtet, muss diese auch dementsprechend ausarbeiten. Das gelingt der studierten Psychologin geradezu perfekt. Ihre Charaktere sind sehr eigen, haben gut ausgearbeitete Wesenszüge und einen Haufen interessanter Gedanken. Letztere sind sehr authentisch, genau wie die Dialoge, die stark von Alltagssprache gefärbt sind.

Insgesamt schafft es die Autorin, eine ganz eigene Erzählmagie zu entwickeln. Perspektiven wie die von Czerny, der mit den Morden nicht wirklich etwas zu tun hat, lassen die Handlung an manchen Stellen abschweifen. Trotzdem kehrt die Autorin immer wieder dorthin zurück. Es ist erwähnenswert, dass die beiden Ermittler Niklas und Potofski gar nicht so sehr im Vordergrund stehen. Ihre Aufgabe ist es, den Schuldigen zu finden, und nicht, ihre Gedankenwelt dem Leser zu präsentieren. Das ist auf der einen Seite geschickt, weil dadurch keine Trockenheit aufgrund zäher Polizeiarbeit entstehen kann. Auf der anderen Seite werden Fans des eher klassischen Kriminalromans ein Problem mit „Feuertod“ haben.

Wer allerdings nicht davor zurückschreckt, einen Kriminalroman mit einem kräftigen Schuss Belletristik zu lesen, der ist mit „Feuertod“ gut beraten. Astrid Paprotta schafft es, dem Genre Kriminalroman ein paar ganz eigene Töne zu entlocken. Das Buch ist interessant, abwechslungsreich und wird von einem sehr guten Schreibstil und originellen Charakteren erfolgreich getragen.

http://www.piper-verlag.de

Patricia Cornwell – Brandherd [Kay Scarpetta 9]

Ein Brandstifter entfacht wahre Höllenfeuer. In der Asche finden sich Leichen, die nur die geniale Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta identifizieren kann. Sie erkennt, dass hier eine Serienmörderin, mit der sie vor Jahren schon einmal zu tun hatte, wieder aktiv geworden ist, erkennt deren perfiden Racheplan aber beinahe zu spät … – Der 9. Band der erfolgreichen Scarpetta-Serie bietet erneut spannende Thriller-Unterhaltung mit bizarren Morden und Forensik-Exotik, leidet aber unter allzu dick aufgetragenen, predigtähnlich die Handlung ins Stocken bringenden Seifenoper-Elementen. Patricia Cornwell – Brandherd [Kay Scarpetta 9] weiterlesen

Frost, Scott – Risk. Du sollst mich fürchten

Scott Frost ist bislang eher für seine Drehbücher für Serien wie „Akte X“ oder „Twin Peaks“ bekannt gewesen. Mit „Risk. Du sollst mich fürchten“ soll sich das ändern. Der Psychothriller ist Frosts erstes Buch und wurde sogar für den |Edgar Award| als bestes Thrillerdebüt nominiert.

Der Fall, mit dem Lieutenant Alex Delillo sich beschäftigt, beginnt recht harmlos mit dem Mord an einem Blumenhändler. Als sie einen vorbestraften Mitarbeiter des Geschäfts überprüfen wollen, fliegt dessen Haus in die Luft und Alex‘ Partner Dave Traver wird lebensgefährlich verletzt.

Schon bald zeigt sich, dass der Täter zu noch weit grausameren Taten fähig ist. Immer wieder greift er auf selbst gebastelte Bomben zurück und schon bald kristallisiert sich sein Ziel heraus: Er möchte eine Bombe auf der jährlichen Rosenparade in Pasadena zünden. Für Alex und ihren neuen Kollegen Dylan Harrison, Experte für Sprengstoffe, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Alex ist davon ganz besonders betroffen, denn der Täter hat ihre Tochter Lacy entführt und droht damit, sie umzubringen, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft …

Die Handlung, die Frost in seinem Buch anbietet, ist nicht unbedingt das Nonplusultra. Der Bombenleger, der sich inszeniert und die Welt in die Luft sprengen möchte, ist ein bisschen abgeschmackt. Trotzdem schafft der Autor es, immer wieder unkonventionelle Ereignisse in seinen Plot einzubinden. Er verfolgt also nicht immer das übliche Schema, kann uns aber auch nicht völlig vom Gefühl des bereits Dagewesenen befreien.

Auch wenn das Thema nicht neu ist, so kann man sich über den Aufbau des Buches nicht beklagen. Man merkt Frost seine Vergangenheit als Drehbuchautor an. Schlag auf Schlag passieren die Morde und werden meist actionreich dargestellt. Für Ausschweifungen bleibt wenig Platz. Einzig Alex gönnt sich ab und an ein paar Zeilen, um über das schwierige Verhältnis zu ihrer Tochter zu philosophieren oder ihre eigene Vergangenheit zu beleuchten.

Diese Passagen tragen dazu bei, dass der Thriller trotz seiner actionreichen und teilweise hightechlastigen Handlung viel menschliche Wärme in sich trägt. Die Ich-Perspektive, aus der Alex erzählt, ist dem Autor sehr gut gelungen. Alex ist eine schlagfertige, im Beruf kompetente Frau, die an ihrer Unfähigkeit als Mutter zu knabbern hat. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Lacy ist sehr schlecht. Sie weiß nur wenig über deren Leben und wird mit dieser Tatsache immer wieder konfrontiert. Frost schafft es, Alex‘ Verzweiflung, Reue und Angst im Verlauf des Buches sehr gut darzustellen. Dabei vernachlässigt er nicht, die Geschichte mit sarkastischen, teils selbstironischen Bemerkungen aufzulockern.

Auch die anderen Charaktere sind sehr vielschichtig gezeichnet, wenn auch nicht immer so interessant wie Alex. Frost setzt weniger auf wirkliche Originalität als auf gute Handarbeit. Seine Personen sind dementsprechend gut ausgearbeitet, wirken aber alltäglich.

Alex‘ Ich-Perspektive bestimmt das Buch weitgehend. Sie wird von einem klaren, sauberen Schreibstil gestützt, der bis auf die humorvollen Bemerkungen kaum Besonderheiten in Form von rhetorischen Stilmitteln besitzt. Da Frost aber sehr dicht und flüssig schreibt, ist das nicht weiter negativ. Weiterer positiver Nebeneffekt der Wahl der Ich-Perspektive ist die Homogenität in der Handlung. Scott Frost verzichtet auf weitere Perspektiven. Alles wird aus der Sicht von Alex Delillo erzählt. Dadurch gibt es nur einen Erzählstrang in der Geschichte und keine unnötigen Nebenhandlungen, die vom Kriminalfall ablenken. Eintönigkeit kommt trotzdem nicht auf. Alex Delillo ist aufgrund ihres Berufs und ihrer Sorge um ihre Tochter immer nah am Hauptgeschehen. Und auch, wenn die Handlung nicht immer zieht, so ist sie doch gut dargestellt und wird von einer sympathischen Protagonistin erzählt.

Scott Frost ist nicht der hellste Stern am Thrillerhimmel, aber er muss sich mit seinem Debüt „Risk“ auch nicht in einem schwarzen Loch verstecken. Der souveräne Thriller kann vielleicht nicht unbedingt mit dem schon oft durchgekauten, aufmerksamkeitsüchtigen Serienkiller punkten, aber dafür ist Protagonistin Alex Delillo eine sehr sympathische Frau. Der Aufbau des Buches ist spannend und die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag. Insgesamt ist Scott Frost ein lesenswertes Buch gelungen.

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Tandefelt, Henrik – Lauf, Helin, lauf!

„Nicht noch ein skandinavischer Krimiautor!“ möchte man zunächst stöhnen, wenn man den Namen des in Helsinki geborenen Henrik Tandefelt liest. Obwohl in Finnland geboren, spielt sein Krimi „Lauf, Helin, lauf!“ in Schweden, genauer gesagt in Småland. Der Fotograf Josef Friedmann und das Ehepaar Lindström befinden sich gerade dort, weil das Ehepaar ein Ferienhaus gekauft hat, das renoviert werden muss.

Eines Tages findet man im Kanal der Kleinstadt Ekemåla eine stark verweste Leiche in einem Abwasserkanal. Zur gleichen Zeit meldet der Lehrer und Bekannte der Lindströms, Arvid Lönnholm, dass eine seiner Schülerinnen verschwunden ist. Die Kurdin Helin ist seit dem Türkeiurlaub mit ihrer Mutter weder in der Schule noch in ihrer Wohnung gesehen worden. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Leiche im Kanal und Helin?

Lindström, der sich für die Renovierungsarbeiten Urlaub genommen hat, wird von seinem Chef gebeten, der örtlichen Polizei zur Seite zu stehen. Bereits kurze Zeit später meldet sich ein Albaner, der behauptet, der Mörder der unidentifizierbaren Toten zu sein. Angeblich handelt es sich dabei um die Jahrmarktswahrsagerin Serafina, die der Albaner in den Kanal geschubst haben möchte, weil sie seinen Heiratsantrag nicht angenommen hat.

Die örtliche Polizei glaubt, dass der Mann der Täter ist, auch wenn er bei einem Unfall stirbt, bevor er ordentlich verhört worden ist. Die Ermittlungen werden eingestellt, doch Lindström, seine Frau Ingbritt und Josef Friedmann wollen das nicht glauben. Auf eigene Faust gehen sie der Sache nach …

Die Handlung an und für sich ist weder wirklich aufregend noch wirklich neu. Doch die Art und Weise, wie die vielen verschiedenen Erzählstränge verflochten sind, ist geradezu faszinierend.

Tandefelt legt der Geschichte eine hohe Erzähldichte zugrunde, die mit detaillierten, aber nicht ausschweifenden Situationsbeschreibungen und Dialogen aufwartet. Der Finne schreibt bildhaft, meist mit wenig Emotionen, dafür aber mit einem guten Auge für kleine Besonderheiten. Der dezent eingesetzte trockene Humor sorgt immer wieder für Glanzpunkte in der sehr authentischen Erzählung mit einer starken Konzentration auf Dialoge beziehungsweise innere Monologe.

Josef Friedmanns ist die einzige Perspektive, die in der ersten Person erzählt. Er gefällt durch seine sehr persönliche Art, seine Selbstironie und die Neigung, sich selbst nicht immer ganz ernst zu nehmen. Die anderen erzählen in der dritten Person. Dass Tandefelt die Perspektiven zumeist ohne Absätze ineinanderfließen lässt, ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Gleiches gilt für die verkürzten Sätze, die Josef benutzt und die manchmal etwas holprig klingen. Die Wahl des Präsens als Erzähltempo ist auch nicht immer ganz unkompliziert, doch aufgrund Tandefelts Selbstsicherheit, seiner cleveren Wortwahl und der atmosphärischen Dichte kann man darüber hinwegschauen.

Worüber man keineswegs hinwegsehen sollte, ist die Handlung. Die unterschiedlichen Fälle sind gut miteinander vereinbart und laufen am Ende alle zusammen. Die Zusammenführung funktioniert reibungslos und sorgt für ordentlich Spannung. Der Leser, der die unterschiedlichen Perspektiven kennt, weiß mehr als die Figuren. Er durchblickt dadurch viel schneller das Geflecht aus Zufällen und Geheimnissen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist Helins Perspektive. Sie verläuft gegenläufig zum Rest des Buches und erzeugt durch das abweichende Erzähltempus – die Vergangenheit – starke Spannung. Wieso erzählt Helin im Perfekt? Ist ihr etwas passiert? Tandefelt lässt den Leser lange im Ungewissen über die wahren Umstände, und das gefällt.

Am Schluss bleibt noch eine Frage: Gibt es für Henrik Tandefelt eine Möglichkeit, dem „Nicht noch ein skandinavischer Krimiautor!“-Ausruf zu entkommen? Ja, die gibt es, denn „Lauf, Helin, lauf!“ hat bis auf die Kulisse und die hohe Qualität nicht besonders viel mit dem üblichen Schwedenklischee zu tun. Das, was die |Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln| in einer Kritik als „ironisch-amüsanten Stil“ beschreibt, sorgt für wohltuende Frische. Von der gängigen skandinavischen Schwermut merkt man wenig in Tandefelts Krimi. Stattdessen verlässt er sich auf eine atmosphärische Erzähldichte, die kunstvolle Anordnung der verschiedenen Handlungsstränge und das geschickte Erzeugen von Spannung.

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Remes, Ilkka – Blutglocke

Der finnische Bestsellerautor Ilkka Remes hat sich mit seinen rasanten Thrillern einen Namen als Meister der Spannung gemacht, sodass auch sein aktuelles Werk „Blutglocke“ von seinen Fans heiß erwartet wurde. Schauen wir uns an, ob sich das sehnsüchtige Warten denn auch gelohnt hat.

_Kling, Glöckchen, kling_

Zu Beginn des Buches werden wir Zeuge, wie der sechzehnjährige Sohn des deutschen Innenministers Klein beim Baden entführt wird. Schnell schaltet Remes zur finnischen Kommissarin Johanna Vahtera, der beim Zahnarzt gerade eine kleinere Tortur bevorsteht, vor der sie ein wichtiger Anruf allerdings vorerst rettet. Vahtera wird als Profilerin nämlich hinzugerufen, als die Entführung Sebastian Kleins bekannt wird. Doch die Entführer locken den Innenminister ohne polizeiliche Unterstützung zum vereinbarten Übergabeort. Dort lassen sie den Sohn fast unverletzt zurück, doch der Vater hat es nicht so gut getroffen: Klein ist nicht nur ermordet, sondern ausgeblutet worden. Was um Himmels Willen will der Mörder mit Kleins Blut, fragt sich nicht nur Vahtera, doch dauert es noch lange, bis sie des Rätsels Lösung finden wird.

Der Leser hat es hier besser, denn er lernt den Strippenzieher hinter der Entführung schnell kennen. Dabei handelt es sich um Rem Granow, der jüngst seine Mutter verloren hat und dessen Vater – ein berühmt-berüchtigter russischer Mafiaboss – nun ebenfalls im Sterben liegt. Er möchte eine Blutglocke anfertigen, also eine Glocke, in die Kleins Blut eingearbeitet ist, um sie zur Beerdigung seiner Mutter besonders hell erklingen zu lassen. Doch das ist nicht Granows einziger Plan, denn seine ausgefeilte Racheaktion ist bereits angelaufen. Bei einer Polizeiaktion, angeordnet vom deutschen Innenminister Klein, die eigentlich Rems Vater treffen sollte, stirbt durch einen dummen Zufall Rems Mutter. Rem sinnt auf blutige Rache, die die ganze deutsche Politikerriege treffen soll.

Dazu heuert er die unterschiedlichsten Handlanger an, die ihn mit Bakterienstämmen und diversem technischen Material versorgen, die für Rems teuflischen Plan gebraucht werden. Auch der deutsche Umweltminister Beck spielt eine tragende Rolle in Rems Plan, denn er ist es, der künftiger Bundeskanzler werden soll, wenn der bisherige Rems Anschlag zum Opfer gefallen ist. Johanna Vahtera kommt früh auf Rems Spur, doch traut sie zeitweise ihrer eigenen Intuition nicht und lässt sich von einigen Internetbekanntschaften ablenken, die nicht immer das sind, was sie zu sein vorgeben …

_Wie Bauern auf einem Schachbrett_

Ilkka Remes‘ Plot in „Blutglocke“ ist vielschichtig und spaltet sich in zahlreiche Handlungsfäden auf, in denen wir die beteiligten Personen (mehr oder weniger) kennen lernen. Rem Gramows Vorhaben ist dermaßen ausgefeilt, dass er unzählige Helfer benötigt, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Lange braucht es, damit wir überhaupt erahnen können, was Rem beabsichtigt und welche Rolle den einzelnen Figuren dabei zufällt. Kaum bilden wir uns ein, nun alle wichtigen Personen zu kennen, bringt Remes weitere (Schach-)figuren auf sein literarisches Spielbrett, die oftmals unwissend Teil von Rem Gramows Plan werden, was sie meistens mit dem Leben bezahlen müssen. Denn eins ist klar: Gramow geht rücksichtslos über Leichen und tut alles, um seine Eltern zu rächen, die seiner Meinung nach dem deutschen Innenminister zum Opfer gefallen sind.

Aufgrund der zahlreichen Figuren lässt die Charakterzeichnung leider an manchen Stellen zu wünschen übrig. Nur wenige Charaktere sind es, die Profil erhalten und uns im Gedächtnis bleiben werden. Zum einen wäre das auf jeden Fall Johanna Vahtera, die von Anfang an daran glaubt, dass Rem Gramow hinter der Ermordung des deutschen Innenministers steckt. Doch sie ist unsicher, weil sie keine Beweise findet, die ihr Gefühl untermauern könnten. Und wenn sie ehrlich ist, so spricht objektiv gesehen vieles gegen Gramow. Auch privat ist Vahtera nicht gerade vom Glück verfolgt; mit Männern hat sie einfach kein Glück und auch ihre Internetbekanntschaften sind nicht mehr als ein verzweifelter Hoffnungsschimmer für ihre einsamen Abende und Wochenenden. Unverhofft taucht jedoch ihr Exfreund Craig wieder in ihrem Leben auf, der inzwischen allerdings mit einer neuen Frau zusammenlebt. Doch scheint Johanna vielleicht trotzdem eine zweite Chance zu bekommen.

Eine weitere Hauptfigur ist sicherlich Rem Gramow selbst, der erst kaltblütig den Innenminister ermordet hat und nun weitere Morde plant, die wohl noch schwerer wiegen dürften, denn eines seiner Opfer soll der Bundeskanzler werden. Gramow ist auf der einen Seite eine tragische Figur, hat er doch gerade beide Elternteile kurz hintereinander verloren, auf der anderen Seite kann er aufgrund seiner Kaltblütigkeit trotzdem keine Sympathiepunkte sammeln, obwohl wir einen größeren Teil der Handlung an seiner Seite verbringen.

Anders ist es bei Nick Boyd, der sich einen Namen als Werbefilmregisseur gemacht hat und nun in die Geschichte hineinstolpert, weil er für Gramows Propaganda benötigt wird. Zunächst läuft Boyd unwissend in sein Unglück, doch bald beginnt er zu ahnen, dass nicht nur sein Leben in Gefahr ist, sondern auch das seiner Frau und seiner Tochter. Verzweifelt versucht Boyd im weiteren Verlauf der Geschichte, sich und seine Familie zu retten, doch leider wurde er in ein kleines Dörfchen in Russland verschleppt, wo niemand seine Sprache spricht. Die Zeichen stehen also schlecht für ihn.

Dies sind zwar noch lange nicht alle wichtigen Figuren, aber doch alle, die uns Ilkka Remes etwas näher vorstellt. Die meisten anderen auftauchenden Personen werden zu Randfiguren degradiert, auch wenn sie in Gramows teuflischem Plan eine entscheidende Rolle spielen. Viele Menschen müssen dabei ihr Leben lassen, doch da Remes kaum Zeit darauf verwendet, seine Figuren alle entsprechend vorzustellen, war es mir irgendwann auch ziemlich gleichgültig, wenn mal wieder eine seiner Schachfiguren zum Bauernopfer wurde. Trauer habe ich keine empfunden, da man im Verlauf der Lektüre höchstens zu Johanna Vahtera und Nick Boyd eine „Beziehung“ aufbauen kann.

_Ausgefranst_

Die vielen einzelnen Handlungsstränge führen zwar dazu, dass Ilkka Remes‘ Erzählung ein hohes Tempo aufnimmt, doch leider ist es schwierig, sich in dem Gewühl verschiedener Schauplätze und in der Masse von Menschen zurechtzufinden. Ich hatte teilweise tatsächlich Probleme, Namen und Biografien richtig zuzuordnen, und musste mich auch dabei ertappen, dass ich überrascht war, eine Person in Deutschland anzutreffen, obwohl ich sie in der Geschichte eigentlich in Russland vermutet hatte. Denn Ilkka Remes begnügt sich nicht damit, seinen Thriller klassisch in seiner Heimat Finnland spielen zu lassen. Von dort „flüchtet“ bald sogar Johanna Vahtera, um den Ereignissen näherzukommen. Die Hauptgeschichte spielt in Deutschland, und zwar genauer in Berlin und Umgebung, doch die Hintergründe sind fast sämtlich in Russland zu suchen. So reisen wir gemeinsam mit den handelnden Personen kreuz und quer durch die Gegend, sodass es fast schon verständlich ist, dass man zwischendurch den Überblick verlieren kann.

Ilkka Remes‘ vorliegender Thriller ist leider schwer durchschaubar; es ist nicht nur schwierig, alle Figuren richtig zuzuordnen, sondern auch deren Handlungen und Funktion im Gesamtgeschehen. Erst spät erhalten wir so viele Erklärungen, dass wir in etwa abschätzen können, was Rem Gramow ausgeheckt hat. Doch sein Racheplan ist so verworren, dass er nicht all sein Gräuel entfachen konnte, weil die Lektüre den Leser zu sehr verwirrt, um wirklich schockiert sein zu können. Ein roter Faden hätte der Handlung sicher sehr gut getan und vielleicht hätte auch die Hälfte der Handlungsfäden ausgereicht. Manchmal habe ich mich gefühlt wie in einem Labyrinth, aus dem nur schwer herauszufinden ist und bei dem auch nicht klar ist, was einen am Ausgang erwarten wird. Zudem kamen mir einige der Handlungsstränge völlig überflüssig vor, da sie weder für Gramows Rache notwendig erschienen noch die Geschichte vorangebracht haben.

Kiefer Sutherland und Jon Cassar hätten aus der verworrenen Story vielleicht eine spannende Staffel [„24“ 3118 gestalten können, aber diese wäre auch getragen gewesen von einem überragenden Kiefer Sutherland, für den alleine man immer wieder einschalten würde. Doch Remes hat leider keine Helden wie Cassar, die auch einen völlig überkonstruierten Plot retten und über hanebüchene Wendungen hinwegtrösten können.

_Klingelingeling_

Am Ende war ich doch etwas enttäuscht von Ilkka Remes‘ neuestem Thriller, der meines Erachtens inhaltlich völlig überfrachtet war, sodass man schnell im Personen- und Handlungsgewirr unterzugehen droht. Zu viele Figuren treten auf den Plan, als dass Remes Zeit gehabt hätte, sie alle entsprechend zu würdigen, aber auch viele Szenen kamen mir so überflüssig vor, dass ich mir wünschte, Remes hätte sich mehr auf das Wesentliche konzentriert. „Blutglocke“ ist sicherlich kein absoluter Fehlgriff gewesen, die Geschichte hatte durchaus ihren Reiz und entwickelte eine gewisse Spannung, aber Remes hat viel Potenzial verspielt, das dieser Virenthriller mit politischem Hintergrund in sich hat. Ich hatte den Eindruck, dass Remes zu viel wollte und jede seiner (Schnaps-)Ideen Einzug in das Buch gefunden hat. Der Killer hätte sicherlich nicht einen Privatjet mit Sauna fliegen müssen, Vahtera hätte auch nicht unbedingt den Clarice-Starling-Touch benötigt und auch das ziemlich überzogene Ende war vielleicht doch etwas zu viel des Guten.

Insgesamt ist „Blutglocke“ eher etwas für Leser, die sich gerne durch einen Wust an Handlungssträngen kämpfen und bereit sind, sich mindestens zwei Dutzend fremdländische Namen zu merken, auch wenn die Personen keine wirklich tragende Rolle spielen. So bleibt zu hoffen, dass Ilkka Remes mit diesem Buch seine Durststrecke überwunden hat und mit dem nächsten Thriller wieder mehr zu überzeugen weiß.

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[„Ewige Nacht“ 2039
[„Das Hiroshima-Tor“ 2619

http://www.ilkka-remes.de/
http://www.dtv.de

Gruber, Andreas / Hornung, Kathrin / Jordan, Michael / Schubarsky, Susanne / u. a. – Tod aus der Teekiste, Der … und 30 andere abgedrehte Geschichten

_Autoren:_

Christoph Aistleitner
Dirk-Uwe Becker
Katharina Bendixen
Verena Blecher
Philipp Bobrowski
Nadine Boos
Carsten Burfeind
Stefan Fischer
Annegret Glock
Claudia Göpel
Anne Grießer
Andreas Gruber
Katja Hille
Kathrin Hornung
Bernhard Horwatitsch
Katharina Joanowitsch
Michael Jordan
Marc Lehmann
Barbara Lehner
Monique Lhoir
Regina Lindemann
Sabine Ludwigs
Karl-Heinz Manier
Eva Markert
Sascha Mrowka
Stephanie Pappon
Hendrik Peeters
Moni Schreckenberg
Susanne Schubarsky
Andrea Tillmanns
Marc Wiswede

Eine zum Leben erwachte Jesus-Figur, eine Badematte als Haustier, eine Teekiste voller skurriler Monster, die ins Rampenlicht streben, und ein kleiner Junge namens Dennis, der Hunde besonders gerne mag. Fantasievoll, aber auch mal bodenständig, spannend und witzig sind die Geschichten dieser außergewöhnlichen Anthologie.

„Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen“, so heißt es auf dem Klappentext des Buches, und jedes Wort entspricht der Wahrheit! Die zum Teil recht kurz gehaltenen Beiträge sind wahrlich einzigartig auf dem deutschen Buchmarkt. Um so schöner, dass sich ein Verlag gefunden hat, diese Werke zu sammeln und ein Buch damit zu füllen, das jedem Literaturbegeisterten wärmstens empfohlen sei.

Der Krimifreund kommt hier ebenso auf seine Kosten wie der Liebhaber düsterer Horror-Geschichten oder der Leser humoristischer Episoden. Die Palette der Autoren reicht von noch unbekannten Namen bis hin zu berühmteren Schriftstellern des deutschen Buchmarktes, wie beispielsweise Andreas Gruber oder Susanne Schubarsky, welche neben diversen Krimis auch die Kolumne „Die Angst des Autors“ im |Schreiblust|-Print-Literaturmagazin verfasst.

Die Aufmachung ist dem Verlag wieder perfekt gelungen, und neben der bekannt hochwertigen Papierqualität erwartet den Leser eine sehr kunstvolle und passende Grafik von Michael Henke als Titelbild. Das Einzige, was das Gesamtbild abrunden würde und leider fehlt, sind diverse Illustrationen zu den Geschichten, welche das Tüpfelchen auf dem i darstellen würden. Doch auch ohne diesen Bonus ist das Buch sein Geld wert und ein ideales Geschenk für alle Liebhaber ungewöhnlicher literarischer Experimente.

_Fazit:_ Herrlich abgedrehte Kurzgeschichten mit viel schwarzem Humor und originellen Ideen.

http://www.schreib-lust.de

_Florian Hilleberg_

Hill, Susan – Des Abends eisige Stille

Vor zwei Jahren erschien mit [„Der Menschen dunkles Sehnen“ 1698 der erste Krimi von Susan Hill rund um ihren Ermittler Simon Serrailler. Nun legt die Britin mit „Des Abends eisige Stille“ den Nachfolgeband vor.

Simon Serrailler versucht in Venedig auf andere Gedanken zu kommen und mit dem Tod seiner Kollegin Freya Graffam klarzukommen, als ihn ein Anruf aus seiner Heimat erreicht: Seine schwerstbehinderte Schwester Martha liegt auf der Intensivstation und ringt mit dem Tod. Kaum ist Simon zurück in seinem Heimatstädtchen Lafferton, lastet neben den privaten Problemen auch schnell wieder beruflicher Druck auf dem Polizeichef.

Der 9-jährige David Angus wartet am frühen Morgen vor dem Haus seiner Eltern darauf, zur Schule abgeholt zu werden, als er zuletzt gesehen wird. In der Schule kommt er nie an, niemand hat den Jungen gesehen, niemand weiß, wo er sein könnte. Die Polizei findet keinerlei Anhaltspunkte. Es gibt weder Zeugen noch Spuren. Vieles spricht dafür, dass der Junge das zufällige Opfer eines Kindesentführers geworden ist.

Simon und seine Truppe versuchen alle Hebel in Bewegung zu setzen, aber die Spur ist längst kalt. Derweil droht Davids Familie an diesem Schicksalsschlag zu zerbrechen, und da auch die Ermittlungen kaum Neues ergeben, kann auch Simon das Leid der Familie nicht verringern.

Und auch privat geht es weiterhin turbulent zu. Nachdem seine behinderte Schwester sich kurzzeitig wieder erholt hat, stirbt sie völlig unerwartet. An Simon nagen Zweifel: Ist sie wirklich eines ganz natürlichen Todes gestorben? Oder hat vielleicht jemand nachgeholfen? Oder geht sein kriminalistisches Denken schon mit ihm durch? Zu allem Überfluss taucht dann noch eine Frau aus Simons Vergangenheit auf, die ihn bedrängt …

Susan Hill baut ihren Roman ganz gemächlich auf. Sie lässt sich Zeit, ihre Figuren in die Handlung einzuführen, lässt den Leser in aller Ruhe beobachten, bevor es mit der eigentlichen Krimihandlung überhaupt erst losgeht. Das mag bei anderen Autoren problematisch sein, weil der Leser mit Nebensächlichkeiten gelangweilt wird, im Fall von Susan Hill sieht das etwas anders aus.

Ihre Stärke liegt ganz eindeutig in der Figurenzeichnung. Sie schafft lebendige Protagonisten, bei denen es schon Freude bereitet, einfach nur zuzusehen, wie sie durch ihren Alltag gehen. Man schließt sie schnell ins Herz und fühlt sich ihnen auf gewisse Art ganz nah.

Das gilt insbesondere für Simon und die Familie seiner Schwester Cat. Cat und ihr Ehemann Chris sind Ärzte. Cat selbst pausiert derweil, weil sie kurz vor der Geburt des dritten Kindes steht, dafür hängt Chris sich umso aufopferungsvoller in den Job. Das Haus von Cat und Chris ist für Simon stets eine wichtige Zufluchtsstätte. Hier findet er Halt und Geborgenheit und kann sich über alles mit seiner Schwester aussprechen.

Auch Simon ist eine sympathische Hauptfigur, wenngleich er ein etwas ungewöhnlicher Polizeichef ist. Simons Leidenschaft ist das Zeichnen, und er bereitet sich auf eine neue Ausstellung vor. Das erscheint doch als ein eher untypisches Hobby für einen Polizisten. Simon ist ein verschlossener Mensch, der kaum jemanden hinter seine Fassade schauen lässt. Er lässt kaum jemanden an seinen Gefühlen teilhaben und versucht auf seine ganz eigene Art, den zurückliegenden Tod von Freya Graffam und den Todesfall seiner Schwester Martha zu verdauen.

Der Roman spielt besonders im Spannungsfeld zwischen Simons privaten Problemen und dem beruflichen Druck, der sich rund um die Entführung von David Angus aufbaut. Hier sind es besonders auch das Schicksal der Familie Angus und die Auswirkungen des Ereignisses auf das allgemeine Leben in Lafferton, die Hill besonders eindringlich schildert. Das Grauen des Ereignisses wird für den Leser greifbar, und durch ihren einfühlsamen Erzählstil rückt sie den Leser ganz nah an das Geschehen heran.

So entwickelt sich „Des Abends eisige Stille“ von Anfang an anders als herkömmliche Krimis. Wer einen typischen englischen Krimi erwartet, der könnte etwas enttäuscht werden, denn die typische Krimispannung ist bei Hill eher eine Randerscheinung. Das soll nicht heißen, dass „Des Abends eisige Stille“ spannungsarme Kost wäre, aber sie spielt auf einer gänzlich anderen Ebene als die durchschnittliche Krimispannung. Hier sind es vor allem die Figuren, die in den Bann ziehen und den Leser fesseln, bei denen er unbedingt erfahren will, wie es mit ihnen weitergeht.

Das trifft auch auf den Nebenplot zu, in dem der frisch entlassene Ex-Häftling Andy Gunton versucht, wieder im normalen Leben in Lafferton Fuß zu fassen, während die Polizei nach den Entführern von David Angus sucht. Hill versteht es einfach, ihre Figuren interessant zu gestalten, so dass sie fast im Alleingang die Spannung des Romans tragen.

Und so verwundert es auch nicht, dass es am Ende eben auch der Krimiplot ist, der für eine Prise Unzufriedenheit beim Leser sorgt. Ungewöhnlich für einen Krimi ist, dass die Geschichte sehr offen endet. Hill findet nicht so recht den passenden Schlusspunkt, und so wird der Leser wohl warten müssen, bis der nächste Roman um Simon Serrailler erscheint, um zu erfahren, wie die Geschichte wirklich ausgeht.

Hills Romane sind miteinander verknüpft. In „Des Abends eisige Stille“ nimmt sie immer wieder Bezug auf die Geschehnisse in [„Der Menschen dunkles Sehnen“, 1698 weshalb die Lektüre in der richtigen Reihenfolge ratsam ist, wenn man sich nicht die Spannung madig machen will.

Insgesamt hinterlässt „Des Abends eisige Stille“ sowohl positive als auch zwiespältige Gefühle. Hill kann vor allem mit ihrer Figurenskizzierung punkten, die das Buch zu einer intensiven und kurzweiligen Lektüre macht. Der Krimiplot bleibt dagegen etwas zu offen und vage. Er hängt seltsam in der Schwebe und lässt den Leser mit einem leicht unzufriedenen Gefühl zurück. Ansonsten machen Susan Hills erzählerische Qualitäten in jedem Fall Lust auf die Fortsetzung, die hoffentlich nicht zu lange auf sich warten lässt, damit sich das jetzige Gefühl der Unzufriedenheit möglichst bald klären kann.

http://www.knaur.de

Schröter, Andreas (Hg.) / Erwin, Birgit / Gruber, Andreas / Meierkord, Ulf / u. a. – Madrigal für einen Mörder

_Autoren:_

Ellen Balsewitsch-Oldach
Mischa Burrows
Elli Dammermann
Wolfgang M. Epple
Birgit Erwin
Christiane Geldmacher
Iris Grädler
Andreas Gruber
Fran Henz
Franziska Kelly
Holger Kutschmann
Monique Lhoir
Sabine Ludwigs
Eva Markert
Ulf Meierkord
Annemarie Nikolaus
Stefan Preuss
Susanne Schubarsky
Saza Schröder
Christine Spindler
Kai Splittgerber
Jutta Strzalka
Rainer Wedler
Patricia Vohwinkel
Barbara Willich
Maria Zocchetti

Wieder sind es 26 Autoren, die sich für den |Schreiblust|-Verlag die Mühe machten, originelle Geschichten zu entwerfen. Dieses Mal für das zeitlose Genre der Krimi-Geschichte. Herausgekommen sind 26 Storys, zusammengefasst in einem Buch, welches jedem Krimi-Fan wärmstens empfohlen sei. Vom mörderischen Stressabbau über die Entledigung unliebsamer Nachbarn oder kleiner Geschwister bis hin zu knallharten Verschwörungstheorien und humorvollen Anekdoten reicht das Repertoire dieser Anthologie.

Eingeleitet wird der mörderische Reigen durch ein Vorwort des Herausgebers und Verlegers Andreas Schröter, bevor die Autoren selbst zu Wort kommen. Den Lesern der anderen Publikationen des Verlages dürfte die Liste der Autoren nicht allzu fremd vorkommen, und wer die Beiträge der |Schreiblust|-Print-Ausgaben ebenso genossen hat wie die Storys aus dem Band „Der Tod aus der Teekiste“, dem sind die Namen Susanne Schubarsky, Eva Markert, Monique Lhoir und Andreas Gruber nicht nur ein Begriff, sondern ein Garant für kurzweilige, anspruchsvolle Unterhaltung.

„Krimis müssen nicht grundsätzlich damit beginnen, dass der Kommissar zum Tatort gerufen wird.“ So heißt es auf dem Klappentext des Buches. In Wirklichkeit spielen Polizisten in den wenigsten Storys eine tragende Rolle, bilden vielmehr eine notwendige Staffage. Hier kommen sowohl Opfer als auch Täter zu Wort und geben Einblick in faszinierende und gleichzeitig auch teuflische Verbrechen. Jede einzelne Geschichte ist ein literarischer Leckerbissen und hervorragend für den kleinen Krimi-Genuss zwischendurch geeignet.

Das Format ist leider etwas unhandlicher als die anderen Bücher des Verlags, aber das Titelbild von Frank Hoese ist wieder einmal ausgezeichnet gelungen. Ein kleiner Hinweis für alle Hobbyköche: Das Rezept zu der „Pizza d’amore“ aus der gleichnamigen Geschichte von Franziska Kelly schmeckt wirklich hervorragend und ist nur zu empfehlen.

_Fazit:_ Die Autoren dieses Buches haben bewiesen, dass die Krimi-Literatur noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Eine rundum gelungene Anthologie mit 26 Volltreffern.

http://www.schreib-lust.de/

_Florian Hilleberg_

Compton, Jodi – Kälter als der Tod

Detective Sarah Pribek war bereits in Jodi Comptons Debüt „Sechsunddreißig Stunden“ die Hauptperson und hatte mit der zwielichtigen Vergangenheit ihres Ehemanns zu kämpfen. Im Nachfolger „Kälter als der Tod“ macht ihr ihre eigene Vergangenheit zu schaffen.

In „Sechsunddreißig Stunden“ wurde Royce Stewart, der die kleine Tochter von Sarahs Partnerin vergewaltigt und umgebracht hatte, getötet und niemand weiß, dass dies durch Sarahs Partnerin geschah. Offiziell ruhen die Ermittlungen, weil es keinen Verdächtigen gibt, doch eines Tages taucht der karrieregeile Anwalt Gray Diaz in Minneapolis auf. Er möchte Sarah den Mord anhängen, verhört sie dazu und konfisziert ihr Auto. Sarah hält sich an die Version der Tat, die sie mit ihrer verzogenen Partnerin besprochen hat, doch Gray ist gut in seinem Job und spürt Beweise auf, von denen die junge Detective nichts gewusst hat …

Gleichzeitig kommt die siebzehnjährige Marlinchen Hennessy, Tochter eines bekannten Schriftstellers, in Sarahs Büro und möchte ihren Zwillingsbruder Aidan als vermisst melden. Aidan lebte bei einem Freund der Familie in Georgia und ist dort seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen worden. Als Sarah nachfragt, wieso Marlinchen ihren Bruder jetzt erst meldet und was mit ihrem verwitweten Vater ist, stößt sie auf Ablehnung. Je länger sie sich mit der Familie Hennessy beschäftigt, umso deutlicher wird, dass sich in dem niedlichen Landhaus ein düsteres Geheimnis verbirgt …

Gleichzeitig wird sie von ihrem Chef auf eine Undercoverermittlung angesetzt, denn seit der Sache mit Royce Stewart wurde sie zum Mädchen für alles degradiert und darf nur noch die undankbaren Jobs übernehmen. Sie soll einen Mann suchen, der in einer Sozialwohnung als Arzt praktiziert, aber keine Approbation hat. Unter dem Vorwand einer Erkältung begibt sie sich bei Cisco, wie sich der Pseudoarzt nennt, in Behandlung, doch ihre Ermittlungen laufen aus dem Ruder. Sie schafft es nicht, den emotionalen Abstand zu halten, der für ihren Beruf angebracht wäre …

Das Buch beginnt mit einem nicht sonderlich interessant gestalteten Rückblick auf die Handlung von Jodi Comptons Debüt und schließt daran eine nichtstringente Handlung an, in deren Mittelpunkt Sarah steht. Sie ist diejenige, die die losen Handlungsenden, die in der Inhaltsangabe ersichtlich wurden, mittels des dichten Erzählstils zusammenhält.

Es sind weniger Mord und Totschlag, die „Kälter als der Tod“ zu Ruhm verhelfen, als vielmehr die zahlreichen zwischenmenschlichen „Fälle“, welche die Autorin in ihre Geschichte einwebt. Obwohl an sich wenig Spannung im eigentlichen Sinne dabei aufkommt, schafft sie es, den Leser mit Sarahs Ich-Perspektive zu fesseln.

Sarah ist zwar kein besonders origineller Charakter, aber im Laufe des Buches zeigt sich, dass sie auch nicht ganz ohne ist. Compton stellt sie sehr anschaulich dar, erzählt viel aus ihrem Privatleben und aus ihrer Vergangenheit. Diese Begebenheiten sind zumeist mehrere Seiten lang, aber trotzdem gerafft. Sie sorgen dafür, dass man Sarah besser versteht und kennen lernt, und sie lenken keineswegs von der Haupthandlung ab.

Gestützt wird die Protagonistin von einem sauberen, sehr persönlichen Schreibstil, der sich vor allem durch seine Tiefe hervortut. Compton erschafft keinen neuen Stil, sondern sie benutzt eine nüchterne, bodenständige Sprache mit wenigen rhetorischen Mitteln. Sie arrangiert diese so geschickt, dass sie den Leser einwickelt und ihn zwingt, das Buch zu Ende zu lesen. Sarah Pribek wächst dem Leser einfach so ans Herz, dass es ihm schwerfällt, den Roman aus der Hand zu legen.

Mit dieser fatalen Sogwirkung, einer sehr gut ausgearbeiteten Protagonistin und einer Handlung, die nicht wirklich spannend, aber faszinierend entwickelt ist, hat Jodi Compton ein Buch geschaffen, das weniger ein waschechter Krimi als vielmehr ein richtig schön erzählter Roman ist.

|Originaltitel: Sympathy between Humans
Originalverlag: Bantam Dell
Aus dem Amerikanischen von Sabine Lohmann
Taschenbuch, 416 Seiten
2005 erschienen als Bertelsmann-Club-Ausgabe unter dem Titel „In der Angst meines Herzens“ unter Lizenz des Heyne-Verlags|
http://www.heyne.de

Max Allan Collins – Gangsterbräute 1934

collins heller02 gangster 1934 cover kleinDas geschieht:

Chicago im Sommer des Jahres 1934: Die USA befinden sich weiterhin im Würgegriff der Weltwirtschaftskrise. Auch die Geschäfte von Nate Heller, einem ehemaligen Polizeibeamten, der sich vor einiger Zeit als Privatdetektiv selbstständig gemacht hat, gehen schlecht. Deshalb übernimmt er gern den an sich reizlosen Auftrag, eine des Ehebruchs verdächtige junge Frau zu beschatten – und gerät erneut in eine faule Sache, der das FBI und Chicagos korrupte Polizei ebenso einschließt wie Frank Nitti, der in der Nachfolge Al Capones über das organisierte Verbrechen der Stadt herrscht.

Der Mann, mit dem besagte Dame ihren Gatten tatsächlich betrügt, könnte John Dillinger sein, ein berüchtigter Bankräuber, der sehr erfolgreich der Polizei und dem FBI nicht nur mehrfach entkam, sondern manches saure Schnippchen geschlagen hat. J. Edgar Hoover, Chef des FBI, hat deshalb die Parole ausgegeben: Stellt Dillinger – und legt ihn um! Der „Staatsfeind Nr. 1“ ist damit zum Abschuss freigegeben. Heller will sich an dieser Treibjagd nicht beteiligen, obwohl ihn Nitti, dem er im Vorjahr das Leben gerettet hat, wissen lässt, dass auch er ein gewaltsames Ende Dillingers forciert; der Gangster lässt das Gesetz nervös und übereifrig agieren und stört dadurch Nittis Geschäfte, die keine öffentliche Aufmerksamkeit vertragen. Max Allan Collins – Gangsterbräute 1934 weiterlesen

Millar, Peter – Eiserne Mauer

Was wäre, wenn … die Sowjets 1945 ihren Siegeszug nicht in Berlin abgebrochen, sondern ihn gen West- und Südwesteuropa fortgesetzt hätten? Nicht einmal der Kanal hielt sie auf; der Süden Englands wurde besetzt und 1949 als „Englische Demokratische Republik“ in einen Satellitenstaat der UdSSR verwandelt. 1989 ist London weiterhin eine geteilte Stadt. Der „Antikapitalistische Schutzwall“ trennt den sozialistischen Süden vom kapitalistischen Norden, wo die Gesetze der Demokratie und der freien Marktwirtschaft gelten. In der EDR herrscht dagegen das Elend kommunistischer Planwirtschaft. Groß ist deshalb die Zahl der unzufriedenen „Genossen“, die über den Wall in den Norden flüchten, obwohl sie bei befürchten müssen, dabei den allgegenwärtigen Schergen des „Department of State Security“ (DoSS) – dem Amt für Staatssicherheit – in die Hände zu fallen, das mit Gestapo-Methoden nach „Dissidenten“ fahndet, die dabei spurlos zu verschwinden pflegen, ohne dass jemand nachzufragen wagt.

Harry Stark, Detective Inspector bei der Metropolitan People’s Police, ist ein kleines Rädchen im Getriebe. Normalerweise verfolgt er Straßenräuber, Schläger und andere kleine Fische. Nun fand man unter Blackfriars Bridge hängend die Leiche eines durch den Kopf geschossenen Mannes, dem sämtliche Papiere fehlen. Stark, ein kritischer aber linientreuer Bürger seines Landes, übernimmt den Fall. Sorge bereitet ihm dabei das auffällige Interesse, das DoSS-Colonel Charles Marchmain diesem Fall entgegenbringt; die Aufmerksamkeit des „Großen Bruders“ versucht auch er tunlichst zu vermeiden.

Seine kleine Welt bricht zusammen, als ihn heimlich ein Journalist aus den USA kontaktiert und den Toten als „inoffiziellen Botschafter“ identifiziert, der durchaus mit Billigung des Kremls Stimmung gegen die englische Regierung machen sollte. In Moskau ist eine jüngere Generation an die Macht gekommen, die angesichts des maroden Systems zu einer Lockerung der sozialistischen Zwangsherrschaft bereit ist. Die EDR verweigert allerdings die Gefolgschaft. Auch Stark würde seinen „Gast“ normalerweise festnehmen, aber dieser enthüllt ihm, dass der Vater, angeblich als Held für sein Land gestorben, tatsächlich als „Staatsfeind“ hingerichtet wurde. Für Stark bricht eine Welt zusammen. Nun will er mit denen reden, die angeblich die Wahrheit kennen, doch er weiß nicht, dass Marchmain ihn bespitzeln lässt, um über ihn endlich an den „Englischen Widerstand“ heranzukommen …

Manchmal ist die Geschichte hinter einem Roman wesentlich interessanter als die Geschichte selbst. „Eiserne Mauer“ ist ein Werk, dessen englischsprachiges Original bisher nur übersetzt und in Deutschland veröffentlicht wurde. In England selbst scheint bisher niemand interessiert zu sein. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. „Eiserne Mauer“ basiert auf einem Plot, der objektiv betrachtet zwar nicht neu, aber dennoch reizvoll ist. Die Rekonstruktion einer „alternativen“ Geschichte auf der Basis historischer Fakten ist ein bekanntes literarisches Genre, dem sich viele Schriftsteller und natürlich Historiker gewidmet haben. „Was wäre geschehen, wenn …“ ist eine Frage, die sich auch der Laie durchaus stellt. Wie sähe Deutschland im 21. Jahrhundert aus, hätte es keinen Hitler gegeben? Oder wäre er 1945 nicht zur Hölle gefahren? Die Variationsbreite entsprechender Spekulationen ist enorm. Entsprechend einfallsreich fallen viele „alternative“ Geschichten aus.

Diese allerdings nicht. Es liegt weniger an der Grundidee, die von einem Europafeldzug der Sowjets Anno 1945 ausgeht. Entsprechende Planspiele gab es im Westen wie im Osten tatsächlich, aber in der Realität haben sich die Sowjets an die Vereinbarungen mit ihren Alliierten gehalten. Der „Eiserne Vorhang“ ging deshalb später in Mitteleuropa nieder und zerschnitt nicht England, sondern Deutschland.

Die spezielle/n Geschichte/n der Bundesrepublik und der DDR dürfte/n der Grund für die deutsche Originalausgabe von „Eiserne Mauer“ sein. In England haben angesprochene Verlage womöglich deshalb abgelehnt, weil Millar gar zu dreist von der Historie abkupferte: Der Verfasser geht von der Prämisse aus, dass die Geschichte des geteilten England bis ins Detail der Geschichte der beiden Deutschland entspricht. Reduziert man „Eiserne Mauer“ auf seine „historischen Fakten“, gewinnt man den Eindruck, Millar habe einfach das Wort „Deutschland“ gegen „England“ ausgetauscht.

Millar findet für die alternative Welt von 1989 keine eigenen Einfälle. EDR („Englische Demokratische Republik“) = DDR (gegründet beide 1949), London/Westminster = Berlin-Ost/Berlin-West, Admirality Arch = Brandenburger Tor, Hardness = Honnecker, DoSS = Stasi/KGB (und Gestapo – für die in England stets publikumswirksame und meist platte Beschwörung der Nazis ist sich auch Millar keineswegs zu fein) – solche „Parallelen“ wirken nicht gerade überzeugend. Von einer echten „Alternativwelt“ mag man kaum reden. „Löwenherz“ Winston Churchill durfte freilich nicht kläglich wie Hitler in seinem vom Feind eingekreisten Bunker enden, sondern durfte jenem schmählichen Komplott zum Opfer fallen, mit dem Millar das weder spektakuläre noch spannende Finale einläutet, dem zu allem Überfluss eine schauerlich missglückte, ironisch und aufmunternd gemeinte Schlusspointe angeklebt wird.

Schade, denn die eigentliche Story vom wackeren Polizisten, der mit einem Fall konfrontiert wird, der nicht nur spannend ist, sondern ihn auch mit der verdrängten Realität eines Unrechtsstaates konfrontiert, lässt sich zunächst gut an. Die sozialistische Tristesse wird vor allem in Klischee dargestellt, doch ihre Inszenierung vor den Kulissen einer Metropole wie London, die ganz und gar nicht in ein sowjetsozialistisches System einpassbar erscheint, ist gelungen. Leider gerät besagter Polizist bald in die Mühlen der SoSS, dann munkeln diverse Geheimbünde in Londons tunnelreicher Unterwelt, und die Geschichte mündet in eine Verfolgungsjagd mit den üblichen vordergründigen Spannungselementen.

Angesichts der bisher (leise) beklagten Flatline des Plots wundert es kaum, dass die Figuren arg geduckt daherkommen. Das liegt nach Millar zum einen an der Diktatur der EDR, in der die Bürger anscheinend stets mit gesenkten Köpfen herumlaufen. Die Hauruck-Dramaturgie von „Eiserne Mauer“ lässt Harry Stark – der Name ist Programm, einprägsam und außerdem filmtauglich – zunächst als linientreuen aber ehrsamen Kommunisten auftreten. Das ist eine wichtige Dopplung, denn es unterscheidet Stark von den nur Linientreuen – unterwürfige Spitzel, grobe Apparatschiks oder teuflisch schlaue, skrupellose Machtmenschen – und den nur Ehrsamen, die stets die Freiheit im Munde führen, dem betonköpfigen Gegner mutig die Stirn bieten und einen schlimmen, aber zur Erschütterung (oder zum Wecken) der Leser notwendigen Tod sterben müssen.

Stark ist dagegen klug, Teil des Systems und dort so gut angesehen, wie das in einem krankhaft misstrauischen Kommunistenstaat möglich ist, wo jede/r jede/n bespitzelt und dem (So)SS Bericht erstattet. Gleichzeitig weiß er nur zu gut, dass viel faul ist in der EDR und dafür nicht die bösen Kapitalistenteufel des Auslands verantwortlich zu machen sind, sondern die eigene Regierung bzw. das besagte System, das einfach nicht funktioniert. 36 Jahre war Stark ein vorbildlicher Bürger. Dann kam Peter Millar ins Spiel, und eine geheimnisvolle Leiche und ein dem Inspector völlig unbekannter Amerikaner reichen aus, um Stark in einen (ziemlich tölpelhaften) Dissidenten zu verwandeln, der seine Odyssee durch eine operettenhafte Unterwelt standhafter Systemkritiker antritt.

Auftritt Colonel Marchmain, der stets tadellos gekleidet Spione jagt. Das Bemerkenswerte an dieser Figur soll offensichtlich aus dem Widerspruch erwachsen, dass dieser Marchmain, den der Verfasser als typischen Fuchs des englischen Geheimdienstes zeichnet, ein Musterkommunist ist, der völlig von sich und seinem Tun überzeugt ist. Anders als Stark kennt Marchmain kein Hinterfragen des Systems. Er gibt nicht einmal vor sich selbst zu, dass dies vor allem deshalb so ist, weil er in seiner Position den planwirtschaftlichen Engpässen enthoben ist und zu denen gehört, die Anweisungen geben, statt sie zu befolgen. Millar lässt für Marchmain nicht den Hauch von Selbstzweifeln zu, was diese Figur in eine Bösewicht-Knallcharge verwandelt, die auch Himmlers SS angehören könnte.

Chargen gibt es viele hinter der „Eisernen Mauer“. Da ist zum Beispiel Kathy, Starks rebellische Schwester, die den unzufriedenen Teenager mimen muss und einfach nicht die Klappe halten will, wie es der besorgte große Bruder rät. Selbstverständlich gerät sie deshalb in Gefahr, was eine völlig überflüssige, weil furchtbar platt aufgelöste Nebenhandlung in Gang setzt. Der „Englische Widerstand“ beschäftigt sich primär mit sich selbst und scheint sich in der Rolle im antiken Rom verfolgten Christen zu sehen; sie verbergen sich im englischen Gegenstück zu den Katakomben, schwärmen durch aufgelassen U-Bahn-Schächte und tagen in uralten Unterwelt-Bunkern. Ihr „Plan“, der die Betonköpfe in der Regierung zum Einschwenken auf Moskaus Tauwetter-Kurs bringen soll, ist von bemerkenswerter Blödheit, was sogar der böse Marchmain merkt, der sie deshalb einfach gewähren lässt.

Viel Aufwand (den Verfasser Millar in einem Nachwort schildert) also, der im Ergebnis nur bedingt zum Tragen kommt. Die banale Alltäglichkeit eines Überwachungsstaates, die viel furchterregender ist als die hier entworfene Scharade, kann und will Millar nicht in Worte fassen. Dazu passt das „offene“ Ende, dem sich eine Fortsetzung problemlos anhängen ließe; wollen wir hoffen, dass uns diese erspart bleibt.

Peter Millar gehört zur Gruppe jener Journalisten, die eines Tages beschließen, die Früchte ihres aufregenden Berufsalltags zu ernten bzw. in blanke Münze zu verwandeln. Wer zu den Brennpunkten der Weltgeschichte reist, ist doch wohl prädestiniert, ein spannendes und glaubhaftes Garn zu spinnen! Millar ist im Auftrag der |Sunday Times| oder des |Evening Standard| durchaus herumgekommen: Berlin, Moskau, Paris, Brüssel listet die Kurzvita des |Bastei|-Verlags als Wirkungsstätten auf. Auch in Osteuropa ist er journalistisch aktiv gewesen. 1992 fasste er seine Erlebnisse während des Mauerfalls in einem Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Tomorrow belongs to me: Life in Germany revealed as Soap Opera“ zusammen.

Im Spionagemilieu ließ Millar 2000 auch seinen ersten Thriller spielen. „Stealing Thunder“ (dt. „Gottes Feuer“, |Bastei-Lübbe|-Taschenbuch Nr. 15175) erzählt die übliche Holterdipolter-Hetzjagd zu Wasser, zu Lande und in der Luft, während ein historisch brisantes Rätsel – hier im Umfeld der ersten Atombombe – gelöst werden muss. 2001 folgte der vom Plot ähnlich strukturierte „Bleak Midwinter“ (dt. [„Schwarzer Winter“, 722 |Bastei-Lübbe|-Taschenbuch Nr. 14972); das Buch gehört zweifellos zu den schlechtesten Thrillern, die in diesem Jahrhundert erschienen sind – ein Spitzenplatz, den es noch lange halten dürfte.

Mit seiner Familie lebt Millar in London sowie Oxfordshire. Dort ist er – übrigens ein geborener Nordire – auch aufgewachsen. Sein schriftstellerischer Erfolg scheint sich in Grenzen zu halten – in deutschen Grenzen, wo seine (freundlich ausgedrückt) ökonomisch geplotteten Romane besser anzukommen scheinen als daheim.

http://www.bastei-luebbe.de

Villatoro, Marcos M. – Furia

Der |Knaur|-Verlag veröffentlichte im Frühjahr 2006 den Thriller [„Minos“ 2626 des amerikanischen Autors Marcos M. Villatoro und begeisterte damit die deutschen Leser. Diesen Sommer legt der Verlag nach. Allerdings ist das Buch, das in Deutschland unter dem Titel „Furia“ erscheint, nicht wie erwartet ein Folgeroman, sondern der direkte Vorgänger zu „Minos“. Als Originalausgabe erschien „Furia“ bereits vor „Minos“, was sicherlich auch in Deutschland strategisch geschickter gewesen wäre, da viele Handlungsstränge, die in „Minos“ vorkommen, hier ihren Anfang nehmen.

Romilia Chacón, die achtundzwanzigjährige Latina und alleinerziehende Mutter, ist gerade mit ihrer Mamá und ihrem Sohn nach Nashville gezogen. Bereits zu ihrem Antritt beim Mordkommissariat wird sie mit einem Toten konfrontiert. Der Journalist Diego Saénz wird erschossen aufgefunden. Der Täter lässt es so aussehen, als ob sich Saénz in selbstmörderischer Absicht das Gehirn weggeschossen hätte, doch Romilia lässt sich nicht täuschen.

Als sie am Tatort eine grüne Jadepyramide findet, wird ihr klar, dass die Sache, der sie auf der Spur ist, vielleicht ein bisschen zu groß für sie ist.
Denn die Jadepyramide war das Kennzeichen des Serienmörders Benny Bitan, den Romilias Kollege Jerry Wilson gerade dingfest gemacht hat. Was hat der tote Journalist zu bedeuten? Ist der wahre Serienmörder noch auf freiem Fuß oder hat Bitan etwa einen Nachahmer gefunden?

Im Mittelpunkt des Thrillers steht die Ich-Erzählerin Romilia Chacón, die man getrost als starke Frauenfigur bezeichnen kann. Dank ihrer Herkunft hat sie ein entsprechendes Temperament und macht sich mit ihrer Hitzköpfigkeit und ihrer Durchsetzungsfreude nicht nur Freunde in ihrem Arbeitsumfeld.

Obwohl sie dort den taffen Cop gibt, hat sie auch eine weiche Seite, die sich offenbart, wenn sie mit ihrem dreijährigen Sohn und ihrer konservativen Mutter zusammen ist. Villatoro lässt sehr viel von Romilias Privatleben in die Geschichte einfließen, wodurch die Persönlichkeit der jungen Frau sehr gut ausgelotet wird. Da sie als direkte Erzählerin fungiert, ist sie dem Leser sehr nahe und es fällt leicht, sie zu verstehen. Die geringe Distanz wird dem Roman an einigen Stellen allerdings zum Verhängnis, denn dadurch wird es schwer, Romilia auch einmal von außen zu betrachten.

Entsprechend eng verknüpft mit Romilia ist der persönliche, interessant gestaltete Schreibstil. Er zeichnet sich neben der Verwendung vieler spanischer Begriffe, die teilweise übersetzt werden oder erschlossen werden können, vor allem durch den scharfzüngigen Humor der Protagonistin aus. Ihre frechen, manchmal schlüpfrigen Bemerkungen, die sich oft auf den Machismo bei der Polizei beziehen, lockern das Buch unheimlich auf.

Trotzdem fällt auf, dass „Furia“ bei weitem nicht so solide und flüssig geschrieben ist wie „Minos“. Das Potenzial von Villatoro lässt sich zwar erkennen, aber er verzettelt sich dabei, seine Protagonistin möglichst menschlich darzustellen. Deswegen schweift er manchmal zu unwichtigen Dingen wie Romilias Liebe zu Büchern ab, vergisst dabei aber, dass ein bisschen mehr Vergangenheit der jungen Frau auch geholfen hätte.

Insgesamt ist „Furia“ einfacher gestrickt und weniger vielschichtig als „Minos“ – nicht nur in Bezug auf Schreibstil und Protagonistin. Die Handlung kann ebenfalls nicht völlig überzeugen, weil sie eindimensional abgebildet wird. Es gibt wenig Höhepunkte und einige logische Ungenauigkeiten sorgen dafür, dass die Spannungskurve recht flach verläuft. Das Ende verspricht zwar eine echte Überraschung, aber die ist ein wenig zu konventionell umgesetzt worden. Der große Showdown präsentiert sich deshalb als heimeliges Tischfeuerwerk, das nicht so ganz zünden möchte.

Es bleibt also festzuhalten, dass „Furia“ ein bisschen wie die Generalprobe von „Minos“ wirkt. Das Buch ist recht einfach gehalten, was sich negativ auf die Spannung niederschlägt, und dem Schreibstil fehlt der letzte Schliff. Romilias Persönlichkeit steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen, aber ihr unschlagbarer Humor und ihre ungewöhnliche Art stimmen den Leser versöhnlich.

http://www.knaur.de