Bunson, Matthew – Buch der Vampire, Das

Bekanntlich treten sich auf der britischen Insel Geister und Gespenster heute noch auf die Lakensäume, und Graf Dracula höchstpersönlich ist im ehrwürdigen London (wieder-)geboren worden; literarisch jedenfalls. Da scheint es nur angemessen, dass sich ein Bürger dieses nebligen Eilandes der geliebten Spukgestalten annimmt und endlich einmal Ordnung in das ektoplasmatische Getümmel bringt!

Wer kann schon ahnen, dass sich hinter dem Schriftsteller mit dem urenglischen Namen „Matthew Bunson“ ein schnöder Kolonialbrite von jenseits des großen Teiches verbirgt? Den Amerikanern ist zweifelsohne ein Primat des Wissens zuzubilligen, wenn es um radioaktiv erzeugte Monster aus der Wüste von Nevada oder das Ungeheuer vom Amazonas geht. Sobald Vampire ins Spiel kommen, wird der Kenner jedoch skeptisch.

Und richtig – das „Buch der Vampire“, wie es im Deutschen (mit Absicht?) vorsichtig heißt (erst im zweiten Untertitel wird von einem „Lexikon“ gesprochen), entpuppt sich fast durchweg als Sammlung recht wahllos zusammengetragener Informationshäppchen, die sich nur einem einzigen Ordnungsprinzip unterordnen: dem alphabetischen nämlich. Das Vorwort gibt da einen ersten Vorgeschmack, denn man kann es wohlwollend als „knapp“, aber genauso gut als „nichts sagend“ bezeichnen.

Schlimmer noch: Bunsons Vampir-Enzyklopädie erreicht nur das Jahr 1993 – wen wundert’s, denn das ist das Veröffentlichungsdatum der Originalausgabe. Nun ist sogar die Welt der Untoten in den seither verstrichenen Jahren nicht stehen geblieben. Es sind auch nach Francis Ford Coppolas bahnbrechender „Dracula“-Verfilmung von 1992 wichtige Beiträge zum Genre erfolgt – und das betrifft nicht nur den Film! Was ist zum Beispiel von einem „Lexikon“ zu halten, das 2001 erscheint und sich über das „Dracula“-Jubiläum von 1997 völlig ausschweigt? Schließlich ist in diesem Jahr sogar die „offizielle“ Fortsetzung des 100-jährigen Kultschockers erschienen (von Freda Warrington; dieses Buch ist auch in Deutschland auf den Markt gekommen – glücklicherweise ziemlich unbemerkt, denn seine Lektüre kann leicht die Sehnsucht wecken, der Autorin mit Holzpfahl und Silberkugel – hilft auch gegen Vampire; Bunson, S. 246 – zu Leibe zu rücken …). In Maßen hätte eine Überarbeitung bzw. Aktualisierung des Bunson-Werkes daher Not getan; sie unterblieb – zweifellos aus Gründen falsch verstandener Sparsamkeit, aber nicht ohne berechtigte Hoffnung, der geblendete Vampirfan werde zumindest bis nach der Entrichtung der Kaufsumme die Rosstäuscherei nicht bemerken.

Bei näherer Betrachtung relativiert sich das düstere Bild glücklicherweise. Machen wir die Probe aufs Exempel – schlagen wir das „Lexikon“ beim Eintrag „Lee, Christopher“ auf. Muss nicht selbst dem Neuling auf dem Feld des Unheimlichen dieser Name wie Donner in den Ohren hallen? Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Also dann: Lee ist nach Max Schreck (Murnau! „Nosferatu“!) und Bela Lugosi wohl d e r Kinovampir der Filmgeschichte! (Außerdem hält Lee den Guiness-Rekord für den Schauspieler mit der umfangreichsten Filmografie eines noch lebenden Darstellers in der westlichen Hemisphäre – Nr. 250 rückt allmählich in Reichweite; womöglich hat Lee die Rolle des unsterblichen Blutsaugers also nicht nur gespielt …) Siehe da, Bunson gelingt es tatsächlich, Leben und Werk Lees auf gerade einer halben Seite ganz ordentlich in Worte zu fassen. (Seit 1947 ist Lee nonstop im Einsatz? Nun ja; siehe oben …)

Zugegeben: Über die Auswahl der präsentierten Stichwörter lässt sich streiten. Außerdem fallen dem etwas versierteren Leser nicht gerade selten ungenaue oder gar falsche Aussagen auf. Ein beliebig herausgegriffenes Beispiel: Wie um Himmels willen konnte Glenn Strange den „bekanntesten Horrorfilmstars“ zugeschlagen werden? Den zweifelhaften Höhepunkt seiner obskuren Karriere hat dieser Darsteller mit der Rolle des schmirgelpapiergesichtigen Barkeepers Sam in der Endlos-Fernseh-Western-Serie „Gunsmoke“/“Rauchende Colts“ (dessen Hauptdarsteller James Arness alias Matt Dillon allerdings mit der Hartnäckigkeit eines echten Vampirs immer wieder der TV-Gruft entsteigt; hier schließt sich der Kreis …) erreicht, während er unter der Schminke des Frankenstein-Monsters höchstens den echten Kennern des Horrorfilms bekannt geworden ist.

Absolut überflüssig; nein, sogar eindeutig dämlich ist eine ebenso endlose wie nichts sagende Liste deutscher Vampirfilm-Titel auf den Seiten 89-98. Was soll das denn dem Leser nützen, zumal Vampirfilme ihren Titel hierzulande sogar noch öfter wechseln als der Mond seine Phasen? Aber man kann auf diese Weise natürlich ein Menge Seiten schinden … (Eine Ausnahme bildet allerdings auf S. 287 die Liste der Maßnahmen, die man schon vorbeugend gegen das Auftreten von Vampiren treffen kann – damit lässt sich jede Beerdigungsfeier zu einem für alle Beteiligten garantiert unvergesslichen Erlebnis aufwerten!)

Aber das sind Nebensächlichkeiten, sobald man sich von der Erwartung frei machen konnte, Autor Bunson würde tatsächlich ein „Lexikon“ vorlegen. Selbst für den scheinbar ausgewiesenen Fachmann in Sachen Vampire gibt es hier nämlich einiges zu lernen. Wie entstehen beispielsweise überhaupt Untote? In Albanien glaubt(e) man beispielsweise, es reiche schon aus, dass ein wildes Tier über ein Grab springt (S. 11). Angesichts der akuten Karnickelplage auf deutschen Friedhöfen könnte man ob dieser Information leicht ins Schwitzen geraten …

Wer hätte gewusst, dass man nur eine Herde Gänse über einen Friedhof jagen muss, auf dem man einen Blutsauger vermutet? Schon vor den Toren des Gottesackers beginnt das Federvieh erbärmlich zu schnattern und verrät dem Van-Helsing-Jünger, was er wissen muss. (Es könnte natürlich auch sein, dass man statt auf einen Vampir auf eine Gruppe raublustiger Gallier trifft … Achtung: Dies ist ein Gag für Leser mit leicht klassischer Bildung.)

Ist der verdächtige Finsterling etwa bereits aus dem Grab heraus und macht sich während einer Party an die oder den Liebste/n heran? Bunsons Liste der Merkmale, die ihn verraten (S. 78f.), ist unfehlbar: Außer „Fangzähnen“ und „roten Augen“ lesen wir da u. a. von „haarigen Handflächen“, „Mundgeruch“ und „merkwürdiger Kleidung“ – mein Gott, die Welt steckt offensichtlich voller Vampire!

Und hat man den Bösewicht gestellt und in die Enge getrieben, versäume man es nicht, einen Blick auf seine Leber zu werfen – bei einem Vampir ist sie nämlich nicht rötlich-braun (oder säufer-gelb), sondern weiß!

So kann man schließlich doch einiges Vergnügen aus dem angeblichen „Lexikon“ ziehen. Übrigens ist es erstaunlich preisgünstig für ein großformatiges Paperback, das sogar mit einer ganzen Reihe qualitativ hochwertiger Schwarzweiß-Fotos aufwartet (selbst wenn die Auswahl – gelinde gesagt – beliebig ist). Deshalb ist es zu guter Letzt leicht, milde über dieses Werk zu urteilen, das nichts wirklich Neues bieten, aber durchaus unterhalten kann.

Matthew Gregory Lewis / E. T. A. Hoffmann – Der Mönch / Die Elixiere des Teufels

„Der Mönch“

Ambrosio wurde als Säugling auf den Stufen des Klosters gefunden. Die Mönche erzogen ihn, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass er selbst die Kutte ergriff. Inzwischen hat das einstige Findelkind sich zu einem Mönch gemausert, der in Madrid zu einer Berühmtheit avanciert, die heutzutage eigentlich nur Popstars genießen. Doch diese Berühmtheit hat einige Nebenwirkungen – unter anderem die, dass Luzifer persönlich auf den frommen Mann aufmerksam wird …

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Ringo, John – Invasion – Der Angriff (Invasion 2)

Die Fortsetzung von „A Hymn before Battle“ fängt zunächst weitaus weniger blutrünstig an, als der erste Teil ([„Der Aufmarsch“ 497 ) geendet hatte. Die gesamte erste Hälfte des Buches beschäftigt sich mit den Vorbereitungen auf die Invasion der blutrünstigen „Posleen“, die sich nach zig anderen bewohnten Planeten nun die Erde zum „Abernten“ ausgesucht haben. Im Gegensatz zum Rest der Galaxis sind die Menschen aber nicht als sanftmütiges Schlachtvieh geboren, und diesen Irrtum wollen sie die Angreifer auch spüren lassen! Schlachtpläne werden geschmiedet, Industrien umgepolt, ganze Staaten evakuiert, Millionen von Soldaten ausgebildet und alle übrigen Zivilpersonen im Guerillakrieg geschult.

Was neben viel Konfusion und schlechter Planung nicht ausbleiben kann, ist der Kampf der Politiker hinter den Kulissen. So werden gegen jede Vernunft einige amerikanische Gebiete unter dem Opfer von hunderttausenden Soldaten verteidigt, weil dort historische Stätten des Bürgerkriegs liegen, und deren Verlust Wählerstimmen kosten könnte.

Das gesamte Buch fokussiert sowieso rein auf das Gebiet der USA, der Rest der Welt ist Ringo kaum einer Erwähnung wert. Die Geschichte spielt in der Gegenwart (November 2003 bis Oktober 2004), die beschriebene Waffentechnik ist daher bis auf Ausnahmen weniger SF als blanke Realität. {Anm. d. Lektors: Offenbar wurden hier die Daten in der deutschen Ausgabe nachträglich etwas verschoben, da die Bände bei uns mit etwa drei Jahren Verzögerung veröffentlicht wurden und man den deutschen Leser nicht zu sehr irritieren wollte.}

Bevor es aber zur Landung der Invasoren kommt, werden einige der Hauptpersonen etwas breiter im beruflichen und privaten Umfeld dargestellt. Vor allem Mike O’Neil, den Helden von „A Hymn before Battle“, und seine Familie lernt man etwas näher kennen, als er einen letzten Urlaub an den bereits evakuierten Urlaubsstränden von Florida machen will.

Man erfährt auch andeutungsweise, dass mehrere Gruppen, Menschen und Außerirdische, unter der Oberfläche ihre eigenen Spielchen spielen, und dass wohl in dem ganzen Kriegsszenario noch einige Geheimnisse verborgen sind, die noch gelüftet werden müssen.

Da der Feind sich nicht an den Zeitplan hält und viel zu früh die Invasion der Erde beginnt, werden die amerikanischen Streitkräfte ziemlich unvorbereitet erwischt. Da in einem Amerikaner aber auch immer ein Kämpfer steckt, und zwar oft ein sehr einfallsreicher, müssen die Posleen bald erkennen, dass sie sich einen etwas zu harten Brocken zum Verschlingen ausgesucht haben.

Ringo bemüht sich, dem Leser auch einen Einblick in die Gemüts- und Gedankenwelt der Feinde zu geben, vermenschlicht diese dabei aber zu sehr. Hier passt der entworfene Hintergrund der Schlächterhorden, die bei 70 Planeten keinen nennenswerten Widerstand gespürt haben, nicht ganz zur geschilderten Denkweise, die eher zu erfahrenen Söldnerführern gehört, die ihre Beute z. B. in immer bessere Waffen investieren. Wozu bessere Waffen, wenn eh keiner zurückschießt?

Jedenfalls kommt es jetzt zur Schlacht, besser gesagt zum Schlachten! Ringo lebt seinen Hang zur Massenvernichtung, der auch in den Koproduktionen mit David Weber zu spüren ist, in der zweiten Hälfte des Buches aus. Wenn sich die Leichen so hoch türmen, dass man nicht mehr darüber hinaus schauen kann, werden sie eben von der Artillerie noch einmal durchgehäckselt! Da gibt es reichlich Platz zur Schilderung von Heldenmut und Opferbereitschaft. Sogar der verweichlichte Präsident bekommt kurz vor seinem Tod noch die Gelegenheit, sich als echter Mann zu zeigen!

Reichlich zwiespältig empfand ich die Schilderung der militärischen Führung. Da gibt es zum einen die Generäle, Sesselpfurzer, die laut Ringo meist keine Ahnung von der Wirklichkeit haben und Hunderttausende von Soldaten in den sicheren Tod schicken, weil sie nicht auf die richtigen Profis hören, und dann auf der anderen Seite die echten Helden, die einfach wissen, dass es so, wie sie es planen, richtig ist, und die sich auch nicht scheuen, der Besatzung von drei Panzern, die vor einer Million heranstürmender schwer bewaffneter Feinde fliehen wollen, etwas Rückgrat einzublasen, indem der Kopf eines dieser Feiglinge zwischen den Panzerhandschuhen zerdrückt wird, bis das Gehirn herausplatzt! Ja, da gibt es schon einige heftige Szenen in diesem Buch …

So z. B. auch die Stelle, wo O’Neils achtjährige Tochter einem unwillkommenen Besucher das Gehirn rausbläst, weil der Opa den Gast anscheinend nicht besonders leiden mag. Natürlich hat sie, im Rahmen des Romans, richtig gehandelt, aber bei mir bleibt bei solchen Beschreibungen doch ein starkes Unbehagen zurück. Vermutlich bin ich einfach ein Kind des „alten Europas“.

Das Buch liest sich ansonsten recht flott und spannend, wenn auch viel vom militärischen Jargon einfach an mir vorbei geht, wie auch manche kleine Anspielung, die bei Amerikanern wohl ein Schmunzeln auslösen wird.

Ich habe mir jedenfalls schon die Fortsetzung „When the Devil Dances“ (dt. „Invasion: Der Gegenschlag“, Dezember 2004) bestellt. Will doch wissen, wie das alles weitergeht!

Insgesamt aber nur für wirklich schnell lesende Anhänger militärischer SF geeignet.

_Dr. [Gert Vogel]http://home2.vr-web.de/~gert.vogel/index.htm _

Hohlbein, Wolfgang – Auf der Spur des Hexers (Hörbuch)

Wolfgang Hohlbein, der selbsternannte Chronist Robert Cravens, liest „Auf der Spur des Hexers“. In dieser Erzählung, welche die Vorgeschichte seiner phantastischen |Hexer|-Saga schildert, dreht sich das Geschehen um Robert Cravens Vater, Roderick Andara.

_Überblick_

Wir schreiben den 9. Juli anno 1862. Seit mehr als zehn Jahren ist Roderick Andara schon auf der Flucht vor den grauenvollen Geschöpfen, die jenseits der Realität, in Nachtmahren und im Wahnsinn hausen – den |GROßEN ALTEN|.

Nun führt ihn sein Weg nach Colorado, in das verschlafene Nest Walnut Falls, um seinen dreijährigen Sohn einer Frau anzuvertrauen, die er nur aus ihren Briefen kennt. Nicht um ihn – wie sie glaubt – aus dem Weg zu haben, sondern um ihm das Leben zu ersparen, zu dem er, Roderick Andara, verdammt ist. Er klammert sich an die Hoffnung, seine Widersacher könnten dem Jungen hier nichts anhaben – viel zu spät erkennt er seinen Irrtum. Robert wird entführt …

Im weiteren Geschehen lernt Roderick Andara einen Mann kennen, der sich ihm als H. P. vorstellt – kein Geringerer als Howard Phillips Lovecraft höchstpersönlich. Doch das erste Zusammentreffen der beiden zukünftigen Kampfgefährten verläuft nicht so harmonisch, wie man es sich vielleicht vorstellen mag. Das Abenteuer, welches die beiden zusammen bestehen müssen, bringt Andara so nahe an seine Feinde heran, wie wohl noch nie einen Menschen zuvor – er kämpft den Kampf seines Lebens; doch kann er ihn auch gewinnen?

_Die Hörbuchserie_

Nachdem vor mittlerweile über 13 Jahren die beiden Hörspiele „Der Hexer von Salem“ (1990) und „Neues vom Hexer von Salem“ (1991) auf den Markt kamen, haben sich Wolfgang Hohlbein und Albert Böhne letztes Jahr dazu entschlossen, eine |Hexer|-Hörbuch-Serie in Angriff zu nehmen. Anlass dafür bot die Hexer-Sammler-Edition im |Weltbild|-Verlag, bei der erstmalig, zum zwanzigjährigen Jubiläum der Hexer-Reihe, alle Hexer-Heftromane komplett in der Originalfassung und von Wolfgang Hohlbein chronologisch geordnet als Hardcover veröffentlicht werden. Geplant ist, zu jedem Buch der Sammler-Edition ein Hörbuch herauszugeben.

Der erste Teil dieser Hörbuch-Reihe ist seit Anfang 2004 auch bei |Lübbe Audio| erhältlich. Wolfgang Hohlbein liest persönlich seinen 1990 erschienen Roman „Auf der Spur des Hexers – Wie der Horror begann“, welcher ursprünglich nicht aus der Heftroman-Serie stammt. Der Vollständigkeit halber erscheint er trotzdem in der Sammler-Edition als erster Band.
Leider gestehen Hohlbein und Böhne den Hörbüchern nur einen Umfang von drei Audio-CDs zu, was gewisse Kürzungen und Bearbeitungen voraussetzt. Sehen wir mal, was daraus geworden ist …

_Bearbeitung und Kürzungen_

Die überarbeitete Fassung beinhaltet zum Glück keinerlei Kürzungen, die dem Gesamtbild der Geschichte großartigen Schaden zufügen, allerdings gehen ein paar schöne Anspielungen auf H. P. Lovecrafts Originalwerke verloren, durch welche den belesenen Lovecraft-Kenner einige Vorahnungen ereilen könnten. Zudem wurde etwa in der Mitte der Geschichte ein kompletter Abschnitt mitsamt den daraus resultierenden Folgeszenen herausgestrichen. Dieser durchaus atmosphärische Teil ist zwar nicht lebensnotwendig für die Erzählung, erklärt aber zu einem Teil Andaras Gemütszustand gen Ende der Geschichte.

Einige Passagen sind, wie ich finde, sinnvoll gekürzt oder um ein paar erläuternde oder der Atmosphäre zuträgliche Sätze erweitert worden, so dass sich der Lesefluss dort durchaus verbessert hat. Glücklicherweise sind auch einige Fehlerteufelchen dem Korrekturstift zum Opfer gefallen, was zum Beispiel den zeitlichen Ablauf der Geschichte im Hörbuch durchaus ein wenig glaubwürdiger erscheinen lässt.

Was ich aber einfach nicht verstehen kann, ist, warum Roderick Andaras Frau im Hörbuch |Victoria| Price heißt, während ihr Name in meiner Ausgabe des Romans |Jennifer| Price lautet. Nicht, dass sie in der Geschichte auch nur einmal in persona aufträte, verstarb sie doch zwei Jahre zuvor, aber das macht das Ganze nicht weniger rätselhaft.

Es sei noch erwähnt, dass die letzten Seiten des Romans – Roberts kurzes Scharmützel mit drei abtrünnigen Templern – aus rein chronologischen Gründen unter den Tisch fallen mussten. Das lässt sich aber auch einigermaßen leicht begründen: Ursprünglich ist dieser Roman zwischen dem zweiten und dritten Hexer-TB erschienen, also zu einer Zeit, als die Hexer-Saga schon dementsprechend weit vorangeschritten war. Nun erscheint er als Vorgeschichte im allerersten Band der Sammler-Edition und von daher scheint es ratsam, die paar Seiten, die im Grunde nichts mit den eigentlichen Geschehnissen zu tun haben, entfallen zu lassen.

_Wenn der Autor selbst erzählt_

Zum Auftakt der Hexer-Hörbücher ließ Wolfgang Hohlbein es sich nicht nehmen, den Part des Erzählers persönlich zu übernehmen. Leider bringt das neben den klaren Vorteilen auch einige Nachteile mit sich. Sicherlich weiß er selbst am besten, welche Stimmungen er erzeugen und wie er die Geschichte gelesen bzw. verstanden wissen will, doch leider wirkt die Umsetzung anfangs eher holprig. Im Laufe der Erzählung wird die Akzentuierung der wörtlichen Rede wie auch der zu erzählenden Passagen immer besser, bis sich die Erzählung am Ende zu einem Hochgenuss steigert. Das Gesamtbild betrachtend, reichen seine Künste leider dennoch nicht an die eines Profis, wie zum Beispiel Joachim Kerzel, heran. Wirklich auffallend ist dies bei zwei Passagen im mittleren Teil der Geschichte – die |Traum-Sequenz| glänzt mit einer prächtig gelungenen sphärischen Hintergrundmusik, doch Hohlbeins kaum veränderte Stimme torpediert die musikalisch wunderbar aufgebaute Atmosphäre; beim Kampf mit dem |Tiefen Wesen| ist es allerdings am schlimmsten, denn da wirken sich sowohl die unpassenden Gitarrenriffs im Hintergrund als auch Hohlbeins Erzählstil sehr schädigend auf die Atmosphäre aus.

Ich muss leider noch etwas Unerfreuliches zur Sprache bringen, denn die Kapitelansagen, die alle zehn bis fünfzehn Minuten von Jürgen Hoppe beigesteuert werden, stören den Hörgenuss in ziemlich hohem Maße.

Neben diesen zum Teil weniger erfreulichen Begebenheiten gibt es aber noch etwas, das ich positiv hervorheben möchte – Roderick Andaras suggestiv verstärkte Befehle werden zweistimmig vorgetragen, dabei scheint die zweite Stimme stark verfremdet und wirkt somit düster und beschwörend. Ein wirklich gelungenes Stück tontechnischer Bearbeitung.

Einen kleinen Brückenschlag zu den alten Hörspielen vollführt Böhne mit Dirk Vogeley, der bereits 1991 dem Erzähler auf „Neues vom Hexer von Salem“ seine Stimme lieh. Auf dem vorliegenden Hörbuch übernimmt er die Stimme aus dem Kristall, die eine Botschaft aus der Vergangenheit zu verkünden weiß.

_Der Ton macht die Musik_

Für die musikalische und klangtechnische Verfeinerung des Hörbuches sorgen Albert Böhne und sein |ANDARA Project|. Die musikalische Begleitung ist im Gegensatz zu den früheren Hexer-Hörspielen zumeist rockig und wird nur in der Traumsequenz und der Botschaft aus der Vergangenheit durch düstere Sphärenklänge stilgerecht unterbrochen. Zudem bietet die CD zwei erstklassige Leckerbissen, aber dazu später.

Betrachten wir zunächst den Titelsong „Warlock“, der den Liebhabern der alten Hexer-Hörspiele im ersten Moment sehr wohl vertraut vorkommen dürfte. Das altbekannte |Hexer-Thema| erklingt genau einmal – auf den Saiten einer E-Gitarre – um dann auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung zu verschwinden. Der Song gleitet in ein orchestrales Thema mit akustischer Gitarre, Cello und Englisch-Horn-Klängen über, wird jedoch plötzlich von rockigen Gitarren und einem Schlagzeug dominiert. Alleine damit sollte allen altgedienten Hexer-Hörern klar sein, dass hier etwas gänzlich Neues seinen Anfang nimmt.

Sieht man einmal von den peinlichen Gitarrenriffs bei der oben erwähnten Kampfszene ab, trifft die musikalisch Untermalung allerorten den richtigen Ton und sorgt während der dramatischen Szenen für eine angenehm unbehagliche Atmosphäre.

Kommen wir nun zum ersten musikalischen Highlight. Für den Gesangspart von „Necron’s Song: Run!“ konnte Albert Böhne den Frontmann von |Accept| und |U.D.O.| verpflichten. Ja, liebe Freunde schwermetallischer Klänge, ihr lest richtig: Udo Dirkschneider bereichert mit seiner unvergleichbaren Stimme „Die Spur des Hexers“. Den Text zu [„Necron’s Song: Run!“]http://www.hohlbein.de/autor/audio/run.txt habe ich euch mal herausgesucht.

Bevor ich euch den zweiten Gaststar vorstelle, möchte ich noch ein paar Worte zur klanglichen Umsetzung des |Cthulhu|-Rituals verlieren. Hier hat sich Albert Böhne selbst übertroffen – durch den Einsatz vieler echter Trommeln und der stark verfremdeten Stimmen, mit denen die Beschwörungsformel zelebriert wird, kommt zum Ende des Hörbuches noch einmal richtige Gänsehaut-Stimmung auf.

|:Cthulhu – Fthagn – Ngai – R’Lyeh!:
Yog – Sothoth – Shudde – Mell
Nyarla – Tothep – Shubb – Niggurath
Azatoth – Glaaki – Wendigo – Hastur
Cthuga – Shodagoi – Dagon – ChoCho
Tsa – Thoggua – Yib – Tsstl
:Cthulhu – Fthagn – Ngai – R’Lyeh!:
R’Lyeh!
R’Lyeh!|

Dieser Part hat mir ehrlich gesagt am besten gefallen, zumal ich jetzt auch endlich weiß, wie all ihre Namen ausgesprochen werden.
|“Sie – das waren die, DEREN NAMEN MAN NICHT AUSSPRECHEN SOLL, will man nicht Gefahr laufen, sie zu rufen und den Preis für ihr Kommen zu zahlen, der schrecklich ist.“|

Zu guter Letzt kommen wir zum zweiten musikalischen Höhepunkt, dem Schlusssong „The Age of Damnation“. Niemand anderer als Steve Whalley, der Sänger der altgedienten Hardrock-Formation SLADE, bringt den glorreichen Abschluss dieser drei CDs.

_Mitwirkende_

|Sprecher:|
Wolfgang Hohlbein – Erzähler
Dirk Vogeley – Stimme aus dem Kristall
Jürgen Hoppe – Einleitung und Kapitelansagen

|Gesang:|
Udo Dirkschneider – „Necron’s Song: Run!“
Steve Whalley – „The Age of Damnation“
Albert Böhne – „Ritual“

|Musiker:|
Albert Böhne – Klavier, Keyboards, Background Vocals
Bernie Adamkewitz – Gitarre
Stefan Kaufmann – Gitarre
Michael Dötsch – Gitarre
Ian Stewart – Bass
Karl Övermann – Schlagzeug, Percussion

|3 CDs, Spielzeit 222 Minuten|

_Schlusswort_

Und nun noch ein paar abschließende Worte zum ersten Teil der neuen Hörbuch-Reihe aus dem Hause Hohlbein. Ich muss leider sagen, dass diese Umsetzung meines Erachtens nicht mehr als befriedigend ausfällt. Es lässt sich zwar nicht leugnen, dass ich am Ende dieses Werkes ein gutes Gefühl verspürt habe, aber das Gesamtbild reflektierend, kann ich diverse Unstimmigkeiten einfach nicht ignorieren. Ich würde mich freuen, wenn Wolfgang Hohlbein auch die anderen Hörbücher dieser Reihe erzählt, aber bitte mit der erzählerischen Finesse der letzteren Szenen. Ich kann eigentlich nur empfehlen, sich die Taschenbücher oder die Sammler-Edition zu besorgen und zu lesen – dieses Hörbuch ist dann sicherlich eine Bereicherung, aber ersetzen kann es das geschrieben Wort Hohlbeins nicht.

Wer jetzt Lust bekommen hat, sich näher mit H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Mythos oder Wolfgang Hohlbeins Hexer-Saga zu beschäftigen, dem seinen zwei meiner Rezensionen ans Herz gelegt:
[„Der Schatten über Innsmouth“ 424 sowie
[„Der Hexer von Salem“. 249

Christian C. Walther – Der zensierte Tag

Pünktlich zum dritten Jahrestag des Anschlags auf die Twin-Towers des WTC veröffentlicht der |Heyne|-Verlag das Buch „Der zensierte Tag“ von Christian C. Walther. Der Titel lässt es bereits vermuten, dass dieser von der offiziellen Darstellungsweise augenscheinlich nicht viel hält. Kritische Betrachtungsweisen zum 11. September 2001 gibt es mittlerweile zuhauf. Die meisten davon werden als Spinnerei von unter Paranoia leidenden Verschwörungstheoretikern geschmäht. Gelesen und diskutiert werden sie dennoch gern – wenn auch manchmal hinter vorgehaltener Hand. Fest steht: Die Vorgänge des denkwürdigen Tages sind noch nicht hinreichend erklärt, zu viele Lücken und Fragen tun sich weiterhin auf, daher ist der Untertitel „Wie man Menschen, Medien und Maschinen manipuliert“ recht passend gewählt.

Corpus Delicti

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H. P. Lovecraft – Schatten über Innsmouth

Ein junger Mann reist in eine einsame Hafenstadt, die von Teufelsanbetern bewohnt wird. Die angeblichen Nachtmahre entpuppen sich als überaus handfeste und gar nicht übernatürliche Zeitgenossen … – Dieser (Kurz-) Roman von H. P. Lovecraft (1890-1937) ist ein Kernstück des Cthulhu-Mythos’, der die Erde als Spielball übel wollender kosmischer Mächte sieht. Er bietet eher atmosphärische als handlungsbetonte Phantastik, wirkt aber in diesem Rahmen wahrlich unheimlich und ist von beinahe dokumentarischer Überzeugungskraft.
H. P. Lovecraft – Schatten über Innsmouth weiterlesen

Richard Morgan – Das Unsterblichkeitsprogramm

Ein neuer Stern leuchtet am Himmel der Cyberpunk-Literatur: Richard Morgan synthetisiert in seinem Debüt-Roman den guten alten Cyberpunk im Stile William Gibsons mit einer Detektivgeschichte, die aus der Feder Raymond Chandlers stammen könnte, zu einem exzellenten Cyberkrimi. „Das Unsterblichkeitsprogramm“ (Originaltitel: „Altered Carbon“, 2002) wurde mit dem |Phillip K. Dick Award| für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.

Im 26sten Jahrhundert – die Menschheit hat sich über die Galaxien ausgebreitet und ferne Planeten kolonialisiert – hat die Wissenschaft erreicht, was Religionen nur in Aussicht stellen konnten: |das ewige Leben|.

Richard Morgan – Das Unsterblichkeitsprogramm weiterlesen

Godman, Peter – Vatikan und Hitler, Der – Die geheimen Archive

Zu den unrühmlichsten Kapiteln der katholischen Kirchengeschichte gehört das Schweigen des Papstes Pius XII. zur Judenverfolgung im so genannten Dritten Reich. Zwar gibt es auch Stimmen in der Forschung, die Pius zugute halten, dass er durch geheime Hilfsaktionen das Leben Tausender Juden gerettet habe. Doch die Frage bleibt: Warum hat der mächtigste Mann der katholischen Kirche nichts gegen den Rassenwahn der Nationalsozialisten unternommen? Der neuseeländische Historiker Peter Godman geht in seinem Anfang 2004 bei |Droemer| erschienenen Buch „Der Vatikan und Hitler“ dieser Frage nach.

Wie Hitler, der ja selbst katholisch getauft war, zur Kirche stand, war kein Geheimnis. Auch seine Vorhaben zur „Selektion der Rassen“ waren hinlänglich bekannt. Darüber hinaus gab es auch Warnungen von engagierten Katholiken, besonders deutlich die der Karmeliternonne Edith Stein, die später in Auschwitz umkam. Sie schrieb 1933 in einem Brief an den Vorgänger von Papst Pius XII., Pius XI.: „Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers …?“ Doch im Vatikan arbeiteten an den maßgeblichen Stellen kaum Männer, die der Nonne Gehör schenkten. Dies wird deutlich durch Godmans Skizzierung der theologisch-politischen Charaktere in der engsten Umgebung des Papstes. Ein latenter Antisemitismus bei den Vertretern der Kurie tat ein Übriges.

Bevor Eugenio Pacelli 1939 Papst Pius XII. wurde, war er Staatssekretär von Papst Pius XI., in dessen Regierungszeit das Reichskonkordat fiel. Dieses sollte die katholische Kirche in Deutschland vor dem Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes bewahren. In seinen letzten Lebensmonaten verfasste Papst Pius XI. die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die bisher als klare Verurteilung des Nationalsozialismus durch Pius XI. galt, des Papstes, der früher gegen die Nationalsozialisten recht milde verfuhr. Peter Godman zeigt, dass diese Enzyklika schon vom Papst sehr behutsam formuliert war – von „Häresie“ oder „Ketzerei“ etwa ist überhaupt nicht die Rede – , doch sie wurde von seinen Beratern noch weiter abgeschwächt.

Pacelli, von Haus aus Jurist, hatte das Reichskonkordat ausgearbeitet und war auch sonst ideell seinem Vorgänger eng verbunden. Godman legt dar, dass Papst Pius XI. die wahren Feinde der katholischen Christenheit ganz woanders sah als nun gerade im nationalsozialistischen Deutschland. Da war zunächst der Bolschewismus in der Sowjetunion, gegen den das totalitäre Regime in Deutschland ein Bollwerk zu sein versprach. Dann gab es auch noch die Protestanten, die er als „zersetzende Kraft“ bezeichnete, daneben noch Freimaurer, Liberale und Sozialisten, die die klerikale Ordnung unterwanderten. Pacelli sollte als Pius XII. im Jahr 1949 für die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei die Exkommunikation androhen.

Wie wenig der deutsche Nationalsozialismus und sein Rassenwahn für die römische Kurie in den dreißiger Jahren zum Thema wurde, zeigt Godman am Beispiel des ehemaligen Kardinalstaatssekretärs Rafael Merry Del Val, der 1930 – wenige Monate vor seinem Tod – gegen „eine der abscheulichsten und bösartigsten Verirrungen unserer Zeit“ zu wüten begann. Gemeint waren weder Nationalsozialismus, Faschismus, noch Kommunismus, sondern – das Nacktbaden. Nach Merry Del Vals Tod wurde dessen „Vermächtnis“ eifrigst erfüllt. „Heiliges Offizium und Staatssekretariat begannen nun, mit einer Effizienz zusammenzuarbeiten, die ohne jeden Zweifel beweist, dass Kooperation durchaus möglich war“, schreibt Godman. Selbst in Berichten aus Deutschland, die Cesare Orsenigo, päpstlicher Nuntius in Berlin, an Rom sandte, wurde kein Thema häufiger behandelt als eben der Nudismus.

Godman zeigt die persönlichen, politischen und ideologischen Verflechtungen der Angehörigen der römischen Kurie und vor allem der beiden während des Faschismus und Nationalsozialismus herrschenden Päpste. Seine Recherchen belegen, dass es für Pius XI. und Pius XII. wenig Entschuldigungen für ihr Handeln gibt. Dennoch kommt Godman in seiner gut lesbaren und detailfreudigen Studie weitgehend ohne Häme aus. Ergänzt wird das Buch durch einen ausführlichen Anhang in Deutsch und Latein mit Auszügen aus vatikanischen Schriften jener Zeit. Godmans Werk ist ein für politisch und kirchengeschichtlich Interessierte unbedingt lesenswertes Buch.

_Doris Marszk_

Gemmell, David – Rabenherz (Rigante 3)

„Rabenherz“ stellt den dritten Roman des |Rigante|-Zyklus von David Gemmell, einem der führenden Autoren der Heroic Fantasy, dar. Die Geschichte spielt im feudalen Mittelalter, nicht mehr zur Zeit des alten Roms und seiner Kaiser; ein gewaltiger Zeitsprung.

Seit Kelten-Hochkönig Connavar und sein Bastardsohn Bane in den beiden Vorgängern die Armeen von Stone (Rom) besiegten, sind 800 Jahre vergangen.

Nun ist ein Zeitpunkt gekommen, an dem ähnlich der realen Geschichte nicht mehr die Römer, sondern die Engländer, in diesem Falle die „Varlish“, über die Riganten herrschen. Eine Ironie des Schicksals … Die Riganten werden unterdrückt und ihrer eigenen Kultur beraubt, von den Besatzern wird aus ihrem legendären König Connavar „Con of the Vars“ gemacht, ein angeblich varlischer Prinz …

Die Kultur und Geschichte der besiegten Rigante wird systematisch absorbiert, verändert oder verleugnet. Die Keltoi, jetzt Highlander, werden als minderwertig angesehen, benachteiligt und unterdrückt.

Die druidische Religion der naturverbundenen Rigante wird vom Christentum, hier der „Quelle“, nach und nach verdrängt, die Magie des Landes geht zurück und nur wenige Rigante besitzen noch druidische Gaben.

So etwas schreit geradezu nach einem Aufstand à la Braveheart – der Kessel beginnt zu kochen …

_Der Rigante-Zyklus im Überblick_

Spätantike
Band 1: [Die Steinerne Armee 522 (Sword in the Storm)
Band 2: [Die Nacht des Falken 169 (Midnight Falcon)

Mittelalter
Band 3: Rabenherz (Ravenheart)
Band 4: Stormrider – noch nicht übersetzt

_Freiheitsliebende Highlander und gerissene Landlords_

Befreiten sich die Rigante, der führende Stamm der Highlander in Gemmells alternativem Britannien, im Vorgänger von den Römern, ist die Lage 800 Jahre später wesentlich düsterer:

Varlische (britische) Landlords herrschen über die Highlander-Stämme, ihre ruhmreiche Geschichte wird umgeschrieben oder verleugnet, die enge Verbindung der Highlander zu den „Sidhe“ genannten Naturgottheiten und ihrer Magie ist ebenfalls nicht mehr gegeben.

Der gewaltigste Unterschied ist jedoch: Es fehlt der große Nationalheld, es gibt keinen Connavar oder Bane, der die Highlander eint und die Invasoren vertreibt. Denn Lanovar, ein ferner Nachfahre der Linie Connavars, wurde von dem „Moidart“ genannten Landlord von Burg Eldacre verraten und ermordet, als er Frieden schließen wollte. Allerdings hatte dieser einen guten Grund zum Grollen: Lanovar hat den Moidart mit seiner Frau Rayena betrogen, und diese ist nun schwanger – ob vom Moidart oder Lanovar, das weiß keiner …

Lanovar stirbt, ohne seinen illegitimen Sohn jemals gesehen zu haben. Seinem zweiten Sohn, Kaelin, einem reinrassigen Rigante, gibt er den Seelennamen „Rabenherz“ und bittet seinen hünenhaften Freund Jaim Grymauch, für ihn zu sorgen.

Die Reiter des Moidart überfallen die Rigante, es kommt zu Blutvergießen, Kaelins Mutter wird getötet, er selbst von seiner Tante Maev gerettet. Derweil arrangiert der Moidart selbst ein Attentat auf seine eigene treulose Frau und tötet sie, schiebt die Schuld Rigante-Attentätern zu. Seinen Sohn bringt er nicht um – er hat zwar die grün-goldenen Augen Lanovars, jedoch hatte die Großmutter des Moidart ebenfalls solche Augen … ungewiss, ob der kleine Gaise sein Sohn ist, lässt er ihn leben.

Liebe oder Zuneigung wird er jedoch nicht erfahren, der Moidart wird ihn alleine aufwachsen lassen und ihm jegliche Anerkennung verwehren. An und für sich schon ein grausamer und kaltblütiger Mann, wird der Moidart zum Fluch für die Riganten, denen in den Städten das Tragen von Waffen und ihren Clanfarben verboten ist. Einzig die „Schwarzen Riganten“ in den nördlichen Highlands sind stark genug, die Durchsetzung des Gesetzes auf ihrem Gebiet durch die Truppen des Moidart zu verhindern.

Kaelin und Grymauch müssen bald Eldacre verlassen, denn Kaelin hat die Soldaten, die seine Freundin Chara vergewaltigten und ermordeten, getötet und verstümmelt, Jaim bei den Hochlandspielen den varlischen Box-Champion besiegt. So fliehen sie in die Highlands, zu den gesetzlosen Schwarzen Riganten, mit deren Anführer Call Jace Kaelin bald Bekanntschaft machen wird …

_Starke Charaktere, aber keine abgeschlossene Handlung_

Eine klassische Konfliktsituation, die geradezu nach einem Volksaufstand und einem Freiheitshelden schreit – auf diesen wird man jedoch vergeblich warten, denn im Gegensatz zu den in sich abgeschlossenen Vorgängern ist „Rabenherz“ nur in Verbindung mit dem zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht übersetzten „Stormrider“ eine wirklich abgeschlossene Geschichte.

So schafft „Rabenherz“ vielmehr die Grundlagen und führt die wichtigsten Figuren wie den Moidart, Maev und Kaelin sowie Jaim Grymauch ein. Diese Figuren geben dem Buch auch weitgehend seinen Charme und Charakter. Jaim Grymauch zum Beispiel ist ein riesiger Highlander, hat ein Herz wie ein Bär und ist sowohl bei Rigante als auch einigen Varlish sehr beliebt, obwohl er ein Säufer, Viehdieb und Rumtreiber ist. Maev Ring ist Jaims heimliche Liebe, eine Highlander-Geschäftsfrau, die so erfolgreich ist, dass ihr Erfolg sie zum Objekt des Neids und der Willkür der Varlish machen wird – denn keinem Rigante ist viel Besitz erlaubt.

Die wohl faszinierendste Figur ist jedoch der „Moidart“ genannte Herr von Burg Eldacre: Der raffinierte und kaltblütige Landlord ist ein faszinierender Bösewicht. Hart, aber nicht ungerecht, grausam und zugleich ein begnadeter Künstler. Das klingt recht 08/15, nicht wahr? Ist es aber nicht, der Moidart offenbart viele Facetten im Laufe des Buches, und im abschließenden Band der Rigante-Saga legt er noch einmal zu, soviel sei vorab versprochen.

Kaelin Ring wird im Laufe des Romans einen „kleinen“ Aufstand starten. Wie er sich zum neuen Anführer der Rebellen aufschwingt und wie er seit frühester Jugend bereits in der Schule gegen die Varlish rebelliert, stellt den Kern der gerne in den Hintergrund tretenden Rahmenhandlung dar. Denn sein Halbbruder Gaise Macon, der uneheliche Sohn Rayenas und Lanovars, wird erst in „Stormrider“ zusammen mit ihm zum Kampf gegen den Moidart und neue Feinde blasen, die erst gegen Ende dieses Romans auftauchen werden. Die Saga nimmt hier einige überraschende und gelungene Wendungen, die man nach dem sehr linearen und relativ handlungsarmen „Rabenherz“ nicht erwarten würde.

_Nur die erste Hälfte der Geschichte_

Die Figuren und die Geschichte sind mitreißend, Spannung satt wird geboten. Mystische Elemente sind in „Rabenherz“ im Gegensatz zu den Vorgängern weniger vertreten. Interessant auch der erfrischende Zeitsprung, Ähnliches hat Gemmell im |Stones of Power|-Zyklus mit dem unerwarteten Wechsel vom arthurianischen Britannien zu einem postapokalyptischen Wilden Westen schon einmal getan. Mir persönlich gefiel das antike Szenario des Rigante-Zyklus besser, jedoch haben Gemmells mittelalterliche Riganten-Charaktere ihren eigenen Charme und sind, insbesondere der Moidart, differenzierter und interessanter gezeichnet. Der Freiheitskampf-Gedanke wird hier wesentlich deutlicher hervorgehoben, eine gewisse Anlehnung an „Braveheart“ ist gegeben, die jedoch in „Stormrider“ zu einer unerwarteten Wendung und einem völlig anderen Szenario und Finale führt, das mir gut gefiel.

Das große Problem von „Rabenherz“ ist: Der Roman ist nur ein Auftakt, zwar ein furioser, aber ohne „Stormrider“ nur halb so gut. Trotzdem ist der Roman so spannend, dass man ihn in einem Stück verschlingen kann, und mit „Stormrider“ wird noch einmal ein Scheit mehr in das Feuer geworfen. Zum Glück ist die Vater-Sohn-Beziehung zwischen dem Moidart und Gaise Macon keine Neuauflage der Probleme zwischen Connavar und Bane, wie ich befürchtete!

Die Übersetzung ist Irmhild Seeland wieder einmal sehr gut gelungen, einige schwer zu übersetzende Eigennamen, wie die der Landlords (Moidart, Pinance), wirkten jedoch stets ein wenig unpassend auf mich.

Der Roman ist emotional ausgesprochen mitreißend, kann so den Mangel an äußerer Handlung kompensieren und dafür mit hervorragenden Charakterisierungen glänzen und die Grundlage für ein packendes Finale des |Rigante|-Zyklus legen.

_Der Rigante-Zyklus im Überblick_

Band 1: [„Die Steinerne Armee“ 522
Band 2: [„Die Nacht des Falken“ 169
Band 3: [„Rabenherz“ 498
Band 4: [„Sturmreiter“ 2961

Richard Matheson – Echoes: Stimmen aus der Zwischenwelt

Das geschieht:

Es beginnt als Spiel unter Nachbarn und Freunden, die eine lahme Party in Gang bringen möchten: Tom Wallace, Mitarbeiter einer Werbeagentur, erklärt sich bereit, das Versuchskaninchen für Philip, den jüngeren Bruder seiner Ehefrau Anne, zu spielen. Der junge Psychologiestudent möchte seinen Schwager hypnotisieren. Wider Erwarten gelingt das Experiment, und Tom macht sich zur Belustigung der Gäste durch allerlei suggerierte Mätzchen lächerlich.

Tom hat längst vergessen, dass sein Großvater als Medium bekannt und gefürchtet war. Nun tritt der Enkel unfreiwillig in seine Fußstapfen und entwickelt sich zum Gedankenleser, was nicht nur Anne oder Söhnchen Richard missfällt. Tom leidet unter seiner Gabe, denn wer möchte schon wissen, was seine Mitmenschen wirklich denken; besonders, wenn diese in der Nachbarschaft wohnen und unsympathisch wirken wie Harry Sentas, der grobschlächtige Hausvermieter, oder Frank Wannamaker, der seine Ehefrau Elizabeth nicht nur betrügt, sondern wahrscheinlich auch schlägt. Richard Matheson – Echoes: Stimmen aus der Zwischenwelt weiterlesen

Spinrad, Norman – Transformation, Die

Eigentlich hat es den Künstleragenten Texas Jimmy Balaban nur in die tiefste Provinz verschlagen, weil er mit seiner neuesten Eroberung auf der Flucht vor dem Privatdetektiv seiner Noch-Ehefrau ist. Während der abgrundtief schlechten Talentshow des ortsansässigen Hotels bemerkt er den Komiker Ralf, der nicht nur durch einen sicheren Auftritt und gutes Timing aus der Masse hervorsticht – Ralf behauptet, er stamme aus der Zukunft, nur habe ihm sein Manager versprochen, ihn im Jahre 1969 in Woodstock aus der Zeitmaschine treten zu lassen.

Balaban nimt den seltsamen Kauz unter Vertrag, der sich bald zum Star mausert und mit „Ralfs Welt“ eine eigene TV-Show zur besten Sendezeit bekommt. Der Science-Fiction-Autor Dexter Lampkin lässt sich überreden, Texte für die Show zu schreiben. Er entwickelt die Details der düsteren Zukunft, aus der Ralf zu stammen behauptet.

Lampkin hat vor Jahren mit dem Roman „Die Transformation“ sein idealistisches Hauptwerk geschrieben, in welchem die Menschen Signale von einer unwesentlich weiter entwickelten extraterrestrischen Spezies empfangen, die ihre Probleme mit der Umweltzerstörung, Atomkraft und Gentechnik nicht in den Griff bekommen hat. Es scheint ein allgemeines Phänomen zu sein, dass Zivilisationen in einem gewissen Entwicklungsstadium sich selbst durch die eigene Unvernunft zerstören. Einige Wissenschaftler fassen da den Plan, der Menschheit dieses Schicksal zu ersparen und entwerfen eine falsche Aliengottheit, die der Allgemeinheit den Weg in die lichte Zukunft weisen soll. Der Roman war ein Verkaufsflop, aber Lampkin ist der Glaube geblieben, Science-Fiction könne die Welt verändern.

Zweite wichtige Person in der Kreativzone der Show ist Amanda Robin, eine New-Age-Anhängerin, die in Ralf eine Manifestation des Zeitgeistes sieht. Beide, Lampkin und Robin, meinen mit „Ralfs Welt“ Einfluss auf die Menschen nehmen zu können. Ralf selbst wirkt fast wie eine leere Leinwand, auf die sie ihre Vorstellungen projizieren können: Ralf ist ebenso sehr Abgesandter einer kaputten Zukunft, der die Menschheit auf den richtigen Weg führen will, wie auch Avatar des Zeitgeistes, ein neuer Messias, der x-te Versuch nach Prometheus, Jesus Christus und JFK – oder vielleicht auch nur ein durchgedrehter Provinzkomiker.

Richtig klar wird dies nie. Eine Zeitlang funktioniert die Sendung gut, erfüllt Ralf die unterschiedlichen in ihn gesetzten Erwartungen – bis er immer mehr über seine Rolle hinauswächst.

Spinrad hat mit „He walked among us“, so der Originaltitel, ein sehr ambitioniertes Werk verfasst, das weit mehr als andere Bücher, die dieses Etikett aufgeklebt bekommen haben, die Bezeichnung „Roman des neuen Jahrtausends“ verdient. Es ist ein großer Rundumschlag, den Stand der modernen Zivilisation betreffend. Die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme sind ja schon oft thematisiert worden, Spinrad geht allerdings noch weiter, indem er hinterfragt, was für den Einzelnen überhaupt Realität ist.

Deshalb ist „Die Transformation“ auch wieder ein Medienroman – und ähnlich wie Spinrads letztes Werk dieser Art, „Bilder um 11“, ist er bei allen brillant gestalteten Szenen doch etwas anstrengend. Voraussetzung für das Lesen ist der Glaube, eine solche Einpersonensendung wie „Ralfs Welt“ könne wirklich eine größere Menge von Menschen bewegen. Spinrad packt eine Menge kluger und auch streitbarer Ideen in seinen sehr umfangreichen Roman, den man gern hier und da etwas kürzen dürfte. Gerade in der Phase, bevor sich Ralfs Wandel vom Komiker aus der Zukunft zu einer ernsthafteren und undurchschaubareren Person ganz vollzieht, ist „Die Transformation“ ziemlich zäh. Man kann Spinrad auch eine gewisse Selbstverliebtheit in seinem Roman nicht absprechen. Neben dem Gehalt an Ideen fällt überdies wieder einmal Spinrads Fähigkeit auf, glaubhafte und auch sehr unterschiedliche Charaktere zu schaffen.

Ein zweites großes Thema sind die Science-Fiction und ihr Fandom. Hier ist Spinrad richtiggehend gallig: Lampkin erträgt Cons, wie die meisten Autoren, nur in einer Mischung aus Bekifft- und Betrunkensein. Die meisten Fans sind zwar überdurchschnittlich intelligent, fallen aber sonst durch unglaubliche Körperfülle, eng beieinanderstehende Augen, seltsame Aufmachung und pure soziale Inkompetenz auf. Auf den Conventions kann ein Autor sich kaum vor Groupies retten. Andererseits glaubt auch ein Dexter Lampkin an die Macht der Literatur, glaubt er, mit seinen Büchern, mit Science-Fiction die Menschen nicht nur zum Nachdenken sondern auch zum Handeln zu bringen.

Das Buch ist nichts für Zartbesaitete: Gerade in der Nebenhandlung um Lotter Lotti, die von Crack abhängig wird und am Tiefpunkt ihrer Existenz im Gewirr der New Yorker U-Bahn-Tunnel eine Begegnung der dritten Art mit Ratten hat, geht es sowohl im Inhalt als auch im Stil äußerst heftig zur Sache.

Wer sich auf die Reise in „Ralfs Welt“ einlässt, kann etliche faszinierende Stunden mit Spinrads Roman verbringen. Man muß sich jedoch einige Erholungspausen gönnen; der Wiedereinstieg wird einem durch die etwas redundante Art des Erzählens, bei der etliche Einzelheiten an späterer Stelle noch einmal wiederholt werden, erleichtert. Und man sollte auch als Fan das Fandom nicht nur mit größtem Ernst betrachten können.

Übrigens ist „Die Transformation“ eine Originalausgabe – bis jetzt hat sich kein amerikanischer Verlag für das Manuskript finden lassen. In englischer Sprache wurde der Roman dann zwar 2003 veröffentlicht, aber auch nur im eBook-Format. Sehr lobenswert, dass der |Heyne|-Verlag sich nicht scheut, auch kontroverse und schwierige Romane zu veröffentlichen, denen aber wohl leider (wie Lampkins „Transformation“) ein breites Publikum versagt bleiben wird; bislang gab es auch, wie bei vielen Werken Spinrads, keine weiteren Auflagen des Romans.

_Andreas Hirn_ © 2002
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [Buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de/ veröffentlicht.|

Spinrad, Norman – tropische Millennium, Das

Nach dem Fortschreiten der globalen Erwärmung herrschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts katastrophale Zustände auf der Erde. In Libyen gelingt es Monique Calhoun, für das |Brot & Spiele|-Syndikat, dessen Angestellte und Bürger-Aktionär sie ist, ein weitaus besseres Geschäft mit (vordergründigen) Bewässerungsanlagen abzuschließen, als zu erwarten war. |B&S| schickt sie daraufhin nach Paris, wo sie für die diesjährige UNACOCS den VIP-Service betreuen soll. Diese UN-Konferenz beschäftigt sich mit dem Problem der globalen Erwärmung und den Möglichkeiten, das Klima wieder an das gewohnte Maß anzupassen.

Doch auch hier gibt es zwei Seiten; denn zwar gehören Afrika und Südamerika zu den Verlierern des Klimawandels, und auch die USA haben etwas verloren – Florida und Louisiana nämlich -, doch gibt es auch Gewinner. Paris zum Beispiel hat nun einen ganzjährigen Bilderbuchsommer, und auch den Nordeuropäischen Staaten und Sibirien kommt inzwischen eine ganz andere Bedeutung zu. Eine Bedeutung, die die Gewinner des Klimawandels nicht so einfach wieder hergeben wollen.

So entwickelt sich ein anscheinend undurchschaubares Intrigenspiel um die Möglichkeit eines Venuseffekts, der vielleicht von einem eventuell vorhandenen perfekten Klimamodell vorausgesagt werden könnte …

Mit dem „tropischen Millennium“ (naja, über die Qualität eines deutschen Titels kann man trefflich streiten …) beweist Norman Spinrad wieder einmal, dass er zum Besten gehört, was die internationale SF-Szene zu bieten hat. Dieses Gedankenspiel einer möglichen Zukunftsvariante ist hochinteressant, politisch brisant und teilweise mit einem bösem Sarkasmus behangen, wie ihn wohl nur Spinrad so meisterhaft beherrscht.

Gerade dieser Zynismus ist es, der diesen Roman höchst lesenswert macht. Hier gibt es nirgendwo ein Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß. Alles versinkt in einem übergreifenden Grau. Die Syndikate sind internationale Konzerne, Aktiengesellschaften gleich, die je nach Satzung ihre Mitarbeiter zu sogenannten „Bürger-Aktionären“ und somit zu Anteilseignern machen. Soweit ist das ja nichts unbedingt Neues – doch die Syndikate haben es in sich. So gibt es zum Beispiel ein |Böse Buben|-Syndikat, das angeblich aus der Mafia und ähnlichen Vereinigungen heraus entstanden sein soll. Zu Anfang in Libyen plant man dann auch gleich, die angeblichen Bewässerungspläne der Wüste zum Hasch- und Marihuana-Anbau zu nutzen, ganz so, wie man dies von einer solchen Vereinigung erwarten sollte. Ebenso auch die Auftragsmorde. Doch hier trügt der Schein, verwischt das Schwarz zu Grau (dies genauer auszuführen würde bedeuten, einiges vom Lesespaß des Romans vorwegzunehmen).

Auch auf der anderen Seite, bei den Syndikaten, die die Erderwärmung bekämpfen wollen, ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die vermeintlich Guten wandeln sich zu den Bösen – oder vielleicht doch wieder zu den Guten?!? Das allumfassende Grau schlägt auch hier wieder zu. Dabei lässt Spinrad den Leser niemals längere Zeit in dem Gefühl, er wüsste nun, wer denn hier die „Guten“ sind und wer die „Bösen“. Geschickt hält er selbst seine Protagonisten in dieser Grauzone gefangen und entwickelt um sie eine furiose Handlung um Moral und Ethik – und der unterschiedlichen Sichtweisen hierzu.

„Das tropische Millennium“ ist dabei auch ein hochgradig politischer Roman, ohne wirklich Politiker als Charaktere zu schildern oder sie gar als Hauptpersonen anzubieten. Unwillkürlich fühlt sich der Leser an die reale Politik erinnert, wenn er bei dem einen Syndikat mal mit dem einen Aspekt sympathisiert und beim anderen halt mit dem anderen, ohne dass eines der Syndikate wirklich eine allumfassend vertretenswerte Stellung bezöge.

Dies alles verpackt Spinrad ein einen höchst interessanten und atemberaubend spannenden Roman – ohne dass er großartig irgendwelche Action-Elemente einsetzen müsste. Der Autor interessiert sich rein für die gesellschaftlichen Aspekte seiner Handlung – und reißt den Leser damit wesentlich mehr mit, als dies mit einer actionlastigen Handlung überhaupt möglich gewesen wäre. Es ist jedenfalls verdammt schwierig, diesen Roman aus der Hand zu legen, bevor man ihn beendet hat. Und wenn auf dem Klappentext die |San Diego Tribune| mit „Ein Roman, wie er aktueller nicht sein kann. Lesen Sie ihn, bevor der Meeresspiegel ansteigt“ zitiert wird, so habe ich dem eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Dieser Roman gehört eindeutig in das Bücherregal eines jeden Lesers anspruchsvoller SF! Und derjenige, der sich sonst mit gesellschaftspolitischen Schilderungen nicht so anfreunden kann, sollte zumindest einmal einen Blick in „Das tropische Millennium“ werfen.

Fazit: Ein weiteres Meisterwerk Norman Spinrads. Dieser sarkastisch-zynische Blick auf eine Gesellschaft, die innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts zu einem Grau-in-Grau mutiert ist, sollte in keinem Bücherregal fehlen. Zumal man sich die Frage stellt, wie weit die jetzige Gesellschaft von dieser Schilderung noch entfernt ist…

_Winfried Brand_
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Kerr, Philip – zweite Engel, Der

Ein tödliches, sich global verbreitendes Virus hat die Menschheit in zwei Gruppen gespalten. Infizierte, die mit stark verkürzter Lebensdauer in heruntergekommenen Vorstadtghettos ein von Gewalt und Willkür geprägtes Leben fristen, und Nichtinfizierte, mit Privilegien ausgestattet und von den Aussätzigen weitestgehend isoliert in Luxus schwelgend. Da mit Hilfe eines Blutaustausches Infizierte geheilt werden könnten, ist die einzig wirklich zählende Währung Blut. Daran haben jedoch die elitären Bonzen kein Interesse und horten stattdessen ihr selbst gespendetes oder auch zusätzlich erworbenes Blut in gigantischen Depots.

Dallas, ein Computer- und Sicherheitsexperte, entwickelt komplexe und trickreiche Verteidigungsanlagen, um diese Blutbanken zu schützen. Als klar wird, dass seine Tochter an einer schweren genetischen Erbkrankheit leidet, die nur mit kontinuierlichen Bluttransfusionen gemildert werden kann, erklärt ihn sein Arbeitgeber zum Sicherheitsrisiko. Er würde für die Behandlung seiner Tochter mit der Zeit mehr Blut konsumieren als er sich leisten kann. Die Firma setzt den Killer Rimmer auf ihn an. In einer gnadenlosen Jagd gelingt es Dallas zunächst zu entkommen, doch Rimmer tötet seine Familie. Dallas schwört Rache und schmiedet einen Plan, die größte Blutbank auf dem Mond auszurauben. Dazu muss er den Supercomputer Descartes überlisten und, wie Theseus den Minotaurus, einen Roboter in einem finsteren und voll böser Überraschungen steckenden Labyrinth überwinden.

In großen Teilen erfreulich anspruchsvoll liest sich der Roman des Schotten und hebt sich im Niveau wohltuend von denjenigen seiner amerikanischen Kollegen ab, nicht zuletzt durch die zahlreichen Anspielungen auf klassische Philosophie beziehungsweise auf die griechische Mythologie und die Apokalypse. Den Titel „Der zweite Engel“ hat Kerr vermutlich der Johannes-Offenbarung entlehnt:
|“Und der zweite Engel goß aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu Blut wie von einem Toten, …“| (Joh. Offb. 16,3; Luther-Fassung von 1984).

Etwas ermüdend können zwar die zahlreichen Anmerkungen wirken, in denen Kerr die wissenschaftlichen Hintergründe zu erklären versucht, doch die fein durchdachte Geschichte mit der richtigen Dosis Spannung, faszinierenden Spekulationen in Richtung Nanotechnik und Quantenphysik, interessanten technischen Spielereien und einem überraschenden Schluss vertreibt die zähen Passagen zuverlässig und schnell. Dabei kann man auch gelassen über manche biologische Unstimmigkeiten hinwegsehen. Die Vermischung zwischen Fiktion und Realität mag zwar hin und wieder zu einer schwer nachvollziehbaren Logik führen, ist aber sehr unterhaltsam.
Eine Stelle, etwa in der Mitte des Buches, als sich der rachedurstige Dallas mit seiner Crew Richtung Mond aufmacht, um die |First National Blood Bank| auszurauben, erscheint sehr schwach. Der Stil verflacht hier merklich, die Dialoge zwischen den Hauptpersonen sind ziemlich banal und die Spannung kommt erst wieder, als sich der Bösewicht Rimmer eindrucksvoll zurückmeldet.
Hin und wieder mag man starke Ähnlichkeiten zu Dicks „Blade Runner“, „Total Recall“ und Gibsons „Neuromancer“ entdecken, doch auch wenn Kerr hier Vorbilder hatte, gelingt es ihm vortrefflich, sie mit seinen eigenen Ideen zu einem runden Gesamtbild zu verflechten. Ein prächtiges Buch, das in jeder guten SF-Sammlung einen Platz verdient hat:
„Seid guten Blutes“.

_Jim Melzig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Nachtrag: „Der zweite Engel“ erscheint derzeit zusammen mit „Game Over“ in einem Band bei |Wunderlich| zum Einzelbuchpreis. Zugreifen!

Algernon Blackwood – Besuch von Drüben. Gruselgeschichten

Inhalt:

Eine Sammlung acht klassischer Gruselgeschichten, die zum Besten gehören, was das Genre zu bieten hat:

Der Horcher (The Listener, 1907), S. 7-43: Der arme Schriftsteller bezieht eine ungewöhnlich billige Wohnung. Allerdings muss er die feststellen, dass der tragisch aus dem Leben geschiedene Vormieter sein Domizil noch nicht verlassen hat.

Die Spuk-Insel (A Haunted Island, 1899), S. 44-64: Auf eine Insel in der Wildnis Kanadas zieht sich ein Student zurück, um fern aller Ablenkung zu lernen. Dies missglückt, weil ihm geisterhafte Indianer auflauern.

Besuch von Drüben (Keeping His Promise, 1906), S. 65-82: Nach vielen Jahren treffen die Freunde Marriott und Field sich wieder. Erst spät erinnert Marriott sich ihres alten Schwurs: Wer zuerst stirbt, kommt den Überlebenden besuchen.

Gestohlenes Leben (With Intent to Steal, 1906), S. 83-110: Der große Abenteurer Shorthouse erfährt von einer Scheune, in der es umgeht. Für den neugierigen Geisterjäger und seinen Gefährten beginnt eine Nacht, an die sie noch lange denken werden – falls sie überleben.

Kein Zimmer mehr frei (The Occupant of the Room, 1909), S. 111-121: Minturn ist froh, in dem überfüllten Schweizer Hotel noch ein Zimmer zu bekommen. Die Vormieterin ist vor ein paar Tagen auf einer Bergwanderung verloren gegangen, doch in der Nacht zeigt sich, dass sie dem müden Reisenden näher ist als diesem lieb sein kann.

Ein gewisser Smith (Smith: An Episode in a Lodginghouse, 1906), S. 122-141: Es ist aufregend, ein Haus zu bewohnen, in dem ein Hexenmeister seine magischen Künste betreibt; das gilt ganz besonders dann, wenn dieser mächtigere Geister heraufbeschwört, als er unter Kontrolle zu halten vermag.

Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York (The Strange Adventures of a Private Secretary in New York, 1906), S. 142-181: Der wackere Shorthouse (s. o.) soll für seinen Brotherrn einen Erpresser austricksen. Dieser lebt in einem überaus einsam gelegenen Haus und lauert bereits darauf, seinem Gast den Aufenthalt unvergesslich zu gestalten.

Griff nach der Seele (A Psychical Invasion, 1908), S. 182-246: Ein übereifriger Schriftsteller versucht, seinen geistigen Horizont mit Hilfe von Drogen zu erweitern; tatsächlich öffnet er die Pforte zu einer Dimension böser Geister, von denen ihm einer nun im Nacken sitzt. Dr. John Silence, der berühmte Psychologe und Fachmann für das Okkulte, nimmt sich des Falles an.

Wo Geister richtig zur Sache gehen

Diesen „Besuch von drüben“ laden wir uns gern ein, wenn die Nächte wieder länger werden und zum Lesen einladen. Hier spukt es noch richtig, weil für den Verfasser nie der Wunsch, sich bei der Literaturkritik, die handgreiflich auftretende Gespenster nicht sonderlich schätzt, lieb Kind zu machen, im Vordergrund stand. Stattdessen wollte Algernon Blackwood sein Publikum unterhalten, ohne es gleichzeitig als Schar dummer Tröpfe abzuqualifizieren, denen es nur einen möglichst großen Schrecken einzujagen gilt.

Blackwoods Erzählungen sind deshalb spannend und unterhaltsam, denn ihr Verfasser war kein versponnener, weltabgeschieden hausender, sondern ein neugieriger, weit gereister Mann, der fest mit beiden Beinen im Leben stand. In gewisser Weise spiegelt „Besuch von Drüben“ sogar Blackwoods Biografie wider. Unglücklichen Familienverhältnissen entfliehend, reiste der junge Algernon nach Kanada („Die Spuk-Insel“, seine erste und schon meisterhafte Geistergeschichte überhaupt!) und ging später in die Vereinigten Staaten („Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“), wo er sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler versuchte. 1899 kehrte er nach England zurück, unternahm aber auch später ausgedehnte Europareisen („Kein Zimmer mehr frei“). Die daraus resultierenden Erfahrungen flossen in sein Werk ein: Jedem Leser ist sogleich klar, dass Blackwoods kanadische Wildnis oder seine Alpendörfer keine Hirngespinste sind.

Ist da noch etwas?

Diese Ortskenntnisse werden ergänzt durch ein immenses Wissen des Okkulten und Übersinnlichen, für das sich Blackwood seit seiner Kindheit brennend interessierte. Im Jahre 1900 trat er dem „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei, was seine mystischen Kenntnisse enorm erweiterte; „Ein gewisser Smith“ zeigt einen Magier bei der Arbeit, die dem Verfasser zumindest theoretisch vertraut war.

Hinzu tritt schließlich die Faszination über die neue, noch höchst umstrittene Wissenschaft der Psychologie. Blackwood glaubte an eine Welt des Okkulten, die bevölkert wird von bösen oder besser: der menschlichen Moral nicht unterworfenen, fremdartigen Geistwesen auf der einen und den klassischen Gespenstern auf der anderen Seite – Manifestationen im Leben wie im Tode kraftvoller, von starken Emotionen getriebener Seelen oder auch nur den Gefühlen selbst, die sich durchaus selbstständig machen und blindwütige („Gestohlenes Leben“) oder ziellose („Kein Zimmer mehr frei“), aber nicht wirklich intelligente Phantome formen können.

Alle diese Wesen leben normalerweise in ihrer eigenen Sphäre. Dort können sie zufällig gestört oder angelockt („Griff nach der Seele“), aber auch gezielt gerufen werden („Besuch von Drüben“, „Ein gewisser Smith“). Das theoretische Fundament, wie es hier skizziert wurde, lässt Blackwood in „Griff nach der Seele“ stellvertretend Dr. John Silence, „Physican Extraordinary“ – eine Mischung aus Sigmund Freud oder C. G. Jung und Sherlock Holmes – erläutern. Blackwoods Konzept ist auch deshalb zu interessant, weil es schon deutlich die Grenzen der klassischen viktorianischen Schauerliteratur sprengt, die das Gespenstsein primär als Strafe für diverse Verfehlungen wertete, derer sich der Geist im Leben strafbar gemacht hatte.

Geister klassisch und modern

Der frühe Blackwood ist noch nicht gänzlich frei von dieser Haltung: Der unglückliche Blount in „Der Horcher“ hat sich seinem schrecklichen, ohne jedes eigene Verschulden erlittenen Schicksal durch Selbstmord entzogen. Weil er so Gott, der aus unerfindlichen Gründen ein natürliches aber qualvolles Ende für ihn vorgesehen hatte, ins Handwerk pfuschte, muss er seine nun doppelt elende Existenz im Tode fortsetzen: ein wahrlich alttestamentarische Weltsicht, die im Kontext freilich nicht zwangsläufig befürwortet, sondern von Blackwood, dem Okkultisten, der wahrlich kein Bilderbuch-Christ war, auch angeprangert wird.

Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Story „Seltsame Abenteuer eines Privatsekretärs in New York“. Hier lässt Blackwood das Grauen nicht schleichend auftreten, sondern entwirft – dem amerikanischen Schauplatz wohl angemessen – eine aktionsbetonte, teilweise witzig überzogene Grusel-Groteske im Stile Edgar Allan Poes. Zur Abwechslung wird nichts erklärt, sondern einfach nur geschildert. Dem Leser bleibt es dieses Mal selbst überlassen, sich einen Reim auf die Erlebnisse des unerschrockenen Jim Shorthouse zu machen.

Leider wird bei dieser Gelegenheit einer der weniger angenehmen Wesenszüge Blackwoods offenbar: Die Figur des Juden Marx trägt unverkennbar antisemitische Züge. Sollte dies keine ‚Zugabe‘ des Übersetzers sein, hätte der Verfasser der latenten, alltäglichen Judenfeindlichkeit der britischen Gesellschaft ein Denkmal gesetzt, so wie wenige Jahre später Hollywood Amerikas Indianer in aller vermeintlichen Unschuld als blutrünstige Wilde und Bilderbuch-Bösewichte zu missbrauchen begann. Unerfreulich bleiben die für die Geschichte völlig unnötigen und daher noch deutlicher ins Auge stechenden Unterstellungen aber allemal.

Autor

1869 wurde Algernon Blackwood in Shooter’s Hill in der Grafschaft Kent (heute ein Teil Londons) geboren. Seine Eltern gehörten einer strengen calvinistischen Splittergruppe an, doch Algernon betrachtete die ‚etablierten‘ Religion skeptisch. Er verließ sein behütetes aber gefühlskaltes Elternhaus, sobald er volljährig war, und emigrierte nach Kanada. Später ging er in die Vereinigten Staaten und versuchte sich u. a. als Farmer, Hotelier, Journalist und Schauspieler. Die während dieser Lehr- und Wanderzeit gewonnenen Erfahrungen, die er später auf ausgedehnten Europareisen vertiefte, flossen in Blackwoods schriftstellerische Arbeit ein, mit der er 1899, dem Jahr seiner Rückkehr nach England, begann.

In rascher Folge veröffentlichte Blackwood mehrere Sammlungen mit Kurzgeschichten, die sich mit dem Okkulten und Übersinnlichen beschäftigten. Auch hier konnte er auf persönliche Kenntnisse zurückgreifen. Schon als 17-jähriger hatte Blackwood in Kent die Sagen und Mythen seiner Heimat studiert und sich mit den Lehren der klassischen Okkultisten und Kabbalisten vertraut gemacht. Im Jahre 1900 trat Blackwood dem berühmten „Hermetic Order of the Golden Dawn“ bei.

Natur- und Elementargeister, verschüttete Erinnerungen, Wiedergeburt: Dies sollten die Themen sein, auf die Blackwood in seinen Geschichten immer wieder zurückkam. Sie belegen außerdem sein Interesse an der neuen, noch höchst umstrittenen und daher umso faszinierenderen Wissenschaft der Psychoanalyse.

Die Hypothese, dass Geister – sollte es sie denn geben – nicht einfach ‚sind‘, sondern Ausgeburten der menschlichen Psyche sein könnten, floss rasch in die Arbeiten zeitgenössischer Schriftsteller eine. Blackwood gehörte zu den Pionieren, die einen psychologischen Blick auf die Welt des Okkulten warfen. Besonders deutlich manifestierte sich dies in der Figur des „Physican Extraordinary“ Dr. John Silence (1908), der sich am Vorbild Sigmund Freud orientierte, aber mit dem okkulten Wissen seines Schöpfers ausgestattet war.

Algernon Blackwood starb hoch betagt und als Schriftsteller halb vergessen 1951. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war (der 1949 geadelte) alte Mann jedoch als Radiosprecher und Hörspielautor noch einmal ungemein populär geworden. Blackwood hinterließ etwa 200 Kurzgeschichten und 14 Romane, dazu Schau- und Hörspiele, Gedichte und Liedtexte.

Die Algernon-Blackwood-Sammlungen des Suhrkamp-Verlags:

(1969) Das leere Haus (TB 30 u. 1664/Phantastische Bibliothek 12 u. 339)
(1970) Besuch von Drüben (TB 411 u. 2701/Phantastische Bibliothek 10 u. 331)
(1973) Der Griff aus dem Dunkel (TB 518/Phantastische Bibliothek 28)
(1982) Der Tanz in den Tod (TB 848 u. 2792/Phantastische Bibliothek 83 u. 355)
(1989) Die gefiederte Seele (TB 1620/Phantastische Bibliothek 229)
(1993) Rächendes Feuer (TB 2227/Phantastische Bibliothek 301)

Taschenbuch: 247 Seiten
Originalausgabe
Übersetzung: Friedrich Polakovics
http://www.suhrkamp.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)

Bandini, Ditte / Bandini, Giovanni – Drachenbuch, Das

Drachenerzählungen finden wir in allen Kulturen der Erde, und sie geben nach wie vor den Märchenforschern und Mythenkundlern Rätsel auf, die nicht eindeutig geklärt sind. In der christlichen Kultur vor allem mit dem Teufel gleichgesetzt, sieht es mit dem Drachen in anderen Kulturen – vor allem in China – ganz anders aus. C. G. Jung sah den Drachen als das Unbewusste und intuitiv Weibliche. Diesem Gesichtspunkt schließen sich viele an, indem sie dem Drachen das Dunkle zurechnen und die zahlreichen Drachentöter, wie den Heiligen Georg oder Siegfried, den Sonnen- und Lichtkräften zuordnen. Seit |Tiamat|, der ältesten Überlieferung einer drachenartigen Urgöttin Babylons, zieht sich die Geschichte der Drachen in verschiedensten Ausprägungen durch die Zeiten bis heute zu uns. Im deutsch-germanischen Sprachschatz ist der Begriff |Drache| dabei gar nicht mal so alt. Wir sprachen vom |Lindwurm|, ein Name, der sich vom althochdeutschen |lint| (= weich, zart, biegsam) und |wurm| (=Wurm, Schlange) ableitet.

Die beiden Autoren des „Drachenbuches“ bieten einen Einblick in die wundersame Welt der Drachen, der sich vor allem an eine jüngere Leserschaft richtet. Für Märchenfreunde, Hobbyritter und Fantasyfans ist es eine wahre Fundgrube.

Natürlich kommt der bekannteste Drachenkämpfer Siegfried auch nicht zu kurz und ist Gegenstand eines eigenen Kapitels. Für Leser in Worms ist dies deswegen interessant, da die verschiedenen Versionen der Sage detailliert dargestellt sind. Hier heißt bekannterweise der Drache |Fafnir|, der den Schatz der Nibelungen hütet. Neben dem Nibelungenlied gibt es mehrere Lieder der älteren |Edda|, den Völsungen, die Thidrekssage, das Lied des Hünen Seyfried, das zwar erst Jahrhunderte später aufgezeichnet wurde, aber in manchen Teilen genauso alt wie die altnordischen Dichtungen ist, sowie das umfangreiche Volksbuch von dem gehörnten Siegfried. Ausgerechnet im Nibelungenlied wird – anders als etwa in Wagners |Ring des Nibelungen| – Siegfrieds Drachenkampf nur am Rande erwähnt.

Neben den Mythen aus allen Kulturbereichen unserer Welt kommen auch die Randgebiete zur Sprache, wie zum Beispiel die Drachenadern, hierzulande eher als „geomantische Leylinien“ bezeichnet, die Dinosaurierforschung, der alchemistische Drache als Symbol des Zustands der unvollkommenen Materie, Drachen in Wappen, Kunst und Literatur. Lohnenswert ist die Aktualität, welche die Autoren in ihrem durchgehend und reichhaltig illustrierten Werk berücksichtigten, wodurch die modernsten Varianten in der Kinderliteratur von Michael Endes „Jim Knopf“, in dessen Gefolge Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“ in den siebziger Jahren eine Flut von Kinderbüchern mit Drachen auslöste, bis hin zu den Drachen in der Fantasy ebenso Beachtung finden. Auch durch Filme wie „Dragonheart“ und die zahlreichen Fantasy-Rollenspiele bewirken Drachen noch heutzutage unverändert eine magische Faszination. Es gibt sie noch und sie sind erneut aus ihrem Teufelsloch, in dem sie so lange sitzen mussten, herausgekommen.

Interview mit Michael Marrak

Michael Marrak, Jahrgang 1965, lebt seit Anfang 2001 in Hildesheim bei Hannover und arbeitet freiberuflich als Schriftsteller und Illustrator. Seine erste Erzählung wurde 1990 veröffentlicht, seither erschienen zahlreiche Erzählungen und Illustrationen in Magazinen und Anthologien. 1997 debütierte er mit seinem ersten Roman „Die Stadt der Klage“. Ende 2000 erschien schließlich der Roman „Lord Gamma“, mit dem er ein Jahr später den Kurd-Laßwitz-Preis und den Deutschen Phantastikpreis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres gewann. In „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ erschien 2002 der Roman „Imagon“, der ebenfalls den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Roman erhielt. Bei Bastei-Lübbe wurde „Imagon“ in diesem Jahr als Taschenbuch veröffentlicht.
Das Gespräch wurde Ende Mai geführt. Weitere Informationen zum Autor finden sich im Internet auf http://www.marrak.de.

Buchwurm.info:
In den letzten Jahren gab es zwei sehr erfolgreiche Romane von dir. Im Rückblick auf „Lord Gamma“ und „Imagon“: Hättest du den großen Erfolg der beiden Romane erwartet?

Michael Marrak:
Was „Lord Gamma“ betrifft: Nein. Ich hatte lediglich gehofft, dass sich deutlich mehr Leute für das Buch interessieren würden als die wenigen hundert Stammleser, die ich damals (in meiner Kleinverlagszeit) noch hatte. Die „Lord Gamma“-Originalauflage im Shayol-Verlag betrug gerade mal 300 Exemplare. Davon, dass der Roman zwei Jahre später als Buchtipp des Monats bei Lübbe veröffentlicht werden würde, träumte ich zu dieser Zeit noch nicht einmal. Im Mai 2002 erschien „Lord Gamma“ schließlich in fünfstelliger Auflage als Lübbe-Taschenbuch, und bereits im Startmonat verkauften sich knapp 4000 Exemplare. Erst da dachte ich: Oha, das könnte interessant werden …

Allerdings wehre ich mich gegen den Trugschluss, „Imagon“ und „Lord Gamma“ seien Erfolgsbücher, nur, weil ich für sie einige Preise erhalten habe. Erfolg hat nichts mit einem (zumal undotierten) SF-Literaturpreis zu tun. Erfolg rechnet sich in meiner jetzigen Situation als freier Schriftsteller einzig und allein durch Absatzzahlen und darüber, ob ein Buch für den Verlag rentabel ist oder der Autor schlicht und einfach seine Vorschüsse nicht einspielen kann, weil sich seine Bücher nicht verkaufen.

Das Schlimmste, was mir als Autor bei einem großen Verlag wie Lübbe passieren könnte, wäre, dass ich bei den Buchhaltern den Makel eines Autors bekomme, der seine Garantiesumme nicht wert ist. Seine Vorschüsse einzuspielen ist wichtiger als jeder eventuelle Preisgewinn eines Kurd Laßwitz oder was auch immer. Zumal sich die deutschen SF- und Phantastikpreise definitiv noch nie groß auf die Verkäufe ausgewirkt haben. Also bitte einem Buch nicht sofort einen Erfolgsstempel aufdrücken, nur weil „Literaturpreis“ draufsteht.

Buchwurm.info:
Was dachtest du, als „Lord Gamma“ rechtzeitig zum Kurd-Laßwitz-Preis nicht mehr lieferbar war?

Michael Marrak:
Ich habe mich geärgert. Bei der Preisverleihung in Dresden gab es das Novum, dass ein Phantomroman ausgezeichnet wurde: Die Originalauflage war vergriffen, die Neuauflage noch nicht erschienen. Zwar war damals bereits das Taschenbuch bei Lübbe geplant, aber bis zur Wiederveröffentlichung war es noch fast ein Jahr hin. Ich fürchtete, dass sich bis dahin kaum noch jemand an das Buch erinnern würde. Glücklicherweise war das am Ende nicht der Fall. Das Buch kletterte z. B. bei Amazon.de innerhalb weniger Tage bis auf Verkaufsrang 4. Ich war völlig baff, fand mein Buch plötzlich in Konkurrenz zu Romanen von Henning Mankell, Tom Clancy, Ken Follett und dem Dalai Lama. Das dauerte zwar nur zwei oder drei Wochen, begeisterte mich aber dermaßen, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes zum Ranking-Surfer mutierte …

Buchwurm.info:
„Abydos“ ist der Arbeitstitel deines kommenden Romans. In welche Richtung wird es diesmal gehen, nach den zwei sehr unterschiedlichen Vorgängern? „Lord Gamma“ ist erstklassige Science-Fiction, „Imagon“ eine Mischung aus SF und Wissenschaftsthriller, wobei man ihm eine deutliche Horror-Komponente nicht absprechen kann – Was kommt als Nächstes?

Michael Marrak:
Ein recht umfangreicher, phantastischer Roman, den ich aus dem Stehgreif nur sehr schwer definieren kann. Es ist ein Synergy-Projekt – ein Crossover aus SF, Phantastik, Horror und Wissenschafts-Thriller mit einem deftigen Schuss Religion und altägyptischen Mythen. Ich tue mich mit dem Einordnen des Stoffes ein wenig schwer, doch man könnte ihn vielleicht als eine Mischung aus Ian McDonalds „Necroville“, Farmers „Flusswelt der Zeit“ und einer sehr modernen Version von Dantes „Göttlicher Komödie“ beschreiben – falls irgendjemand Wert auf derartige Vergleiche legt. „Abydos“ ist nicht ganz so hysterisch wie „Lord Gamma“, aber auch nicht mehr so kalt und bedrückend wie „Imagon“. Es wird – schon allein aufgrund des Handlungsumfeldes – ein sehr zynischer Roman mit einer gesunden Portion an schwarzem Humor … und knietief Blut … 😉

Buchwurm.info:
Abydos ist eine heilige Stadt in Ägypten, ihr wichtigstes Gebäude ist der Sethos-Tempel. Laut Legende hatte in Abydos die Auferstehung des Gottes Osiris stattgefunden, dessen Kopf hier begraben wurde. Ist „Abydos“ vielleicht doch nicht nur Arbeitstitel?

Michael Marrak:
Doch, im Grunde schon. Die Stadt wird lediglich hin und wieder unter ihrem alten ägyptischen Namen Abdju erwähnt (Abydos ist der Name, den die Griechen der Stadt gaben – wie auch der Großteil aller uns bekannten ägyptischen Namen und Begriffe erst von den Griechen geprägt wurde). Die antike Tempelstadt Abydos ist die einstige Heimat einer meiner Hauptfiguren und kommt u. a. in einer Rückblende vor, besitzt im Roman jedoch keine tragende Rolle. Der tatsächliche Romantitel erinnert mehr an eines der fünf Bücher Moses …

Buchwurm.info:
Die Erwartungen der Leser (und Redaktionen) bezüglich „Abydos“ sind durch deine bisherige Leistung sicher enorm. Belastet dich diese Erwartungshaltung?

Michael Marrak:
Nein, eigentlich nicht. Ich ziehe, wie es so schön heißt, mein Ding durch. Die einzige Belastung, die enorm ist, ist mein weiterhin schmerzendes Handgelenk. Leider hat die Operation vor anderthalb Jahren nicht die erhoffte Verbesserung gebracht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Buchwurm.info:
Ja, davon habe ich gehört. Du musstest die Arbeit an „Abydos“ zeitweise einstellen. Ich wünsche dir alles Gute für die Genesung! War es schwer, nicht schreiben zu können, oder hast du die Pause auch genossen?

Michael Marrak:
Genossen? Ich bin schier verrückt geworden! Die größte Pause gab es jedoch während der Arbeit an „Imagon“. Damals erwischte es mich mitten im Roman. Bei „Abydos“ konnte ich lediglich nicht mit dem Schreiben beginnen, was jedoch nicht weniger quälend war.

Das eigentliche Problem war, dass ich durch die lange Pause von fast einem Jahr irgendwann völlig den Faden verloren hatte und nicht mehr wusste, welches Projekt ich nun als nächstes anfangen bzw. zuende bringen sollte. Zu viel nutzlose Zeit bedeutet zwangsläufig, dass sich zu viele Ideen anstauen. Ich verlor das ursprüngliche Ziel aus den Augen, konnte mich monatelang nicht entscheiden, was ich als nächstes schreiben werde. Für eines der drei in Frage kommenden Romanprojekte fühlte ich mich noch nicht reif und vorbereitet genug, daher beschloss ich, zuerst noch ein Buch dazwischenzuschieben. Ich schrieb schließlich an einem Roman weiter, von dem ich überzeugt war, dass er der richtige sei und Lübbe gefallen werde. Tat er aber nicht, was sehr, sehr ärgerlich war. Stattdessen interessierte mein Lektor sich für ein Projekt, an dem ich nebenher arbeitete, sozusagen for my private satisfaction, ohne das Ziel, dieses Buch Lübbe anzubieten. Und falls doch, dann erst, wenn ich es mir vom Erfolg her leisten konnte, dem Verlag so etwas Abgedrehtes vorzulegen, ohne dafür gekreuzigt zu werden. Ich schrieb diesen Roman für mich, weil ich Spaß daran hatte, keinem Exposé oder Konzept folgen zu müssen, sondern mich von der Entwicklung der Handlung überraschen zu lassen. Und ausgerechnet dafür interessierte sich mein Lektor, weil er nach „Imagon“ gerne noch ein Buch bringen wollte, das eindeutiger in die SF-Reihe passt als das abgelehnte. Nun gut, dachte ich, kein Problem, soll mir recht sein. Also schickte ich ihm die ersten einhundert Seiten … Und was soll ich sagen? Das Ding gefiel ihm!

Ich erwarte von „Abydos“ nicht, dass es ein kommerzieller Erfolg wird, dazu ist der Roman zu schräg und zu … wie soll ich sagen? Grotesk? Absonderlich? Unkonventionell? Abgedreht? Gewisse Leute, die nach wie vor glauben, ich schreibe meine Bücher nur unter Drogen, werden sich durch diesen Roman zweifellos bestätigt fühlen. „Abydos“ ist Wasser auf ihre Mühlen.

Buchwurm.info:
Bei „Imagon“ stammt auch das Titelbild von dir – meiner Meinung nach übrigens sehr gelungen. Wirst du auch dein neues Buch selbst illustrieren?

Michael Marrak:
Das kann ich noch nicht sagen. Eventuell, falls mir etwas Passendes einfällt und gelingen mag. Allerdings habe ich vor einigen Wochen auch ein Wunschtitelbild an den Verlag geschickt, jedoch noch keine Reaktion darauf erhalten. Es ist von einem amerikanischen Illustrator und würde zu „Abydos“ passen wie kaum ein zweites. Mal sehen. Ich bleibe am Ball.

Buchwurm.info:
Was machst du, wenn du gerade mal keinen Bestseller schreibst?

Michael Marrak:
Korrektur: „Imagon“ ist (bisher) kein Bestseller, und ich denke, er wird sich im Gegensatz zu „Lord Gamma“ auch im eher begrenzten Rahmen dessen verkaufen, was von SF normalerweise umgesetzt wird. Ich kann mich natürlich irren und lasse mich gerne überraschen. Aber mal ehrlich: Die einzige „Bestsellerliste“, in die „Lord Gamma“ damals geklettert war, war die von Amazon.de. Für einen als SF ausgewiesenen Roman hat er sich wirklich außerordentlich gut verkauft, was nicht wenige überrascht hat. Ob „Imagon“ einen ähnlich erfolgreichen Weg einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Das Lübbe-Taschenbuch ist ja erst seit kurzem erhältlich.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ich bin ein klassischer Elfenbeinturm-Bewohner. Ein Stubenhocker, der sehr viel (und sehr intensiv) Musik hört, leider viel zu wenig Unterhaltungsliteratur liest und seit kurzem wieder als Illustrator arbeitet, um einen Ausgleich zum recht anstrengenden Schreiben zu haben. Falls ich lese (was ich eigentlich jeden Tag tue), dann zumeist der Recherche wegen, also Sachbücher, themenspezifische Internetartikel oder Magazine wie National Geographic (im Abo), PM, Sterne und Weltraum oder Kemet, ein Magazin zur Ägyptologie. Daneben bin ich leidenschaftlicher Filmegucker, und unser DVD-Player ist neben meinem Schreibrechner und der Stereoanlage wohl das am meisten ausgelastete technische Gerät im Haus.

Buchwurm.info:
Noch eine unvermeidliche Frage: Wie sieht dein täglicher Rhythmus aus? Oder hast du keinen?

Michael Marrak:
Ich habe keinen. Ich bin ein Chaot. Ich prügele mich 365 Tage im Jahr mit meinem inneren Schweinehund, finde täglich ebenso viele Ausreden, um mich vor dem Schreiben zu drücken, stehe mal morgens um fünf, mal mittags um zwei oder mal abends um acht auf, arbeite nur dann, wenn ich wirklich einen klaren Kopf habe und mich konzentrieren kann, und dann in der Regel in Exzessen, um anschließend wieder eine Schaffenspause einzulegen … Oder besser gesagt: in ein Schaffensloch zu fallen. Bis zum nächsten Schreibanfall. Dazwischen liegt ebenso viel Hysterie wie Depression, Euphorie, Trägheit und die Tatsache, dass wegen des schmerzenden Handgelenks (Karpaltunnelsyndrom) oft kein geregeltes Arbeiten möglich ist.

Buchwurm.info:
Im Juni soll die Primärarbeit an „Abydos“ beendet sein. Was kommt danach, und warum erscheint der Roman erst im Frühjahr 2005?

Michael Marrak:
Ich denke, nach „Abydos“ werde ich erst mal einen kurzen Jugendroman vollenden, auf den der Thienemann-Verlag bereits geduldig wartet. Die mir angebotene Chance, in diesem Genre Fuß zu fassen, möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Gleichzeitig werde ich elf oder zwölf meiner Erzählungen für eine Storysammlung, die Anfang/Mitte 2005 im Festa-Verlag erscheinen soll, zusammenstellen und überarbeiten. Bis zum Jahresende möchte ich mit beiden Projekten fertig sein, um mich danach jenem Roman zu widmen, mit dem ich bei Lübbe in die Allgemeine Reihe wechseln werde (das ist kein Wunschdenken, sondern bereits unter Dach und Fach). Ich arbeite sozusagen auf den nächsten Quantensprung hin. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik.

Der Grund, warum „Abydos“ erst in einem Jahr erscheint, liegt in der langen Vorlaufzeit des Verlags. Lektorat, Überarbeitung, Satz, Druck der Vorabexemplare für die Verlagsvertreter und die Medien, Werbung, Prospektpräsenz, etc. Das geht alles nicht so ratz-fatz wie in Kleinverlagen, in denen man das Manuskript abgibt und das Buch manchmal schon vier Wochen später gedruckt vorliegt. „Abydos“ ist ja nicht das einzige Buch, das im Mai 2005 bei Lübbe rauskommt. Es geht hier um die Koordination zahlloser Neuerscheinungen, und das meist über Jahre im Voraus.

Buchwurm.info:
Laut Homepage hast du Verträge bis einschließlich 2006. Darunter fallen die beiden (Tarn-)Titel „Abydos“ und „Gaia“. Wie lange braucht es durchschnittlich zur Veröffentlichung eines Romans?

Michael Marrak:
Ich kann bei dieser Frage nur von meiner eigenen Arbeit ausgehen und nicht für andere Autoren sprechen, die weitaus zügiger und beständiger arbeiten können. Ich schreibe wegen der Sache mit der Hand verhältnismäßig langsam, oder besser gesagt: in kleineren Häppchen. Der Vorteil: Ich kann mir für ein Buch mehr Zeit lassen. Der Nachteil: Ich brauche für einen Roman doppelt so lange wie Autoren, die einem geregelten Tagesrhythmus folgen und sechs bis acht Stunden am Tag schreiben können (wie ich sie darum beneide!). Der Vorteil des Nachteils: Ich werde niemals als Vielschreiber verschrieen sein, dessen Qualität auf Kosten der Quantität leidet. Das hat auch was. Ich möchte auch in zehn oder zwanzig Jahren noch zu meinen Büchern stehen können und nicht verschämt sagen müssen: „Das ist scheiße, aber ich hab das damals auch nur runtergehauen …“

Für einen Roman brauche ich in der Regel anderthalb Jahre. Eher zwei, da ich meist nicht allein an einem einzigen Projekt arbeite und in dieser Zeit noch die eine oder andere Erzählung schreibe. Nach Ablieferung des Manuskripts dauert es noch mal neun bis zwölf Monate, bis das Buch erscheint.

Buchwurm.info:
Ist „Gaia“ die momentan künftigste Planung (und worum handelt es sich dabei)?

Michael Marrak:
Was nach „Gaia“ kommt, weiß ich tatsächlich nicht. Und bevor du fragst: Dieser Arbeitstitel ist ebenso irreführend wie „Abydos“, umreißt aber grob das Spielfeld. „Gaia“ wird mehr oder minder ein SF-Roman werden, bei dem der SF-Aspekt jedoch sehr verhalten behandelt wird. Das vermeintlich Phantastische wird in ihm größtenteils auf Realität und tatsächlichen Gegebenheiten basieren. Er wird auf drei Kontinenten spielen, und das sowohl im 13. als auch im 21. Jahrhundert. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten. „Gaia“ wird jedenfalls keinem meiner bisherigen Romane ähneln.

Der Roman wird frühestens Ende 2006 erscheinen, eher noch Anfang 2007, da ich wie erwähnt ein Jugendbuch dazwischenschieben will und zudem im September dieses Jahres für drei Monate nach Wien gehe. Das Kunst-Stipendium habe ich zugunsten von „Abydos“ bereits um ein halbes Jahr verschoben, und in den drei Monaten im Wiener Museumsquartier möchte ich mich mehr der bildhaften Kunst widmen als dem Schreiben.

Buchwurm.info:
Was machst du heute abend?

Michael Marrak:
Ich versuche endlich zu schlafen. Letzte Nacht hat’s nicht geklappt, da ich am Abend zuvor zweieinhalb Liter Cola getrunken hatte. Jetzt bin ich seit über dreißig Stunden wach und pfeife aus dem letzten Loch. Schon blöd, wenn man „light“ und „koffeinfrei“ miteinander verwechselt … Na ja, wahrscheinlich schreibe ich noch einen „Panorama“-Eintrag und guck später noch „Underworld“ als Betthupferl.

Buchwurm.info:
Ich wünsche dir dabei viel Spaß und weiterhin viel Erfolg mit deiner Arbeit! Vielen Dank für das interessante Interview! Ich glaube, nicht nur ich, sondern auch viele andere Leser warten gespannt auf dein nächstes Buch.

Michael Marrak:
Ich habe zu danken. Und was das nächste Buch betrifft: Ich bin am meisten gespannt, wie es endet …

Kurzbibiliographie:

„Die Stadt der Klage“
Roman, Edition Mono, Wien 1997

„Die Stille nach dem Ton“
5 Novellen, Edition Avalon, Berlin 1998

„Lord Gamma“
• Roman, Shayol, Berlin 2000
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24301, Bergisch Gladbach 2002

„Imagon“
• Roman, Festa, Almersbach 2002
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24325, Bergisch Gladbach 2004

„Die Ausgesetzten“
in: „Eine Trillion Euro“, Andreas Eschbach (Hrsg.),
Bastei Lübbe TB 24362, Bergisch Gladbach 2004

Foto: Irena Brauneisen, 2006. Quelle: marrak.de

Robert A. Heinlein – Starship Troopers – Sternenkrieger

„Vorwärts, ihr Affen! Wollt ihr ewig leben?“ Dieses Zitat von Unbekannt, 1918, dürfte mittlerweile unter den Zuschauern des Films „Starship Troopers“ ausreichend in Erinnerung sein. So animiert, stürmten die Gefreiten freudig in die Schlacht, und „Schlacht“ muss man es wirklich nennen, das Gemetzel, das John Rico und seine Mitstreiter unter den „Bugs“, den „Fehlern der Evolution“, anrichten – oder umgekehrt, denn die Arachniden schlagen gnadenlos zurück. Doch nun zum Roman:

Der Autor

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Maturin, Charles Robert – Melmoth der Wanderer

Gegen Ende es 18. Jahrhunderts erblickte in England das Genre der |gothic novel| den Buchmarkt und erfreute sich alsbald großer Beliebtheit. Zwar ging es darum, dem Leser wohlige Schauer über den Rücken laufen zu lassen, doch verdankte die |gothic novel| auch viel dem Gedankengut der Aufklärung und des Rationalismus. Oftmals wurde in den Romanen eine mystifizierte Welt vorgestellt, in der übernatürliche Dinge vor sich gingen, nur um am Ende mit natürlichen und rationalen Ursachen wegerklärt zu werden. Dem heutigen Leser mögen Romane wie Walpoles „The Castle of Otranto“ oder Radcliffes „The Mysteries of Udolpho“ kaum noch Schrecken verursachen. Zu allgemein bekannt sind die Konventionen des gotischen Schauers, als dass verlassene Burgruinen oder mondbeschienene Friedhöfe tatsächlich zum Fürchten wären. Doch dies heißt nicht, dass diese Romane nach 200 Jahren ihren Reiz verloren hätten. So wird auch „Melmoth der Wanderer“ von Charles Robert Maturin keinem Leser schlaflose Nächte bescheren, allerdings ist der Roman gleichzeitig ein besonders gutes Beispiel dafür, dass die |gothic novel| viel mehr bietet als den Schauer von Ruinen und alten Klöstern.

Maturin, 1780 in Dublin geboren, ist dem Liebhaber wohl höchstens durch „Melmoth der Wanderer“ (1820) oder sein Drama „Bertram“ (1816) bekannt, mit dem er noch zu Lebzeiten einen bescheidenen Erfolg erzielte. Sorgenfrei lebte er jedoch nie, meist musste er mit den bescheidenen Geldmitteln, die ihm zur Verfügung standen, genauestens haushalten. Sein erster Roman, den der Hilfsgeistliche Maturin noch ganz in der Tradition Radcliffes 1807 veröffentlichte, blieb weitgehend unbeachtet. Doch ein namhafter Rezensent fand sich dennoch: Der Schotte Walter Scott, der hauptsächlich mit phantastisch durchsetzten historischen Romanen Erfolg hatte („Waverley“ oder „Ivanhoe“ stammen aus seiner Feder). Scott setzte sich in Zukunft für Maturins Werk ein; er plante eine Biographie und eine Ausgabe von Maturins gesammelten Werken. Doch das Schicksal kam dem zuvor: Scotts Verlage gingen pleite und er musste die letzten Jahre seines Lebens buchstäblich um sein Leben schreiben, um die Schulden abzubezahlen. Maturin erging es finanziell kaum besser.

Seinem „Melmoth“ stellt er eine Vorwort voran, in dem er bündig zusammenfasst, was er im Roman auf fast 800 Seiten ausarbeiten wird: |“Gibt es in diesem Momente wol Einen unter uns“|, fragt er den Leser, |“ob wir uns gleich von dem HErrn entfernet haben mögen, nicht achtend Seines Willens und ohneingedenk Seines Worts – giebt es wol Einen unter uns, welcher in eben diesem Augenblicke und um der Eitelkeit menschlicher und irdischer Güter willen hingeben wollte die Hoffnung auf seine ewige Seeligkeit? – Nein, kein einziger ist hier, kein solcher Thor hienieden, und versuchte auch der Leibhaftige selbst, ihn in seine Fallstricke zu locken.“| Auf der Suche nach einer solche Person nämlich ist Melmoth, eine faustische Figur, die über 150 Jahre lang die Welt durchstreift, um Menschen zu versuchen. Melmoth selbst wurde von seinem Wissensdrang („Habe doch ach …“, hört man Goethe im Hintergrund deklamieren) dazu verführt, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Ihm wird Erkenntnis zuteil und eine verlängerte Lebensspanne. Doch am Ende der 150 Jahre wird der Teufel Melmoths Seele als Unterpfand einfordern. Außer natürlich, und das ist der entscheidende Unterschied zu Goethes „Faust“, Melmoth fände jemanden, auf den er seinen Kontrakt „übertragen“ könnte.

So zieht er denn durch die Welt, halb Mensch und halb Geist, und wendet sich an Menschen in verzweifelten Notlagen, um sie zu verführen, eine Linderung ihres Leides gegen ihre Seele einzutauschen. Bis auf eine indische Insel verschlägt es ihn, doch nirgends findet sich jemand, dessen Verzweiflung ihn zu solch drastischen Maßnahmen treiben würde. Und so muss Melmoth, nachdem die 150 Jahre abgelaufen sind, seine Seele dem Teufel überantworten und die Strafe für seinen Erkenntnisdrang annehmen.

Dabei ist Melmoth eine sehr widersprüchliche Figur. Er ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit seinen Opfern und einem beißenden Zynismus gegenüber deren Notlagen. Doch seine Situation verlangt, zuerst an sich zu denken und so stürzt er auch Isidora, die Person, der er wohl die meisten Gefühle entgegenbringt, ins Unglück. Nachdem er sie heimlich geehelicht und geschwängert hat, sterben sie und ihr Kind in den Fängen der Inquisition, die das Kind für einen Satansbraten hält.

„Melmoth der Wanderer“ ist kein einfaches und schon gar kein geradliniges Buch. Es ist aufgebaut wie eine Matrioschka, eine dieser russischen Holzfiguren, in denen sich immer noch eine neue, kleinere Figur versteckt. So verschachtelt Maturin immer neue Erzählungen ineinander, stellt immer neue Schicksale und Verführungsszenen vor, bis der Leser den Überblick über die Erzählstruktur zu verlieren droht. Rahmen- und Binnenerzählungen sind nicht auszumachen, auch hat keine Erzählung wirkliche Priorität vor den anderen. Die verschachtelte Erzählstruktur gemahnt eher an einen überspannten Spleen des Autors, seiner Geschichte freien Lauf zu lassen und die Geschichten untereinander über komplizierte Gemeinsamkeiten zu verbinden. Melmoth, der alle diese Erzählungen als böser Geist heimsucht, bildet den roten Faden, die Verbindung zwischen all den menschlichen Schicksalen, die Maturin in weit ausholenden Handlungsbögen schildert. Und doch ist er es, den am Schluss das bedauernswerteste Schicksal ereilt, können doch alle anderen Charaktere auf ein besseres Dasein im Jenseits vertrauen.

Maturins groß angelegter Roman eignet sich kaum zum Gruseln. Stattdessen wechseln sich handlungs- und spannungsintensive Passagen mit philosophischen und gesellschaftskritischen ab. Besonders Maturins scharfe Religionskritik (auf die Katholiken und die Kalvinisten hat er es insbesondere abgesehen) scheint fast immer durch. Religion, für ihn das bloße Abarbeiten von Riten, stellt er einem natürlichen Glauben gegenüber, der durch ein tiefes Empfinden für Gott geprägt ist und ohne den Pomp katholischer Regeln auskommt. Allein seine deutlichen Ansichten zu Religion und Staatskirche machen „Melmoth der Wanderer“ zu einer lohnenden Lektüre.

Der |area|-Verlag hat eine ganze Reihe bekannter Horrorklassiker neu in preiswerten Hardcovern aufgelegt. Im Verlagsprogramm finden sich nicht nur moderne Autoren wie Clive Barker („Die Bücher des Blutes“) oder Dean Koontz („Nackte Angst“), sondern auch ältere Schriftsteller wie Matthew Gregory Lewis („Der Mönch“) oder eben Maturin. Damit werden diese Texte endlich wieder auf Deutsch verfügbar und für ein breites Publikum zugänglich. Es lohnt sich durchaus, sich durch die erschwinglichen Hardcover von |area| zu lesen. Die Auswahl des Verlags garantiert: Jeder Griff ein Treffer.

Reiner Boller / Julian Lesser – Tarzan und Hollywood

Ein kluger Mann & sein Affenmensch

Tarzan, der Held des Urwalds, wurde gleich zweimal geboren, wie wir nach der Lektüre dieses Buches wissen. Zunächst erfolgte sein literarischer Urschrei, ausgestoßen 1912 in der Oktobernummer des Magazins „The All-Story“. Die Luft dazu verdankte er Edgar Rice Burroughs, einem eher fleißigen als fähigen Schriftsteller, der aber schlau genug war, die Möglichkeiten zu erkennen, die ihm sein Dschungelheld bot – vor allem in finanzieller Hinsicht.

So war Burroughs ganz Ohr, als sich das noch junge Hollywood bei ihm meldete. 1918 war es bereits soweit: Tarzan (alias Elmo Lincoln) tummelte sich in Pappkulissen zwischen grauenhaft schlecht maskierten ‚Affen‘-Darstellern. Das Publikum war begeistert, auch wenn es im Stummfilm nicht Tarzans markantes Röhren hören konnte. Reiner Boller / Julian Lesser – Tarzan und Hollywood weiterlesen

Martin, Jack – Halloween III. Ein Zombie-Roman

Ende Oktober (vermutlich) 1982: Die britische Insel ist um eine Sehenswürdigkeit ärmer. Unbekannten ist es gelungen, die steinzeitliche Kultstätte Stonehenge des Bluestones zu berauben – eine staunenswerte Leistung, weist dieser Stein doch das stolze Gewicht von mehr als neun Tonnen auf! Niemand weiß, wie die Tat gelingen konnte, und die Aufregung ist groß.

Auf der anderen Seite des Erdballs, in einer kleinen Stadt im Norden des US-Staates Kalifornien, ist Dr. Daniel Challis das Schicksal des Bluestones herzlich gleichgültig. Er hat gerade eine schmutzige Scheidung hinter sich, die ihn nicht nur an den Bettelstab, sondern vor allem um das Sorgerecht für die beiden Kinder – die neunjährige Bella und den siebenjährigen Willie – gebracht und allen Lebensmut gekostet hat. Unbemerkt stolpert er daher in ein unheimliches Geschehen, das nichts Geringeres als die Eroberung dieser Welt durch die Mächte der Finsternis zum Ziel hat. Stichtag soll der 31. Oktober sein: Halloween, denn in dieser Nacht dürfen die Toten ihre Gräber und böse Geister die Hölle verlassen und sich unter die Lebenden mischen.

Einer dieser Finsterbolde, vor zwei Jahrtausenden von keltischen Druiden zu seinem dämonischen Dasein verflucht, sucht die Menschheit seither immer wieder heim. Bisher hat er sich allerdings darauf beschränkt, ein unglückliches Opfer zu suchen, dessen Hirn zu übernehmen und den Körper allerlei Übeltaten verrichten zu lassen. Zuletzt war dies im Jahre 1963 gelungen, als besagter Geist in den sechsjährigen Michael Myers aus Haddonfield, Illinois, fuhr und dieser zwei Jahrzehnte messerschwingend und mordend Furcht und Schrecken verbreitete, bis er endlich gestellt und vernichtet werden konnte.

Ein fataler Irrtum, denn das Böse entwich aus Myers Körper – und es hat dazugelernt! In der nächsten Zeit hält es sich mit dem Messer zurück und bereitet seinen nächsten Coup geradezu generalstabsmäßig vor. Dr. Challis, wahrlich ein Pechvogel, wird in dieses Komplott hineingezogen, als er mit ansehen muss, wie einer seiner Patienten grausam erstochen wird; der Killer übergießt sich seelenruhig mit Benzin und sprengt sich samt Auto in die Luft.

Ellen Grimbridge, die Tochter des Ermordeten, bittet Challis um Hilfe. Ihr Vater glaubte in den letzten Wochen seines Lebens, dass eine Invasion aus dem Jenseits unmittelbar bevorstehe. Als Instrumente oder Träger des Bösen dienen offenbar die neuartigen Halloween-Masken der Firma |Silber-Kleeblatt|, die in Santa Mira, einem Nest im Süden des Landes, hergestellt werden. Ellen überredet den Arzt, sie dorthin zu begleiten. Sie kommen in einen Ort, der etwas zu verbergen hat. Die Firma ist eine hermetisch abgeriegelten Festung. Über allem thront der mysteriöse Conal Cochran, und ihm gehorcht man besser, denn sonst könnte einem ein schlimmer Unfall zustoßen … Schlimmer noch: Pünktlich zu Halloween werden die |Silber-Kleeblatt|-Masken aktiviert und ihre Träger in seelenlose Zombies à la Michael Myers verwandelt, die anschließend die Welt ins Chaos stürzen werden …

… wobei die Welt wie so oft nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika zu bestehen scheint, obwohl im großen Finale gnädig Erwähnung findet, dass der böse Keltendämon seine Horror-Masken auch ins Ausland verkauft. Aber bevor wir nun beginnen, uns über solche Details aufzuregen, sollten wir einen Blick auf das Gesamtwerk werfen – dies bietet nämlich mehr als genug echte Gründe sich zu ärgern.

Die „Halloween“-Bücher zu den ersten drei Filmen gehören allesamt zum Bodensatz nicht nur der phantastischen Literatur. Des schnell verdienten Dollars wegen ebenso billig heruntergeschrieben wie die ersten beiden Teile der Saga, stellt „Halloween III“ als Film wie als Roman doch ein gewisses Novum in der Geschichte des Horrors dar: Sehr richtig von der Prämisse ausgehend, dass eine weitere Wiederbelebung des unverwüstlichen Michael Myers sogar den langmütigsten (bzw. geistig ärmsten) Gruselfan auf eine vielleicht zu harte Probe stellen würde, planten die Produzenten (deren Namen wir hier gnädig verschweigen wollen, da ihre Vergehen inzwischen verjährt sind) nichts weniger als den radikalen Neuanfang. Michael blieb tatsächlich Toast, auch von seiner Nemesis Dr. Loomis blieben nur die Krümel, und Laurie Strode alias Jamie Lee Curtis hatte zur Abwechslung wohl einmal das neue Drehbuch gelesen, bevor sie den Vertrag unterschrieb.

Also besann man sich auf ein Element, das man in Teil 2 der „Halloween“-Mythologie eingeflochten hatte; es war überhaupt die einzige echte Idee gewesen: Michael Myers wurde demnach von einem 3000 Jahre alten keltischen Geist besessen, dessen einziger Lebensinhalt darin besteht, Tod und Verderben über die Menschenwelt zu bringen. Es steht uns nicht zu, über Sitten und Gebräuche der Höllenvölker zu urteilen; bescheiden sei dennoch angemerkt, dass die oben erwähnte Motivation unter Umständen das Interesse wecken, aber nicht die Faszination der Gruselfreunde lebendig erhalten kann.

Solange Michael Myers das Messer schwang und vor allem den Mund hielt, waren des Dämons Eskapaden leidlich vergnüglich. Doch in der Inkarnation des Conal Cochran wird er leider geradezu geschwätzig und verrät uns sogar, was ihn dazu trieb, a) Stonehenge zu schänden, b) eine Firma beachtlicher wirtschaftlicher Potenz aufzubauen, c) sich eine Roboterarmee zu schaffen und d) die Welt mit 150 Millionen (!) Halloween-Masken zu überschwemmen: |“Ich will Unruhe stiften … Ich liebe tatsächlich einen guten Witz. Die Witzbolde sind die großen Gestalten der Geschichte, und Witze sind unsere eigentliche Stärke. Darin beherrschen wir die Welt. Und wenn wir sie endlich nach unserem eigenen Bild umformen …, dann wird das der größte Witz aller Zeiten sein.“| (S. 181)

Fragt sich nur, wer dann noch bleibt, um darüber zu lachen; der Leser tut es jedenfalls nicht, und der Zuschauer verweigerte sich 1982 ebenfalls: „Halloween III – Season of the Witch“ gehört (verdient) zu den ganz großen Flops der Filmgeschichte. Kein Wunder, dass Michael Myers für den vierten Teil schleunigst wieder zusammengeklebt wurde! (Zu diesem ob seiner ebenso dreisten wie misslungenen Plagiate der erfolgreichen ersten beiden Teile fast vergnüglichen Streifen gibt es übrigens auch einen Roman, zusammengemüllt von einem gewissen Nicholas Garbowsky, doch dieses Mal blieben wir zumindest hierzulande verschont.)

Muss noch eigens erwähnt werden, dass die Zeichnung des „Halloween III“-Personals schlicht verheerend ist? Eine auch nur in Ansätzen differenzierende Charakterisierung gibt es nicht; die Guten sind unsympathisch, die Bösen lächerlich, und über alle zusammen würde man selbst in einem Kasperle-Theater Auftrittsverbot verhängen. Erneut kann die deutsche Übersetzung das unterirdische Niveau mühelos halten, wobei Wolfgang Crass, dem wir auch die Ein“deutsch“ung der ersten beiden Teile verdanken, insofern dazugelernt hat, als er inzwischen seinen Doktortitel verschweigt.

Aber der Untertitel – „Ein Zombie-Roman“ – trifft dieses Mal den Nagel auf den Kopf. Da in der gesamten Geschichte nicht einmal von weitem ein Zombie zu sehen ist, muss man ihn wohl auf den Verfasser beziehen – und auf den Leser, der dieses schräge Machwerk bis zum bitteren Ende durchgehalten hat.