Archiv der Kategorie: Rezensionen

James Ellroy – Ein amerikanischer Albtraum [Underworld U.S.A. 2]

Nachdem 1963 bereits Präsident John F. Kennedy mit Billigung des FBI von der Mafia ermordet wurde, gerät fünf Jahre später sein Bruder Robert – der einen Feldzug gegen das organisierte Verbrechen führt – ins Visier der Verschwörer … – Erschreckend plausibel entwickelt Autor Ellroy im zweiten Band der „Underground U.S.A.“-Trilogie seine alternative, von Korruption und Komplotten gezeichnete ‚alternative‘ Geschichte der USA fort. Während die dichte Handlung erschreckt und fesselt, stört Ellroys offensiver, allzu ‚literarischer‘ Stil, der von kurzen, stakkatohaften Sätzen geprägt bzw. zerrissen wird.
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Funke, Peter – Athen in klassischer Zeit

In dem vorliegenden Buch befasst sich Peter Funke, Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, mit Athen, einer der schillerndsten Städte des Altertums. Seine Betrachtung beginnt im 6. Jahrhundert v. Chr. mit den Reformen Solons und endet 322 v. Chr. mit der athenischen Kapitulation gegenüber dem Makedonenkönig Alexander dem Großen.

In einzelnen Episoden erläutert Funke, wie sich Athen in diesem Zeitraum zu einem der führenden Stadtstaaten der griechischen Welt entwickelte. Den Anfang macht die Zeit Solons, dessen Reformen 594 den Grundstein legten für die spätere folgenreiche Umwälzung der athenischen Gesellschaft. Bevor sich die Demokratie jedoch durch die Reformen des Kleisthenes ab 508 weiter entfalten konnte, verfiel Athen zwischenzeitlich wieder in eine Tyrannei. Den sich daraus ergebenden Kampf zwischen den beiden Staatsformen Tyrannis und Polis beschreibt Funke sehr anschaulich. Zugleich beschreibt er auch die Spannungen zwischen Athen und Sparta, die daraus resultierten, dass beide Städte die Vorherrschaft über Griechenland anstrebten. Eine weitere Macht im Streit um Griechenland stellte das Perserreich dar, welches auf Eroberung aus war und sich zunehmend in der Ägäis auszubreiten suchte. Einen ersten Höhepunkt erreichte der Konflikt mit Persien 490 in der berühmten Schlacht von Marathon. Dort blieben die Athener siegreich und begründeten mit diesem Sieg immer wieder ihren Vormachtanspruch. Der Sieg von Marathon sollte jedoch nur das Fanal einer sehr vorläufigen Hegemonie werden.

Die Rache Persiens ließ nicht lange auf sich warten und auch der Frieden unter den griechischen Städten war niemals von Dauer. Die griechische Geschichte jener Zeit ist von Konflikten geprägt. Dies sind sowohl Konflikte, die von außen nach Griechenland getragen werden, wie z. B. durch Persien, oder es handelt sich um Konflikte unter den Griechen, wobei zu beobachten ist, dass diese vornehmlich dann auftreten, wenn es gerade keine Bedrohung von außen gibt. Diesen Prozess des stetigen Auf und Ab, von Aufstieg und Niedergang, von Konflikten und Bündnissen beschreibt Funke in diesem Buch auf sehr strukturierte und gut nachvollziehbare Weise. Er beleuchtet sowohl die Zeit der Perserkriege als auch die Herrschaft des Perikles und den Peloponnesischen Krieg mit großer fachlicher Kompetenz.

Funkes Geschichte Athens, die sich von den Anfängen der athenischen Blütezeit bis hin zu deren Ende erstreckt, kann man als eine sehr gute Überblickslektüre zum Thema klassisches Athen bezeichnen. Für jeden geschichtsinteressierten Leser ist das Buch damit zwar zu empfehlen, jedoch sollten Leser, die sich bisher noch gar nicht mit der griechischen Geschichte befasst haben, ein Handbuch oder Lexikon des Altertums bereithalten, da so mancher Begriff wahrscheinlich nicht auf Anhieb bekannt oder verständlich sein dürfte. Dabei handelt es sich dann zumeist um Begriffe, die speziell in der griechischen Geschichte verwendet werden und in einem Überblickswerk natürlich nicht auch noch erläutert werden können.

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Walker, Hugh – Magira – Die Macht der Finsternis

Band 1: [„Die Welt des Spielers“ 2141

Das Verschwinden von Daran d’Sorcs Turm hat die Gefährten um Thuon voneinander getrennt.
Thuon, der in eine Figur des ewigen Spiels eingeschlossene Frankari und der Zwerg Thauremach konnten den Turm rechtzeitig verlassen. Bruss und Ilara dagegen wurden mit fortgerissen in eine Welt, die sich ständig verändert. Erst nach und nach wird erkennbar, dass sie auf die Ebene der Waage geraten sind, wo die ewige Schlacht tobt. Doch die Schlacht ist nicht unbedingt ein Problem. Jedenfalls nicht im Vergleich zur Gegenwart Äopes …

Thorich ist inzwischen klar geworden, dass er sich seiner Haut nicht mehr sicher ist, so lange er in Vanada und in Dirians Nähe ist. Am liebsten würde er sich aus dem Staub machen und Thuon suchen. Stattdessen wird er von einer Horde Ishiti entführt und zu Innis gebracht. Innis besteht darauf, dass Thorich ihn nach Ish begleitet. Dort angekommen, erfahren sie, dass ein fremder Mythane namens TrondasKhyn in die Stadt gekommen ist und erneut auf Menschenopfer drängt! Die Geschöpfe, die er aus der Finsternis beschwört, bringen das Grauen über E’lil …

Immerhin gelingt es Thorich, mit heiler Haut davonzukommen. Er weiß aber auch, dass die Geschehnisse in Ish wolsische Truppen auf den Plan rufen werden, und auf Kriegsdienst hat er keine Lust. Also verkrümelt er sich nach Sambun in Kanzanai. Um an ein ordentliches Schwert zu kommen – die kananaischen Krummschwerter liegen ihm nicht – , lässt er sich auf ein gefährliches Abenteuer ein: Er entführt die Tochter eines Kaufmanns aus dem Frauenturm des Palastes! Die Schwester des Fürsten macht sich auch gleich mit aus dem Staub, sie will den Mann nicht heiraten, den der Fürst ihr bestimmt hat. Jetzt hat der Fürst ziemlichen Ärger am Hals, denn der enttäuschte Bräutigam bezichtigt ihn des Verrats. Und zu allem Übel hat ein gewisser TrondasKhyn fest vor, in Sambun erneut zu versuchen, was ihm in Ish missglückt ist …

Der zweite Band des Magira-Zyklus besteht aus zwei Teilen. Während der erste Teil hauptsächlich die Geschehnisse des ersten Bandes zum Abschluss zu bringen scheinen, eröffnet der zweite Teil einen neuen Abschnitt. Die Verbindung zwischen beiden bilden die Gestalt des Mythanen TrondasKhyn sowie die Tatsache, dass wolsische Truppen auf dem Weg nach Norden sind. Diese Ausbreitung der Geschehnisse, ihre Auswirkung auf andere Länder, bildet den roten Faden, an dem sich die Handlung von einem Kontinent zum nächsten ausbreitet wie die Kreise auf der Oberfläche eines Teiches, in den ein Stein geworfen wurde: die Entführung Ilaras. So stellt sich bald heraus, dass nichts von dem, was im ersten Band passierte, abgeschlossen ist! Alles ist eine lange Reihe von Verkettungen.

Neu am zweiten Teil ist: Er spielt in einer anderen Gegend der Welt Magira. Ein anderes Volk taucht auf, mit eigenem Aussehen, eigenen Namen, eigener Kultur und Geschichte. Nicht, dass Hugh Walker darauf übermäßig einginge. Im Grunde wird aus all den Einzelheiten nur eine deutlich herausgehoben, während alle anderen Kleinigkeiten am Rande bleiben: die Angst der Kantussa vor der Wiederkehr der Toten.

Auch die neu auftretenden Charaktere – der Fürst und sein Gegenspieler, die Prinzessin und der Spielmann – sind nur knapp umrissen. Von ihren Gedanken und Gefühlen erfährt der Leser nichts, Hugh Walker definiert seine Protagonisten nach dem, was sie tun und wie sie es tun. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Fürsten von Sambun, der trotz der Knappheit sehr deutlich gezeichnet ist. Der Spielmann und vor allem die Prinzessin werden noch ein Stück fortschreitender Handlung brauchen, um denselben Grad an Lebendigkeit zu erreichen. Aber die Geschehnisse in Kanzania sind ja beleibe noch nicht abgeschlossen.

Der erste Teil setzt ziemlich nahtlos an der Stelle an, an der der letzte Band endete. Er beschreibt Thorichs Weg nach Ish sowie die Geschehnisse dort, und unmittelbar daran angeschlossen die Erlebnisse von Bruss auf der Ebene der Waage. Der Endpunkt von Bruss‘ Odyssee vermittelt den Eindruck, dass beide Stänge irgendwie miteinandern verbunden sind. Wie im ersten Band Ilara, verschiebt auch Bruss das Gewicht auf der Waage zugunsten des Lebens, Ilara hingegen scheint diesmal zugunsten der Finsternis zu wirken. Die Tatsache, dass sie Äopes Ring trägt, der untrennbar mit ihr verbunden ist, verleiht der Göttin Macht über sie.

Wie genau die Ereignisse um Thorich einerseits und Bruss und Ilara andererseits tatsächlich miteinander zusammenhängen, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Ebene der Waage ist, vor allem was die Seite der Finsternis betrifft, ein Reich des absoluten Chaos. Aber auch die Seite des Lebens ist nicht immer leicht zu verstehen, denn die Äbhängigkeiten der beiden von einander sind vielfältig. Dies ist die philosophische Ebene des Buches, die den abstrakten Begriff „Kampf zwischen Gut und Böse“ sozusagen in ein konkretes Gleichnis überträgt. Wider Erwarten wird das Verständnis der Zusammenhänge dadurch nicht einfacher. Generell lässt sich sagen, dass das, was sich auf der Waage abspielt, von allem am schwierigsten zu lesen ist.

Selbst die Ebene der Realität liest sich leichter, obwohl Laudmann mit seinen stetigen Andeutungen auch nicht immer einfach zu verstehen ist. Seiner Aussage nach ist es ihm gelungen, sich von der Figur Frankaris, zu der ihn der Autor innerhalb Magiras gemacht hat, zu trennen. Wie er das gemacht hat, würde mich brennend interessieren, genauso die Frage, wie es einer Romanfigur möglich sein sollte, etwas gegen den Willen des Autors zu bewirken.

Kein Zweifel, die Beziehung zwischen Laudmann, dem Autor und der von ihnen erschaffenen Welt ist eine ganz besondere! Bei Laudmann, dessen Manie ihn oft genug am Rande des Wahnsinns entlang führt, ist das nicht weiter verwunderlich, der Autor selbst kann sich dieser fiebrigen, unerbittlichen Zwanghaftigkeit aber offensichtlich auch nicht ganz entziehen. Offenbar steht er ebenfalls bereits mit einem Bein in seiner eigenen Schöpfung. Es scheint, diese Welt der Fantasy hat ein gewisses Eigenleben entwickelt, und so sehr beide Männer auch glauben mögen, sie könnten die Ereignisse dort kontrollieren, so ist es doch offensichtlich, dass auch die Welt selbst die beiden kontrolliert und beeinflusst, ihre Macht, die so absolut scheint, relativiert! Die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen zusehends!

Manche Schriftsteller packen ihre Geschichten, vor allem Historienromane, in eine zweite Handlung ein, eine Art Rahmen meist wissenschaftlicher Natur, der der eigentlichen Geschichte einen Hauch von Authentizität vermitteln soll, als hätten die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden, und zwar genau so wie dargestellt. Walker geht einen ähnlichen Weg, nur in die entgegengesetzte Richtung: In seiner Rahmenhandlung, den Gesprächen zwischen Laudmann und dem Autor, macht er das Unmögliche wirklich, holt die Fantasie in die Realität und erreicht damit dasselbe wie die anderen, nur viel effektiver! Er holt Magira ins Wohnzimmer des Lesers!

Magira gehört zu denjenigen Büchern, die Geduld erfordern. Seine Faszination braucht Zeit, um sich zu entfalten. Für sich betrachtet, mögen die Charaktere sowie ihre bestandenen Abenteuer ein wenig flach wirken. Allerdings sind die verschiedenen Kulturen Magiras nicht allein auf Walkers Fantasie zurückzuführen, sondern auch auf die seiner Mitspieler, insofern bestehen also auch urheberrechtliche Probleme. Abgesehen davon aber erhält Magira seine Tiefe durch die zusätzlichen Ebenen, vor allem die der Waage. Hier kann man auch nicht einfach drüberlesen. Die Prinzipien, die der Waage zugrunde liegen, sowie Laudmanns Gedankengänge erfordern tatsächlich Konzentration, um sie nachzuvollziehen. Beim nächsten lockeren Abenteuer, sei es Thorichs oder Thuons, kann der Leser sich dann wieder erholen. Magira ist ein wenig wie die Wogen des Meeres, ein ständiges Auf und Ab. Es mag nicht ununterbrochen richtig spannend sein. Aber es wird auch niemals wirklich langweilig.

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Uderzo, Albert – Gallien in Gefahr (Asterix 33)

|Wer kennt das Paar nicht? Der Kleine und der Dicke, alias Asterix und Obelix. In ihrem neuen Abenteuer „Gallien in Gefahr“ teilt Albert Uderzo Seitenhiebe in Richtung des Superhelden-Genres aus. Die charakteristische Eigenständigkeit seiner beiden Helden scheint ihn schon lange nicht mehr zu interessieren.|

Hat man einmal einen gewissen Status an Popularität erreicht, gibt es kein Zurück mehr. Asterix und Obelix bilden da keine Ausnahme. Sie sind Ikonen unserer Zeit. Im ewigen Kampf mit den Römern stehen sie für Herzlichkeit und Lebensfreude, für Eigenständigkeit und Individualität.

Inzwischen schert sich Albert Uderzo nicht mehr um den Charme und die Liebenswürdigkeit seiner beiden gallischen Helden. Seit Szenarist und Miterfinder René Goscinny 1977 gestorben ist, hat der Zeichner auch die inhaltliche Federführung übernommen. Die einst so unterhaltsame und avantgardistische Serie befindet sich auf dem Rückzug und hat dabei im letzten Sommer einen weiteren Tiefpunkt angesteuert.

Während die frankobelgischen Kollegen Spirou und Fantasio immer wieder versuchen, den Spagat zwischen Tradition und Modernisierung zu meistern, haben die Verlagsherren von Asterix und Obelix jeglichen Anspruch aufgegeben. Die traurige Lesewirklichkeit des neuen Bandes sieht so aus: Das berühmte gallische Dorf wird von Außerirdischen heimgesucht. Fliegende Klone im Superhelden-Kostüm schweben über dem so lieb gewonnenen gallischen Dorf. Angeführt wird die Truppe von Tuun, einer außerirdischen Mischung aus Schlumpf und Pumuckl. Er ist auf der Suche nach dem Zaubertrank, um sich gegen eine andere, bösartige Alienspezies zur Wehr zu setzen. Kurzum: Die Ideen sind aus – es lebe die Trotzdem-Veröffentlichung.

Aber nicht so voreiligt. Nehmen wir einmal an, Uderzo hätte wirklich ein Interesse daran, den knubbeligen Lila-Alien Tuun vom Stern Tadsyweni ins Asterix-Universum einzuführen. Was abseits dieser Extravaganz bleibt, ist eine über alle Maßen geistlose Handlung. Eigentlich geht es nur um die Frage, wer wem kräftig auf die Schnauze haut. Nebenbei werden alle signifikanten Markenzeichen der Serie hintereinander abgefrühstückt. Asterix, sonst ein Freund raffinierter Winkelzüge und Tricksereien, benimmt sich wie ein cholerischer Hamster im Laufrad. Denn trotz des Zaubertranks waren Asterix und Obelix niemals Berserker. Schlagdraufundschlus war nicht ohne Grund der Name eines römischen Legionärs.

Das neue Asterix-Abenteuer ist eigentlich gar kein Asterix-Abenteuer. Es hat sich seine Seele nicht verdient und straft seine Titelfiguren hart ab. Ebenso wie den Leser, der einfach nicht vergessen kann, wie die beiden frechen Gallier einst Cäsar die Lorbeeren vom Kopf stahlen.

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Lehtolainen, Leena – Im schwarzen See

Dank Leena Lehtolainen mischt auch Finnland mit, wenn es um die erfolgreichsten skandinavischen Kriminalromane geht. Die Krimis der finnischen Erfolgsautorin sind im eigenen Land bereits erfolgreich verfilmt worden, aber auch in Deutschland erscheint mit „Im schwarzen See“ bereits der achte Fall, in dem Maria Kallio ermittelt. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Lehtolainen ihren ersten Kriminalroman und zählt heute zu den erfolgreichsten und renommiertesten finnischen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie bei Henning Mankell ist es auch bei Lehtolainen die menschliche Seite an ihrer Kriminalkommissarin, die ihren Romanen die besondere Note verleiht und dadurch sicherlich sehr zum Verkaufserfolg ihrer Romane beiträgt.

Im aktuellen Lehtolainen-Krimi ist Maria Kallio nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt und muss dort sogleich einen Mord aufklären. Der Verlagsbesitzer Atro Jääskeläinen meldet seine Frau Annukka Hackman als vermisst, und tatsächlich wird sie bald ermordet im See Humaljärvi aufgefunden. Es scheint, als wäre sie mit ihrer eigenen Waffe erschossen worden, während sie gerade im See schwamm. Annukkas Exfreund Hannu Kervinen arbeitet als Pathologe für die Kriminalpolizei und bricht völlig zusammen, als Annukka, die er immer noch über alles liebt, als Mordopfer auf seinem Untersuchungstisch landet. Doch damit nicht genug, wird Kervinen des Mordes verdächtigt, weil er Annukka auch nach ihrer Hochzeit immer noch nachgestellt hat. Aber auch Atro Jääskeläinen hat für die Tatzeit kein wirklich wasserdichtes Alibi.

Eine dritte vielversprechende Spur führt zur Familie Smeds, da Annukka vor ihrem Tod an einer Biografie über den berühmten Rallyefahrer Sasha Smeds geschrieben hat. Während ihrer Nachforschungen über Sashas Leben muss Annukka auf eine heiße Sensationsgeschichte gestoßen sein, denn sie wollte um alles auf der Welt diese Biografie veröffentlichen, auch wenn sie nicht mehr von Sasha autorisiert werden sollte. Merkwürdigerweise finden sich in Annukkas aktuellem Manuskript keine verdächtigen Geschichten, die einen Mord rechtfertigen würden. Maria Kallio tappt lange Zeit im Dunkeln und muss zusätzlich mit privaten Problemen kämpfen. Seit sie wieder zur Arbeit geht, beschwert sich ihr Mann Antti zunehmend darüber, dass sie sich nicht mehr um ihre Familie kümmert. Er sitzt dagegen arbeitslos in der ungemütlichen Wohnung und versorgt die gemeinsamen Kinder. Als schließlich wichtige Informationen an die Presse gegeben werden, Zwistigkeiten in Maria Kallios Kollegenkreis auftauchen und sie bemerkt, dass ihr Vorgesetzter Jyrki Taskinen vielleicht doch mehr für sie ist als nur ein guter Freund, erhält Maria einen geheimnisvollen Anruf von Hannu Kervinen. Kurz darauf wird eine weitere Leiche gefunden und der Zeitdruck lastet mehr denn je auf den ermittelnden Beamten …

Leena Lehtolainen steigt sofort mit einem Mord in ihre Romanhandlung ein und schafft damit das erste Spannungsmoment, das uns an ihr Buch fesselt. Anschließend lässt sie sich allerdings sehr viel Zeit, um eine glaubwürdige Rahmenhandlung zu entwickeln, die für eine gelungene Atmosphäre sorgt und das Buch mit Leben füllt. Hier passiert nicht gleich ein zweiter Mord, der auf einen psychopathischen Serienkiller hindeuten würde, sondern Lehtolainen stellt uns alle verdächtigen Personen und die handelnden Figuren eingehend vor. Dabei tauchen wir richtiggehend in Maria Kallios Gedankenwelt ein und erleben dadurch all ihre Sorgen und Probleme hautnah mit. Ihr Beruf und ihre Familie wachsen ihr über den Kopf, zusätzlich fühlt sie sich in der engen Wohnung unwohl. Hinzu kommt Anttis Antriebs- und Mutlosigkeit, die ihn sogar überlegen lässt, eine Arbeitsstelle in England anzunehmen. In diese schwierige Situation platzen eine schwere Grippe ihres zweijährigen Sohnes Taneli und ein verdächtiges Paket von einem Gefängnisinsassen für ihre kleine Tochter Iida, außerdem kommen die Ermittlungen kein Stück voran. Maria weiß nicht weiter und muss schließlich mit einem Wechselbad der Gefühle, Zwist und Eifersucht unter ihren Kollegen kämpfen.

Die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Aufklärung des Mordfalls ist also denkbar schlecht; hier finden wir fast die gleiche Trostlosigkeit wie im schwedischen Ystad wieder, nur dass Lehtolainen auf brutale Details und fiese Mordtechniken vollständig verzichtet. Ihr aktueller Kriminalroman ist geprägt von persönlichen Problemen der Kriminalkommissarin Kallio, die uns durch diese privaten Schilderungen sehr sympathisch wird.

Aber auch die anderen Figuren werden uns genauer vorgestellt, da Leena Lehtolainen sich auf einen kleinen Kreis von Verdächtigen beschränkt und diese Personen stattdessen eingehend präsentiert, um uns zum Miträtseln zu animieren. Fast schon wie bei Agatha Christie kommt Lehtolainen mit einer Hand voll verdächtiger Personen aus, von denen im Prinzip allerdings jeder der Mörder sein könnte. Immer wieder tauchen neue Verdachtsmomente auf, und wenn ein Tatverdächtiger schon fast als Mörder feststeht, gibt es eine neue Spur, die auf jemand anderen hindeutet. Hier beweist Lehtolainen wirklich großes Geschick für das punktgenaue Einstreuen neuer Informationen, die ihrer Handlung eine neue Wendung geben. Unterschwellig scheint sich alles auf eine bestimmte Person hinzuentwickeln, aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Leena Lehtolainen am Ende noch einmal?!

Trotz dieser Lobeshymnen kann man „Im schwarzen See“ wohl nicht generell jedem Krimifreund empfehlen, eher würde ich meinen, dass Lehtolainen wie ihre norwegische Kollegin Anne Holt eher „Frauenkrimis“ schreibt, die sich nicht so sehr auf blutige Details stürzen oder wie bei Wallander auf ausgefeilte Mordtechniken, sondern auf die persönliche Seite der handelnden Personen. So müssen wir uns mit zwei Leichen „begnügen“, obwohl das Buch sicherlich vom Umfang her Platz für mehr gelassen hätte, doch dann hätte Lehtolainen ihre Rahmengeschichte nicht so weit ausbauen können, die jedoch einen Großteil des Lesevergnügens ausmacht. Am Ende trauert man mit Maria Kallio, wenn der Täter gefunden und der Fall aufgeklärt ist, denn hier ist es keine Erleichterung, einen fiesen Mörder überführt zu haben; die Autorin präsentiert uns hier vielmehr ein menschliches Schicksal, für das wir Verständnis haben. Seltsamerweise haben wir deswegen am Ende mehr Sympathien für den Täter als für das Opfer.

Etwas unübersichtlich gestalten die zahlreichen finnischen (und daher für den deutschen Leser komplizierten) Namen das Lesen, denn es dauert eine Weile, bis man jedem Namen einen persönlichen Hintergrund zuordnen kann. Doch da im Grunde genommen jede auftauchende Person ihre Berechtigung in diesem Buch hat, gewöhnt man sich schließlich doch an die fremdländischen Namen. Störend empfand ich dagegen die Geschichte, die Leena Lehtolainen um Maria Kallios Kollegin Ursula rankt. Dieser Handlungsstrang bringt die eigentliche Erzählung nicht voran – ganz im Gegenteil, Ursulas Geschichte bremst sie eher noch aus. Leider finden Ursulas Ränkespielchen keinen echten Abschluss in diesem Kriminalroman und kommen mir deswegen etwas unnötig vor.

„Im schwarzen See“ wird wahrscheinlich nicht der Krimi des Jahres werden, dennoch hat die finnische Erfolgsautorin Lehtolainen wieder einmal einen spannenden und überaus interessanten Kriminalfall ihrer Kommissarin Maria Kallio vorgelegt, der seine Leser (besonders die weiblichen) sehr gut zu unterhalten weiß. Der Roman kommt psychologisch ausgefeilt daher und spielt mit den Sympathien der Leser, da wir am Ende mit dem Täter fühlen und nicht um das Opfer trauern. Bei Lehtolainen kauen wir nicht vor Spannung und Ungeduld unsere Fingernägel ab oder lassen nachts das Licht an, weil die Erzählung brutal und fesselnd ist, die Stärken dieser finnischen Kriminalreihe liegen vielmehr in der Figur der Maria Kallio und den glaubwürdigen Figurenzeichnungen; hier werden die persönlichen Schicksale ins Zentrum der Geschichte gerückt. Wer sich auf diese Erzählweise einlässt, wird mit diesem Roman sicherlich ein paar vergnügliche Lesestunden erleben.

Stine, R. L. – Kuss des Vampirs, Der

R. L. Stines Gruselreihe „Gänsehaut“ ist mittlerweile Kult und er damit einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren geworden. Sein neuester Roman „Der Kuss des Vampirs“ orientiert sich an einem etwas älteren Publikum, dem der Teenager.

Die Protagonistin des Buchs ist die sechzehnjährige Destiny Weller, ein ganz normales amerikanisches Mädchen, das zusammen mit seiner Zwillingsschwester Livvy in einem Sommerferiencamp als Betreuerin gearbeitet hat. Sie haben dort jede Menge Spaß gehabt und viele Leute kennen gelernt. Besonders Renz, der Oberbetreuer mit dem charmantem Schlafzimmerblick und dem leichten italienischen Akzent, hat es den beiden angetan. Was sie nicht wissen: Renz ist ein Vampir, der nach dem Tod seiner einzigen und großen Liebe Laura auf der Suche nach einem Ersatz ist. Was für einem Ersatz, ahnen die Weller-Zwillinge erst, als sie sich zu Hause plötzlich eigenartig benehmen. Eines Nachts saugen sie gemeinsam wie von Sinnen einem Kaninchen das Blut aus. Der Schreck sitzt tief, doch die beiden können nichts dagegen tun. Doch sie sind noch keine richtigen Vampire, sondern nur Neophyten, das heißt, beim nächsten Vollmond entscheidet sich ihr Schicksal. Wenn sie an diesem Tag das Blut eines echten Vampirs trinken, wird ihre Verwandlung komplett sein, sollte dies nicht geschehen, werden sie zu wahnsinnigen Untoten.

Währenddessen müssen sie natürlich vor ihren Freunden und Familie verbergen, was mit ihnen los ist, was zu komplizierten Verwicklungen führt, denn ihr Bluthunger ist unkontrollierbar, und dann stellt sich auch noch heraus, dass einige ihrer Freunde Mitglieder der Vampirjäger sind. Destiny hört etwas von einem Restaurator, der sie vor ihrem Schicksal retten könnte. Doch wer ist dieser Restaurator? Ist es etwa der süße Berufsberater aus dem College, der mit den dunklen Locken und dem leichten italienischen Akzent?

In rasantem Tempo erzählt Stine die Geschichte zweier unterschiedlicher Mädchen, die plötzlich durch ihr grausames Schicksal verbunden werden. Spannung kommt vor allem dadurch in die Handlung, dass neben dem persönlichen Schicksal der Schwestern auch der Wohnort der beiden, Dark Springs, angesprochen wird. Hier treiben sich nämlich seit einiger Zeit Wesen herum, die Waldtiere töten und sie blutleer liegen lassen. In den Nachrichten geht man erst von einem Virus aus, dann von einem Geistesgestörten, der unter anderem Livvys Freundin Bree auf dem Gewissen habe. Trotz dieser Tatsachen in den Medien formieren sich im Ort die Vampirjäger, die den Schwestern im Nacken sitzen.

Die Spannungskurve dieses Buches ist enorm, ein richtiger Pageturner, denn neben der angenehmen Tatsache, dass nicht alles glatt läuft und nur auf wenige Klischees zurückgegriffen wird, ist es vor allem der extrem straffe Plot, der wenig Platz zum Atmen lässt und dadurch keinerlei Längen aufweist. Stine setzt auf wenig schmückendes Beiwerk und reduziert Gefühlsäußerungen und Gedanken sowie Beschreibungen auf ein Minimum, so dass die Geschichte an vielen Stellen von Dialogen getragen wird.

Der Schreibstil ist klar, leicht verständlich und ebenso knapp und prägnant wie der Aufbau der Geschichte. Er weist kaum wirkliche Eigenheiten auf, aber das ist nicht weiter schlimm, denn auch das kann ein geschickter Schachzug sein, wie „Der Kuss des Vampirs“ beweist. Zwar wird der Roman durch seine Schnelligkeit etwas oberflächlich, andererseits konzentriert er sich damit hauptsächlich auf die Handlung und verhindert Langatmigkeit.

R. L. Stines Roman ist ein rasantes Bündel Spannung, das mit wenig Worten auskommt, dafür aber auch keinerlei Längen aufweist. Sicherlich keine große Literatur, aber ein wirklich nettes und gruseliges Jugendbuch.

Stewart, Paul & Riddell Chris – Helden von Muddelerde, Die

Eigentlich bin ich immer viel zu faul, um mir nach dem Genuss eines Filmes auch noch das dazugehörige Buch zu besorgen und durchzuarbeiten, schließlich kennt man die gesamte Handlung schon und die Spannung ist quasi komplett verpufft. Und so ähnlich verhält sich dies auch bei Hörbüchern und den entsprechenden Schriftversionen … Daher habe ich mich auch eine Weile dagegen gesträubt, mir die ‚Papier-Variante‘ von „Die Helden von Muddelerde“ zur Brust zu nehmen, schließlich habe ich vor einiger Zeit auch schon die [Audiofassung 1947 zur einmaligen Fantasy-Geschichte von Paul Stewart gehört und für euch rezensiert. Letztlich aber schnappte ich mir am vergangenen Wochenende das 450 Seiten starke Buch, zog mich auf die Couch zurück und verschlang die Geschichte um den zerstreuten Magier Randalf und den Anti-Helden Joe Jefferson an nur einem Nachmittag. Mein vorläufiges Resümee: Ich bin froh, die Buchfassung doch noch gelesen zu haben, denn der Autor hat hier wirklich eine außergewöhnliche Erzählung erschaffen, von der man sich nach dem reibungsfreien Einstieg gar nicht mehr losreißen kann! Und genug bekommen kann man von Paul Stewart, sobald man einmal Blut geleckt hat, sowieso nicht mehr, was in meinem Falle wohl auch am mehrfachen Konsum der bei uns vorgestellten „Klippenland-Chroniken“ liegt. Und deren Niveau erreicht „Die Helden von Muddelerde“ spielerisch …

_Story_

Muddelerde ist in Gefahr und braucht dringend einen Helden – ansonsten wird der grauenhafte Dr. Knuddel sehr bald die Herrschaft an sich reißen. Der ziemlich zerstreute Magier Randalf der Weise sieht sich deswegen in der Pflicht und zaubert einen Helden dabei. So findet sich der ganz normale Schuljunge Joe Jefferson urplötzlich in einer fremden Welt statt in seiner Schuklasse wieder – und seinen Hund Henri hat er auch direkt mitgebracht.

Das Team von der Erde hat jedoch nicht lange Zeit, sich großartig auf die neue Umgebung umzustellen, denn auch wenn Randalf von seinem seltsamen Helden nicht gerade begeistert ist, verlangt er von ihm, dass er als Heldenkrieger „Joe, der Barbar“ das große Zauberbuch beschafft und Dr. Knuddel und seine Besteckarmee von ihren schrecklichen Plänen abhält.

Gemeinsam mit dem Zauberer, dem trotteligen Oger Norbert, dem vorlauten Wellensittich Veronika und seinem Gefährten Henri macht sich Joe schließlich auf den Weg, um die für ihn völlig fremde Welt vor ihrem dunklen Schicksal zu retten …

_Meine Meinung_

Das Buch zu „Die Helden von Muddelerde“ ist ein wenig umfangreicher als das vierteilige Hörbuch und seinem genialen Pendant daher auch absolut ebenbürtig. Zwar vermisst man anfangs etwas die lockere Atmosphäre, die der stimmliche Gestaltenwandler Volker Niederfahrenhorst im gleichnamigen Hörspiel kreiert, doch dies gibt sich eigentlich auch schon wieder ab dem Moment, in dem Joe Jefferson sich plötzlich in der seltsamen Welt Muddelerde wiederfindet.

Einen sehr guter Ersatz für die Erzählstimme bieten allerdings die zahlreichen Skizzen, die Paul Stewarts Compagnon Chris Riddell zu diesem Buch beigetragen hat. Riddel zeichnet die verschiedenen Charaktere in allen möglichen Situationen und zeigt dabei ein besonderes Gespür für simplen, aber effektiven Humor. Die Hauptfigur Joe in improvisierter Ritterrüstung oder Randalf als Sinnbild der totalen Verwirrung sorgen für weitere Lacher einer ohnehin schon ziemlich witzigen Handlung und werten das Buch enorm auf. Gerade das jüngere Publikum, das Stewart mit diesem Buch sehr deutlich anspricht, sollte an den feinen Bildern seine Freude haben, zumal sie ihnen helfen, eine Vorstellung vom äußeren Erscheinungsbild der Figuren zu gewinnen. Nicht jeder kann sich ausmalen, wie der tollpatschige Oger Norbert tatsächlich aussieht, und auch die Beschreibungen vom finsteren Dr. Knuddel sind nicht so eindeutig, als dass man sie direkt verinnerlichen könnte. Alleine deswegen lohnt sich ein genauer Blick auf die Skizzen, die sehr oft in die Seiten der Geschichte eingefügt wurden und somit auch jeweils der Situation entsprechend wiederkehren. Damit soll natürlich nicht suggeriert werden, dass der Autor bei der Charakterisierung seiner Akteure irgendwelche Defizite zeigte, denn dies ist ganz bestimmt nicht der Fall!

Ich fühle mich jetzt immer wieder dazu geneigt, das Buch mit dem Hörspiel zu vergleichen, doch es gibt hier einfach keine wirklichen Unterschiede abseits des Handlungsumfangs. Die Stärken der Audio-Version kann das Buch durch die zeichnerische Veranschaulichung der Hauptpersonen wieder ausgleichen. Und wo das Buch durch seinen größeren Umfang etwas mehr ins Detail gehen kann, kaschiert das Hörbuch dies wieder durch seine ganz besondere Atmosphäre. Lohnenswert sind auf jeden Fall beide Fassungen, und wie ich jetzt selber festgestellt habe, empfiehlt es sich durchaus auch, sich mit beiden Varianten auseinander zu setzen.

„Die Helden von Muddelerde“ ist in erster Linie natürlich ein Jugendbuch, und die Zielgruppe von Stewart und Riddell dürfte auch größtenteils noch die Schulbank drücken. Dafür spricht auch das recht große Schriftbild, bei dem es durchaus möglich ist, in einer Stunde ganze hundert Seiten zu verschlingen. Trotzdem aber sollten sich auch die älteren Jahrgänge mit den lustigen Wesen aus Muddelerde vertraut machen und sich an dem netten Wortwitz und den humorvoll gestalteten Zeichnungen erfreuen. Man sollte allerdings in diesem Buch keinen satirischen Seitenhieb auf „Der Herr der Ringe“ erwarten, denn damit hat „Die Helden von Mudddelerde“ nur bedingt etwas zu tun. Von der Klasse her gemahnt es aber fast schon an diese legendäre Trilogie und löst so natürlich auch die Hoffnung aus, irgendwann einmal fortgesetzt zu werden. Doch so weit sind wir noch nicht; erst einmal gilt es, Joe, seinen Hund, Randalf, Norbert und Veronika auf ihrer Reise durch die Fabelwelt und im Kampf gegen Dr. Knuddel zu erleben, und dabei wünsche ich allen Interessierten viel Spaß – auch denjenigen, die das Hörbuch schon lieben gelernt haben!

Heinen, Heinz – Geschichte des Hellenismus: Von Alexander bis Kleopatra

Bei der „Geschichte des Hellenismus“ handelt es sich um eine kleine und kompakte Einführung in den Themenbereich des Hellenismus. Als Epoche des Hellenismus bezeichnet man gemeinhin jenen Zeitraum der Geschichte, der sich vom Aufstieg Alexanders des Großen (etwa ab 336 v. Chr.) bis hin zum Fall der Stadt Alexandreia und des Todes von Marcus Antonius und Kleopatra (30 v. Chr.) erstreckt. Der Autor Heinz Heinen lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Universität Trier und ist zudem Vorsitzender der Kommission für Geschichte des Altertums.

In seiner Einleitung grenzt Heinen das zu bearbeitende Thema zunächst räumlich und zeitlich ab, um gleich darauf die Voraussetzungen des Hellenismus aufzuzeigen. Hierbei werden vor allem die Verdienste Philipps II., Alexanders Vater und Vorgänger, in den Vordergrund gestellt. Denn ohne Philipps erfolgreiche Expansions- und Außenpolitik wäre es Alexander wohl nicht möglich gewesen, „die ganze damals bekannte Welt“ zu erobern. Somit wäre der Autor auch schon bei Alexanders Regentschaft selbst angelangt. Obwohl die Herrschaft Alexanders nur etwa 15 Seiten des Buches ausmacht, vermittelt Heinen auf diesen wenigen Seiten einen hervorragenden, wenngleich auch sehr gestauchten Überblick über die Lebensstationen und Erfolge des legendären makedonischen Herrschers. Dabei mutet die Geschichte Alexanders, der nicht einmal sein 33. Lebensjahr vollendete, nicht nur informativ, sondern zudem auch spannend an. Dies mag vor allem natürlich an der Geschichte Alexanders selbst liegen, jedoch gelingt es Heinen, im Gegensatz zu vielen seiner Historikerkollegen, diese Spannung nicht durch übertriebenen Einsatz wissenschaftlicher Termini und Formulierungen zu verringern.

Nicht weniger spannend erscheint der Kampf um das Erbe Alexanders des Großen. Mit Alexanders frühem und ungeklärtem Tod setzte 323 eine Zeit der Auseinandersetzungen ein. Alexanders Generäle stritten sich um das Erbe des Makedonen. Das riesige Reich, welches Alexander geschaffen hatte, spaltete sich auf und versank im Krieg. Zwischen den partikularen Interessen der einzelnen Diadochen, Bezeichnung für die selbsternannten „Nachfolger“, ging auch Alexanders Familie zugrunde. Einer nach dem anderen wurde umgebracht, seine Mutter Olympias, sein Halbbruder Arrhidaios, seine Frau Roxanne und auch sein Sohn Alexander IV.! Heinen beschreibt das Hin und Her der Kämpfe zwischen den Diadochen im Folgenden sehr anschaulich und übersichtlich. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Zeit der Diadochenkämpfe aufgrund ihrer Verwicklungen sehr schnell unübersichtlich werden kann. In der Zwischenzeit stieg andernorts jedoch der Stern einer anderen Macht unaufhaltsam empor. Die Zeit Roms brach an. Seit 215 v. Chr. griff Rom zunehmend in die Konflikte der hellenistischen Staaten ein und schaltete einen Gegner nach dem andern aus. Es gelang den Römern auf diese Weise, eine Vorherrschaft über die hellenistische Welt zu etablieren. Diese Vorherrschaft erreichte 30 v. Chr. ihren Höhepunkt, als Rom mit dem Sieg über das ptolemäische Ägypten auch den letzten hellenistischen Großstaat ausschaltete. Die Epoche des Hellenismus wurde somit durch den Aufstieg Roms beendet.

In einem weiteren Kapitel befasst sich Heinen mit den einzelnen Regionen der hellenistischen Welt, wobei er politische, soziale und ökonomische Aspekte in den Vordergrund stellt. Da das Phänomen des Hellenismus in den verschiedenen Regionen unterschiedlichste Ausprägungen haben konnte, erscheint diese Auseinandersetzung sehr wichtig. Zudem lernt man als Leser einzelne Großregionen, über die man bisher vielleicht nicht allzu viel wusste, besser kennen. Hierzu zählen vor allem das Seleukidenreich und der Schwarzmeerraum, die in der Beschäftigung mit dem Hellenismus oftmals ein wenig untergehen. Ebenfalls sehr informativ ist Heinens Auseinandersetzung mit der Kultur und Religion des Hellenismus, die sich dem Kapitel über die hellenistischen Regionen anschließt. Besonders mit diesen grundlegenden Ergänzungen wird das Buch von Heinen zu einer sehr informativen Rundumschau auf den Hellenismus. Das Buch eignet sich somit perfekt als Einstieg in das Thema, wenn man beabsichtigt, sich näher damit zu befassen, oder auch als Überblick, wenn man sich nur oberflächlich mit dem Hellenismus auseinandersetzen möchte.

Aber ganz gleich, warum man sich mit dem Hellenismus befassen möge, es bleibt dennoch die vermutlich packendste Epoche des Altertums. Ganz im Stile einer griechischen Tragödie wechseln sich Verrat, Treue, Intrige, Heldentum, Mord und Versöhnung stetig gegenseitig ab.

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Taylor, Andrew – Schlaf der Toten, Der

London, 1819. Der mittelllose Lehrer Thomas Shield erhält eine Stelle in einem Internat außerhalb der Stadt. Für den jungen Mann, der immer noch unter den traumatischen Folgen seines Kriegseinsatzes leidet, ist diese Arbeit ein großer Glücksfall. Zu seinen Schülern gehören auch die beiden zehnjährigen Jungen Edgar Allan und Charlie Frant, die sich wie Brüder ähneln und vom ersten Tag an die besten Freunde sind. Edgar ist ein kleiner Amerikaner, der von den Allans adoptiert wurde. Charlie ist der Sohn von Henry Frant, einem wohlhabenen Bankier, dem Teilhaber der berühmten Wavenhoe-Bank.

Nachdem Thomas Shield die Jungen einmal auf der Straße vor den Nachstellungen eines verwahrlosten Mannes bewahrte, kommt er in Kontakt mit der Familie Frant. Vor allem zu Charlies Mutter, Sophie Frant, fühlt er sich auf unerklärliche Weise hingezogen, aber auch Charlies Cousine, die kokette Flora Carswell, verwirrt seine Sinne. Hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, nutzt er bald jede Gelegenheit, um den Frants einen Besuch abzustatten.

Nach dem Tod des Gründers George Wavenhoe gerät die Bank in den Ruin. Als sich herausstellt, dass Henry Frant seine Kunden betrogen hat, steht die Familie Frant vor dem Bankrott. Kurz darauf wird die bis ins Unkenntliche zugerichtete Leiche eines Mannes gefunden, der als Henry Frant identifiziert wird. Die Witwe und der kleine Charlie werden von ihren Verwandten, den Carswells, aufgenommen und ziehen auf ihren Landsitz. Thomas Shield befürchtet, die verehrte Sophie Frant nie wiederzusehen – doch stattdessen engagiert ihn die Familie als Hauslehrer. In der Zeit auf dem Anwesen der Carswells gerät Thomas in ein Netz aus Intrigen und weiß schon bald nicht mehr, wem er trauen darf. Was hat es mit dem geheimnisvollen David Poe auf sich, der behauptet, er sei Edgar Allans Vater? Handelt es sich bei dem Ermordeten wirklich um den verschwundenen Henry Frant? In einer verschneiten Winternacht kommt es schließlich zu einem weiteren mysteriösen Todesfall …

Neblige Nächte, dunkle Gassen, verwinkelte Herrenhäuser und weite Wälder – „Der Schlaf der Toten“ besitzt alle Elemente, die man von einem Schauerkrimi erwartet. In gekonnter Manier zieht Taylor seinen Leser hinein ins viktorianische England, lässt ihn teilhaben an den Aufzeichnungen des jungen Thomas Shield und konfrontiert ihn mit einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die sich immer weiter zu einem undurchdringbaren Geflecht aus Lügen und Intrigen zu verstricken scheinen. Von kleinen Einschränkungen abgesehen, liegt hier ein überzeugender und fesselnder Historienkrimi vor, der nicht zu Unrecht mit dem „Historical Dagger“ ausgezeichnet wurde.

|Überzeugende Charaktere|

Ein großes Verdienst des Romans ist zweifelsohne die Identifizierung des Lesers mit der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler Thomas Shield. Schon zu Beginn wird klar, dass es sich hier um keinen strahlenden Helden handelt, sondern um einen Charakter mit Hang zur Labilität. Aufgewachsen ohne Mutter, verstarb sein Vater vor Beendigung des Studiums, so dass Thomas aus Geldmangel die Universität vorzeitig verlassen musste. Die traumatische Kriegserfahrung erforderte ärztlichen Beistand und ein unbeherrschter Gefühlsausbruch ließ ihn seine Stelle verlieren. Trotz des unerwartet großzügigen Erbes seiner Tante ist Thomas Shield kein Gewinner, sondern ein einsamer und verletzlicher junger Mann, für den man sich gerne ein bisschen Glück erhofft, mit dem man leidet, mit dem man hofft und dessen Schicksal einen spätestens in der zweiten Hälfte des Buches vollends in den Bann zieht.

Längst nicht so intensiv, aber doch als lebendig und anschaulich empfindet man die restlichen Charaktere, allen voran die Mitglieder der Familie Frant und ihr Umfeld: die zarte Sophie, die ihre eigenen Gefühle hinter das Glück ihres Sohnes stellt und deren zurückhaltende, undurchschaubare Art auf den Leser ähnlich faszinierend wirkt wie auf Thomas Shield; der kleine Charlie mit dem sensiblen Gemüt, der sich im Internat zunächst so verloren fühlt und durch die Hilfe seines Freundes Edgar die schwere Zeit übersteht; der undurchsichtige Henry Frant, der noch nach seinem Tod seine Familie ins Verderben reißt; und die reizvolle Miss Carswell, die es liebt, Thomas Shield in Verlegenheit zu bringen und immer wieder neue Verwirrungen provoziert. In dieser Charakterfülle liegt womöglich auch eine kleine Schwäche des Romans, da viele Figuren Erwartungen wecken, die sie unterm Strich nicht unbedingt einhalten können. Von manch einer Person erhofft man sich während der Lektüre noch eine größere Beteiligung an der Handlung oder gar eine Schlüsselrolle, muss am Ende jedoch feststellen, dass es wirklich bei einem Nebencharakter geblieben ist, der für die Handlung keine überraschende Bedeutung mehr beiträgt.

|Hommage an Poe|

Versierte Leser werden bereits bei der Erwähnung des kleinen „Edgar Allan“ aufmerken, offensichtlich wird es spätestens dann, wenn ein gewisser David Poe ins Spiel kommt: Der zehnjährige Schüler von Thomas Shield, dessen Rolle einiges zu den Rätseln im Verlauf der Handlung beiträgt, ist niemand anderes als Edgar Allan Poe, der berühmte Schriftsteller, der später mit seinen detektivischen und unheimlichen Kurzgeschichten in die Weltliteratur eingehen sollte. Im Anhang an den Roman finden sich dementsprechende biographische Anmerkungen des Autors zu Poes Leben und Werk. In behutsamer Manier wird hier versucht, die dunklen Jahre von Poes Schulzeit in Einklang mit der Romanhandlung zu bringen. Hier ist die Ähnlichkeit mit Charlie Frant eine Inspiration für Poes beliebtes Doppelgängermotiv; hier erinnert der Rabe aus dem gleichnamigen Gedicht bewusst an den sprechenden Papagei; und hier galten die Worte auf dem Sterbebett dem ehemaligen Lehrer. – Andrew Taylor kombiniert mit viel Geschick eine fiktive Handlung um das düstere Leben des großen Schriftstellers, ohne dabei je zu weit zu gehen und den Namen Poe als bloßen Aufhänger für seine Geschichte zu benutzen. Erfreulicherweise ist genau das Gegenteil der Fall: Trotz seiner Bedeutung für den Verlauf der Handlung drängt sich Edgar Allans Gestalt nie in den Vordergrund. Die Hauptfigur ist und war, auch trotz des Originaltitels „The American Boy“, Thomas Shield, und dem kleinen Edgar bleibt die Rolle des ungezähmten Schülers, der wie nebenbei durch scheinbare Nebensächlichkeiten den Geschehnissen immer wieder neuen Auftrieb verleiht.

|Zwischen Schauerkrimi und Sittenbild|

Mit knapp 570 Seiten kommt der Roman recht umfassend daher, was vor allem im Vergleich mit der tatsächlich geschilderten Handlung auffällt. Oftmals muss der Leser seine Geduld unter Beweis stellen, wenn es wieder einmal an ausufernde Passagen geht, in denen nicht wirklich viel passiert, sondern das Geschehen ruhig vor sich hin plätschert. Kleidungen und Örtlichkeiten werden ebenso ausführlich beschrieben wie belanglose Gespräche und gesellschaftliche Etikette. Hin und wieder ertappt man sich dabei, dass man geradezu auf das nächste bemerkenswerte Ereignis lauert. Andrew Taylors Schilderungen geraten nie langweilig, so dass man etwa Gefahr liefe, das Buch vorzeitig aus der Hand zu legen – doch er bewegt sich unzweifelhaft hart an der Grenze und reizt die Ausdauer seiner Leser gehörig aus. „Der Schlaf der Toten“ ist kein Thriller im modernen Sinne, der dem Leser atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Seite verspricht und der alle seitenlang mit neuen Enthüllungen aufwartet.

Stattdessen lullen einen die atmosphärischen Beschreibungen ein, ziehen den Leser mit hinein die Welt des Thomas Shield, die nach außen hin so malerisch wirkt und hinter deren Fassade düstere Abgründe lauern. Das Werk ist nicht nur ein Historienkrimi mit Anleihen an den Schauerroman, sondern auch ein Sittengemälde der viktorianischen Zeit. An der Person des mittellosen Thomas Shield, der sich auf dem Parkett der gehobenen Kreise bewegt, wird die Zwiespältigkeit dieser Gesellschaft deutlich. Shield wird nie als ihresgleichen angesehen, obwohl er im Gegenzug über den gewöhnlichen Bediensteten steht. Dem modernen Leser mögen die häufigen Verbeugungen und Ehrerbietungen, die Gedanken über Schicklichkeit und Contenance zunächst befremdlich vorkommen, und doch versetzt man sich rasch hinein in diese Welt der großen Bälle, der Herrenhäuser, der Droschken und der knicksenden Dienstmädchen. Diese Welt, die sich par excellence als Folie für mysteriöse Vorkommnisse eignet, beispielsweise in einer verschneiten Winternacht, in der Thomas über den Landsitz der Carswells irrt und die verschwundenen Jungen sucht, während in der Ferne der Wälder eine tödliche Wilderer-Falle zuschnappt …

So ergibt sich ein faszinierender Schauerkrimi aus dem viktorianischen England, der geschickt eine fiktive Handlung um Todesfälle in der gehobenen Gesellschaft mit der Biographie des Schriftstellers Edgar Allan Poe verbindet. Die ausschmückende Sprache und die detailreichen Schilderungen von Nebensächlichkeiten sorgen für die eine oder andere Länge, doch insgesamt bietet sich ein spannender Roman voller Rätsel und lebensechter Charaktere – allen voran der Ich-Erzähler Thomas Shield -, die ein unterhaltsames und fesselndes Lese-Erlebnis vermitteln.

_Andrew Taylor_ wurde 1951 in England geboren und studierte in Cambridge, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein Spezialgebiet sind Kriminalromane, darunter unter anderem die Lydmouth-Serie und die Roth-Trilogie.

Gay Longworth – Haut und Knochen

Das geschieht:

Detective Inspector Jessie Driver steckt in der Krise: Ihr alter Chef und Mentor wurde pensioniert, mit seiner Nachfolgerin zerstreitet sie sich schon am ersten Arbeitstag. Kollegen kritisieren oder mobben sie. Privat leidet Jessie unter ihrer schwierigen Beziehung zu einem flatterhaften Rocksänger.

Auch der aktuelle Kriminalfall sorgt für Ärger. Die Tochter einer publicitysüchtigen Schauspielerin ist verschwunden. Die Ermittlungen führen u. a. in die Marshall Street Baths, eine alte, längst geschlossene Schwimmhalle, in deren Ruine sich nun Junkies herumdrücken. Die Verschwundene findet sich dort nicht. Dafür entdeckt man in der Aschegrube eines uralten Heizungskessels die vollständig mumifizierte Leiche eines Mannes. Man hat ihn gefesselt in die Grube gestoßen, dort von Ratten anfressen und schließlich ertrinken lassen; ein Mord, dessen Brutalität von Rache kündet.

Jessies Nachforschungen gestalten sich schwierig, doch schließlich wird das Opfer identifiziert – als Krimineller, der vor 14 Jahren spurlos verschwand, nachdem er einer Verurteilung als Kidnapper im letzten Moment hatte entkommen können. Entführt hatte der Mann Nancy Scott-Somers, Tochter einer prominenten und einflussreichen Familie, die sehr auf ihr Privatleben bedacht ist und keinesfalls dulden will, dass Jessie die alte Sache wieder aufleben lässt. Die Scott-Somers üben über Anwälte, hohe Beamte und Jessies Vorgesetzte Druck auf die Polizistin aus, die sich indes nicht abschrecken lässt, zumal sie auf ein sorgsam gehütetes Familiengeheimnis stößt, das die Scott-Somers als Dulder oder sogar Auftraggeber des besagten Rachemordes in Verdacht bringt. Bald wird es eng für Jessie, die immer wieder in die Marshall Street Baths zurückkehren muss, wo mehr als ein Geist umgeht, der Vergeltung fordert und diese mit Gewalt einfordert …

Geist/er des Verbrechens

Würde diese Geschichte in Edinburgh spielen, hätte wahrscheinlich Ian Rankin sie erfunden: Ein vertracktes Rätsel wurzelt in einer Vergangenheit, die längst nicht so tot ist wie die Leichen, die sie produziert hat. In diesem Fall scheinen sie buchstäblich durch die gekachelten Hallen des alten Schwimmbads zu geistern; sogar ein leibhaftiger Exorzist erläutert der ermittelnden Polizistin, wie das Spuken funktioniert.

„Die unruhigen Toten“ lautet der Originaltitel, der wie üblich dem Inhalt gerechter wird als die deutsche ‚Übersetzung‘. (Gay Longworth soll offenbar ins Fahrwasser der gern gekauften Seziersaal-Thriller gelotst werden; mit entsprechenden Wortspielen wird plump vor allem eine angebliche Nähe zur erfolgreichen ‚Kollegin‘ Kathy Reichs suggeriert.) Unruhig sind sie, weil sie ihre Angelegenheiten im Leben nicht regeln konnten oder ihre Angehörigen sie nicht ruhen lassen. Das Ergebnis ist eine ungute Mischung beider Sphären, wobei sich in den Marshall Street Baths ein regelrechter Schnittpunkt zwischen der diesseitigen Welt und dem Jenseits gebildet hat.

Die behutsame Annäherung eines ansonsten lupenreinen Polizeithrillers der britisch soliden Art an einen Schauerroman stört erfreulicherweise selbst den Puristen nicht; auch hier haben Longworth-Vorgänger von John Dickson Carr bis Ian Rankin Maßstäbe gesetzt. Ob es nun wirklich spukt, oder ob es die Zwangsvorstellungen verstörter Hirne sind, welche sich manifestieren, darf jede/r Leser/in selbst entscheiden. Longworth selbst wird jedenfalls nie müde zu beschreiben, dass jedes Kapitalverbrechen über die Folgen körperlicher Gewalt hinaus auch die Psyche nachhaltig beschädigt.

Die Spannung als glitschige Beute

Der eigentliche Krimiplot ist stabil und wird logisch durchgespielt, ist aber alles andere als originell. Wenn man sehr kritisch urteilen möchte, ist das „Spannungshighlight von einer ‚wahren Meisterin des Thrillers‘“ (Werbedonner auf der Umschlagrückseite) ein Patchwork-Krimi im Polizeimilieu, der mit kriminalistischen Sackgassen und Überraschungen (sowie weiteren Leichen) nicht geizt, also mit den Versatzstücken des Genres jongliert.

Freilich rutschen sie der Verfasserin im Finale aus den Händen: Die Auflösung des Plots kann nur als missglückt bezeichnet werden und lässt die bisher durchaus angetanen Leser verärgert zurück. Dazu lässt sich Longworth von der modernen Unsitte des Doppel- oder gar Dreifach-Finales verleiten, viel zu viel literarisches Pulver zu verschießen. Das Ergebnis ist keine Steigerung von Höhepunkten, sondern ein gegenseitiges Außerkraftsetzen.

Abgeschmeckt wird die Handlung mit viel Herzschmerz (s. u.) und selbstverständlich Sozialkritik. Von ersterem gibt es zu viel, letztere wird nicht annähernd so überzeugend vermittelt wie vom bereits mehrfach genannten Ian Rankin. So ist es in erster Linie das handwerkliche Können der Autorin, welches die Leser fesselt. Dazu kommen echte Highlights wie die Szenen in den verrottenden Marshall Street Baths (die es übrigens tatsächlich gibt, wie die Verfasserin im Nachwort anmerkt). Hier kommt echte Schauerstimmung auf, die zusammen mit einem eigenartigen Faible der Autorin für skurrile und splatterige Einschübe für eine angenehme Abwechslung sorgt, wenn zwischendurch wieder etwas zu viele Hände gerungen und Herzen gebrochen werden.

Ellenbogen und Kniekehlen-Schläge

Jessie Driver: eine moderne Frau in einer Männerwelt. Das bedingt jene Mischung aus Krimi und Seifenoper, ohne die heute kein Kriminalroman mehr auszukommen glaubt. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Schilderung des Polizeialltags. In ihrem Revier findet Jessie wenig Solidarität. Das schließt ihre männlichen Kollegen ebenso ein wie die weiblichen. Die einen bilden auch im 21. Jahrhundert eine verschworene Gemeinschaft chauvinistisch gestimmter Kerle, die wenig oder gar nichts von Frauen als Gesetzeshüter halten und das heimlich oder offen mit sexistischen ‚Scherzen‘, übler Nachrede oder offenes Mobbing demonstrieren. Da spielt viel Furcht vor der weiblichen ‚Konkurrenz‘ mit, die sich nicht an den ungeschriebenen „For-the-Boys“-Kodex hält, mit dem die Männer seit jeher ihren Dienstalltag regeln und Karriereplanung betreiben.

Paradoxerweise halten sich auch Frauen an dessen Spielregeln. DCI Moore hat es weit gebracht in der Polizeiwelt. Trotzdem ist sie unsicher und stößt Jessie lieber vor den Kopf, als ihr, der Untergebenen, im unfairen Kampf mit den intriganten Kollegen beizustehen. Die daraus erwachsenden Spannungen werden realistisch geschildert und tragen zur Atmosphäre dieses Krimis bei, obwohl sie nur mittelbar mit dem Mordfall zu tun haben. Longworth orientiert sich hier an Vorbildern wie Nigel McCrery mit seiner „Silent Witness“-Reihe um die Gerichtsmedizinerin Samantha Ryan sowie besonders Lynda LaPlante mit ihrer „Prime Suspect“-Serie (dt. „Heißer Verdacht“) um die im kollegialen Dauerstress stehende Jane Tennison.

Das Leben – ein Trauerspiel

Hätte es die Verfasserin bloß dabei belassen! Doch eine taffe weibliche Polizistin benötigt offenbar unbedingt ein publikumsattraktives Privatleben – ein möglichst desolates selbstverständlich. Also gibt es Longworth der armen Jessie knüppeldick: Ihr Lover ist ein nur bedingt treuer Rockstar, der außerdem unter Mordverdacht stand (vgl. „Dead Alone“, dt. „Bleiche Knochen“); die Mutter starb, ohne der seither offensiv trauernden Tochter die Gelegenheit zu einer letzten Aussprache gewährt zu haben; Jessie hadert deshalb mit Gott, der so eine Schweinerei zuließ; der sonst fast aufdringlich patente Bruder Bill lässt sich mit einer schmierigen Sensationsreporterin ein, die prompt Jessies schmutzige Privatwäsche an die Öffentlichkeit zerrt … Nein, es sind ein paar Nackenschläge zuviel, die der Heldin hier verabreicht werden. Sie sorgen für unnötige Längen in der Handlung und fallen in ihrer übertriebenen Dramatik eher lächerlich aus.

Hart an der Grenze zur Karikatur stehen die Scott-Somers, eine dieser schrecklich netten High-Society-Familien, die hinter einer einst glanzvollen Fassade (wie die Marshall Street Baths) völlig verrottet sind und ein Pandämonium finsterer Übeltäter und Psychopathen verbergen. Man belügt und betrügt einander, wobei das reichlich vorhandene Geld hilft, diese Exzesse bis ins Absurde zu steigern. Daneben gibt es noch eine hysterisch alternde Schauspielerin, ihre rollige Tochter, einen psychisch maroden Hausmeister sowie einen kannibalischen Witwer.

Noch gibt es also eine Menge zu feilen, lädt Gay Longworth ihrer Handlung zu viel Ballast auf. Potenzial hat die Jessie-Driver-Reihe zweifellos – und sei es nur deshalb, weil Longworth so geschickt zu liefern versteht, was die Mehrheit der Krimileser/innen wünscht: einen maßvoll unkonventionellen Thriller, der es angenehm gruseln lässt aber weder irritiert noch an Seelensaiten rührt, die man nicht unbedingt zur feierabendlichen Lesestunde in Aufruhr gebracht sehen möchte.

Autorin

Bisher ist über Gay Longworth (geb. 1970) nicht allzu viel bekannt – ein sicheres Indiz dafür, dass sie auf dem Krimimarkt noch nicht etabliert ist. Die üblichen Stützpfeiler einer möglichst werberelevanten Biografie sind bereits gesetzt. Da ist zum einen der lebenslange, intensive Wunsch zu schreiben, verknüpft mit dem langen, schwierigen Weg dorthin, auf dem es einige möglichst seltsame Jobs hinter sich zu bringen galt. In Longworthes Fall war dies u. a. ein Intermezzo in der Ölbranche, gefolgt von einem Einsatz als Animateurin in einem Club Med. 1997 erschien mit „Bimba“ ein erster Roman, dem bis heute drei weitere folgten. Seit 2004 hat Longworth keine Bücher mehr veröffentlicht.

Taschenbuch: 461 Seiten
Originaltitel: The Unquiet Dead (London: HarperCollins 2004)
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
http://www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Shocker, Dan – Parasitengruft, Die (Macabros, Band 22)

Dieser Band beinhaltet die Heftromane Band 47/48 der Serie und erschienen erstmals im Jahre 1977.

_Formicatio – Welt des Unheils_

Ches Morgan beginnt sich langsam aber sicher zu erinnern – an sein Leben als Björn Hellmark. Als der AD-Inspektor und sein Freund und Partner Frankie Lane auf einem ihrer Patrouillenflüge im Weltraum ein Schiffswrack finden, welches mit hunderten von Siedlern vor 150 Jahren spurlos verschwand, trifft Ches im Innern des Wracks auf Asymeda. Björn kennt die Tempeldienerin von seinem Abenteuer auf der Welt Tschinandoah. Asymeda klärt Björn über seine Identität auf und hilft ihm sich zu erinnern, dabei erklärt sie ihm auch, dass er sich in einem Traumgefängnis seines Todfeindes Molochos befindet.

Die gesamte Welt, in der er als Chester Morgan lebt, ist eine erdachte Welt des Dämonenfürsten, die dieser dazu nutzt, Menschen zu quälen und sie ihrer Identität zu berauben. Asymeda nutzt ein magisches Feld, um ihr Gespräch mit Björn vor Molochos zu verbergen, und zieht sich daraufhin zurück. Björn macht sich wieder als Chester daran, das Schiffswrack zu untersuchen, und trifft auf Dr. Herold (siehe Band 21 [„Das Blutsiegel“), 2202 der als unförmiger Fleischberg sein Dasein fristen muss. Doch damit ist das Grauen noch nicht zu Ende. Chester Morgan wird durch ein Dimensionstor auf eine andere, fremde Welt geworfen: Formicatio. In dieser Dimension herrschen Riesenameisen und terrorisieren die verschwundenen Siedler des Raumschiffwracks. Doch die Wahrheit ist noch viel grausamer …

_Die Parasitengruft_

Björn Hellmark trifft auf Formicatio, der Welt der Riesenameisen, unerwartet auf zwei alte Freunde: Camilla Davis, das Medium, und Alan Kennan, einen hellseherisch begabten jungen Mann. Gemeinsam geraten sie in die Gewalt von Insektenmenschen. Die Anführerin, eine berückend schöne, menschliche Frau, nimmt Björn mit in ihren Palast, während Camilla und Alan in Minen schuften müssen, wo ein seltsames, poröses Gestein abgebaut wird. Dieses Gestein dient dazu, die einzige weißmagische Bastion auf Formicatio zu neutralisieren, welche Molochos noch immer an der uneingeschränkten Herrschaft hindert: Die Parasiten-Gruft. Die Herrscherin des Insektenvolkes, Shiane, sieht in Björn eine Gestalt aus ihren Träumen, welche sie zu erlösen vermag, denn sie wurde von Molochos verflucht und ihr Volk muss in den Minen für die Insektenmenschen arbeiten.

Derweil bereitet Molochos auch auf der Erde einen Schlag gegen Hellmark und seine Freunde vor: Frank Holesh, der junge Parapsychologe im Dienste Richard Patricks, wird von dem Dämonenfürsten mit unglaublicher Macht ausgestattet, welche ihm alle Wünsche zu erfüllen vermag. Er lockt ihn in den Keller einer Farm, wo er ihn endgültig zu seinem Diener macht. Nach und nach lockt Frank alle Mitglieder des Forschungskreises um Richard Patrick in den Keller, um sie zu Dienern des Dämonenfürsten zu machen …

Rasant geht Dan Shocker’s Zyklus um das Blutsiegel weiter, und gleichzeitig kehrt der Autor in gewohnter Weise zu seiner Mischung aus Horror und Fantasy zurück. Die Ideen, die er dabei entwickelt, sind so bizarr und fantasiereich, dass man richtig spüren kann, wie viel Spaß es Dan Shocker gemacht haben muss, sich in dieser Serie gedanklich mal so richtig auszutoben. Riesenameisen, die sich Schlachten mit Menschen liefern, eine Traumwelt des Dämonenfürsten und lebende Skelette sind dabei nur die Eckpfeiler der Story, die dem Leser kaum Zeit zum Atmen lässt, so schnell entwickeln sich die Dinge. In einer Nebenhandlung kann man übrigens mitverfolgen, wie Richard Patrick, ein Freund Hellmarks, auf der Erde eine Forschungseinrichtung für Parapsychologie einrichtet und mit zunächst fünf ausgesuchten Wissenschaftlern in Betrieb nimmt. Bei einem ersten Einsatz entpuppt sich die Farm einer von seltsamen Visionen geplagten Witwe als Verbindung zu Molochos’ Blutsiegel.

Der zweite Roman des Buches bildest den Abschluss der kleinen Saga innerhalb des großen Zyklus um Björn Hellmark und ist auch gleich der spannendste und rasanteste Teil. Atmosphärisch und temporeich erzählt Dan Shocker die Geschichte, und besonders Björns maßloser Hass seinem Erzfeind gegenüber wird hervorragend wiedergegeben. Ein wenig Tragik fließt mit dem Schicksal der Herrscherin Shiane in den Roman mit ein, auch wenn der Begriff Lykanthrop für sie nicht der richtige zu sein scheint, denn als Wolf tritt sie ja nicht in Erscheinung. Mit der Storyline um Frank Holesh bindet der Autor ein wenig von der klassischen Faust-Geschichte in die Handlung ein.

Mit diesem Band beendet Dan Shocker Björn Hellmarks Odyssee um das Blutsiegel und Formicatio und zieht dabei noch einmal alle Register seines Könnens. Ganz nebenbei wird schon der Grundstein für neue spannende Abenteuer gelegt, denn mit dem Samen des Molochos entstehen dem Dämonenjäger neue Gegner aus den eigenen Reihen. Der Dämonenfürst selbst hat sogar einen eigenen fulminanten Auftritt als Drache, auch wenn der große Kampf zwischen ihm und Hellmark alias Macabros noch ausbleibt. Darüber hinaus erhält Björn auch sämtliche Waffen und Artefakte zurück, welche er bei seinem Sturz in das Blutsiegel verloren hat.

Gemeinsam mit [Band 21 2202 der liebevoll aufgemachten Buch-Edition von „Macabros“ bildet „Die Parasitengruft“ einen eigenständigen kleinen Zyklus und lässt sich dank des Glossars und der Ausführungen des Autors ohne weiteres unabhängig von den anderen Bänden lesen.

Mit den Innenillustrationen hat sich Pat Hachfeld selbst übertroffen, gehören sie doch zu den überzeugendsten Werken seines Schaffens. Das vielfarbige Titelbild wurde hingegen dem ursprünglichen Heftroman 45 „Das Geheimnis der grauen Riesen“ entliehen, der in dem Band 21 „Das Blutsiegel“ neu aufgelegt wurde. Seitens des Verlags eine nicht unkluge Wahl, denn die Cover der Heftromane 47 und 48 vermögen nicht zu überzeugen.
Dan Shocker präsentiert hier Fantasie vom Feinsten, die sich ihren eigenen Weg ebnet. Dabei verzichtet er auf Orks, Trolle und Elfen und lässt die gängigen Genre-Klischees außen vor.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Keller, Hagen – Ottonen, Die

Was bedeuten uns heute die Ottonen? Das könnte eine der vielen Fragestellungen sein, welche den geschichtsinteressierten Leser zu dem in der Beck’schen Reihe erschienenen Buch von Hagen Keller, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, führen könnten. Zudem ist dies die erste Frage, die sich auch Keller in diesem Buch stellt. Hierbei zeigt er auf, dass sich die Wahrnehmung der Ottonen, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Geschichtsforschung, merklich gewandelt hat. Während das Wissen über die sächsische Dynastie und um ihren Namensgeber Otto den Großen noch vor gut 50 Jahren zur Allgemeinbildung gehörte, sind die Ottonen heute in der allgemeinen Wahrnehmung eher in den Hintergrund getreten. Dies ist ein Phänomen, das man wohl damit begründen kann, dass die Ottonen vom 19. Jahrhundert an bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als nationaler Mythos, als das erste wirklich deutsche Königsgeschlecht gedeutet und proklamiert wurden.

Nachdem sich Keller also einleitend mit der Deutung und Bedeutung der Ottonen befasst, wendet er sich alsdann der Vorgeschichte der Ottonen zu. Dazu beschreibt Keller den Zerfall des einstigen fränkischen Großreiches und auch eine kurze Geschichte des Geschlechts der Liudolfinger, aus welchem wiederum letztlich die Ottonen hervorgingen. Auf diese Weise spannt Keller einen Bogen vom 9. bis ins 10. Jahrhundert, welches zunächst im Zentrum der Betrachtung steht. Keller konzentriert sich folglich auf die Ära Ottos des Großen, was in Anbetracht von dessen historischer Bedeutsamkeit absolut nahe liegend ist. Dabei befasst sich Keller auch mit Ottos Vater und Vorgänger Heinrich I. und vor allem auch mit seinem Sohn Otto II., welcher das ottonische Kaiserreich 973 übernahm. Auch die Lebensgeschichten und Regierungsjahre Ottos III. und Heinrichs II., mit dessen Tode 1024 der letzte Kaiser aus sächsischem Hause verstarb, werden von Keller überblicksartig und bewertend dargestellt. In seiner abschließenden Gesamtschau auf die ottonische Ära fasst er dann Tendenzen, Errungenschaften und Wirkungen des sächsischen Kaisergeschlechts zusammen.

Keller fügt sich mit diesem Buch nahtlos in die lange Reihe von Veröffentlichungen des |Beck|-Verlages ein, die man wohl als ideale Einstiegs- und Überblicksliteratur bezeichnen kann. Wer sich für die Ottonen oder das Hochmittelalter interessiert, der kann mit dem Erwerb dieses Buches nicht viel falsch machen. Es ist flüssig und verständlich geschrieben, zudem verfügt es im Anhang über eine knappe, aber sehr erlesene Auswahl an weiterführender Literatur.

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Michael McCollum – Größere Unendlichkeit

Duncan MacElroy hat nicht gerade das Glückslos gezogen: Als einziger Student darf er in den Semesterferien das Wohnheim hüten, alle anderen sind verreist. Zu allem Überfluss findet gerade jetzt auch noch eine Science-Fiction-Convention statt und das Bier geht mitten im Streitgespräch der UFO-Beobachter aus.

Duncan wird kurzerhand zusammen mit der gänzlich unattraktiven Jane Dugway zum Bierholen geschickt!

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Ric Burns/James Sanders/Lisa Ades – New York. Die illustrierte Geschichte von 1609 bis heute

Mammutprojekt für eine Metropole

Es begann als zwölfstündige TV-Dokumentarfilmserie („New York. A Documentary Film“), die Ric Burns, Lisa Ades und der Architekt James Sanders 1999 realisierten. Jahre der vorbereitenden Planung waren dafür erforderlich, Schätze in Form bisher in dieser Breite nie ausgewerteter Archivalien wurden gehoben, gesichtet und präsentiert. Die Fülle des Stoffes schrie förmlich nach einem Begleitband, der New York auch nach der Ausstrahlung der Serie greifbar bleiben ließ.

Die Autoren stellten nicht einfach das Vorhandene zusammen, sondern erfanden das Rad quasi neu. Gemeinsam mit einem Stab kompetenter Berater, Wissenschaftler und Redakteure realisierten sie ein Buch, das sich zwar inhaltlich an der Fernsehvorlage orientiert, jedoch völlig unabhängig davon bestehen kann sowie Maßstäbe setzt: als „Buch zum Film“ und historische Darstellung gleichzeitig. Ric Burns/James Sanders/Lisa Ades – New York. Die illustrierte Geschichte von 1609 bis heute weiterlesen

Hennen, Bernhard – Elfen, Die

Nach etlichen Sagen, zahlreichen Trilogien und etlichen Single-Romanen hat sich Stan Nichols vor nicht allzu langer Zeit ein Herz gefasst und in seinem Buch „Die Orks“ eines der bekanntesten Fantasy-Völker im Rahmen einer spannenden Geschichte näher unter die Lupe genommen. Der Erfolg seines Romans inspirierte schließlich auch andere Schriftsteller zu einer ähnlichen Vorgehensweise; so zum Beispiel auch Markus Heitz, der sich seit 2003 in seinen Zwergen-Romanen eines weiteren viel zitierten Volkes annahm. In seine Fußstapfen ist Ende 2004 mit Bernhard Hennen ein weiterer deutscher Autor getreten, der die Erfolgsspur seiner Vorgänger aufnahm und die Gemeinschaft der Elfen näher beleuchtete. Der erste Band seiner Reihe hört demzufolge auch schlicht und einfach auf den Namen „Die Elfen“ und erzählt die Geschichte eines Menschen, der sich plötzlich in der Welt der Elfen wiederfindet und mit ihnen im Bunde gegen die Auswüchse einer dämonischen Kreatur kämpft.

_Story_

Inmitten eines eiskalten Winters zieht Mandred Torgridson aus dem Land am Fjord aus, um eine grausame Bestie zu jagen. Das Wesen, halb Mensch, halb Eber, treibt schon seit geraumer Zeit sein Unwesen in der Nähe eines kleinen Dorfes, so dass die Bevölkerung sich gezwungen sieht, etwas zu unternehmen. Doch das Untier kann die Jäger überraschen und bringt bis auf Mandrded alle Feinde auf. Schwer verwundet kann er zu einem Steinkreis fliehen, doch die Kälte und sein angeschlagenes Wohlbefinden werfen ihn schließlich in die Bewusstlosigkeit und, so glaubt Mandred, in den sicheren Tod.

Doch der Nordmann wird eines Besseren belehrt, als er unerwartet in einer völlig fremden Umgebung wieder erwacht. Mandred ist im Land der Elfen gelandet und trägt ihrer Königin seine Geschichte vor. Doch dort wird er von dem arg reservierten Volk erst einmal abgewiesen. Erst nach und nach kann er seine neuen Freunde davon überzeugen, die grausame Bestie aufzusuchen und zu erledigen. Schließlich werden ihm der heroische Farodin und der verträumte Nuramon zur Seite gestellt, mit deren Hilfe die Elfenjagd beginnen soll. Die beiden Elfen befinden sich allerdings selber noch in einem Konflikt: Beide sind sie in die wunderschöne Noroelle verliebt, doch die Elfendame will das Schicksal entscheiden lassen, welcher ihrer Verehrer am Ende ihre Liebe erfahren wird.

Doch Farodin und Nuramon beschäftigen schon sehr bald andere Gedanken; das Biest hat sie in eine Falle gelockt, in der sie zusammen mit ihrem menschlichen Freund jahrelang gefangen gehalten werden. Beim entscheidenden Kampf hat sich der übermächtige Gegner schließlich auch als Dämon einer längst vergessenen Zeit entpuppt, dessen besondere Eigenschaft es ist, sich in andere, real existierende Personen zu verwandeln. So nimmt der Dämon die Gestalt des Nuramon an und genießt als dieser die Gunst von Noroelle, die nichts von der erneuten List der Bestie ahnt.

Die Elfenkönigin indes akzeptiert das aus dieser Liaison entstammende Baby nicht und will es töten lassen, was Noroelle ihr jedoch verweigert. Zum eigenen Schutz wird es in der Welt der Menschen versteckt und wächst dort zu einer der bedeutendsten Personen überhaupt heran. Noroelle hingegen wird wegen ihres Protestes gegen die herrschaftlichen Anweisungen in eine gänzlich andere Welt verbannt, aus der es kein Zurück mehr gibt.

Farodin, Nuramon und Mandred jedoch haben den Glauben daran, Noroelle noch zu retten, nicht aufgegeben. Erneut machen sie sich als Gefährten auf, um die liebreizende Dame aus ihrem Exil zu befreien.

Derweil rüsten die Menschen zum Krieg gegen die Elfen. Der Tod ihres Helden, Noroelles Sohn, hat sie angestachelt, und verbündet mit den Trollen, die den Elfen stets unterlegen waren, rufen sie den heiligen Krieg aus …

_Meine Meinung_

Zwischen reichlich ‚regulärer‘ Arbeit hat es in den vorangegangenen vier Tagen bei mir keine andere Beschäftigung gegeben als das Durchwälzen dieses mit 900 Seiten enorm umfangreichen Fantasy-Romans. Viel hatte ich schon von Bernhard Hennen gehört, eigentlich nur überaus Positives, und trotzdem hat mich dieses spannende, gleichzeitig aber auch sehr bewegende Buch überrascht. Dass „Die Elfen“ nämlich derart fesseln würde, hatte ich mir nicht ausgemalt, und vor allem nicht, dass ich die Geschichte in so kurzer Zeit verschlingen würde.

Der Autor setzt im Verbund mit seinem Kollegen James Sullivan in diesem Roman vielfach Glanzpunkte, indem er die immer wieder bemühten Klischees im Hinblick auf die Charaktereigenschaften – starrsinnige Menschen, stolze und edle Elfen, hinterlistige Trolle – durch weitere Facetten wie Trauer, Melancholie und authentische Hoffnungslosigkeit erweitert und diese sehr umfassend beschreibt. Es mag sicher nicht jedermanns Sache sein, Personen über eine Unzahl von Seiten auch nur entfernt kennen zu lernen, geschweige denn die Darstellungen der verschiedenen Handlungsschauplätze über einen ziemlich großen Raum verteilt in sich aufzusaugen, doch genau hierin liegt eine der besonderen Stärken des Autorenteams. Es lässt sich die nötige Zeit, hat aber auch die erforderliche Ruhe weg, was zur Folge hat, dass es trotz hinlänglicher Charakter- und Landschaftsmalereien beständig sehr nahe an der eigentlichen Handlung bleibt. Trotz des offenkundigen Detailreichtums, und vor allem trotz des Umfangs von 900 Seiten ist das Erzähltempo von vornherein recht hoch. Lediglich der Zugang zum Sprachgebrauch ist zu Beginn noch schwierig, weil Hennen gerne mal ellenlange Satzmonster kreiert. Aber dies ist eine Eigenheit, die uns durch die gesamte Geschichte begleitet und nach einmaliger Einarbeitungszeit auch nicht mehr auffällt – weder positiv noch negativ.

Die Erzählung selber ist ein gewaltiges Epos mit unheimlich vielen Stimmungswechseln, was dem Roman bisweilen auch einen sehr düsteren Beigeschmack verleiht, dessen er sich nach einer Weile auch nicht mehr entledigen kann. Der heiteren Aufbruchstimmung der drei Hauptfiguren folgen zahlreiche tragische Ereignisse, weitere niederschlagende Begebenheiten und letztendlich auch ein tränenreiches Ende, bei dem der Leser gern versuchen darf, seine Gefühle gut im Zaum zu halten. Das Einzige, was man den beiden Autoren vorwerfen kann, ist der manchmal fehlende Überraschungseffekt. Es gibt viele Punkte, an denen die Story eine deutliche Wende nimmt, und oft ist es dann so, dass man schon im Vorfeld eine Ahnung davon hat, in welche Richtung das Ganze fortgesetzt wird. Andererseits entspricht diese Richtung dann eigentlich auch immer dem Wunsch des Lesers, soll heißen, es geschehen im Laufe des Buches mehrfach Dinge, die man sich insgeheim auch erhofft hat.

Insgesamt handelt es sich bei den wenigen Kritikpunkten, die man der Handlung anlasten darf, aber ausschließlich um minimale Schönheitsfehler, die schon fast wie Erbsenzählerei anmuten. Hennen und Sullivan haben uns nämlich schon sehr zügig in die Welt der Elfen entführt und ein völlig neues Fantasy-Universum eröffnet, in dem man irgendwann selber keine Kritik von außen mehr vertragen möchte. Alles wirkt so stimmig und erhaben, dass man sich von Anfang an für die Zeitdauer der Lektüre von der Realität abwenden kann und die Umgebung um sich herum komplett vergisst. Für meinen Geschmack ist dies genau der Effekt, den ein guter Fantasy-Roman erreichen sollte, und somit auch das erstrangige Qualitätsmerkmal einer solchen Geschichte. Nun ist „Die Elfen“ aber nicht nur gut, sondern schlichtweg genial und den erfolgsverwöhnten Romanen von Markus Heitz definitiv ebenbürtig. „Die Elfen“ ist jedoch nur der Anfang, denn neben mir liegt schon der nächste Roman um das edle Geblüt, und bevor ich mich jetzt bezüglich dieser faszinierenden Geschichte noch wiederhole, atme ich noch einmal tief durch und stürze mich sofort in das nächste Abenteuer aus dem Land der Elfen mit dem Titel [„Elfenwinter“. 2185 Und während ich Luft hole, suche ich dann auch noch mal nach weiteren Superlativen, die diesem monumentalen Epos gerecht werden …

Foon, Dennis – Stunde des Sehers, Die (Das Vermächtnis von Longlight, Band 1)

Roan ist allein. Eine einzige Nacht des Schreckens hat ihm alles genommen, was ihm lieb und vertraut war, und nichts zurückgelassen als Trümmer und Tod. Noch hat er diesen Schock nicht verwunden, da hat er eine seltsame Vision: Eine Ratte warnt ihn, er solle das Dorf sofort verlassen. Aber es ist bereits zu spät. Ein fremder Mann namens Saint hat ihn entdeckt und nimmt ihn mit.

Fortan lebt Roan bei Saints Gruppe, die sich |Die Brüder| nennt. Sie verehren Saint als einen Propheten. Und Saint scheint wiederum einen Narren an Roan gefressen zu haben. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Roan äußerst begabt ist in allem, was er bei den Brüdern lernt. Aber er fühlt sich dort nicht wohl. Sein Gefühl sagt ihm, dass irgendetwas an der ganzen Sache stinkt! Und endlich findet er den Haken. Jetzt bleibt ihm nur noch die Flucht in die Wildnis …

Roan ist ein Junge mit wachem Blick und raschem Verstand. Von Anfang an ist er misstrauisch, was die Brüder betrifft, obwohl er zunächst nicht wirklich weiß, warum das so ist. Doch seine Aufmerksamkeit und seine Beobachtungsgabe liefern ihm eine Menge Hinweise, die sich allmählich immer mehr zu einem konkreten Bild verdichten. Damit bringt er sich in größte Gefahr. Und an dieser Stelle macht es sich bezahlt, dass er seinem Instinkt gefolgt ist und sich stets bedeckt gehalten hat.

Mindestens so groß wie die Gefahr für sein Leben ist jene für seinen Charakter: Die Gewalttat an seinem Dorf hat seinen Rachedurst geweckt. Er will nicht nur seine entführte Schwester befreien, er will auch die Mörder seiner Eltern für ihre Tat bezahlen lassen. Diese Gefühle werden von Saint noch geschürt, er ermuntert Roan, ihnen freien Lauf zu lassen. Roan wandelt am Rande eines Abgrunds, gegen den ihm auch sein Instinkt nicht viel nützt.

Saint ist eine äußerst zwiespältige Figur. Er hasst das Regime, das die Menschen unterdrückt, und will es stürzen. Dass er sich dabei derselben Form von Unterdrückung bedient, gegen die er sich auflehnt, scheint er nicht wirklich begriffen zu haben. Sein Hass ist so groß, dass ihm jedes Mittel recht ist. Roan will er unbedingt als Verbündeten gewinnen, denn dieser hat offenbar einige besondere Fähigkeiten, von denen er selbst noch nichts weiß, eine gewisse Macht, derer Saint sich bedienen will. Deshalb lässt er auch nicht zu, dass Bruder Rabe Roans Unterstützung auf seine Weise gewinnt. Saints Methoden sind allerdings auch nicht geeigneter: Man kann keine Verbündeten gewinnen, indem man sie belügt! Saint versucht da einen Spagat, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil er offensichtlich keinerlei Vorstellung von der Bedeutung der Begriffe Ehrlichkeit und Vertrauen und den damit verbundenen Zusammenhängen hat. Die Umstände, unter denen er von Geburt an leben musste, haben die Entwicklung dieses Verständnisses offenbar verhindert.

Denn die Welt, die Dennis Foon da entwickelt, ist eine zerstörte Welt. Roans Heimat war nur eine kleine Insel innerhalb dieser Zerstörung. Im Laufe der Geschichte erfährt der Leser, dass es vor einigen Jahrzehnten eine Rebellion gegeben hat, die vom Regime so gnadenlos bekämpft wurde, dass in diesem Krieg nahezu das ganze Land zerstört wurde. Alles ist voller Trümmer und Ruinen, und nicht nur das. Wälder sind abgestorben, die meisten Wasserreserven vergiftet. Es gibt kaum noch Tiere, ausgenommen Krähen, Ziegen und einige mehr oder weniger unangenehme Insektenarten, darunter eine Schneegrille, die es – wie auch immer – geschafft hat, sogar im Winter munter zu sein, und Käfer, die Mor-Ticks genannt werden. Die Zerstörung der Umwelt hat Krankheiten und Missbildungen unter den Menschen zur Folge, aber auch Verrohung bis zur Abartigkeit, wie bei den Bluttrinkern. Was genau geschehen ist, hält der Autor vorerst zurück; Informationen gibt es nur häppchenweise, das Gesamtbild bleibt bruchstückhaft. Eines aber ist klar: Die Welt, die er beschreibt, ist unsere Welt. Nicht im Heute, aber vielleicht im Übermorgen. Mit einer ungewissen Zahl an „über“s.

Foons Geschichte ist Science-Fiction und Fantasy, mehrmals gründlich umgerührt. Die erste Erwähnung von Sonnenkollektoren gleich am Anfang des Buches wirkte so befremdlich auf mich, dass ich den Satz nochmals las! Später begegneten mir Worte wie Motorrad, Plastik und Kraftwerk. Andererseits wird von einem Feuerloch in Roans Dorf gesprochen, das offenbar kochendes Wasser enthielt. Was genau damit gemeint war, erfährt der Leser nicht, nicht einmal, ob es natürlichen Ursprungs war oder nicht. Wer allerdings Worte für Dinge wie Plastik und Motorräder hat, hätte doch sicherlich auch ein Wort für Geysir oder heiße Quelle … Hier zeigt sich der Übergang zur Fantasy. Der ungenaue Begriff verschiebt das Objekt von der Ebene des Fassbaren hin zum Unfassbaren. Den letzten Schritt in diese Richtung stellen die Staubesser dar, die in ihren Träumen andere Orte sehen können und, wie manche sagen, auch die Zukunft. Auch Roan besitzt solche Fähigkeiten, denn in seinen Visionen spricht er mit einer Ratte …

Roans Welt ist eine grausame Welt, in der nicht nur die verheerte und entartete Natur sein Feind ist, sondern auch die meisten Menschen. Die Brutalität und Grausamkeit kommen ganz deutlich zum Ausdruck, in der Beschreibung von Beules Narben, von Roans zerstörtem Dorf oder der Glaskuppel, unter der die Kinder aus Fairview liegen. Es geht aber nicht allein um die Darstellung einer gewalttätigen Welt, sondern auch um die Frage von Gewalt und Gegengewalt, darum, wie mit Gewalt umgegangen wird. Roan ist ein Jugendlicher, noch unfertig und unsicher in seinem Denken, Fühlen und Handeln. Aufgewachsen in einer Umgebung, die Gewalt vollständig ablehnte, wird er völlig unvorbereitet mit ihrer brutalsten Form konfrontiert. Bei den Brüdern lernt er das Kämpfen, mit dem Schwert und ohne dieses. Zu der Antwort auf die Frage, was er letztlich mit dem Gelernten tut, muss er erst einmal einen Weg finden.

„Die Stunde des Sehers“ ist ein Jugendbuch. Das zeigt sich deutlich in der linear verlaufenden Handlung, den kurzen Kapiteln und der zügigen Entwicklung. Dem Autor ist es jedoch gelungen, allzu plötzliche Entdeckungen oder Erkenntnisse zu vermeiden, sodass zu keiner Zeit der Eindruck von übertriebenen Zufällen oder Unwahrscheinlichkeiten entsteht. Gemäß dem wachen Verstand seines Helden lässt er ihn durchaus Antworten auf einige seiner Fragen finden, allerdings längst nicht auf alle, wie es sich für den ersten Band eines Zyklus gehört. Der Leser bleibt mit dem zufriedenen Gefühl zurück, ein wenig mehr zu wissen als am Anfang, und mit einer gehörigen Neugier auf weitere Antworten.

Die Altersempfehlung für dieses Buch lautet ab dreizehn Jahren. Dieses Alter würde ich nicht unterschreiten, auch wenn letztlich die jeweilige Entwicklung des Einzelnen den Ausschlag gibt. Der düstere Grundtenor ist doch sehr stark, auch wenn Roan immer wieder Hilfe findet. Ansonsten ist das Buch interessanter Lesestoff. Alle Elemente fügen sich gut zusammen und ergeben ein stimmiges, wenn auch noch lückenhaftes Bild. Der Held verfügt zwar über ungewöhnliche Fähigkeiten, bleibt aber menschlich genug, dass Jugendliche sich mit ihm identifizieren können, und bietet eine geistige Entwicklung im Verlauf der Handlung, die junge Leser nachvollziehen und nachempfinden können.

Das Buch ist in der Zeitform der Gegenwart erzählt. Vielleicht ein Kniff, um hautnaher zu sein, vielleicht auch nur eine Gewohnheit, denn Dennis Foon hat bisher hauptsächlich Drehbücher und Theaterstücke geschrieben. Gelegentlich wechselt die Handlungsebene von der „Realität“ zu Erinnerungen oder Träumen/Visionen. Die jeweiligen Ebenen sind drucktechnisch unterschiedlich gestaltet, sodass der Leser problemlos folgen kann. Sehr wohltuend, da nahezu fehlerfrei, war das Lektorat, und auch die Bindung war erfreulich gut verglichen mit dem, was ich bei gebundenen Jugendbüchern schon vorgefunden habe.

Dennis Foon wurde in Detroit, Michigan, geboren und lebt seit 1973 in Kanada. Er war Mitbegründer eines Jugendtheaters und schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen, u. a. für die TV-Serie „Die Fälle der Shirley Holmes“, aber auch Theaterstücke. Seine Drehbücher und Dramen wurden vielfach ausgezeichnet, für das Stück „Invisible Kids“ erhielt er den British Theatre Award. Der zweite Band des Longlight-Zyklus ist bisher nur auf Englisch erschienen unter dem Titel „Freewalker“ und auf Deutsch für das Frühjahr 2007 angekündigt.

http://www.patmos.de

Band 2: [„Die Stadt der vergessenen Kinder“ 3366

Mondfeld, Wolfram zu / Wertheim, Barbara zu – Schule der Gladiatoren, Die

Freunde des Bestsellers [Der Meister des siebten Siegels 54 dürfen sich auf Nachschub freuen: Wolfram zu Mondfeld, Co-Autor des Meisterwerks rund um das abenteuerliche Leben des Adam Dreyling, legt diesmal jedoch einen im alten Rom spielenden Roman vor. Anstelle von Johannes K. Soyener teilte er sich dieses Mal die Arbeit mit seiner Frau, Barbara zu Wertheim.

Zu Zeiten des Kaisers Nero wird der junge Germane Eppor in die Sklaverei verkauft. Doch das Schicksal meint es gut mit ihm: Gladius Felix, ehemaliger Gladiator und Besitzer der Gladiatura „Felix Felix“, kauft ihn und bildet ihn auf seinem italienischen Landgut nahe Puteolis zum Netzkämpfer aus.

Als „Scorpio“ gewinnt er den Respekt des Pöbels in den Arenen des Imperiums und wird zum Adoptivsohn von Gladius Felix. Doch das Leben eines Gladiators ist reich an Gefahren … und nicht nur in der Arena droht das Verderben. Scorpio wird den Ausbruch des Vesuvs, den Brand von Rom unter der Herrschaft Neros sowie das blutige Dreikaiserjahr und den folgenden Aufstieg der legendären Kaiser Vespasian und Titus aus der flavischen Dynastie nicht nur miterleben, sondern sogar daran beteiligt sein.

Das abenteuerliche Leben Scorpios bildet die Rahmenhandlung, aus seiner Perspektive wird die Geschichte auch erzählt. Gründliche Recherche römischer Sitten und Gebräuche rundet das Bild ab, die Einbindung bekannter historischer Figuren erinnert ebenfalls an das erfolgreiche Muster des Vorgängers „Der Meister des siebten Siegels“, an dem sich Wolfram zu Mondfeld sichtlich orientiert.

Neu ist der Familiengedanke: Die Gladiatura „Felix Felix“ macht ihrem Namen alle Ehre: eine schrecklich nette Familie mit zahlreichen illustren Mitgliedern. Hier ist wahrlich nichts historisch oder glaubwürdig, eine Extraportion heile Gladiatorenwelt, die jedem Humanisten Tränen der Rührung in die Augen treiben würde. Wer sich an den sehr modernen und mehr als aufgeklärten Waringhams von Rebecca Gablé bereits störte, wird erleben, dass man das durchaus noch steigern kann; leider wirkt dies sowohl im Mittelalter als auch im alten Rom unglaubwürdig und aufgesetzt.

Während der Beschreibung der klassischen Gladiatorentypen wie Murmillo, Thraex oder Retiarius (Scorpio ist ein solcher Netzkämpfer mit Dreizack) viel Platz eingeräumt wird – teilweise wiederholt sich der Autor hierbei -, nimmt sich die Beschreibung der Kämpfe in der Arena bescheiden aus. Hier fehlt es dem Autor ein wenig an Fantasie, auch fällt negativ auf, wie selbst bei Kämpfen, die mit dem Tod eines Gladiatoren der Schule Felix Felix enden, der Heile-Welt-Charakter des Buches überwiegt und kein echtes Bedauern beim Leser aufkommen kann.

Für Abwechslung steht auch die bunt gemischte Gladiatorentruppe: Das rothaarige britonische „Ungeheuer“ Fulmina, die wohlgeformte und ihre Rundungen im Kampf mitunter als tödliche Ablenkung einsetzende lesbische Speerkämpferin Leoparda, das etwas rundliche und kleine, aber trickreiche „Schweinchen“ Purpureus sowie der stets sorglose und optimistische pechschwarze Nigeralbus, Sohn des Trainers Amaranthus und seiner germanischen Gattin Freia, sorgen für ein betont harmonisches Umfeld, zu dem bestenfalls der etwas knauserige Verwalter und einige gierige Geldverleiher sowie dem Wahnsinn verfallende römische Kaiser einen leider ebenso einseitigen Kontrast darstellen.

Eine der wichtigsten Nebenfiguren des Romans stellt der rätselhafte, geheimnisumwitterte Stargladiator „Tarquinius“ dar. Stets tritt er in einer schwarz-silbernen Rüstung in seinen Kämpfen „sine missio“ (bis zum Tod ohne Begnadigung) an und hat wenig übrig für das Töten, kämpft nur gegen als Schlächter verrufene Gladiatoren, begeistert mit seinem Schwertspiel, Geschick und Persönlichkeit aber dennoch das „Pöblikum“. Eine sehr begeisterte Hommage an Ridley Scotts „Gladiator“ Maximus. Als an einer Christin interessierter Mithraspriester ist Tarquinius jedoch vielschichtiger, an einem Kampf vor dem großen Cäsar – wenn auch nicht gegen ihn – kommt aber auch er nicht vorbei.

Zwiespältig ist die Schilderung einiger historischer Begebenheiten zu sehen: Erste Vorbeben in Pompeji einschließlich des späteren vernichtenden Ausbruchs des Vesuvs, der Brand in Rom sowie die Beschreibung der zur „Naumarchie“ umgebauten Arena, in der die Seeschlacht von Actium nachgestellt werden sollte, konnten mich nicht begeistern. Zu flüchtig und zwanghaft wirkten sie in die Handlung eingefügt, während einige banale und durchschaubare Handlungsstränge zu viel Raum einnahmen. Hier zollt der Autor der Erzählweise leider Tribut, Scorpios Leben hangelt sich oft gezwungen von Ereignis zu Ereignis.

Dieser Malus stellt zusammen mit der kitschigen Idylle der Gladiatorenschule Felix Felix die Hauptkritikpunkte dar. Positiv zu werten ist der gefällige und flüssige Schreibstil, auch kann man sich dem Charme der sympathischen Charaktere nur schwer entziehen. Leider erreicht Wolfram zu Mondfeld nicht ganz die beeindruckende Informationsdichte und den Abwechslungsreichtum des „Meisters“, zudem ist der Handlungsverlauf wesentlich vorhersehbarer, größere Überraschungen oder Wendungen gibt es keine.

Ein guter Roman, der jedoch nicht an die Klasse des „Meisters des siebten Siegels“ anknüpfen kann. Trotz einiger kritischer Anmerkungen aus moderner Warte, die seltsam anmuten, wenn der Autor sie dem Gladiator Scorpio in den Mund legt, vergällte mir die übermäßig ausgeprägte romantisierende Schönfärberei den Genuss und schadete dem Roman.

Amnon Kapeliuk – Yassir Arafat – Die Biografie. Vorwort von Nelson Mandela

Arafats Leben ist nicht von der Politik zu trennen, und das vorliegende Buch stellt somit eher einen akribischen Bericht über die Nahostpolitik dar, wie man sie nur selten findet. Denn behandelt werden all die internen Querelen und Eigenheiten des palästinensischen Widerstands. Eigentlich ist es eine Biografie der Fatah, der PLO, der Palästinensischen Nationalbehörde – aber auch der Beziehungen zur gesamten arabischen Welt wie auch der internationalen Beziehungen.

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Simmons, Dan – Lovedeath

Dan Simmons hat sich in der Vergangenheit in den verschiedensten Genres einen Namen machen können. So begeisterte der in Peoria/Illinois geboren Schriftsteller sein Publikum unter anderem mit Science-Fiction- und Horror-Romanen. Zwei der elementarsten Themen seiner Bücher waren dabei stets die Liebe und der Tod. Vor mehr als zehn Jahren, genauer gesagt 1993, hat Simmons daher auch einige Novellen verfasst, die sich ausschließlich mit diesen Schwerpunkten befassen, doch die Veröffentlichung dieser Texte zog schließlich einige Schwierigkeiten nach sich. Während der Autor diese fünf Kurzgeschichten in Amerika noch im selben Jahr auf den Markt bringen konnte, fand sich in Europa kein Verlag für die düsteren Erzählungen des Erfolgsautors. Erst zwölf Jahre später hat sich mit dem |Festa|-Verlag ein würdiger Vertrieb für den Sammelband namens „Lovedeath“ gefunden, der die fünf Episoden, begleitet von einem etwas weiter ausgedehnten Vorwort, nun auch dem deutschen Publikum zugänglich macht. Bis auf das preisgekrönte „Sterben in Bangkok“ sind die Geschichten hierzulande noch nie publiziert worden, und warum dies fast schon schändlich zu nennen ist, möchte ich in den nächsten Zeilen erklären. Doch erst einmal mehr zum eigentlichen Inhalt:

_Die Novellen_

|“Das Bett der Entropie um Mitternacht“|

Ein Versicherungsvertreter fährt mit seiner sechsjährigen Tochter Caroline ins winterliche Colorado. Doch ihr Weg in das Städtchen Boulder wird von düsteren Nebengedanken seitens des Protagonisten überschattet. Immer wieder schießen ihm Gedanken durch den Kopf, die mit seiner beruflichen Vergangenheit in Verbindung stehen. Er hat ein so genanntes |Orange File| angelegt, in dem sämtliche Unfälle, mit denen er sich bislang beschäftigen musste, aufgelistet sind. Doch nicht nur im Job ist der Mann mit Unfällen beschäftigt: Auch sein Sohn kam damals bei einem solchen ums Leben, und nun befürchtet er, dass auch seiner geliebten Tochter etwas passieren könnte. Denn eines ist ihm klar: Liebe und Tod standen in seinem Leben immer im direkten Zusammenhang zueinander …

|“Tod in Bangkok“|

Der amerikanische Arzt Merrill kehrt nach langer Zeit zurück auf die Rotlichtmeile von Bangkok. Während des Vietnamkrieges war er schon mal dort gewesen, um sich hier von den harten Strapazen der grausamen Schlacht zu erholen, jedoch musste seine Freundin Tres den Urlaub damals mit dem Leben bezahlen.

Etliche Jahre später kehrt die Erinnerung an den früheren Aufenthalt wieder zurück in Merrills Gedächtnis, und der Wunsch, die mehr als zwei Dekaden zurückliegende Schreckenstat zu rächen, keimt in dem Mediziner erneut auf. Also begibt er sich mitten im anrüchigsten Viertel von Bangkok auf die Suche nach einer mysteriösen Dame, die einen entscheidenden Einfluss auf die damaligen Ereignisse hatte.

|“Sex mit Zahnfrauen“|

Ein Medizinmann und ein Schriftsteller tauschen sich über die Vorfahren der Lakota-Indianer aus und kommen auf die Sage eines tollpatschigen Indianers zu sprechen, der einst vorgab, zum Medizinmann berufen zu sein, um so bei der Damenwelt zu landen. Daraufhin wird er einer Prüfung unterzogen, deren Ritual dem Mann namens Lahmer Dachs eine Offenbarung beschert, infolge derer er sich plötzlich sogar mit drei ziemlich eigenwilligen Damen auseinander setzen muss … die Frau, deretwegen er überhaupt erst in diese Lage gekommen ist, scheint indes in unerreichbarer Ferne zu sein.

|“Rückblende“|

In gar nicht ferner Zukunft hat sich die Weltordnung komplett verändert. Die USA sind als einstige führende Kraft vollkommen entmachtet und ihre Bürger leben seitdem im totalen Chaos. Während in den Städten die Kriminalitätsrate stetig steigt und fast überall eine bedrohliche Dunstwolke den nächsten Smogalarm ankündigt, sieht das Volk sein einziges verbliebenes Heil in einer Droge namens ‚Flashback‘. Mittels dieses Mittels ist es den Menschen möglich, die schönsten Erinnerungen der Vergangenheit neu aufleben zu lassen, doch kaum hat man seinen Rausch verlebt, verfällt man in tiefe Depression.

Auch Carols Familie hat mit den Auswirkungen der Modedroge zu kämpfen. Sie selbst verfällt stets in Nostalgie, wenn sie die gemeinsamen Momente mit ihrem Ex-Mann von neuem erlebt, ihr Vater ist mit den Folgen des Attentats auf Kennedy beschäftigt, und ihr jugendlicher Sohn leidet unter den Missständen der Entwicklung und führt ein Leben unter den Gangs der Stadt. Der durch die Erinnerung hervorgerufene Kick wird immer wieder von einer tiefen Melancholie begleitet, und so ist auch die Familie von Carol dem totalen Zerfall preisgegeben, aus dem es anscheinend keinen Ausweg mehr gibt.

|“Der große Liebhaber“|

Der englische Dichter James Edward Rooke erzählt in seinem Tagebuch von seinen grausamen Erlebnissen aus dem Ersten Weltkrieg und dabei in erster Linie von Geschehnissen, die sich im direkten Umfeld des Kriegsschauplatzes an der Somme abgespielt haben. Vor Ort hat er mit eigenen Augen beobachtet, wie die erste echte Kriegsmaschinerie Millionen Menschen das Leben kostete. Rookes Verwunderung darüber, dass er selber noch immer am Leben ist, ist beinahe genauso groß wie der Ekel vor den grauenvollen Begebenheiten, die der Krieg einem jeden Augenzeugen beschert, und genau diesem verleiht der Dichter in seinen Tagebucheinträgen von der Front auch lautstark Ausdruck.

_Meine Meinung_

Die ersten Seiten dieses Buches fand ich persönlich ziemlich anstrengend. Da wäre zunächst einmal das Vorwort, in dem sich der Autor ziemlich breit über verschiedene Motivationen bezüglich der fünf Novellen auslässt und darüber hinaus auch noch einige recht mysteriöse Gedankenanstöße gibt. Zwar ist dies alles ziemlich interessant, nach einer Weile aber auch wirklich langatmig und darf daher auch getrost überschlagen werden, zumal es auch nicht zwingend zum Verständnis der enthaltenen Kurzgeschichten beiträgt.

Einen echten Einstieg muss somit die erste Erzählung „Das Bett der Entropie um Mitternacht“ liefern, doch auch hier macht Simmons es seinem Publikum nicht gerade leicht. Die wirren Gedankenstränge des erzählenden Protagonisten und die ständigen Einschübe, in denen er von den Erfahrungen seines Berufes redet, wirken anfangs enorm irritierend und laden auch nicht gerade zum Weiterlesen an. Erst als der wahre Hintergrund dieser Rückblicke ersichtlich wird, gewinnt die Geschichte an Tempo und zeigt den tatsächlichen Charakter dieses vollkommen verstörten Mannes. Beeindruckend ist hierbei, wie emotionslos Simmons seine Hauptfigur gestaltet. Jegliche emotionale Regung geht zwischen den ständigen Unfallberichten verloren, und doch geht es in dieser Geschichte auch vorrangig um das Thema Liebe. Ein toller Einstieg in dieses Buch, auch wenn die Anlaufzeit ein wenig länger war.

Die zweite Geschichte ist ein echter Klassiker und wurde auch schon mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Geschichte um den rachedürstigen Vietnam-Veteranen, der ganze 22 Jahre gewartet hat, um sein Gewissen zu bereinigen, geht unter die Haut, ist aber gleichzeitig auch ziemlich abstoßend. Speziell die Beschreibung der Rotlichtmeile ist wirklich erschreckend, ergänzt sich aber prima mit der unreinen Gedankenwelt des zurückgekehrten Arztes. Simmons spielt mit der Brutalität der Psyche und hält so die Spannung aufrecht bis zum packenden Schluss. Meiner Meinung nach ganz klar das Highlight dieses Sammelbands.

Die dritte Erzählung will nicht so ganz zum Rest passen und ist meiner Meinung nach auch klar die schwächste im Rahmen dieses Buches. Es will irgendwie keine richtige Atmosphäre aufkommen, und verglichen mit den vorherigen Novellen sind auch die Hauptcharaktere hier nicht so fesselnd dargestellt. Lesenswert ist „Sex mit Zahnfrauen“ aber allemal, nicht zuletzt, weil der Autor hier eine kleine Prise seines überaus skurrilen Humors beigemischt hat.

„Rückblende“ ist der Vertreter des Science-Fiction-Genres in diesem Buch. Simmons zeichnet ein sehr skeptisches Zukunftsbild und beschreibt die Welt als einen düsteren Moloch mit einigen apokalyptischen Szenarien, die jedoch in diesem Fall noch im ersten Stadium sind. Es ist eine hochtechnisierte, kriminelle und total verschmutzte Welt, in der die Gedanken an die Vergangenheit der einzige Rettungsanker für das eigene Glück sind. Das hierbei geschilderte Familiendrama eignet sich vorzüglich als Beispiel für ein zukünftiges Szenario, das sich selbst die skeptischsten Schwarzmaler kaum finsterer vorstellen können. Auch hier gilt: packende Atmosphäre, tolle individuelle Charaktere und eine sehr beklemmende, stark aufgebaute Handlung.

In seiner letzten Novelle kehrt Simmons noch einmal zur Kriegsthematik zurück und berichtet direkt von der Front. Jedoch lässt der Autor die handelsüblichen Klischees außen vor und befasst sich vielmehr mit dem Seelenleben des fiktiven Erzählers. Dass es sich dabei um eine sehr poetisch veranlagte Person handelt, verstärkt die dramatische Wirkung seiner Tagebucheinträge enorm, doch noch besser und fesselnder sind die verschiedenen Einträge von Soldaten, die der Autor aus Originalbriefen übernommen hat. Simmons entwirft in dieser letzten Geschichte ein sehr authentisches Bild des Grauens, das einem Beteiligten an der Kriegsfront tagtäglich widerfährt, und untermauert die wiederum sehr düstere Stimmung dieser Novelle mit bewegenden Momentaufnahmen aus erster Hand. Im Grunde genommen kann man hier auch den Anfang all dessen sehen, was Simmons zuvor als einen sehr negativen, generationenübergreifenden Entwicklungsschritt in „Rückblende“ beleuchtet.

So unterschiedlich die einzelnen Episoden auch sind, so viele Gemeinsamkeiten haben sie dann schlussendlich wieder. Der größte gemeinsame Nenner ist dabei ganz klar die unterkühlte, manchmal auch erschreckende Grundstimmung, die sich durch die fünf Geschichten zieht. Simmons zeigt sich als Meister der finsteren Lyrik und betrachtet in kurzen Aufnahmen Ausschnitte aus dem Leben von Personen, die irgendwo am Rande der Gesellschaft stehen, weil sie in sich Probleme tragen, denen sie nicht gewachsen sind bzw. deren Ursprung sie nicht beeinflussen konnten. Jede dieser kurzen Novellen ist ein kleines Meisterwerk für sich (auch wenn „Sex mit Zahnfrauen“ qualitativ ein wenig abfällt) und in ihrer Form definitiv einzigartig. Wichtig ist diesbezüglich, dass der Autor hierzu keine besonderen Effekte verwendet. Ganz besonnen wirft er den Leser in das Leben der Betroffenen und holt ihn quasi am Tiefpunkt wieder heraus, eben dort, wo die Spannung ihren Höhepunkt erreicht, und hier sorgt er besonders bei „Tod in Bangkok“ und „Der große Liebhaber“ für eine kurzzeitige Gänsehaut ob des enorm kaltherzigen Anstrichs dieser Erzählungen.

Mit „Lovedeath“ ist Dan Simmons vor mehr als zehn Jahren ein enorm starkes, in seiner Ausprägung zudem überaus vielseitiges Werk gelungen, das man – ist man einmal infiziert – so schnell nicht mehr aus der Hand legen kann. In Schriftsteller-Kreisen ist der Verfasser dieser fünf Kurzromane bereits eine echte Ikone, und nachdem ich dieses Buch gelesen habe, wird auch klar, warum das so ist. „Lovedeath“ ist eine perfekt inszenierte Attacke auf die Psyche des Lesers und hinterlässt dort einen bleibenden Eindruck. Ich kann die hierin enthaltenen Geschichten und somit den Sammelband nur wärmstens weiterempfehlen und möchte genau dies zum Abschluss dieser Rezension auch tun!

http://www.festa-verlag.de

Collins, Pamela / Dembski-Bowden, Aaron / McFarland, Jonathan – Antagonisten (WoD)

_Allgemein_

Antagonisten sind im Rollenspiel, aber auch in Filmen und Romanen, das Salz in der Suppe, denn was wäre ein James Bond ohne einen Doktor No? Ein Superman ohne Lex Luthor? Oder Homer Simpson ohne Nad Flanders? Richtig, stinklangweilig!

Der Quellenband „Antagonisten“ ist für alle Publikationen unter dem Banner „Die Welt der Dunkelheit“ geeignet, sprich „Vampire: Requiem“, „Werwolf: Paria“ und „Magus: Erwachen“, und stellt eine Art Monsterhandbuch dar. Hierbei beschäftigt es sich mit allem, was den Spielercharakteren so gefährlich werden kann, mal abgesehen von anderen Vampiren, Magiern oder Werwölfen.

_Inhalt_

Im ersten Kapitel: ‚Die lebenden Toten‘ werden Zombies, Seelenlose und Wiedergänger behandelt. Das klingt zwar alles gleich, doch bestehen einige Unterschiede bezüglich Erschaffung, Fähigkeiten und Aussehen, auf die ich hier jetzt nicht näher eingehen möchte.

In ‚Durst nach Rache‘ spielen solche Menschen die Hauptrolle, die sich der übernatürlichen Wesenheiten (also der Spieler) bewusst sind und gegen diese kämpfen. Stärken, Schwächen, Taktiken, Motivationen und Gepflogenheiten dieser Monsterjäger werden genauestens durchleuchtet.

Ebenfalls um hauptsächlich menschliche Gegner dreht es sich auch bei den Kulten und Sekten, die in Kapitel drei: ‚Die Gerechten und die Gottlosen‘ vorgestellt werden. Nicht nur die verschiedenen Arten von Sekten (Ufosekten, Todeskulte etc.) werden an dieser Stelle beschrieben, sondern auch auf die etwaigen Sorten von Gehrinwäschen, Anwerbetaktiken und Sektenstrukturen wird detailliert eingegangen.

Last but not least kommen die echten Monster noch zur Geltung. Schon einmal von einer Aswang, der Bestie von Bethlehem, einem Giftmoder oder den Grotnicks gehört? Diese vier Monsterrassen und noch sechs weitere werden hier vorgestellt, und diese sollten jede Spielergruppe ordentlich ins Schwitzen bringen.

_Mein Eindruck:_

Wer von einem Monsterhandbuch seitenlange Tabellen erwartet, sollte von den |Feder & Schwert|-„Antagonisten“ die Finger lassen. Natürlich werden auch Werte angegeben, doch liegt die Betonung ganz klar auf dem „auch“, denn diese sind bestenfalls als Richtlinien zur Gestaltung der Gegner zu sehen. In diesem Quellenband wird Wert auf allgemeine Beschreibungen der möglichen Feinde, zum Beispiel anhand von Geschichten, gelegt. Motive, Vorgehensweisen und Hintergründe sind hier schwerer gewichtet als schnöde Würfelzahlen.

Außerdem wurde dem Spielleiter mehr Freiraum bei der Gestaltung seiner Antagonisten gewährt, denn selbst wenn ein Spieler diesen Quellenband gelesen haben sollte, kann er sich nie wirklich sicher sein, womit er es zu tun hat. So gibt es verschiedene Sorten von Zombies sowie mehrere Entstehungsmöglichkeiten derselben. Etwa kann jemand durch virale Verseuchung zum Zombie werden (wie in „Resident Evil“), durch ein Vodoo- oder anderweitiges Ritual, oder durch eine Laune der Natur. Dies erhält einerseits die Spannung aufrecht und ermöglicht andererseits dem Spielleiter, sich durch einschlägige Filme und Bücher Anregungen en masse zu holen.

„Antagonisten“ ist so konzipiert, dass es hauptsächlich Ideen für Chroniken und Abenteuer bieten soll, und das ist voll gelungen. Allein schon die jeweiligen Beispielcharaktere bieten dem aufmerksamen Leser eine Vielzahl solcher Anregungen. Obwohl die Werte nur rudimentär preisgegeben werden, sollte Spieler lieber die Finger von diesem Quellenband lassen, da sie sich sonst selber einiger Überraschungen berauben.

Die Aufmachung ist wie für |Feder & Schwert| üblich nur als vorbildlich zu bezeichnen: Hardcover-Einband, tolle Grafiken und Bilder und ein einwandfreies Layout werden geboten. Einfach klasse ist auch der Anfangsprolog ‚Detroit Mystere‘, aus dem man eigentlich ein ganzes Buch machen sollte. So gesehen, hat sich der Kauf schon fast wegen dieses Prologes gelohnt, aber auch die anderen kurzen Geschichtchen, die dieser Band enthält, sind wirklich unterhaltsam.

_Fazit_

Dieser Quellenband ist eine wahre Fundgrube für Spielleiter, die ihrer Chronik etwas mehr Pep verleihen und mal etwas anderes als die ständigen Probleme mit anderen Vampiren oder Revierstreitigkeiten darstellen wollen. Spieler sollten es sich aber wirklich zweimal überlegen, „Antagonisten“ zu lesen, denn es kann einiges an Spaß rauben, zu viel zu wissen. Alles in allem ist dies aber ganz klar ein interessanter und lesenswerter Quellenband, der für alle „Welt der Dunkelheit“-Erweiterungen äußerst nützlich ist.

http://www.feder-und-schwert.com/

_Weiterführende Rezensionen bei |Buchwurm.info|:_

[„Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk“ 1607

[„Vampire: Requiem“ 1701
[„Riten des Drachen“ 1728
[„Lancea Sancta“ 2087

[„Werwolf: Paria“ 1970