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China Miéville – Leviathan

Teil 1: Die Narbe

Die schwimmende Stadt Armada, zusammengestückelt aus einer unüberschaubaren Zahl großer und kleiner Schiffe und Wracks, gezogen von den gewaltigen Kräften des Avanc, einer inselgroßen Kreatur aus den Tiefen der Meere Bas-Lags – auf der Suche nach der Narbe, der mythischen Wunde der Welt, Quell einer magischen Macht …

Der Autor

China Miéville wurde 1972 in England geboren. Nach Abschlüssen in Sozialanthropologie und Wirtschaft unterrichtete Miéville in Ägypten. Während sein für mehrere Awards nominierter erster Roman „King Rat“ noch leer ausging, wurde „Perdido Street Station“ mehrfach ausgezeichnet (unter anderem mit dem Arthur C. Clarke Award und dem Kurd-Laßwitz-Preis). Nach „Perdido Street Station“ ist „The Scar“ (deutsch: „Die Narbe“, „Leviathan“) sein zweiter Roman aus der phantastischen Welt Bas-Lag.

Inhalt

Die Wissenschaftler Armadas haben es geschafft, den Avanc, das Wesen aus dem Raum zwischen den Realitäten, mit thaumaturgischen Kadabras und der Hilfe eines von der Linguistin Bellis Schneewein übersetzten Buches zu ködern und als Zugtier für die Piratenstadt einzuspannen. Nie zuvor durchstreifte Armada die Meere Bas-Lags mit dieser Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, wie es ihr nun die Beherrschung des Giganten gestattet.

Und die mächtigste Führungsgruppe hat weitere Ziele. Sie gibt sich nicht mit der neuen Beweglichkeit zufrieden, sondern strebt nach größerer Macht, die sie an der unnatürlichen Wunde der Welt zu finden hofft. Dort, so sagen die Legenden und Mythen, seien die Naturgesetze aufgehoben, es herrsche ein Zustand der Possibilitäten, die je nach Grad ihrer Wahrscheinlichkeit zu tausenden parallel existieren – selbst widersprüchliche Zustände.

Doch werden der Bevölkerung Armadas die Fakten vorenthalten und sie wird über die wahren Ziele getäuscht. Der Brucolac, stärkster Gegner des Plans, probt die Meuterei, als sich fremdartige Wesen in den Konflikt einschalten. Mit ihrer Hilfe erhofft er sich eine Wendung der Stadt, zurück zu ihrem Alltag als Piratenstadt. Die Fremden handeln dabei nicht uneigennützig: Sie wurden von einem Mann betrogen und beraubt, der sich seit dem Überfall Armadas auf die Terpsichoria (siehe: „Die Narbe“) an Bord Armadas befindet. Ihm und dem Diebesgut gilt ihr Trachten. Und so kommen die Fremden und der Brucolac, Herr der Vampire, in ihr verhängnisvolles Geschäft. Nicht verhängnisvoll für die Fremden, denn sie sind wahrlich zu fremdartig …

Kritik

Es ist nicht einfach, ein Buch zu besprechen, das als zweiter Teil eines in der Originalsprache einzelnen Romans erschien. „Leviathan“ knüpft nahtlos an die Geschehnisse in „Die Narbe“ an. Guter Zeitpunkt, um ein Wort über die Titel zu verlieren. In der Narbe wurde sie selbst höchst verschwommen und indirekt erwähnt, dort ging es eher um die Köderung des Avanc, der ein wahrer Leviathan ist. Andersherum richtet sich der Blick im vorliegenden Buch, das den Titel „Leviathan“ trägt, immer stärker auf die Narbe, die Kluft in der Welt. Da hat wohl jemand die Titel vertauscht? Passend dazu die entsprechenden Klappentexte, die jeweils dem anderen Buch besser stehen würden.

Genug davon.

Bellis Schneewein erlebt eine herbe Enttäuschung. Alle Aktionen, alles, was sie anderes tut als die anderen Bewohner Armadas, ist geplant, sie wird von den einzelnen Machtgruppen manipuliert. Da ist beispielsweise Silas Fennek, der ihr von der großen Bedrohung ihrer Heimatstadt New Crobuzon berichtete und sie auf die gefährliche Reise zur Anopheles-Insel schickte, um eine Nachricht, eine Warnung rauszuschmuggeln. Jetzt erfährt sie über deutliche, blutige Zeichen (eine gnadenlose Schlacht auf den Meeren), dass Fennek nur sein Wohl im Auge hatte und die Flotte New Crobuzons gegen die Piratenstadt gelenkt hat. Bellis beichtet sogar entsetzt und wird von jenen ausgepeitscht, die sie in ähnlicher Weise benutzen, um eine Meuterei anzuzetteln. Als ihr das klar wird, erinnert sie sich, „[…] was sie in Douls Augen gelesen hat. Wieder ein Werkzeug, denkt sie, fassungslos und staunend. Wieder ausgenutzt[…]“.

Und trotz dieser Erkenntnis führt sie den eingeschlagenen Weg zu einem Ende, denn es ist der einzige Weg für sie zurück. So stellt sich das ohne viel Drumherum dem Leser dar, denn die bildgewaltige Sprache Miévilles hält sich mit einengenden Details zurück. Subtil entwirft er das Bild der Welt, die Charaktere entwickeln sich mit jeder Seite und werden deutlicher. Die kleinen Details erzeugen ein Gefühl für den Zustand, das Wesen, die Philosophie dieser Welt, die in ihrer Gesamtheit noch immer anders ist, faszinierend anders.

Während Bellis Schneewein in der „Narbe“ wichtige Erkenntnisse gewann und die Expedition voran trieb, ohne es wirklich zu wollen, tritt sie jetzt mehr in den Hintergrund, hat ihre Aufgabe erfüllt, ist nutzlos. So lassen die Herrscher ihre Werkzeuge fallen und schaffen sich damit eine große Gegnerschaft, die sich brodelnd zurückhält, bis es zum Eklat kommt. Aber Bellis bleibt weitgehend außerhalb der Masse, wird von hintergründigen Spielern manipuliert und protegiert. Fühlt sich schlecht dabei, wenn sie kleine Splitter des Intrigenpuzzles zusammensetzt. Aber ihre Intention ist klar: Sie will weg, keine Abenteuer an der Narbe, keine Reise mit dem Avanc, aber auch keine Piraterie mit Armada. Eigentlich will sie nach Hause.

Fazit

Die Welt Bas-Lag erhält mit jeder Seite mehr Tiefe, mehr Charakter, mehr Farbe. Mehr Hintergrund. Miéville entwirft eine neue Dimension der Phantastik, fern von Tolkiens Mittelerde oder der um Realismus bemühten Science-Fiction großer Space-Operas. Bas-Lag ist wie ein neuer, bisher unentdeckt gebliebener Winkel im Spektrum phantastischer Erzählkunst. Verständlich, dass der Autor mit neuen Geschichten ihre Reize auszuloten versucht. Und sehr begrüßenswert. Mit „Die Narbe“ und „Leviathan“ hat er eine neue Facette dieser Welt offenbart und Ansätze geliefert, die vermuten lassen, dass es hier noch viel zu entdecken gibt. Miéville ist einer der bedeutendsten Phantasten unserer Zeit.

China Miéville – Die Narbe

Bas-Lag: Faszinierende Welt skurriler Geschöpfe, gigantischer Ausmaße, perverser Experimente, melancholischer Charaktere, wissenschaftlicher Magie … Eine Mixtur mittelalterlicher und frühindustrieller Mechaniken und moderner bis futuristischer Techniken. Da kämpft ein Pirat mit Steinschlosspistolen und Messern, unterstützt von dampfbetriebenen Konstrukten künstlicher Intelligenz, gegen stahlgepanzerte Dampfschiffe ungeheurer Größe; da verstümmeln und modellieren Techniker mit thaumaturgischen Kadabras lebendes Fleisch und Intelligenzen zu neuen Funktionen. Und in dieser widersprüchlichen Welt voller Wunder und Sagen leben Menschen und andere Wesen auf der Suche nach einem mächtigen Mythos …

China Miéville wurde 1972 in England geboren. Nach Abschlüssen in Sozialanthropologie und Wirtschaft unterrichtete Miéville in Ägypten. Während sein für mehrere Awards nominierter erster Roman „King Rat“ noch leer ausging, wurde „Perdido Street Station“ mehrfach ausgezeichnet (unter anderem mit dem Arthur C. Clarke Award und dem Kurd-Laßwitz-Preis). Nach „Perdido Street Station“ ist „The Scar“ (deutsch: „Die Narbe“ & „Leviathan„) sein zweiter Roman aus der phantastischen Welt Bas-Lag.

Bellis Schneewein ist eine meisterhafte Linguistin aus New Crobuzon, der mächtigsten Stadt Bas-Lags. Auf der Flucht vor Schwierigkeiten mit den Behörden, die aus den Geschehnissen rund um „Die Falter“ resultieren, heuert sie auf dem erstbesten Schiff an, das die Gestade New Crobuzons verlässt: Die Terpsichoria.

Da trifft es sie doppelt hart, als das Schiff von einem übergeordneten Befehl zurückbeordert wird. Und trotzdem kann sie sich nicht über die Piratenattacke freuen. Das Schiff wird trotz seiner augenscheinlichen Überlegenheit gekapert und entführt, Zielort ist Armada, die schwimmende Stadt. Ein faszinierendes, uraltes Konstrukt aus Schiffswracks und seetauglichen Schiffen, fest verbunden und über Stege und Straßen begehbar, Wohnort von hunderttausenden von Menschen, Remade, Kaktusleuten, Khepri und anderen Bewohnern der Welt. Hier herrschen andere Gesetze, es gibt keine Sklaven, sogar die Remade (thaumaturgisch veränderte Wesen, in ihrer Heimat bestraft und versklavt) sind anerkannte Bürger.

Einerseits froh, der Heimkehr und damit weiteren Verfolgung entkommen zu sein, hat Bellis andererseits Heimweh und plant die Flucht, zumal den |gepressten| Bewohnern Armadas eindeutig klar gemacht wird, dass sie hier ihr Leben beschließen würden und aus Sicherheitsgründen niemals heimkehren könnten.

Und in den Tiefen des Ozeans wartet ein Wesen, unvorstellbar gigantisch und erschreckender Mythos aller Kulturen. Durch ihre Übersetzertätigkeit erfährt Bellis von einer Planung, die diesen Avanc zu fangen vorsieht, ein unmögliches Unterfangen, möchte man meinen: Unter Armadas Schiffen harren riesige Ketten, ein Glied über hundert Meter lang, ihrer Bestimmung als Zaumzeug für die Kreatur. Aber die größte Bedrohung geht von einer anderen Seite aus. Tödliche Gefahr schwebt über New Crobuzon, und Bellis sucht verzweifelt nach einem Weg zur Warnung, entgegen der strikten und interesselosen Vorschriften Armadas …

Schon der zweite Satz im Abschnitt Inhalt mag abschreckend wirken, scheint er doch die Kenntnis des ersten Bas-Lag-Romans von Miéville vorauszusetzen. Dieser Eindruck täuscht. Es sind keinerlei Kenntnisse über Miévilles bisheriges Werk nötig; jene Erwähnung über die Ereignisse in „Perdido Street Station“ sind für den Roman wenig von Belang und liefern befriedigend die Erklärung für Bellis‘ Flucht. Für Leser der PSS stellen sie ein Gimmick dar, denn man erinnert sich an Einzelheiten, die hier unerwähnt bleiben. Andere, wichtige Details, wie beispielsweise das Remaking, werden bildreich und schnell verständlich eingeführt, ohne jedoch jene zu langweilen, denen sie bekannt sind.

Der Autor bewältigt also die Gratwanderung zwischen Erklärungsbedarf für Neuleser und Geduld der anderen bravourös. Seine anschaulichen Beschreibungen lassen trotz ihrer Detailgenauigkeit unendlichen Platz für eigene Spekulationen und Vorstellungen, so dass die Protagonisten ihr Leben eingehaucht bekommen, ohne dem Leser vollendete Darstellungen vorzuschreiben. Und kann man sich überhaupt alles und jedes vorstellen? Soll man das können? Leben nicht gerade unvorstellbare Dinge wie Kettenglieder in Schiffsgröße von ihrer Unvorstellbarkeit? Die Fremdheit der Welt durch die Verschmelzung primitiven Mittelalters mit phantastischer Wissenschaft, der Thaumaturgie und dampfkesselbetriebener KI?

Auch wenn im ersten Abschnitt die Handlung einfach und langsam erscheint, packt die Spannung den Leser beim Genick, so dass Herz- und Atemfrequenz steigen und der Adrenalinausstoß zu zittriger Erwartung führt. Dass man das Buch nicht mehr weglegen kann/will. Dass vielleicht die Hände feucht werden und man verschmilzt mit den Gedanken und Gefühlen der Charaktere. Die Atmosphäre, gefährlich, spannend, mysteriös und – hm, unbeschreiblich; diese Atmosphäre ist vollkommen.

Und wieder neue, unbekannte, fremdartige Geschöpfe. Wie die Anopheles, deren Name treffend der irdischen Malariamücke entlehnt ist. Ihr Schreckensregime: Das Malariale Matriarchat. Oder die Kustkürass, menschliche Wesen mit stark gerinnendem Blut, die sich durch Schnittwunden stahlharte Schorfpanzer modellieren und durch Schnittwaffen kaum zu töten sind … Diese Welt lebt, sie hat eine wundervolle Gegenwart, eine atmende Vergangenheit und eine ungewisse Zukunft, und man erfährt bruchstückhaft und wie selbstverständlich Einzelheiten, die das Bild vertiefen und strukturieren. Und noch so vieles liegt verschüttet in den weiten Meeren, ist in Vergessenheit geraten und harrt eines Zufalls, um in irgendeiner Form Einfluss auf die Gegenwart zu nehmen.

Da „Die Narbe“ das erste Bruchstück eines für die deutsche Bibliothek gesplitterten Romans ist, gibt es nur ein Teilende – noch nicht durchschaubare Einzelheiten wie die unheimlich mächtigen Wesen aus den Tiefen des Meeres schlagen eine Spannungsbrücke zum nächsten Fragment: „Leviathan“.

Ohne ein endgültiges Fazit ziehen zu können, hat mir der Roman doch sehr gut gefallen. Nur frage ich mich, woher er seine Bezeichnung hat? Auf dem Umschlag steht: Es ist die Suche […] nach einer massiven Wunde in der Welt, einer Quelle unvorstellbarer Macht und Gefahr: der Narbe …
Erwartungsgemäß müsste also diese Narbe ein deutlicher Bestandteil des Romans sein, dem ist aber nicht so. Sie wird nicht einmal als Narbe erwähnt, und insgesamt nur verschlüsselt angedeutet. Hier hätte ich mir einen anderen Namen gewünscht.

„Die Narbe“ ist empfehlenswert für jeden Phantastik-Begeisterten und Freund spannender Geschichten. Und dank seiner Unabhängigkeit von „Perdido Street Station“ tatsächlich für jedermann/jederfrau ohne Vorkenntnisse genießbar!

Robert A. Heinlein – Starship Troopers – Sternenkrieger

„Vorwärts, ihr Affen! Wollt ihr ewig leben?“ Dieses Zitat von Unbekannt, 1918, dürfte mittlerweile unter den Zuschauern des Films „Starship Troopers“ ausreichend in Erinnerung sein. So animiert, stürmten die Gefreiten freudig in die Schlacht, und „Schlacht“ muss man es wirklich nennen, das Gemetzel, das John Rico und seine Mitstreiter unter den „Bugs“, den „Fehlern der Evolution“, anrichten – oder umgekehrt, denn die Arachniden schlagen gnadenlos zurück. Doch nun zum Roman:

Der Autor

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Michael Marrak – Imagon

Aus H. P. Lovecrafts Elder Gods-Mythos entstand eine Geschichte, die eindrucksvoller nicht sein könnte. Nichts könnte die unheimlichen Großen Alten deutlicher, glaubhafter schildern, nichts vor der Gefahr eindringlicher warnen, die dem Cthulhu-Mythos innewohnt.

Der Autor

Michael Marrak wurde 1965 in Weikersheim geboren, ist gelernter Großhandelskaufmann und besuchte das Berufskolleg für angewandte Grafik in Stuttgart. Mittlerweile lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller und Illustrator in Hildesheim.

Inhalt

Der dänische Geophysiker Poul Silis hasst Schnee. Eines Tages wird er von seinem Institut auf eine merkwürdige Sache angesetzt: In Grönland wurde ein Krater im ewigen Eis entdeckt, dessen Ausmaße nur von einem gigantischen Meteoriten herrühren können – doch keine Station auf der Erde hat seinen Einschlag beobachtet. Es gibt weder die typischen Aufwerfungen des verdrängten Substrats, noch die charakteristische Impaktwolke über dem Gebiet.

Man behandelt den Vorfall mit strengster Geheimhaltung. Silis wird nach Grönland verschifft und trifft auf das Team seines ehemaligen Mentors, Professor DeFries. Es stellt sich heraus, dass der Krater die Spitze eines uralten Tempels in der Front eines Berges freigelegt hat – älter als das intelligente Leben auf der Erde! Unheimliche Symbole zieren den einzig erreichbaren Eingang. Und ebenso unheimlich ist: Silis wird von Alpträumen geplagt, in denen er den Tempel (in seiner Gänze) sieht – mit seinen Bewohnern, grauenhaften Wesen, die das Tageslicht scheuen …

In der Mitte des Kraters findet man ein mehrere Meter durchmessendes Schluckloch, durch welches das Schmelzwasser von den Freilegungsarbeiten am Tempel zurück unter das Eis fließt. Wieder beobachtet Silis unheimliche Phänomene: Das Wasser fließt in der arktischen Kälte kilometerweit und schert sich dabei um keinerlei physikalische Gesetze. So fließt es in einem breiten, flachen Rinnsal schnurgerade zum Schluckloch und überwindet dabei sogar meterhohe Hindernisse.

Ein Experiment am Schluckloch zeigt, dass es seinen Namen zu Recht trägt. Es verschluckt sowohl Rauch (der sich in Spiralen abwärts dreht) als auch Schall! Zwei sich gegenüberstehende Menschen mit dem Loch zwischen sich vermögen sich nicht mehr zu hören. Als eine Magnesiumfackel von Silis in das Loch geworfen wird, bebt der Boden und eine gewaltige Fontäne befördert die Fackel zurück ans Licht. Silis‘ Begleiter wird von einem geleeartigen Klumpen der Masse berührt, die in seinen Körper eindringt. Er verliert das Bewusstsein und Silis erfährt von DeFries merkwürdige Geschichten über die Großen Alten, die Älteren Götter und unheilige Wesen.

Silis‘ Begleiter ist dem Tode geweiht, Silis selbst zweifelt an seinem wissenschaftlichen Verstand wie auch an dem seines ehemaligen Mentors DeFries. Ein Inuit-Schamane verhilft ihm zu einer Traumbegegnung mit Sedmeluq – danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Silis steigt in den Tempel hinab, auf der Suche nach Antworten. Er betritt eine gigantische Halle, die er aus seinen Träumen zu kennen glaubt. In ihrer Mitte befindet sich eine Mulde, in der sich eine tiefschwarze Masse bewegt, die Silis sofort als Qur identifiziert: Das unheilige Medium, dem die Älteren Götter entstiegen. Hier ist das Tor zur anderen Seite, das nicht geöffnet werden darf. Doch keiner der Wissenschaftler zieht Silis endgültig ins Vertrauen, denn sie wissen, dass er ein Imagone ist, der als Schlüssel zu dieser Welt von Sedmeluq ausersehen wurde …

Kritik

Man rätselt mit dem Protagonisten. Es gibt Bücher, in denen man stets mehr weiß als die Handlungsträger und allzu oft denkt: Oh Mann, dies und das ist doch so und so, siehst du das nicht?
In „Imagon“ ist das anders. Man weiß immer nur so viel wie Poul Silis, und das ist deutlich weniger als die meisten anderen in der Geschichte wissen. Es scheint, als würde das Wissen vor ihm verborgen werden, und so erfährt man nur Schritt um Schritt die erklärenden Verhältnisse, Erzählungen aus dem von DeFries zusammengetragenen ‚Taaloq‘ und eigenen Gedanken aus den Erlebnissen des Ich-Erzählers, eben Poul Silis.

Man wird ebenso wie er vor den Kopf gestoßen von Dingen, die in unserem Verständnis der Welt unmöglich sind. Aber man rutscht auch ebenso wie er in die Finsternis hinein und beginnt, an diese Dinge zu glauben, zweifelnd erst, dann mit wachsender Überzeugung. Es ist unheimlich, wie Marrak es schafft, uns Lesern über unwirkliche, aber äußerst plastische Erlebnisse des Erzählers einen Pseudomythos als wirklichen, uralten Mythos vorzulegen und uns schließlich glauben zu machen, dass die wichtigen Details des Mythos wahr sein könnten …

Was schließlich wirklich mit Poul Silis geschieht, will ich hier nicht verraten, denn das würde eine Menge der Spannung nehmen, die dem Buch innewohnt. Wer Marraks „Lord Gamma“ gelesen hat, kann eine Ahnung von der Vielfalt und Abstrusität haben, die zu dem mitreißenden und ebenso kalten, unheimlichen Roman werden, der mich nicht mehr losgelassen hat, bis ich mit den letzten Seiten an einem Ende angekommen war, das mich für einige Minuten hilflos zurückließ, ehe es mit seiner ganzen Aussagekraft durchdrang und als Ende bedeutungsschwer stehen blieb.

Vor einigen Jahren schrieb Michael Marrak eine Novelle mit dem Namen „Der Eistempel“, deren Plot wohl nach Größerem rief. Auf ihr basiert der vorliegende Roman, wobei die Novelle wiederum von Lovecrafts Elder Gods- oder Cthulhu-Mythos inspiriert wurde. Wenn man sich jetzt an Lovecrafts Roman „Berge des Wahnsinns“ erinnert (so man ihn kennt), wird man in „Imagon“ kein simples Remake finden, sondern eine echte, hervorragende, eigenständige Geschichte zu einem gemeinsamen Thema, dem Mythos um die Älteren Götter.

Fazit

„Imagon“ ist kalt, hart, unheimlich, bizarr und spannend, aber in keinem einzigen Moment wirkt er unglaubwürdig, zäh oder plakativ. Man glaubt dem Erzähler, dass er seine Geschichte erlebt hat und von ihr geprägt wurde; man glaubt auch dem Autor jegliche Details, als wäre er gar nicht vorhanden, sondern als handle es sich um Fachwissen des Geophysikers Poul Silis. Man ist geneigt, einen Punkt für das Ende abzuziehen, bis man noch einmal darüber nachgedacht und die Geschichte sich hat setzen lassen. Ich zumindest bin der Überzeugung, dass es kein anderes Ende hätte geben können. Darum Hut ab vor Michael Marraks Leistung – und volle Empfehlung!

Wer es gern solider mag, findet das Buch übrigens auch noch in der Originalausgabe von Festa (2002) als Hardcover unter der ISBN 3-935822-12-X.

Das Titelbild stammt übrigens von Marrak selbst, und der Roman wurde ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres 2002!

Asimov, Isaac – Best of Asimov

Isaac Asimov (1920-1992) hat in seiner langen SF-Karriere ab 1939 neben vielen Romanen – die immer noch bekanntesten und beliebtesten entstammen dem 1951 gestarteten |Foundation|-Zyklus – naturgemäß auch zahllose kürzere Erzählungen veröffentlicht, viele davon gerade in seiner frühen Phase für das Pulp-Magazin |Amazing Stories| seines Entdeckers und Förderers John W. Campbell. Die Behauptung, bei der hier vorliegenden Sammlung handle es sich um das Beste, was der SF-Pionier im Story-Bereich geschaffen hat, darf aber gleich aus mehreren Gründen nicht ganz so ernst genommen werden. Zum einen stammt „The Best of Isaac Asimov“ im Original bereits aus dem Jahr 1973 und wurde 1983 bei Bastei-Lübbe auch schon mit der Bandnummer 24113 veröffentlicht. Und auch wenn der Autor seine Glanzzeit und besonders auf dem Kurzgeschichtensektor produktivste Phase in den vierziger und fünfziger Jahren hatte, werden damit die fast 20 letzten Jahre seines Schreibens schlicht unterschlagen. Was hier ebenfalls fehlt, sind seine Robotergeschichten. Die wurden zwar an anderer Stelle oft genug veröffentlicht, doch dies trifft für einen Großteil der hier versammelten Storys ebenfalls zu, zählt also nicht als Entschuldigung. Gerade die Robotergeschichten sind nun einmal ein wesentlicher Bestandteil des Asimov’schen Schaffens. Dies wird dieser Tage gerade durch eine auf diesem Werk basierende Verfilmung namens „I, Robot“ gezeigt. Die Zusammenstellung besorgte Asimov übrigens auch nicht selbst, sondern ein namentlich ungenannter Herausgeber, so dass man über die getroffene Auswahl durchaus geteilter Meinung sein kann. Asimov gibt das im Vorwort in ungewohnt bescheidener Manier zu und schreibt, eigentlich solle das Buch besser den Titel „Die recht guten und recht typischen Geschichten Isaac Asimovs“ tragen – so viel dazu.

Höhepunkt der zwölf Storys ist „Und Finsternis wird kommen…“ (Nightfall) aus dem Jahr 1941, eine Geschichte, welcher der Autor ob ihres enormen Erfolgs recht hilflos gegenübersteht und von der er selbst erklärt, sie sei nicht seine persönliche Favoritin. Der SF-Leser an sich widerspricht dieser Meinung gern und häufig, immer wieder wird „Und Finsternis wird kommen…“ unter den beliebtesten Kurzgeschichten aller Zeiten genannt. Der Reiz dieser faszinierenden Story liegt vor allem in ihrem beeindruckenden Szenario: Der ungewöhnliche Plot – die Welt Lagash wird nur in großen Abständen mit völliger Dunkelheit konfrontiert, da ansonsten immer eine der Sonnen am Himmel steht, was in unschöner Regelmäßigkeit die Zivilisation in völligem Wahnsinn zerbrechen lässt und sie auslöscht – hat sicherlich den Löwenanteil am hohen Beliebtheitsgrad. Stilistisch ist Asimov in dieser frühen Phase sicher nicht völlig ausgereift, sondern noch sehr den |Pulps| verhaftet. Das heißt keineswegs schwach, eher einfach, fast naiv gehalten, aber auch in der relativ nüchternen Manier durchaus ansprechend. Die Charaktere dürften zweifelsfrei noch schärfer gezeichnet sein. Erst Robert Silverbergs Romanfassung, deutsch als „Einbruch der Nacht“ bei |Heyne| erschienen, hilft dem Manko der etwas wissenschaftlich-sterilen Protagonisten dann ab. Die Original-Geschichte zählt aber allein wegen der ungewöhnlichen Idee, von der sie lebt, verdientermaßen zu den Klassikern der SF der vierziger Jahre.

Die erste verkaufte Story des Autors, „Havarie vor Vesta“ (Marooned off Vesta, 1939), kann besonders durch die Plausibiltät gefallen, mit der sich die havarierten Raumfahrer an Bord der Silver Queen aus ihrer scheinbar aussichtslosen Lage retten. Ein früher Verweis auf Asimovs spätere Ausflüge ins Krimigenre? Sprachlich ist das Debüt ebenfalls sehr einfach gehalten, auch hier lebt die Geschichte mehr von der Idee. Genau zwanzig Jahre später wurde dann „Jahresfeier“ (Anniversary) geschrieben, das die Charaktere der Geretteten noch einmal aufgreift und schließlich gemeinsam mit „Havarie vor Vesta“ in |Amazing Stories| abgedruckt wurde, eben um den Geburtstag der ersten Story Asimovs gebührend zu feiern. Mehr Krimi als SF, ist diese Geschichte die wohl schwächste der hier vertretenen, da die Lösung des Falls den Leser hilflos zurücklässt und ihm kaum eine Chance bietet, wenigstens mitzuraten, wer denn nun der Täter war.

Der gereiftere Asimov begegnet dem Leser in der erstmals 1972 veröffentlichten Story „Spiegelbild“ (The Mirror Image), die auch ein Wiedersehen mit dem Detektiv Elijah Baley und dem Roboter R. Daneel Olivaw aus den frühen Romanen „Die Stahlhöhlen“ (The Caves of Steel) und „Die nackte Sonne“ (The Naked Sun) parat hält, die später in der |Foundation|-Fortschreibung auch wieder auftauchen. Zwei Wissenschaftler beschuldigen sich darin gegenseitig des geistigen Diebstahls. Baley droht an dem Fall zu verzweifeln, kann ihn dann aber dank seiner eigenen Logik – die den Roboter verblüfft – doch aufklären. Ein weiterer Kriminalfall wird in „Das Nullfeld“ (The Billard Ball) gelöst. Hier steht allerdings nicht die Frage nach dem Täter im Raum, sondern die Überlegung, ob Zufall oder Absicht die Tat lenkten und wie sie überhaupt möglich war. Eine reizvolle Story.

„Geschichte eines Helden“ (C-Chute), ursprünglich in |Galaxy| veröffentlicht, hat dann mehr von einer typischen SF-Story der frühen fünfziger Jahre. Während eines Kriegs zwischen Menschen und den Kloros, einer Insektenrasse, wird die Besatzung eines irdischen Raumschiffs gefangen genommen. Ausgerechnet der unscheinbare Buchhalter Randolph Mullen avanciert unter den Gefangenen zum Helden und findet einen Weg zur Flucht. Flott zu lesen, recht farbige Charaktere und damit eine der besseren Storys des Buchs. „Das Chronoskop“ (The Dead Past) kann ebenfalls durch die starken Charaktere, die in vielen Nuancen geschildert und so lebendig werden, überzeugen. Die weiteren Storys: „Die Verschwender vom Mars“ (The Martian Way), „Die in der Tiefe“ (The Deep), „Der Spaß, den sie hatten“ (The Fun They Had), „Wenn die Sterne verlöschen“ (The Last Question) sowie „Die schwindende Nacht“ (The Dying Night).

Alles in allem eine gute Zusammenstellung typischer Asimov-Geschichten, nicht das Beste, aber doch mehr Gutes als Schlechtes.

_Armin Rößler_ © 2001
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Arnaldur Indriðason – Nordermoor [Erlendur 3]

In der isländischen Hauptstadt Reykvavík wird ein alter Mann umgebracht. Das Opfer war ein Gewaltverbrecher, der vom Gesetz gedeckt wurde, bis ihn nun die Vergeltung ereilte. Kommissar Erlendur Sveinsson folgt hartnäckig den Spuren eines Verbrechens, das alle Beteiligten gern unter den Teppich gekehrt sähen … – Endlich wieder ein Krimi aus Skandinavien, der die kollektiven Vorschussbeeren verdient, die hierzulande für Texte aus dem Norden allzu großzügig vergeben werden. Tragik, Spannung, dazu ein leiser aber kundig eingesetzter Humor: „Nordermoor“ ist das gelungene deutsche Debüt eines Schriftstellers, der sein Handwerk versteht.
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Nichols, Peter – Allein auf hoher See. Abenteuer einer Weltumseglung

Sinnlos selbst gesetzte Hürden

Warum steigt der Mensch auf hohe Berge? Wieso taucht er in tiefe Meere? Aus welchem Grund durchquert er Wüsten auf Stelzen und trägt dabei mit den Zähnen einen Kanaldeckel aus Gusseisen? In der Regel einfach deshalb, weil es vor ihm (oder ihr) noch niemand getan hat! Unter uns tagarbeitenden und in der Freizeitgestaltung vergleichsweise fantasiearmen Zeitgenossen gibt es seit jeher Exoten, die es dazu drängt, eine ungewöhnliche Note in ihr Leben zu bringen. Nach Sinn und Logik darf man da nicht fragen, sondern muss das Phänomen als solches mit Interesse und Neugier zu Kenntnis nehmen. Man ist ja nicht zur Nachahmung verpflichtet.

In diese seltsame Welt eigentümlicher Individualisten, die sich heute gern selbst zu „Extrem-Sportlern“ adeln, entführt uns der Journalist und Segler Peter Nichols. Er hat eine bizarre Fußnote der Sporthistorie ausgegraben und erweckt dahinter eine fesselnde Geschichte zu neuem Leben. Die Chronik des „Golden Globe Race“ von 1968/69 wird von solchem Irrwitz geprägt, dass wir sie als Film mit Unglauben und Spott quittieren würden. Aber die Geschichte ist wahr, und als Sachbuch mit Thriller-Qualitäten glauben wir sie ihrem Verfasser, denn Nichols ist ein fabelhafter Schriftsteller. Nichols, Peter – Allein auf hoher See. Abenteuer einer Weltumseglung weiterlesen

Heinz G. Konsalik – Der Arzt von Stalingrad / Das Herz der 6. Armee

Manchmal hat man Glück. Bei einem Remittendenverkauf konnte ich für zwei Euro einen echten Bestseller erwerben: Konsaliks „Der Arzt von Stalingrad / Das Herz der 6. Armee“. Der erste Roman des Doppelbandes markierte den Durchbruch des Autors, der auch heute noch als international erfolgreichster deutscher Autor angesehen wird.

Mir wurde dieser Roman empfohlen. Als Aufruf zur Humanität, auf wahren Tatsachen basierender Bericht über das Leben in russischen Gefangenenlagern wurde das Werk vielerorts angepriesen. Trivialliteratur mit einem wahren Kern, eine Landsergeschichte mit Ärzten – aber anscheinend eine verdammt gute. So war mein Eindruck, der mich dann auch zum Kauf animierte.

Nur entpuppte sich dieses Buch als ein unerträglich dem „Zeitgeist“ des kalten Krieges entsprechendes Machwerk, voller rassistischer, antikommunistischer, faschistischer sowie deutsche Kriegsverbrechen entschuldigender Inhalte. Eine braune Brühe, die ein Goebbels nicht besser hätte abschmecken können. Den deutschen Lesern, die nichts mit dem Nationalsozialismus mehr am Hut hatten, hat es seltsamerweise ebenfalls gemundet: Der große Erfolg des Buches mündete sogar in einer Verfilmung. Ideologisch ist das ein lupenreiner Trivialroman im Stile des Dritten Reiches. Dies trifft vor allem auf den „Arzt“ zu, das „Herz“ ist bei weitem nicht so durchsetzt mit Überbleibseln der Nazi-Ideologie wie dieser. Dieser Roman war jedoch bei weitem nicht so erfolgreich wie der „Arzt“, es ist fast schon zynisch, dass dieser der mit weitem Abstand erfolgreichste Roman Konsaliks ist.

Autorenportrait: Heinz Günter Konsalik (28.05.1921 – 02.10.1999)

Konsalik wurde am 28. Mai 1921 in Köln geboren. Er musste sein Studium der Medizin, Germanistik und Theaterwissenschaften abbrechen, da er in die Wehrmacht eingezogen wurde. Dort diente er seinen Fähigkeiten entsprechend als Kriegsberichterstatter, bis er in Russland schwer verwundet wurde. Was weitgehend unbekannt blieb ist, dass Konsalik Mitglied der GeStaPo war. Nach dem Krieg begann er 1951 eine Karriere als Schriftsteller. Seinen Durchbruch erzielte er 1956 mit dem „Arzt von Stalingrad“ – das mit einer Auflage von über 3,5 Millionen wohl meistgelesene Buch der Nachkriegszeit. Bevorzugtes Thema Konsaliks war der zweite Weltkrieg. Am 02. Oktober 1999 starb Konsalik an den Folgen eines Schlaganfalls und hinterließ neben seiner Lebensgefährtin Ke Gao und zwei Töchtern insgesamt 155 Romane mit einer Gesamtauflagenstärke von geschätzten 80-90 Millionen Exemplaren.

Das Geheimnis seines Erfolgs: „Dass ich so schreibe, wie mein Leser denkt und spricht. Darum hält mich die Literaturkritik für trivial. Ich würde nie einen Nobelpreis kriegen.“

Der Arzt von Stalingrad (1956)

In einem Gefangenenlager nahe Stalingrad kämpft der Stabsarzt Dr. Böhler mit seinen Helfern Dr. von Sellnow und Dr. Schultheiß um das Leben der unter unmenschlichen Bedingungen hausenden deutschen Kriegsgefangenen. Ihre Lage ist kritisch, denn Dr. von Sellnow hat ein Verhältnis mit der Lagerärztin Kasalinsskaja. Schlimmer noch ist die Liebschaft von Dr. Schultheiß: Er verliebt sich in die lungenkranke Janina, die ihm zur Pflege übergeben wird – sie ist die Geliebte des Lagerkommandanten Major Worotilow, von dessen Wohlwollen das Leben aller Gefangenen abhängt. Dr. Böhlers Können spricht sich herum, seine Kompetenz und menschliche Größe gewinnen die Herzen der Russen. Nachdem er einen kommunistischen Würdenträger gerettet hat, kann er vielen Gefangenen die Rückkehr nach Deutschland ermöglichen.

Ein Arzt- und Liebesroman vor einem grausamen Hintergrund? Durchaus, gemischt mit vielen Vorurteilen und Nazi-Ideologie – jede Seite dieses Romans zeigt, welch Geistes Kind der Autor ist. Die Handlung quillt nur so über von Beispielen, wie man sich laut Konsalik einen typischen Russen vorzustellen hat.

So gibt es zwei Typen von Russen: Den bösen, asiatischen Typus mit Schlitzaugen wie den Politkommissar Kuwakino oder den Chirurgen Professor Pawlowitsch. Der Erstere ist ein lüsterner Grabscher und brutal: Er reduziert gnadenlos Essensrationen und weidet sich an der Folterung von Gefangenen. Pawlowitsch ist inkompetent und hinterhältig, nachdem er den von dem Könner Böhler auf geniale Weise geretteten Patienten durch seine Inkompetenz verliert, arrangiert er es so, dass Böhler noch einmal geholt wird und ihm dann die Schuld zugeschoben wird. Zwar auch nur ein Russe, aber immerhin auf eine deutsche Kriegsschule gegangen, ist der zivilisiertere Major Worotilow, der auch nicht gerade eine gute Meinung über die beiden Erstgenannten hat:

„Ein Asiate, dachte Major Worotilow. In seinem Hals würgte der Ekel.“ (…) „Es fiel ihm schwer, zu dem kleinen, armseligen Juden ‚Genosse‘ zu sagen und ihn als seinesgleichen anzuerkennen. Aber er würgte es heraus, eingedenk der Ideologie, der er diente und die keine Rassen kannte, keine Hautfarben und keine Nationen, nur den Ruf der roten Fahne der Revolution.“

Dieser Rassismus ist jedoch vielmehr im Nationalsozialismus anzutreffen, der hier Worotilow in den Mund gelegt und damit bestätigt wird: Sogar die Russen erkennen, dass Asiaten die Minderwertigste aller Rassen sind. Die Juden kommen dabei keinen Deut besser weg. Doch auch Worotilow ist „nur“ ein Russe: „Er wurde steif und spürte Brutalität in sich aufsteigen. Das erschreckte ihn, aber er wehrte sich nicht dagegen. Es ist meine Natur, dachte er. Ich bin ein Russe!“ – genau, da kann man leider nichts dagegen machen, das ist „rassisch“ bedingt. So dachte man damals.

Worotilow wird als der „einsichtigste“ und menschlichste Russe beschrieben, der Rest ist weitgehend gemein oder triebhaft und dumm. Deshalb auch seine Bewunderung für die Kompetenz und den „Feingeist“ der Deutschen: „Im Herzen bewundern wir euch. Der Deutsche war oft der geschichtliche Lehrmeister der Russen.“

Kommissar Kuwakino legt Konsalik zudem noch seine Definition des Kommunismus in den Mund, der durch Nahrungsentzug stramme deutsche Soldaten zu Kommunisten machen will: „Wir werben durch Taten! Hunger erzeugt klare Köpfe! Wer nichts zu fressen hat, wird vernünftig! Das ist das ganze Geheimnis vom fruchtbaren Acker des Kommunismus. Je mehr Elend in der Welt, umso stärker die Partei! Satte Mägen revoltieren nicht!“

Konsalik wird auch zu Recht als Chauvinist bezeichnet: Sein Frauenbild ist geprägt von nationalsozialistischen Ideen und verfeinert mit eigenen Wunschträumen. Deutsche Krankenschwestern sind blond und anständig. Dr. Alexandra Kasalinsskaja, Janina Salja und die Küchenhilfe Bascha stehen für einige Stereotypen: So ist Janina die zarte Russin, die sich nach dem zivilisierten, deutschen Akademiker Dr. Schultheiß sehnt. Ganz anders Kasalinsskaja, eine Nymphomanin, die nichts lieber hat, als von Dr. von Sellnow hart gerammelt zu werden, der ihrer natürlichen Wildheit nicht widerstehen kann. Sie verkörpert die wilde, rauhe Schönheit Russlands. Hier möchte ich auch ein wenig den Wunsch als Vater des Gedankens unterstellen, auf alle Fälle war es recht unterhaltsam zu lesen. Als typisch triebhafte Russin wird auch die Küchenhilfe Bascha dargestellt, die bei jeder Gelegenheit, mehrmals am Tag, deutsche Gefangene vernascht und sie dafür mit ein bisschen Brot belohnt.

Dem vielzitierten Zeitgeist des Kalten Krieges entspricht auch die Charakterisierung der deutschen Ärzte, die edel, hilfreich und gut sowie natürlich Spitzenkönner sind. Hier fühlte ich mich an frühe vom ehemaligen Marineingenieur K. H. Scheer geschriebene Perry-Rhodan-Romane erinnert, auch hier waren die „Terraner“ quasi die „Deutschen“, allesamt „Spitzenkönner“. So auch Konsalik’s Dr. Böhler, der mit einem Taschenmesser, einem Faden und ein wenig Licht komplizierteste Operationen erfolgreich durchführt – ein klarer „MacGyver-Effekt“. Kein einziger Patient wird den deutschen Ärzten sterben, sie retten auch von den Russen als unheilbar abgeschriebene Fälle. Nebenher ist Böhler auch menschliches Vorbild: Er stellt das Wohl seiner Männer über sein eigenes, er gibt seine Chance nach Hause zu reisen auf, um einen unschuldigen SS-Arzt zu retten. Hier möchte ich auf ein Zitat verzichten, nur so viel: In schlimmen Zeiten geschehen schlimme Dinge, man hat zwar Unmenschliches getan, aber was soll man in solchen Zeiten schon dagegen tun? Eine der beliebtesten Ausflüchte und Verdrängungsmethoden – es war eben so, wie es war. Da konnte man nichts dagegen tun. Konsalik hebt dagegen Pflichtgefühl und Können der Ärzte hervor, und fragt, wie sich gerade die grausamen Russen als Richter über solche Männer aufspielen können.

Auch sonst malt Konsalik die Vergangenheit schön rosarot: Er erzählt von der Kameradschaft im Gefangenenlager, wo man sich brüderlich hilft und die knappe Nahrung teilt. Historisch belegt sind Fälle von Kannibalismus, Unterdrückung Schwächerer und dem nackten Kampf um das eigene Leben. Konsalik greift jedoch lieber den kommunistischen Spitzel auf, der von den Roten mit falschen Versprechungen zum Werkzeug gemacht wurde, der die Schande seiner eigenen Ehrlosigkeit nicht mehr ertragen kann und sich schließlich selbst richtet.

Es gibt in diesem Roman zahllose Beispiele, er besteht nahezu ausschließlich aus tendenziösen und anschaulichen Vergleichen, die deutsche Tugenden verdeutlichen und das Untermenschentum der Russen herausstellen. Das auch heute noch in aller Munde befindliche Klischee des polnischen Autodiebs legt Konsalik in abgewandelter Form dem russischen Dr. Kresin auch noch in den Mund: „Geklaut! Gibt es einen Russen, der nicht klaut?!“ Hier wurde medizinische Ausrüstung aus schnödem Eigennutz geklaut, und Bedürftige müssen deshalb sterben.

Der „Arzt von Stalingrad“ erzeugt bei der Leserschaft ein warmes, braunes Gefühl – ein wohlschmeckender Kakao für den, der ihn serviert haben möchte. Wer nur ein wenig über den Tassenrand hinausblickt, dem drängt sich eine ganz andere „braune“ Assoziation auf…

Das Herz der 6. Armee (1964)

Die 6. Armee kämpft in Stalingrad verbissen gegen den letzten schmalen Streifen Wolgaufer verteidigende Russen. Das Blatt wendet sich, als die russische Heeresgruppe Don unerwartet mit überlegenen Panzerverbänden die Front durchbricht und Stalingrad einkesselt. Der Arzt Dr. Körner erlebt das Sterben der ohne Winterkleidung erfrierenden, hungernden und verzweifelten deutschen Soldaten mit. Auf der anderen Seite der Front erlebt Major Kubowski ähnliches Grauen, unzählige Russen werden beim Angriff auf deutsche MG-Stellungen verheizt, er ist frisch verliebt in eine Krankenschwester und möchte einfach nur am Leben bleiben. In den Kriegswirren wird Körner von den eigenen Leuten zum Tode verurteilt, schließlich verpflegt er gemeinsam mit Kubowski’s Geliebter verwundete Soldaten beider Parteien.

„Das Herz der 6. Armee“ ist ein sentimentales Rührstück, in dem Konsalik’s Geisteshaltung stärker in den Hintergrund tritt und er auch kritisch die Leiden des russischen Soldaten betrachtet. Kameradschaft der Soldaten aller Nationen in der Blutmühle von Stalingrad – tapfere, einfache Männer, Helden, die den Irrsinn ausbaden müssen, den gewissenlose Vorgesetzte (Stalin, Hitler, Offiziere) zu verantworten haben. Überzeugend, klar und eingängig geschrieben. Auch dieser Roman bedient die Wünsche der Zuhörerschaft, er zieht seinen Reiz aus der oben genannten Form der Glorifizierung des einfachen, leidenden Soldaten. Obwohl auch das „Herz“ im politischen Grundtenor Konsaliks geschrieben ist, treten hier durchaus positive, kritischere Gedanken als purer Rassismus in Vordergrund, was den Roman sympathischer macht, wenn er bezeichnenderweise auch nicht annähernd den gigantischen Erfolg des „Arztes“ hatte.

Ein Musterbeispiel für Romane, die Konsalik zum „Anwalt“ des deutschen Soldaten machten. So war es, so grausam, und an allem waren Hitler, Stalin, verbohrte Nazi-Offiziere und der verfluchte Kommunismus schuld. Zwar grob vereinfacht, aber durchaus wahr – hier wird die von Stalingrad gepeinigte deutsche Seele gestreichelt, der Hass auf die primitiven Russen ist hier nicht mehr in dem Maße wie im „Arzt“ zu spüren. Überhaupt hat sich Konsalik im Laufe der Jahre entweder radikale Äußerungen verkniffen oder etwas mehr kritischen Abstand gewonnen. Das acht Jahre später erschienene „Herz“ ist nicht mehr so platt glorifizierend und zeigt auch mal feige Deutsche, die simulieren, um ausgeflogen zu werden.

Gleich geblieben sind die diesmal weniger derb ausgeprägten Liebesgeschichten, aber Konsalik wäre nicht Konsalik, wenn der Roman ohne Pathos wie plötzlich auftretende, leicht nationalsozialistisch inspirierte Ideale wie „Kameradschaft der Soldaten im Kampf“ und Ähnliches auskommen würde.

Fazit:

Man darf von Trivialliteratur nur eines erwarten: Dass sie unterhält. Das tut Konsalik, sogar sehr gut. Dabei bringt er jedoch so viele braune Ideale in seine Romane ein, dass ich die ohnehin sehr simpel und schematisch gestrickten Geschichten nicht wirklich genießen konnte. Er hat das Geheimnis seines Erfolgs selbst genannt: Er schreibt, was die Leser hören wollen und er schreibt es so, dass sie es verstehen. Einfach und eingängig. Bemerkenswert dabei der Unterschied zwischen den beiden Romanen: Ärze, Frauen, Liebe und Leid – dieselben Grundzutaten, einmal angerührt mit tiefbrauner Brühe, das andere Mal mit triefendem Pathos. Da das „Herz“ einige kritische Elemente und Erkenntnisse enthält, fand ich es durchaus lesens-, wenn auch nicht wirklich empfehlenswert.

Der „Arzt von Stalingrad“ war für mich erschreckend und lehrreich zugleich. So einfach kann man den harmlosen Otto Normalbürger dazu bringen, einmal kurz das Hirn abzuschalten, sich ganz altem Hass, Vorurteilen und Wünschen zu ergeben und geistig in den Reihen der braunen Bataillone mitzumarschieren. Überzeugt und dabei ganz und gar kein Nazi. Auf derselben Ebene gewann Hitler die Herzen von Millionen Deutschen.

Es mag ein zweifelhafter Trost sein, dass Konsalik auch Millionen von Nicht-Deutschen begeistert hat. Der „Arzt“ war sein großer Erfolg und prägte (leider) sicherlich das internationale Bild des Deutschen mit. Heute würde eine Neuerscheinung dieser Coleur wohl zu Stürmen der Entrüstung führen, damals entsprach sie jedoch genau der vorherrschenden Stimmung und wurde deshalb auch ein so großer Erfolg.

Taschenbuch: 816 Seiten
ISBN-13: 978-3404259441

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Roderick Grierson / Stuart Munro-Hay – Der Pakt mit Gott

Reliquienverehrung kennen wir nur zu gut innerhalb unserer christlichen Kultur des Mittelalters. Aber auch ältere Kulturen glauben an diese meist geheimnisumwitterten Dinge. Neben dem |Graal| galt lange die |Bundeslade| als eines der großen Mysterien der Menschheitsgeschichte. Sie wäre in unserem Kulturbereich fast in Vergessenheit geraten, wenn nicht vor einigen Jahren die Filmindustrie diesen Mythos wieder aufgegriffen hätte und mit „Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes“ Millionen weltweit auf diesen Mythos aufmerksam gemacht hätte.

Die bekannteste Version der Lade stammt aus dem Alten Testament der Bibel. Während der Flucht aus Ägypten, des Exodus, erstieg Moses einen Berg und wurde vierzig Tage und Nächte von einem Wesen, das sich als Gott offenbarte, instruiert. Während dieser Zeit war das Volk bereits ungeduldig geworden und glaubte nicht mehr an seine Rückkehr. Als er herabstieg, tanzten sie vor dem Goldenen Kalb und sein Bruder Aaron hatte die Führung übernommen. Voller Zorn zerschmetterte Moses die von Gott erhaltenen Gesetzestafeln und metzelte gemeinsam mit den Söhnen Levis etwa dreitausend andere Israeliten nieder. Damit hatten die Leviten, die bis dahin nur als zweite Klasse unter dem Stand der aaronitischen Priesterschaftslinie galten, die religiöse Macht übernommen. Anzumerken bleibt, dass die Aaroniten ebenso zum Stamm der Leviten gehören und dieser Zwist nur einer unter vielen innerhalb der Vielfalt noch anderer israelischer Stämme darstellt. Moses ging erneut für vierzig Tage auf den Berg und kam mit zwei neuen Gesetzestafeln zurück. In dieser Version wurde erst danach die Lade gebaut und diese Tafeln hineingelegt. Wundersame Ereignisse, die die meisten Juden und Christen kennen, sind mit der Lade verbunden, bis sie zu König David von Jerusalem gelangte und dessen Sohn Salomo ihr dann den berühmten Tempel erbaute. Irgendwann war sie verschwunden, über die Umstände hat die hebräische Bibel nichts zu sagen.

Tatsächlich ist die Lade aber viel älter, sie war bereits zu der Zeit, als der biblische Bericht verfasst wurde, eine alte und mysteriöse Reliquie. Der biblische Text, der Jahrhunderte nach den darin beschriebenen Ereignissen seine Endfassung erhielt, verkündet eine Religion, in der es nur einen Gott, einen wahren Ort der Anbetung und nur eine Lade gibt. Die Überlieferungen früherer Kulte widersprechen dieser Version. Die Lade hat Konkurrenz, es gibt zu ihr Alternativen, die vermuten lassen, dass mehrere Laden existieren. Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Authentizität der Gesetzestafeln, die Moses in die Lade legte.

Das ganze Bibel-Getue ist ohnehin etwas recht Willkürliches. Das Neue Testament und seine christliche Religion ist eine radikale neue Interpretation des Alten Testaments, aber auch das Alte Testament wurde in seiner heutigen Form als Kanon erst im 1. Jahrhundert nach Christus festgelegt und stellt nur einen Bruchteil der ursprünglichen hebräischen Schriften dar. Diese entsprechen auch keinen einheitlichen hebräischen religiösen Linien, es gab innerhalb der Stämme noch viel mehr religiöse Machtkämpfe als nur die zwischen den in der heutigen Bibel am deutlichsten auftretenden Jahwisten (Moses) und Elohisten (Aaron). Bei Letzteren hat die Lade aus den genannten historischen Gründen auch keinerlei spirituelle Bedeutung. Archäologisch sind die biblischen Geschehnisse sowieso nicht haltbar, es ist historisch nicht möglich, zwischen Kanaaiten und Israeliten zu unterscheiden.

Für die „reine“ Lehre der Priester- und Prophetenkaste wurden der Abfall von Gott und der Untergang des israelischen Volkes mit der Einführung eines Königs besiegelt. Das Königstum stellte bei allen Völkern des Nahen Ostens eine Institution dar und war mit Mythologien verbunden, die den Kampf zwischen Ordnung und Chaos darstellten, z.B. im Babylonischen der Kampf zwischen Marduk und dem Drachen Tiamat. Der König wurde überall als Sohn Gottes betrachtet. Für die israelische Lehre war das der Untergang und größte Frevel, den sie mit König David einführten und der dann nahtlos bis zum Messias Jesus, ebenfalls dem Hause Davids entstammend, führte. (|„Am Ende würden sie wegen des Königs, den sie sich selbst gewählt hatten, zu Gott um Hilfe schreien, Gott werde ihnen jedoch nicht antworten“|… 1. Sam. 8, 10–18).

Auch an anderen Stellen des Buches Samuel wird deutlich, wie beschämend für die Priester das Verhalten König Davids war, der anstelle der jahwistischen Konventionen die Riten der kanaaitischen |Baal|s-Religion integrierte. Offen feierte er die alten Fruchtbarkeitsriten, verhielt sich sexuell „sündig“ und beschränkte sich nicht mehr auf seine eigene Frauen. Sehr interessant hierbei ist, dass Gott wegen dieser Krönung den Bund mit dem Volk Israel brach, aber dennoch stattdessen einen ewig geltenden Bund mit dem Hause David geschlossen haben soll. Und dieser Bund war nicht mehr israelitisch, sondern gehörte zur Welt der „anderen Völker“.

Für den Tempel, den Salomo baute, wurden fremdländische Handwerker geholt. Auch Salomo gilt in allen jüdischen, christlichen und muslimischen Überlieferungen als großer Magier und Zauberer. Er huldigte den Göttern seiner ausländischen Frauen, die Weisheiten, die er überliefert hat, sind einwandfrei ägyptischen Ursprungs und seine Macht soll auf ein Buch zurückgehen, das Adam noch aus dem Paradies mit in unsere Welt herüber rettete. So sehen es zumindest die jüdischen Mystiker, die im 18. Jahrhundert den |Chassidismus| begründeten. Sie erheben die Erotik des „Hoheliedes Salomo“, das auch sonst überhaupt nicht in die übrigen Lehren der Bibel passt, zu einem wesentlichen Pfeiler ihres Glaubens, indem sie in ihrem kabbalistischen |Sohar| das Brautgemach verehren, das der Weisheit – |Sophia| – der Göttin entspricht. Allen Überlieferungen nach ist die Bundeslade mit der Königin von Saba dem israelischen Volke verloren gegangen.

Für den modernen Menschen ist das, was mit und in Israel läuft, in religiöser Hinsicht völlig undurchschaubar. |Israelisch| bezeichnet das weltliche Herrschaftsgebiet, das ihnen von den Siegermächten des 2. Weltkrieges auch wieder zuerkannt wurde, |hebräisch| dagegen bezeichnet die Religionszugehörigkeit. |Semitisch| wiederum umschreibt die ganzen Aufsplitterungen in die Stammeslinien, wobei auch die nachfolgenden Weltreligionen des Christentums wie des Islams im Grunde als semitisch bezeichnet werden müssen. Von anderen Völkern werden sie jedoch immer noch als |Juden| bezeichnet, was von den Judäern herrührt, einer der Familien im verwirrenden Stammeskontingent. Diese Familie ist auch der Anstoß, den die Christen an ihnen nehmen, denn Judas hatte Jesus, den Davidianer, verraten. Heutige Gegner dieser Religion und ihres Volkes verwenden den Begriff |Zionisten|. Die Herkunft des Wortes |Zion| ist am unklarsten, aber dieser Begriff ist untrennbar mit dem Königstum des Hauses David verknüpft und stammt etymologisch aus der |Baal|-Religion.

Der Tempel Salomos wurde zerstört und bis heute wird deswegen weltweit immer wieder Krieg geführt. An der so genannten „Klagemauer“ an der Stelle des ursprünglichen Tempels in Jerusalem versammeln sich alle, die unzufrieden sind. Die christlichen und muslimischen Palästinenser, die Griechen, Armenier, Juden und Marokkaner klagen und streiten vereint um diesen Verlust, der in seiner Bedeutung die gleichen Ausmaße angenommen hat wie die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies.

Im Buch der beiden Autoren, auf das sich dieser Essay bezieht, geht es dann erst einmal nicht mit dem Geheimnis um die Bundeslade weiter. Es gibt einige Theorien, was aus ihr geworden sein könnte, aber der Faden spinnt sich von den Visionen Ezechiels, dem Buch Henoch, dem Erscheinen des Messias Jesus zu dem auf ihn folgenden letzten Propheten Mohamed. Mohamed räumte auf mit all den götzenhaften Vorstellungen der glaubensabgefallenen Völker der Juden und Christen, weswegen die Christen in ihm natürlich den Antichristen sahen, da für sie ja schon Jesus der Letzte und Einzige war.

Die Bedeutung, die Mohamed und sein Islam für die ursprüngliche Glaubenslinie einnimmt, ist zweifelsfrei wichtiger als die von Jesus Christus, die sich auch nur durch militärische Überlegenheit bis heute noch hat halten können. Die Muslime greifen auf die ursprünglichen Offenbarungen der Propheten zurück und können dies in ununterbrochener Kette der Überlieferung nachweisen, im Gegensatz zu den verfälschten und nicht verlässlichen Überlieferungsketten der Juden und Christen. Zudem ist die Geschichte der Juden voller Invasionen und Kriege, die Palästina zugrunde gerichtet haben. Bei allen drei heutigen Hauptreligionen bleibt der Angelpunkt ihres Streites untereinander aber Jerusalem. Selbst die Moslems gehen davon aus, dass am Tage des Jüngsten Gerichts die Kaaba von Mekka nach Jerusalem fliegen wird und als Braut auf dem Tempelberg erscheint.

Über die Legenden der muslimisch gewordenen Beduinenvölkerlinien findet die bisherige Geschichte der Lade aber eine überraschende Wendung, indem ältere Überlieferungen um die Bundeslade vor der Zeit Moses zu Tage treten, die in matriarchalische Göttinnenreligionen zurückreichen. Und damit tritt ein Geschehen zutage, auf das der Leser des zugrundeliegenden Buches bereits seit 250 Seiten hingeleitet wird, nämlich dass die Bundeslade noch heute in Äthiopien zu finden sei und dass die Königin von Saba sie dorthin aus dem Tempel Salomos brachte. Diese Königin wird im äthiopischen Volk auch mit der Königin Candaze oder Mekeda gleichgesetzt, die ihnen das Christentum überbrachte. Hier wird deutlich, dass sich die Mythen immer endlos wiederholen. In vielen alten Religionen dieses Kulturkreises geht diese Linie schon auf Lillith, die erste Frau Adams, zurück, die noch vor Eva von Gott geschaffen und noch vor dem Sündenfall aus dem Paradies vertrieben worden war.

Die Geschichte des Landes Zion ist äthiopischer Nationalepos und ihre religiöse Kultur steht in christlichem Traditionsfeld. Sie sehen den Religionskonflikt darin, dass Saulus der Jude, der sich später Paulus nannte, kam und alles verdarb. Denn auch die Äthiopier berufen sich auf eine Blutslinie aus dem Hause Davids, genau wie es auch einige magische Linien Europas tun. Allerdings bezieht sich der Anspruch dieses afrikanischen Volkes nicht nur auf den Sohn, den die Königin von Saba Salomo gebar, sondern darüber hinaus auf den Besitz der magischen Reliquie und damit auf den Anspruch auf den Bund mit Gott sowohl in alter wie in neuer Form. Und um diesen Bund geht es ja allen. Wenn man weiß, dass Salomo 700 Frauen und 300 Nebenfrauen hatte, kann man sich vorstellen, wie viele traditionelle Königslinien es heutzutage noch geben muss (nur am Rande vermerkt). Das Wichtige im äthiopischen Epos ist die Existenz der Lade, über deren wahre Bedeutung und wahres Alter sie als Besitzer deswegen auch die genauesten Kenntnisse von allen haben. Erst in ihrer Mythologie wird sie in der Bedeutung so etwas wie der Heilige Graal.

Um historisch alles noch besser zu verstehen, müssen wir noch tiefer in die Welt der arabischen Götter gehen und finden dabei die Geschichte des alten Königreiches Aksum, das dem alten Ägypten zuzuordnen ist, zu Gott Amun und seiner Göttin. Aksum gilt aber auch als Residenz dieser äthiopischen Königin von Saba. Dort stehen auch die größten Monolithe unserer Welt, was aber von den semitischen Religionen als viel später errichtetes heidnisches Zauberwerk datiert wird, und sie behaupten, ihre Kultur sei älter als diese Steine. In der heutigen äthiopischen Religion überschneidet sich dagegen der christliche mit dem jüdischen Glauben auf ganz eigene Weise. Sie haben die Mutter von Jesus, Maria, als Zion identifiziert. In der Gottesmutter, vermischt mit der wirklichen Blutslinien-Sichtweise, stellt es die perfekt gelungene heutige Version dar, was deshalb aufgrund seiner Attraktivität für den zukünftigen Weiterbestand dieses ganzen religiösen Dilemmas sorgen könnte. Und das alles in einem Land, wo sich in der Zeit nach Christus sowohl Heiden, Christen und Juden nicht nur gegenseitig sondern auch immer wieder untereinander wegen Glaubensfragen abgeschlachtet haben.

Geschichtlich ist diese neuere Ausprägung der Form des Volksglaubens aber auch verständlich, denn für die christlich liebäugelnden Äthiopier droht von den Juden keine Gefahr, wohl aber von den Moslems. Christen und Juden teilen darüber hinaus ja auch eine gemeinsame Schrift, was bei Christen und Muslimen nicht mehr der Fall ist. Und das funktioniert heutzutage alles, obwohl es historisch so war, dass Äthiopien Mohamed Schutz vor den Juden gewährte. Das christliche Interesse an Äthiopien ergibt sich dagegen aus der Tatsache, dass es zwei konkurrierende Davidslinien sind, die Äthiopier aber auch noch die Bundeslade haben, welche in den Händen der Christen den absoluten Machtanspruch auf den Bund mit Gott darstellen würde. Damit hätten die Christen auch die Chance, über den Anspruch der Lehren Mohameds triumphieren zu können. Die äthiopischen Christen haben weltweit die Marienverehrung am detailliertesten in ihren Glauben integriert, da ihrer Überlieferung nach Maria nach ihrer Himmelfahrt im Himmel Jesus dann das Versprechen abnahm, dass jeder, der in ihrem Namen eine Kirche baue, der die Nackten kleide, die Kranken besuche, die Hungrigen und Dürstenden speise, die Trauernden tröste und so fort der strafenden Hölle entgehen soll. Im heutigen Äthiopien ist man, seit all diese Geheimnisse jetzt erst in den letzten Jahren vermehrt ins Interesse der Weltöffentlichkeit gelangen, besorgt, dass ihnen von Geheimdienstgruppen die Lade gestohlen werden könnte.

Neuere Forschungen identifizieren Moses mit dem ägyptischen Eschnaton. Das goldene Kalb, um das, als Moses vom Berg herabstieg, sein Volk tanzte, war nichts anderes als der Apis-Stier, der als Inkarnation des Gottes Osiris verehrt wurde. Die Ägypter sehen deswegen die Juden als diejenigen an, die gottlos geworden sind. Nach ihrer Ansicht nach wurde ihnen die Lade von Moses gestohlen. Interessant dabei ist, dass die äthiopische Kirche noch bis 1959 der Autorität der älteren Kirche in Ägypten unterstand. Im äthiopischen Christentum sind viele Elemente der Religion König Davids integriert geblieben, die von den älteren Fruchtbarkeitskulten stammen. Bestandteil ihrer Riten sind diese ekstatischen Tänze zu Trommeln, die Nacktheit unter Männern und Frauen während der Taufzeremonien, die nicht nur einmal bei den Gläubigen durchgeführt werden, sondern immer wieder begangen werden. Die christlich-afrikanische Religion stellt ein Wunder dar – zweifelsfrei verhält sie sich in ihrer Geschichte genauso imperialistisch wie alle anderen Ausprägungen dieser semitischen Religionslinien, aber sie heilt auch alte Wunden und führt in ihren Ritualen die feindlich gegenüberstehenden Glaubenssätze der ursprünglichen ägyptischen, hebräischen, mesopotamischen und christlichen Kulte zusammen.

Die mosaische Prägung ist seit dem Erscheinen Christi vor 2000 Jahren ein Quell von Schmerz und Leid. Der äthiopische Kaiser, der sich seiner Abstammung nach auf die Königin Saba und den König Salomo berief, wurde 1974 gestürzt. In einem neuen Exodus mussten über zwei Luftbrücken wieder einmal Tausende von Juden der verlorenen Stämme Afrika verlassen. In Israel wurden sie nicht als Juden anerkannt, sondern als Christen gewertet. Es bleibt also trotz dieser vorbildlichen Integration in der äthiopischen Religion wohl auch in der Zukunft ein nicht aufhörender Religionskrieg zwischen den semitisch-ägyptischen Völkern. Auch vom Islam, der jede Heiligenverehrung und Bildnisse Gottes ablehnt, ist kein Aufeinanderzugehen zu erwarten. Und in unseren westlichen politischen Kreisen gärt ja dieselbe Bluts- und Messiaslinie im Verborgenen von den Merowinger-Dynastien über die fränkischen Kaiser seit Pippin II. bis ins heutige vatikanische Rom.

Alle, denen es um weltliche Macht geht, spielen dieses Poker-Ass irgendwann einmal aus. So wie in der |Tyndale|-Bibel der Ausgabe unter Jakob I., bei den Calvinisten, bei Oliver Cromley, der gar England als das auserwählte Volk sah und sich als zweiten Moses aus dem Hause Ägypten bezeichnete, bei den Anglikanern, den Anhängern von Thomas Müntzer, den Quäkern… Immer wieder sollen die zehn Gebote mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Die Auswanderungen in die Neue Welt geschahen aus diesen den Exodus nachahmenden religiösen Gründen. Diese Neue Welt ist die heutige USA, deren Verfassung von einer zionistischen Priesterschaft des alten Ordens des Melchisedek entworfen wurde. Benjamin Franklin und Thomas Jefferson wählten nicht nur die Symbole des Sieges Israels über Ägypten, sondern diskutierten sogar, ob nicht Hebräisch die ideale Sprache für das neue ausgewählte Volk von Amerika sein könnte. Viele im damaligen Amerika entstehenden Sekten beriefen sich auf direkte Abstammungen zu verlorenen Stämmen Israels. Auch Indianer galten plötzlich als solche verlorene Stämme.

Joseph Smith fand eine neue Art Lade, die das Buch Mormon enthielt, und die Mormonen – die Heiligen der letzten Tage – wollen in Amerika ein neues Zion aufbauen. Tatsächlich sind sie seit dem Aufkommen des Islam die erfolgreichste Religion. Sie sehen sich als Nachfahren der alten Israeliten und setzten die alttestamentarische aaronitische und melchidekische Priesterschaft wieder ein. Ihre Tradition gründet historisch auf die Freimaurerei und in diesen Kreisen wird oft das Mormonentum auch als die „wahrhaftige Freimauerei“ bezeichnet. Ungeachtet all dieser religiösen Kriege beschäftigen der Tempel Salomos, die Lade und all die mit diesen Dingen verbundene Komplexität einer Sternenweisheit natürlich auch alle Philosophen, Wissenschaftler, Gelehrten und Historiker. Es ist zweifellos ein spannendes Thema um die Menschheits- und Kosmosrätsel. Die Freimaurer, die solches Wissen bewahren, üben den stärksten Einfluss auf Politik und Kultur der westlichen Welt aus. Ihre Wurzeln liegen im Ägyptischen und sie beglückwünschten in Telegrammen auch 1930 Ras Tafari zu seiner Wahl als Kaiser Haile Selassi I. von Äthiopien mit den Worten: „Grüße von den Äthiopiern der westlichen Welt“.

Eine neue Religion dringt auch mit den Mitteln der Musik in die Welt – |Reggae|… Für Bob Marley und alle anderen |Rastafari| ist ihr Glaube mit einem neuen Zion verbunden, in dem ein schwarzes Israel aus der Unterdrückung Babylons befreit wird… Der Kampf geht weiter. Warum kann die Religion nicht dahin zurückkehren, wo sie herkommt – zur Gemeinsamkeit der Menschheit, zur Vermischung in der Verschiedenheit, anstatt immer weiter in die Trennung zu führen und den Anspruch des Ausgewähltseins aufrechtzuerhalten? Die Lade sollte wahrscheinlich einfach wieder in die Hände der Heiden gelangen.

Das vorgestellte Buch wurde vor dem 11. September 2001 geschrieben…. Seit diesem Zeitpunkt tauchen weitere Fragen auf, wie: Was verbirgt sich im Namen von Osama Bin Laden? Etwa auch die Lade? Bundesladen überall – da lehnen wir uns doch lieber zurück und kiffen einen… Hail Selassi, Rastafari!

_Roderick Grierson / Stuart Munro-Hay
„Der Pakt mit Gott“
Auf der Suche nach der verschollenen Bundeslade

504 S., geb., Gustav Lübbe 2001
ISBN 3-785-72048-3

Broschur, Bastei Lübbe April 2003
ISBN 3-404-64191-4

Sylvian Hamilton – Der Knochenhändler

Ein mittelalterlicher Reliquienhändler gerät in eine politische Verschwörung, die sich gegen den König von England richtet; schwarze Magie kommt ins Spiel, der die Tochter des Händlers zum Opfer zu fallen droht … – Farbenfroher, detailreicher und spannender Historienkrimi, den die Autorin behutsam um Mystery- und Horrorelemente bereichert: gelungener Start in die mehrbändige Richard-Straccan-Serie.
Sylvian Hamilton – Der Knochenhändler weiterlesen

Neal Asher – Skinner – Der blaue Tod

In der Zukunft – auf dem Wasserplaneten Spatterjay: Das Leben ist hart, teuer und gefährlich. Die Bewohner verdienen ihr Geld mit dem Fang merkwürdiger Meeresbewohner, die alle sehr tödlich sind. Die Fauna hat sich vollständig dem Lebenszyklus angepasst – und so kann man gefressen werden und trotzdem überleben. Das hat auch Auswirkungen auf die Menschen, die hier leben. Sie sind unsterblich, flicken sich bei schweren Verletzungen einfach zusammen und müssen massiv verletzt werden, um überhaupt ausgeschaltet zu werden. Der Preis: Der Körper eines Unsterblichen mutiert, falls man nicht höllisch aufpasst.

Dieser merkwürdige Planet ist Ziel dreier Personen. Janer, Erlin und Keech. Obwohl sie alle verschiedene Motivationen vorantreiben, haben sie ein gemeinsames Ziel: den Skinner. Ehemals Sklaventreiber, Mörder und an einem Stück. Scheinbar war er tot, doch nun ist er wohl zurück – oder nicht?

Anlässlich von Filmen wie „Fluch der Karibik“ und „Master and Commander“ erfreuen sich Piratenstücke derzeit großer Beliebtheit. Wie passend, dass es sich bei „Skinner – Der blaue Tod“ um ein Piratenstück handelt. Zwar ist es in der Zukunft und auf einem fremden Planeten angesiedelt, aber dennoch spannend zu lesen und voller Überraschungen.

Moderne Technologie ist für Spatterjay kaum erschwinglich und so fahren hölzerne Kutter über das Meer. An Bord die unsterblichen Einheimischen, ausgestattet mit einem großen Waffenarsenal. Damit erwehren sie sich der bedrohlichen Tierwelt. Fortwährend gibt es kleine Einschübe des Autoren, die sich mit genau dieser Tierwelt beschäftigen und den Kreislauf des „Fressen und Gefressen werden“ behandeln. Recht anschaulich und faszinierend geschrieben. Neal Asher zeigt hier sein kreatives Talent und entwickelt eine einzigartige Umgebung für seine Geschichte.

In dieser Umgebung agieren dann künstliche Intelligenzen, semiintelligente Segel, Drohnen, Schnecken, die sich Menschen als Nahrungsmittel halten, ein seit siebenhundert Jahren toter Keech und andere Wesen.

Das Protagonisten-Trio ist Asher besonders gut gelungen. Am normalsten erscheint vielleicht Erlin. Die jugendliche Wissenschaftlerin hat bereits einige Jahrhunderte auf dem Buckel und entpuppt sich als knallharter Brocken. Auch Janer erscheint Anfangs normal, allerdings gehörte er zu einem Schwarmbewusstsein. Die Hornissen stellten sich im Laufe der Geschichte als intelligent heraus und wurden ziemlich mächtig. Durch Janer versuchen sie ihre Macht nun zu stärken. Am auffälligsten scheint jedoch Keech. Er ist seit Jahrhunderten ein wandelnder Leichnam, wird durch Elektronik eines Kults am Leben gehalten und von Rachegelüsten geleitet. Damit ergibt sich eine Sammlung verschiedener Charaktere, die alle gut zusammenpassen und miteinander harmonieren.

Unterm Strich

Das Charakterspiel der Hauptcharaktere, ihre Entwicklung und ihre Motivation, reizen den Leser, zwingen ihn zum Weiterlesen. Man wird vom Schicksal der Personen berührt, nimmt Anteil an ihrem Leben. Neal Ashers Roman ist im sozialen Bereich erstklassig geschrieben und auch die Übersetzung von Thomas Schichtel steht dem in nichts nach.

„Skinner – Der blaue Tod“ ist ein spannender Roman, flüssig zu lesen und gut aufgebaut. Zwar wechseln häufig Schauplätze, Personen und auch mal die Zeit, aber man behält stets den Überblick. Eine gelungene Piratengeschichte, tolles Seemansgarn und faszinierende Science-Fiction.

_Günther Lietz_ © 2004

Wolfgang Hohlbein – Der Hexer von Salem

Wolfgang Hohlbein – einer der bekanntesten und preisgekrönten Autoren phantastischer Literatur – hat sich in seiner Serie „Der Hexer von Salem“ H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos angenommen und diesen wieder zu neuem Leben erweckt.

„Das Böse war stark in jenen Tagen;
allzuschnell erlag der Mensch seinen Lockungen.
Doch wisse – ein Mann stellte sich gegen die Dämonen;
ein Mann, der ein schreckliches Erbe in sich trug.
Er machte sich eine uralte, sagenumwobene Macht zum
Feind und wurde gnadenlos von ihren Todesboten gejagt.
Doch er war nicht wehrlos.
Wissen war seine Macht, Magie seine Waffe.
Die Menschen mieden ihn ob seiner unheimlichen Kräfte.
Und man nannte ihn den HEXER.“
(aus dem Heft-Roman „DER HEXER 1: Das Erbe der Dämonen“)

Wolfgang Hohlbein – Der Hexer von Salem weiterlesen

James Turner (Hg.) – Hüter der Pforten. Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos

James Turner: Iä! Iä! Cthulhu fhtagn! (Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!) – Vorwort zu dieser Sammlung

H. P. Lovecraft: Cthulhus Ruf (The Call of Cthulhu, 1928) – Ein junger Mann, der eigentlich nur das seltsame Erbe eines Onkels ordnen wollte, muss entsetzt erkennen, dass die Menschheit diese Erde mit urzeitlichen Unwesen aus kosmischen Tiefen teilt …

Clark Ashton Smith: Des Magiers Wiederkehr (The Return of the Sorcerer, 1931) – Böse sind beide Zaubermeister, aber der eine ist auch noch rachsüchtig und lässt sich sogar durch seine Ermordung nicht von einer spektakulären Rückkehr abhalten …

James Turner (Hg.) – Hüter der Pforten. Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos weiterlesen

Robin Hobb – Der goldene Narr (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher II)

„Der goldene Narr“ ist der Mittelband der zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher; Robin Hobbs Nachfolgezyklus der „Weitseher“-Trilogie verbindet diese mit der Handlung im „Zauberschiffe“-Zyklus.

Es ist nicht nötig, diese Zyklen zu kennen, es empfiehlt sich jedoch, mit dem ersten Band der Trilogie, „Der lohfarbene Mann“ zu beginnen, da dieser einige für Neueinsteiger wichtige Informationen enthält.

Nach langen Jahren im selbstgewählten Exil ist Fitz an den Hof von Bocksburg zurückgekehrt und hat Prinz Pflichtgetreu aus den Fängen der „Gescheckten“ gerettet. Der Verlobung Pflichtgetreus mit Narcheska Elliana, einer Prinzessin der Outislander, dem ehemals größten Feind der Sechs Provinzen, steht nichts mehr im Wege. Chade und Fitz sind unterdessen besorgt, denn mindestens ein Spion der Gescheckten befindet sich in der Burg. Chade drängt Fitz, Pflichtgetreu, ihn selbst und den geistig etwas zurückgebliebenen Dick in der Gabe der Weitseher zu unterweisen, was sich als problematisch erweist, da Dick sich gegenüber Fitz feindselig verhält und Chade so versessen darauf ist, auch die Gabe zu erlernen, was ihm lange verwehrt war, dass er unvorsichtig vorgeht und so alle in Gefahr bringt.

Robin Hobb – Der goldene Narr (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher II) weiterlesen

Alan Dean Foster – Herr der Plagen

Das geschieht:

Dass Leid und Streit nicht unbedingt menschlich sind, sondern von außen gesteuert werden, entdeckt zufällig Archäologie-Professor Coschocton „Cody“ Westcott: In Nordperu findet er in der Kollegin Kelli Alwydd nicht nur seine zukünftige Gattin, sondern in einer Zeremonienhöhle der Chachapaya-Indianer ein uraltes Schamanen-Rezept für einen Trank, der ihm buchstäblich die Augen öffnet.

Plötzlich erspäht Westcott überall „Okkupanten“ – ektoplasmatische Parasiten aus einer fremden Dimension, die unsichtbar die Menschen heimsuchen. Heimlich schüren sie Schmerz und negative Gefühle ihrer Wirte und nähren sich davon. Natürliche Substanzen – unbehandeltes Holz, Stein, Pflanzen – sind für die unheimlichen Räuber Hafen und Gefängnis zugleich: Erst muss das Opfer die Heimstatt des Okkupanten berühren, um befallen zu werden. Alan Dean Foster – Herr der Plagen weiterlesen

Greg Iles – Infernal

Das geschieht:

Ihre Fotografien von den Schlachtfeldern dieser Welt haben sie berühmt gemacht. Doch nun ist Jordan Glass ausgebrannt. Sie begibt sich auf eine Reise nach Asien – und gerät in Hongkong vom Regen in die Traufe: In einem Kunstmuseum findet sie eine unheimliche Ausstellung. Der anonyme, hoch talentierte Maler bildet Frauen ab: nackt, schlafend – oder sogar tot? Jordans faszinierte Abscheu verwandelt sich in Schrecken, als sie in einem der ‚Modelle‘ ihre Zwillingsschwester Jane erkennt. Die ist vor einem Jahr in New Orleans während eines Jogginglaufes spurlos verschwunden. Das FBI kennt noch mehr dieser Fälle, denen eines gemeinsam ist: Eine Lösegeldforderung wurde nicht gestellt, eine Leiche nie gefunden.

Können nun die Ermittlungen wieder aufgenommen werden? Die Behörden sind willig aber auch ratlos. Kein Mensch hat den Künstler bisher gesehen. Auf eigene Faust beginnt Jordan nach ihm zu fahnden. In New York kann sie seinen Galeristen ausfindig machen. Auch dieser Christopher Wingate behauptet jedoch, seinen Auftraggeber nicht zu kennen, und bedroht die lästige Jordan, die ihm ein lukratives Geschäft zerstören kann. Doch plötzlich geht die Galerie in Flammen auf, denen nur Jordan entkommt. Der unheimliche Maler ist wohl näher als gedacht und schützt sich rigoros davor, enthüllt zu werden. Greg Iles – Infernal weiterlesen

Dan Brown – Sakrileg

Sakrileg (US-Titel: „The Da Vinci Code“) ist der neueste Thriller des durch „Illuminati“ bekannt gewordenen Autors Dan Brown. Wie bereits in seinem Bestseller spielt der Symbologie-Professor Robert Langdon die Hauptrolle. Er wird nichts ahnend von der französischen Polizei in den Louvre zitiert, der Museumsdirektor Jacques Saunière wurde dort ermordet aufgefunden.

Bevor dieser an einem Bauchschuss verstarb, konnte er einige merkwürdige Hinweise geben: So liegt er in seltsamer Pose nackt in einem aus Blut gezeichneten Kreis, ein Pentagramm ist auch vorhanden und folgendes seltsame Gedicht:

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Eddings, David – Thron im Diamant, Der (Elenium)

„Zu Anbeginn der Zeit, lange ehe die Urväter von Styrikum in Felle gehüllt und mit Keulen bewaffnet aus den Bergen und Wäldern von Zemoch auf die Ebenen von Mitteleosien schlurften, hauste in einer Höhle, tief unter dem ewigen Schnee Thalesiens, ein zwergenwüchsiger, missgestalteter Troll namens Ghwerig. (…) …der Stein, der von tiefstem Saphirblau war, besaß die Form einer Rose. Er gab ihm den Namen Bhelliom, Blumenstein, und er glaubte, dass die Kraft dieser edlen Saphirrose jeden Wunsch zu erfüllen vermochte.“

So beginnt die Vorgeschichte des ersten Bandes der Elenium-Trilogie, „Der Thron im Diamant“. David Eddings schrieb diese parallel zu den letzten Bänden der Malloreon-Saga 1989 (Der Thron im Diamant), 1990 (Der Ritter vom Rubin) und 1991 (Die Rose aus Saphir). Unverkennbar die Quelle der Inspiration, der Bhelliom und Ghwerig könnten auch der Meister-Ring und Gollum sein. Allerdings hat Eddings nicht kopiert, sondern nur die besten Stücke aus Artussage, dem Herrn der Ringe und anderen Sagen in eine eigenständige Geschichte übertragen.

Die Elenium-Trilogie lebt von ihren stolzen Rittern und Recken – und ebenso üblen Schurken. Der Held Sperber gehört einem kirchlichen Ritterorden an, der sich an den legendären Templern orientiert. Um das Mittelalter mit einer gehörigen Portion Romantik und Hexerei wiederaufleben zu lassen, wird der Bhelliom erst einmal zum Heilmittel für die sterbende Königin Eleniens degradiert: Diese wurde auf Geheiß des Primas Annias mit dem tödlichen Gift Darestim vergiftet. Nur dank des Eingreifens des pandionischen Hochmeisters Vanion und der styrischen Zauberin Sephrania kann ihr Leben vorerst gerettet werden:

Zwölf Ritter verpfänden ihr Leben, um das ihrer Königin in einem unzerstörbaren Diamant zu bewahren, bis ein Heilmittel gefunden werden kann. Der Haken: Der Zauber hält höchstens ein Jahr, und jeden Monat muss einer der Ritter sterben…

Der durch eine Intrige exilierte Sperber kehrt zurück an den Königshof, um seine Aufgabe als Streiter der Königin – Sir Lancelot lässt grüßen – wieder aufzunehmen. Er macht sich mit zahlreichen Gefährten, vom edlen Ritter über den gewitzten Dieb bis hin zur liebenswerten Mystikerin Sephrania auf die Suche. Bald stellt sich heraus: Nur ein magisches Artefakt höchster Macht kann Ehlanas Leben retten und dadurch die Machtübernahme des Primas verhindern. Der lange verschollene Bhelliom muss wiedergefunden werden… doch nicht nur Sterbliche suchen ihn, die jungen Götter von Styrikum und die alten Trollgötter haben ebenfalls ihre eigenen Pläne mit dem magischen Juwel.

Klassischer geht es kaum – High Fantasy wurde durch Eddings geprägt. Etliche seiner Ideen wurden geklaut und zu einer dadurch natürlich nicht völlig neuen Geschichte verbunden. Rittertum, Kirche, Minne, Hexerei, Diebe und Meuchler – der Einfluss des Hochmittelalters ist unverkennbar, und gibt dem Buch Charme und Glanz. Eddings geizt auch nicht mit Humor: Ritter Sperber, im englischen Original „Sparhawk“, insofern ist mir der etwas seltsame deutsche Name doch lieber, hat ein bissiges Streitross und eine gebrochene Nase, plus einen etwas kernigeren Charakter als der edle Sir Lancelot. Seine Begleiter stehen da kaum nach, Sephrenia ist eine liebenswertere Variante seiner bekannten Zauberin Polgara, und Königin Ehlana darf im ersten Band eingeschlossen in Diamant warten, bis Sperber sie erlöst, wie Schneewittchen im Glassarg. Der Bastard seines Knappen Kurik ist der obligatorische smarte Dieb, mit Bevier ist ein überkorrekter und weltfremd frommer Ritter aufgeboten, der nicht gegensätzlicher zu Sperbers Erzfeind Martel, einen vom Orden verstoßenen, gefallenen Ritter, sein könnte.

Die Abenteuerfahrt durch die Wüsten von Rendor, düstere Städte und Sumpfgebiete führt im ersten Band noch nicht zum Ziel, erst in den Folgebänden wird man den Bhelliom in einer Trollhöhle finden und Ehlana heilen können – hier ist normalerweise das Happy End erreicht, Eddings setzt hier noch einen drauf – wie ich schon sagte, es gab mehrere Interessenten am Bhelliom…

Die Elenium-Saga hat mir wegen ihres stark mittelalterlich-märchenhaften Einschlags gefallen; ebenso sind die Hauptfiguren einfach liebenswert, besonders Sephrenia. Leider sind alle Figuren mehr oder minder klischeehaft, vor allem entwickeln sie sich nicht weiter. Hier erkennt man auch das Alter der Geschichte (1989): Es gibt ganz klar das Gute und das Böse, alle Figuren bleiben von Anfang bis Ende unverändert. Deshalb verliert sich der Charme der Charaktere spätestens im zweiten Band, es kommt einfach nicht mehr viel Neues hinzu. Faszinierende Entwicklungen vom Buhmann bis hin zum Sympathieträger, wie bei einem Jaime Lannister von George R.R. Martin, so etwas bietet Eddings einfach nicht. Das führt dann auch dazu, dass, sobald die Figuren an Glanz verlieren, die Story einfach nicht mehr begeistern kann, dazu ist sie viel zu simpel und linear. Keine verschlungenen Intrigen, wenig Raum zum Spekulieren. Eddings pflegt wie schon in der Belgariad-Saga einen sehr dialoglastigen Stil, verzichtet weitgehend auf detaillierte Beschreibungen, was ich nicht negativ meine. Das Szenario und sein Stil regen die Phantasie an, weshalb die laut Buch eindeutig schwarzen Rüstungen der Pandioner in meiner Vorstellung zu glänzend silbernen Harnischen mutierten – es passte einfach besser in mein Bild dieser Welt. Mehr hätte Eddings aus der Tatsache machen können, dass die elenischen Ritter, um ihren schweren Aufgaben nachzukommen, von styrischen Hexern in der Zauberei unterrichtet werden – obwohl der Glaube an die Götter Styrikums als Ketzerei gilt. Hier hatte ich auf Konflikte gehofft, ärgerlicherweise blendet Eddings die Vorbehalte der Kirchenfürsten stets aus, wenn es ihm in den Kram passt und es für die Handlung nötig ist. Das Buch ist übrigens ziemlich brutal: Von lebendig einmauern bis hin zu foltern, vergewaltigen und einfach mal so hilflos verrecken lassen – Eddings ist im ersten Band schon brutal und steigert sich bis zum letzten hin noch einmal drastisch, was mich sehr gewundert hat, in der zeitgleich geschriebenen Malloreon-Saga hält er sich in dieser Hinsicht sehr zurück.

Ein Lob verdient auch die Übersetzung, bis auf den kaum annehmbar übersetzbaren, seltsamen Namen Sperber (Sparhawk) [„Sparhawk“ leitet sich von „sparrow hawk“ her, was wiederum „Sperber“ bedeutet und ist damit tatsächlich eigentlich ebenso wenig übersetzbar wie Sir Lancelot (lance-a-lot), Anm. d. Lektors] stimmt alles, auch sind die Bücher besser lektoriert als die Belgariad- und Malloreon-Saga, sie enthalten kaum Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler wie die genannten Werke. Die Titelbilder sind eine Klasse für sich: Besonders das Titelbild des ersten Bandes, die in Diamant eingeschlossene Königin Ehlana, hat mir gefallen. Karten begleiten fast jedes Kapitel, inklusive einer großen Übersichtskarte auf den ersten Seiten oder auf der Innenseite des Einbandes, je nach Version:

Die Trilogie ist als Sammelband „Elenium“ erschienen, etwas schöner und luxuriöser sind die schwer erhältlichen Hardcover. Als Taschenbuchausgabe existiert eine mit silbernen Lettern versehene und etwas größer formatierte Jubiläums-Edition, sowie die kleinen, schlichten Taschenbücher, auf denen die Titelbilder verkleinert und mit hässlich bunter Schrift bedeutend weniger schön abgedruckt sind.

„Der Thron im Diamant“ bietet eine spannende, abwechslungsreiche Abenteuergeschichte mit liebenswerten Charakteren. Eine besonders originelle Story sucht man jedoch vergebens, die Figuren wirken auch etwas altbacken. Die Trilogie ist abgeschlossen und mit der Tamuli-Saga ist eine bereits ebenfalls fertige Fortsetzung erschienen. Viel komplexer und moderner ist George R.R. Martin’s „Lied von Eis und Feuer“ – dennoch kann ich die Elenium-Trilogie und besonders den ersten Band, „Der Thron im Diamant“, den ich für den besten halte, empfehlen.

Homepage des Autors: http://www.eddingschronicles.com/

Ambrose, David – EX

Joanna Cross recherchiert als Journalistin verdeckt im „Camp Starburst“, um die dortigen Machenschaffen der Esoterik- und Spiritisten-Maffia auffliegen zu lassen. Dies gelingt ihr auch, und neben dem Hass der Hauptakteure Eleanor „Ellie“ und Murray Ray zieht sie damit die Medienaufmerksamkeit auf sich, landet unter anderem in einer Talkshow zu diesem Thema. Einer der Gäste der Gesprächsrunde ist Mr. Towne. Dr. Sam Towne ist Psychologe an der Manhattan University und leitet dort mit Hilfe von Physikern, Technikern, Statistikern und anderen Psychologen das Parapsychologische Institut, das sich anomalen Phänomenen wie Telepathie, Präkognition, Psychokinese oder Hellsichtigkeit befasst. In Gesprächen nach den Fernsehaufnahmen weckt Sam das Interesse von Joanna an der Parapsychologie, diese wiederum kann ihren Herausgeber für das Thema erwärmen und gemeinsam vereinbaren sie ein ganz besonderes Experiment, das abseits von Signifikanzen und Statistiken für die Eingeweihten auch genug handfestes Material zu bieten hat, um als Aufhänger für einen Zeitschriftenartikel dienlich zu sein. Dabei soll versucht werden, mittels Gruppendynamik einen Egregor, ein energetisches Geistwesen zu erschaffen, das sich real manifestiert und allerlei ungewöhnliche Effekte mit sich führt. Diese Zielrichtung ist deshalb bereits zu Beginn so klar umrissen, weil es nicht das erste Mal ist, dass dieses Experiment durchgeführt wird; es gab bereits einige frühere Versuche anderer Gruppierungen mit ähnlichen Auswirkungen. Das Experiment gelingt in der Tat, doch sind die Auswirkungen für die Teilnehmergruppe alles andere als erfreulich, denn der erschaffene Geist „Adam Wyatt“ zeigt so gar keine Bereitschaft, das Experiment enden zu lassen und wieder in die Tiefen der Psyche seiner Erschaffer zu verschwinden. Viel lieber scheint es ihm, dass jene an seiner Statt diese Realitätsebene verlassen. Realität und Illusion, Materie und Geist beginnen sich zu durchdringen, die Wirklichkeit verändert sich und ein Mystery-Thriller der Königsklasse beginnt sich zu entfalten…

David Ambrose war bereits vor „EX“ mit „Der 8. Tag“ ein Bestseller gelungen, der es in sich hatte. „EX“, im Original von 1997 „Superstition“ betitelt, basiert auf einem Experiment, das Anfang der Siebzigerjahre tatsächlich stattgefunden hatte und in der Fachliteratur ausführlich behandelt wird. Hilfe bekam er dabei durch Berichte von Teilnehmern, er studierte insbesondere die Werke „Conjuring Up Philip – An Adventure in Psychokinesis“ von Iris M. Owen und Margaret Sparrow, „Margins of Reality“ von Robert G. Jahn, „Parapsychology – A Concise History“ von John Beloff, zudem Werke von Kit Pedlar, Stan Gooch, Michael Harrison, Alan Gaud und A. D. Cornell. Unterstützt wurde er in seinen Recherchen vom PEAR (Princeton Engineering Anomalies Research Program), von der Eileen-J.-Garrett-Bibliothek der Parapsychology Foundation Inc. New York sowie von Michaeleen C. Mather aus New York, die sich in ihren Arbeiten mit paranormalen Phänomenen beschäftigt und von deren hohem wissenschaftlichem Standard Ambrose sich sehr beeindruckt zeigte.

Wie man sieht, steckt hinter der Arbeit an diesem Thriller ein solides Interesse und einiges an Fachkundigkeit in der Thematik. Für grenzwissenschaftlich Interessierte und Mystery-Liebhaber gibt es einiges an fachkundigen Ausführungen sowie theoretischen Ansätzen zu entdecken, aber auch philosophische Gedankengänge lassen sich finden. Davon ab gehört „EX“ eindeutig zu den spannendsten Thrillern, die mir bislang untergekommen sind. Dementsprechend zügig und mit gebannter Aufmerksamkeit habe ich mir den Buchinhalt dann einverleibt. Allein die finalen Wendungen sind geradezu erstaunlich. Auch an der Charakterzeichnung gibt es nichts zu bemängeln, und die emotionale Ebene kommt ebenfalls nicht zu kurz, wenngleich beides keine Schwerpunkte bildet und vornehmlich den beiden Hauptprotagonisten vorbehalten bleibt. Etwas mehr lebensnahe und zwischenmenschliche Ausgestaltungen und Nebenhandlungen hätten das Werk zwar perfektioniert, tun in der vorliegenden Form der Gewichtung und Erzählung selbst jedoch keinen Abbruch. Das inhaltliche Material, die Geschichte selbst sowie die Art der Darstellung gäben auch einen ausgezeichneten Psycho-Thriller auf der Leinwand ab, ich wüsste allerdings gerade nicht, ob das Buch tatsächlich schon verfilmt wurde. Wenn nicht: Zeit wird’s, aber die wissenschaftlichen Grundlagen dabei nicht vergessen.

Ambrose beginnt seine Darstellung übrigens fast am Ende der Erzählung, was beim neugierigen Leser Fragen aufwirft, die für Spannung sorgen und im Verlauf der Geschichte eigentlich erst zum Ende hin klarer werden. Nach dem Prolog geht es dann in die Vergangenheit, die Charaktere und Hintergründe werden aufgebaut, aber nichts davon ist irgendwie für die Hauptgeschichte unwesentlich. Alles hat seine Bedeutung, jede handelnde Person bekommt im Verlauf ihre Rolle zugewiesen, die ganze Geschichte ist sehr sorgsam konstruiert und sorgt für allerlei Aha-Effekte und staunende Momente. Und wer auf ein Happy End hofft – nun, lasst euch überraschen und von diesem Meisterstück gefangen nehmen.

Wer übrigens herausgefunden hat, warum das Buch im Deutschen „EX“ heißt, möge sich bei mir melden.