Alle Beiträge von Michael Drewniok

Graham Masterton – Das Insekt

Das geschieht:

Bonnie Winter ist kaum über 30 und schon am Ende. In zwei Jobs gleichzeitig muss sie schuften, wobei sie mit einem in eine echte Marktlücke gestoßen ist: Bonnie reinigt Häuser, in denen sich Morde und Selbstmorde ereignet haben. Sie entfernt Blut- und Hirnflecken, Maden, Schmeißfliegen und andere unerfreuliche Zeichen zu lange übersehener Leichen.

Was sie täglich sehen muss, lässt sie trotz des professionell zur Schau gestellten Desinteresses keineswegs unberührt. Privat kann sie keine Hilfe erwarten. Duke, ihr Gatte, ist ein notorisch arbeitsloser, biersaufender Jammerlappen und Rassist, der die Schuld für das eigene Versagen diversen ethnischen Minderheiten zuschiebt. Ray, der einzige Sohn des Paars, entwickelt sich zum getreuen Ebenbild seines Vaters. Graham Masterton – Das Insekt weiterlesen

Gardner, Lisa – Schattenmörder, Der

Bakersville im US-Staat Oregon ist ein kleiner, beschaulicher Ort. Die Menschen sind friedlich, was sich auch daran messen lässt, dass nur zwei Polizeibeamte – Sheriff „Shep“ O’Grady und Officer Lorraine „Rainie“ Conner – hauptamtlich das Gesetz vertreten. Deshalb schlägt es wie eine Bombe ein, als in der örtlichen Grundschule ein Schüler Amok läuft und eine Lehrerin sowie zwei Mädchen erschießt. Rainie kann den Täter stellen – schockiert erkennt sie Danny, den Sohn des Sheriffs!

Ein gefundenes Fressen für die Medien, was die Justiz nervös werden lässt. Rainie, welche die Ermittlungen in diesem Fall leitet, wird hart bedrängt. Vor allem der ehrgeizige Detective Sanders fällt ihr immer wieder in den Rücken. Da ist die Hilfe des an den Ort des Geschehens geeilten FBI-Spezialisten Pierce Quincy willkommen. Dieser hat sich einen Namen als Profiler gemacht, der sich in Massen- und Serienmörder „hineindenken“ und oft Schlüsse ziehen kann, die zu Festnahmen führen.

Die eigenbrötlerische Polizistin und der unverbindliche FBI-Agent raufen sich allmählich zusammen. Das nutzt der „Schattenmörder“ aus, dessen Wirken Rainie bereits vermutet hatte: Die Spuren weisen auf die Anwesenheit eines zweiten Mörders und eigentlichen Anstifters hin! Dieser ist wie viele Psychopathen ein Meister der Tarnung und der Manipulation. Der Anschlag auf die Schule war nur ein Aspekt seines Plans, denn im Visier hat der Mörder auch Rainie, die er aus Gründen, die nur seinem kranken Hirn schlüssig sind, leiden sehen möchte. Während Rainies Vorgesetzte und Kollegen dieser Theorie skeptisch gegenüber stehen und der Presse schier der Schaum vorm Mund steht, begeben sich Cop und Quincy auf die mühsame Suche nach dem Mann im Hintergrund. Dieser hat freilich den Vorteil auf seiner Seite und lauert nur auf den Moment, da ihm seine Häscher zu nahe kommen werden …

Die Inhaltsangabe macht es deutlich: Hier lesen wir keinen Thriller, der das Genre revolutioniert. Konfektionsware legt uns Lisa Gardner vor, die indes sehr sauber gearbeitet ist. Lassen wir uns nicht vom scheinbar „aktuellen“ und „brisanten“ Thema „Gewalt an US-amerikanischen Schulen“ täuschen. Obwohl die Autorin sich immer wieder in „Erklärungen“ versucht (dies sind die Passagen, die man überspringen bzw. nicht übel nehmen sollte), bleibt die Amok-Episode vor allem Aufhänger für die eigentliche Story. Die ist recht einfach, wird aber routiniert, wenn auch mit vielen Seifenoperelementen abgewickelt, die immerhin meist unaufdringlich bleiben.

Der geniale Psychopath, der übermächtig aus dem Hintergrund die Fäden zieht, an denen seine Opfer wie seine Jäger zappeln, ist ebenfalls eine (allzu) bekannte Figur. Wenn er so schlau ist, wieso wird er letztlich immer erwischt? Das Gute siegt im Mittelklasse-Thriller, auch wenn es dabei – so viel Konzession an die raue Realität ist möglich – ordentlich Federn lassen muss.

Hinein mischt sich viel angelesener Alltag aus dem Polizeimetier. Gardners Hommage an das klassische oder zeitlose „police procedural“ ist allerdings nie Selbstzweck, sondern der Handlung geschuldet. Abgerundet wird das Geschehen durch Raufereien mit dummen Politikern, geilen Mediengeiern, tückischen Vorgesetzten, Action an den richtigen Stellen & ein bisschen Herzeleid: Die Teile dieses Krimipuzzles sind wie gesagt wohl bekannt, aber seine Entstehung zu beobachten macht trotzdem Freude.

Schwer ist das Haupt, das die Krone trägt … Dieses alte Sprichwort lässt sich leicht auf die Helden des modernen (Polizei-)Krimis anwenden. Stets stehen sie unter Druck, sind überarbeitet, bekommen Ärger im Job, haben noch mehr Ärger daheim, wo die vernachlässigte Familie oder der Partner quengeln. Rainie Conner fügt sich exakt in dieses Muster (bzw. Klischee). Als Kind misshandelt, die Mutter eine Säuferin & Schlampe, deren verstümmelte Leiche die Tochter finden musste, als Polizistin = Frau im Visier der misstrauischen Bürger von Bakersville, als Privatfrau kontaktscheu und einsam.

Gleichzeitig ist Rainie selbstverständlich eine Zierde ihres Berufs, in dem sie sogleich Führerqualitäten an den Tag legt, als sie endlich einen großen Fall übernimmt. (Genauso selbstverständlich ist der Auftritt jener, die ihr den Erfolg neiden oder sie als Sündenbock bei möglichem Misserfolg verheizen wollen.) Es wird sogar noch besser (wenn auch nicht für Rainie): Der Vater des mutmaßlichen Amokläufers ist ihr Freund und unmittelbarer Vorgesetzter! Auch dieser Sheriff O’Grady hat seine Päckchen zu tragen. Mit der Ehe steht es keineswegs zum Besten, er erscheint verdächtig früh am Tatort und könnte Beweismaterial gegen seinen Sohn beseitigt haben.

Dann ist da Profiler Quincy, der den genialen FBI-Spezialisten gibt. Kühl ist er und beherrscht, aber auch ihn hat des Schicksals Blitzstrahl getroffen: Das Töchterlein liegt auf dem Sterbebett, die Gattin ist eine Ex-, das Privatleben liegt auch sonst danieder, so dass Quincy sich mit der manischen Energie von Sherlock Holmes & Gil Grissom in und auf seine Fälle stürzt. Die Qualitäten der spröden, aber tüchtigen und hübschen und deshalb begehrenswerten Rainie bleiben dem klugen Mann trotzdem nicht lange verborgen, so dass die Handlung nun doch mit einer Portion Schmalz (glücklicherweise nur Magerstufe) geschmiert wird.

Der „Schattenmörder“ tückt wie jeder anständige Psychopathenstrolch mächtig bedrohlich im Hintergrund umher. Identität und vor allem Motiv bleiben so lange wie möglich unerwähnt, was gut ist, da die Auflösung wieder einmal dem Aufwand nicht gerecht wird. So lange man jedoch nicht weiß, wer er ist und was er will, funktioniert der „Schattenmörder“ als Bösewicht zufrieden stellend.

Lisa Gardner (geb. 1971) ist trotz ihrer jungen Jahre als Schriftstellerin eine Veteranin. Freilich ist wenig bekannt, dass sie ihre Karriere nicht 1998 und im Thrillergenre startete, sondern bereits sechs Jahre früher – als Alicia Scott, die tagsüber einem „richtigen“ Bürojob nachging und sich nach Feierabend insgesamt 13 Liebesschnulzen aus dem Hirn wrang.

Nach eigener Auskunft hatte sie schließlich genug von dieser Fron (was leicht nachvollziehbar ist) und versuchte sich mit einem Thriller. „The Perfect Husband“ markiert gleichzeitig das Debüt von Pierce Quincy, der damals nicht als Serienheld geplant war und für den ersten Roman der Quincy/Conner-Reihe („The Third Victim“) vorsichtig „serientauglich“ gemacht werden musste, d. h. um der zwischenmenschlichen Verwicklungen willen eine Ehegattin und Familie erhielt.

Der Erfolg übertraf Gardners Erwartungen. Sie schwenkte endgültig auf die neue Linie ein und schreibt seitdem ausschließlich rasante Thriller, die zwar nur bekannte und bewährte Plots und Figuren aufgreifen, dies aber gekonnt und unterhaltsam. Mit Ehemann und Kind lebt die Autorin in New Hamphire und offenbar im Paradies auf Erden, wenn man ihren enthusiastischen Äußerungen auf der Website http://www.lisagardner.com Glauben schenken mag; diese fällt freilich zwar durch professionelle Gestaltung, noch mehr aber durch Geschwätzigkeit auf: Gardner erzählt viel, aber wenig Substanzielles.

Die Pierce-Quincy/Lorraine-Conner-Serie erscheint im |Blanvalet|-Verlag:

1. The Perfect Husband (1998; noch kein dt. Titel)
2. Der Schattenmörder (2001; „The Third Victim“)
3. Der nächste Mord (2001; „The Next Accident“) – TB Nr. 35631

Lloyd Biggle jr. – Spiralen aus dem Dunkel

Biggle Spiralen Cover 1983 kleinSeltsame Flugkörper landen in der US-Provinz; sie streuen zerstörerische Kraftfelder von spiralförmiger Gestalt aus, scheinen aber nicht direkt feindlich zu sein. Kommen die Fremden aus dem All – oder sind es Sendboten aus einer möglichen Zukunft der Erdmenschen? … Herrlich altmodischer, d. h. langsam oder besser gesagt: sorgfältig komponierter, spannender und überraschend witziger Science Fiction-Roman um eine Invasion der besonders merkwürdigen Art.
Lloyd Biggle jr. – Spiralen aus dem Dunkel weiterlesen

Reginald Hill – Die rätselhaften Worte

Das geschieht:

Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft zum Schau- und Spielplatz des bizarren und in Serie mordenden „Wordman“. So nennen die Journalisten mit der für ihre Spezies typischen Begeisterung jenen offenbar geistesgestörten aber wohl organisierten Unhold, der damit beginnt, die örtliche Prominenz nach einem seltsamen Schema auszurotten. Zunächst bringt niemand den ersten „Dialog“ mit dem ungeklärten Tod eines Handwerkers in Verbindung, der offenbar einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Der Text liegt in einem prall gefüllten Postsack, der in der Mid-Yorkshire-Stadtbibliothek eintrifft. Dort hat man die einheimischen Freizeit- und Nachwuchs-Literaten aufgefordert, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Gesucht wird die beste Kurzgeschichte, und das hat den Wordman auf den Plan gerufen.

Erst Mord Nr. 2 ruft Detektiv Superintendent Andrew Dalziel, Chief Inspector Peter Pascoe und Sergeant Edgar Wield vom Mid-Yorkshire Criminal Investigation Departments auf den Plan: Jax Ripley, Nachrichtenredakteurin eines regionalen Senders, wird zur Hauptperson seines zweiten „Dialoges“, was für die ehrgeizige Frau das Todesurteil bedeutet. Reginald Hill – Die rätselhaften Worte weiterlesen

Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4]

Am Rand von Reykvavík, der Hauptstadt von Island, wird eine vor vielen Jahren verscharrte Leiche entdeckt. Die Aufklärung dieses Falls gestaltet sich für die Männer und Frauen um Kommissar Erlendur schwierig, doch Stück für Stück kommt eine alte Familientragödie zum Vorschein, die es schwerfallen lässt, Tätern von Opfern zu unterscheiden … – Ausgezeichneter Thriller, der dem in Deutschland beliebten, aber inzwischen arg strapazierten „Skandinavien-Krimi“ neuen Glanz verleiht. Indriðason gelingt das Kunststück, eine an sich bedrückende Geschichte spannend und sogar mit trockenem Witz zu erzählen: die beste Begründung dafür, wieso der Verfasser längst kein Geheimtipp mehr ist. Arnaldur Indriðason – Todeshauch [Erlendur 4] weiterlesen

Ian Watson – Feuerwurm

Ein Psychologe gerät an einen Patienten, dessen Albträume von einer seltsamen Kreatur sich als erstaunlich und erschreckend handfest erweisen … – Geschickt in der Grauzone zwischen Fiktion und Realität siedelt der Verfasser eine seltsame, den Leser lange im Ungewissen lassende Geschichte an, die durch ihre überraschende Auflösung zusätzlich gefällt; kein leichter Stoff, aber eine interessante Lektüre. Ian Watson – Feuerwurm weiterlesen

Remy, Maurice Philip – Mythos Bernsteinzimmer

Ein kundiger Blick auf das Bernsteinzimmer bzw. den Mythos, der sich nach dessen von Geheimnissen umwitternden Verschwinden in den letzten Tagen des II. Weltkriegs darum entwickelt hat, präsentiert in fünf Kapiteln:

„Spuren“ (S. 7-18) leitet mit der aktuellen Geschichte des Bernsteinzimmers ein. Um die Jahrtausendwende schien es, als ob dieser Schatz nicht nur noch existiere, sondern die Wiederentdeckung unmittelbar bevorstehe. Plötzlich tauchten diverse Bestandteile des komplexen Meisterwerks auf dem (schwarzen) Kunstmarkt auf und fügten dem bizarren „Nachleben“ des Bernsteinzimmers ein neues Kapitel an. Alte und neue Legenden schossen ins Kraut – für Maurice Philip Remy der Anstoß den Versuch zu wagen, den Mythos zu entkleiden und dahinter die Realität zum Vorschein zu bringen.

Er beginnt mit der gesicherten Geschichte: „Das Kunstwerk“ (S. 19-74) zeichnet den Weg des Bernsteinzimmers nach: Entstanden um 1705 im Auftrag des Preußenkönigs Friedrichs I., schmückte es die Wände des Schlosses Charlottenburg. Sein sparsamer Sohn, der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., schenkte es mit diplomatischen Motiven dem Zaren Peter I., der es einlagern ließ, bis es seine Tochter und Nachfolgerin Katharina die Große endlich einbauen ließ. 1755 landete es in ihrem Sommersitz in Zarskoje Selo, dem Zarendorf vor den Toren von St. Petersburg. Dort blieb es und verfiel allmählich, überlebte den Untergang des Zarenreiches und den Bildersturm der Bolschewisten

„Der Ortswechsel“ (S. 75-136) rekonstruiert den letzten Weg des Bernsteinzimmers. 1941 fiel es nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion den Nazis in die Hände, die es in die Ordensburg von Königsberg, der Hauptstadt Ostpreußens, schafften. Dort verliert sich in den Wirren der letzten Kriegswochen 1945 seine Spur. Die viel versprechenden Fährten greift der Verfasser auf, der die lückenhaften, einander oft widersprechenden Belege so interpretiert, dass die Bernstein-Kleinodien mit dem Königsberger Schloss zu Grunde gingen.

„In eigener Sache“ (S. 183-202) nennt Remy das letzte Kapitel, in dem er seine eigene Verwicklung in die „Geschichte“ des Bernsteinzimmers nach 1945 darlegt. Seine Erlebnisse, Fehlschlüsse und Erkenntnisse spiegeln die bizarre „Schatzsuche“ wider, die seit sechs Jahrzehnten von gestandenen Historikern, Lokalpolitikern, Träumern und Spinnern betrieben wird. Jeder versunkene Nazibunker, jeder gesprengte Stollen, jeder staubige Keller zwischen St. Petersburg und den Alpen wurde ausgegraben und durchwühlt – vergeblich, da vom originalen Bernsteinzimmer nur der Traum geblieben ist. Der ist freilich unverwüstlich.

Ein ausführlicher Anhang listet Fußnoten auf und legt die Quellen offen, aus denen Autor Remy schöpfte. Ein nützliches Register fehlt ebenso wenig wie ein Abbildungsverzeichnis und eine Karte. Zahlreiche, oft großformatige und farbige Abbildungen – moderne und zeitgenössische Fotos, Wiedergaben alter Stiche, Karten etc. – illustrieren den Text und ergänzen ihn gleichzeitig.

Das Bernsteinzimmer ist also dahin – wer dieses Buch liest, wird daran kaum mehr zweifeln – solange er oder sie sich offenen Geistes dem heiklen Thema widmen möchte oder kann. Wie der Titel des hier vorgestellten Buches deutlich macht, ist das Bernsteinzimmer nicht nur ein historisches Kunstobjekt hohen Ranges. Mehr noch ist es inzwischen ein Mythos geworden, von dem viele Mitmenschen nicht lassen können oder wollen. So schön ist es gewesen, dass es einfach nicht zerstört sein d a r f.

Die Wirren der Vergangenheit kommen dieser Sichtweise entgegen. Obwohl das Zimmer erst vor sechs Jahrzehnten verschwand, geschah dies auf eine Weise, die praktisch jeglicher Spekulation Tür & Tor öffnet. Dazu kommen die geeigneten Finsterlinge: die Nazis, hier verkörpert durch den dämonischen Gauleiter Erich Koch und seine Schergen. Aber auch in den Jahrhunderten zuvor tummelte sich allerlei Prominenz in den geschnitzten Bernsteinwänden. Friedrich Wilhelm I. von Preußen, sein Sohn – der „Alte Fritz“ -, Peter der Große, Katharina die Große – gekrönte Häupter und zwielichtige Gestalten verkörpern lebendige Geschichte sowie den Hang des Menschen zum romantischen Goldfieber!

Die historische Realität sieht weniger glanzvoll aus. Das prächtige Bernsteinzimmer wurde quasi auf Sand erbaut – Material sparend schnitt man den kostspieligen Bernstein in Scheiben und klebte ihn ganz prosaisch auf Gipsplatten. Außer hui, innen pfui, denn für das raue Klima Preußens oder gar Russlands war solch’ filigrane Kunst definitiv zu empfindlich. Schon kurze Zeit nach Fertigstellung fing das schöne Werk zu bröckeln an, was es fortan bis zu seinem Untergang fortsetzte. Die Ironie dabei: Das Bernsteinzimmer, das 1945 verschwand, war längst nicht mehr das Bernsteinzimmer von 1705 – man hatte es bereits mehrfach zur Gänze restaurieren müssen und dabei ständig verändert.

Nicht einmal eine Spitzenposition unter den Meisterwerken der Kunstgeschichte wollte man ihm zubilligen. Die Zeitgenossen gingen jeweils recht rüde mit dem Bernsteinzimmer um. Erst als es verloren war, wollte es jede/r haben. Dabei weiß Remy anschaulich zu machen, dass es egal ist, ob es nun verbrannt ist oder in einem Versteck überdauert hat: Feuchtigkeit und Kälte haben ihm ohne ständige Pflege längst den Garaus gemacht. Doch die Beweise für die Vernichtung im Königsberger Schloss sind überzeugend. Remy hat sich die Mühe gemacht, hinter Gerüchte und Legenden zu blicken. Vor allem ging er an die Originalquellen und förderte dabei Erstaunliches zutage. Es sind halt doch nicht alle Unterlagen verschwunden. Man muss sie nur suchen – und finden wollen! Dann verkünden sie die traurige Wahrheit, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existiert.

Was wiederum auch nicht stimmt: Im Katharinenpalast zu Zarskoje Selo kann es seit 2003 in seiner vollen Pracht besichtigt werden. Mehrere Jahre der Planung, der Arbeit und der Finanzkrisen hat es gekostet, aber dann war es wiedererstanden: das neue Bernsteinzimmer, eine Eins-zu-eins-Kopie des Originals, das selbst die meiste Zeit so großartig nicht ausgesehen hat.

Doch weiterhin wird viel Zeit und Geld in die Suche nach dem „richtigen“ Zimmer investiert. Jeder Strohhalm wird ergriffen. Ist Schliemanns Schatz von Troja, ebenfalls 1945 verschwunden, nicht unlängst unversehrt in russischen Museumsarchiven zum Vorschein gekommen? Ist das nicht der „Beweis“ dafür, dass es dem Bernsteinzimmer ebenso ergangen ist? Und so geht die Jagd weiter – mit neuen komischen und tragischen Kapiteln, die sich nahtlos an die Historie und die Histörchen reihen, die Verfasser Remy mit bewundernswerter Sachlichkeit zu präsentieren weiß.

Maurice Philip Remy wurde 1962 in München geboren. Nach Abitur und dem Studium der Kommunikationswissenschaften leistete er Pressearbeit für das Volkstheater München und arbeitete als freier Journalist. Später wechselte er zum Dokumentarfilm, wurde Redakteur, Aufnahmeleiter, dann Redaktionsleiter bei „Top Video Film- und Fernsehproduktion“. Der nächste Schritt: Remy schrieb und inszenierte selbst. Ihm verdanken wir u. a. Episoden unsterblicher (bzw. nicht umzubringender) TV-Dauerbrenner wie „Vorsicht Kamera“ und „Verstehen Sie Spaß?“

Für das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen dreht Remy aber auch historische Dokumentationen, wobei er seine Themen meist im Umfeld des „Dritten Reiches“ und des II. Weltkriegs findet. Darüber hinaus veröffentlichte Remy diverse Publikationen; neben „Mythos Bernsteinzimmer“ die Bücher „Mythos Rommel“, „Mythos Widerstand“ und „Dimension PSI“.

Roland Seim/Josef Spiegel (Hg.) – „Nur für Erwachsene“ – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen

Mit Hilfe von Schallplatten- und CD-Covern aus fünf Jahrzehnten spielen die Verfasser durch, was in der Rock- und Popmusik ‚erlaubt‘ ist oder zum Wohle des (nur scheinbar mündigen) Bürgers, der unschuldigen Jugend & des guten Geschmacks verboten gehört … – Die generellen Fakten, die für und wider eine Musikzensur sprechen, werden zwar knapp aber einleuchtend thematisiert und kommentiert. Die Aussagekraft der aufgelisteten Beispiele historischer Zensurereignisse leidet jedoch unter einer gewissen Zusammenhanglosigkeit – dieses Buch ist ein Ausstellungskatalog. Die Brisanz des Themas Zensur kann daher nur bedingt vermittelt werden.
Roland Seim/Josef Spiegel (Hg.) – „Nur für Erwachsene“ – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen weiterlesen

Ellery Queen – Drachenzähne

Das geschieht:

Den Juli des Jahres 1939 wird Kriminalschriftsteller und Privatdetektiv Ellery Queen sicherlich nicht vergessen. Da ist der geplatzte Blinddarm, der ihn ins Krankenhaus und fast auf den Friedhof bringt. Mit der Verfolgung von Übeltätern ist erst einmal Schluss. Das ist ärgerlich, denn just hat sich Ellery eines ausgesprochen interessanten Falls angenommen. Der schwerreiche, arg verschrobene Cadmus Cole wurde auf einer seiner ausgedehnten Schiffsreisen angeblich vom Schlag getroffen. Kurz zuvor hatte er Queen engagiert, um sein sehr seltsames Testament vollstrecken zu lassen, und ließ dabei durchblicken, dass man ihm womöglich nach dem Leben trachte, wollte Queen aber keine Details verraten. Ellery Queen – Drachenzähne weiterlesen

Whitley Strieber – Der Kuss des Todes

Das geschieht:

John und Miriam Blaylock töten Menschen, saugen ihnen das Blut aus und leben ewig, denn sie sind Vampire. Miriam weilt bereits einige Jahrtausende auf diesem Planeten und hat sich zur echten Überlebenskünstlerin entwickelt. John, der als englischer Lord mit Miriams bissiger Hilfe sein Schattendasein begann, ist gerade einmal zwei Jahrhunderte alt. Trotzdem fühlt er sich seit einiger Zeit müde und abgeschlagen, was einem Vampir eigentlich nicht passieren dürfte.

Miriam weiß mehr darüber, als sie John eingestehen mag. Ihr Blut verlängert das Leben ihrer Partner, aber irgendwann verliert es seine Kraft. Inzwischen sollte die Wissenschaft endlich in der Lage sein, ein Mittel gegen Johns ‚Krankheit‘ zu entwickeln, findet Miriam und nimmt Kontakt zur Medizinerin Sarah Roberts auf, die sich in ihren Forschungen auf das Phänomen des Alters spezialisiert hat. Whitley Strieber – Der Kuss des Todes weiterlesen

Allan Folsom – Des Teufels Kardinal

Ein größenwahnsinniger Kardinal will einen katholischen Gottesstaat errichten. Er setzt Terror und Mord ein, doch es gibt eine undichte Stelle: Ein idealistischer Geistlicher weiß von der Intrige. Er taucht unter und ruft seinen fernen Bruder zur Hilfe. Gemeinsam flüchtet man vor den Schergen des Kirchenfürsten und sammelt Beweise, um dessen Komplott auffliegen zu lassen … – Um jeglichen Realitätsbezug bereinigtes, im Dan-Brown-Kielwasser mitschwimmendes mit Mord und Todschlag nie geizendes Thriller-Garn hart an der Grenze zum Trash. Allan Folsom – Des Teufels Kardinal weiterlesen

Lee Child – In letzter Sekunde [Jack Reacher 5]

Ex-Militärpolizist Reacher wandert durch die USA. In Texas versucht ihn die verzweifelte Carmen Greer anzuheuern: Er soll ihren verhassten Gatten umbringen. Reacher will helfen, aber nicht morden und begleitet Carmen nach Echo, dem Privat-Städtchen des skrupellosen Greer-Clans, der hier das Sagen hat … – Der fünfte Hochgeschwindigkeits-Thriller aus der Reacher-Serie; lakonisch im Ton, hervorragend im Spannungsaufbau, ohne modische Metzel-Mätzchen, wenn auch ausschließlich zusammengesetzt aus bekannten Genre-Elementen und Western-Klischees sowie im Finale auf Feuerkraft statt Auflösung plus Kind-in-Gefahr-Szenario setzend. Lee Child – In letzter Sekunde [Jack Reacher 5] weiterlesen

Paul Ruditis – Star Trek Voyager: Das offizielle Logbuch

Sieben Jahre „Star Trek – Voyager“, präzise bis penibel nacherzählt von Paul Ruditis, dem „offiziellen“ Chronisten dieser vierten ST-Serie. Ausführliche Inhaltsangaben werden begleitet von Beschreibungen der „Voyager“, ihrer Crew, diverser Aliens und fremder Orte, an denen man sich tummelte. Fast völlig fehlen Hintergrundberichte, von Kritik ist an keiner Stelle die Rede. Das Bildmaterial beschränkt sich auf Bildausschnitte aus den TV-Folgen sowie sorgfältig arrangierte Standaufnahmen; es gibt keine Fotos davon, was hinter den Voyager-Kulissen geschah. Es bleibt die ordentlich layoutete und sauber gedruckte, aber von Nebensächlichkeiten wimmelnde Faktensammlung eines besessen anmutenden ST-Fans, die in dieser Ausführlichkeit kaum interessiert und über weite Strecken langweilt. Paul Ruditis – Star Trek Voyager: Das offizielle Logbuch weiterlesen

Hans Hellmut Kirst – Die Nacht der Generale

Kirst Nacht der Generale Cover 1994 kleinDarum geht’s:

Ein hochrangiger Offizier lebt im II. Weltkrieg seinen Drang als Serienkiller aus; dem für das Nazi-Regime peinlichen Treiben soll ein Ermittler unauffällig ein Ende bereiten, doch der Mörder ist geschickt, nutzt seine Privilegien und setzt seine grausigen Taten fort … – Dieser (deutsche!) Quasi-Vorläufer der seit Hannibal Lecter bestsellerabonnierten Killer-Thriller bedient sich bereits der bekannten Spannungselemente und hat seinen Unterhaltungswert nicht eingebüßt: lesenswert! Hans Hellmut Kirst – Die Nacht der Generale weiterlesen

Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach

Inhalt:

Der 27. August 1883 ist ein Tag, den nicht nur Augenzeugen nie vergessen werden. Krakatau ist ein unbedeutendes Eiland in der ostindischen oder besser indonesischen Inselwelt zwischen Sumatra und Java. Batavia, die koloniale Handelsmetropole, liegt zwar nur einige Schiffsstunden entfernt an der javanischen Nordküste, aber auch dort hat seit jeher kaum jemand einen Gedanken an die von sich hin rumpelnde Vulkaninsel verschwendet. Hier und da hat die Erde in den letzten Monaten zwar gezittert, aber was soll schon geschehen? Die geschäftigen und geschäftstüchtigen niederländischen Kolonialherren haben Ostindien fest im Griff und sonnen sich im Glanz ihrer politischen, wirtschaftlichen und (angeblich) kulturellen Überlegenheit.

Tief unter der Erdoberfläche staut sich seit geraumer Zeit ein Gemisch aus heißem Gas und Magma an, das keinen Raum zum Entweichen findet. Als die Erdkruste dem Druck nicht mehr standhalten kann, kommt es zur Katastrophe: Krakatau, eine Insel von 130 qm Größe, fliegt in die Luft, wird in Myriaden kleiner Stücke zerrissen. Der Knall ist noch 4700 Kilometer entfernt vernehmbar. Die Druckwelle rast siebenmal um den Erdball. Das Wasser des Ozeans türmt sich zu mörderischen Wasserwänden auf, die den indonesischen Archipel heimsuchen und ganze Inseln tier- und menschenleer spülen. 36000 unglückliche Insulaner verlieren ihr Leben. Das Klima der gesamten Erde wird auf Monate in Mitleidenschaft gezogen. Knapp 40 km hoch hat der sterbende Vulkan Asche, Staub und Steine geschleudert. Gigantische Wolken werden über den halben Globus getrieben, sorgen für einen quasi atomaren Winter und spektakuläre Sonnenuntergänge. Simon Winchester – Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach weiterlesen

Stone, Richard – Mammut – Rückkehr der Giganten?

Pelzige Elefanten stapfen durch sibirisches Schnee und Eis, während sich in Nordägypten erschöpfte Bürger des Feierabends am Anblick der Pyramiden erfreuen – das ist keine Science-Fiction, sondern Realität: Das Mammut ist tatsächlich erst vor 3.700 Jahren ausgestorben.

Ist es das wirklich? Diese Frage wird uns in diesem spannenden Buch gleich mehrfach gestellt. Autor Richard Stone stellt die Rüsseltiere des Pleistozäns als Zeitzeugen, aber auch als Mysterium der Gegenwart vor: Eine bizarre Laune der Natur führt dazu, dass Mammuts in ewigem Eis und Permafrost ihrer seit jeher kalten Heimat fast komplett erhalten blieben. Wir müssen sie anders als die Dinosaurier nicht aus zusammengepuzzelten Knochen mühsam rekonstruieren (oder digital neu erschaffen), sondern können sie uns anschauen, sie berühren und erforschen. (Sogar ihr Fleisch haben wahrlich wagemutige Forscher probiert – sie überlebten es, konnten das Experiment aber niemals weiterempfehlen.)

So kennt die Wissenschaft das Mammut beinahe genauso gut wie den Afrikanischen oder Indischen Elefanten der Gegenwart. Stone lässt es in allgemein verständlicher Sachbuch-Sprache in seiner eiszeitlichen Umwelt wieder durch Europa, Asien und Nordamerika ziehen, von Urmenschen gejadt werden (oder war es eher umgekehrt?) und allerlei zeitgenössischen Unbilden trotzen.

Im Mittelpunkt des Beschriebenen steht dann die Frage, wieso ein so perfekt an seine Umwelt angepasstes und keineswegs „primitives“ Tier aussterben konnte. War es der schon damals böse Mensch (eine lieb gewonnene Theorie weltverbesserischer Naturapostel), ein Supervirus, eine Klimaveränderung (noch kälter oder zu warm stehen zur Auswahl) oder gar von allem ein bisschen? Jede Theorie hat ihre Anhänger.

Weiterhin rankt sich Stones Mammutbuch um die spannende Frage, ob es gelingen könnte, die Pelzrüssler zurück ins Leben zu rufen. Das erinnert sehr an die „Jurassic Park“-Filme Hollywoods, denn auch hier soll „Cloning“ das Zauberwort sein: Jede Zelle enthält die kompletten Informationen, die ein neues Lebewesen für seine Entstehung braucht. Also suchen wir einfach ein gut gefrostetes Mammut, entnehmen ihm eine intakte Zelle, pflanzen sie einer (bei Gelingen zweifellos erstaunten) Elefantenkuh ein – und zwei Jahre später (so lange dauert es bis zur Geburt) steht ein langmähniger Jumbo vor der versammelten Weltpresse!

So dachte sich das jedenfalls der Genetiker Kazufumi Goto, der mit mehr Geld als Verstand ausgestattet durch Sibirien reiste, um einen geeigneten Spender-Kandidaten zu finden. Aber wie heißt ein Mammutsucher-Sprichwort so schön: „Du kannst kein Mammut finden – es muss dich finden.“ Hohn und Spott und ein ausgetrockneter Fetzen Rhinozeroshaut waren daher der einzige Lohn für den Pionier.

Mehr Glück war dem Franzosen Bernard Buigues beschieden. Sicher wird sich so manche/r noch an die Bilder erinnern, die damals durch die Medien gingen: Unter einem Hubschrauber hängt ein gewaltiger Eisklotz, aus dem vorne theatralisch zwei geschwungene Stoßzähne ragen.

Dass diese mit Eisenklammern nachträglich befestigt wurden, um dem Sponsor „Discovery Channel“ einprägsamere Bilder zu bescheren, wurde damals nicht so deutlich angesprochen wie Stone dies nun nachholt. Er selbst war mehr als einmal in Sibirien und hatte auch die Buigues-Expedition besucht. (In dem Klotz steckten außer viel Frostmatsch übrigens nur ein paar Knochen.)

Also gilt es weiter zu hoffen, zu forschen und zu klonen. Gern hätte Stone sein Buch mit dem Knalleffekt einer bevorstehenden Auferstehung ausklingen lassen; er muss sich mit spannenden Fakten und spinnenden Träumern zufrieden geben.

Falls die Vorstellung des Buches im Rahmen dieser Besprechung dem Leser etwas sprunghaft vorkommt, so liegt dies durchaus in der Absicht des Rezensenten. Auch Stone mäandert durch sein Thema, springt von (trotz der düsteren Umgebung farbenfrohen) Impressionen diverser Reisen durch den Wilden Osten der zerfallenen Sowjetunion zur Entdeckungsgeschichte berühmter Mammut-Kadaver, weiht uns in die Geheimnisse des Klonens ein, lässt dann die Welt der Eiszeit neu erstehen, erzählt von weiteren Reisen, weiß noch etwas übers Klonen … Es fehlt ein wenig der rote Faden, was indes wenig ausmacht. Das unsterbliche Mammut erledigt seinen Teil; von seiner Wiederkehr als Ei(s)spuk mag man gern weiterlesen.

Richard Stone hatte in der Tat gewisse Schwierigkeiten mit der Niederschrift dieses Werkes. Sein ausführliches Nachwort deutet dies nicht nur an. Mit einjähriger Verspätung legte er es schließlich vor. Strukturell hat es weiterhin deutliche Schwächen. Inhaltlich könnte man ihm höchstens eine gewisse Leichtgläubigkeit vorwerfen. Aber das würde den Kern der eigentlichen Kritik verfehlen: Stone ist in Sachen Mammut Mulder & Scully in Personalunion: Er will glauben, aber er kann es nicht. Die harten Fakten kollidieren immer wieder mit seinem Traum, das Mammut dereinst wieder durch die Eissteppe schlüren zu sehen. Der Traum obsiegt, aber es klingt hohl, wenn Stone seinen Glauben an den zukünftigen Sieg der Genetik über den Artentod bekräftigt.

Kein Wunder, denn Stone selbst hat die Karten offen auf den Tisch gelegt: Es ist faktisch unmöglich, ein Mammut zu klonen. Es funktioniert ja nicht einmal bei einem lebenden Säugetier mit blutfrischen Zellen. Wer erinnert sich nicht an Klonschaf „Dolly“, Überlebende einer langen Reihe gruselig fehlgeschlagener Experimente. (Hat jemand „Alien 4“ mit den eingedosten Ripley-Klonen gesehen?) Kaum sechs Jahre nach ihrer Geburt begann Dolly auseinander zu fallen und musste eingeschläfert werden.

Es ist also ein langer Weg bis zur Rückkehr des Mammuts. „Pleistocene Park“ wird noch geraume Zeit leer stehen. Aber „Mammut“ ist auch die Geschichte sympathischer und exzentrischer Visionäre, die unsere Welt so dringend braucht, damit sie nicht den Sparschweinen und Spielverderbern in die Hände fällt.

Richard Stone ist ein mehrfach preisgekrönter Wissenschafts-Journalist, der für Magazine und Zeitungen wie „Discover“, „Washington Post“, „Moscow Times“ und zahlreiche andere Publikationen geschrieben hat. Er hat an der Cornell University und dank eines Stipendiums in Russland studiert.

Jean Ray – Die Gasse der Finsternis. Phantastische Erzählungen

Ray Gasse Cover kleinEin Dutzend Dracheneier für Leser, die Phantastik mit Überraschungen lieben; für Jean Ray ist die Realität nur eine Schicht im Gewebe eines Universums, das in seiner Vielfalt meist außerhalb der menschlichen Wahrnehmung bleibt; unterhaltungsintensiv, mit enormem Einfallsreichtum, und drastischen Effekten schildert der Verfasser, was geschieht, wenn diese Schichten zufällig kollidieren.
Jean Ray – Die Gasse der Finsternis. Phantastische Erzählungen weiterlesen

Marco Buticchi – Die Jagd nach den Mondsteinen

Das geschieht:

Die „Mondsteine“: drei Stelen, gegossen aus purem Gold in menschenähnliche Gestalt, doch mit ‚Köpfen‘, die wie der zunehmende, der volle und der abnehmende Mond geformt sind. Die Entstehungsgeschichte der wertvollen Stücke ist ungeklärt; schon als sie im 1. Jahrhundert nach Christus erstmals schriftlich erwähnt werden, gelten sie als uralt. Entstanden sein sollen sie einst in der kleinen römischen Stadt Luna anlässlich des Todes eines Hohen Priesters, den die Göttin Minerva höchstpersönlich ins Jenseits entrückt haben soll. Als Erinnerung an diese Himmelfahrt blieben die Mondstelen zurück. Sie wurden von der Familie besagten Priesters geborgen und seither vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben.

So lautet jedenfalls die Geschichte, die Iunius von Luna seinem General und Freund Marcius erzählt, nachdem es im Jahre 77 n. Chr. an ihm ist, die goldenen Statuen zu hüten. Iunius hat sich auf zahlreichen Feldzügen ausgezeichnet, die das mächtige Römische Imperium unter Imperator Vespasian gegen die Germanen führte. Bis zum Tribun hat es Iunius gebracht, der nun er seinen General in die Hauptstadt Rom begleitet, wo dieser ein hohes politisches Amt anstrebt. Marco Buticchi – Die Jagd nach den Mondsteinen weiterlesen

F. Paul Wilson – Das Kastell

Wilson Kastell Cover Festa 2006 kleinDas geschieht:

Im April des Jahres 1941 steht Nazi-Deutschland scheinbar vor dem „Endsieg“. In einer alten Bergfestung in den rumänischen Karpaten hat eine kleine Abteilung der Wehrmacht einen strategisch eher unwichtigen Kontrollposten eingerichtet. Major Klaus Wörmann, der Kommandant, wurde hierher strafversetzt, weil er, ein Soldat der alten Schule, sich nicht nur geweigert hatte, der SS beizutreten, sondern sogar Manns genug gewesen war, deren Gräueltaten in den besetzten Ostgebieten anzuprangern.

Zwei Soldaten auf heimlicher Schatzsuche wecken versehentlich ein unheimliches Wesen, das nun des Nachts die deutschen Besatzer abzuschlachten beginnt. In seiner Not ruft Wörmann Hilfe. Man schickt ihm SS-Mann Erich Kämpffer, den er nur zu gut kennt und verachtet; zu Recht, denn der ebenso ehrgeizige wie skrupellose Sturmbannführer beginnt sogleich die Einheimischen zu terrorisieren, die er für die Morde verantwortlich macht. Wörmann sucht und findet einen Mann, der mehr über die Festung weiß. Professor Theodor Cuza ist ein todkranker Mann – und er ist Jude, was ihn und seine Tochter Magda der Willkür Kämpffers aussetzt, der beide in die Karpaten verschleppen lässt. F. Paul Wilson – Das Kastell weiterlesen

Masterton, Graham – Rückkehr des Manitou, Die

_Das geschieht:_

Misquamacus, mächtiger indianischer Zauberer und seit Jahrhunderten erklärter Feind der Bleichgesichter, hat die peinliche Schlappe überwunden, die ihn vor einem halben Jahrzehnt zurück ins Geisterreich verbannte (s. „Der Manitou“/“The Manitou“, Bastei-Lübbe-Horrorbibliothek Nr. 70001), und setzt zur neuerlichen Attacke an. Es zieht ihn nach Bodega, ein Fischerdorf an der kalifornischen Küste. Dort brachte in den 1830er Jahren der berüchtigte „Bloody“ Allen Fenner Verderben über die friedfertigen Wappo-Indianer. Da Differenzierung nie seine starke Seite war, fährt Misquamacus‘ Geist (= Manitou) in Toby, den achtjährigen Sohn der gegenwärtigen Fenners.

Billy Ritchie ist als Dorforakel von Bodega über Misquamacus und dessen Versuche, den „Tag der dunklen Sterne“ anbrechen zu lassen, gut informiert: Dämonen aus der farbenprächtigen indianischen Hölle will der Manitou heraufbeschwören und so die Welt in Angst und Schrecken stürzen. Damit diese sich manifestieren können, muss in Tobys Kleiderschrank (!) ein Portal ins Jenseits errichtet werden. Außerdem ist die Unterstützung 22 geisterhafter Medizinmänner der wichtigsten nordamerikanischen Indianerstämme erforderlich.

Mit seinen Vorbereitungen ist Misquamacus gut beschäftigt und kann die Fenners nur nebenbei piesacken. Tobys Vater Neil bleibt Zeit zur Recherche. Als er erfährt, dass der böse Zauberer vor einigen Jahren in New York Tod und Verderben gesät hat, nimmt er Kontakt mit Harry Erskine auf, der damals dem Schrecken ein Ende bereiten konnte. Mit der Welt der Geister will Harry zwar nichts mehr zu tun haben, aber da Misquamacus angekündigt hat, sich auch an ihm rächen zu wollen, reist er mit seinem alter Kampfgefährte, der Medizinmann Singing Rain, nach Bodega. Gemeinsam mit den Fenners stellt man sich Misquamacus, doch der hat seine Hausaufgaben dieses Mal besser gemacht …

_Mancher Geist will nicht verschwinden_

„Der Manitou“ markierte 1975 Graham Mastertons Debüt als Autor. Mit dem stets finster gestimmten indianischen Zaubermeister fand er viele Leser. Dass er im Horror-Genre Fuß gefasst hatte, muss dem stolzen Verfasser noch deutlicher geworden sein, als kurze Zeit später Hollywood bei ihm vorstellig wurde. Allerdings wurde der „Manitou“-Film von 1976 ein arger Heuler, der in verzweifelten Karrierenöten gefangene Darsteller wie Tony Curtis, Stella Stevens, Ann Sothern oder Burgess Meredith als Geiseln des beschränkt begabten „Total Film-Maker“ (Regie, Buch, Produktion) William Girdler zeigte. Immerhin: Der Rubel rollte. Masterton schmiedete das Eisen, solange es heiß war, und ließ den bösen Misquamacus zurückkehren.

Es lässt sich freilich nicht leugnen, dass der Verfasser mit „Die Rückkehr des Manitou“ die Geschichte des Erstlings einfach noch einmal erzählt. Davon kann der neue Schauplatz nicht ablenken. (In Bodega ist man Kummer mit dem Übernatürlichen übrigens gewohnt, trieben hier doch Anfang der 1960er Jahre Hitchcocks „Vögel“ ihr Unwesen.) Immerhin macht „Die Rückkehr …“ deutlich, dass Masterton sich als Autor ein wenig weiterentwickelt hat. Fiel Misquamacus bei seinem ersten Auftreten eher durch seine bei aller Bösartigkeit erheiternde Beschränktheit auf – welcher halbwegs gescheite Rachegeist würde seinen Feldzug ausgerechnet in einem städtischen Krankenhaus starten? -, hat er nun ansatzweise dazugelernt.

|Konzentriere dich, Misquamacus!|

„Die Rückkehr …“ ist wie alle (frühen) Werke Mastertons Ex-und-hopp-Lektüre mit den drei grundsätzlichen Elementen flott, blutig und gradlinig. Trotzdem hatte der Verfasser begriffen, dass man einem Bösewicht Tiefe und damit Glaubwürdigkeit verleihen muss, will man ihn im Gedächtnis eines Publikums verankern. Misquamacus bekommt daher eine Vergangenheit, die zumindest ahnen lässt, wieso er so nachhaltig sauer auf den Weißen Mann ist.

Leider ist Masterton nicht konsequent; Misquamacus bleibt weiterhin ein (verblüffend schwatzhaft gewordener) Rächer, der zwangsläufig scheitern muss, weil er wie das Kutschenpferd von der vorgehaltenen Möhre jeder Kränkung eines Bleichgesichts magisch angezogen folgt. Da er jedem, der ihm zu nahe tritt, blutige Rache schwört, ist es kein Wunder, dass es mit der Eroberung der Welt wieder nichts wird, denn vor den Pforten der Hölle wartet geduldig eine lange und immer länger werdende Schlange von Leuten, mit denen Misquamacus, die dauerbeleidigte Leberwurst, vorher noch ein Hühnchen zu rupfen hat.

Wenig erfreulich ist erneut das Finale, auch wenn es nicht ganz so unglaubhaft und lächerlich ausfällt wie in „Der Manitou“. Trotzdem dürfte der neuerliche Auftritt des großen Cthulhu den armen H. P. Lovecraft in seinem Sarg in heftige Rotation versetzt haben.

|Ein Manitou gerät ins Schlingern|

Weiterhin hapert es in „Die Rückkehr …“ erheblich mit der Kontinuität der „Manitou“-Saga. Plötzlich hat Misquamacus beileibe nicht schon 1651 dauerhaft sein Domizil im Geisterreich aufgeschlagen, wie es noch im ersten Teil hieß. Das zu postulieren war wichtig, denn der Anachronismus des alten Bösewichts erklärte sehr gut sein Scheitern. Doch nun erfahren wir, dass Misquamacus die Welt der Lebenden in den vergangenen drei Jahrhunderten sehr viel öfter besucht hat. Da sollte man voraussetzen können, dass er mit der Gegenwart ein wenig besser vertraut ist!

Egal: „Die Rückkehr …“ ist eine trashige aber vergnügliche Lektüre. Und auch nach 1979 sollte Masterton, der nie den Nobelpreis für Literatur gewinnen wird, aber bei aller Hast und den dabei unvermeidlichen Schlampigkeiten durchaus ein guter Geschichtenerzähler ist, sein Talent besser in den Dienst der jeweiligen Story stellen.

|Deutschland bleibt Manitou-Diaspora|

Leider können wir Freunde des Unheimlichen uns in Deutschland davon nur sporadisch überzeugen; wenige Masterton-Romane fanden und finden den Weg in dieses unser Land. Dabei gilt z. B. Misquamacus dritter Streich („Burial: A Novel of the Manitou“, 1992) als bester Teil der Serie, zumal der Verfasser hier seine Leser mit einem Kniff zu fesseln weiß, den er zu einem persönlichen Markenzeichen entwickelt hat: der Verknüpfung einer fiktiven Handlung mit realen historischen Ereignissen, hier der Schlacht am Little Big Horn, an deren Verlauf Misquamacus nicht ganz unbeteiligt war.

Dass Masterton seinen ersten Anti-Helden nicht vergessen hat, bewies er 2005, als er Misquamacus nach 13-jähriger Pause überraschend zurückkehren ließ: Weiterhin ist der Manitou nicht zimperlich ist, wenn es gilt, seinen altbekannten Zielen böse Taten folgen zu lassen, und immer noch folgt auf jede Niederlage eine Wiederkehr. Auf diese Weise kann Misquamacus noch lange sein (lukratives) Unwesen treiben.

_Autor_

Graham Masterton, geboren am 16. Januar 1946 im schottischen Edinburgh, ist nicht nur ein sehr fleißiger, sondern auch ein recht populärer Autor moderner Horrorgeschichten. In Deutschland ist ihm der Durchbruch seltsamerweise nie wirklich gelungen. Nur ein Bruchteil seiner phantastischen Romane und Thriller, ganz zu schweigen von seinen historischen Werken, seinen Thrillern oder den berühmt berüchtigten Sex Leitfäden, haben den Weg über den Kanal gefunden.

Besagte Leitfäden erinnern übrigens an Mastertons frühe Jahre. Seine journalistische Ausbildung trug dem kaum 20 Jährigen die die Position des Redakteurs für das britische Männer Magazin „Maifair“ ein. Nachdem er sich hier bewährt hatte, wechselte er zu Penthouse und Penthouse Forum. Dank des reichlichen Quellenmaterials verfasste Masterton selbst einige hilfreiche Werke, von denen „How To Drive Your Man Wild In Bed“ immerhin eine Weltauflage von mehr als drei Millionen Exemplaren erreichte.

Ab 1976 schrieb Masterton Unterhaltungsromane. Riss er sein Debütwerk „The Manitou“ (dt. „Der Manitou“) noch binnen einer Woche herunter, gilt er heute als kompetenter Handwerker, dem manchmal Größeres gelingt, wenn sein Geist schneller arbeitet als die Schreibhand, was freilich nur selten vorkommt.

|Die Misquamacus-Serie:|

(1975) |The Manitou| (dt. „Der Manitou“) – Bastei Horror-Bibliothek Nr. 70001
(1979) |Revenge of the Manitou| (dt. „Die Rückkehr des Manitou“) – Bastei Horror-Bibliothek Nr. 70014
(1992) |Burial| (kein dt. Titel)
(2005) |Manitou Blood| (kein dt. Titel)
(2009) |Blind Panic| (kein dt. Titel)

|Taschenbuch: 189 Seiten
Originaltitel: Revenge of the Manitou (London : Sphere 1979)
Übersetzung: Rosemarie Hundertmarck
Deutsche Erstausgabe: 1979 (Bastei-Lübbe-Verlag/Horror-Bibliothek Nr.
ISBN-13: 978-3-404-01279-4|
[Autorenhomepage]http://www.grahammasterton.co.uk
[Verlagshomepage]http://www.luebbe.de

(Michael Drewniok)