Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Redick, Robert – Windkämpfer (Die Reise der Chatrand 1)

_Pazel Pathkendle ist ein Teerjunge_, einer jener flinken, schmutzigen Burschen, die auf den Segelschiffen von Alifros sämtliche Hilfsarbeiten verrichten, vom Ställe ausmisten und Latrinen putzen bis zum Taue und Segel flicken. Dabei ist er eigentlich ein intelligenter Bursche, der außer seiner Muttersprache noch vier andere spricht und aus guter Familie stammt. Doch seit der Eroberung seiner Heimatstadt Ormael durch die Flotte des Kaiserreiches von Arqual ist er auf sich allein gestellt. Zumindest fast, denn ein ehemaliger Freund der Familie, der Arzt Ignus Chadfallow, mischt sich immer wieder in Pazels Leben ein. So auch jetzt, doch diesmal hat das sehr weitreichende Folgen, und nicht nur für Pazel …

Tascha Isiq ist die Tochter eines Kriegshelden, jenes Admirals, der einst Ormael für Arqual eroberte. Und sie ist kurz davor, das Lorg zu verlassen, jenes Mädchenpensionat, auf das sie zu schicken ihr Vater vor zwei Jahren bestanden hat. Tascha ist unendlich erleichtert, diesem Ort zu entkommen, doch als sie zu Hause ankommt, teilt ihr Vater ihr mit, dass sie heiraten wird. Und zwar nicht irgendjemanden, sondern einen Prinzen des Mzithrin, des Erzfeindes von Arqual. Keine Frage, dass Tascha das unter keinen Umständen will. Dennoch bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter nach Simja einzuschiffen, wo die Hochzeit stattfinden soll. Es ist dasselbe Schiff, auf dem nach Einmischung von Ignus Chadfallow auch Pazel gelandet ist …

_Robert Redick hat seine Geschichte_ mit einer ganzen Menge Charaktere bevölkert. Die wichtigsten sind natürlich Pazel und Tascha:

Pazel hat so ziemlich alles vorzuweisen, was ein ordentlicher Held braucht: Er ist mitfühlend, ehrlich, mutig und nicht auf den Kopf gefallen. Allerdings hat er gelegentlich auch ein etwas vorlautes Mundwerk, das er bei weitem nicht so gut im Zaum halten kann wie seine Fäuste, obwohl er genau weiß, dass es ihn in mindestens ebenso große Schwierigkeiten bringen kann wie eine Prügelei. Außerdem besitzt er eine Gabe, die seine Mutter, eine Zauberin, ihm sozusagen angehext hat: Er braucht eine fremde Sprache nur irgendwo zu hören oder zu lesen, und schon beherrscht er sie. Dummerweise geht diese Fähigkeit mit einer unangenehmen Nebenwirkung einher: Danach hat Pazel eine Zeit lang massive Verständigungsschwierigkeiten, er kann weder verständlich sprechen noch andere verstehen. Seine Umgebung hat dafür eher wenig Verständnis, weshalb Pazel alles tut, um diese Gabe zu unterdrücken, mit eher mäßigem Erfolg.

Auch Tascha besitzt eine für eine vornehme Admiralstochter ungewöhnliche Fähigkeit: Sie kann kämpfen, sowohl mit als auch ohne Waffe. Gelernt hat sie das heimlich von ihrem Tanzlehrer und Freund Hercól, die strategische Denkweise hat sie von ihrem Vater geerbt. Nimmt man noch ihren Dickschädel dazu, dann kommt eine recht anstrengende, aber auch nicht zu unterschätzende Persönlichkeit dabei heraus.

Dann wäre da noch Sandor Ott, der Meisterspion des Kaisers und Chef des Geheimdienstes. Ein gefährlicher Mann, glatt wie ein Aal, zielstrebig und absolut gnadenlos. Einst hat er den Eid geschworen, sein Leben dem Wohl des Kaiserreiches Arqual zu widmen, bis über den Tod hinaus. Diesen Eid nimmt Ott sehr ernst. Ein wenig zu ernst, wenn man es recht betrachtet. Das Einzige, das ihm womöglich genauso wichtig sein könnte, wäre vielleicht seine Geliebte. Aber sicher bin ich mir da nicht.

Kapitän Rose dagegen ist ein äußerst merkwürdiger Kerl. Er ist der Kapitän der |Chatrand|, des letzten riesigen Schiffes aus der alten Zeit, das noch in der Lage ist, die Herrschersee zu befahren. Das Schiff ist der Stolz der Nation und seiner Reederin, und es ist eine Ehre, sein Kapitän sein zu dürfen. Nilus Rotheby Rose dagegen scheint darüber nicht wirklich erfreut. Er wirkt unruhig, ja gehetzt. Und er gibt einen sehr seltsamen Kurs vor …

Zu guter Letzt muss ich noch Diadrelu erwähnen. Diadrelu ist eine Ixchel, und was immer die Ixchel genau sein mögen, sie sind jedenfalls sehr klein, aber auch sehr findig und sehr kriegerisch. Die meisten von ihnen hassen die Menschen – nicht ohne Grund – und misstrauen ihnen zutiefst, vor allem ihr hitzköpfiger Neffe Taliktrum. Diadrelu dagegen betrachtet die Riesen, wie die Ixchel die Menschen nennen, etwas differenzierter, was ihre Autorität über den Clan ziemlich beansprucht.

Mir hat die Charakterzeichnung wirklich gut gefallen. Alle Figuren sind lebendig und glaubwürdig geraten, auch die weniger wichtigen Randfiguren wie Keth oder Jervik. Selbst die kleine Romanze, die sich zwischen Tascha und Pazel anbahnt, wirkt nicht platt oder gekünstelt. Allein der Bösewicht der Geschichte, der allerdings erst sehr spät auftaucht, droht ein wenig ins Klischee abzurutschen, aber das kann sich ja noch fangen.

_Die Handlung_ wirkt zunächst wie die Androhung eines komplizierten Knäuels, doch das legt sich, denn alle Handlungsfäden führen ziemlich rasch zu ein und demselben Punkt, nämlich der |Chatrand|, wo nahezu sämtliche Personen, die eingeführt wurden, früher oder später eintreffen. Und während die |Chatrand| durch die Wellen pflügt, treffen die einzelnen Personen in den unterschiedlichsten Konstellationen aufeinander, jedes Mal fließen ein paar kleine Informationen, und allmählich entsteht das Bild eines Komplotts, in dessen Zentrum Tascha steht. Keine Frage, dass Pazel versuchen muss, den Beteiligten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nur ist das leichter gesagt als getan …

Das klingt jetzt fast ein wenig fade, zumal das Komplott selbst fast ein wenig absurd erscheint, vor allem durch seine extrem lange Planungszeit. Kaum zu glauben, dass über diesen langen Zeitraum hinweg nichts dazwischen gekommen sein soll, das die Ausführung verhinderte. Andererseits ist der Aufbau dieser Fall wiederum so hinterhältig und klingt dermaßen nach bereits real praktizierter Politik, dass er fast schon wieder genial genannt werden könnte. Zudem würzt der Autor das Ganze mit der späten Erkenntnis, dass an dieser Sache mehr als nur eine Gruppe von Verschwörern herumgebastelt hat!

_Robert Redick hat seine Geschichte_ in einer Welt angesiedelt, die schon einiges an Vergangenheit hinter sich hat: große technische Errungenschaften, die bereits teilweise wieder verloren gegangen sind, Kenntnisse über ferne Kontinente, die längst wieder in Vergessenheit geraten sind, Legenden von magischen Artefakten aus ferner Vorzeit und natürlich diverse Kriege und Eroberungen. Hier zeigt sich schon, dass Alifros seine Glanzzeit bereits hinter sich hat.

Magie spielt bisher eine eher dezente Rolle; außer Pazels magischer Gabe des Sprachen Erlernens taucht lediglich ein Zauberer aus einer anderen Welt auf, der mit Tascha befreundet ist, zunächst aber nicht allzu aktiv ist. Erst gegen Ende der Geschichte rückt der Aspekt der Magie mehr in den Vordergrund. Seinen Charme erhält dieser fast schlichte Weltentwurf vor allem durch seine besonderen Geschöpfe wie die Ixchel, die Murten im Meer, die Flikker und die erwachten Tiere, allen voran die sprechende Ratte Feltrup.

All das erzählt der Autor ausgesprochen abwechslungsreich. Die gelegentlich eingestreuten Rückblenden lockern den Aufbau der Geschichte ebenso auf wie die Einträge aus dem persönlichen Tagebuch des Quartiermeisters und die Briefe von Kapitän Rose an seinen Vater. Die einzelnen Handlungsstränge werden gekonnt ineinander geführt, sodass die Handlung sich glatt und ohne Hänger entwickeln kann. Nur an einem Punkt bin ich ein wenig hängengeblieben: Warum in aller Welt wollte Doktor Chadfallow unbedingt, dass Pazel die Eniel verlässt? Hätte er ihn dort gelassen, wäre Pazel wahrscheinlich nicht auf der |Chatrand| gelandet, wo der Doktor ihn noch viel weniger haben wollte. Vielleicht liefert der nächst Band dafür ja noch eine logische Erklärung.

_Insgesamt_ fand ich das Buch sehr gelungen. Übergroße Spannung kann man ihm nicht gerade bescheinigen; lediglich gegen Ende, als der Leser endlich weiß, mit wem er es zu tun hat, zieht der Spannungsbogen an. Dafür bietet es sympathische, lebendige und nachvollziehbare Helden ohne übertrieben mächtige Fähigkeiten oder andere Klischees, einen etwas aufwändigen, aber tückischen Plott, viele fantasievolle Geschöpfe und noch eine Menge ungelöster Rätsel, zum Beispiel die Frage, welche Rolle die Herzogin Oggosk und ihre ungewöhnliche Katze in der ganzen Sache spielen, oder wieso einer der hervorragenden tholjassanischen Kämpfer ausgerechnet als Tanzlehrer arbeitet. Auf die Antworten bin ich jetzt schon gespannt.

_Robert Redick_ lebt in Massachusetts und gehört zu den Autoren, die schon als Kinder Geschichten schrieben. Nach diversen Studiengängen, darunter Literatur und Russisch, war er viel auf Reisen. Inzwischen arbeitet er als Dozent an der Clark University und als Redakteur für |Oxfam|. „Windkämpfer“ ist der erste Band seines Zyklus |Die Reise der Chatrand|, dessen zweiter Band diesen Monat auf Englisch erschien.

|Originaltitel: The Red Wolf Conspiracy 1
Aus dem Amerikanischen von Irene Holicki
Paperback, Broschur, 736 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52466-8|
http://www.redwolfconspiracy.com
http://www.heyne.de

Colin, Fabrice – Mary Wickford

_Neuengland_, irgendwo in der Wildnis. Eine junge Frau wird von der Inquisition verfolgt, doch ein Fremder flieht mit ihr …

Jahrzehnte später verlässt die siebzehnjährige Mary Wickford das Kloster der Heiligen Barmherzigkeit, in dem sie als Waise aufgewachsen ist, um sich ein eigenes Leben aufzubauen. Eigentlich will sie nach Boston, letztlich jedoch landet sie in dem kleinen Küstenstädtchen Old Haven. Und schon bald muss sie feststellen, dass hier nicht nur einiges sehr, sehr seltsam ist, sondern auch, dass sie aus Gründen, die in der Vergangenheit liegen, irgendwie darin verstrickt ist …

_Mary ist eine sehr resolute Person_, die durchaus ihren eigenen Kopf durchsetzen kann. Sofern sie denn weiß, was sie will, was zunehmend selten der Fall zu sein scheint. Immerhin weiß sie genau, was sie auf keinen Fall will: dem Imperator gehorchen.

Der Imperator ist der Herrscher über die beiden Amerika, bekennender Katholik und besessen von dem Gedanken, die Welt zu läutern. Die Methoden, die er dazu anwendet, sind gelinde gesagt höchst zweifelhaft.

Damit erschöpft sich die Charakterzeichnung auch schon. Nicht, dass diese beiden Charaktere die einzigen wären, im Gegenteil, es tauchen noch eine ganze Menge andere auf. Allerdings ist zu diesen Figuren noch weniger zu sagen als zu den genannten. Und selbst diese beiden bleiben irgendwie diffus und schemenhaft. Manchmal denkt Mary nach, aber was sie denkt, erfährt der Leser oft nicht, sodass er ihre Entscheidungen nicht immer nachvollziehen kann. Und selbst wenn Gedanken und Gefühle gelegentlich beschrieben werden, fehlt es ihnen an Intensität.

_Die Handlung_ ist dafür umso turbulenter ausgefallen. Kaum hat Mary das Kloster verlassen, wird sie manipuliert, bis sie in Old Haven ankommt, wo sie schon nach kurzer Zeit von der Inquisition aufgespürt wird. Von da an ist Mary nahezu ununterbrochen auf der Flucht, bis sie schließlich den Großmeister der Bruderschaft von York trifft, der sie unterrichtet. Aber selbst jetzt, wo sie eine ausgebildete Hexe ist, kommt sie nicht zur Ruhe, bis sie sich dem Imperator stellt.

Klingt rasant. Ich empfand es allerdings eher als mühsam. Vielleicht lag das daran, dass die Geschichte stellenweise so umständlich wirkt. Dazu gehören nicht nur die Ereignisse in Old Haven, als die Inquisition dort eintrifft, sondern zum Beispiel auch diejenigen auf der Insel des blutenden Herzens. Die dortigen Geschehnisse scheinen keine echten Auswirkungen auf den Fortgang der Handlung zu enthalten, stattdessen werden lediglich Andeutungen gemacht, die neue Fragen aufwerfen. Fragen, die teilweise nie beantwortet werden.

Da Mary zu Beginn der Geschichte nichts über ihre Herkunft weiß, also ohnehin schon massenhaft Fragen im Raum stehen, sind derartige Szenen nicht unbedingt eine Hilfe. Dummerweise ist der eigentliche Clou des Plots trotz mangelnder Antworten und fehlender Zusammenhänge recht bald klar.

Vielleicht lag es aber auch daran, dass Fabrice Colins Amerika zu Beginn des 18. Jahrhunderts ganz und gar anders aussah als das aus dem Geschichtsunterricht. Dabei hat der Autor sich nicht darauf beschränkt, historische Daten zu verändern, indem er bereits Maschinen und Flugzeuge mit Erdöl betreibt und die Hexenprozesse von Salem der katholischen Inquisition zuschreibt. Er hat diese veränderte Historie auch mit allen möglichen anderen Elementen gemischt, von Fabelwesen wie Nymphen und Drachen über den Okkultismus einer Geheimbruderschaft bis hin zum Cthulhu-Mythos.

_Um es kurz zu machen_, ich bin mit diesem Buch einfach nicht warmgeworden. Allein der Cthulhu-Mythos hätte schon genügt, mich abzuschrecken, hätte ich denn gewusst, dass er in diese Geschichte eingebaut ist. Und tatsächlich haben die Szenen, die mit diesem Aspekt verbunden waren – sei es auf Marys Weg durch das unterirdische Labyrinth über Arkham oder beim Auftauchen von Nyarlathotep -, eine Menge Grausamkeit in die Geschichte transportiert, einerseits durch den Ekelfaktor von Monströstitäten, andererseits auch durch exzessives Blutvergießen.

Aber das war es nicht allein. Zu vielen Szenen war anzumerken, dass sie nur in die Handlung eingeflochten waren, um ein weiteres Puzzleteil für Marys Herkunft zu liefern, und zu holperig waren die einzelnen Teile miteinander verbunden. Die Rekonstruktion der Vergangenheit wirkte bemüht und fügte sich nicht nahtlos in Marys eigentliche Geschichte ein. Die Handlung insgesamt verlief zu hektisch und überstürzt. Selbst die Wochen von Marys Ausbildung werden wie im Zeitraffer abgespult, als fürchte der Autor sich davor, auch nur einen einzigen Moment innezuhalten.

Auch die schwache Ausarbeitung der Charaktere war ein Manko. Zu vieles geschah einfach zu unmotiviert, ohne erkennbaren Grund. So fragte ich mich zum Beispiel, was in aller Welt der Pastor Jeremiah sich dabei gedacht hat, eine solche Strafe über seinen Sohn zu verhängen?! Wieso sind die Domilitinnen erst ins Meer verschwunden, als sie |nicht| mehr verfolgt wurden? Und wo kam von einem Tag zum andern Marys tiefe Liebe für ihren zukünftigen Ehemann her?
Außerdem ist da natürlich noch das Problem mit der Logik: Da verschwindet ein beschworener Dämon einfach, weil sein Meister getötet wurde. Der als Meister Bezeichnete war allerdings gar nicht derjenige, der den Dämon beschworen und eingesperrt hatte!

_Zurück blieb der Eindruck_ einer Welt, die durch ihre Zusammensetzung kontrastiert, aber auch ein wenig überladen und wie Flickwerk wirkt, einer turbulenten, Haken schlagenden Handlung, die nur wenig Raum für Tiefe lässt, und einer Ansammlung von Figuren, mit denen der Leser sich kaum identifizieren kann, weil ihre Handlungsweise nicht nachvollziehbar ist.

Wer es also gern blutig, gruselig oder auch actionlastig mag, der kann mit diesem Buch vielleicht etwas anfangen. Wer dagegen Wert auf tieferes Verständnis von Handlung und Protagonisten legt, der lasse sich nicht von dem harmlosen Klappentext oder dem romantischen und damit eigentlich völlig unpassenden Cover täuschen und suche sich eine andere Lektüre.

_Fabrice Colin_ lebt in Paris und schreibt außer phantastischen Romanen auch Comics, Graphic Novels und Drehbücher fürs Radio. Aus seiner Feder stammen unter anderem „Le réveil des dieux“, „Vengeance“ und die Comic-Serie „Duel Masters“. „Mary Wickford“ ist der erste seiner Romane, der ins Deutsche übersetzt wurde.

|Originaltitel: La Malédiction d’Old Haven
Aus dem Französischen von Ulrike Werner-Richter
Gebundenes Buch, Pappband, 720 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-53288-5|
http://www.heyne.de

Meißner, Tobias O. – Mann, der nicht geboren wurde; Der (Im Zeichen des Mammuts 5)

Band 1: [„Die dunkle Quelle“ 1938
Band 2: [„Die letzten Worte des Wolfs“ 2418
Band 3: [„Das vergessene Zepter“ 3447
Band 4: [„Brücke der brennenden Blumen“ 4594

_Trotz seines Ausflugs in die Welt der Dämonen …_

… hat Meißner es abermals geschafft, einen frischen |Mammut|-Band zu servieren, fristgerecht und ausgereift. Für all jene, die über diese Rezension zum |Mammut|-Zyklus stoßen: Tobias O. Meißner hat im Rahmen einer mehrjährigen Rollenspielkampagne die Story rund um das Mammut zusammengebastelt („zusammengewürfelt“ würde zwar auch passen, aber der Beigeschmack von Beiläufigkeit, der in diesem Vergleich mitschwingt, wird dem Projekt ganz und gar nicht gerecht). Um die Rahmenhandlung hier wiederzugeben, müsste man sie allerdings derart zusammenschrumpfen, dass sie von den übrigen Klappentextformeln gewöhnlicher Standardfantasy nicht zu unterscheiden wäre; daher empfehle ich die Rezension des ersten Bandes, die sich ebenfalls hier auf |Buchwurm.info| finden lässt, ohne lästige Spoiler obendrein.

_Zur selben Zeit in Warchaim …_

So könnte man die Dramaturgie des fünften |Mammut|-Abenteuers umreißen, grob zwar nur, aber dennoch. Während sich im letzten Teil Eljazokad und Bestar in den Thostwald begeben haben, um das Geheimnis der verschwundenen Kaninchen zu lüften, hat Rodraeg um sein Leben gefochten, mit dem Herzschuss, den ihm sein ehemaliger Gefährte Hellas Borgondi beibrachte. Diesen Kampf hat er gewonnen, aber das Mammut ist dennoch geschwächt. Kaum Geld kommt ins Haus, Bestar und Eljazokad lassen auf sich warten, und Naenn, das Schmetterlingsmädchen, nähert sich ihrer Niederkunft. Gleichzeitig flattern Drohungen herein, von einem Unbekannten, der sich DMDNGW nennt, und noch ehe sich das Mammut richtig gefragt hat, wie ernst diese Drohungen zu nehmen sind, sterben wichtige Leute in Warchaim und sie alle haben denselben Drohbrief mit derselben Unterschrift bekommen.

Aber damit nicht genug. DMDNGW will das Mammut nicht töten, sondern regelrecht vernichten; wer da auch immer aus dem Unsichtbaren agiert, legt Fährten und Indizien, worauf bald das Mammut zu den Hauptverdächtigen gehört und keinen freien Schritt mehr gehen kann. Keine guten Voraussetzungen, um das eigene Leben zu schützen und die Aufträge des Kreises zu erfüllen. Als dann die Reisenden aus dem Thostwald zurückkehren, ist auch das nur auf den ersten Blick eine Erleichterung.

_Es lichtet sich der Nebel._

Während der letzten beiden Bände hat sich viel mysteriöses zusammengetragen, viele Andeutungen, viele offene Fragen, und manchmal geriet man als Leser in Gefahr, sich zwischen all den Informationen zu verlaufen. Der fünfte Band der |Mammut|-Saga bringt das Boot allerdings wieder auf stabilen Kurs, Band vier und fünf erscheinen als kompakte Einheit, und Informationen, die im vierten Band angedeutet wurden, lösen sich hier zur vollen Zufriedenheit des Lesers wieder auf.

Viel bleibt mir darüber hinaus nicht zu berichten über „den Mann, der nicht geboren wurde“; im Laufe dieser Saga gestaltet sich jede neue Rezension allmählich so, als müsse man das Rad immer wieder neu erfinden. Die Qualität ist so hoch wie eh und je und man merkt der Geschichte an, dass jede ihrer Schritte genau geplant wurde und messerscharf auf ein Ziel zusteuert. Man ist an den Figuren interessiert, fiebert mit, wenn sie von den vielen Schicksalsschlägen heimgesucht werden, die auf sie warten; die Story wird niemals vorhersehbar, kommt niemals zum Stillstand und nimmt keine Rücksicht auf liebgewordene Gewohnheiten.

Hervorzuheben ist vielleicht noch der Aufbau der |Mammut|-Bände. Jeder der fünf Romane hat einen anderen Aufbau, es gibt kein altbewährtes Schema, mit dem der Leser abgefüttert wird, sondern auch hier darf man sich mit jedem Buch auf eine neue Herangehensweise durch den Autor freuen.

Ich bleibe dabei: Auch wenn mir allmählich die blumigen Worte ausgehen, um das |Mammut| zu loben, Meißners Fantasy-Saga ist und bleibt Pflicht für die anspruchsvolle Fantasy-Gemeinde!

http://www.piper-verlag.de

Kizer, Amber – Meridian – Dunkle Umarmung

_Meridian war schon immer anders_ als andere Kinder. Sie hat ständig Schmerzen, ihr ist ständig übel. Und sie ist ständig von sterbenden Tieren umgeben. Niemand kann ihr sagen, warum das so ist. Nicht, dass sie je danach gefragt hätte … Als jedoch an ihrem sechzehnten Geburtstag direkt neben ihr ein Unfall geschieht, überstürzen sich die Ereignisse, und Meridian findet sich nach einem körperlichen Zusammenbruch plötzlich auf dem Weg zu einer Tante wieder, die sie lediglich von einem Photo kennt, und das in dem Bewusstsein, dass sie in Gefahr schwebt und ihre Familie nie wieder sehen wird! Doch als sie am Zielort aus dem Bus steigt, ist das grüne Auto, das sie abholen soll, nicht da …

_Eigentlich ist Meridian_ ein intelligentes und zähes Mädchen. Sie beißt sich durch einen halben Schneesturm, lernt innerhalb von zwei Wochen, eine Fenestra zu sein, und bietet einem an sich übermächtigen Gegner die Stirn. Umso verwunderlicher, dass ein Kind mit solchen Eigenschaften bis zu seinem sechzehnten Geburtstag wartet, um endlich Fragen darüber zu stellen, warum es so seltsam ist.

Meridians Tante ist eigentlich eine Urgroßtante und über hundert Jahre alt. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – strahlt sie ungeheure Lebensfreude aus, sie ist fröhlich, freundlich … und sie ist ebenfalls eine Fenestra. Allerdings bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, Meridian beizubringen, was sie wissen muss, denn obwohl ihr Geist noch rege und lebhaft ist, lassen ihre körperlichen Kräfte täglich nach.

Tens, der ebenfalls bei der Tante lebt, wirkt zunächst ein wenig wankelmütig. Mal ist er schweigsam und in sich gekehrt, mal gibt er zu allem seinen Senf dazu, ob gewünscht oder nicht. Im Grunde ist er einfach ein unsicherer Teenager, genau wie Meridian, und genau wie ihr schlägt auch ihm vonseiten der einfachen Leute Ablehnung und Mißtrauen entgegen. Denn auch er hat eine besondere Gabe …

Perimo, der örtliche Priester, ist ein gutaussehender, charismatischer Mann, der es versteht, die Leute zu begeistern. Leider bestehen seine Predigten ausschließlich aus Hetzreden gegen alle, die sich nicht seinen Doktrinen beugen wollen, und Meridians Tante steht dabei ganz oben auf der Liste.

Insgesamt ist die Charakterzeichnung etwas durchwachsen geraten. Perimo besitzt zu wenig Eigenständigkeit und rutscht deswegen etwas ins Klischee ab. Auch Tens hätte etwas mehr Tiefe vertragen können. Meridians Tante fand ich dagegen sehr gelungen, und auch Meridian ist abgesehen von dem seltsamen Knacks in ihrer Persönlichkeit ganz in Ordnung.

_Dieser besagte Knacks_ war ein Zugeständnis an die Dramaturgie des Buches. Der turbulente Einstieg in die Geschichte wäre nicht möglich gewesen, hätte Meridian schon vor diesem Tag mehr über ihre ungewöhnliche Gabe gewusst. Meridians Überrumpelung weckt natürlich auch im Leser die Neugier und animiert zum Weiterlesen. So weit, so gut.

Auch die Idee, die der Geschichte zugrunde liegt, ist interessant und neu: Die Fenestrae sind für die sterbenden Seelen das Tor zum Jenseits. Dort ruhen sich die Seelen aus, bis sie irgendwann erneut ins irdische Leben zurückkehren. Leider gibt es nicht nur die Fenestrae, die den Schöpfern dienen, sondern auch die Aternocti, Anhänger des Zerstörers. Der Name – finstere Nächte – ist Programm, denn diese Gegenspieler der Fenestrae führen die Seelen nicht ins Jenseits, sondern in die Hölle. Wie das Wort Gegenspieler schon sagt, machen sich die beiden Seiten massiv Konkurrenz. Die Entscheidung darüber, ob eine Seele ins Jenseits oder in die Hölle gelangt, hängt deshalb nicht davon ab, ob sie gut oder böse war. Sie ist vielmehr davon abhängig, ob beim Tod eines Menschen eine Fenestra oder ein Aternoctus zugegen ist.

Allerdings hat dieser Entwurf auch einige Haken. Wie die Tante Meridian erklärt, kann Energie niemals verloren gehen, sie wandelt sich nur. Das bedeutet automatisch, dass Energie auch nicht einfach mehr werden kann. Die Tante sagt aber auch, dass die Aufgabe der Fenestrae früher von Engeln wahrgenommen wurde, bis die Bevölkerung so groß wurde, dass es nicht mehr genug Engel gab. Hier tauchte bei mir bereits das erste Fragezeichen auf. Wie konnte die Bevölkerung überhaupt anwachsen, wenn die Energie immer gleich bleibt? Und wieso haben die Schöpfer anstelle der Fenestrae nicht einfach noch ein paar Engel erschaffen? Zumal die Fenestrae den Aternocti gegenüber ziemlich wehrlos zu sein scheinen, während die Engel offenbar spielend mit ihnen fertig werden.

Hier hat jemand einfach das christliche Weltbild ein wenig umgemodelt, ist dabei aber nicht sehr gründlich zu Werke gegangen. Der Entwurf ist zum einen nicht konsequent zu Ende gedacht und weist zum anderen logische Schwächen auf.

_Auch die Handlung_ hat nicht ganz gehalten, was sie versprochen hat. Nachdem Meridian erst mal das Haus ihrer Tante erreicht hat, nimmt das Erzähltempo spürbar ab. Meridian erhält nach und nach die Antworten auf ihre Fragen und natürlich auch Unterricht. Außerdem entwickelt sich eine zarte Romanze zwischen Tens und Meridian, die angenehm unaufdringlich und natürlich in die Geschichte eingebaut wurde. Was nicht funktioniert hat, war der Aufbau eines neuen Spannungsbogens, der von Perimo getragen werden sollte. Zwar hat Amber Kizer ihren Antagonisten ein paar wirklich fiese Tricks anwenden lassen, und es ist ihr auch gelungen, ihn in den wenigen kurzen Sequenzen, in denen er mit Meridian kurz allein ist, tatsächlich bedrohlich wirken zu lassen. Tatsächlich aber haben gerade diese kurzen Sequenzen dazu geführt, dass der Leser sehr frühzeitig weiß, um wen es sich bei Perimo tatsächlich handelt. Dadurch wird Perimos Taktik zu durchschaubar, der Ausgang der Geschichte größtenteils vorhersehbar. Nur eine kleine Überraschung ist für den endgültigen Showdown übrig geblieben. Das Happy End wirkt dann fast etwas aufgesetzt und gekünstelt, vor allem in Bezug auf Tens.

_So ganz der große Wurf_ ist das Buch also nicht geworden. Schade, die Idee war wirklich nicht schlecht. Hätte die Autorin diese noch etwas präziser umgesetzt und die enthaltenen Widersprüche bereinigt, dazu noch etwas mehr Hintergrund für den Antagonisten Perimo, seine Absichten und Beweggründe, hätte das Buch richtig gut werden können. In der vorliegenden Form dagegen empfand ich es als zu oberflächlich und zu blass.

Vielleicht kommt ja noch eine Fortsetzung. Die Drohungen Perimos während seiner Konfrontation mit Meridian und das relativ offene Ende lassen eine solche durchaus zu.

Dem Verlag darf ich dagegen ein gelungenes Cover und ein hervorragendes Lektorat bescheinigen. Warum dem Originaltitel „Meridian“ allerdings der seltsame Zusatz „Dunkle Umarmung“ angehängt wurde, hat sich mir nicht erschlossen.

_Amber Kizer_ schreibt seit sieben Jahren. Außer „Meridian“ hat sie mit „One Butt Cheek at a Timeden“ den ersten Band eines Mehrteilers veröffentlicht. Zu ihren Hobbys gehören Rosenzüchten und Kuchenbacken. Sie lebt mit zwei Hunden, zwei Katzen und einer Schar Hühner in der Nähe von Seattle.

http://www.pan-verlag.de
http://www.amberkizer.com

Tanja Heitmann – Morgenrot

Lea ist die typische Heldin eines Liebesromans: Sie ist jung und hübsch, allerdings hoffnungslos introvertiert und buchvernarrt. Da ist es nur logisch, dass sie Literatur studiert und sich auf die deutsche Romantik mit ihren düsteren Schauergeschichten spezialisiert. Ihr Auslandssemester verbringt sie irgendwo im osteuropäischen Ausland, wo es eiskalt ist und sie die Sprache nicht versteht. Sie versumpft völlig in ihrem kleinen Apartment, bis ihr Professor sie zu einem Studienkreis einlädt, wo sie den geheimnisvollen Adam kennenlernt. Lea ist sofort Feuer und Flamme, und offensichtlich hat auch Adam im wahrsten Sinne des Wortes Blut geleckt. Denn Adam ist ein Vampir, und der Dämon, der in ihm wohnt, hat in Lea seine wahre Liebe erkannt. Adam und Lea kommen sich näher, doch die sich anbahnende Romanze wird jäh unterbrochen, als das Haus von Professor Carriere von anderen Vampiren angegriffen wird. Lea kann fliehen; völlig verschreckt bricht sie jedoch den Kontakt zu Adam ab.

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King, Stephen – tot. (Der Dunkle Turm III)

|Der Dunkle Turm:|

Band 1: [Schwarz 5661
Band 2: [Drei 5839
Band 3: tot.
Band 4: Glas
Band 5: [Wolfsmond 153
Band 6: [Susannah 387
Band 7: [Der Turm 822

Roland hat nun seine beiden Gefährten, Susannah und Eddie Dean aus New York, um sich geschart, und zu dritt machen sie sich auf die Suche nach dem Dunklen Turm. Auf dem Weg dorthin durchqueren sie einen Urwald, wo Roland den beiden das Schießen beibringt und sie sich mit tierischen Maschinen herumschlagen müssen. Schon bald finden sie einen Weg: einen der |Balken|, der auf direktem Wege zum Dunklen Turm führen soll.

Dennoch merken Eddie und Susannah alsbald, dass etwas mit Roland nicht zu stimmen scheint. Der Revolvermann verhält sich merkwürdig und scheint von irgendetwas gequält zu werden. Ein Paradoxon, welches durch die letzte der drei Türen ausgelöst wurde, macht ihm schwer zu schaffen. Dabei liefert sein Verstand ihm zwei verschiedene Vergangenheiten: einmal eine, in der er den Jungen Jake an der Zwischenstation getroffen hat, und eine, in der es den Jungen nicht gab.

Auch Jake wird aufgrund der beiden Stimmen in seinem Kopf, die miteinander streiten, beinahe wahnsinnig. Er weiß, dass er gestorben und dabei in eine andere Welt gelangt ist, wo er auf den Revolvermann traf, doch er weiß auch, dass das alles nie geschehen und er in Wirklichkeit gar nicht tot ist.

Beiden ist klar, dass sie diesen Wahnsinn nur wieder in Ordnung bringen können, wenn Jake zurück in Rolands Welt kommt. Damit Jake zurückkehren kann, brauchen beide Welten einen besonderen Schlüssel … nur, wo ist dieser Schlüssel? Und wo ist die Tür, die man mithilfe des Schlüssels öffnen kann?

_Eindrücke:_

Nachdem Roland die ersten zwei seiner Gefährten, Eddie und Susannah Dean, durch die Türen am Strand gefunden hat, verändert sich auch in Band III der Saga um den dunklen Turm wieder die Landschaft. Mittlerweile wissen wir, dass sich der Revolvermann und seine Gefährten an einem Ort befinden, der sich Mittwelt nennt und alsbald beginnt sich die weite Standkulisse in einen Urwald zu verwandeln. Auch dort treffen Roland, Susannah und Eddie vorerst keine anderen Menschen, sie wissen nur, dass in diesem Wald einmal Menschen gelebt haben müssen. Und auch Shardik, ein riesiger, elektronischer Wächterbär erinnert sich noch an die Menschen, die ihm des Öfteren das Leben schwer gemacht haben, was auch der Grund dafür ist, dass er die drei Eindringlinge angreift …

Als diese Hürde überwunden ist und die drei Gefährten weitergehen, gelangen sie immer mehr in eine eigenartige Zivilisation. Erst kommen sie in ein kleines Vordorf, indem alte Menschen leben und sie freudig empfangen. Doch später, als sie weiterziehen und in die Stadt Lud gelangen, befinden sie sich in einem Gebiet, in dem überall Geräte und Maschinen aus Eddies und Susannahs Welt übereinander gestapelt und dessen Bewohner ihnen alles andere als wohlgesinnt sind. Diese glauben nämlich, dass das Trommelgeräusch, das in einem bestimmten Zeitabstand immer wieder aus den überall in der Stadt postierten Lautsprechern ertönt, ein Signal der Götter ist, woraufhin die Bewohner Opfer bringen müssen, indem sie sich gegenseitig töten und die Leichen an den Lautsprechermästen aufhängen. Was die Gestaltung und die Atmosphäre in der Stadt Lud angeht, schimmert eindeutig der Horrormeister Stephen King durch.

Nach dem etwas eigenartigen und langatmigen ersten Teil und dem zweiten Teil, der durch das Zustoßen von Eddie und Susannah ein bisschen spannender wurde, geht es im dritten Band der Saga nun endlich richtig los mit den Abenteuern. Stephen King baut in seinen Roman nun mehr phantastische und abenteuerliche Aspekte ein und durch die Anwesenheit von Eddie und Susannah wird die Geschichte auch noch mal ein bisschen aufgefrischt.

Schon von Anfang an tut sich bei Roland allerdings ein Problem auf, weswegen er beinahe wahnsinnig wird. Dadurch, dass er in der letzten Tür den Tod von Jake verhindern konnte und somit seine und Jakes Vergangenheit so änderte, dass ein Paradoxon entstand und sich nun beide an zwei verschiedene Geschehnisse erinnern, werden beide wegen der Stimmen, die sich in ihrem Kopf darüber streiten, was denn nun wirklich passiert ist, beinahe wahnsinnig. Jake hat auf einmal Gedächtnislücken und schreibt eigenartige Aufsätze, die zum Teil vom Revolvermann und zum anderen Teil von offensichtlich sinnlosen Dingen handeln, sucht ständig nach einem Weg oder einer Tür, durch die er wieder in die Welt des Revolvermannes zurückkann, ist hin- und hergerissen darüber, ob er nun wirklich gestorben ist oder nicht, und kommt nicht mehr zur Ruhe. Ebenso Roland: Die Frage, ob es einen Jungen namens Jake gab oder nicht gab und ob er ihn getroffen hat oder nicht, macht ihn völlig meschugge. Jake weiß, dass er diese Stimmen nur loswird, wenn er in die Welt des Revolvermannes zurückkehrt, und auch der Revolvermann ahnt, dass Jake versuchen wird, Mittwelt zu betreten.

Doch die Zeit, bis Jake endlich wieder nach Mittwelt zurückkehren kann, zieht sich hin. Wir folgen Jake auf Schritt und Tritt, wenn er in die Schule geht und dann schwänzt, weil er wegen seines eigenartigen Aufsatzes Panik bekommt, und wir folgen ihm weiter, als er in einer Buchhandlung Bücher kauft, er Stress mit seinen Eltern hat und er immer weiter nach der einen Tür sucht, die ihn wieder zurück nach Mittwelt bringt. Dabei wird seine Geschichte so erzählt, dass er immer „fast“ am Ziel ist und er sich ständig sicher ist, dass die nächste Tür ihn nach Mittwelt bringt. Nach einer Weile wird das daher irgendwann etwas langweilig und nervig.

Aber sobald Jake dann endlich bei Roland, Susannah und Eddie in Mittwelt gelandet ist und dort auch bald einen Billy-Bumbler namens Oy kennenlernt – ein katzen- und hundähnliches kleines Tier, das sprechen kann – wird die Geschichte zunehmend interessanter und spannender. Jake wird bald schon von einem Mann aus Lud entführt und Roland, der sein Versprechen, Jake nicht mehr im Stich zu lassen, nicht brechen will, versucht, ihn zu retten. Währenddessen machen sich Susannah und Eddie auf die Suche nach einem Zug namens Blaine, der ihnen zwar, wie sie wissen, nicht gut gesinnt ist, aber den einzigen Weg darstellt, um dem Dunklen Turm näherzukommen.

Blaine der Mono, so der komplette Name des Zuges, war für mich das Highlight in „tot.“ Bei ihm handelt es sich um einen sprechenden Zug, der mit Überschallgeschwindigkeit seine Strecke fährt und Rätsel liebt. In Jakes Aufsatz steht „Blaine der Mono ist eine Pein“, was sich später auch als wahr herausstellen soll. Wodurch genau, werde ich allerdings für mich behalten.

Der Schreibstil von Stephen King ist natürlich auch in „tot.“ stets passend und noch immer faszinierend. Stephen King schafft es einfach, seiner Geschichte mit einer mitreißenden Erzählweise immer eine passende Atmosphäre zu verpassen, was sich vor allem in Lud zeigt, wo die Atmosphäre immer ein wenig bedrohlich und unheimlich ist, oder auch beim Handlungsstrang um Blaine, wobei sich die Spannung zunehmend steigert.

_Fazit:_

Zwar war der zweite Band der Saga schon nicht schlecht, doch „tot.“ hat sowohl den ersten als auch den zweiten Band eindeutig übertroffen. Die Geschichte wird nun richtig spannend und abenteuerlich.

_Der Autor:_

Stephen Edwin King wurde am 21. September 1947 in Portland, Maine, geboren. Er schrieb unter anderem auch unter Pseudonymen wie Richard Bachman und John Swithen. Er ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Horror-Schriftsteller und hat bislang mehr als 400 Millionen seiner Bücher verkaufen können. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls Schriftstellerin ist, in Maine und Florida.

|Originaltitel: The Waste Lands – The Dark Tower III
Originalverlag: Viking
Übersetzt von Joachim Körber
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 784 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-01216-5|
http://www.heyne.de
http://www.stephenking.com
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_Mehr von Stephen King auf |Buchwurm.info|:_

[„Wahn“ 4952
[„Qual“ 4056
[„Sunset“ 5631
[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Brennen muss Salem“ 3831 (Hörbuch)
[„Briefe aus Jerusalem“ 3714 (Hörbuch)
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Hörbuch)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Hörbuch)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Hörbuch)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Hörbuch)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum“ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45
[„Kinder des Zorns / Der Werwolf von Tarker Mills“ 5440 (Hörbuch)
[„Nachtschicht 2“ 5651 (Hörbuch)

Barclay, James – dunkle Armee, Die (Die Kinder von Estorea 3)

Mit [„Der magische Bann“ 5706 war die Geschichte um die Aufgestiegenen bzw. den Krieg zwischen der estoreanischen Konkordanz und dem Königreich von Tsard zunächst abgeschlossen. Die Konkordanz konnte den Sieg davontragen, das Gleichgewicht in Estorea wurde wiederhergestellt, und auch die Stellung der als abtrünnig geltenden Kinder Westfallens hatte sich im Zuge dessen verbessert. Warum aber hat Autor James Barclay den Strang so zielstrebig auf ein Finale zusteuern lassen? Gute Frage, nächste Frage …

Nun, wer Barclays Raben-Legenden jedoch kennt, weiß, dass der gute Herr immer noch genügend Ideen im Hinterkopf hat, um eine in sich vollendete Geschichte noch einmal völlig aus ihren Fugen zu reißen und mit noch eleganter passenden Puzzleteilen neu zusammenzuflicken. Ähnliches hatte der Mann hinter „Die Kinder von Estorea“ auch im dritten Band im Sinne, der sich zehn Jahre nach den bedeutungsschwangeren Ereignissen in Estorea ansiedelt. Wie nämlich erwartet, ist „Die dunkle Armee“ der Auftakt einer noch viel größeren Sache …

_Story_

Seit dem Sieg über die Legionen aus Tsard ist in Estorr wieder Frieden eingekehrt. Mit Eifer arbeiten die verbliebenen drei Aufgestiegenen in speziellen Akademien daran, ihr Erbe weiterzugeben und den Aufstieg zu vervollkommnen. Zur gleichen Zeit meldet sich aber auch ihr einstiger Bruder Gorian zurück. Dieser hat in den letzten Jahren sein Bündnis mit dem Tsardonischen König ausgeweitet und unterdessen auch seine magischen Fähigkeiten kontinuierlichen verbessern können. Während die Spannungen innerhalb der Konkordanz einen neuen Höhepunkt erreichen und Advokatin Del Aglios ständig mit der Kanzlerin wegen der Berechtigung des Aufstiegs in Konflikt gerät, streut der letzte Aufgestiegene eine faule Saat aus und kreiert eine wahrhaftig tödliche Waffe. Gorian besitzt nunmehr die Fähigkeit, die Toten zu erwecken und über ihre leblosen Körper zu verfügen. Die nichtsahnenden Vertreter der Konkordanz müssen hilflos mit ansehen, wie Teile ihres Herrschaftsgebiets von einer Armee der Toten niedergerannt werden, die sich dabei beständig vergrößert, indem sie sich die Überlebenden ihrer Opfervölker gleich einverleibt.

Roberto Del Aglios und seine engsten Verbündeten Dina Kell und Pavel Nunan kämpfen an vorderster Front gegen die finstere Armee, müssen jedoch hilflos mit ansehen, wie ihre eigene Legion Stück für Stück dezimiert wird. Selbst die Aufgestiegenen wissen keinen Ausweg mehr, zumal sich Gorian die Dienste seines Sohnes Kessian gesichert hat. Noch während die Konkordanz auf politischer Ebene völlig auseinanderzubrechen droht, marschiert Gorians Heer Richtung Estorr, um das wankelmütige Reich endgültig zum Einsturz zu bringen – und seine einstigen Gefährten auf grauenvolle Art und Weise zu vernichten …

_Persönlicher Eindruck_

Obschon es eigentlich tunlichst vermieden werden sollte, „Die Kinder von Estorea“ mit den beiden Raben-Zyklen aus Barclays Feder zu vergleichen, drängt sich eben jener Vergleich nun zum ersten Mal richtig penetrant auf. Denn gerade in “Die Legende des Raben“ galten bereits mehrere Stränge als endgültig und final, wurden dann aber wieder neu aufgerissen und komplett durcheinandergewirbelt. Genau diesen Schritt wagt der Autor nun auch in „Die dunkle Armee“, wenngleich etwas besser vorbereitet und mit deutlich geringerem Überraschungseffekt.

Der Zeitsprung, den die Handlung vollzieht, scheint aber dennoch sehr gewagt, da sich die Situation in den letzten Bänden erheblich zugespitzt hatte und es nun nicht gänzlich glaubwürdig klingt, dass die Entwicklungen in Estorea nur noch vergleichsweise langsam voranschreiten. Zwar ist es nachzuvollziehen, dass Gorian eine ganze Weile braucht, um sein intrigantes Spiel anzuzetteln und seine Macht zu erweitern, und ebenso scheint es verständlich, dass sich die Konkordanz neu ordnen und aufstellen muss, um nicht in ihrem eigenen politischen Sumpf zu ersticken. Und dennoch ist diese Dekade ein großer, in der Relation nicht mehr ganz so überschaubarer Zeitraum, der letzten Endes etwas ungünstig gewählt scheint.

Im Zusammenhang mit dem, was sich in „Die dunkle Armee“ schließlich zuträgt, sind solche analytischen Diskussionen allerdings eher Erbsenzählerei, da Barclay in Windeseile ein riesiges neues Fass aufmacht und einen neuen Story-Komplex ankurbelt, der in seiner Machart ebenfalls an den Raben erinnert, aufgrund der vielen authentisch anmutenden Ereignisse aber stellenweise noch ergreifender geschildert wird. Handelte es sich bei seinen legendären Zyklen in erster Linie um reine Fantasy-Werke, die zu großen Teilen auf den typischen Inhalten der modernen Phantastik beruhten, manifestiert sich in diesem dritten Roman nun immer mehr der Eindruck, dass „Die Kinder von Estorea“ trotz des fiktiven, ebenfalls phantastischen Settings viel näher an der Realität orientiert ist. Das ausgeklügelte politische System, das immer mehr an Bedeutung gewinnt, spielt hier ebenso eine Rolle wie die Zeichnungen der Charaktere. Aber auch die beklemmende Situation, in die das Land und die bekannten Figuren hier hineingeraten, wirken zusehends mehr der Realität entsprungen und heben sich ganz klar von den viel zitierten traditionellen Elementen der modernen Fantasy ab.

Die Frage für den aktuellen Roman lautet nun, inwiefern diese Entwicklung gut ist und wie sie sich auf den Verlauf der Geschichte auswirkt. Doch gerade hier kann man ein ausschließlich positives Resümee ziehen, da der gesamte Komplex noch viel dichter und intensiver erzählt wird und die einzelnen Stränge noch ein deutlich größeres Potenzial aufweisen als der Krieg gegen die Tsardonier in den ersten beiden Bänden. Die Hauptdarsteller sind inzwischen enge Vertraute, das politische Wirrwarr hat man endlich durchschaut, und auch die Rollen der vielen Würdenträger in Estorea sind geklärt. Insofern hatten die letzten beiden Bücher rückblickend eher die Funktion einer Einleitung zu den Ereignissen, die sich nun hier in „Die dunkle Armee“ zutragen, dies natürlich sehr ausführlich und sehr spannend geschrieben und in letzter Instanz auch sehr überzeugend umgesetzt, aber eben auch noch steigerungsfähig – und damit sind wir nun beim zweiten Doppelpack, der mit dem dritten Band beginnt und in „Die letzte Schlacht“ das hier bereits vorbereitete Finale präsentieren wird.

Die gesamte Story ist noch viel umfassender als das Plot-Konstrukt der ersten Romane. Die Fehden verlaufen sich in weitreichendere Instanzen, die Konfliktparteien kämpfen wegen undurchsichtigerer Motive, und die Erzählung selber wird viel härter und aggressiver, da die Schlachten hier schonungsloser und ohne jegliche Rücksicht ausgetragen werden. Dennoch spielt Barclay seine Stärken dieses Mal nicht in erster Linie auf dem Schlachtfeld aus, sondern vermehrt auf der emotionalen Ebene. Die zwischenmenschlichen Schauplätze bekommen weitaus mehr Beachtung und werden teilweise sehr dramatisch geschildert. Hass, Verzweiflung, Wut, Trauer, Vertrauen und Treue gelten zu den wichtigsten Grundlagen der Story und sind immer wieder Aufhänger für die zahlreichen, ineinander verwobenen Konflikte innerhalb des Plots.

Dabei soll natürlich nicht vergessen werden, dass der Krieg in einem neuen Ausmaß begonnen hat und die bislang noch nicht so aktiv in Erscheinung getretenen Protagonisten ein viel größeres Forum bekommen, allen voran Gorian Westfallen. Aber auch der bislang sehr unklare Einfluss der Kanzlerin wird deutlich, die Religion gerät näher in den Fokus, und während sich Tsardonier und die Legionen der estoreanischen Konkordanz ein weiteres Mal auf den Feldern gegenüberstehen, gewinnen die hintergründigen Geschichten immer mehr an Bedeutung.

Das Ergebnis ist einmal mehr beeindruckend und ein blendendes Beispiel dafür, wie man die moderne Fantasy interpretieren kann, ohne dabei einzig und alleine auf die klassischen Elemente der Phantastik zurückgreifen zu müssen. Mit „Die dunkle Armee“ hat der Vierteiler in seiner Intensität ein völlig neues Gesicht bekommen und eine Form gefunden, die sich endlich auch wieder mit dem „Raben“ vergleichen lässt.

|Originaltitel: A Shout for the Dead (Teil 1)
Übersetzt von Jürgen Langowski
Mit Illustrationen von Paul Young
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Paperback, Broschur, 464 Seiten|
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_James Barclay auf |Buchwurm.info|:_

|Die Chroniken des Raben|:

[„Zauberbann“ 892
[„Drachenschwur“ 909
[„Schattenpfad“ 1386
[„Himmelsriss“ 1815
[„Nachtkind“ 1982
[„Elfenmagier“ 2262

|Die Legenden des Raben|:

[„Schicksalswege“ 2598
[„Elfenjagd“ 3233
[„Schattenherz“ 3520
[„Zauberkrieg“ 3952
[„Drachenlord“ 3953
[„Heldensturz“ 4916

|Die Kinder von Estorea|:

[„Das verlorene Reich“ 5328
[„Der magische Bann“ 5706

Wallner, Michael – Blutherz

Zurzeit ist Hochsaison für die romantische Vampirliteratur. Als literarischer Vorreiter gilt hierbei Bram Stokers „Dracula“, der mit spitzen Zähnen, mystischer und geheimnisvoller Aura, seiner Unsterblichkeit und einen ziemlich niedrigen Sonnenschutzfaktor auf die Jagd nach Blut zum Urvater der Vampire geworden ist.

Doch auch das Rad der Zeit dreht sich in der Fantasy-Literatur weiter, und so gibt man den Fürsten der Dunkelheit viel Raum und Zeit, sich zu entwickeln, sei es nun zum Bösen oder zum Guten hin. Die Grundkonzeption eines Vampirs gleicht aber allzu oft einer Schablone und einem Klischee, an dem der Großteil der Urheber nicht vorbeizukommen scheint.

Der klassische, aber auch der moderne Vampir ist und bleibt von attraktiver Erscheinung, eine gewisse Erotik ist ihm ebenso von Vorteil wie auch sein Wissen oder seine Körperkraft. Es gibt noch einige Grundeigenschaften, und sie alle findet man bei diesen Schattengestalten meist gesammelt wieder. Doch einige Eigenschaften und Fähigkeiten sind variabel, z. B. die Sonnenschwäche oder die Aversion gegenüber christlicher Symbolik.

Doch die Kunst der Verführung beherrschen sie alle, und sie setzen diese auch stets ein, um ihr Ziel zu erreichen, aber nicht immer ist dies das Trinken von Blut.

Im Verlag |cbt| ist mit Michael Wallners „Blutherz“ ein weiterer Vampirroman dieser Ausrichtung erschienen und richtet sich erkennbar an die etwas jüngere Leserschaft.

_Kritik_

Samantha Halbrook ist erst 17 Jahre jung, als sie die Stelle als Lernschwester in einer Londoner Klinik antritt. Endlich hat sie ihre eintönige Heimat Lower Liargo an der schottischen Grenze liegt hinter sich gelassen. Das Stadtleben in einer Metropole wie London verspricht Abwechslung und Aufregung, und genau das ist Samanthas Erwartungshaltung.

Als Samantha eines Abends vom attraktiven und jungen Taddeusz Kóranyi in einem exklusiven Club eingeladen wird, staunt sie nicht schlecht. Der geheimnisvolle Mann übt eine gewissen Faszination aus, und auch er scheint Interesse an Samantha gefunden zu haben. Aber warum wirkt er dann verwirrt und völlig aus dem Konzept gekommen, als Samantha ihm spontan einen Kuss gibt?

„Teddie“ verschwindet genauso schnell, wie er Samanthas Leben betreten hat, und sie findet sich mit dieser flüchtigen Begegnung ab, bis sie eines Tages eine offizielle, sehr formelle Einladung unter ihrer Zimmertür findet. Schon als sie die eindrucksvolle Villa der Familie Kóranyi betritt, wird ihr klar, dass diese reich und mächtig sein muss.

Valerian Kóranyi begrüsst Samantha wie eine alte Freundin und stellt sie den anderen Gästen offiziell als Teddies Freundin vor. Samantha ist immer verwirrter: erst diese Distanz, und nun soll sie offiziell ein Teil der Familie Kóranyi sein.

Valerin macht seinen ältesten Sohn Teddie zum Nachfolger des Familienunternehmens und überlässt ihm die wirtschaftlichen Geschicke. Als Richard, Teddies jüngerer Bruder, am Tisch eine kleine Szene veranstaltet, wird die ganze Situation noch geheimnisvoller. Richard scheint erstaunt über die Anwesenheit Samanthas zu sein, doch diese hat nicht die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Doch es bleibt nicht bei dieser einen Begegnung mit Richard, denn er versucht immer wieder, Samantha vor einer Bedrohung zu warnen, und beobachtet sie. Samantha, die sich in Teddie verliebt hat, wird nach der ersten gemeinsam in Leidenschaft verbrachten Nacht schwanger. Schon in den ersten Tagen und Wochen stellt Samantha fest, dass die Schwangerschaft zeitlich viel schneller verläuft als normal und so die Lage recht kompliziert wird.

Als Richard sie über seine Familie aufklärt und beweisen kann, dass sie die Braut eines Vampirs geworden ist, sucht sie nach einem Ausweg für sich und ihr ungeborenes Kind. Doch Valerian Kóranyi und sein Sohn Teddie wissen schon über die nächsten Schritte der Flüchtigen Bescheid, die sie quer durch Europa führen werden …

_Kritik_

Vampire stehen momentan in der phantastischen Literatur hoch im Kurs. Die Grundidee, dass sich eine junge Frau in einen geheimnisvollen Mann verliebt und wenig später feststellen muss, dass dieser ein Vampir ist, ist wahrlich nichts Neues mehr. In „Blutherz“ greift auch Autor Michael Wallner zu sattsam bekannten und allzu bewährten Mitteln, doch gelingt es ihm noch, seinem Roman in Grundzügen den nötigen Biss zu verpassen.

„Blutherz“ ist für Jugendliche Leser geschrieben und die Handlung daher auch aus der Perspektive von Samantha erzählt. Die junge Frau ergibt sich aber nicht ihrem Schicksal und mausert sich stattdessen von einem stillen Mauerblümchen zu einer selbstbewussten Frau, die offen gegen die dunklen Mächte ankämpft, und das mit beachtlichen Erfolg.

„Blutherz“ bietet dem Leser allerdings auch kein neues Konzept, keine waghalsigen und spektakulären Szenen, die den Leser aufschrecken. Das tragische Schicksal und die unerwartete Hilfe eines Verbündeten, in diesem Falle die des Bruders ihres angehimmelten Liebsten, lassen den Leser schon frühzeitig wissen, was der Roman an Dramatik zu bieten haben wird.

„Blutherz“ wirkt besonders am Anfang düster und geheimnisvoll, auch spannend, aber leider zu keiner Zeit wirklich überraschend. Samanthas Vergangenheit und familiärer Background bleiben bis zum Ende hin verborgen; die Handlung explodiert dann aber in einem Showdown, dessen Tempo zu hoch angesetzt ist.

„Teddie“ als vampirische Schlüsselfigur wirkt nur als Verführer, steht aber stets im Schatten seines Vaters Valerian, der doch nicht gewillt ist, das Ruder der Familie an seinen Sohn abzugeben. Er spielt den ‚bösen‘ Part recht gut, der eigentlich seinem Sohn hätte überlassen werden sollen. Richard Kóranyi, der etwas schwächliche Bruder, wächst ebenso über sich hinaus wie Samantha und entwickelt sich zum stillen Helden.

Michael Wallners Stil verändert sich mit der Handlung. Anfangs spannend und unterhaltsam, vollzieht sich zur Mitte hin ein erzählerischer und stilistischer Bruch. Das Tempo steigt zwar rasant an, doch die Protagonisten laufen hinterher und verrennen sich in diversen Klischees. Positiv zu sehen sind Samanthas Erfahrungen und Begegnungen im Krankenhaus; dieser Part ist realistisch und einfühlsam beschrieben, und Michael Wallner beleuchtet auch das Thema Organspende und die Überlebenschancen bei Patienten, die auf ein Spenderorgan warten. Auch der Missbrauch und der Handel mit Organen werden hier realistisch dargestellt.

Im weiteren Verlauf von „Blutherz“ bekommen es Samantha und Richard übrigens mit Anhängern einer Sekte zu tun, die den Vampiren wohl zu Diensten sind, aber dieser Abschnitt war überflüssig für die Handlung und inhaltlich teilweise unlogisch.

Samanthas Motivation, ihr Heil in der Flucht nach vorn zu suchen, bringt sie in ihrer Entwicklung deutlich weiter; nicht nur ihr Selbstbewusstsein steigt, sondern auch ihr Verhältnis zu Teddie, den sie trotz allem liebt, verändert sich, und auch ihre Haltung gegenüber Richard, der ihr treu zur Seite steht, bleibt nicht ohne Komplikationen.

_Fazit_

„Blutherz“ von Michael Wallner ist vor allem ein Jugendbuch und spricht eher Mädchen ab 14 Jahren an. Der nötige ‚Biss‘ allerdings fehlt dem Buch; zwar sind die Protagonisten einfallsreich und originell eingesetzt, auch wenn sich der Autor so manchen Klischees bedient, auch der Anfang des Romans ist vielversprechend, aber leider vollzieht sich nach Einführung der Hauptpersonen ein Bruch, der viele Fragen einfach nicht beantwortet und manche Ereignisse unlogisch dastehen lässt.

Michael Wallner ist sicherlich ein sehr guter Autor von Jugendromanen, das hat er zuletzt mit [„Zeit des Skorpions“ 5174 bewiesen, doch hier erweckt er den Eindruck, als wäre er mit sich und seiner Erzählung selbst nicht zufrieden. „Blutherz“ verfügt über einen flotten Stil und genretypische Protagonisten, die anfangs verzaubern und später enttäuschen. Das Ende verrennt sich in einem undurchschaubaren Fiasko, und es bleiben eine Menge Fragen übrig, die niemand je beantworten wird. „Blutherz“ ist ein in sich abgeschlossener Roman, allerdings hat man sich wohl die Hintertür offen gelassen um eine mögliche Fortsetzung zu schreiben.

„Blutherz“ ist leider nicht überzeugend; die Chance war ganz klar vorhanden, etwas Besonderes zu verfassen, im zweiten Teil wird diese aber endgültig vertan, so dass die Lektüre letzten Endes nur von durchschnittlicher Qualität bleibt.

|Empfohlen ab 14 Jahren
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-16046-6|
http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/

Karl Edward Wagner – Conan und die Straße der Könige

Wagner Conan Strasse der Koenige Cover 1995 kleinDas geschieht:

Conan, der Barbar aus dem eisigen Norden dieser Welt des hyborischen Zeitalters, dient im Söldnerheer König Rimanendos von Zingara. Stationiert ist er in der Haupt- und Hafenstadt Kordava. Als Conan im Zweikampf einen Vorgesetzten tötet, wird er vom General Korst zum Tode verurteilt. Unter dem Galgen trifft er Santiddio, einen der Anführer der „Weißen Rose“, einer Widerstandsbewegung, die den grausam und skrupellos herrschenden König stürzen und Zingara in eine Republik umwandeln wollen. Santiddios Zwillingsschwester Sandokazi kann den Bruder mit der Unterstützung des Banditenkönigs Mordermi in letzter Sekunde retten, und Conan schließt sich ihnen gern an.

Die Flüchtlinge schlüpfen in der „Grube“ unter: Nach einem verheerenden Erdbeben wurde Kordava auf den Trümmern der alten Stadt neu errichtet. Unterhalb des modernen Straßenniveaus blieben Keller und Gassen erhalten. In dieser Unterwelt hat sich eine kriminelle aber verschworene Parallel-Gesellschaft eingerichtet, die von der Stadtwache in Ruhe gelassen wird. Karl Edward Wagner – Conan und die Straße der Könige weiterlesen

King, Stephen – Drei (Der Dunkle Turm II)

|Der Dunkle Turm:|

Band 1: [Schwarz 5661
Band 2: Drei
Band 3: Tot
Band 4: Glas
Band 5: [Wolfsmond 153
Band 6: [Susannah 387
Band 7: [Der Turm 822

Erschöpft und völlig verwirrt wird Roland nach dem Zusammentreffen mit dem Mann in Schwarz an einen verlassenen Strand gespült. Die Monsterhummer, die an diesem Strand leben und immer des Nachts herauskommen, ihre Fragen stellen und alles, was sie finden können, auffressen, nutzen die Schwäche des Revolvermanns aus und beißen ihm zwei Finger der rechten Hand ab. Roland kann sich mit letzter Kraft retten, doch das Gift der Monsterhummer treibt in seinen Venen bereits sein Unwesen, was ihn mit jedem Tag noch schwächer und kränker macht.

Eines Tages entdeckt Roland eine seltsame Tür mitten am Strand. Als er diese öffnet, findet er sich in einer vollkommen fremden Welt – und in einer fremden Person – wieder. Diese Person ist der Junkie Eddie Dean, der gerade dabei ist, Kokain in die USA zu schmuggeln und seinen Bruder Henry aus den Klauen eines Drogenbosses zu befreien. Als Eddie die Anwesenheit von Roland spürt, ist er gänzlich verwirrt und glaubt erst, es läge an den Drogen. Diese Vermutung stellt sich allerdings bald als falsch heraus, und als Eddie die Gefahr droht, dass seine geschmuggelten Drogen bemerkt werden, hilft ihm Roland und nimmt ihn letztendlich in seine Welt mit.

Dort schlagen sich die beiden weiter durch, bis sie die zweite Tür erreichen. Durch diese gelangt der Revolvermann in den Körper einer schwarzen, schizophrenen Frau im Rollstuhl, die gerade dabei ist, Modeschmuck in einem Geschäft zu klauen. Die Frau ist über Rolands Anwesenheit so überrascht und zornig, dass er sofort eingreifen muss und sie, ohne direkten Kontakt mit ihr aufzunehmen, in seine Welt zieht. Dort lernen er und Eddie ihre zwei völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten kennen, die jeweils von der Existenz der anderen nichts wissen: einmal Odetta Holmes, eine freundliche und adrette Dame, in die sich Eddie schließlich verliebt, und auf der anderen Seite Detta Walker, eine diebische, ordinäre und gewaltbereite Frau, die Roland und Eddie umbringen will.

Trotz vieler Komplikationen wegen Detta Walker und Rolands voranschreitender Krankheit erreichen die drei schließlich auch noch die letzte Tür, hinter der sich der Tod verbirgt …

_Eindrücke:_

Nachdem Stephen King den Revolvermann Roland im ersten Band „Schwarz“ durch die karge und trostlose Wüste seiner Welt den Mann in Schwarz hat verfolgen lassen, kehren wir der Wüste nun den Rücken zu. Zwar befinden wir uns noch immer in derselben verlassenen und sterbenden Welt, aus der Roland stammt, jedoch wird die Wüste gegen einen Strand mit Felsen im Hintergrund ausgetauscht. Dennoch hat auch dieser Handlungsort an Trostlosigkeit und Leere nichts eingebüßt: Roland ist vollkommen allein am Strand, zählt man die Monsterhummer, die des Nachts mit ihrem „Did-a-chick?“ und „Dud-a-chum?“ aus dem Meer herauskommen und nach etwas Essbarem – ob tot oder lebendig – suchen, nicht mit. Am Strand gibt es kaum Vegetation, nur Sand und Felsen, wohin der Blick auch fällt.

Doch Roland bleibt nicht lang allein. Das Mischen hat begonnen, welches ihm die drei Gefährten, die ihm vom Orakel prophezeit wurden, zuspielen soll. Für den Revolvermann öffnet sich die erste Tür und er gelangt somit in Eddie Deans Körper, einem Junkie aus unserer Welt. Dieser Trip in eine völlig andere Welt, die der Revolvermann nicht kennt, stellt einen klaren Kontrast zu seiner eigenen Erfahrung dar: Seine Welt ist karg, trist und verlassen, die Welt Eddie Deans ist voller Leben und Reichtum, und die Menschen, die dort leben, haben eine völlig andere Mentalität als jene in Rolands Welt. Nur in einer Sache unterscheiden sich die beiden Welten nicht: In beiden gibt es Monster, die sich lediglich in ihrer Vorgehensweise und ihrem Aussehen unterscheiden. Dieser Unterschied beider Welten wird nicht nur in der Beschreibung deutlich, sondern auch durch die Atmosphäre, welche beide erzeugen.

Aber nun zum wichtigsten Punkt: Während Roland in Band eins noch hauptsächlich allein unterwegs war, einmal abgesehen von Jake, bekommt er nun Gefährten, die ihn bei der Suche nach dem Turm begleiten und ihm helfen sollen.

|Der Gefangene|

Da wäre natürlich zuerst einmal Eddie Dean. Eddie Dean wird in der Prophezeiung des Orakels als der Gefangene bezeichnet, der von einem Dämon namens Heroin besessen und süchtig ist. Eddie ist ein junger Mann, der bei Rolands Ankunft in seinem Kopf gerade dabei ist, Kokain in die USA zu schmuggeln, um dort seinen Bruder zu „retten“. Seinen Bruder, Henry Dean, vergöttert und bewundert er, weil er immer auf ihn aufgepasst hat. Er hat Schuldgefühle und möchte seinem Bruder nun endlich zeigen, dass er auch etwas für ihn tun kann. Dabei ist das, was Henry Dean für seinen Bruder getan hat, nicht wirklich der Rede wert und es lässt vermuten, dass er für seinen kleinen Bruder bei weitem nicht so viel empfunden hat wie Eddie zu ihm.

Obwohl Eddie Dean auf den ersten Blick aufgrund seiner Heroinsucht eher schwach zu sein scheint, stellt er sich letztendlich als ein würdiger Partner des Revolvermanns heraus und entdeckt in der „Herrin der Schatten“ seine große Liebe.

|Die Herrin der Schatten|

Sie kommt auf Rädern, das war alles, was das Orakel verraten konnte. Diese Räder stellen sich als Rollstuhl heraus, der aber genau besehen nicht nur eine Person transportiert. Die reiche Schwarze Odetta Holmes lebt in jener Zeit, in der Schwarze noch offen diskriminiert wurden, und hat trotz ihres Standes schon viel mitgemacht. Zu guter Letzt hat jemand sie vor einen Zug geschubst, weshalb sie nun keine Beine mehr hat. Durch einen ihrer Unfälle wurde sie schizophren und entwickelte ihre zweite Persönlichkeit, Detta Walker, die im Gegensatz zu der höflichen Odetta ein ordinäres Miststück ist. Als sie zu Roland und Eddie stößt, haben die beiden immer wieder mit ihrer zweiten Persönlichkeit zu kämpfen, da diese die „blassen Wichsah“ nicht ausstehen kann und sie umbringen will.

Als die drei Gefährten mit Müh und Not die letzte Tür erreichen und Roland schon so gut wie am Ende seiner Kräfte ist, entscheidet sich, wer die letzte Person ist, die der Revolvermann durch diese Tür erreichen kann. Auf dieser Tür steht lediglich „Der Schubser“. Wer das ist und warum es Roland anfänglich so viel Überwindung kostet, sich mit der letzten Person auseinanderzusetzen, behalte ich allerdings für mich.

Was Roland angeht, so erfährt der Leser nun langsam auch etwas mehr über ihn und seine Vergangenheit. Zwar sind dies zunächst nur Bruchteile, die noch wenig Sinn ergeben, aber man wird mehr in seine Gefühlswelt eingeführt. Jakes Schicksal macht ihm schwer zu schaffen, und er hat Schuldgefühle, die ihn immer intensiver beschäftigen und alsbald in den Wahnsinn zu treiben drohen. Jake war für ihn wie ein Sohn und Roland möchte richtig lieben können, doch andererseits gibt es für ihn nichts Wichtigeres als den Dunklen Turm. Er ist besessen von ihm, und um ihn zu finden, geht er sogar über Leichen. Warum er so besessen davon ist, den Dunklen Turm zu finden, woher Roland eigentlich kommt und wer er ist, erfährt man allerdings immer noch nicht.

An manchen Stellen ist das Buch, vor allem wegen der teilweise lückenhaften Informationen über die Charaktere (insbesondere natürlich bei Roland), etwas verwirrend. Es werden Andeutungen gemacht, die man erst dann versteht, wenn die Handlung wieder ein Stück weiter fortgeschritten ist, oder man erfährt vorerst einmal gar nicht, was es mit bestimmten Andeutungen auf sich hat. Wenn man die Reihe „Der Dunkle Turm“ liest, ist es daher erforderlich, dass man aufmerksam liest und über die Bedeutung des Gelesenen auch nachdenkt. Wer pure Unterhaltungslektüre zum Abschalten erwartet, ist hier eindeutig falsch.

Nach wie vor ist die Schreibweise Stephen Kings faszinierend. Ob nun in Rolands Welt oder in der unsrigen, der Autor schafft es zu jeder Zeit, eine passende Stimmung aufzubauen und dabei immer ein wenig geheimnisvoll und auch ein wenig trist zu bleiben, was für diese Reihe absolut passend ist.

_Stephen King:_

Stephen Edwin King wurde am 21. September 1947 in Portland, Maine, geboren. Er schrieb unter anderem auch unter Pseudonymen wie Richard Bachman und John Swithen. Er ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Horror-Schriftsteller und hat bislang mehr als 400 Millionen seiner Bücher verkaufen können. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls Schriftstellerin ist, in Maine und Florida.

|Originaltitel: The Drawing of the Three – The dark tower II
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
Durchgesehene Sonderausgabe
576 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-453-01215-8|
http://www.heyne.de
http://www.stephenking.com
http://www.stephen-king.de

_Mehr von Stephen King auf |Buchwurm.info|:_

[„Wahn“ 4952
[„Qual“ 4056
[„Sunset“ 5631
[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Brennen muss Salem“ 3831 (Hörbuch)
[„Briefe aus Jerusalem“ 3714 (Hörbuch)
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Hörbuch)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Hörbuch)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Hörbuch)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Hörbuch)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum“ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45
[„Kinder des Zorns / Der Werwolf von Tarker Mills“ 5440 (Hörbuch)
[„Nachtschicht 2“ 5651 (Hörbuch)

Derleth, August (Hg.) – Paradies II

Sieben Kurzgeschichten dokumentieren den Status der Science-Fiction in den 1950er Jahren:

– Poul Anderson: Projekt Geistesblitz („Butch“), S. 7-39: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, lautet ein Sprichwort; der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Vorteil, denn als die Erdmänner den Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz katastrophal verpfuschen, bleibt eine Alternative …

– Isaac Asimov: Im Hinterhof („The Pause“), S. 39-54: Der Atomkrieg findet dank außerirdischer Einmischung nicht statt, doch haben die Friedensstifter wirklich nur das Wohl der Menschheit im Sinn …?

– Charles Beaumont: Der große Traum („Keeper of the Dream“), S. 54-64: Gibt es für die Wissenschaft eine Verpflichtung, die Welt vor allzu ernüchternden Gewissheiten zu schützen …?

– Arthur C. Clarke: Die Gedankenbotschaft („No Morning After“), S. 64-71: Der einzige Mensch, der die telepathische Warnung der Außerirdischen empfängt, ist nicht in der Stimmung, sie zu beherzigen …

– Philip K. Dick: Das Zeitschiff („Jon’s World“), S. 71-117: Die Zukunft soll mit Hilfe aus der Vergangenheit saniert werden, doch bei der Beschaffung des dafür notwendigen Wissens kommt es zu einem zeit- und dimensionserschütternden Zwischenfall …

– Robert Sheckley: Paradies II („Paradise II“), S. 117-133: Der wunderschöne Planet wird ausgerechnet durch eine fehlprogrammierten Lebensmittelfabrik zur bizarren Todesfalle …

– Clark Ashton Smith: Prometheus („Phoenix“), S. 134-144: In ferner Zukunft soll die erloschene Sonne neu entzündet werden …

_Gestalter-Profis einer vergangenen Zukunft_

Beginnen wir mit einer Widerlegung: „Weltberühmte Science Fiction-Stories“ mache Herausgeber August Derleth einst und der |Heyne|-Verlag jetzt dem Leser zugänglich, lesen wir auf dem Cover des hier vorgestellten Taschenbuches. Das trifft so keinesfalls zu; „Paradies II“ ist stattdessen Schnappschuss einer SF, die in erster Linie unterhalten möchte, wobei die Verfasser keinen (auch faulen) Trick scheuen. Routine kündet von solidem Handwerk, und so sollte man diese Geschichten lesen, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zwar haben Verfasser mit großen Namen zu dieser Sammlung beigetragen, was freilich nicht bedeutet, dass sie sich dafür intellektuell oder literarisch verausgabt hätten.

Oder legt der inzwischen verwöhnte Leser der Gegenwart andere bzw. strengere Maßstäbe an? Die Science-Fiction hat ihre literarischen Qualitäten längst unter Beweis gestellt. 1954 war dies einerseits anders, während andererseits durchaus angemahnte Schrecken einer möglichen Zukunft generell weniger subtil thematisiert wurden.

_Die rote Gefahr ist (welt-)allgegenwärtig_

Grundsätzlich beschreibt keiner unserer sieben Autoren eine Welt, in der zukünftig das Lamm beim Löwen liegt oder Wein und Honig fließen. Bei näherer Betrachtung gehen auch in die erdfern spielenden Geschichten sehr irdische und zeitgenössische Ängste ein. Isaac Asimov (1920-1992) bringt die ganz große Furcht der 1950er Jahre offen auf den Punkt: Nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion ist im Besitz der Atombombe. Sicherlich planen die roten Russen nur Böses, sodass die Guten – die Vereinigten Staaten – notgedrungen mitrüsten müssen.

Der gefahrenreichen Sinnlosigkeit des atomaren Wettlaufs ist sich Asimov bewusst. Er sorgt sich, aber er hat sich damit abgefunden, denn das ist der Preis, der für ein Leben in Freiheit zu zahlen ist; noch größer als die Angst vor der Bombe ist die Angst, den Sowjets ausgeliefert zu sein. Diese ‚realpolitische Schizophrenie‘ finden wir auch in den Storys von Poul Anderson (1926-2001) und Philip Kindred Dick (1928-1982).

In „Projekt Geistesblitz“ lässt Anderson Butch, den Außerirdischen, quasi in die Rolle des Fremden = Nicht-Amerikaners = Sowjets schlüpfen. Recht holprig und in der Auflösung albern legt der Autor immerhin die Mechanismen des Missverständnisses offen, das vor allem für Zwist sorgt. Als die Verständigungsproblematik gelöst ist, verschwindet die Gefahr eines (galaktischen) Krieges umgehend: Wer miteinander redet, schlägt sich nicht die Schädel ein. (Was allerdings keineswegs bedeutet, dass Butches Gastgeber bereit sind, den Besucher und sein Super-Wissen mit den ‚echten‘ Sowjets zu teilen – so weit geht die Analogie doch nicht …)

Arthur Charles Clarke (1917-2008) schildert humorvoll die Kehrseite der Medaille: Wollen sich die Menschen überhaupt retten lassen? Der Mann, an den sich die kosmischen Warner wenden, ist theoretisch in der Lage, die Botschaft zu verstehen. Leider unterschätzen die Außerirdischen das allzu Menschliche im Menschen: Besagter Mann hat Ärger im Job, leidet unter Liebeskummer und ist stockbetrunken. So profan zu begründende Kommunikationsprobleme sind unter den meist ungemein ernsthaft geschilderten „First contact“-Momenten der SF selten. Clarkes Scherz mag nicht gerade raffiniert sein, aber er funktioniert (heute) wesentlich besser als Asimovs theatralischer Frageschrei nach dem Bestandswert einer vom atomaren Schrecken befreiten Erde.

_Sehnsucht nach den Sternen_

In den 1950er Jahren begann der Mensch nachdrücklich nach den Sternen zu greifen. Als „Paradies II“ erschien, lag der eigentliche Sturm ins All zwar noch einige Jahre in der Zukunft, doch er zeichnete sich bereits ab. Selbstverständlich waren die zeitgenössischen SF-Autoren für die Erforschung des Alls, und dies mit einer Inbrunst, die heute naiv oder gar sträflich erscheint. Charles Beaumont (1929-1967) fasst das sicherlich unfreiwillig in überdeutliche Worte: Als der wissenschaftliche Nachweis für die Nutzlosigkeit der bemannten Raumfahrt erbracht ist, droht die Menschheit in eine kollektive Sinnkrise zu geraten. Beaumont spitzt den Fortschrittsbegriff auf die Weltraumforschung zu, die allein dem Geist noch frische Impulse zu geben und die geistige Degeneration zu verhindern vermag.

Robert Sheckley (1928-2005) ist dagegen Realist. Seine Raumfahrer durchstreifen das All nicht auf der Suche nach Wundern und Wissen. Sie wollen sich einen von Menschen bewohnbaren Planeten sichern und möglichst gewinnbringend ausbeuten. Sollte diese Welt bevölkert sein, ziehen es die ‚Besucher‘ durchaus in Betracht, die lästigen Konkurrenten unauffällig per Waffeneinsatz zu auszuschalten. Sheckley wäre allerdings nicht Sheckley, ließe er seine ‚Helden‘ nicht gerecht, grausam und einfallsreich büßen: Gier vernebelt den Verstand, und das rächt sich stets (wenn auch nicht immer so spektakulär wie hier).

Clark Ashton Smith (1893-1961) bildet das romantische Gegengewicht zu seinen naturwissenschaftlich geprägten Schriftstellerkollegen. Astronomie und Technik sind ihm nur Mittel zum Zweck, was sich daran erkennen lässt, dass die Qualität des von ihm eingeflochtenen „Techno-Babbels“ sogar im Laien den Drang zum heftigen Kopfschütteln entfacht: „Die Generatoren entzogen dem Kosmos negative Energie, die dazu verwendet wurde, die Schwerkraft eines Planeten oder einer Sonne aufzuheben.“ (S. 141). Von keiner Sachkenntnis beleckt ist auch das Bild einer erloschenen Sonne mit fester Aschekruste, unter der vulkanisches Feuer glost.

Aber Smith interessiert nicht der Weltraum, sondern der „inner space“ des zukünftigen Menschen. Ein junger Mann nimmt an einer gefährlichen Mission teil. Was Smith daran fesselt, ist die Liebesbeziehung dieses Mannes zu einer Frau, die zurückbleiben muss. Die daraus resultierenden Gefühle haben auch in der Hightech-Zivilisation einer fernen Zukunft Bestand.

Leider können entweder Smith oder sein deutscher Übersetzer die Balance zwischen glaubwürdiger Dramatik und Klischee nicht halten. Nur zeitweise entfaltet sich die erwünschte Wirkung. Damit steht Smith freilich in diesem Band nicht allein. Wenn überhaupt, so weicht allein Dick von der Einstrang-Erzähltechnik der anderen Texte ab. Schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zum innovativsten und radikalsten Vertreter einer ’neuen‘ SF stellt er in „Das Zeitschiff“ die Frage nach der Definition von „Realität“. Dicks Universum ist eine unsichere, nicht solide auf Naturgesetzen ruhende, sondern stets im Fluss befindliche Konstruktion. 1954 ist seine Interpretation noch tastend und unausgegoren, doch sie verleiht einer ansonsten konventionellen Zeitreise-Story einen beunruhigenden Beiklang, der den anderen hier gesammelten Geschichten abgeht.

_Anmerkung_

Wie in der ins Deutsche übersetzten Science-Fiction (aber nicht nur dort) viel zu lange üblich, wurde auch „Time to Come“ gekürzt, um diese Sammlung als „Paradies II“ auf das Norm-Maß von 144 Seiten zu bringen, für die der deutsche SF-Leser nach Verlags-Ansicht nur zu zahlen bereit war. Über solche Willkür kann man heute ausgiebig den Kopf schütteln. (Allerdings wurden auch spätere US-Ausgaben von „Time to Come“ ‚verschlankt‘.)

Der Vollständigkeit halber seien die fünf Erzählungen genannt, die unterschlagen wurden:

– Arthur Jean Cox: The Blight
– Irving Cox Jr.: Hole in the Sky
– Carl Jacobi: The White Pinnacle
– Ross Rocklynne: Winner Takes All
– Evelyn E. Smith: BAXBR/DAXBR

Selbstverständlich wurde auch das Vorwort des Herausgebers August Derleth gestrichen.

_Der Herausgeber_

August William Derleth wurde am 24. Februar 1909 in Sauk City (US-Staat Wisconsin) geboren. Schon als Schüler begann er Genre-Geschichten zu verfassen; ein erster Verkauf gelang bereits 1925. Die zeitgenössischen „Pulp“-Magazine zahlten zwar schlecht, aber sie waren regelmäßige Abnehmer. 1926 nahm Derleth ein Studium der Englischen Literatur an der „University of Wisconsin“ auf. Nach dem Abschluss (1930) arbeitete in den nächsten Jahren u. a. im Schuldienst und als Lektor. 1941 wurde er Herausgeber einer Zeitung in Madison, Wisconsin. Diese Stelle hatte Derleth 19 Jahre inne, bevor er 1960 als Herausgeber ein poetisch ausgerichtetes (und wenig einträgliches) Journal übernahm.

Obwohl August Derleth ein ungemein fleißiger Autor war, basiert sein eigentlicher Nachruhm auf der Gründung von „Arkham House“ (1939), des ersten US-Verlags, der speziell phantastische Literatur in Buchform veröffentlichte. Der junge Derleth war in den 1930er Jahren ein enger Freund des Schriftstellers H. P. Lovecraft (1890-1937). Dass dieser heute als Großmeister des Genres gilt, verdankt er auch bzw. vor allem Derleth, der (zusammen mit Donald Wandrei, 1908-1987) das Werk des zu seinen Lebzeiten fast unbekannten Lovecraft sammelte und druckte.

Lovecraft hinterließ eine Reihe unvollständiger Manuskripte und Fragmente. Derleth nahm sich ihrer an, komplettierte sie in „postumer Zusammenarbeit“ und baute den „Cthulhu“-Kosmos der „alten Götter“ eigenständig aus. Die Literaturkritik steht diesem Kollaborationen heute skeptisch gegenüber. Als Autor konnte Derleth seinem Vorbild Lovecraft ohnehin nie das Wasser reichen. Er schrieb für Geld und erlegte sich ein gewaltiges Arbeitspensum auf, unter dem die Qualität zwangsläufig litt.

Solo war Derleth mit einer langen Serie mehr oder weniger geistvoller Kriminalgeschichten um den Privatdetektiv Solar Pons erfolgreich, der deutlich als Sherlock-Holmes-Parodie angelegt war. Insgesamt veröffentlichte Derleth etwa 100 Romane und Sachbücher sowie unzählige Kurzgeschichten, Essays, Kolumnen u. a. Texte; hinzu kommen über 3000 Gedichte.

Nach längerer Krankheit erlag August Derleth am 4. Juli 1971 im Alter von 62 Jahren einem Herzanfall. Zum zweiten Mal verheiratet, lebte er inzwischen wieder in Sauk City, wo er auf dem St.-Aloysius-Friedhof bestattet wurde.

Websites:

– [derleth.org]http://www.derleth.org (The August Derleth Society)
– [waldeneast.co.uk]http://www.waldeneast.co.uk/index__ad.htm (The Only Place We Live: The August Derleth Pages)
– [arkhamhouse.com/augustderleth.htm]http://www.arkhamhouse.com/augustderleth.htm

_Impressum_

Originaltitel: Time to Come (New York : Farrar, Straus & Young 1954)
Übersetzung: Wulf H. Bergner
Deutsche Erstausgabe: 1970 (Wilhelm Heyne Verlag/SF Nr. 06/3181)
144 Seiten
[keine ISBN]
http://www.heyne.de

Sands, Lynsay – Ein Vampir zum Vernaschen

Lucern ist Schriftsteller und ein absolut repräsentativer Vertreter seiner Spezies: Er ist ein einzelgängerischer Eigenbrötler, der außerhalb seiner Familie keine sozialen Kontakte pflegt und sich stattdessen in seinem Haus verschanzt, ohne wenigstens sporadisch an der Welt teilzunehmen. Außerdem ist er ein Vampir (was vielleicht für Schriftsteller nicht unbedingt typisch ist), aber das nur nebenbei.

Früher hat Lucern Sachbücher zu verschiedenen historischen Themen geschrieben, doch irgendwann beschloss er dann, in einzelnen Romanen die Lebens- und Liebesgeschichten seiner Familie zu Papier zu bringen. Das hat ihn zu einem Star unter den Romanzen-Schriftstellern gemacht, und jede kleine Buchhandlung, Bibliothek und Ladenkette in den USA und Kanada möchte Signierstunden mit ihm. Und da kommt Kate C. Leever, ihres Zeichens Lucerns Lektorin, ins Spiel. Wiederholt versucht sie, Lucern davon zu überzeugen, dass er mehr mit seinen Fans interagieren sollte, doch Lucern lehnt jedes Mal wortkarg ab und ignoriert Kate ansonsten gekonnt. In einer letzten Verzweiflungstat fliegt Kate von New York nach Toronto, um Lucern persönlich davon zu überzeugen, dass er auf Lesetour gehen sollte. Natürlich hat sie ihren Besuch vorher schriftlich angekündigt, doch da Lucern seine Post höchstens einmal im Monat öffnet, ist er reichlich überrascht, als plötzlich seine Lektorin vor der Tür steht.

Natürlich können sich beide zunächst nicht leiden, doch mit etwas Hilfe von Lucerns kupplerischer Mutter wird dem Armen dann doch noch ein Public-Relations-Termin aufgedrückt, und zwar die riesige, mehrere Tage dauernde |Romantic Times Convention|, bei der sich Fans, Verlage und Schriftsteller in einem Hotel treffen.

Lucern ist alles andere als begeistert, und das, obwohl Kate und ihr Kollege Chris einzig zu seinem Wohl und seiner Unterhaltung zur Verfügung stehen und ihn geradezu babysitten, damit er auch nichts hat, worüber er sich beschweren könnte. Kate und er kommen sich näher, sie findet heraus, dass er nicht nur über Vampire schreibt, sondern tatsächlich einer ist, es kommt zu einigen Verwicklungen, und am Schluss darf Autorin Lynsay Sands ein tief empfundenes „Happy End“ unter ihre Paranormal Romance mit dem nicht gerade effektvollen deutschen Titel „Ein Vampir zum Vernaschen“ setzen.

„Ein Vampir zum Vernaschen“ ist eigentlich der dritte Teil von Sands „Argeneau-Serie“, doch |Egmont LYX| hat sich entschieden, den Roman als Band zwei zu veröffentlichen. Das ist für alle Puritaner unter den Buchliebhabern sicher ärgerlich, praktisch macht es allerdings kaum einen Unterschied, in welcher Reihe man die Bücher liest. Zwar tauchen immer wieder die gleichen Charaktere auf – nämlich die Mitglieder der Familie Argeneau -, doch behandelt jeder Roman die Liebesgeschichte einer anderen Figur. So ist es relativ gleichgültig, mit welchem Band man einsteigt.

Sicher, Lynsay Sands hat eine astreine Paranormal Romance geschrieben, und das Genre ist alles andere als ein Garant für literarische Qualität. Auch Sands‘ Bücher sind letztlich nichts weiter als Gebrauchsliteratur, die sofort ihren Reiz verliert, sobald man das Buch zugeklappt hat. Doch muss man Sands auch zugestehen, dass sie einige Ideen hat, die ihren Roman über das Einerlei der Liebesromane herausheben, wobei sie genügend schriftstellerisches Geschick besitzt, diese Ideen auch überzeugend umzusetzen. Damit ist „Ein Vampir zum Vernaschen“ eine definitive Verbesserung gegenüber dem Vorgänger [„Verliebt in einen Vampir“. 5796

So ist ihr erzählerischer Grundaufbau, nämlich den Roman im literarischen Betrieb anzusiedeln, geradezu metaliterarisch und sorgt wiederholt für Schmunzler und Aha-Effekte. Die Convention, auf die sie Lucern und Kate schickt (eher keine Konferenz, wie uns die Übersetzung weismachen will – das lässt den Leser an einen akademischen Anstrich glauben, den es so nicht gibt), existiert tatsächlich. Sie wird jährlich von der Zeitschrift |Romantic Times| ausgerichtet und ist ein Ort, wo man Fans und Autoren gleichermaßen treffen kann. Es gibt Kostümbälle, Signierstunden und offensichtlich auch die Möglichkeit, sich mal die ganzen gut gebauten Männer in natura anzuschauen, die sonst die Buchcover schmücken. Auch Kathryn Falk, die Gründerin der |Romantic Times|, kommt in einer kleinen (aber durchaus charmanten) Nebenrolle vor. Theoretisch macht dieses ungewöhnliche Setting den Roman für all jene interessanter, die die |Romantic Times| und deren Convention kennen, doch das wird wohl für kaum einen deutschen Leser zutreffen. Und trotzdem ist Sands‘ Einblick in den Schnulzenmarkt kurzweilig und auch humorig.

Da kann man ihr auch fast verzeihen, dass sie natürlich für ein Publikum schreibt, das eine ganze bestimmte Vorstellung von seinen Heldinnen und Helden hat, und dass ihre Liebesgeschichte dadurch natürlich einen formelhaften Anstrich bekommt. So ist ihre Heldin selbstverständlich unglaublich unabhängig und tough, in Liebesdingen aber eher schüchtern und unbedarft. Der Held dagegen scheint zunächst so viel Emotion wie ein Stein zu haben, erweist sich letztlich aber als Vampir mit einem Herzen aus Gold.

Die Unabhängigkeit und Lebensgewandtheit ihrer Heldin Kate äußert sich hauptsächlich darin, dass sie spleenige und völlig abwegige Ideen hat, wie zum Beispiel die, in eine Blutbank einzubrechen – komplett mit Skimasken und einem Rucksack voller Werkzeug aus dem Baumarkt. Als Lucern sie dann bittet, draußen zu warten, fühlt sie sich in ihrer Ehre gekränkt: „Das hier war ihre Idee gewesen; sie wollte verdammt sein, wenn sie draußen in einer Gasse wartete und die Hände rang wie eine dieser zimperlichen Heldinnen in einem altmodischen Roman.“ Eine solche Heldin wäre zwar nicht nach Kates Geschmack gewesen, sie hätte Lucern aber auch in weit weniger Schwierigkeiten gebracht und so beweist die taffe und selbstbestimmte Heldin eigentlich nur eines: nämlich, dass ihre Unabhängigkeit nur Fassade ist und allen mehr gedient wäre, wenn sie sich weniger einmischen würde.

Von diesen misslichen Details einmal abgesehen, kann man mit „Ein Vampir zum Vernaschen“ durchaus Spaß haben – ein empfehlenswerter Schmöker für eine laue Sommernacht.

|Originaltitel: Single White Vampire
Ins Deutsche übertragen von Regina Winter
380 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8172-4|
http://www.egmont-lyx.de

Watts, Peter – Blindflug

_Tauchfahrer in die Gedankentiefsee_

Peter Watts hat 1958 in Kanada das Licht der Welt erblickt, um, wie er in seinem eigenen Blog schreibt, zehn Jahre damit zuzubringen, ein paar Titel zu bekommen in der Erforschung der Ökophysiologie von Meeressäugern, und weitere zehn Jahre, in denen er versucht hat, von seinen Qualifikationen zu leben, ohne eine „Hure diverser Interessengruppen“ zu werden. Bis heute konnte er sich nicht entscheiden, ob er sein Leben lieber der Wissenschaft oder dem Schreiben widmen sollte, und hat sich dementsprechend für einen Kompromiss zwischen beidem entschieden.

Herausgekommen ist dabei die „Rifters“-Trilogie, bei der es sich, laut Kritikerstimmen, wohl um eine Art Hard-SF-Version von Schätzings „Der Schwarm“ handelt – kein Wunder eigentlich, bei einem promovierten Tiefseebiologen, mit einem Faible für fantastische Geschichtenerzählerei. Rifters wird gerade von |Heyne| neu veröffentlicht; „Abgrund“ und [„Mahlstrom“ 5745 sind bereits erschienen, „Wellen“ ist geplant für September 2009.

„Blindflug“ hingegen ist ein Einzelroman, mit dem sich Watts aus seiner gewohnten Erzählumgebung hinausbegibt in die Tiefen des Weltraums, wo die Besatzung des Raumschiffs |Theseus| mit außerirdischer Intelligenz in Berührung kommt. Was sich auf dem Klappentext wie banale Standard-Science-Fiction ankündigt, zieht einem schon nach wenigen Seiten einen granitharten Hard-SF-Knüppel über den Schädel.

_Hier gibt es keine Romulaner!_

Am 13. Februar 2082 überzieht plötzlich ein leuchtendes Gitter die Atmosphäre und verlischt dann wieder. Sonden stellen fest, dass sich ein nicht identifizierbares Gebilde im Planetensystem herumtreibt, offensichtlich der Urheber dieser Irrlichter – und keinesfalls menschlichen Ursprungs. Spekulationen laufen heiß. Ein kriegerischer Akt? Kommunikation? Niemand weiß es.

Grund genug, um ein Team von Wissenschaftlern mit dem Raumschiff |Theseus| ins kalte Schwarz zu schicken, um dem irrlichternden Störenfried auf den Zahn zu fühlen. Und tatsächlich führt |Theseus| sie zu einem Artefakt, das den Orbit eines Kometen umkreist; dieses Artefakt, es bezeichnet sich selbst als „Rorschach“, nimmt Kontakt mit der |Theseus| auf. Es dauert jedoch nicht lange, bis dem Team auffällt, wie seltsam die Kommunikationsmuster von Rorschach sind, und so entscheiden sie sich dazu, in das Artefakt einzudringen … Auf einen reißerischen Kommentar bezüglich der Folgen verzichte ich an dieser Stelle.

_Mind Fiction at its best: Ultraspannend, ultrahart!_

Peter Watts ist ein Virtuose des Gedankenexperiments. „Blindflug“ ist ein einziger Ideenrausch, der dem Leser allerdings einiges abverlangt. Das fängt bereits bei den Figuren an: Siri Keeton, ein Synthesist, jemand, den man auf die Kontakt-Mission mitgeschickt hat, weil er den Sinn aus der Kommunikation zwischen den Besatzungsmitgliedern herausfiltern kann; Isaac Szpindel, ein verkabelter Biologe, der mit seinen technologisch potenzierten Sinnen Röntgenstrahlen sehen und Ultraschall schmecken kann; Susan James, eine Linguistin, die ihre Persönlichkeit in drei Sub-Persönlichkeiten aufspalten ließ; Amanda Bates, eine Majorin; und schließlich Jukka Sarasti, ein Vampir.

Tatsächlich ein Vampir, und ich kann kaum Worte für das Gefühl der Erfrischung finden, das mich durchströmt, wenn ich mir vergegenwärtige, wie originell Watts diesen archetypischen Geschichtenschreck aktualisiert hat, wie er ihm den Staub des Gotik-Horrors weggeschrubbt und jede Spur von stereotypem Kitsch hinfortgemeißelt hat, um den Vampir tatsächlich (und nachvollziehbar) in ein Hard-SF-Universum einzubetten, nebst einer wissenschaftlichen, völlig abgefahrenen, restlos faszinierenden Erklärung dafür, warum man Vampiren mit einem Kreuz den Garaus machen kann. Ehrlich, alleine Jukka Sarasti und seine „Kruzifix-Störung“ sind es wert, „Blindflug“ zu lesen.

Aber, wie gesagt, die Story verlangt dem Leser einiges ab. Rayleigh-Grenzen, Hohmann-Bahnen, von Neumann’sche Maschinen, Perigäum, Apogäum und sonstiges Keppler-Kreisbahn-Kauderwelsch aus der Astrophysik trifft auf entsprechende Fachbegriffe aus Philosophie, Soziologie, Linguistik, Kommunikationslehre oder Psychologie. Siri Keeton etwa, ein „nicht-invasiver Beobachter“ auf der Mission, entspringt Ideen aus der Systemtheorie und spielt mit Fragen um Kybernetik I. und II. Ordnung (Kann man Systeme, in diesem Falle die Besatzung der Theseus, beobachten, ohne dass die Beobachtung schon ein Akt der Beeinflussung ist?). Das nur als Beispiel, und als Einschätzungshilfe dafür, was den Leser erwartet, wenn diese abgedrehte Freak-Besatzung auf außerirdisches Leben trifft. Ideen satt.

All diese Ideen sind über ein spannendes Hintergrunduniversum gewoben, über eine Gesellschaft, die zerrissen wurde von wissenschaftlichen Glaubenskriegen, und deren Mitglieder sich jetzt entscheiden müssen, zwischen weltlichem Leben oder einer künstlichen Weiterexistenz in einem virtuellen Himmel. Nur knapp hat Watts diesen Hintergrund eingeführt, gerade so viel Information, wie die Geschichte braucht, um zu funktionieren. Das Gleiche gilt auch für die Figuren. Geschickt eingestreute Rückblenden zeigen ihre Vergangenheit, enthüllen den Motor für ihre Handlungen und funktionieren gleichzeitig als Spannungselement im Handlungsbogen.

_Die Detailbesessenheit eines Wissenschaftlers._

Peter Watts erschöpft sich nicht darin, eine faszinierende Geschichte zu schreiben. Wie es sich für einen guten Wissenschaftler gehört, gibt es einen Anhang, wissenschaftliche Ausführungen zu den Ideen, die in „Blindflug“ stecken, Literaturhinweise, Quellenangaben, Diskussionen. Aber damit nicht genug. Watts‘ Internetauftritt |rifters.com| hält Bildmaterial zum Artefakt bereit, Biographien der Crew, Beschreibungen des Romanuniversums, eine interaktive Darstellung der Theseus, mit Beschreibungen der einzelnen Module und ihrer Funktionsweise, sogar Flash-Videos mit Vorträgen zur Biologie von Vampiren.

„Blindflug“ ist das Beste, was ich seit Jahren gelesen habe, als wäre „Event Horizon“ von Greg Egan neu interpretiert worden. Peter Watts vereint Egans explosiven Ideenreichtung mit einem Händchen für superstraffe Handlung. Manchmal natürlich besteht die Handlung aus wissenschaftlichen und theoretischen Diskussionen, aber alter Schwede, diese Diskussionen haben es in sich und sind mindestens so spannend wie eine plasmaspuckende Weltraumschlacht. Als Schlusswort sei hier vielleicht James Nicoll zitiert, der hat (in etwa) geschrieben: „Sobald ich das Gefühl habe, dass mein Lebenswille zu stark wird, lese ich Peter Watts.“ Nun denn, ihr zynischen Ideenjunkies, das hier ist euer Buch!

|Originaltitel: Blindsight
Aus dem Amerikanischen von Sara Riffel
493 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-453-52364-7|
http://www.heyne.de
http://www.rifters.com

Göttner, Heide Solveig – Königin der Insel, Die (Die Insel der Stürme 3)

Band 1: [„Die Priesterin der Türme“ 3611
Band 2: [„Der Herr der Dunkelheit“ 3626

_Defagos_ hat den Angriff der Nraurn zurückgeschlagen, allerdings zu einem hohen Preis: Jemren hat eine der verfluchten Pfeilspitzen des Totengottes zwischen den Rippen. Und doch verlangt die Prophezeiung, dass Jemren gemeinsam mit Gorun und Amra die kleine Lillia nach Hause zurückbringt. Allerdings scheint Lillia, die sie führen soll, noch immer keinerlei Vorstellung von der Geographie der Insel zu besitzen. Und dann erklärt die Nashan von Defagos auch noch, bevor Lillia nach Hause zurückkehren könne, müsse zuerst die eine Hälfte des weißen Steines gefunden werden. Doch die Zeit ist knapp, denn Antiles begehrt den Stein ebenfalls, und er darf ihn keinesfalls in seinen Besitz bringen, wenn Lillias Begleiter auch nur die geringste Aussicht darauf haben wollen, ihren Auftrag zu erfüllen …

Nesyn dagegen hat ganz andere Sorgen. Er ist bei seiner Königin Kajlyn-Gua in Ungnade gefallen, weil er es gewagt hat, den Angriff auf Defagos abzubrechen. Zur Strafe hat Kajlyn-Gua ihren ehemaligen Feldherrn nicht nur degradiert, sie hat ihn öffentlich gedemütigt, indem sie ihm die Klingen auf seinen Hörnern nahm, das Zeichen seiner Kriegerwürde. Auf seine Dienste verzichten will sie jedoch nicht, stattdessen schickt sie ihn in den Norden mit dem Auftrag, sämtliche dortigen Städte dem Erdboden gleichzumachen und sämtliche Bewohner zu massakrieren. Nesyn gehorcht. Mehr oder weniger …

_Wie es sich für einen Abschlussband gehört_, spitzt sich die Lage allmählich immer mehr zu. Für neue Charaktere war da kein Raum mehr. Zwar tauchten die einzelnen Götter noch als Personen auf, allerdings hat es hier nicht für mehr als Randfiguren gereicht, selbst die Göttin der Quellen, Anrynan, die als Nashan in Defagos lebt, kommt nicht wirklich über diesen Status hinaus. Und auch die Entwicklung der bereits vorhandenen Figuren ergibt sich fast ein wenig beiläufig; allein bei Nesyn hat sich die Autorin die Mühe gemacht, die Veränderung durch Nesyns eigene Gedanken deutlich zu machen. Hier wurde an charakterlicher Tiefe zurückgesteckt zugunsten der Handlung, was ein klein wenig schade ist, aber zum Glück wurden die Figuren in den Vorgängerbänden so gut ausgearbeitet, dass ihnen die veränderte Gewichtung nicht ernstlich geschadet hat.

Die Handlung bietet auch in diesem Band wieder jede Menge Bewegung. Die häufigen Ortswechsel sind allerdings kein Selbstzweck. Jeder Ort, den die Gruppe erreicht, offenbart ein wenig mehr über die Vergangenheit der Insel. Außerdem kommen sie mit jedem Ortswechsel der Erreichung ihres Zieles ein Stück näher. Zumindest sieht es so aus. Doch jeder Rückschlag, den der dunkle Gott einstecken muss, scheint letztlich zu verpuffen, so als wäre ein Erfolg für ihn – im Gegensatz zu Lillias Begleitern – gar nicht wichtig! Dadurch erhält die Autorin die Spannung aufrecht, und das gelingt ihr auch wirklich bis zum Schluss. Selbst als die letzte Schlacht geschlagen ist, kommt noch einmal ein Hindernis, und als das überwunden ist, kommt ein weiteres …

Andererseits kommt der Leser nicht umhin, im Laufe des Zyklus Abweichungen festzustellen. Davon, dass Antiles die alleinige Macht über die gesamte Insel erobern und ein Reich des Todes errichten wollte, ist im Showdown keine Rede mehr. Selbst Elemente, die erst im letzten Band auftauchen, gehen letztlich unter. Zum Beispiel wird mehrmals erwähnt, dass laut der Prophezeiung die drei Begleiter Lillias am Ende sterben müssten. Nun soll man ja Prophezeiungen nicht unbedingt wörtlich nehmen, die eigentliche Bedeutung der Worte wird allerdings nicht allzu deutlich herausgearbeitet.

Alles in allem ist diese Sache mit der Prophezeiung eine ausgesprochen verschwommene Angelegenheit. Es drängt sich die Vermutung auf, dass Heide Solveig Göttner hier bewusst vage geblieben ist. Dadurch, dass nirgendwo der vollständige und konkrete Wortlaut der Prophezeiung auftaucht, sondern nur Interpretationen, hat die Autorin eine Möglichkeit gefunden, immer neue Winkelzüge einzufügen, ohne jemals in Konflikt mit den Gesetzen der Logik zu geraten. Wenn etwas nicht mehr zu dem passt, was sie ursprünglich einmal geschrieben hat, dann ist es halt nur eine neue Art der Interpretation. Das ist einerseits ein genialer Kniff, andererseits komme ich nicht umhin, es auch ein wenig als Schummelei zu empfinden, als hätte jemand eine unerlaubte Abkürzung genommen. Angesichts vieler anderer Autoren, die es geschafft haben, trotz einer ausformulieren Prophezeiung ein überraschendes Ende mit einer unerwarteten Bedeutung dieser Prophezeiung aufzubauen, hat sie es sich vielleicht doch ein wenig zu leicht gemacht.

Ähnlich verschwommen wie die Sache mit der Prophezeiung war die Erwähnung des Brettspiels Edú, auch genannt das Spiel des Wandels. Es soll ein Spiel der Götter sein, und vor allem Gorun kommt sich aufrund seines Schicksals und seiner Rolle in der Prophezeiung wie ein Spielstein im Spiel der Götter vor. Andererseits wird nirgendwo erklärt, wie dieses Spiel gespielt wird. Und da die Götter offensichtlich so wenig Macht über die Prophezeiung haben, dass sie – mit Ausnahme Anrynans – nicht einmal versuchen, den Verlauf der Ereignisse zu beeinflussen, stellt sich die Frage, wozu es überhaupt erwähnt wird. Auch hier drängt sich wieder der Eindruck auf, als wäre der Begriff des Edú ebenso wie der weiße Stein, den die Gefährten so dringend finden sollen, nur eingebaut worden, um den Leser einen neuen Haken schlagen zu lassen. Denn letztlich ist nicht ersichtlich, welchen Einfluss der weiße Stein auf den Verlauf des Geschehens hätte nehmen sollen, schließlich wohnt ihm keinerlei Macht inne.

_Bleibt zu sagen_, dass der Zyklus eine unterhaltsame Lektüre war, der große Wurf ist er aber nicht geworden. Der mangelnde Mut zur Festlegung hat den Entwurf eine Menge Details und die Ausarbeitung die nötige Schärfe gekostet. Das können die gelungenen Charaktere, die abwechslungsreichen Szenarien der Insel und die diversen Kämpfe auf dem Weg zum Ziel nicht ganz wettmachen.

_Heide Solveig Göttner_ studierte Anglistik und arbeitet als Dozentin für Englisch und Deutsch in Freiburg. Außer einem Faible für archäologische Stätten hat sie eine Vorliebe für Inseln und lange Spaziergänge. Aus ihrer Feder stammt nicht nur der Zyklus |Die Insel der Stürme|, sondern auch die Kurzgeschichte „Die Goldkatze“ aus der Anthologie „Fenster der Seele“. Für ihre Erzählung „Das Gelbe vom Ei“ erhielt sie das Literaturstipendium der Stadt München.

|443 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-492-26696-3|
http://www.heidesolveig-goettner.com
http://www.piper.de

Clegg, Douglas – Vampyricon 1: Priester des Blutes

_Das geschieht:_

In der später „Bretagne“ genannten Region Frankreichs wird er irgendwann im 12. Jahrhundert geboren: Aleric Atheffelde, Sohn einer Hure und eines unbekannten Vaters. Der Großvater lehrt ihn die Familiengeschichte; angeblich entstammt Aleric einem vornehmen und vormals mächtigen Geschlecht. Doch die Realität sieht anders aus. Aleric wächst in einer elenden Hütte auf, bis er in die Dienste des Barons Trevor de Whithors treten kann. Dessen Jagdmeister nimmt ihn unter seine Fittiche. Als Falkner kann Aleric sein Geschick im Umgang mit den Vögeln des Waldes ausspielen.

Unermüdlich lernt und müht er sich – und zieht sich die Todfeindschaft seines Halbbruders Corentin zu, der ebenfalls am Hofe des Barons lebt. Das wird sich rächen, denn eines Tages verliebt sich Aleric in Alienora, die schöne Tochter des Barons; ein Sakrileg, zumal diese Liebe erwidert wird. Corentin schwärzt seinen Bruder an. Aleric wird gefangen gesetzt und in die Sklaverei verkauft. Als Soldat muss er im Heiligen Land an vorderster Front gegen die Sarazenen kämpfen.

Wider Erwarten schlägt sich Aleric buchstäblich gut als Krieger. Doch als er die frommen Worte von der ‚Befreiung‘ Palästinas als blutige Lüge erkennt, macht er sich davon. Tief in der Wüste gerät er an einen verwunschenen Ort, der von Vampiren und Ghulen bewohnt wird. Hier lockt ihn die uralte Vampyr-Priesterin Pythia in ihren Bann und verwandelt ihn in einen Blutsauger.

Die scheinbare Unsterblichkeit bedeutet indes keineswegs Unverwundbarkeit. Über Aleric schwebt zudem der Fluch einer uralten Prophezeiung, die ihn als düsteren Messias der Vampyre ankündigt – ein Schicksal, dem sich Aleric von nun an ebenso eifrig wie verzweifelt stellt …

_Vampire (endlich) einmal (etwas) anders_

Das frühe 21. Jahrhundert steckt zumindest in den Bereichen Unterhaltungsliteratur und Film fest zwischen den Fangzähnen der Vampire. Was die Freunde der Phantastik eigentlich erfreuen sollte, relativiert sich bei näherer Hinsicht: Tatsächlich dominiert vor allem das untote Weichei mit Beißhemmung, dessen ‚erotische‘ Wirkung sich darauf beschränkt, den Träumen pubertierender Jungmädchen vage Gestalt zu verleihen. Darüber hinaus springen die Fabrikanten schmalztriefender Liebesromane auf den Zug der Zeit auf und ersetzen den blankbrüstigen Piraten, den schwarzlockigen Clanskrieger oder den tiefäugigen Prinzen flugs durch den blankbrüstigen, schwarzlockigen und tiefäugigen Vampir-Fürsten. Für die nicht auf diesen Leim kriechenden Leserinnen gibt es darüber hinaus die pseudo-emanzipierte Vampirfrau, der zwischen Nachtshopping und der auch durch den Tod nicht unterbrochene Suche nach Mr. Right gerade die Zeit bleibt, ihr Publikum mit den komischen Seiten der Nachzehrer-Existenz zu entzücken.

Auf der Strecke bleibt in dieser Schleimlawine des allzu Trivialen der Vampir als Nachtschattengeschöpf der uneingeschränkt fremden und eher menschenfeindlichen Art. Dieser Vampir beschränkt sich nicht auf die Offenbarung erotischer i. S. verbotener Freuden, sondern stellt eine alternative Lebensform neben dem Homo sapiens dar. (Vielleicht nennt Clegg sie auch deshalb „Vampyr“, um sie von den Larifari-Edwards der Moderne abzugrenzen.)

Diesen Kreaturen widmet Douglas Clegg seine „Vampyricon“-Trilogie. Sie schildert nicht nur den verschlungenen ‚Lebensweg‘ des Vampyrs Aleric, sondern enthüllt auch die geheime Geschichte seiner Artgenossen, die in einer nur mehr mythischen Vorzeit die wahren Herrscher auf Erden waren, bis sie entthront und in die Verdammnis gestürzt wurden.

_Horror-Historienroman der gelungenen Art_

Aleric wird in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geboren. Bis Pythia ihn in einen Vampyr verwandelt, vergehen beinahe zwei Jahrzehnte. Eine mysteriöse, erst im Verlauf der Handlung enthüllte Verbindung zu den Vampyren existiert von Geburt an; sie bleibt lange Andeutung, denn Autor Clegg nimmt sich viel Zeit, nicht nur seine Hauptfigur, sondern auch die Welt, in der sie lebt, mit Leben zu erfüllen.

„Priester des Todes“ bietet vor allem in dieser ersten Hälfte einen düsteren und recht realistischen Blick auf das Mittelalter. Clegg thematisiert die aus heutiger Sicht grausamen Verhältnisse, das Fehlen jedes sozialen Netzes, die brutale hierarchische Ordnung der Gesellschaft, die Gnadenlosigkeit der Gesetzgebung, die Allgegenwärtigkeit von Hunger, Krankheit, Kälte und Tod, verkneift sich aber die moralisierende Wertung, die allzu viele Historienromane ungenießbar macht. Clegg möchte deutlich machen, dass diese Welt ist, wie sie ist, und hat Recht damit: Die Maßstäbe der Gegenwart lassen sich auf die Vergangenheit nicht anwenden.

Immer wieder stellt Clegg den Bluttaten der Vampyre die Grausamkeit der Menschen gegenüber. Alle Untoten ihrer Epoche sind nicht annähernd so blutrünstig wie die Kreuzzügler, die ihren „heiligen“ Krieg im „heiligen“ Land führen. Im Namen Gottes werden unsägliche Gräuel verübt, die Clegg ebenso nüchtern wie wirkungsvoll beschreibt.

_Eine Welt neben der Realität_

Dabei schleicht sich nach und nach ein mystischer Unterton ein. Clegg geht in seinem Weltentwurf von einer weitgehend parallelen, aber nicht deckungsgleichen Evolution bzw. Historie aus. Die Menschheit ist deutlich älter als ihre Überlieferungen. Der Autor nutzt dies, um eine gemeinsame Frühgeschichte von Menschen und Vampyren zu konstruieren, wobei diese in einer noch früheren, endgültig im Dunkel der Mythologie versunkenen Ära ihren Anfang nahm.

Clegg geht von der Prämisse aus, dass die Relikte der alten Vampyr-Macht in der Wüstenei des Nahen Ostens verborgen liegen. Dies ist uraltes Kulturland, über das sie einstmals herrschten. Sie teilten und teilen es mit weiteren sagenhaften „Dämonen“ wie den leichenfressenden Ghulen oder gar nicht zauberhaften Meerjungfrauen. Längst hat eine schleichende Degeneration eingesetzt; die stolzen Kreaturen der Nacht haben sich in unstete und kulturlose Wegelagerer verwandelt, die im Schutz der Dunkelheit ihre Opfer reißen. Wie es sich für einen düsteren Helden ziemt, unterliegt Aleric nicht diesem Fluch. Für ihn sieht das Schicksal eine besondere Rolle vor.

Bereits aufgrund seiner Geburt sind Aleric die Augen geöffnet. Schon bevor er zum Vampyr wird, erkennt er, dass die Vergangenheit auch in seiner bretonischen Heimat keineswegs tot ist. Aleric wird am Rande eines riesigen Waldes geboren, in dem die Welt der Alten – die Clegg in die Gestalten keltischer Geistwesen kleidet – immerhin schattenhaft erhalten blieb. Sie steht auf der Kippe, denn die von einer diffusen, aber letztlich durchaus konkreten Urangst erfüllten Menschen setzen zu ihrer endgültigen Vernichtung an. Noch sind sie nicht siegreich, denn selbst die Christenkirche, die dem „Heidentum“ mit Feuer und Schwert entgegentritt, ist in sich uneins: So duldet sie später als Häretiker verfolgte geistliche Orden mit oft wunderlichen Regeln.

_Ist nicht neu, liest sich aber gut_

Vor allem in den ersten beiden Dritteln gelingt Clegg die Kombination aus Realismus und ‚echter‘ Phantastik inhaltlich wie formal. Zwar ist die Geschichte nicht neu, aber sie wird gut entwickelt und mit dem notwendigen Schwung erzählt. Clegg gelingen starke Situationsbeschreibungen und Charakterbilder. Sie kommen selten über einschlägige (Fantasy-)Klischees hinaus, funktionieren jedoch im Rahmen dieser Handlung gut. Erst im letzten Drittel übertreibt es der Verfasser, wenn in den Ruinen der Totenstadt Alkemara Rätsel und Visionen einander förmlich jagen. Jetzt verfällt Clegg in jenen weihevoll-schwülstigen Ton, der die ‚großartigen‘ Enthüllungen an den Rand der Lächerlichkeit und manchmal darüber hinaus bringt.

Positiv anzumerken ist der Bruch mit anderen ausgelaugten Motiven. Die Liebe zur schönen Alienora spielt zwar eine wichtige Rolle, doch lässt Clegg sie nie zur erwarteten Lovestory ausarten. Sie nimmt eine unerwartete Richtung (und wird zweifellos im weiteren Verlauf der Handlung eine wichtige und düstere Rolle spielen).

Auch Alerics Verbindung mit der Vampyrin Pythia ist nicht klischee-, aber kitschfrei. Clegg schafft es, die ihr innewohnende Erotik als etwas Fremdartiges und Bedrohliches sowie letztlich Geschlechtsneutrales zu definieren – als Instrument des Vampyrs, den sicherlich keine Liebe mit den Menschen verbindet. Unter diesem Vorzeichen verwundert es nicht, dass sich auch Aleric und sein Vampyr-Gefährte Ewen sehr nahe kommen; der homosexuelle Clegg thematisiert Homosexualität seit jeher in seinem Werk, ohne darin eine Berufung zu sehen oder seine Leser ausdrücklich missionieren zu wollen – als interessant entwickelter Aspekt geht es in die Handlung ein und bereichert sie.

Als „Priester des Blutes“ ausklingt, harrt eine große Geschichte ihrer Fortsetzung. Auf die freuen sich zumindest diejenigen Leser, die „Geschichte“ nicht als kunterbunte Folie und „Vampire“ nicht als Projektionsgestalten ihrer schmachtvollen Träume betrachten bzw. missachten. Mit der Einführung einer dritten, noch schattenhaften Macht neben den Vampyren sind die Weichen für die Fortsetzung gestellt, auf man gespannt sein darf und ist.

_Der Autor_

Douglas Clegg wurde am 1. April 1958 in Alexandria im US-Staat Virginia geboren. Schon früh interessierte er sich für phantastische Literatur, wobei er nach eigener Auskunft durch Edgar Allan Poe, die Bibelgeschichten des Alten Testaments und das TV-Programm inspiriert wurde: ein Cocktail aus sehr unterschiedlichen Ingredienzien, der sein Werk nachhaltig formte.

Clegg studierte Englische Literatur in Washington. Dort arbeitete er nach seinem Abschluss als Lehrer, wurde später für den Verlag |Ziff-Davis| tätig und zog 1986 nach Los Angeles, wo er von einem Nachrichtensender angestellt wurde. Nebenbei schrieb Clegg Rezensionen und Artikel. 1987 entstand „Goat Dance“ (dt. „Bockstanz“), sein Romandebüt, für das der Verfasser von der „Horror Writers Association“ ausgezeichnet wurde.

Der frühe Douglas Clegg hatte mit Veröffentlichungsproblemen zu kämpfen. Lange erschienen seine Romane ausschließlich als Taschenbücher. Dass „The Infinite“ 2001 (!) als erstes Hardcover erscheinen konnte, verdankte Clegg zu einem Großteil der Findigkeit, mit der er das Internet als Medium nutzte, um auf sein Werk aufmerksam zu machen. „Naomi“ gilt als erster Roman überhaupt, der (ab Mai 1999 in wöchentlichen Fortsetzungen und mit großem Erfolg) online gestellt wurde.

Clegg ist ein fleißiger Autor, der jährlich mindestens einen neuen Roman vorlegt und sich dabei auf die Genres Horror und Dark Fantasy konzentriert. Unter dem Pseudonym „Andrew Harper“ schrieb Clegg zwischen 1997 und 2004 drei Thriller mit Mystery- und Splatter-Elementen. „Bad Karma“ wurde 2002 verfilmt.

Über seine Arbeit informiert Douglas Clegg auf seiner vorbildlichen Website: http://www.douglasclegg.com.

Außerdem führt er ein „live journal“: http://douglas-clegg.livejournal.com.

Ein aufschlussreiches Interview gab Clegg dem Internet-Magazin |ChiZine|: http://www.chizine.com/douglas__clegg__interview.htm.

Die „Vampyricon“-Trilogie erscheint im |Blanvalet Verlag|:

(2005) The Priest of Blood („Priester des Todes”) – TB 24442
(2006) The Lady of Serpents („Die kalte Königin”) – TB 24455 [erscheint April 2010]
(2007) The Queen of Wolves (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: The Priest of Blood – The Vampyricon 1 (New York : Ace Books 2005)
Übersetzung: Jutta Swietlinski
Deutsche Erstausgabe: Juni 2009 (Blanvalet Verlag/TB Nr. 24442)
416 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-442-24442-3
http://www.blanvalet.de

Cole, Kresley – Nacht des Begehrens

Schon der Klappentext zu Kresley Coles Paranormal Romance „Nacht des Begehrens“ sorgt für unfreiwillige Komik: „Auf der Suche nach ihren Wurzeln reist Emmaline Troy durch Europa. Ihre Mutter war eine Walküre und ihr Vater ein Vampir (…). Die Halbvampirin wuchs wohlbehütet bei ihren Walkürentanten auf.“ Ja, da ist tatsächlich von Walkürentanten die Rede, und wer naiv genug ist zu glauben, dass es schlimmer nicht kommen kann, der darf sich gern Kresley Coles Roman zu Gemüte führen und sich eines Besseren belehren lassen.

Emmalines Walkürentanten sind nämlich lange nicht die einzig schillernde Gattung übernatürlicher Lebewesen, denn Cole verortet ihren Roman im „Mythos“. Mit Mythos bezeichnet sie eine Art geheime Parallelwelt, die bevölkert ist von allem, was sich unterschiedliche Kulturen so ausgedacht haben: Vampire, Werwölfe, Hexen, Geister, Walküren. Diese Zusammenstellung ihres Personenkreises wirkt natürlich total wahllos, vor allem da die Übernatürlichkeit der Charaktere nur auf den Effekt abzielt und für die Handlung kaum eine tiefere Bedeutung hat.

Doch von Anfang an: Emma ist – wie gesagt – halb Vampir und halb Walküre. Ihre Eltern hat sie nie kennengelernt, stattdessen ist sie bei einer Schar manischer Walküren in New Orleans aufgewachsen. Nun, mit satten siebzig Jahren, beschließt sie, mehr über ihren unbekannten Vater herauszufinden, und reist zu diesem Zwecke nach Paris, wo sie sich trotz ihrer immensen Geldreserven mehr schlecht als recht durchschlägt – offensichtlich sind ihre Tanten schreckliche Glucken, die Emma bisher vor der Welt „beschützt“ haben, was sie nun ziemlich hilflos aussehen lässt. Prompt nimmt auch der Werwolf Lachlain ihre Witterung auf und macht sich an die Verfolgung. Denn natürlich ist Emma seine Gefährtin, die Frau der Frauen, die eine, die er unbedingt haben muss. Wie überraschend! Er verschleppt sie in ihr eigenes Hotelzimmer und Strippenzieherin Cole biegt es so hin, dass Emma den attraktiven Wüstling nach Schottland zu seinem Landsitz fahren will/muss – und das, obwohl er sie gegen ihren Willen festhält und sie wiederholt fast vergewaltigt. Muss Liebe schön sein!

Emma wehrt sich zunächst gegen ihre aufkeimenden Gefühle für Lachlain. Doch der Leser kann sich gewiss sein, dass sie im Verlauf des Romans doch noch Lachlains Annäherungsversuchen erliegen und sich schließlich seiner überwältigenden Männlichkeit ergeben wird. Wenn Cole nach zwei Dritteln des Romans all das obligatorische Sie-liebt-ihn-nicht-sie-liebt-ihn-doch hinter sich gebracht hat, fügt sie noch ein wenig Action und eine Prise völlig vorhersehbarer Plot-Twists ein. Ja, und das ist es dann auch schon gewesen mit „Nacht des Begehrens“. Außer, man möchte auch noch die anderen sechs Bände der Reihe lesen, aber das ist wohl nur ganz Hartgesottenen zu empfehlen.

Cole schreibt in der bequemen Komfortzone der Paranormal Romance, in der die Frauen jungfräulich und hilflos und die Männer aggressiv und dominant sind. Die Liebe muss in solchen Romanen etwas Schicksalhaftes haben – Männlein und Weiblein werden von einer (unbenannten) höheren Macht zu Pärchen zusammengewürfelt und müssen sich dann irgendwie miteinander arrangieren, bis sie feststellen, dass sie ja doch ganz gut miteinander auskommen und sich – tada! – tatsächlich unsterblich lieben. Lachlain findet Emma per Geruchssinn: „Aber jetzt hat er sie gewittert – die eine Frau, die nur für ihn geschaffen ist. Die eine Frau, nach der er tausend Jahre ohne Unterlass gesucht hat.“ Später soll er zu einem Vertrauten sagen: „Eine Gefährtin wie sie hätte ich mir niemals vorstellen können.“ Und so impliziert zwar das Schicksalhafte ihrer Beziehung die übergroße und wahrhafte Liebe, die alle Unwegbarkeiten überwindet (denn natürlich stammen Emma und Lachlain aus verfeindeten Gruppen des Mythos – Romeo und Julia lassen grüßen), doch ist die Patina dünn. Sie verdeckt kaum, dass es hier eigentlich nicht um Liebe geht – nicht um das Kennen- und Liebenlernen, um die zarten Gefühle, die einer gefestigten Beziehung vorauseilen. Vielmehr geht es um zwei grundverschiedene Charaktere, die nicht zueinander passen, die nichts gemeinsam haben und die sich – praktisch gegen ihren Willen – lieben müssen, ganz einfach, weil die Autorin das so will.

Kresley Cole findet das offensichtlich romantisch. Doch ihre Definition von Romantik ist geradezu barbarisch und taugt nur für die Sexfantasien innerhalb eines Liebesschmökers. Cole findet es romantisch, dass Lachlain hunderfünfzig Jahre gefangen gehalten und gefoltert wurde, um sich dann wortwörtlich ein Bein auszureißen, um zu seiner eben erschnüffelten Gefährtin zu gelangen. Selbstverständlich hält sich die Autorin in solchen Szenen nicht mit Nebensächlichkeiten auf, z. B. warum Lachlain gefangen gehalten und gefoltert wurde, wenn es sicherlich einfacher gewesen wäre, ihn zu töten. Auch findet es Cole romantisch, dass sich Lachlain, von seiner Gefangenschaft noch halb wahnsinnig, auf die unbedarfte Emma wirft und sie fast vergewaltigt – erst im letzten Moment kann sie sich befreien. Überhaupt hat Cole ein Faible für Vergewaltigungsfantasien, was zu verstörenden Szenen führt. Liebe ist hier immer nur Sex, und da ist es auch kaum verwunderlich, dass Lachlain Emma die Klamotten vom Leib reißt und seine Hände überall hin wandern lässt, noch bevor die beiden auch nur einen kohärenten Satz miteinander gewechselt haben.

Emma schafft es zwar, für zwei Drittel des Romans die eiserne Jungfrau zu spielen (den Akt gibt es erst nach 320 Seiten), doch das ist nur Augenwischerei. Cole fügt mit schöner Regelmäßigkeit alle paar Seiten eine Sexszene ein, in der Lachlain es Emma unter der Dusche besorgt, im Bett, im Stehen, im Sitzen, im Liegen – das alles, während sie natürlich eigentlich nur in Ruhe gelassen werden will (als Unsterbliche kann sie leider keine „Migräne“ als Ausrede vorschieben). Kresley Cole hält sich kaum mit Handlung auf, die Sexszenen reihen sich wie Perlen auf eine Kette und ständig ist von „Lanzen“ und „beinharten Erektionen“ die Rede.

Wenn Kresley Cole sich gerade nicht damit beschäftigt, wie sie Emma und Lachlain nackig machen kann, dann streut sie ein paar lieblose Nebencharaktere ein. Am nervtötendsten sind hierbei Emmas Walkürentanten, vor denen ja schon der Klappentext warnt. Cole gelingt es nicht, diese Schar hysterischer, kampfshoppender Weiber irgendwie überzeugend zu zeichnen. Es wird nicht klar, ob sie nun knallharte Kämpferinnen (was durchaus seinen Reiz hätte) oder „kreischende“ und „schreiende“ Frauchen sind. Sobald sie jedoch die Bühne der Handlung betreten, verliert Cole völlig den Faden und der Roman versinkt in undurchsichtigen und chaotischen Actionszenen, die keinen Sinn ergeben. Um das Maß voll zu machen, heißt ihre Villa „Val Hall“ und Emmas Mutter ist eigentlich Helena von Troja (die – natürlich – eigentlich eine Walküre war).

Letztendlich ist Kresley Coles „Nacht des Begehrens“ durchschnittlichste Liebesschmöker-Kost, wie sie sich auf dem Bücherwühltisch zu Dutzenden findet. Hier gibt es nicht einen interessanten Charakter, nicht eine interessante Wendung der Handlung – und Originalität darf man schon gar nicht erwarten. Coles Roman ist nichts weiter als der Erfüllungsgehilfe für die sexuellen Fantasien seiner Leserinnen, pro forma umrahmt von einer dünnen und völlig austauschbaren Handlung.

|Originaltitel: A Hunger Like No Other
Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder
444 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8174-8|
http://www.egmont-lyx.de

Erotica, Paranormal Romance and Young Adult Adventure

Pierre Bordage – Terra Mater (Hyponeros 2)

Nach »Die Krieger der Stille« ist mit »Terra Mater« der zweite Roman einer spannenden Trilogie erschienen. Er berichtet von den Ereignissen direkt im Anschluss an Band eins und endet mit einem kosmisch-metaphysischen Höhepunkt als Aufhänger und Spannnungshalter für den dritten Roman.

Von überziegelsteingroßem Format als Tradepaperback, richtet sich der Umfang des Werks ganz nach modernen Vorstellungen der Äußerlichkeit und damit an Leser, die langatmige und bombastische Romane in ihren Regalen stehen haben wollen und bereit sind, für eine Geschichte in der Summe 45 Euro zu bezahlen. Von dieser herausgeberischen, in der Finanzkrise doppelt ärgerlichen reißerischen Aufmachung abgesehen, strickt der Autor allerdings ein ansehnliches Werk mit großartigen Zusammenhängen. Aber auch hier wirkt der Ausspruch des Kultautors Andreas Eschbach eher wie Verlags- und Freundschaftswerbung, wenn in großen Lettern auf dem Buchrücken steht: »Bordage nicht zu lesen, wäre ein Fehler«.

In einer ausschließlich von menschlichen oder menschenabkömmlichen Vernunftwesen bevölkerten Galaxis ist eine fremdartige Intelligenz, die in Form des Volkes der Scaythen auftritt, im Begriff, alle Schlüsselpositionen der Macht zu besetzen und ein kirchlich kontrolliertes System der Verdummung und Gleichgültigkeit zu erschaffen. Hinter den Scaythen steht anscheinend eine Wesenheit, deren Existenzgrundlage und Macht von der Einfältigkeit des/der Universums/sen abhängt und in diesem Universum nach der vollkommenen Macht strebt, indem sie die Kreativität vernichtet.

Die metaphysische Wissenschaft der inddikkischen Wissenschaft ist dabei das größte Hindernis, und so war es das größte Interesse der Scaythen, die Bewahrer dieser Wissenschaft und ihre Anwender, die Krieger der Stille, auszulöschen. Die Versuche der zwei dem Massaker entkommenden Menschen auf der alten Erde (Terra Mater), die Wissenschaft neu mit Leben zu erfüllen und nach einem Erlöser zu suchen, füllt nebst der weiteren Machtergreifung der Scaythen und Umwälzungen in der Kirche den zweiten Roman, der in dem Versuch des Mahdis der neuen Krieger der Stille auf der Erde gipfelt, sich der Hintergrundintelligenz in einer mentalen Auseinandersetzung zu stellen und sie zu besiegen.

Trotz der bombastisch klingenden Rahmenhandlung sind es vor allem kleine Ereignisse mit menschlichen Charakteren, die in ihrer Gesamtheit den großen Zusammenhang erzeugen und eine runde, stimmungsvolle Geschichte zum Leben erwecken. Nur kleine Abstecher in höhere Sphären werfen Schlaglichter und lassen den überstrapazierten Sense of Wonder anklingen, der für großartige kosmische Erzählungen typisch ist. Doch wo anderswo Raumschiffe und Aliens für Spannung sorgen, stehen hier die Menschen allein im Vordergrund.

Der Entwurf selbst ist nicht ganz neu. Die Menschen verbreiten sich über die Galaxis, ein Adel etabliert sich und kontrolliert über Erbrecht die Systeme, eine Religion als Staatsreligion unterdrückt die einfachen Menschen und kontrolliert ihr Wissen. Wie schon andere Schriftsteller – unter ihnen Dan Simmons, der in seinem Ilium-Epos dieses Thema auf die Spitze treibt – erkannten, ist der Konflikt zwischen größeren Glaubensgemeinschaften und politischen Interessengruppen auf der einen Seite und Judentum auf der anderen Seite ein Thema, das die Menschheit seit Ewigkeiten spaltet und zu schrecklichsten Gräueltaten antreibt – und dies aller Wahrscheinlichkeit nach auch in ferner Zukunft noch tun wird. Auch Bordage benutzt diesen alten Konflikt als Träger seiner Erlöser-Geschichte, die in diesem zweiten Band in den Vordergrund tritt und von der Entdeckung des Erlösers als Kind über seine Verfolgung durch Staat und Kirche, seinen scheinbaren Tod und seine Wiedergeburt auf der alten Erde bis zum Sammeln von »Jüngern« reicht. Sein Eingreifen in die umfassende Handlung ist in Band drei zu erwarten (»Die Sternenzitadelle« ist für den Dezember 2009 angekündigt), wo er entweder gewinnt, scheitert oder durch seinen Tod den Sieg der Menschheit gewährleisten wird. Letzteres ist am wahrscheinlichsten.

Wenn wir also die Entwicklung des Hauptthemas (Erlösung der Menschheit) über die drei Bücher betrachten, bemerken wir eine Zunahme des Transzendenten und Kosmischen schon im zweiten Band. Da sich in diesen Sphären die Entscheidung abspielen muss, weil sie der »Lebensraum« der vernichtenden Wesenheit sind, wird Band drei wohl der »wundervollste« Roman werden und die wichtigen bisher aufgeworfenen Fragen zusammen- und zu einem Finale führen.

Originaltitel: Terra Mater
Deutsch von Ingeborg Ebel
543 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-453-52409-5

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)

Peter V. Brett – Das Lied der Dunkelheit

Wann verliert ein Schrecken an Bedeutung? Wie kann man die Angst besiegen, die einen fast lähmt und daran hindert, sich zu wehren? Stehen wir uns manchmal selbst im Weg? Kann es sein, dass das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ doch zutrifft?

Mut zu beweisen, auch wenn der Gegner oder das Hindernis übermächtig erscheint, kann dumm oder fahrlässig sein, vielleicht überstürzt, aber meistens nicht unbedingt sinnlos. Den Mut zu haben, für sich und andere die Dunkelheit zu bekämpfen und damit den Funken für ein kleines bisschen Hoffnung zu schlagen, aus dem ein reinigendes Feuer entstehen kann, ist beachtenswert. Sind Kinder und Jugendliche dabei mutiger als Erwachsene, weil sie die Angst (noch) nicht realisieren können?

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Sands, Lynsay – Verliebt in einen Vampir

Rachel arbeitet schon seit Jahren in der Nachtschicht der Pathologie. Für sie ist das ein guter Vorwand, um kein Privatleben haben zu müssen, denn schließlich hat sie kaum Gelegenheit, sich mit Freunden – oder gar Männern – zu treffen, wenn sie nachts arbeitet und tagsüber schläft. Tatsächlich scheint Rachel allerdings auch nicht sonderlich erpicht auf mehr Sozialleben zu sein. Sie ist ein wenig einsiedlerisch und sich in der Regel selbst genug.

Das soll sich jedoch schnell ändern, als sie einen „Rostbraten“ auf den Tisch bekommt – eine verkohlte Leiche. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass es sich bei der Leiche keineswegs um einen Toten handelt, sondern um Etienne Argeneau, seines Zeichens Vampir. Er hat gerade ein kleines Problem mit einem verrückten Vampirjäger, der ihm nachstellt – deswegen ist er auch so gut durchgebraten. Es kommt, wie es kommen muss: Der Vampirjäger folgt Etienne in die Pathologie, um ihn wirklich umzubringen, verfehlt ihn aber mit seiner Axt und trifft stattdessen die verschreckte Rachel. Da die Wunde tödlich wäre, greift Etienne zum einzigen Mittel, ihr Leben zu retten: Er macht sie ebenfalls zu einem Vampir.

Und so wacht Rachel in einem fremden Haus auf, zwischen Leuten, die ihr weismachen wollen, dass sie nun unsterblich ist und Blut trinken muss. Das ist keine Neuigkeit, die man einfach mal so wegsteckt, und so braucht es eine ganze Weile, bis Rachel sich mit der neuen und ungewohnten Situation abgefunden hat. Während sie also versucht, ihre Abscheu vor Blut und Spritzen zu überwinden, kommen sie und Etienne sich näher. Doch bevor die Hochzeitsglocken läuten können, muss erst noch der verrückte Vampirjäger Pudge aus dem Weg geschafft werden, denn er fängt wirklich langsam an, lästig zu werden.

Lynsay Sands’ „Verliebt in einen Vampir“ (ja, der Titel ist banal, aber der Originaltitel „Love Bites“ ist auch nicht viel besser gelungen) ist eine ziemlich durchschnittliche Paranormal Romance. Es gibt eine unglaublich hübsche Heroine, die aus reichlich obskuren Gründen noch nicht vergeben ist und sich auch nicht für besonders begehrenswert hält. Es gibt einen Helden Marke „tall, dark and handsome“, der gleichermaßen unbedarft ist, wenn es darum geht, die Frau fürs Leben zu finden. Man stecke beide für eine Weile in ein Zimmer (in diesem Fall Etiennes Schlafzimmer) und vertraue darauf, dass sie sich schon aufeinander einlassen werden. Und natürlich passiert das auch, schließlich wäre eine Paranormal Romance ja keine richtige Romanze, wenn die zwei Protagonisten sich nicht am Ende kriegen würden. „Verliebt in einen Vampir“ passt also genau in die Genrebezeichnung und wird damit alle begeistern, die bei der Lektüre einer Liebeschnulze auf keinen Fall überrascht werden wollen.

Allerdings hat Lynsay Sands einige Einfälle zum Thema Vampirismus, die entweder vollkommen abwegig oder schlichtweg unappetitlich sind. So macht sie sich die Mühe, tatsächlich eine Erklärung für den Vampirismus der Argeneaus zu liefern, und beruft sich dabei auf Wissenschaft und Medizin. Nun ist das ein legitimer Erklärungsversuch, der durchaus seine Reize hat. Aber wenn sie dann davon anfängt, dass Vampire von der wissenschaftlich hochentwickelten Bevölkerung Atlantis abstammen, denen Nanopartikel eingesetzt wurden, um sie jung und gesund zu erhalten, dann ist das einfach nur noch schräg und relativ sinnfrei. Ähnlich ergeht es ihren Einfällen zum Thema Vampir-Subkultur. So erfindet sie eine Vampirbar mit dem unglaublich originellen Namen |Night Club|, in dem man auch gern Blutcocktails bestellen kann, also zum Beispiel eine Virgin Mary mit Blut, Worcestershire- und Tobascosauce und einem Zitronenspritzer. Pfui.

Der erste Teil des Romans ist eine relativ konfuse, langweilige und zähe Angelegenheit. Sands verrennt sich in ihrem Vorhaben, Rachels Anpassungsschwierigkeiten beschreiben zu wollen. Sie scheut nicht einmal völlig unsinnige Wiederholungen, die den Leser frustrieren und dazu verleiten, Kapitel einfach zu überblättern oder das Buch ganz beiseite zu legen. So denkt Rachel bei ihrem ersten Erwachen im unbekannten Haus zunächst, dass sie träumt. Sie verlässt das Zimmer und erkundet die Räumlichkeiten – immer in der Annahme, dass sie eigentlich schläft. Als sie zum zweiten Mal erwacht, denkt sie wieder, dass sie träumt. Wieder verlässt sie das Zimmer und wundert sich über ihre sehr realistischen Träume. In der ersten Sequenz denkt sie: „Befand sie sich in einer Spezialeinrichtung für Komapatienten?“ Zwanzig Seiten später, in der zweiten Sequenz, denkt sie: „Sie war vielleicht in einer Spezialklinik für Komapatienten.“ Diese zwei Kapitel sind nichts weiter als Papierverschwendung, eine Geduldsprobe für den Leser und ein Armutszeugnis für den Lektor, der solch redundante Passagen rigoros hätte rausstreichen müssen.

Immerhin fängt sich Sands in der zweiten Hälfte des Romans. Hier fällt ihr dann nämlich ein, dass sie am Anfang doch einen Antagonisten eingeführt hatte, nämlich den Vampirjäger Pudge. Nun ist dessen Charakterisierung zwar eher skizzenhaft und keineswegs logisch, doch immerhin bringt er die Handlung in Schwung, die bis dahin hauptsächlich auf der Stelle getreten ist. Plötzlich muss Etienne sich nämlich dem Gegner stellen, der Rachel entführt hat und ihr den Hund seiner Nachbarin als Snack anbieten will. Ja, da gibt es auch eine ganze Menge Slapstick, aber im Großen und Ganzen ist die zweite Hälfte von „Verliebt in einen Vampir“ durchaus unterhaltsam, was den Leser mit dem eher schleppenden Anfang versöhnt.

Abschließend sollte vielleicht noch angemerkt werden, dass |Egmont LYX| die Bücher der Argeneau-Reihe in veränderter Reihenfolge veröffentlicht. Tatsächlich ist „Verliebt in einen Vampir“ der zweite Teil der Serie (im ersten wird Etiennes Schwester Lissianna mit ihrem Psychiater Greg verkuppelt), was allerdings kaum ins Gewicht fällt, da jeder Roman ein anderes Mitglied der Argeneau-Familie zum Hauptcharakter macht. Während also alle Romane irgendwie ineinandergreifen, kann man sie trotzdem getrost unabhängig voneinander lesen.

|Originaltitel: Love Bites
Ins Deutsche übertragen von Regina Winte
334 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-8025-8171-7|
http://www.egmont-lyx.de

Nix, Garth – Mächtiger Samstag (Die Schlüssel zum Königreich / Keys to the Kingdom 6))

[„Schwarzer Montag“ 3719 (Die Schlüssel zum Königreich 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Grimmiger Dienstag“ 3725 (Die Schlüssel zum Königreich 2)
[„Grimmiger Dienstag“ 4528 (Hörbuch)
[„Kalter Mittwoch“ 4242 (Die Schlüssel zum Königreich 3)
[„Kalter Mittwoch“ 5101 (Hörbuch)
[„Rauer Donnerstag“ 4831 (Die Schlüssel zum Königreich 4)
[„Rauer Donnerstag“ 5051 (Hörbuch)
[„Listiger Freitag“ 5626 (Die Schlüssel zum Königreich 5)

_Kaum hat Arthur_ mit Blatts Hilfe die Schlafwandler aus der Gewalt Lady Freitags befreit, erreicht ihn die nächste Hiobsbotschaft: Um die Viruskrankheit in Arthurs Heimatstadt in Schach zu halten, soll auf das betreffende Krankenhaus eine Atombombe abgeworfen werden!

In einem verzweifelten Versuch, dies zu verhindern, nimmt Arthur seine Stadt komplett aus dem Lauf der Zeit heraus. Damit hat er die Bedrohung zwar nur verzögert, aber zu mehr kommt er nicht, denn im Haus geht es drunter und drüber: Ein Saboteur hat den Damm aufgebrochen und das gesamte Untere Haus samt den fernen Weiten mit Nichts überflutet! Und Erhabene Samstag hat ihre gesamte Domäne komplett verbarrikadiert, nicht nur gegen Arthur …

_Die meisten Neuzugänge_ in diesem Band sind nur Randfiguren. Erwähnenswert ist allein Erhabene Samstag. Die Zauberin hat wirklich nahezu sämtliche Maßnahmen ergriffen, um Arthur aus dem Oberen Haus fernzuhalten. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass er es doch schaffen sollte, in ihre Domäne einzudringen, hat sie vorgesorgt. Ganz nebenbei arbeitet sie unbeirrbar an dem Plan, dem sie bereits die letzten zehntausend Jahre gewidmet hat: nämlich Lord Sonntag die Unvergleichlichen Gärten, die oberste Domäne jenseits der Wolken, abzujagen!

Tatsächlich hat Erhabene Samstag eine ganze Menge mehr Format als Lady Freitag und überhaupt sämtliche bisherigen Wochentage. Sie denkt strategisch und berücksichtigt alle Eventualitäten, und sie agiert zielstrebig, anstatt ihre Zeit mit Kinkerlitzchen zu verplempern.

Dieser gezielte Angriff auf Lord Sonntag dominiert auch die Ausgestaltung der Umgebung: Erhabene Samstag residiert in der Spitze eines Turmes, der mich ein wenig an den Eiffelturm erinnerte, ein Gerüst aus offenen Stahlwürfeln, in denen Samstags Zauberer an Schreibtischen sitzen und weiß der Himmel was arbeiten. Es regnet ununterbrochen, und die Schirme der Zauberer, die ebenso wie die Höhe ihres Bürowürfels innerhalb des Turmes ihren Rang verraten, halten lediglich das Papier trocken, nicht die Zauberer. Ein interessanter Entwurf, der aber nicht so viele nette Nebenaspekte bot wie das Untere Haus oder die Armee von Sir Donnerstag, was aber vielleicht auch einfach nur daran liegt, dass manches, was beim Lesen des ersten Bandes noch kurios und einfallsreich wirkte, durch regelmäßiges Auftauchen inzwischen alltäglich geworden ist. Wie auch immer, eine wirklich nett Idee fand ich diesmal nur den Aufenthaltsort des Vermächtnisses und die Bäume, welche die Unvergleichlichen Gärten tragen.

Die Sache mit der Atombombe fand ich dafür ziemlich übertrieben, zumal Arthurs Überlegungen, ob sein Zuhause den Angriff auf das Krankenhaus wohl überstehen wird, ziemlich lächerlich anmuten, auch wenn Kinder sich über die Auswirkungen einer Atomexplosion vielleicht nicht so genau im Klaren sind. Hier ist der Autor schlicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Eine konventionelle Bombe hätte den Zweck genauso erfüllt.

_Das alles klingt fast so_, als hätte dieser sechste Band – von der Figur Erhabener Samstags abgesehen – noch einmal hinter seinem Vorgänger zurückgesteckt. Was diesen Band jedoch rettet, ist die abgeknickte Handlungskurve.

Natürlich gelingt es Arthur, allen Maßnahmen Samstags zum Trotz, ins Obere Haus zu gelangen. Tatsächlich geht zunächst einmal alles genauso glatt wie bereits im Band davor. Aber sobald Arthur den sechsten Vermächtnisteil gefunden hat, gerät er sogleich in ziemliche Schwierigkeiten, die sich dann rasch zu einem ernsthaften Problem auswachsen. Und diesmal sieht es nicht so aus, als könnte er den sechsten Schlüssel so einfach für sich beanspruchen. Im Gegensatz zu den bisherigen Treuhändern setzt Erhabene Samstag sich gegen Arthurs Anspruch zur Wehr.

Das wirklich Fiese daran ist allerdings nicht Erhabene Samstags Gegenwehr, sondern die Tatsache, dass der Autor an dieser Stelle einfach abbricht! Der Leser erfährt nicht, wie das Duell ausgeht. Weder, ob Arthur den Schlüssel ergattern, noch, ob der sechste Vermächtnisteil sich Dame Primus anschließen konnte. Er erfährt nicht, was aus Susi Türkisblau wurde, ja nicht einmal, was aus Arthur wurde, von den Ereignissen auf der Erde ganz zu schweigen! Alles, wirklich alles ist offen! Und das zu all den vielen sonstigen Fragen, die noch immer unbeantwortet sind.

_Wer also_ im Laufe der Lektüre vielleicht mit dem Gedanken gespielt haben sollte, dass es jetzt allmählich Zeit wäre, mit dem Lesen aufzuhören, weil die Handlung anfängt, zu sehr den Ereignissen der übrigen Bände zu ähneln, der wird diesen Gedanken spätestens im vorletzten Kapitel schleunigst fallen lassen. Garth Nix hat seine Handlungsfäden auf einen Dreifrontenkrieg hin zugespitzt, Arthurs Heimatstadt steht vor dem absoluten Chaos, und da Samstag noch nicht ausdrücklich besiegt ist, könnte Arthur es im nächsten Band mit zwei Treuhändern auf einmal zu tun bekommen. Das verspricht einen Showdown, wie man ihn sich kaum dramatischer wünschen kann.

_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Aus seiner Feder stammen der Jugendbuchzyklus |Seventh Tower| sowie die Trilogie |Das alte Königreich|. Das Erscheinungsdatum des letzten Band aus der Reihe |Keys to the Kingdom| ist noch nicht bekannt.

|Originaltitel: Superior Saturday
Aus dem Englischen von Axel Franken
Illustrationen von Daniel Ernle
269 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Empfohlen ab 10 Jahren
ISBN-13: 978-3-431-03776-0|
http://www.ehrenwirth.de

Außerdem von Garth Nix auf |Buchwurm.info|:

[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)