Solomon, Eric – Black Box +

_Eine Brettspiel-Koryphäe kehrt zurück_

Eric Solomon gilt als einer der besten Underground-Spieldesigner der vergangenen Dekaden und hat im Laufe der Jahre einige Titel etablieren können, die auch hierzulande auf reichlich Beachtung stießen. Unter anderem geht auch das zuletzt noch unter dem Titel „Casablanca“ via |Amigo| aufgelegte „Sigma File“ auf die Rechnung des englischen Physikers und Mathematikers. Aber auch beim |Franjos|-Verlag erschienen in den letzten Jahren einige Spiele, die seiner Autorenfeder entstammen, so zum Beispiel „Entropy“ (heute als „Hyle 7“ bekannt) und „Billabong“.

Sein Meisterstück lieferte Solomon indes 1977 mit der „Black Box“ ab, einem Logiktrainer der ganz besonderen Art, der jedoch in den letzten Jahren im Zuge des starken Kommerzialisierung des Spielemarktes kaum mehr thematisiert wurde. Zum 30-jährigen Jubiläum hat sich der |Franjos|-Verlag nun dazu entschlossen, das Spiel ein weiteres Mal aufzulegen und es sogar noch um einen weiteren Spielplan zu erweitern. Das Resultat hört auf den Namen „Black Box +“, ist im Grunde genommen lediglich eine grafisch und materiell verbesserte Variante des Spiels, eröffnet aber durch das hexagonale Spielbrett völlig neue Möglichkeiten, die selbst Besitzer des Originals noch einmal an den Tresen locken sollten. Schön, dass man sich hier ein Herz genommen hat!

_Spielidee_

In „Black Box“ treten ein Molekülbauer und ein Forscher im Duell gegeneinander an, um ein atomares Rätsel zu entziffern bzw. dessen Entschlüsselung zu verhindern. Der Molekülbauer hat, so die Vorgeschichte, ein ganz besonderes Molekül entwickelt, welches aus vier unabhängig positionierten Atomen besteht und innerhalb der Black Box skizzenhaft angelegt wurde. Jene Black Box hingegen besteht aus einem acht mal acht Felder großen Quadrat, dessen äußere Felder jeweils mit einer Ziffer versehen wurden, die wiederum die konkrete Position der Atome bestimmen lässt. Die Aufgabe des Forschers ist es nun, das geheime Projekt des Molekülbauers aufzudecken und die Positionen der Atome genau zu bestimmen. Hierzu schießt er imaginäre Strahlen in die Black Box und beobachtet ganz genau, an welcher Stelle sie die Black Box wieder verlassen. Anhand der Absorptionen, Ablenkungen und Reflexionen dieser Strahlen erkennt er schließlich, wo genau die Atome verborgen sind und wie der Gesamtaufbau des Moleküls beschaffen ist. Ziel ist es letztendlich, dies schneller herauszufinden als das Gegenüber, denn in einer Partie des Spiels nehmen beide Spieler jeweils einmal die Rolle des Molekülbauers und des Forschers ein und messen darin ihr logisches und räumliches Denken im direkten Vergleich.

_Spielmaterial_

• 1 beidseitig bedruckter Spielplan
• 6 große Dreiviertelkugeln
• 42 bunte Markierungssteine aus Holz
• 1 Spielblock mit Black-Box-Diagrammen
• 1 Spielanleitung
• 1 Rätselheft mit Black-Box-Aufgaben

Bei den Spielmitteln setzt der Verlag bekanntermaßen auf Qualität, und das soll sich auch bei der Neuauflage von „Black Box“ nicht grundsätzlich ändern. Ganz im Gegenteil: Sowohl die Markierungssteine als auch die Atome sind aus massivem, bemalten Holz und gewähren ein optimales Handling. Der Spielblock indes limitiert das Spiel ein wenig, bietet aber mit ca. 50 Blatt genügend Potenzial für einige verplante Spielabende. Ergo: Lobenswert!

_Spielaufbau_

Der Spielablauf einer Partie „Black Box“ ist relativ simpel und prinzipiell sofort verständlich. Die Spieler einigen sich darauf, wer zunächst welche Rolle übernimmt, und verteilen entsprechend Markierungssteine und Atome an den Forscher sowie den Spielblock an den Molekülbauer. Letzterer zeichnet nun die genauen Positionen der Atome ein und wählt dabei eine beliebige, selbst bestimmte Anordnung. Sobald diese erstellt ist, darf der Forscher nun mit seiner Analyse beginnen. Hierzu nennt er eines der 32 nummerierten Randfelder des Spielplans und schießt dort beginnend einen imaginären Strahl durch die Black Box. Trifft dieser nun direkt auf ein Atom, wird er absorbiert, kommt er hingegen in den Einflusskreis eines Atoms, wird er rechtwinklig abgelenkt. Es kann dabei auch geschehen, dass ein Strahl mehrfach abgelenkt wird, je nachdem, wie viele Atome er auf seinem Weg antrifft. Eine weitere Möglichkeit ist die Reflexion, die genau dann stattfindet, wenn ein Strahl an zwei Atomen gleichzeitig abgelenkt wird. Trifft ein Strahl auf kein Atom, schießt er geradewegs durch die Black Box und gibt dem Forscher keine Informationen über die Position irgendeines Atoms – außer eben, dass in der betreffenden Reihe und rechts und links davon keines zu finden ist.

Der Molekülbauer teilt dem Forscher nun mit, an welcher Stelle der Strahl wieder austritt bzw. ob er absorbiert wurde. Nun nimmt der Forscher seine Markierungssteine und dokumentiert somit die Ein- und Austrittsstelle des Strahls. Sollten sich diese nicht gleichen, nimmt er zwei gleichfarbige Steine und hält das Resultat fest. Eine Absorption wird mit einem schwarzen, eine Reflexion, also ein Austritt an gleicher Stelle, mit einem weißen Stein markiert.

Dieses Procedere wird nun so lange wiederholt, bis der Forscher sich sicher ist, die genaue Position der Atome zu kennen. Er darf währenddessen die Atomsteine beliebig auf dem Spielfeld versetzen, um sich selber eine optische Hilfestellung zu geben. Glaubt er, die Lösung gefunden zu haben, nennt er sein Ergebnis und vergleicht es mit der Skizze des Molekülbauers auf dem Block. Nun wird gewertet. Jeder Markierungsstein, der eingesetzt wurde, bringt dem Molekülbauer einen Punkt, jedes falsch geratene Atom fünf weitere.

Der Molekülbauer notiert das Resultat und wechselt nun mit dem Forscher-Spieler die Rolle. Das Spiel läuft anschließend nach demselben Muster weiter, bis auch der zweite Forscher die Lösung parat hat. Die Punkte werden als Letztes miteinander verglichen; derjenige mit dem besten Ergebnis gewinnt natürlich.

_Das hexagonale Spiel_

Sobald man die ‚einfache‘ Black Box sicher beherrscht, geht es an die Fortgeschrittenen-Version, die zunächst wie ein Extrem-Puzzle für die totalen Freaks anmutet. Die Ablenkungswinkel wollen erst einmal beherrscht werden, da sie im Sechseck eben nicht ganz so linear verlaufen wie noch im vergleichsweise leicht zu überschauenden Quadrat. Doch auch durch die wachsende Zahl der Felder wird das Ganze noch einmal um ein großes Stück komplizierter und verschachtelter, so dass es definitiv einer längeren Eingewöhnungsarbeit bedarf, bis sich der Überblick in das neue Szenario gefestigt hat. Außerdem spielt man nun wahlweise mit fünf oder – Denksportler aufgepasst – sechs Atomen, was die Sache nicht weniger verzwickt macht. Allerdings ist der Lohn, sprich der Spielspaß, Entschädigung genug für so manch zermartertes Gehirn …

_Persönliches Fazit_

Die neue Variante der „Black Box“ dokumentiert richtig schön, dass sich in den Grundfesten des klassischen Strategiespiels innerhalb der letzten Jahrzehnte elementar nichts verändert hat. Das Spiel ist absolut zeitlos und fesselt regelrecht, gerade im neu hinzugekommenen Hexagonal-Bereich, der nun wirklich für jeden Tüftler das Nonplusultra darstellen sollte. Das Spiel mit sechs Atomen scheint manchmal sogar kaum lösbar, da die Strahlen teilweise drei- oder sogar vierfach abgelenkt werden und man irgendwann gar nicht mehr weiß, wie welche Konstruktion denn nun möglich ist. Das Gefühl der Resignation ist aber dennoch eine große Unbekannte, da man einfach um jeden Preis wissen will, was sich der gegnerische Molekülbauer ausgedacht hat, und man sich schlichtweg nicht aufs Glatteis führen lassen möchte. Der Spielreiz ist letzten Endes sogar so groß, dass man sich immer wieder bei der Wiederholungstat ertappt, die ja bei der konsumentenfreundlichen Kurzspielzeit von ungefähr zehn bis zwanzig Minuten pro Partie auch mehrfach möglich ist.

Aufgrund der erweiterten, nunmehr fast schon vollkommen unbegrenzten Möglichkeiten avanciert „Black Box +“ schließlich zum echten Dauerbrenner, so dass der Spielblock bereits nach einigen Wochen aufgebraucht sein sollte. Es empfiehlt sich also, rechtzeitig für Nachschub zu sorgen, da man einfach nicht von der kniffligen Tüftelei ablassen kann. Aus diesem Grund ist das Resümee auch sehr eindeutig. |Franjos| hat einem bereits existenten Spielklassiker durch eine effiziente Frischzellenkur neues Leben eingehaucht und das Spiel gerade durch das zusätzliche Spielfeld noch einmal enorm verbessert. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch die tolle Bonus-Beilage bestärkt, einen Rätsel-Block im „Black Box“-Format, mithilfe dessen man auch solo mit dem System zu arbeiten lernt. Wer Denksport-Klassiker wie „Mastermind“ liebt und auch das Spielprinzip von „Schiffe versenken“ mag, für den wird die „Black Box +“ in jeglicher Hinsicht erfüllend sein. So einfach und doch so kompliziert kann sich dauerhafter Spielspaß gleichsam definieren!

http://www.franjos.de/

Feige, Marcel – Inferno – Macht der Toten

Band 1: [„Ruf der Toten“ 2112
Band 2: [„Schwester der Toten“ 2991

Berlin erstickt endgültig unter einer dichten Schneedecke. Und inmitten dieses meteorologischen Chaos steht der Fotograf Philip vor den Trümmern seines Lebens. Es ist nur eine Woche her, dass er von diversen Substanzen angefeuert in einem Techno-Club unbeschwert abzappeln konnte. Diese Unbeschwertheit ist vollkommen verflogen und einer inneren Leere gewichen. Der junge Mann ist müde, ausgelaugt, verängstigt und weiß mittlerweile, dass er bis vor kurzem das Leben eines anderen geführt hat. Ein Leben, das gegenüber seiner jetzigen Situation, die von Ungewissheit und Hilflosigkeit bestimmt wird, fast ausnahmslos Vorteile hatte.

_Beurteilung:_

Der letzte Teil der „Inferno“-Trilogie ist gleichzeitig der düsterste. Zwar waren auch „Ruf der Toten“ und „Schwester der Toten“ keine Stimmungsaufheller, aber „Macht der Toten“ lässt noch ein paar dunklere Wolken aufziehen. Vor allem das Setting des dritten Bands, das sehr plastisch beschrieben wird, trägt nicht unerheblich zur apokalyptischen Atmosphäre bei. Das unwirtliche Berlin ist der ideale Schauplatz für die Zusammenführung der Handlungsstränge und die Beantwortung der in den ersten beiden Teilen aufgeworfenen Fragen.

Anders als in den Vorgängern lässt Autor Marcel Feige seinen Hauptfiguren im Abschlusswerk immer mehr die Rolle der Agierenden zukommen. So versucht Philip, die Visionen, in denen er Kontakt mit der Totenwelt aufnehmen und das zukünftige Schicksal jeder Person, die er berührt, voraussehen kann, zu interpretieren, um ein wenig Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen, während Beatrice in der Gewalt des Vatikankillers Cato gezwungenermaßen den Weg von London nach Berlin antritt, um den Fotografen zu finden.

Im Kontext der Geschichte deplatziert wirkt die Entwicklung des Priesters Jakob Kahlscheurer, der Philip in „Macht der Toten“ endgültig als Verbündeter an die Seite gestellt wird. Dieser durchläuft eine Art Selbstfindungsprozess, an dessen Ende er seinen verloren gegangenen Glauben wiederfindet. Und obwohl der katholischen Kirche in „Inferno“ eine Rolle zugedacht wird und somit religiöse Motive naheliegend sind, wird dieses Element sehr unvermittelt eingeführt. Dem religiösen Glauben kommt zu keinem Zeitpunkt eine übergeordnete Bedeutung zu, geschweige denn dient er als Handlungsantrieb und Auslöser der Ereignisse.

_Fazit:_

„Macht der Toten“ ist unterm Strich ein würdiger und logischer Schlussabschnitt der „Inferno“-Saga, überzeugt erneut mit einer durchdachten Dramaturgie und wird noch rasanter erzählt als die Teile eins und zwei. Die Auflösungen, die nicht in Friede-Freude-Eierkuchen-Plattitüden abgleiten, sind zudem gelungen, und die letzte Szene schreit geradezu nach einer Verfilmung des Stoffs, die hoffentlich im Falle eines Falls nicht in Deutschland realisiert wird und als muffiges ProSieben-„Event-Movie“ mit C-Schauspielern endet.

Dass auch der finale Band den einzelnen Charakteren keine wirkliche Tiefe verleihen kann, ist aufgrund des gegebenen Unterhaltungswerts zu verschmerzen. Und so wartet man gespannt auf das Inferno, das eintritt – oder doch nicht?

http://www.festa-verlag.de/
http://www.dasinferno.de/

Keillor, Garrison – Nichts wie weg!

Garrison Keillor kehrt zurück nach Lake Wobegon, der Kleinstadt irgendwo im US-Staat Minnesota, die es leider aufgrund gewisser historischer Fehlentscheidungen nicht auf die Landkarte geschafft hat. So bleiben die Bürger meist unter sich, was ihnen nur lieb ist, je weiter die Schere zwischen Gegenwart und Fortschritt schließt.

Viel zu rasch schreitet das Leben nämlich nach Ansicht vor allem der älteren Einwohner voran. Das kann nichts Gutes bringen, denn Sicherheit bietet allein das Festhalten am Bewährten. Gibt es darüber hinaus Fragen, so stehen für die Lutheraner Pastor Ingquist und für die Katholiker Pater Emil bereit, denn die Bibel kennt Rat für alle Lebensprobleme, auch wenn die Konfessionen die Kenntnis der eigentlichen Wahrheit für sich beanspruchen; besonders Pater Emil hat viel von einem frühchristlichen Missionar an sich.

Aber so wird es gewünscht in Lake Wobegon: Man unterwirft sich den Autoritäten, die deshalb gefälligst Respektspersonen zu bleiben haben. Der Mensch ist schwach, der Versuchungen gibt es viele. Lebensfreude gilt daher als verdächtig. Spaß ist gestattet, wenn die Arbeit getan ist und er von besagten Autoritäten geprüft und freigegeben wurde. Dem echten Bürger von Lake Wobegon ist er trotzdem unheimlich, zumal er oder sie in dieser Stadt niemals ohne Aufsicht bleibt.

Lake Wobegon ist ein Aquarium, dessen Fische die vertraute Umgebung höchst ungern verlassen. Die Krebsbachs, Thorvaldsons, Lundbergs oder Bunsens sind nicht einfach nur Familien, sondern Dynastien, die auf eine anderthalb Jahrhunderte alte Geschichte zurückblicken – eine Zeit, die sie gemeinsam verbracht haben, was zu endlos verflochtenen Stammbäumen geführt hat, die freilich von den älteren Angehörigen problemlos hinuntergebetet werden können.

So geschieht für Außenstehende quasi rein gar nichts in Lake Wobegon, was von den Bürgern freilich gänzlich anders beurteilt wird. Aus diesem Kontrast entsteht die aus dem ersten „Lake Wobegon“-Band (Goldmann-TB Nr. 42234) bekannte und beliebte Komik, in die sich Wiedersehensfreude mischt, treffen wir doch alle lieb gewonnenen, weil skurrilen und verschrobenen Gestalten wieder und lernen sogar einige neu kennen.

„Es war eine stille Woche in Lake Wobegon“ – So beginnt jede der 36 in diesem Band versammelten Erzählungen. Sie tragen zunächst abschreckende Titel wie „Ein Glas Wendy-Bier“, „Hühner“ oder „Das Hochhaus“, die von Banalitäten künden und rührseligen ‚Auf-dem-Land-ist-alles-besser-‚Kitsch androhen. Einerseits zutreffend, andererseits weit gefehlt. Jawohl, es geht um Kleinigkeiten wie den Genuss eines sehr speziellen Biers, das Problem, ein geköpftes Huhn einzufangen, die Wahl eines neuen Wohnsitzes bzw. die trickreiche Verhinderung derselben. Für die Bürger von Lake Wobegon sind dies aber lebenswichtige Fragen. Verfasser Keillor weiß dies. Er nimmt seine Figuren ernst und stellt sie niemals bloß – eine angenehme Abwechslung in einer Gegenwart, die zunehmend Humor mit Klamauk und Schadenfreude gleichsetzt.

Doch hier haben wir es mit echtem Humor zu tun – leise schleicht er sich heran, um den Leser umso heftiger ins Zwerchfell zu springen. Fast sachlich – als echter Chronist eben – beschreibt der Verfasser sein Städtchen und dessen Bewohner. Der Witz entsteht aus dem Widerspruch, der daraus entsteht, dass die Menschen in Lake Wobegon eine sehr exotische Weltsicht haben. Reizvoll ist dabei, dass sie zwar Hinterwäldler, aber keine Rednecks sind, sondern eigenwillige Querdenker. Sie finden für Probleme, die im Grunde keine sind, Lösungen, mit denen man so nie gerechnet hätte.

Wobei hinter dem scheinbar Banalen immer wieder die Realität durchschimmert. Selbstverständlich kann man sich das Lachen nicht verbeißen, wenn Pater Emil wieder einmal seine sündhaften Schäfchen strammstehen lässt. Doch man erkennt auch die Tricks, derer er sich in Vertretung seiner Kirche dabei bedient: Religion à la Lake Wobegon ist auch ein Produkt taktisch eingesetzter Manipulation – natürlich nur zum Besten der Betroffenen, was freilich das Perfide des Systems um so deutlicher werden lässt.

Solche Regeln, die meist Einschränkungen sind, prägen generell das Leben in Lake Wobegon und machen es erst zu dem seltsamen Ort, über den wir, die wir dort nicht leben (müssen), uns so amüsieren. Da ist es nur gut und gerecht, dass auch jene, die an den Strippen ziehen, von der Lex Lake Wobegon nicht ausgenommen sind. Ob Pater, Polizist oder Schuldirektor – sie fangen sich ebenso häufig in den Fallstricken. Das Dorfleben ist da unerbittlich.

Dieser Humor ist still aber stets gegenwärtig. Man kann den Verfasser nur aus tiefem Herzen bewundern, mit welcher Kunst er Wort an Wort, Satz an Satz setzt, ohne die Lake-Wobegon-Atmosphäre jemals zu zerstreuen. Stattdessen macht er sein Publikum süchtig. Man möchte immer weiter und neue Geschichten lesen. Kein Wunder, dass Garrison Keillor sie – glückliches Amerika! – in seiner schon klassischen Radioshow „A Prairie Home Companion“ (s. u.) immer wieder erzählen muss.

Garrison Keillor wurde 1942 im Städtchen Anoka geboren. Es dauerte lange, bis er seinem geliebten und verhassten Heimatstaat entkam. Zunächst schaffte er es jedenfalls nur bis zur Universität von Minnesota, wo er auch seinen Abschluss im Fach Journalismus machte. Hier war es auch, wo er seine lebenslange Liebe zum Radio entdeckte und erste Features über den Äther schickte.

1969 wurde Keillor Journalist und arbeitete für den „New Yorker“. Fünf Jahre später schrieb er einen Artikel über die dortige Oper. Dies inspirierte ihn dazu, zum Radio zu wechseln, wo er eine Liveshow ins Leben rief: „A Prairie Home Companion“ wurde vor Publikum aus einem Theatersaal ausgestrahlt. 13 Jahre lief die Show, dann wechselte Keillor nach New York und startete „The American Radio Company“. Nach vier höchst erfolgreichen Jahren nannte er das Programm wieder „A Prairie Home Companion“. 2006 setzte Regisseur Robert Altman ihm im gleichnamigen Film – seinem letzten – (dt. „Robert Altman’s Last Radio Show“) ein würdiges Denkmal. Allerdings läuft die Show in Wirklichkeit weiter. (Dazu gibt es eine fabelhafte Website: http://prairiehome.publicradio.org.)

Als Schriftsteller hat Keillor bisher Bücher mit geistreichen und amüsanten Geschichten gefüllt, die längst nicht nur um Lake Wobegan, sondern um die generellen Höhen und Tiefen des Lebens kreisen. Dazu kommen drei Kinderbücher, Gedichte und Hörbücher. Garrison Keillor lebt in New York. Er ist verheiratet mit der Violinistin Jenny Lind Nilsson, mit der er eine Tochter hat.

Garrison Keillor findet man im Internet u. a. unter http://www.mindspring.com/~celestia/keillor.

Everaert, Vincent – Exxit

_Black & White_

Mit „Exxit“ hat der französische Designer-Spielverlag |Jactalea| jüngst das erfolgreiche Konzept simpler, klassischer Zweimannspiele erfolgreich fortgesetzt und das edle Programm um ein weiteres Highlight angereichert. Autor Vincent Everaert entführt seine Interessenten in die Welt der Gegensätze, festgehalten in den beiden Spielfarben, die in „Exxit“ ins Duell treten. Materie gegen Anti-Materie, Gut gegen Böse, Ordnung gegen Chaos, Kälte gegen Wärme – man kann sicher viele Bezeichnungen für die scharfen Kontraste finden, die hier gegeneinander antreten; hier wird der Kampf indes Schwarz gegen Weiß ausgetragen, dies auf variablen, zweiseitigen Sechsecken, in deren Besitz die Spieler während einer Partie „Exxit“ gelangen müssen. Doch dies ist, so zeigt der Spielverlauf, selbst bei wachsender Erfahrung ein schwieriges Unterfangen und somit auch eine echte Herausforderung.

_Das Spielmaterial_

Der unscheinbare, schlicht aufgemachte Karton im größeren Taschenbuchformat beinhaltet neben einem tollen Ledereinband mehrere Bögen mit doppelseitig bedruckten Hexagonalen, insgesamt 39 an der Zahl. Des Weiteren sind jeweils acht weiße und schwarze runde Spielplättchen enthalten, die das aktive Spielmaterial der Partie darstellen.

Der Clou des Ganzen ist, dass alle Spielmittel aus Schaumstoff sind und gerade im Handling ein sehr angenehmes Feeling vermitteln. Zwar ist deshalb auch Obacht geboten, da vor allem die weißen Seiten der einzelnen Steine recht schnell verschmutzen, jedoch überwiegt letztendlich der positive Eindruck der innovativen Gestaltung. Fraglich ist nur, inwiefern dazu die Ledermatte erforderlich ist, da sie nach dem ersten Ausstanzen der Plättchen keinen adäquaten Aufbewahrungsbehälter mehr darstellt. Diesbezüglich wurde wohl eine Kleinigkeit nicht bedacht, andernfalls wäre das äußere Erscheinungsbild sicherlich noch ein ganzes Stück edler gewesen.

_Der Wettstreit_

In „Exxit“ geht es darum, möglichst viele Hexagonale in seiner Spielfarbe aufzudecken und diese nach Möglichkeit zusammenhängend nebeneinander zu platzieren. In der Endabrechnung gibt es nämlich zwei Punkte für jeden Spielstein des größten zusammengehörigen Sechseck-Feldes, für die übrigen Sechsecke in der eigenen Spielfarbe aber immerhin auch noch einen Punkt. Dies bedeute gleichzeitig, dass nicht zwangsläufig derjenige gewonnen hat, der die meisten Hexagonale aufgedeckt hat.

Zu Beginn des Spiels werden vier Sechsecke gegenüberliegend ausgelegt und bildend das Startfeld. Jeder Spieler erhält in seiner Farbe seine Spielplättchen, wobei Weiß immer den ersten Zug hat. Der Spielaufbau gliedert sich nun wie folgt: Zunächst legt der erste Spieler einen Spielstein auf ein beliebiges Feld. Nun tut es ihm der zweite Spieler gleich. Anschließend verfährt man nach den üblichen vier Schritten des Spiels:

1.) Sofern man nicht imstande ist, einen Sprung über ein anderes Plättchen zu vollführen, legt man erneut einen Stein auf ein freies Sechseck.

2.) Wer indes über ein anderes Plättchen springen kann, ist verpflichtet, diese Aktion auch durchzuführen. Springen kann man, sobald ein Plättchenstapel (im späteren Verlauf liegen oft mehrere Plättchen gleicher und unterschiedlicher Farben aufeinander) mit einem eigenen Plättchen zuoberst in Reichweite zu einem höchstens gleich hohen Stapel mit einem gegnerischen Plättchen an oberster Stelle platziert ist. Dies hört sich komplizierter an, als es letztendlich ist. Eine weitere Bedingung ist, dass der ‚feindliche‘ Stapel auf einer geraden Linie zum eigenen Stapel liegt und vor allem durch einen Sprung erreicht werden kann.

Der Sprung sieht nun folgendermaßen aus: Das oberste (also das eigene) Plättchen wird auf das Nachbarfeld gesetzt, das nächste Plättchen genau ein Feld weiter, etc. Wichtig ist, dass der letzte Stein zumindest auf den anvisierten Stapel des Gegners oder sogar weiter bewegt werden kann. Eine genauere Übersicht über diese Aktion findet sich in den englischen [Spielregeln,]http://www.jactalea.com/rules/exxit__uk.pdf die leider ein wenig kompliziert aufgebaut sind und das Verständnis erst über das Spiel selbst vermitteln. Doch wie gesagt, letztendlich ist der Ablauf des Springens ganz leicht, allerdings mit zunehmender Spieldauer eine strategische Herausforderung sondergleichen.

3.) Sobald man mit einem Sprung irgendein Plättchen über die Begrenzung des Spielfelds hinausbugsiert hat, wird dieses Plättchen in die daran anschließende Lücke gelegt. Sollten in dieser Lücke schon zwei weitere Sechsecken angrenzen, darf man nun seinen Spielstein durch ein Sechseck ergänzen und es auf seine Farbe drehen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass bereits mehrere Plättchen dort ausliegen, bis dato aber noch nicht verbaut werden konnten. Der Spieler, der nun sein Plättchen ‚hinausschießt‘ und dieses folgerichtig auf das schon ausliegende Plättchen legt, kann nun möglicherweise doppelt profitieren und auch noch ein zweites und drittes Sechseck in seiner Farbe hinzufügen. Infolgedessen wächst der Spielplan schließlich immer weiter, bis schließlich das letzte Sechseck ausgelegt wurde.

4.) Für den seltenen Fall, dass nun überhaupt keine Aktion oder Bewegung möglich ist, muss der Spieler passen und übergibt den nächsten Zug wieder an seinen Konkurrenten.

Das Spiel ist sofort zu Ende, wenn alle Hexagonale an das wachsende Spielfeld angelegt wurden. Den Zeitpunkt kann man vorab durch die Festlegung der verwendeten Spielsteine ein wenig eingrenzen. Gerade in den ersten Partien empfiehlt es sich, weniger Sechsecke zu benutzen, damit sich der Spielmechanismus erst einmal manifestiert. 19 oder später 29 Steine scheint in dem Falle eine angebrachte Interimslösung.

Im Anschluss an das Spielende folgt die Wertung nach dem eben benannten Prinzip. Die Steine der größten eigenen ‚Insel‘ werden mit jeweils zwei Punkten gewertet, alle anderen Steine in der eigenen Farbe mit einem Punkt. Die Summen der beiden Farben werden verglichen und somit der Sieger ermittelt.

_Persönlicher Eindruck_

„Exxit“ gehört zu jenen Spielen, bei denen man schon resignieren möchte, bevor man die erste Partie begonnen hat. Leider Gottes ist die Spielanleitung nämlich ein wenig kompliziert aufgebaut und trotz unzähliger Beispiele nicht schlüssig. Dies erscheint insofern seltsam, als der generelle Mechanismus mit wenigen Worten erklärt ist, man sich aber durch die umständlich formulierten Aktionsmöglichkeiten schnell verunsichert fühlt und irgendwann gar nicht mehr begreifen kann, dass das Spiel eigentlich ziemlich rasch erlernt ist.

Letzteres ist aber nicht damit gleichzusetzen, dass es „Exxit“ an Tiefe mangelt. Wie sich nämlich schon nach den ersten Runde herausstellt, hat Vincent Everaert hier einen echten Taktik-Klassiker konzipiert, der besonders mit wachsender Spieldauer bzw. zum Ende einer jeden Partie zu einem raffinierten Schlagabtausch avanciert, in dem jeder einzelne Schritt gut überlegt werden will. Wer hier Parallelen zu Schach zieht, liegt grundsätzlich gar nicht mal so falsch, denn letzten Endes wird man bei „Exxit“ vornehmlich für seine Leichtsinnsfehler bestraft, während man aufgrund der gleichen Startbedingungen eigentlich alle Geschicke selber in der Hand hat – eben ganz so, wie es sich für einen klassischen Zweimann-Wettstreit gehört.

Etwas abschreckend ist indes der hohe Anschaffungspreis; 35 €uro für ein paar Schaumstoffsteinchen und eine letztendlich eher überflüssige Spielmatte sind gelinde gesagt eine Frechheit und abschreckend genug, sich erst gar nicht mit dem Titel zu beschäftigen. Woher die Berechtigung für derlei Forderungen kommt, ist mir dementsprechend auch schleierhaft; man sollte jedoch bedenken, dass potenziell Interessierte sich bei Kenntnisnahme dessen wieder von „Exxit“ abwenden werden – was wiederum schade für dieses richtig tolle, spannungsreiche Spiel wäre. Ergo: Spiel hui, Preis pfui!

http://www.jactalea.com/

Nasaw, Jonathan – Kuss der Schlange, Der

Treue Fans von Jonathan Nasaw und seinem Erstlingsroman [„Die Geduld der Spinne“ 82 dürfen in Nasaws neuestem Werk nun ein Wiedersehen feiern mit dem Serienkiller Ulysses Maxwell. Seine Mordserie liegt bereits einige Zeit zurück, doch nachdem er in einem psychiatrischen Institut von seiner Persönlichkeitsstörung geheilt wurde, soll ihm nun der Prozess gemacht werden. Für diese wundersame „Heilung“ ist Dr. Al Corder verantwortlich, der dank einer Elektroschocktherapie den handzahmen Lyssy als Persönlichkeit etabliert hat. Lyssy hat sich seitdem viele Freiräume erspielt, er darf unbewacht spazieren gehen und ist auch im Hause des Arztes ein gern gesehener Gast, doch ahnt niemand, dass dunkle Stimmen in Lyssys Kopf spuken, die immer mehr Platz fordern.

Auch Lily leidet an einer Persönlichkeitsspaltung, seit sie in ihrer Kindheit von ihren Eltern schwer missbraucht worden ist. Mehrere weitere |Alters| helfen ihr, über diese erlittenen Grausamkeiten hinweg zu kommen. Da gibt es beispielsweise die selbstbewusste Lilith, die immer dann hervorkommt, wenn Lily sich ängstigt und mit einer Situation nicht mehr klarkommt. Als sie dann vom Tod ihrer geliebten Großeltern hört, wechselt Lily die Identität und bringt erst Lilah und dann auch wieder Lilith hervor, die sich mit einer Rockerbande auf die Reise begeben. Als Lilith dann vergewaltigt wird, weiß sie sich anders zu helfen als Lily; sie beißt ihrem Vergewaltiger die Nase ab und flüchtet. Doch Dr. Irene Cogan und E. L. Pender können sie aufspüren und bringen sie auf Wunsch von Lilys Onkel in das gleiche Institut, in dem auch der Serienmörder Maxwell von seinem dissoziativen Identitätssyndrom geheilt werden konnte.

Lyssy verliebt sich auf den ersten Blick in die verschüchterte Lily, aber dann wechseln beide ihr Alter und begegnen sich bald als Max und Lilith wieder, die sofort ihre Seelenverwandtschaft entdecken und die Flucht planen. Dieser Flucht stehen natürlich einige Menschen im Wege, die sodann ihr Leben lassen müssen. Auf eigene Faust verfolgen Cogan und Pender das mörderische Pärchen, um Schlimmeres zu verhindern. Die beiden sind jedoch auf Rache aus, und da spielen natürlich auch Cogan und Pender eine wichtige Rolle, da sie zumindest Maxwells Leben auf dem Gewissen haben. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dessen Verlauf viel Blut fließen und viele Persönlichkeiten auftauchen werden …

Nach seinen zwei Vampirthrillern widmet sich Jonathan Nasaw nun wieder seinem angestammten Genre, dem Psychothriller. Und hier beruft er sich auf seine alten Stärken, nämlich die Persönlichkeitsspaltung und seine bekannten und bewährten Charaktere: Maxwell, Pender und Cogan. Nur leider funktioniert diese Ansammlung im vorliegenden Thriller nicht. „Der Kuss der Schlange“ ist gerademal 444 Seiten kurz, doch bis zur Hälfte dauert es, bis Max und Lilith aus dem Institut fliehen und ihren mörderischen Rachefeldzug beginnen. Dieser beginnt allerdings zunächst mit einem weiteren Persönlichkeitswechsel, denn Corder kann vor seinem Tod noch Lyssy heraufbeschwören, der Lilith zunächst in ihrer Flucht behindert, denn Lyssy ist handzahm und möchte gar nicht aus dem Institut fliehen, wo er so viele Privilegien gewonnen hat, dass er sich dort wohlfühlt. Und auch Lilith muss bald wieder Lily Platz machen, die allerdings ungewohnte Stärken an sich entdecken kann. Sie erinnert sich daran, dass Irene Cogan ihr einst erzählt hat, dass man die Persönlichkeitsstörung heilen kann, indem die verschiedenen Alter in einer Persönlichkeit integriert werden; so nimmt sie nach und nach Liliths Selbstbewusstsein an und überwindet auch ihre Kindheitstraumata.

Die Flucht ist geprägt von zahlreichen Persönlichkeitswechseln, in Maxwell kämpfen Max und Lyssy um die Vorherrschaft, aber kaum ist ein Messer im Spiel, dringt auch Kinch, der Metzger, wieder hervor. Doch im Grunde sind es nur noch Max und Lyssy, die stark genug sind, um sich länger im Körper des Serienkillers zu halten. Sobald aber Lyssy das Sagen hat, brauchen die Opfer nichts zu fürchten, und so kommt es, dass auf dem Rachefeldzug auch das eine oder andere Opfer überlebt, wenn nämlich Lyssy und Lily beschließen, Gnade walten zu lassen.

Cogan und Pender versuchen derweil, die Spur des Pärchens aufzunehmen, ohne aber zu wissen, welche Persönlichkeiten dort gerade die Vorherrschaft haben und ob Maxwell Lily entführt hat und diese selbst zum Opfer geworden ist, oder ob diese womöglich aktiv an der Flucht beteiligt ist. Noch sind Cogan und Pender die Verfolger, doch da Maxwell und Lilith noch einige Rechnungen mit den beiden offen haben, werden sie bald zu den Verfolgten. So erwacht Cogan eines Nachts und sieht sich ihrem ehemaligen Peiniger gegenüber, der in ihr Haus eingedrungen ist und Cogan nun als Geisel hält.

Das Buch nimmt leider nie so richtig Fahrt auf, da das Tempo durch das Auftauchen von Lyssy und Lily immer wieder ins Stocken gerät und Nasaw viel Zeit darauf verwendet, die Beziehung des mörderischen Pärchens unter Berücksichtigung aller ihrer Alters zu beleuchten. Hier sind natürlich viele Aspekte zu erörtern, da die verschiedenen Alters so unterschiedliche Charakterzüge aufweisen. Ausgesprochen hanebüchen wird es schließlich im Showdown, wenn Cogan und Pender die beiden aufspüren und sie überwältigen wollen. In diesem Showdown wechseln Lily und Maxwell so oft ihr Alter, dass man fast schon den Überblick zu verlieren droht; hinzu kommt, dass die aktuellen Alter immer versuchen, ihre Mitmenschen zu täuschen, indem sie die Charakterzüge eines anderen Alters annehmen. So spielt sich Lily als Lilith auf, um Maxwells Vertrauen zu erlangen, aber auch Maxwell gibt sich oft genug als Lyssy aus, um der Verfolgung durch Lily, Pender und Cogan zu entgehen. Dies artet in ein heilloses Wirrwarr aus, das eher ärgert als mitreißt.

Jonathan Nasaw hat viel Potenzial verspielt, denn der Klappentext klingt noch ausgesprochen vielversprechend und gaukelt dem Leser vor, hier würde sich ein mörderisches Serienkillerpärchen auf eine blutige Flucht begeben. In Grundzügen stimmt das auch, doch beschreibt der Klappentext nur den zweiten Teil des Buches, der erste widmet sich ausschließlich dem Institut und dem Kennenlernen von Lily und Lyssy, außerdem gerät auch die Flucht nicht halb so blutig wie angekündigt. So viele Spannungsbremser finden sich in der Story, dass der Thriller nicht so recht zu packen weiß.

Unter dem Strich hat Jonathan Nasaw leider nicht an seine alten Psychothrillererfolge anknüpfen können. Er beruft sich nahezu ausschließlich auf bereits dagewesene Komponenten, die in „Die Geduld der Spinne“ noch so überzeugend umgesetzt waren; der vorliegende Thriller artet allerdings zu einem lieblos geschriebenen Abklatsch aus, der insbesondere zum Ende hin arge Hänger hat und einen faden Nachgeschmack hinterlässt. So bleibt nur zu hoffen, dass sich Nasaw für den nächsten Psychothriller wieder etwas ganz Neues ausdenkt, denn die Geschichte um Ulysses Maxwell scheint mir inzwischen arg ausgefranst zu sein.

http://www.heyne.de

_Jonathan Nasaw auf |Buchwurm.info|:_
[„Blutdurst“ 2299
[„Seelenesser“ 926
[„Angstspiel“ 430
[„Die Geduld der Spinne“ 82

David Moody – Herbst: Beginn (Autumn 1)

Eine Virusinfektion streckt 95% der Weltbevölkerung nieder. Die Überlebenden versuchen den Neuanfang, als die Toten plötzlich erwachen und sich in menschenfleischhungrige Zombies verwandeln … – Die bekannte Mär vom zombiestigen Untergang der Zivilisation kleidet der Verfasser routiniert in Bilder, die sich immerhin nicht ausschließlich auf die Ausmalung des Scheußlichen und Blutigen verlassen. Fortsetzung folgt selbstverständlich, was die Mär hoffentlich zum schmerzlich vermissten roten Faden finden lässt. David Moody – Herbst: Beginn (Autumn 1) weiterlesen

Fielding, Joy – Träume süß, mein Mädchen

Jamie Kelloggs Leben steckt in einer handfesten Krise. Die junge Frau aus Floria hat bisher nur Pech mit Männern gehabt, eine überstürzte Ehe ging rasch in die Brüche. Auch das Verhältnis zu ihrer Schwester ist schlecht, sie ist unglücklich in ihrem Job und sie leidet immer noch unter der herrischen Erziehung ihrer kürzlich verstorbenen Mutter. Gerade hat sich herausgestellt, dass ihr neuer Freund bereits verheiratet ist. Mitten in dieser Misere lernt sie in einer Bar den charmanten Brad Fisher kennen. Bereits am ersten Abend gehen sie miteinander ins Bett. Zu Jamies ungläubiger Freude scheint Brad tatsächlich auf eine Beziehung aus zu sein.

Kurz darauf überredet Brad sie zu einer Autoreise nach Ohio. Er will dort seinen Sohn aus geschiedener Ehe treffen. Jamie lässt sich auf dieses Abenteuer ein, ohne zu ahnen, dass Brad ein mörderischer Psychopath ist. In Wahrheit hat seine Exfrau ihn verlassen, nachdem sie um ihr Leben fürchten musste, und lebt nun unter neuem Namen in Dayton, Ohio, in der Hoffnung, dass Brad sie dort nicht findet.

Währenddessen lernt Jamie auf der Autofahrt langsam die negativen Seiten ihres neuen Freundes kennen. Brad entpuppt sich zunehmend als dominant und brutal. Je näher sie ihrem Ziel kommen, desto bedrohlicher werden seine Ausfälle. Erst jetzt ahnt Jamie allmählich, worauf sie sich eingelassen hat – doch für eine Flucht ist es bereits zu spät …

Frauen in Lebenskrise sind Joy Fieldings Spezialgebiet, fast immer eingebunden in eine mörderische Bedrohung.

|Drei verwobene Schicksale|

Im Mittelpunkt stehen diesmal gleich mehrere Frauenfiguren, die zwar unterschiedliche Charaktere besitzen, aber alle eines gemeinsam haben: die unglückliche Vergangenheit, was Männer betrifft. Gut kann man nachvollziehen, dass sich Jamie vom attraktiven Brad Fisher schnell um den Finger wickeln lässt. Ihr fehlt der Halt im Leben, weder Familie noch Freunde, noch Arbeit können die deprimierende Leere füllen, und als sie per Zufall auf einmal der Ehefrau ihres neuen Liebhabers gegenübersteht, bricht auch die letzte Hoffnung auf Besserung zusammen.

Brad Fisher ist aufmerksamer als alle anderen Männer, denen sie begegnet ist. Nach der ersten gemeinsamen Nacht überrascht er sie mit Kaffee und Bagels und gibt ihr bei jeder Gelegenheit das Gefühl, eine besondere Frau zu sein. Die Fahrt nach Ohio mit ihrem geliebten Thunderbird ist ein Abenteuer, dem Jamie nicht widerstehen kann, zu groß ist die Versuchung, aus ihrem eingefahrenen Leben auszubrechen. Allerdings ist Jamie zu naiv gezeichnet. Sie ignoriert die ersten Anzeichen, dass Brad nicht der unkomplizierte Traummann ist, den sie sich erhofft hat. Gerade eine Frau mit solch schlechten Erfahrungen sollte durch seine Unberechenbarkeit gewarnt sein. Jamie erscheint weniger als erwachse Frau in den Dreißigern als vielmehr wie ein verzückter Teenager, der sich durch Oberflächlichkeiten blenden lässt. Mehr als einmal wünscht man sich, Jamie würde sich nicht ganz so stark von Brads Fassade blenden lassen und mehr auf ihren Verstand hören; ausgerechnet sie ist allerdings die Hauptfigur des Romans, der am meisten Raum gewidmet wird.

In Ohio leben derweil Emma und Lily, zwei Frauen mit einer geheimen Vergangenheit und zwei kleinen Söhnen, die zaghaft Freundschaft schließen. Emma leidet unter der ständigen Furcht, jemand könne herausfinden, dass in Wirklichkeit anders heißt, und unter den Entbehrungen ihres Sohnes. Für Dylan, wie sie ihn nun aus Sicherheitsgründen nennt, ist unverständlich, warum er von heute auf morgen sein Zuhause und seine Freunde verlassen musste, warum er seine Haare färben und auf den neuen Namen hören muss, warum er seinen Daddy nicht mehr sehen darf. Dazu kommt der steigende Druck durch das Lügengebilde, das sich Emma aufbaut und das vorm Zusammenbrechen zu bewahren zunehmend schwerer wird. Die Bekanntschaft mit Lily Rogers bedeutet eine angenehme Abwechslung, gleichzeitig aber auch Stress, da Dylan sich mehr denn je an seine Mutter klammert und immer aggressiver reagiert.

Die hübsche, leicht mollige Lily ist eine zurückhaltende Frau, die von ihrem früheren Leben nur preisgibt, dass sie verwitwet sei und sich danach sehnt, einen neuen Mann in ihrem Leben zu finden. Bei ihrer Arbeit im Fitnessstudio lernt sie den attraktiven Detektive Jeff Dawson kennen, der hinter seiner rauen Schale eine sensible Ader besitzt.

|Spannung und Wendungen|

Gleich doppelte Spannung versprechen die parallel verlaufenden Handlungsstränge in Florida und Ohio. Über Jamies Leben wird früh und umfassend informiert und auch Brads düsterer Charakter wird bereits zeitig angedeutet, sodass seine Brutalität nur für Jamie, nicht aber für für den Leser überraschend kommt. Spannend bleibt die Handlungsebene dennoch, da nicht absehbar ist, welches Ende die gefährliche Odyssee mit Brad für Jamie nehmen wird – gelingt es ihr, in einem passenden Moment zu fliehen, kann sie zumindest den Agriff auf Brads Exfrau verhindern oder wird sie gar selbst zum Opfer? Eine zusätzliche Bedrohung liegt in dem Mord, den Brad auf der Fahrt begeht. Es gelingt ihm, am Tatort Spuren zu hinterlassen, die auf Jamie als mögliche Täterin hindeuten, sodass sie nicht nur seine Gefangene ist, sondern für Außenstehende sogar als Komplizin gesehen werden kann.

Noch ungewisser ist das Schicksal von Emma und Lily. Vor allem bei Emma weiß man zwar, dass sie ein großes Geheimnis verbirgt, doch die genauen Umstände werden erst am Ende offenkundig und warten mit einer kleinen Überraschung auf. Lily hält man lange Zeit für den unauffälligsten Charakter der drei, doch ihre Rolle ist nicht weniger bedeutsam. Man darf nicht nur gespannt sein, wie das Zusammentreffen mit Brad verläuft, der sich unaufhaltsam Ohio nähert, sondern auch auf die Enthüllungen von Emmas und Lilys Vergangenheit, die man vorher höchstens erahnen kann.

|Ein paar Schwächen|

Es ist Geschmackssache, inwieweit die überraschende Wendung am Schluss der Autorin gelungen ist. Einerseits gelingt es ihr damit, den Leser auf eine falsche Fährte zu führen, andererseits werden hier bewusst Informationen vorenthalten, sodass man sich als Rezipient leicht beschwindelt fühlen kann, wenn schließlich die Katze aus dem Sack gelassen wird. Das Finale im Haus einer der Frauen ist zwar spektakulär gestaltet, dafür sind die Zusammenhänge und die zeitlichen Abläufe, die alle Personen fast gleichzeitig zusammenführen, konstruiert. Letztlich wird eines der Schicksale nur sehr vage angedeutet. Sehr spät erfährt man erst die wahren Hintergründe und die weitere Entwicklung bleibt der Phantasie des Lesers überlassen; man vermisst einen kurzen Epilog oder eine kleine Andeutung in den zukünftigen Verlauf.

Cineasten wird sicher aufstoßen, dass es hier im erwähnten Filmtitel „Das Haus der Lady Alquist“ fälschlicherweise „Almquist“ heißt und dort nicht Joseph Cotton, sondern Charles Boyer die angesprochenen Rolle des Ehemannes spielte. Es bleibt offen, ob hier ein Fehler der Autorin vorliegt oder sich die Figur, die den Film erwähnt, absichtlich zum Amüsement der Leser irren soll, darauf gibt es allerdings keinen Hinweis.

Für langjährige Joy-Fielding-Leser sind gerade die Charaktere natürlich nicht mehr sonderlich originell. In fast allen Büchern stehen krisengeplagte Frauen im Vordergrund, die zerrüttete Beziehungen hinter sich haben und/oder sich durch einen neuen Mann in ihrem Leben bedroht fühlen. Je mehr man von ihren Büchern gelesen hat, desto bekannter erscheinen einem die Charakterzüge. Lange bleibt dieses Werk nicht im Gedächtnis, dafür ist es, abgesehen von einer überraschenden Wendung, zu konventionell gezeichnet und das Schema zu abgenutzt.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer Frauenthriller im üblichen Joy-Fielding-Schema, der ziemlich spannend ist, aber nicht lange im Gedächtnis bleibt.

_Die Autorin_ Joy Fielding, geboren 1945 in Toronto, Kanada, hatte bereits in ihrer Kindheit großes Interesse am Schreiben. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie englische Literatur und arbeitete eine Weile als Schauspielerin. 1991 gelang ihr mit dem Roman „Lauf Jane, lauf“ der internationale Durchbruch. Seitdem landen ihre Frauenthriller regelmäßig auf den Spitzenpositionen der Bestsellerlisten. Weitere Werke sind u. a. „Sag Mammi goodbye“, „Ein mörderischer Sommer“, [„Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ 556 und „Tanz Püppchen, tanz“. Ihr aktuelles Werk ist „Nur der Tod kann dich retten“.

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Hand, Stephen – Fury of Dracula

_Draculas stilles Comeback_

Wir schreiben das Jahr 1898; acht Jahre sind mittlerweile ins Land gezogen, seit der vampirische Graf Dracula London in sein Reich der Finsternis verwandeln wollte, dabei jedoch letztendlich scheiterte. Dracula wurde vertrieben, manche sprachen sogar vom endgültigen Dahinscheiden des transsilvanischen Fürsten, der einst Europa zu unterjochen versuchte. Nun jedoch kehrt Dracula wieder erstarkt zurück. In „Fury of Dracula“ feiert der mächtige Graf ein triumphales Comeback und ist dieses Mal entschlossener denn je, seine düsteren Pläne durchzusetzen. Acht Jahre lang hat er sich entscheidendes Wissen aneignen und ein Heer aus treuen, blutrünstigen Dienern zusammenstellen können – und in diesen acht Jahren ist in ihm der Gedanke gereift, die gesamte Welt unter die Herrschaft seiner Vampire zu bringen.

Nur eine elitäre Auswahl pflichtbewusster Jäger ist nun noch imstande, den Grafen bei seinem Vorhaben zu stoppen. Jener jedoch reist inkognito über das europäische Festland, treibt sein Unwesen auf See und ist seinen Häschern meist einen Schritt voraus. Werden Lord Godalming, Dr. Seward, Van Helsing und Mina Harker dennoch die Welt vor dem drohenden Unheil retten können? Dies gilt es in diesem fulminanten, opulent aufgearbeiteten Brettspiel von Stephen Hand jedes Mal aufs Neue zu ermitteln.

_Spielidee_

„Fury of Dracula“ knüpft an das klassische Hase-und-Igel-Spiel in einer weitaus komplexeren Form wieder an. Eine stete gleich bleibende Anzahl unterschiedlich beschaffener Jäger verfolgt den Grafen durch ganz Europa und erhält immer nur kurze Hinweise über seinen aktuellen Standort. Ähnlich wie beim legendären Klassiker „Scotland Yard“ gibt der Graf sich nämlich nur selten zu erkennen, dies zumeist, nachdem eine Ereigniskarte gezogen wurde. Das Ziel der Spieler ist es also, Dracula auf der Europakarte immer deutlicher einzukreisen und ihn schließlich im Kampf zu stellen. Allerdings ist ihre Zeit begrenzt, denn schon nach sechs abgeschlossenen Tagen ist Draculas Macht so groß, dass der Lord aller Vampire samt seinen Dienern unbesiegbar geworden ist und somit auch das Spiel gewinnt. Sollte es ihm indes gelingen, einen neuen Vampir zu beschwören oder sogar einen Jäger im Kampf zu vernichten, tickt die Uhr für die Jäger noch schneller.

Einen entscheidenden Vorteil haben die Jäger jedoch. Die einzelnen Spielrunden gliedern sich in die unterschiedlichen Tagesphasen. Dementsprechend muss Dracula auch in der ungeliebten Mittagshitze agieren und bietet dabei die beste Angriffsfläche für eine gezielte Attacke. Sollte es ihnen dabei gelingen, Draculas Blutvorrat im Kampf bis zum Nullwert zu dezimieren, bevor Draculas Siegbedingungen eingetreten sind, gewinnen die vier Jäger.

_Spielmaterial_

• 1 Regelheft
• 1 Spielbrett
• 5 Plastikminiaturen
• 1 Dracula-Charakterbogen
• 1 Dracula-Referenzkarte
• 4 Jäger-Charakterbögen
• 2 weiße Jäger-Würfel
• 1 schwarzer Dracula-Würfel
• 1 roter Bahn-Würfel
• 75 Ereigniskarten
• 70 Dracula-Ortskarten
• 40 Ausrüstungskarten
• 5 Referenzkarten
• 12 Jäger-Taktikkarten
• 8 Dracula-Taktikkarten
• 5 Lakaien-Taktikkarten
• 5 Dracula-Machtkarten
• 45 Begegnungsmarker
• 15 Blutstropfen
• 4 Gesundheits-Marker
• 4 ‚Gebissen‘-Marker
• 3 Gesegnete Hostien-Marker
• 1 Geweihter Boden-Marker
• 3 Fortsetzen-Marker
• 2 Zeit-Marker
• 1 Straßensperre-Marker
• 1 Entschlossenheits-Marker
• 1 Vampir-Marker
• 1 Tag-/Nacht-Marker

Hinsichtlich des Spielmaterials ist „Fury of Dracula“ bewährte |Fantasy Flight|-Kost. Diese nüchterne Betrachtung soll aber keinesfalls die Qualitäten der vielfältigen Spielmittel unterbuttern, sondern prinzipiell nur darstellen, dass auch bei dieser spielerischen Spätadaption des Bram-Stoker-Klassikers keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um dem Spiel ein umfassendes Setting zu ermöglichen bzw. die Vielschichtigkeit auch abseits des opulenten Spielaufbaus zu gewährleisten. Aber auch die grafische Aufarbeitung ist absolut klasse und sorgt für eine authentische, beeindruckende Atmosphäre, die den Spieler geradewegs in das viktorianische England zurückversetzt. Sehr gute Arbeit, die man aber von einem erprobten Horror-Tüftler wie Stephen Hand (u. a. [„The Texas Chainsaw Massacre“) 1380 auch in dieser exquisiten Form erwarten durfte.

_Vorbereitung_

Zur Vorbereitung eines |Fantasy Flight|-Games gehört natürlich auch erst einmal die ausführliche Regelstudie, die auch dieses Mal wieder zumindest eine geschlagene Stunde verschlingt, bis alle Details des Spiels aufgesogen wurden. Da die Spielregel aber wirklich auf alle Nuancen des Spiels eingeht und darüber hinaus auch schon bevorstehende Fragen vorab beantwortet, nimmt man diesen gehörigen Zeitaufwand natürlich gerne in Kauf.

Anschließend geht es an die Präparation des Spielfelds bzw. an die Verteilung der Spielmaterialien. Zunächst jedoch müssen sich die beteiligten Spieler darauf einigen, wer die Person des Draculas und wer einen oder mehrere Jäger spielt. Unabhängig von der Spielerzahl sind nämlich jederzeit alle Jäger im Spiel. Nach dieser Aufteilung positioniert man alle Figuren an den entsprechenden Seiten des Spielbretts; dies heißt gleichzeitig, dass die Jäger in einer festgelegten Reihenfolge auftreten, so dass zuerst Lord Godalming, dann Dr. Seward und Van Helsing und als Letztes Mina Harker ihren Zug vollführen. Eine Abweichung dessen sieht die Spielregel nicht vor, was aber – so stellt sich im Spielverlauf heraus – auch sinnig ist.

Der Dracula-Spieler erhält nun eine Dracula-Referenzkarte, seine Spielfigur, einen schwarzen Würfel sowie alle Orts- und Taktikkarten für die Dracula-Figur. Des Weiteren nimmt er seine Machtkarte mit den 15 Blutstropfen an sich und legt die Begegnungsmarker bereit. Fünf Begenungsmarker zieht er nun aus dieser Auswahl heraus, die restlichen legt er als Nachziehstapel verdeckt ab.

Die Jäger erhalten ihre Charakterkarte(n), einen Gesundheitsmarker, um die aktuelle medizinische Beschaffenheit zu markieren, ihre Spielfigur(en) und jeweils einen Satz mit den drei Anfangs-Taktikkarten. Die Ausrüstungs- und Taktikkarten werden nun separat gemischt, wobei sowohl Draculas als auch die Ereigniskarten der Jäger in einen Stapel gemischt werden. Sobald alle Vorkehrungen getroffen sind, beginnt die erste Spielrunde mit Draculas Zug.

_Spielablauf_

Eine Spielrunde besteht aus insgesamt fünf Phasen, die jeweils die Züge der einzelnen Beteiligten dokumentieren. Zuerst führt immer der Vampir-Spieler seinen Zug aus, anschließend schreiten die Jäger in der vorgeschriebenen Reihenfolge zur Tat. Draculas Zug gliedert sich dabei noch einmal in drei aufeinander folgende Etappen:

|a) Zeitkontrollphase|

Zu Beginn von Draculas Zug schiebt er den Tag-/Nacht-Marker auf dem Spielbrett um ein weiteres Feld vorwärts und verrückt somit die Tageszeit gen Abend. Der Tag in „Fury of Dracula“ besteht aus insgesamt sechs Abschnitten, jeweils drei zur Tages- und drei zur Nachtzeit. Nach sechs Runden, also sechs Bewegungen in diesem Bereich, endet ein Tag und ermöglicht Dracula, seinen Machtbereich um einen weiteren Punkt aufzuwerten. Bei insgesamt sechs Punkten ist das Spiel zu Ende und Dracula der Sieger. In diesem Fall steigt aber auch die Entschlossenheit auf der entsprechenden Leiste der Jäger und ermöglicht diesen eine besondere Aktion.

Im Sonderfall, dass der Vampir sich auf hoher See befindet, bleibt die Tageszeit bestehen; es ist also so oder so nicht ratsam, Dracula aufs Wasser zu bewegen, da somit ein Fortschritt in der Zeitkontrollphase nicht möglich ist und zweitens die Seereisen auch an seinem Blutvorrat zehren.

|b) Bewegungsphase|

Dracula bewegt sich geheim über Europas Landkarte und kann hierzu Straßen und Schiffe nutzen. Im Gegensatz zu den Jägern sind die Zugstrecken für ihn tabu, da ihm seine stolze aristokratische Tradition verbietet, die Bahn zu benutzen. Kult! Damit die übrigen Mitspieler nicht sehen, welche Wege Dracula nimmt, wählt er eine seiner Ortskarten und legt diese verdeckt auf die Leiste ‚Draculas Spur‘ auf dem Spielplan. Diese Karte dokumentiert nun Draculas aktuellen Aufenthaltsort. Da für jeden Ort auf dem Spielplan nur eine Karte verfügbar ist, kann Dracula sich nicht beliebig hin und her bewegen. Jedes Mal nämlich, wenn er einen Ort weiter zieht, werden auch die Ortskarten auf der Leiste um ein Feld weiterbewegt, das heißt, sie verbleiben dort zumindest sechs Runden. Innerhalb dieser sechs Runden muss Dracula also auch sechs verschiedene Standorte aufsuchen.

Um sich ein wenig vor den Angriffen der Jäger zu schützen, stattet der Dracula-Spieler alle Ortskarten mit Begegnungsmarkern aus, die individuell ganz verschiedene Folgen für die Jäger haben können. Landet ein Jäger nun auf einem der Orte, der Draculas Spur folgt, muss er sich dieser Begegnung stellen und eventuell auch die Konsequenzen tragen. Die Ortskarten werden nun Runde für Runde weiter nach rechts geschoben, bis sie quasi wieder an der anderen Seite ‚herausfallen‘. Nun sind sie für den Dracula-Spieler wieder verfügbar, es sei denn, er entschließt sich, die Karten in seinen Katakomben zu platzieren. Dort ist Raum für bis zu drei Ortskarten und einen weiteren Begegnungsmarker; sollten die Jäger nun einen dieser Orte betreten, müssen sie sich gleich doppelt warm anziehen, da diese durch die Begegnungen in den Katakomben gleich doppeltes Leid befürchten müssen.

Schädlich ist indes Draculas Bewegung auf See; sobald Dracula in See sticht, kostet ihn das einen Blutstropfen; jeder zweite Schritt auf der Seereise erfordert weiteres Blut; außerdem unterscheiden sich die Ortskarten der See von denen an Land, was dazu führt, dass Draculas Position mitunter leichter zu bestimmen ist. Da auch die Tageszeitanzeige auf See nicht fortschreitet, sollte Dracula diesen Weg nur in äußerster Bedrängnis oder natürlich als Bluff durchführen.

Bei allen Bewegungen kann Dracula auch eine seiner Machtkarten ausspielen, die ebenfalls dazu dienen, die Kontrahenten zu täuschen.

|c) Aktionsphase|

Falls Dracula sich nicht gerade auf See befindet, kann er eine von zwei möglichen Aktionen durchführen; entweder greift er einen oder mehrere Jäger an, die sich im selben Ort wie er befinden, oder aber er platziert auf seinem momentanen Aufenthaltsort eine Begegnung. Des Weiteren kann er eine Begegnung, die auf einer gerade ‚hinausgestoßenen‘ Ortskarte abgelegt war, reifen lassen und eventuell eine damit verbundene Zusatzaktion durchführen. Dann jedoch darf die Karte nicht mehr in die Katakomben gelegt werden.

Nach der aktiven Aktionsphase zieht Dracula wieder neue Begegnungsmarker, bis er wieder fünf in der Hand hält. Nun ist sein Zug beendet.

Nach Draculas Zug sind die Jäger nacheinander an der Reihe. Beginnend mit Lord Godalming verläuft ihr Spielzug in zwei Phasen:

|a) Bewegungsphase|

Ähnlich wie auch Dracula bewegen sich die Spieler um ein Straßen- oder Seefeld auf der Karte fort. Zusätzlich können sie auch die Bahnstrecken Europas nutzen, wobei die Reichweite ihres Zuges mit einem speziellen Würfel ermittelt wird. Es kann dabei passieren, dass eine Fortbewegung verwehrt wird, möglich ist aber auch, dass man gleich mehrere Felder ziehen kann. Prekär dabei: Das Schienennetz in Osteuropa ist schlechter ausgebaut, daher sind dort längere Bewegungen nicht möglich.

|b) Aktionsphase|

Sollte sich am aktuellen Aufenthaltsort des Jägers eine Begegnung befinden, muss er sich dieser stellen. Wenn sogar Dracula selber dort zugegen ist, kommt es zu Kampf. In diesem Fall spielen die Jäger ihre Taktikkarten plus mögliche Ausrüstungsgegenstände aus und messen sich auf diesem Wege mit Dracula. Dies ist besonders am Tage lukrativ, da Dracula hier nur eine begrenzte Zahl seiner Waffen einsetzen kann und dementsprechend leichter verwundbar ist. Jeder Kampf endet, sobald eine Seite geflohen oder vernichtet ist.

Wenn jedoch keine Begegnungen vorhanden sind, dürfen die Spieler wählen, ob sie sich ausruhen, ausrüsten oder Gegenstände miteinander tauschen wollen. Beim Ausruhen zieht der Spieler zwei Ereigniskarten und legt sie ab. Sollte dabei jedoch eine Dracula-Ereigniskarte gezogen werden, geht sie an den Dracula-Spieler, der nun die entsprechende Aktion ausführen darf. Anschließend erhält der gerade aktive Jäger zwei Gesundheitspunkte.

Inwiefern man sich ausrüsten kann, hängt von der Größe des Aufenthaltsortes ab. Dort kann man individuell verschiedene Ausrüstungs- und Ereigniskarten ziehen. Letztere werden immer unterhalb des Nachziehstapels gezogen, damit niemand vorher einsehen kann, ob es sich dabei um eine Jäger- oder doch um eine unerwünschte Dracula-Karte handelt.

Ein Tausch ist besonders dann wichtig, wenn eine Person merklich geschwächt ist und dringend vor dem Tod geschützt werden muss. Allerdings kann man nur tauschen, wenn man sich in der gleichen Stadt wie der Tauschpartner befindet.

Im weiteren Verlauf jagen und hetzen die Häscher nun den Grafen und führen einen harten Wettstreit mit der Zeit. Beide Seiten haben dabei die Möglichkeit der Rekreation, wobei dies natürlich auch alles eine Frage der Zeit ist. Sobald Dracula sich jedoch regeneriert, muss er sich seinen Kontrahenten zeigen, so dass auch diese Option bedenklich sein kann.

Das Spiel endet schließlich, sobald eine Seite die Siegbedingungen erfüllt hat. Die Jäger müssen Dracula aufstöbern und vernichten, der Vampir hingegen muss auf seiner Machtanzeige sechs Punkte erzielen, die er bei jedem verstreichenden Tag sowie in doppelter Ausführung immer dann erhält, wenn ein neuer Vampir gereift ist oder ein Mitspieler getötet wurde. In der Regel handelt es sich hierbei aber um ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen …

_Persönlicher Eindruck_

Wie generell bei allen Titeln aus dem Hause |Fantasy Flight Games| war die Euphorie vor der ersten Partie zu „Fury of Dracula“ kaum mehr zu bremsen, nicht zuletzt wegen der tollen optischen Aufmachung, die das Spiel unzweifelhaft auszeichnet. Stephen Hand hat sich bei der Gestaltung von Spielplan und Kartenmaterial einiges einfallen lassen, um ein durchweg homogenes, darüber hinaus sehr authentisches Erscheinungsbild zu gewährleisten, das schließlich durch das spürbare Horror-Flair auch blitzschnell die Spieler befällt. Die Grundvoraussetzungen sind also, wie gehabt, bestens.

Das Spielsystem steht dem im Grunde genommen in nichts nach, da es zum einen äußerst vielschichtig aufgebaut ist und zum anderen gerade für den Strategie-Tüftler (speziell in der Rolle des Dracula) unheimlich viele Variationen offenhält. Zwar wird es zum Beispiel dem Gejagten kaum gelingen, sich über die volle Spielzeit komplett vor den Jägern zu verstecken und sie mehrfach in die Irre zu führen, doch dank der verschiedenen Spezialaktionen und Täuschungsmanöver ist für ein durchweg spannendes, individuell stets andersartiges Spiel gesorgt. Dabei lässt sich natürlich nicht leugnen, dass der Spieldesigner wesentliche Elemente von „Scotland Yard“ aufgreift, diese jedoch mitsamt der komplexeren Zusatzmechanismen noch einmal gehörig verschärft. In diesem Zusammenhang gefällte Zitate wie „Scotland Yard für Fortgeschrittene“ sind dementsprechend nicht aus der Luft gegriffen, andererseits aber auch ein gewisses Qualitätssiegel, welches sicherlich den einen oder anderen Interessenten früher oder später zu „Fury of Dracula“ führen wird. Die eben erwähnte Vielschichtigkeit bedingt aber nicht sogleich auch eine übergeordnete Komplexität, soll heißen, dass das Spielprinzip eigentlich leicht verständlich ist, durch die unzähligen Handlungsstrategien aber zu keiner Zeit einen vorab transparenten Spielverlauf verheißt. So zum Beispiel ist ein entscheidender Punkt, inwiefern die Jäger auch tatsächlich zusammenarbeiten bzw. wie viel Risikofreude das verfolgende Team aufbringt, was andererseits wiederum bedeutet, dass der Ablauf einer jeden Partie komplett anders sein kann, obwohl man grundsätzlich gleiche Taktiken verfolgt.

Eine Einschränkung besteht lediglich für das 2-Spieler-Duell, das zwar prinzipiell möglich ist, in Sachen Spielreiz aber sicherlich nicht so überzeugend ist wie die ausgedehnte Variante im vollständig ausgeschöpften Spielerkreis. Wer also in den wahren Genuss dieses überraschend kommunikativen Spiels kommen möchte, der sollte diesbezüglich die entsprechenden Vorkehrungen treffen und den Tisch füllen.

Dies wäre jedoch auch schon der einzige, eigentlich schon fast wieder unwichtige Kritikpunkt eines rundum gelungenen, visuell sogar genialen Strategiespiels, dessen Langzeitpotenzial sich durchaus mit der Konkurrenz des eigenen Verlags messen kann, und das sich folgerichtig auch sehr schön in die Liste der fantastischen deutschsprachigen Adaptionen des |Heidelberger Spieleverlags| einreiht. Beide Daumen hoch für diese erstklassige Umsetzung!

[www.hds-fantasy.de]http://www.hds-fantasy.de
[www.heidelberger-spieleverlag.de]http://www.heidelberger-spieleverlag.de
[www.fantasyflightgames.com]http://www.fantasyflightgames.com/edge__minisite.asp?eidm=40&enmi=Fury%20Of%20Dracula

Dahlquist, Gordon – Glasbücher der Traumfresser, Die

Was Gordon Dahlquist mit seinem Debütroman „Die Glasbücher der Traumfresser“ abgeliefert hat, ist schon rein optisch ein Hingucker: Ein großformatiger Schuber mit zehn handlichen Einzelbänden. Ein Hauch von Groschenroman weht da mit, genau wie eine gehörige Portion Nostalgie, wenn man im Klappentext liest: |“Zehn komfortabel zu lesende Bände für die schlanke Damenhand und für den Herrn auf Reisen“.|

Gordon Dahlquist hat ein durch und durch viktorianisches Buch geschrieben – das fängt bei der Skizzierung von Zeit und Figuren an und hört erst beim zeitgemäßen optischen Erscheinungsbild des Werkes auf. Insgesamt klingt die Geschichte von Dahlquists Debütroman, als wäre sie selbst einem Roman entsprungen. Angefangen hat alles mit einem Traum, es folgten ein Zwei-Millionen-Dollar-Deal mit dem Verlagshaus |Bantam| und der Verkauf der Filmrechte, und damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Längst hat Dahlquist den zweiten Teil geschrieben, der im nächsten Jahr im englischsprachigen Raum erscheinen wird.

„Die Glasbücher der Traumfresser“ entwickelte sich schnell zum Bestseller, dabei klingt der Plot nicht wirklich so, als würde er Stoff für eine sich millionenfach verkaufende Geschichte liefern. Und wie das Ganze überhaupt verfilmt werden soll … Na ja, warten wir’s ab. Man tut sich schwer, den Inhalt in wenigen Worten zusammenzufassen, denn dafür ist die Handlung teilweise einfach zu abgefahren.

Alles beginnt ganz harmlos, als Celeste Temple, frisch von ihrem Verlobten Roger Bascombe abserviert, selbigem heimlich zu einem Maskenball aufs Land in das noble Anwesen Harshmort House folgt. Eigentlich will sie nur den Grund für Rogers plötzlichen Sinneswandel wissen, doch unversehens findet sich Miss Temple mitten in einer undurchsichtigen Konspiration wieder. In Harshmort House wird sie Zeugin höchst eigenartiger Vorgänge und Orgien, wird obendrein beinahe das Opfer einer Vergewaltigung und entgeht nur knapp einem Mordversuch.

Wenig später trifft Celeste Temple auf zwei unverhoffte Mitstreiter, die ebenso begierig darauf sind, zu erfahren, was in Harshmort House und rund um den merkwürdigen Comte d’Orkancz und die eigenwillige Schönheit Contessa Lacquer-Sforza vor sich geht. Einer der beiden ist ein Auftragskiller, der sich Kardinal Chang nennt. Ein Mann mit vielen Narben und einer Vorliebe für seinen extravaganten und nicht minder auffälligen roten Mantel. Auch er wird durch eine eigentlich unbedeutende Geschichte in die Verwicklungen von Harshmort House gezogen und muss schon bald, wie seine beiden Verbündeten, um sein Leben bangen.

Der Dritte im Bunde ist der Leibarzt des mecklenburgischen Prinzen Karl-Horst. Dr. Adelbard Svenson will eigentlich nur seinen Schützling Karl-Horst vor Schaden bewahren, bevor der sich wieder kopfüber in irgendeine ausschweifende Sache stürzt, die später seinem Ruf und seiner Gesundheit schadet. Doch schon kurze Zeit später wird Prinz Karl-Horst entführt und Svenson schließt sich mit Miss Temple und Chang zusammen, um mit ihnen gemeinsam der Sache auf den Grund zu gehen, denn es scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen dem Verschwinden von Karl-Horst und den Vorkommnissen in Harshmort House.

Was folgt, ist ein rasantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Verschwörern und ihren drei Kontrahenten Miss Temple, Chang und Dr. Svenson. Im Laufe der Zeit finden die drei heraus, dass seltsame Glasbücher, in denen der Comte und seine Gefolgschaft offenbar Träume und Gedanken anderer Menschen konservieren, eine wichtige Rolle spielen. Doch was hat es mit den Glasbüchern auf sich? Und welchem Zweck dienen sie?

Die Geschichte an sich ist eine recht komplexe. Fast 900 Seiten umfasst der Roman, und die Zeitspanne, in der sich die Handlung abspielt, zieht sich über kaum mehr als zwei oder drei Tage. Von Anfang an setzt Dahlquist auf einen straffen Spannungsbogen, der teilweise auch davon lebt, dass der Leser nach Lektüre des Klappentextes keinen Schimmer hat, was ihn eigentlich erwartet. Er wird unvermittelt in den Plot gezogen, folgt neugierig Miss Temple auf den Maskenball und sieht dann erstaunt und ein wenig ratlos, wie die merkwürdigsten Dinge vor sich gehen und Miss Temple ganz unerwartet von einer brenzligen Lage in die nächste stolpert.

Noch nie habe ich einen Roman gelesen, in dem schon im ersten Kapitel dermaßen viel passiert, und dementsprechend vollgestopft sind auch die folgenden neun Kapitel. Stets hält Dahlquist den Spannungsbogen aufs Äußerste gestrafft und gönnt dem Leser kaum eine Verschnaufpause. Das führt mit zunehmender Seitenzahl zu gewissen Ermüdungserscheinungen. Natürlich gibt es Beispiele, in denen ein Autor es schafft, den Spannungsbogen stets auf einem Maximum zu halten, aber solche Romane sind doch eher Ausnahmeerscheinungen, wie z. B. [„Sakrileg“ 184 von Dan Brown. Dahlquists Geschichte aber spielt sich eben nicht auf 400 bis 500 Seiten ab, sondern auf knapp 900, und da scheint der stetig straffe Spannungsbogen dann doch mit der Zeit etwas auszuleiern.

Die Geschichte an sich offenbart einen wilden, eigenwilligen Genremix, der sich jeder Kategorisierung entzieht. Ein großer Schuss viktorianischer Roman, eine Prise Jules Verne, ein Spritzer Gothic Novel, vermengt zu einem blutrünstig-erotisiertem Thriller-Spektakel mit ausgeprägtem Verschwörungs- und Weltherrschaftsaroma – fertig ist die obskure Mischung, die Dahlquist dem Leser serviert.

Romantisch verklärte Bilder des viktorianischen England mischt der Autor mit unheimlichen Ideen voller Alchemie oder gar einer Prise Science-Fiction, und das ist ein Mix, der einen unwiderstehlichen Reiz auf den Leser auszuüben vermag. Inszeniert hat Dahlquist das Ganze als Geschichte einer großangelegten Verschwörung, in der es (natürlich) um nichts anderes als die Weltherrschaft geht.

Die Groschenroman-Optik des Buches täuscht dabei ein wenig über die eigentliche Tiefe des Plots hinweg. Man muss schon konzentriert lesen, um den Faden nicht zu verlieren. Mit jedem Kapitel begleitet der Leser eine andere Figur, mal Miss Temple, mal den Doktor, mal Chang, teilweise kreuzen sich die Wege aller drei Figuren im Laufe eines Kapitels aber auch. Daraus ergeben sich natürlich Sprünge im zeitlichen Ablauf. Man verfolgt eine Szene später oft noch einmal aus dem Blickwinkel einer anderen Figur, mit anderen Einschätzungen und Sichtweisen. Dabei das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, erfordert schon einige Konzentration, die über die knapp 900 Seiten aufrechtzuerhalten schon eine gewisse Anstrengung darstellt. Eine Straffung hätte dem Buch sicherlich gutgetan, obgleich es vor Erscheinung schon gehörig gestrafft wurde (von 1300 auf die jetzigen knapp 900 Seiten).

Und genau das ist auch die größte Schwierigkeit. Es gibt so viele Namen, so viele undurchsichtige Figuren, deren Rollen von den unterschiedlichen Protagonisten jeweils unterschiedlich eingeschätzt werden. Man kann im Laufe der Zeit wirklich leicht den Überblick verlieren, eben auch deswegen, weil der sich abnutzende Spannungsbogen für gewisse Ermüdungserscheinungen sorgt. Die ganze Geschichte bleibt auch am Ende noch einigermaßen schwer nachvollziehbar, und das schmälert dann doch ein wenig die Freude.

Passend zum viktorianischen Zeitalter bedient Dahlquist sich eines Erzählstils, der die Zeit widerspiegelt: ausgeschmückt, ein wenig altertümlich und mit feinen ironischen Nuancen versehen. Das macht das Buch zu einer angenehmen Lektüre, wenngleich man auch immer wieder über etwas holprige Stellen stolpert. Ob das nun dem Autor selbst oder vielmehr der Übersetzung anzulasten ist, lässt sich ohne Blick in das Original nicht klären.

„Die Glasbücher der Traumfresser“ ist in jedem Fall ein Buch, das seinesgleichen sucht. Man muss als Leser offen und auf alles gefasst sein, ähnlich wie beispielsweise bei den Büchern von Robert Anton Wilson, dann wird man im Großen und Ganzen schon seine Freude an der Lektüre haben. Man muss aber auch stets gleichermaßen konzentriert bei der Sache sein, um im Meer der Figuren und zwielichtigen Gestalten nicht den Faden zu verlieren.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Gordon Dahlquist mit „Die Glasbücher der Traumfresser“ ein beachtenswertes Debüt geglückt ist, ein ungewöhnlicher Roman und ein wilder Genremix mit vielen verrückten Einfällen. Zwar bemüht Dahlquist sich, die Spannung von Anfang bis Ende kontinuierlich hoch zu halten, dennoch nutzt sich der Spannungsbogen mit der Zeit ab. Etwas straffer und nachvollziehbarer erzählt, könnte „Die Glasbücher der Traumfresser“ ein echter „Pageturner“ sein. So bleiben aber einzelnen Schwachpunkte in einem faszinierend vielschichtigen Plot, der eine aufgeschlossene Leserschaft sucht.

|Originaltitel: The Glass Books of the Dream Eaters
Originalverlag: Bantam, New York 2006
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen
Deutsche Erstausgabe 2007
Paperback, 896 Seiten, 15,0 x 22,7 cm
Luxusausgabe in 10 Bänden in eleganter Geschenkbox|
http://www.gordon-dahlquist.de/
http://www.blanvalet-verlag.de

Way, Daniel / Saltares, Javier – Ghost Rider 2 – Die Legende von Sleepy Hollow

_Story_

In einem verschlafenen Örtchen in der Nähe Chicagos versetzt ein wahnsinniger Mörder die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Ein junger Knabe namens Cameron wurde unter anderem beim Versuch, seine neue Liebe zu vergewaltigen, von dessen unbarmherzigem Feuer heimgesucht, und auch einige weitere Leichen gehen auf das Konto des Unbekannten. Der Sheriff ist sich indes sicher, die Identität des Täters aufgedeckt zu haben, als ein verwahrloster Gammler in der direkten Umgebung entdeckt wird. Jener gibt sich als Johnny Blaze aus und beweist ihm auf allzu schmerzliche Weise, dass er mit den Morden nichts zu tun hat. Allerdings ist der Ghost Rider kompromissbereit und stellt sich mit dem Gesetzeshüter gegen die neue maskierte Bedrohung in Sleepy Hollow.

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem eher durchwachsenen [Auftakt 3724 der neuen „Ghost Rider“-Serie geloben Daniel Way und Javier Saltares im zweiten Band der Marvel-Horror-Reihe nun deutliche Besserung. Zwar basiert ihr feuriger Tie-in zum Crossover-Epos „Civil War“ auf einer allzu bekannten cineastischen Vorlage, bewegt sich darin jedoch sehr frei und spannungsgeladen, so dass der etwaige Vergleich letztendlich fast nur noch im Titel eine vollständige Berechtigung findet. Ansonsten ist der Aufhänger „Sleepy Hollow“ lediglich ein geringfügiger, letztendlich aber kaum mehr relevanter Orientierungspunkt für das Publikum des Ghost Rider.

Die Story indes ist als Verknüpfung zu besagtem Mega-Event angedacht, erstellt diesbezüglich jedoch keine echte Verbindungslinie, so dass sie schließlich doch als unabhängiges Element agieren muss. Johnny Blaze muss sich erneut seinem schärfsten Widersacher Luzifer stellen und ihn in einem diabolischen Kleinkrieg aus Sleepy Hollow vertreiben. Außerdem beteiligt er sich währenddessen daran, den Urheber einer Mordserie dingfest zu machen, der jedoch unter derselben feurigen Kürbismaske steckt wie der aufs Neue personifizierte Höllenfürst.

Die Story schreitet schließlich zügig voran und setzt vorrangig auf die äußerst lebendige Action, die von den beiden kontrahierenden Flammenköpfen getragen wird. Gleich mehrfach kommt es zu gravierenden Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ausgeburten der Hölle, verstärkt durch den Rachefeldzug des Sheriffs, der einzig und alleine danach sinnt, Vergeltung für seinen verstorbenen Sohn Cameron zu üben. Dies alles verläuft weitestgehend stringent und bestimmt, hat jedoch den Nachteil, dass die Geschichte kaum Überraschungspunkte offenbart und alles in allem doch recht durchschaubar bleibt. Auch der groß erwähnte Zusammenhang zum „Civil War“ ist abgesehen von einigen wenigen Szenen äußerst dürftig, prinzipiell aber kaum präsent, was insofern absurd ist, als die Geschichte auch ohne Namedropping und dergleichen ganz gut funktioniert und derartig werbeträchtige Darstellungen insgesamt eher unnötig sind.

Damit wären die Kritikpunkte des zweiten Bandes der neuen Saga aber auch schon auf den Punkt gebracht und im Vergleich zur schwachen Auftaktstory schon merklich reduziert. Der Verfechter der innovativen Komponenten mag zwar noch bemängeln, dass sich Way und Saltares bisweilen zu sehr auf bewährten Klischees ausruhen und dem Image des Ghost Rider keinen erfrischenden Stempel aufdrücken, allerdings muss man dies vor dem Hintergrund wiederum relativieren, dass die beiden Autoren diesbezüglich definitiv in erster Linie die Erwartungen der konservativeren Leserschaft berücksichtigen, die elementare Veränderungen im Bezug auf ihre Heldenfigur nicht sofort akzeptieren würde.

Schlussendlich darf man also bis auf weiteres mit der Umsetzung von „Die Legende von Sleepy Hollow“ zufrieden sein, da ein Großteil der vorherigen Schwächen schon ausgemerzt und die Story darüber hinaus tatsächlich spannend und abwechslungsreich gestaltet wurde. Sollte sich dieser Aufwärtstrend in den nächsten Ausgaben weiterhin bestätigen – und das wollen wir ja wohl hoffen –, sollte der „Ghost Rider“ sich schon bald wieder dort einpendeln, wo er eigentlich hingehört, nämlich an die Spitze eines kompletten Genres. Für den Anfang ist „Die Legende von Sleepy Hollow“ ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung und sicherlich mehr, als man zuletzt noch erhoffen durfte.

http://www.paninicomics.de/ghost-rider-s10473.html

Shocker, Dan – Vampir, Der (Larry Brent, Band 7)

_Der Sarg des Vampirs_

Die Angst um das Leben seiner beiden Töchter Estelle und Anna-Maria beherrscht das derzeitige Leben des Herzog de Avilla. Aus diesem Grund hat er die PSA um dringende Unterstützung gebeten, so dass Larry Brent nach Spanien zu dem Anwesen des Adligen reist, welches sich in der Nähe eines verschlafenen Bergdorfes inmitten der Sierra de Guadeloupe befindet.

Hier erfährt X-RAY-3 von einer gespenstischen Legende über die folgenschweren Ereignisse, welche sich vor ca. 200 Jahren in derselben Gegend zugetragen haben sollen. Ein Zigeuner namens Sarkom hatte sich in Carmen, die Tochter eines Vorfahren von de Avilla, verguckt, doch diese wollte sein Liebe partout nicht erwidern. Darauf kam es zur Auseinandersetzung zwischen Sarkom und dem eigentlichen Angetrauten des Mädchens, welche damit endete, dass der Zigeuner von dem Edelmann getötet wurde. Die trauernde Sippe des Ermordeten setzte den Leichnam an einem einsamen Waldrand in der Sierra mit dem Versprechen bei, dass diese Tat nicht ungesühnt bleiben würde – speziell schon aus dem Grund nicht, da in dem Sarg angeblich ein wahrhaftiger Vampir liege.

Und tatsächlich werden kurz darauf Carmen de Avilla und ihre jüngere Schwester mit seltsamen Bisswunden am Hals tot aufgefunden, womit ein unheimlicher Fluch seinen Anfang nehmen sollte. Von diesem Tag an verschwinden alle 37 Jahre junge Mädchen aus dem Dorf, bis letztendlich wieder eine Tochter aus der Familie de Avillas von dem Vampir getötet wird. Entsprechend gehören Estelle und Anna-Maria zu den potenziellen Opfern, wenn man der Legende Glauben schenken will.

Larry stellt die tatsächliche Existenz dieses Vampirs jedoch infrage, selbst als er durch den Dorfbewohner Sanchos erfährt, dass bereits wieder ein junges Mädchen an dem alten Grab des Vampirs abhanden gekommen ist. Die beiden Männer machen sich noch in derselben Nacht auf den Weg durch die Sierra de Guadeloupe und erforschen die düstere Grabstätte. Unverhofft fallen sie einer fanatischen Zigeunergruppe in die Hände, die dem Vampir Sarkom treu ergeben ist, und als der leibhaftige Blutsauger vor dem PSA-Agenten steht, muss auch dieser seine Zweifel gezwungenermaßen beiseite räumen.

Am Ende wartet eine große Überraschung auf alle Beteiligten, und das Geheimnis um eine alte Legende wird endlich gelüftet …

Diese fast schon klassisch anmutende Schauergeschichte um die Legende des Vampirs Sarkom hüllt sich in eine leise und dennoch absolut mitreißende Atmosphäre. Die raue Natur der Sierra de Guadeloupe, der Waldrand, das verschlafene Bergdorf und die etwas primitiv erscheinenden Dorfbewohner, welche sich in ihren Häusern hinter den geschlossen Vorhängen verschanzen, um der drohenden Gefahr nicht ins Gesicht blicken zu müssen, tun für die richtige Stimmung ihr Übriges.

Ich hatte großen Gefallen daran, mit Larry und Sancho durch die leergefegten nächtlichen Straßen zu spazieren, hinaus über die nebligen Äcker zu wandern bis zu dem düsteren, überwucherten Grab am Waldesrand. Hinzu kommt das Rätselraten darüber, was sich tatsächlich hinter dieser Zigeunerlegende verbirgt – haben wir es mit einem leibhaftigen Vampir zu tun oder sind Larrys Zweifel an dessen Echtheit trotz aller blutigen Indizien berechtigt? An dieser Stelle beweist Dan Shocker wieder seinen unverwechselbaren Ideenreichtum und serviert uns die Auflösung in einem tragischen, wohldurchdachten Finale mit dem passenden Aha-Erlebnis. Dabei manövriert er den Spannungsbogen von Anfang an in einer schnurgeraden präzisen Linie bis zu eben diesem Punkt und verzichtet diesmal gänzlich auf jegliche Nebenhandlungsstränge, die diesen Fluss womöglich hätten stören können.

Struktur stimmt, Handlung stimmt, Atmosphäre stimmt, und die Geschichte büßt nur geringfügig ein, weil es eben doch das kleine kitschige Zwischenspiel mit diesem hübschen Zigeunermädel gibt. Ihre kompromisslose und risikofreudige Zuneigung zu unserem Helden wurde dann doch etwas zu plump herbeigeführt und hinterließ einen sehr klischeehaften Nachgeschmack. Dieses Einsprengsels „Romantik“ hätte es wirklich nicht bedurft …

_Das Geheimnis der Knochengruft_

Etwas außerhalb von Paris steht das Schloss des seltsamen Vicomte de Moulliere. Drei junge Mädchen, die der ältere Herr als Hausgehilfen angestellt hatte, sind auf ungeklärte Art und Weise verschwunden. Yvette Revlon, die letzte Vermisste, arbeitete undercover für eine Geheimorganisation, welche sich unter anderem brennend für die Forschungen de Moullieres zu interessieren scheint.

Mittlerweile ist auch die PSA auf die seltsamen Ereignisse in dem Schloss aufmerksam geworden und bringt zwei ihrer besten Agenten ins Spiel. Larry Brent macht sich auf die Suche nach einer gewissen Claudia Pascal. Sie soll ebenfalls als Hausmädchen bei dem Vicomte gearbeitet haben, doch noch teilt sie das Schicksal ihrer Genossinnen nicht – noch nicht, denn bevor Larry die junge Dame – welche an den drastischen Folgen einer Art Verstrahlung zu leiden scheint – ausgiebig befragen kann, wird auch sie von einem Unbekannten ermordet.

Morna Ulbrandson schleust sich als Anwärterin auf die freie Hausmädchen-Stelle in Schloss Moulliere ein. Schon bei ihren ersten Nachforschungen stößt sie auf einige unheimliche Gegebenheiten in dem verwinkelten Gemäuer. In einem fensterlosen Anbau ist ein Terrarium untergebracht, welches mit allerlei mutierten Pflanzen und Tieren vollgestopft scheint. Zusätzlich widmet sich der Vicomte in seinem verborgenen Labor diversen Forschungen im Bereich der Strahlenforschung, welche sicherlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Schreckliche Schreie aus dem Gewölbe zeugen von dem Horror, der sich im Keller des Schlosses abspielen muss.

Es dauert nicht lange, bis Morna das Rätsel um das grausige Schicksal der verschollenen Hausmädchen und die Knochengruft lösen kann, doch dieses Wissen soll sie ihr Leben kosten …

Der durchgeknallte Pseudo-Wissenschaftler schlägt wieder zu, nur dass sein Themengebiet diesmal gar nicht ganz so abwegig ist, außer dass die Folgen der Strahlenverseuchung dann doch ziemlich übertriebene Züge annehmen. Da löst sich das Fleisch in Minuten von den Knochen und lässt von den bedauernswerten Opfern nur noch die blanken Gerippe übrig. Sicherlich Horror pur – vor allem die tatsächlich in ihrem grausigen Zustand noch lebende Irene Duval, welche als mordlüsternes Skelett durch die Gewölbe von Schloss Moulliere spukt, sorgt für den entsprechenden Schockeffekt. Dazu kommt dieses Terrarium der Mutanten, verursacht durch die Folgen der Strahlenforschung; ebenfalls ein Glanzstück aus Dan Shockers Trash-Kiste.

Auch wenn man stellenweise dann doch etwas über die haarsträubenden Theorien schmunzeln muss, welche sich hier zusammenfügen, bekommt man wieder mal einen netten Mystery-Thriller serviert. Hier und da fehlt mir etwas die fesselnde Atmosphäre, da plätschert die Handlung gelegentlich etwas eintönig durch das Schloss, um dann aber doch wieder durch ein paar Spannungsmomente aufgefangen zu werden.

In der ersten Story werden wir also mit einer klassischen Schauergeschichte verwöhnt – die Jagd auf einen Vampir in einer rauen, wildromantischen Landschaft. Anschließend schlägt die moderne Wissenschaft zu, welche mal wieder auf die schiefe Bahn geraten ist und ohne Rücksicht auf das menschliche Leben ihren teuflischen Forschungen nachgeht. Zwei Themengebiete, die man immer wieder mal in der Larry-Brent-Serie findet, denen Dan Shocker dennoch jedes Mal eine ganze eigene ansprechende Färbung verleiht.

Apropos Färbung: Pat Hachfeld hat wieder zugeschlagen und beiden Geschichten seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt – diesmal mit einer Detailtreue und Dynamik, die mir sogar noch besser gefällt als seine symbolisch angehauchten Werke. Der Vampir und das verhüllte Gerippe sind zwei hervorragende Exemplare.

Für das Cover wurde Lonatis Meisterwerk für „Der Sarg des Vampirs“ gewählt, was eine löbliche Entscheidung ist. Das Original-Cover der zweiten Geschichte verrät dann doch einfach zu viel über „Das Geheimnis der Knochengruft“.

Dann sollte ich noch die kleinen Ausbesserungen und Anpassungen erwähnen, die der |BLITZ|-Verlag in Angriff genommen hat. Nicht nur die fahrlässigen Rechtschreib- und Logikfehler aus der Vorlage sind ausgemerzt worden, sondern man hat auch den Zeitrahmen überarbeitet. Spielte „Der Sarg des Vampirs“ im Original noch im Jahre 1981, so wird hier die Handlung in das Jahr 1999 verlegt, was man in Anbetracht der Neuauflage dieser Serie absolut positiv unterstreichen kann. Man darf also weiterhin gespannt sein …

http://www.BLITZ-Verlag.de

Anderson, Jeffrey – schlafende Tod, Der

_Inhalt_

In Los Angeles erkranken mehrere Menschen an einer scheinbaren Virusinfektion, die innerhalb weniger Tage zum Tod führt. Symptome sind Magen-Darm-Krämpfe und massive Blutungen aus dem Unterleib und dem Mund-Rachen-Bereich. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Da stündlich neue Patienten gemeldet werden, werden die Katastrophenschutzbehörde und die Seuchenzentrale sowie FBI, CIA und NSA alarmiert.

Der FBI-Agent Alan Thorpe und sein hochkarätiges Wissenschaftler-Team nehmen sich der Sache an, um dem Virus auf die Spur zu kommen. In einem Hochsicherheitslabor untersuchen sie Proben von Erkrankten und finden tatsächlich etwas: Nanoröhrchen – winzigste Bauteile der Nanotechnologie. Die Angst, es mit einer künstlich hervorgerufenen Viruserkrankung zu tun zu haben, steigt extrem an, zumal die Computerprognosen über die Verbreitung der Krankheit eine eindeutige Epidemie hervorsagen.

Zeitgleich wird eine entsetzliche Entdeckung im Internet gemacht: Die Besucher der Pentagon-Seite werden umgeleitet – zu einer Drohung, die ihnen den Nanotod im Namen von Allah ankündigt! Nicht nur in Los Angeles bricht Panik aus, denn der Nanotod schlägt nun auch in anderen Städten gnadenlos zu.

Für Präsident Sutherland ist die Lage prekär, die Weltmacht USA muss auf diesen offensichtlichen Anschlag reagieren. Als der Verdacht aufkommt, dass syrische Terroristen die Urheber der Katastrophe wären, plant er einen militärischen Eingriff. Doch bevor der Krieg ausbrechen kann, gibt es neue Beweise, dass die Terroristen aus dem eigenen Land kommen. Ein Agent, der in die Terroristenbande eingeschleust wurde, bringt nicht nur neue Informationen mit, sondern auch ein Virus, das sehr schnell tötet und gegen das die Wissenschaftler noch kein Mittel haben …

_Meinung_

Das ist längst noch nicht alles, was auf den 412 Seiten dieses Thrillers passiert, aber es reicht, um im Groben zu verstehen, worum es geht: Um Terrorismus, Wissenschaft, Politik und um Menschenleben. Dieser Thriller lässt sich kaum aus der Hand legen, denn er ist verflucht spannend! Bereits die ersten Seiten fesseln den Leser; die Story setzt mit der Erkrankung ein und schnellt damit augenblicklich auf ein hohes Spannungslevel – und das Schöne daran ist, dieses Level wird konstant gehalten!

Viel trägt dazu bei, dass das entworfene Szenario sehr realitätsnah gehalten ist; es spielt zwar nicht in der Gegenwart (das ist nur daran zu erkennen, dass Bush nicht mehr der Präsident der USA ist), allerdings auch nicht in allzu weiter Zukunft. Eine solche Nanotechnologie-Biowaffe könnte tatsächlich in wenigen Jahren bereit sein, fast die gesamte Menschheit innerhalb kürzester Zeit auszulöschen. Die psychologische Angst, die geschickt auf den Leser übertragen wird, begleitet diesen durch die Seiten und lässt ihn mit den Wissenschaftlern mitfiebern, die unter schwersten Bedingungen ein Heilmittel suchen.

Das Debüt von Jeffrey Anderson ist ein Wissenschaftsthriller, und demnach finden sich reichlich wissenschaftliche Ausführungen, die den Laien erklären sollen, was da eigentlich gerade stattfindet. Ich gebe zu, ich habe zwar nicht alles verstanden, aber das, was ich begriffen habe, reichte allemal, um den Roman nachzuvollziehen und zu genießen. Der Autor baut auch nicht einfach einen trockenen Absatz mit Erklärungen ein, sondern bringt dem Leser die Informationen größtenteils mittels Dialogen nahe – eine sehr schöne Variante, da sie gleich auch die Charaktere formt und deren Fachkompetenz als Super-Genies unterstreicht. Ich habe es ihnen jedenfalls abgekauft, dass sie Koryphäen auf ihrem jeweiligen Gebiet sind!

Zur besseren Vorstellung hat der Autor das Biodefense-Team (Alan Thorpe & die besagten Genies) auf der allerersten Seite gesondert vorgestellt. Das hilft natürlich, diese Figuren dem Leser nahezubringen und sie als \“Helden\“ wiederzuerkennen. Nun sind mir diese fünf Charakter nicht unbedingt ans Herz gewachsen, aber unsympathisch kann man sie auch nicht nennen. Doch nur der Agent Alan Thorpe und der Arzt Sam Goldberg konnten meine volle Aufmerksamkeit erreichen, da diese beiden jeweils mitten im Zentrum eines Krisengebietes kämpften: Alan inmitten von hochrangigen Politikern bis hin zum Präsidenten, und Sam inmitten der Infizierten im LA-Krankenhaus. Die restlichen drei kämpfen zwar verbissen um ein Heilmittel, sind mir aber als Figuren nicht so nahegegangen, weil sie doch eher außerhalb der Gefahr stehen. Auch sind ihre Eigenschaften blasser ausgefallen (außer ihrer fachlichen Kompetenz, wie erwähnt) und damit gibt es weniger Identifikationspotenzial für den Leser.

Insgesamt ist das Debüt von Anderson ein gelungener, spannender Wissenschaftsthriller, der gerade durch seine Realitätsnähe besticht und mitreißt. Ich spreche damit eine Empfehlung aus, und zwar nicht nur für Fans von Wissenschaftsthrillern.

_Der Autor_

Jeffrey Anderson, Dr. med. und Dr. phil, ist Neuroradiologe an der Universität von Utah und veröffentlicht seine Forschungsergebnisse in den führenden amerikanischen Fachzeitschriften wie \“Science\“, \“Nature Neuroscience\“ und \“Neuron\“. \“Der schlafende Tod\“ ist sein erster Roman und mit seinem zweiten Werk \“Die Erben der Schöpfung\“ wartet bereits ein neuer Wissenschaftsthriller im Handel.

http://www.goldmann-verlag.de

Michal Zamir – Das Mädchenschiff

Der Wehrdienst für Frauen ist in Deutschland erst seit einigen Jahren ein Thema und im Gegensatz zu den Männern, die verpflichtet sind, dem Vaterland in irgendeiner Form zu dienen, steht es den Frauen frei, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. In Israel ist das anders. Dort müssen beide Geschlechter jeweils zwei Jahre Dienst ableisten.

So auch die achtzehnjährige Ich-Erzählerin, die ihrer Verpflichtung als Bürokraft auf einem Fortbildungsstützpunkt nachkommt. Sie ist nicht besonders motiviert, obwohl sie sich vorstellen könnte, später Medizin zu studieren. Doch ihre Zukunft interessiert sie nicht sonderlich. Ihr Leben spielt sich momentan in einem kleinen Büro ab, wo sie Kaffee kocht und Gläser spült. Zwischendurch gibt sie sich den Offizieren hin, was in schöner Regelmäßigkeit in Schwangerschaften endet, da sie die Pille nicht verträgt. Nicht immer ist sie dabei mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden, aber so läuft das nun mal bei der Armee.

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Hegen, Hannes (Hrsg.) / Dräger, Lothar (Text); Hegenbarth / Edith (Zeichnungen) – Digedags in New Orleans, Die (Amerikaserie, Band 7)

Unter der Schirmherrschaft von Hannes Hegen erschienen im „Mosaik“ Monat für Monat die Abenteuer des zwergenhaften Trios bestehend aus den mutmaßlichen Brüdern Dig, Dag und Digedag – kurz: „Die Digedags“. Allerdings nur im Osten der Republik, denn im Westen waren (und sind) die drei umtriebigen Wichte – und Vorväter der etwas bekannteren „Abrafaxe“ – weitgehend unbekannt. Nach der Wiedervereinigung wurde es still um die Digedags, bis 2005 alle bisher erschienenen Geschichten vom wiederauferstandenen Verlag Junge Welt noch einmal als Sammelbände zu je vier Heften komplett neu aufgelegt wurden.

_Die Digedags_

Die drei tauchen in verschiedenen Menschheitsepochen auf und erleben dort ihre Abenteuer bzw. begleiten Persönlichkeiten dieser Ära mit Fleiß, Wissen und Witz. Die stets jugendlich wirkenden Digedags altern nicht und ihr markantes Äußeres bleibt weitgehend unverändert – sämtliche leichten Variationen in ihrem Aussehen sind wohl eher der Weiterentwicklung Edith Hegenbarths als Zeichnerin zuzuschreiben. Die Texte legte ihnen Lothar Dräger in den Mund, das heißt: nein, nicht direkt. Bei den Digedags herrscht nämlich weitgehend Sprechblasenfreiheit. An die Untertitelung der Panels hat man sich aber schnell gewöhnt und sie schätzen gelernt.

_Die Amerikaserie_

Die Amerikaserie, welche 1979 erstveröffentlicht wurde, ist eine der größten und umfasst 60 Einzelhefte (von 152 bis 211). Diese schafften es, ursprünglich zusammengefasst in insgesamt zehn Sammelbände, bis zur stolzen achten Auflage. Diese erschien noch 1989, kurz vor dem Mauerfall. Die Geschichte der Amerikaserie beginnt in New Orleans 1860 bevor der amerikanische Bürgerkrieg ausbrach und sie endet in New York vier Jahre später. Bis dahin haben sich die Digedags quer durch den nordamerikanischen Kontinent gewuselt und im Kampf gegen die Sklaverei allerhand erlebt.

_Band 7: Die Digedags in New Orleans (Mosaik 176 bis 179)_

Die Digedags sind gewissermaßen gezwungen, die entdeckte Goldmine (vgl. „Die Digedags in den Rocky Mountains“) auszubeuten, dafür brechen sie aus dem langsam winterlich werdenden Gebirgstal auf, um ihr weiteres Vorgehen mit Jeremias Joker in New Orleans abzusprechen. Der ursprüngliche Plan, den Fund geheimzuhalten, um das malerische Tal von marodierenden Goldsuchern freizuhalten, scheiterte an Mrs. Jeffersons Hartnäckigkeit. Zu guter Letzt hatte die Lady doch den richtigen Riecher und fand die Mine aufgrund eines peinlichen Fehlers des Trios. Obwohl Dig, Dag und Digedag sie vorsichtshalber als ihren Claim abgesteckt und markiert hatten, sieht sich die alte Dame als rechtmäßige Besitzerin. Ihr treuer Freund Colonel Springfield verspricht den Digedags, die Insel bis zu ihrer Rückkehr in eine uneinnehmbare Festung zu verwandeln.

Derzeit haben die Digedags aber andere Probleme, während ihre Widersacher den Winter über in den Rockies festsitzen und mit dem Gold der Mine nichts anfangen können. Bei einem Überfall auf den Prärie-Express werden ihnen ihre Tagebücher geklaut, in welchen sie akribisch alles eingetragen haben – natürlich auch den Fundort des Indianer-Goldes. Ihres fahrbaren Untersatzes ebenso beraubt, müssen sich die drei erst einmal eine andere Art der Fortbewegung organisieren. Die Banditen verkaufen derweil die Tagebücher, ohne genau hineingesehen zu haben, an Mr. Potter, den Zeitungsverleger des „New Orleans Magazine“, in dessen Diensten die Digedags bekanntlich stehen (vgl. „Die Digedags in Amerika“). Der stolpert über die Schilderung des Goldfundes und wittert eine Sensation: „Gold in den Rocky Mountains“ titelt er eine Sonderausgabe. Er bedenkt in seinem Streben nach journalistischem Ruhm allerdings nicht, dass er grade damit gefährliche Leute anlockt.

_Eindrücke_

Der jetzige Band 7 war früher Band 5, was Titelgebung und Anfang angeht – auch markieren beide in etwa die Hälfte der Serie. Die Neuaufteilung beschert hier eine seltene Überschneidung von Neu und Alt. Bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls. Da die Sammelbände seit ihrem Re-Release 2005 kürzer ausfallen, fehlen gegenüber der alten DDR-Ausgabe zwei Kapitel bzw. sind in den nächsten Band ausgelagert worden – logischerweise die letzten. Dennoch ist der Schnitt in diesem Fall nicht so drastisch und unpassend, wie es leider in der Neuauflage sonst fast ausnahmslos der Fall ist. Die Episode endet erstaunlich rund mit dem erneuten Aufeinanderprallen der beiden alten Rivalinnen „Lousiana“ und „Mississippi Queen“ (vgl. Band 1 und 2), so viel sei bereits verraten. Doch zunächst heißt es für die Digedags mal wieder, Rückschläge einstecken und quasi zurück zu den Wurzeln: nach New Orleans.

Es verläuft jedoch weitaus komplizierter und unangenehmer als geplant. Das liegt zum Teil daran, dass Oberfiesling Coffins mitmischt und in (Ex-)General Knocker neue Unterstützung findet. Auch Kapitän und Jefferson-Neffe Baxter ist wieder mit dabei, ebenso natürlich Mr. Potter und die sympathische Joker-Familie, welche die Geheimorganisation „Sklaven Express“ betreibt, die entlaufenen Farbigen die Flucht in den freien Norden ermöglicht. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass in der Neuauflage die häufige Verwendung des Wortes „Neger“, welches heutzutage doch ziemlich abwertend klingt, nicht – political correct – in „Farbige“ oder wenigsten „Schwarze“ abgeändert wurde. Zumindest wenn die Good Guys über die Sklaven reden, passt die Verwendung des altertümlichen und recht abfälligen Terminus nicht. Das aber nur am Rande bemerkt. Zeichnerisch gehört Band 7 zu den gehobeneren, insbesondere der Showdown der beiden Raddampfer ist überaus gelungen dargestellt.

_Fazit_

Die Mitte der Serie erweist sich als vergleichsweise actionreiche Episode der kultigen Digedags-Abenteuer. Gewürzt ist der Beginn des Schlussspurts wieder einmal mit viel Witz und moralisch einwandfreien Lehren – ohne dabei den dozierenden Zeigefinger zu erheben. Leider krankt auch dieser Sammelband an der (mit 13 Euro pro Ausgabe ziemlich überteuerten) Neuauflage und der Kürze von nur vier Kapiteln gegenüber deren sechs in der DDR-Originalausgabe bis 1989. Natürlich ergibt die Amerikaserie nur komplett wirklich Sinn, was die Sache entsprechend verteuert. Falls es sich also einrichten lässt, und vor allem der Preis stimmt, sind die alten Fassungen (insgesamt zehn Bände) stets vorzuziehen, zumal sie in der Neuauflage (15 Bände) inhaltlich nicht – oder wenn nur unmerklich – überarbeitet wurden.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

„Die Digedags in New Orleans“ – Amerikaserie, Band 7
Enthält die Mosaik-Hefte 176 bis 179
© 1980 und (Neuauflage) 2005 – Buchverlag Junge Welt, Berlin
Herausgeber: Hannes Hegen
Text: Lothar Dräger
Figurinen: Edith Hegenbarth
ISBN: 3-7302-1879-4 (neu)

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Wilson, Charles – Sharks! Gefahr aus der Tiefe

An der Küste des US-Staates Mississippi, dort, wo der gleichnamige Fluss sein riesiges Delta bildet, bevor er in den Golf von Mexiko und damit ins offene Meer mündet, treibt ein Untier sein Unwesen. Die ersten beiden Opfer sind zwei Kinder, und dann erwischt es zwei Fischer, bevor die Behörden aufmerksam werden.

Matt Rhiner von der Küstenwache beschäftigt seit einiger Zeit eine Reihe eigentümlicher Wrackfunde vor der Küste; die Schiffskörper sehen aus, als seien sie auf offener See in eine Schrottpresse geraten. Admiral Vandiver, der Direktor des US- Marinenachrichtendienstes, liebäugelt dagegen mit einer abenteuerlichen Theorie: Was wäre, wenn der sagenhafte Megalodon, eine Haifischart, von der die Wissenschaft vermutet, dass sie mehr als 30 Meter Länge erreichte, nicht wie bisher vermutet vor Millionen von Jahren ausgestorben ist, sondern in der unerforschten Tiefsee überleben konnte und nun durch eine Laune der Natur in die flachen Küstengewässer vertrieben wurde?

Leider hält sich Vandiver, der nicht ohne Grund um seinen Ruf bangen müsste, wenn die Marine von seinem Steckenpferd (bzw. Monsterhai) erführe, sehr bedeckt. Trotzdem ordnet er eine Untersuchung an, weiht aber nur seinen Neffen, den Leutnant zur See Douglas Williams, in seine Theorie ein und schickt ihn an die Küste, um sich dort quasi inkognito umzusehen. So bleibt die Bevölkerung ungewarnt und ahnungslos, während sich einige wahrlich ungeheuerliche Gäste aus der Urzeit der Küste nähern …

Willkommen im Haifischbecken des Fast-Food-Unterhaltungsromans, wo es gilt, möglichst viele Leser zu schnappen, bevor sie merken, dass sie einem Raubfisch in die Falle gegangen sind, der es auf ihr Geld abgesehen hat. Dann ist es meist zu spät, und das Opfer bleibt belämmert und um eine trübe Erfahrung reicher mit einem Buch in der Hand zurück, das es zu Hause verschämt in eine möglichst dunkle Ecke des Regals schiebt.

Dies ist das Biotop, in dem Geschöpfe wie der Autor Charles Wilson prächtig gedeihen. Er hat noch niemals in seiner offensichtlich recht erfolgreichen Karriere einen eigenen Gedanken gehabt und ist stets prächtig damit gefahren, erfolgreiche Vorbilder einfach abzukupfern. Auf seiner Veröffentlichungsliste finden sich außer den \“Sharks\“ das obligatorischen Garn vom dämonischen Serienkiller (\“Ein stiller Zeuge\“) sowie gleich zwei dreiste Rip-offs des Preston/Child-Bestsellers \“Relic – Museum der Angst\“ (\“Ahnherr des Bösen\“ und \“Expedition ins Grauen\“), wobei sich der Autor auch großzügig bei Philip Kerr (\“Esau\“) und selbstverständlich Michael Crichton (\“Congo\“) bedient.

Für \“Sharks!\“ plündert Wilson nun einen anerkannten Klassiker (natürlich ist Peter Benchleys \“Der weiße Hai\“/\“Jaws\“ von 1974 gemeint) und eine echte Gurke (Steve Altens \“Meg – Die Angst aus der Tiefe\“/\“Meg\“, 1997; zwei Jahre später kongenial schundig fortgesetzt mit \“Höllenschlund\“/\“The Trench\“). Man muss ihn schon wieder bewundern, denn wer außer einem wahrlich unerschrockenen Geist würde es wagen, dieses ausgefahrene Gleis anzusteuern? Die Geschichte vom bösen Hai, dem Monster, das aus der Tiefe kommt, den Menschen dort angreift, wo er fremd ist und daher verletzlich, und dadurch beinahe instinktive Urängste weckt, lässt sich nur geringfügig variieren: Hai taucht auf – frisst Schwimmer, Angler, Taucher – wird entdeckt und gejagt – frisst mindestens einen der Häscher – wird gestellt & nach hartem Kampf erlegt. Welche Abweichungen sind von diesem Plot schon möglich? Peter Benchley hat es selbst einmal versucht und dabei den eigenen Klassiker anscheinend auf die Schippe genommen, als er in \“Shark\“ (\“White Shark\“, auch \“Peter Benchley\’s Creature\“, 1995) einen Nazi-\’Wissenschaftler\‘ Menschen- und Haifisch-Gene mischen und ein Ungeheuer erschaffen ließ, das sogar auf dem festen Land umhergeistern konnte.

Wilson ist freilich nicht so souverän. Er geht auf Nummer sicher, und das heißt: mehr Haie, und größer werden sie auch. Nur kennen wir auch die Geschichte vom Baby-Monster, das in die Enge getrieben wird, was seine ungleich größeren Eltern auf den Plan ruft, ebenfalls nur zu gut. Seien wir außerdem ehrlich: Was ist erschreckend an einem 60 (!) Meter langen Hai? Das ist ein derartig übertriebenes Angstbild, dass es sich sofort in sein Gegenteil und damit ins Lächerliche verkehrt.

Der Leser, der vom \“Weißen Hai\“ noch nie gehört haben sollte, wird sich freilich recht gut unterhalten fühlen. Die zusammengeklau(b)ten Versatzstücke montiert Wilson zu einem routiniert geschriebenen Abenteuergarn. Die obligatorische Liebesgeschichte und die Kind-in-Gefahr-Szene fehlen ebenso wenig wie allerlei pseudowissenschaftliche \’Erklärungen\‘ dafür, wieso plötzlich ausgerechnet vor der Mündung des Mississippi luftschiffgroße Urzeithaie auftauchen.

Den schwachsinnigen \’deutschen\‘ Titel hat \“Sharks!\“ freilich nicht verdient. Hier ist Charles Wilson mit \“Extinct\“ (= \“Auslöschung\“) eine viel schönere und dem Rummelplatzcharakter der Geschichte angemessene Kopfzeile eingefallen.

Kelly, Joe / Sable, Marc – Supergirl – Enthüllungen (100% DC Bd.10)

_Story_

Supergirl sucht vehement ihren Platz im Superhelden-Kosmos der Erde, findet jedoch aufgrund ihrer Vergangenheit keinen echten Anschluss. Bei den Outsiders wird sie lediglich geduldet, vollführt an ihrer Seite jedoch einen schwierigen Einsatz, der auch das Interesse Powerboys weckt, der sich sofort in die junge Superheldin verliebt und ihr auf Schritt und Tritt folgt. Tatsächlich gewinnt der verwegene Schönling ihr Herz und schenkt Supergirl die lange Zeit vermisste Geborgenheit. Als ihr alter Gefährte Boomer jedoch in Schwierigkeiten gerät und ihrer Hilfe bedarf, zeigt Powerboy sein wahres Gesicht und seine kranke Identität.

Derweil wird Kara Zor-El ständig von Visionen ihrer Vergangenheit auf Krypton geplagt. Ihr Vater fordert nach wie vor von ihr, Superman zu töten, weil dieser für die damaligen Eingriffe aus der Phantomzone des Planeten verantwortlich scheint. Supergirl ist hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und Emotionen, steht jedoch unter dem Druck, alsbald eine endgültige Entscheidung zu treffen – bevor diese ihr von anderer Seite abgenommen wird …

_Persönlicher Eindruck_

Bereits zum dritten Mal beschäftigt sich die Sonderreihe \“100% DC\“ mit der jungen Superheldin aus dem direkten Umfeld Supermans und erzählt dabei kontinuierlich die Geschichte der gleichnamigen US-Serie chronologisch fort. Der zehnte Band dieser Paperback-Reihe enthält dabei jedoch keine lückenlose Zusammenstellung, sondern die Hefte 11 und 13 bis 17, was ein wenig seltsam anmutet, da dieser Sprung zwischen den Kapiteln zu Beginn der Story auch tatsächlich einige Verständnis- und Orientierungsprobleme hervorruft.

Davon abgesehen ist \“Enthüllungen\“ auch inhaltlich keine durchweg überzeugende Geschichte, wobei gerade die etwas naiv beschriebenen Liebschaften zwischen Supergirl und Powerboy bisweilen säuerlich aufstoßen. Speziell in den diesbezüglichen Episoden innerhalb dieses Sammelbandes bewegt sich Autor Joe Kelly auf echtem Teenie-Niveau, was zwar der adäquaten Altersklasse der Titelheldin entspricht, sprachlich und auch auf die Handlung bezogen indes aber eher peinlich wirkt. Kein Wunder also, dass die Freude groß ist, sobald Supergirl ihren zwischenzeitlichen Herzbuben wieder abschießt und Platz für die eher spannende Geschichte um ihre persönliche Vergangenheitsbewältigung schafft.

Andererseits sind die Aufarbeitung der Kindheitstragödie sowie ihr momentanes Schicksal unnötig komplex geraten; eine Ausnahmeerscheinung im Vergleich zu der simpel gestrickten Handlung in den ersten Kapiteln des Bandes, die nur schwer in Harmonie zu bringen ist. Jedoch wird erst hier der Nährboden für eine actionreiche, grundlegend tiefe Story ausgelegt, deren wahres Potenzial sich aber wohl erst in der Fortsetzung zeigen wird. Nach einigen durchschnittlichen Momenten zu Beginn und dem beachtlichen Finale auf den letzten Seiten hat der Autor in Verbund mit seinem Sidekick Marc Sable nämlich einen verblüffenden Cliffhanger inszeniert, der zu guter Letzt überraschenderweise doch noch Lust auf mehr macht. Rein inhaltlich war an dergleichen nämlich kurzzeitig gar nicht mehr zu denken.

Unterdessen sind die Charakterzeichnungen konträr zur ermüdenden Anfangshandlung ein echtes Prunkstück, wenngleich sich Kelly ebenfalls recht schwertut, Supergirl eine Art Bad-Girl-Image zu verpassen und sie somit in die Reihe derjenigen DC-Figuren einzuordnen, die ebenfalls keiner klaren Seite zugehören. Ob Kara Zor-El jedoch überhaupt dorthin hineingepresst werden kann, muss die Zukunft zeigen; bislang herrscht in dieser Beziehung noch eine gewisse, undurchdringliche Ambivalenz. Zeichnerisch ist \“Enthüllungen\“ überdies ebenfalls makellos, gerade hinsichtlich des Wechsels zwischen Aktualität und der schweren Vergangenheit auf Krypton, der hier sehr stimmungsvoll eingefangen wurde. Schade, dass die Story hier nicht ganzzeitig mithalten kann.

Die zehnte Edition von \“100% DC\“ ist dementsprechend ein ziemlich zwiespältiges Unterfangen, welches sowohl handlungsbezogen in zwei völlig konträre Ebenen gespalten werden muss als auch im Vergleich zwischen illustrativer und geschriebener Kunst eine klare Zweiteilung erfährt. So ist inhaltlich eine Entwicklung zu spüren, die sich erst mit dem rasanten Schlussspurt in befriedigende Gefilde flüchtet, wohingegen der Kontrast zwischen einfacher, gewöhnlicher Sprache und erstklassigen Zeichnungen diesen qualitativen Sprung noch einmal nachhaltig festhält. In den letzten Szenen eröffnet sich aber dennoch das kaum noch vermutete Potenzial der Erzählung und mündet in eine überzeugende Endsequenz, die unverhofft doch noch die Lust auf eine Fortsetzung weckt. In \“Enthüllungen\“ ist ergo zwar bestimmt nicht alles Gold, was glänzt, aber alles in allem erhält der geneigte Leser und Fan wider erster Erwartungen eine ganz ordentliche Geschichte mit interessanten Wendungen und gut ausgeprägten Charakterzeichnungen – mehr, als man nach den einleitenden Kapiteln erwarten durfte!

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Bardola, Nicola – Schlemm

|“Genug für andere gelebt, leben wir wenigstens dieses letzte Stück Leben für uns selbst … packen wir unsere Sachen; nehmen wir rechtzeitig Abschied von der Gesellschaft; machen wir uns los von diesen aufdringlichen Banden, die uns an anderes fesseln und uns von uns selbst entfremden.“| Montaigne

Paul Salamun hat Krebs. Er ist 75 und hat sein Leben gelebt, sodass er beschließt, sich nicht operieren zu lassen, keine lange Therapie durchzustehen und ohne Schmerzen und weiteres Leid aus dem Leben zu scheiden. Gemeinsam mit seiner Frau Franca beschließt er, sich am 9. Dezember das Leben zu nehmen, Franca will es ihm gleichtun, obwohl sie gesund ist. Sie informieren nur ihre beiden Söhne von dem geplanten Selbstmord, damit die Familie voneinander Abschied nehmen kann. Die Salamuns wenden sich an die „Right of Way Society“ (ROWS), die ihnen am festgesetzten Sterbetag den Todescocktail mixen und die beiden auf ihrem Weg aus dem Leben begleiten wird. Moderne Sterbehilfe, das ist möglich in der Schweiz, sorgt aber auch dort noch für Aufsehen.

Elf Tage vor dem 9. Dezember erfährt Sohn Luca von den Plänen seiner Eltern, mit denen er schon lange keinen guten Kontakt mehr hat. Nur noch elf Tage lang wird er das Kind seiner Eltern sein, danach werden sie ihrem Leben eigenhändig ein Ende setzen. Luca ist aufgewühlt, nur wenig Zeit bleibt ihm, um mit seinen Eltern ins Reine zu kommen, um Abschied zu nehmen und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass seine Eltern ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmt haben. „Lebenssatt“ sind die beiden, wie Franca es bezeichnet. |“Eine späte Variante der eisernen Lunge. Kinder längst aus dem Haus. Erste Gebrechen, die Hüfte, Gallensteine. Mehr Falten. Alles erledigt. Alles Sehenswerte gesehen. Alles gelebt. Aufgaben erfüllt. Vieles nur noch Routine. Auch die kleinen Freuden – nur Wiederholungen. Neugier abhanden gekommen“.|

All dies erfährt Luca aus den Tagebüchern seines Vaters, die Paul seinem Sohn vermacht hat, um von seinem Leben zu erzählen und um seinem Sohn seine innersten Gedanken und Erlebnisse mitzuteilen. Einst war Paul ein begabter Mathematiker und leidenschaftlicher Bridge-Spieler, doch mit dieser Welt seines Vaters kann Luca nichts anfangen. Lange braucht es, bis er diese Begabungen seines Vaters nachvollziehen kann und bis er sein eigenes Interesse am Kartenspiel entdeckt.

Der Schweizer Autor Nicola Bardola hat ein – für deutsche Verhältnisse – heißes Eisen angefasst. Aktive Sterbehilfe ist hierzulande verboten, nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sich auch hier eine Organisation bildete, die Menschen mit Todeswunsch auf ihrem Weg begleiten und ihnen dann sogar den Todescocktail mixen würde. Doch ist es wirklich so abwegig, dass Menschen lieber ohne langes Leid sterben wollen? Wenn sie es noch selbst entscheiden können? Wenn sie noch selbst wissen, was sie tun und ihnen Gelegenheit bleibt, von ihren Freunden und Verwandten Abschied zu nehmen? Paul und Franca entschließen sich in „Schlemm“ dazu, genau dies zu tun. Und Bardola weiß, wovon er schreibt, denn seine eigenen Eltern sind diesen Weg gegangen. Bardola selbst findet sich in Luca wieder, dem Sohn, dem es so schwer fällt, den Wunsch seiner Eltern zu verstehen und der lange braucht, um dies zu verdauen.

Paul und Franca haben an alles gedacht, sie konnten ihre eigene Beerdigung planen. Am Tag vor ihrem Tod haben sie ihre Söhne und deren Ehefrauen zu einem letzten gemeinsamen Abendessen eingeladen. Anschließend haben sie alles beiseite geräumt, die Küche geputzt und die Briefe an die Bekannten zum Briefkasten gebracht, die erst dann ankommen würden, wenn bereits alles zu spät wäre. Wie aber lebt es sich mit dem Wissen, dass die eigenen Eltern diesen Schritt tun wollen? Wie soll man sich wirklich von ihnen verabschieden? Diese Frage versucht Bardola zu klären. In vielen Rückblicken erzählt er aus Pauls und Francas Vergangenheit, er beleuchtet ihre Ehe und lässt durchblicken, dass diese eigentlich gar nicht die beste gewesen ist. Doch wieso folgt Franca dann ihrem Mann, obwohl sie selbst doch noch gesund ist? Wieso dieser Wunsch, einem Mann zu folgen, der vielleicht gar nicht zu ihr gepasst hat? Die beiden unternehmen vor ihrem Tod einen langen Spaziergang zusammen, blicken über ihre Heimat, lassen ihr Leben Revue passieren, rauchen noch ein paar Zigaretten gemeinsam und stellen sich auf das nahende Ende ein.

Bardola ist sehr nah an den Menschen dran, er schildert ihre Gedanken, blickt in die Vergangenheit zurück und beschreibt ihre Handlungen und Gefühle. Doch missglückt dieser Versuch meiner Meinung nach. Bardola springt von einer Szene zur nächsten, er wechselt ständig die Zeitebenen, macht nur sehr kurze Kapitel, die kurzen, abgerissenen Gedankenfetzen gleichen. So mutiert „Schlemm“ zu einem Stück Prosa, dem jedweder Zusammenhang fehlt. Ich bin nie mit den Charakteren warmgeworden, die Handlung und Zeitebenen sind chaotisch und schwer nachvollziehbar. Und auch Nicola Bardolas teils recht kühle Sprache stand in einem zu krassen Gegensatz zu dem Thema, das er hier abhandeln möchte.

Auch wenn das Thema das Buches so wichtig ist, so beladen mit Gefühlen, mit Trauer, Verzweiflung, Abschied, so wenig schafft es Bardola letztlich, diese Gefühle zum Leser zu transportieren. Die permanenten Gedankensprünge stören immer wieder den Lesefluss und auch die vielen Exkurse über das Bridgespielen passen so gar nicht zum Thema Sterbehilfe. Die widersprüchlichen Kritiken – insbesondere über Bardolas Sprache – sind in einem Anhang im Buch zusammengefasst und machen nochmals deutlich, wie unterschiedlich sein Stil beurteilt wird. Mir persönlich war seine Sprache zu distanziert und abgeklärt, obwohl dies vielleicht für Bardola der Weg gewesen ist, um selbst eine Distanz zu diesem Buch herstellen zu können. So sehr ich es mir auch gewünscht hätte, ließ mich dieses Buch kalt und berührte mich trotz der dramatischen Thematik überhaupt nicht. Nur kurze Zitate, überaus treffende Beobachtungen, wie ich sie oben angeführt habe, ließen mich aufhorchen und stimmten mich nachdenklich, doch zu selten sind diese Passagen, die den Leser berühren, als dass ich dieses Buch weiterempfehlen könnte.

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Hohlbein, Wolfgang u. a. – Flammenflügel. Fantastische Drachengeschichten

Unter dem Titel „Flammenflügel“ hat Wolfgang Hohlbein Drachengeschichten zusammengetragen, geschrieben von den „renommiertesten und erfolgreichsten Jugendbuchautoren Deutschlands“ – so der Verlagstext. Von außen sieht das Buch ja schon mal nicht schlecht aus, mir zumindest gefällt die Darstellung eines Drachens als Schmuckstück vor dem grüngeschuppten Hintergrund.

Also schauen wir mal zwischen die Buchdeckel: Neun Geschichten finden sich da. Neun? Waren es laut Verlagstext nicht zehn Autoren? Wer fehlt denn da? Jenny May-Nuyen. Ausgerechnet die Autorin, deretwegen ich das Buch hauptsächlich lesen wollte! Sehr ärgerlich! Aus welchem Grund auch immer keine Geschichte dieses vielversprechenden Nachwuchstalents dabei ist – trotzdem mit ihrem Namen Werbung zu machen, finde ich irgendwie ein wenig irreführend! Na gut, lesen wir halt das, was da ist …

Die erste Geschichte trägt den Titel „Reyvigur“ und stammt von _Ulrike Schweikert_: Sie erzählt von zwei verschiedenen Stämmen in einem Land aus Eis und Frost. Sowohl die Einheimischen als auch die Flüchtlinge aus dem Süden sind auf ihre Drachen angewiesen, die ihre Behausungen mit ihrer Flamme wärmen. Als beider Drachen sich paaren und das Weibchen ein Ei legt, kommt es zum Konflikt, zumal der männliche Drache im Sterben liegt. Die Grundidee der Geschichte sowie der knappe Entwurf der Welt haben mir gar nicht mal schlecht gefallen. Sogar die Kampfbeschreibung zwischen den beiden menschlichen Hauptprotagonisten war recht gelungen. Der Rest der Erzählung ist allerdings ein wenig flach geraten und konnte mich nicht wirklich gefangen nehmen. Geradezu als störend empfand ich die Hinweise auf die körperliche Kondition des einheimischen Jägers; sie sind im Grunde überflüssig und wirken, als wäre es der Autorin nicht ganz gelungen, ihre heimliche Schwärmerei für den Jungen zu verbergen. Die Konfliktlösung am Ende war zwar naheliegend, ging mir aber doch ein wenig zu glatt und problemlos vonstatten. Ich fand diese Geschichte eher durchschnittlich.

Als nächstes erzählt _Kai Meyer_ „Komm, schweb mit mir, mein Amethyst“: Diese Geschichte ist mit nur fünfzehn Seiten die kürzeste der Sammlung, zum Glück, denn ich konnte nicht wirklich viel mit ihr anfangen. Es geht um das erste Mal, zugegebenermaßen für Jugendliche ein hochinteressantes Thema. Für Zwölfjährige ist der Text stellenweise allerdings schon ziemlich erotisch ausgefallen. Die Erzählung ist zwar einerseits durchaus stimmungsvoll und glaubwürdig geraten, andererseits spielen spielen die Drachen, die eigentlich in dieser Anthologie die Hauptpersonen sein sollten, lediglich eine kleine Rolle ganz am Rande, sozusagen als Dekoration. Irgendwie war mir das zu wenig.

„Tombola“ von _Nina Blazon_ ist die dritte Erzählung: Sie spielt in Ljubljana, wo alle zehn bis zwölf Jahre das Drachenfest veranstaltet wird. Was die Touristen für pittoreskes Brauchtum halten, ist in Wirklichkeit ein Kampf um Leben und Tod. Denn in dieser Nacht erwachen die vier Statuen der Drachenbrücke zum Leben und fordern von der Stadt ihren Tribut. Schon allein die Schilderung des Auswahlverfahrens auf dem Marktplatz zog mich in ihren Bann. Nicht nur der Zorn und die Angst des Protagonisten wirken überaus lebendig, auch die von ihm reflektierten Hintergründe des Festes sind interessant dargestellt. Richtig spannend wird es, als der Kampf beginnt. Das überraschende Ende allerdings setzt der Geschichte die Krone auf, es macht das gesamte Geschehen zu einem grausamen Spiel, umso mehr, als es vollkommen sinnlos scheint. Um es gleich vorweg zu sagen: Nina Blazons Beitrag zu dieser Anthologie war der mit Abstand fesselndste und intelligenteste unter den neun.

_Peter Schwindt_ hat „Drachenwinter“ geschrieben: Auch diese Geschichte ist mit nur siebzehn Seiten ziemlich kurz geraten, enthält aber – zusammen mit „Tombola“ – die ungewöhnlichste Idee. Ein Junge liegt im Krankenhaus und hofft, dass er seine schwere Krankheit überwunden hat. Doch die Krankheit ist unheilbar … Peter Schwindts Drache ist eine allegorische Figur, sie steht zum einen für Zerstörung, für die Krankheit und letzten Endes für den Tod. Im Laufe der Geschichte wandelt sich der Drache jedoch vom Feind zum Freund, obwohl er noch immer für den Tod steht. Eigentlich könnte man meinen, dass diese Erzählung eigentlich viel zu kurz geraten ist, um den Übergang von einem verzweifelten Überlebenskampf hin zur Akzeptanz des Unvermeidlichen zu beschreiben. Das Thema scheint viel zu umfangreich und vielschichtig dafür. Andererseits bin ich mir da gar nicht so sicher. Und dass ich mich diesbezüglich nicht wirklich entscheiden kann, sondern immer noch darüber nachdenke, spricht eigentlich nur für den Autor.

„DragonLand“ stammt von _Peter_ und _Florian Freund_: Ein Teenager fährt in den Ferien zum wiederholten Mal mit seinen Eltern in die Berge. Einziger Lichtblick scheint eine Einladung ins nahe DragonLand, einen Vergnügungspark kurz vor der Neueröffnung. Wenn da nur nicht kurz vorher das Treffen mit diesem merkwürdigen Mädchen gewesen wäre und das deutliche Gefühl, dass irgendetwas an diesem Park nicht stimmt … Zur Abwechslung spielt diese Geschichte mal in der Zukunft, ist aber trotzdem Fantasy. Die Grundidee ist zwar nicht ganz neu, sie erinnert deutlich an „Westworld“, die Figur des skrupellosen Geschäftemachers klingt dafür äußerst realistisch, und der Handlungsverlauf an sich ist auch recht lebendig gestaltet. Der Schluss allerdings ist etwas abrupt geraten und auch die Rahmenhandlung – kursiv gedruckt – glitt gegen Ende etwas ins Unglaubwürdige ab. Abgesehen davon hatte ich mit ein paar logischen Problemen zu kämpfen, zum Beispiel dem der unbekannten Insel, die der Oberbösewicht überraschend entdeckt hat, und das im Zeitalter von Google Earth. Auch sprachlich wirkt die Geschichte stellenweise etwas unausgegoren. Ankleiden statt anziehen klingt vielleicht in einem Historienroman gut, hier klingt es eher geschwollen. Damit fällt dieser Beitrag wieder eher ins Mittelfeld.

Der nächste Beitrag heißt „Silberschatten“ und stammt aus der Feder von _Katja Brandis_: Hier haben wir es mit Fantasy in ihrer klassischen Form zu tun. Der junge Held ist zu Hause ein Außenseiter, den niemand wirklich ernst nimmt. Als er den Thronfolger des Reiches daran hindert, einen schlafenden Drachen zu erschlagen, muss er fliehen. Kein leichtes Unterfangen, so ganz ohne Ausrüstung, in den Wäldern lauern gefährliche Geschöpfe und außerdem Räuber, und er wird überall gesucht. Trotzdem schafft er es beinahe, die Grenze zum Nachbarland zu erreichen. Aber nur beinahe … Diese Geschichte hat nicht gerade das Genre neu erfunden, aber immerhin ist sie nett erzählt. Der Kronprinz ist ein wenig trocken geraten, die Mitglieder der Räuberbande dagegen sind ganz gut getroffen, und die sich anbahnende Freundschaft zwischen dem Jungen und dem Drachen ist elegant eingeflochten. Nur dass der Drache Stahlseile durchgebissen hat, fand ich ein wenig übertrieben.

„Das versteinerte Herz“ hat _Ralf Isau_ geschrieben: Die Geschichte spielt in China zum ungewöhnlichen Zeitpunkt der Kulturrevolution. Eine junge Frau, deren Mutter eine berühmte Geschichtenerzählerin ist, träumt davon, das Rätsel der Drachen zu lösen, was in dieser Zeit allerdings ziemlich suspekt und damit gefährlich ist. Trotzdem lässt sie sich nicht davon abhalten und geht als Ausgrabungshelferin ins Gebirge, wo versteinerte Drachenskelette ausgegraben werden. Dort macht sie durch reinen Zufall einen erstaunlichen Fund … Als Erstes fiel mir die stellenweise recht saloppe Ausdrucksweise auf. Nicht, dass sie gestört hätte, sie bildete nur einen deutlichen Kontrast zu den bisherigen Schreibstilen und erzeugte einen Effekt, als hätte mir jemand auf die Schulter getippt, um meine Aufmerksamkeit zu erringen. Im weiteren Verlauf fällt der lockere Ton dann weg. Übrig bleibt eine sehr warmherzige Geschichte über Freundschaft und wahre Berufung, auch wenn das Verhalten der beiden Parteifunktionäre Chen und Sun stellenweise doch ein klein wenig weit hergeholt wirkte.

_Monika Felten_ hat „Die Legende der weißen Drachen“ beigesteuert: Ein junges Mädchen kämpft um das Leben seines Bruders, der im Kampf mit einem Drachen vergiftet wurde. Doch keiner der vielen Ärzte und Heiler weiß Rat. Da taucht eine schwer bewaffnete Frau im Palast auf und erklärt, nur ein weißer Drache könne ihren Bruder retten. Mit neu erwachter Hoffnung folgt die junge Prinzessin der Frau in die Berge … Auch diese Erzählung wirkt zunächst wie klassische Fantasy in Reinform. Gut gefallen haben mir der Schöpfungsmythos, den die Fremde der Prinzessin erzählt, sowie die Kehrtwendung am Schluss, die der Sache etwas Pfiff verleiht. Ansonsten tut sich innerhalb der Handlung nicht allzu viel, das Intermezzo mit dem Bären ist zu kurz geraten, um echte Spannung zu erzeugen. Übrig bleibt am Ende die Erkenntnis, dass die besten Lügen zu 98 Prozent aus Wahrheit bestehen.

Den Schluss macht _Wolfgang Hohlbein_ mit „Drachenträume“: Der Sohn des Khan hat nicht den besten Ruf, die meisten halten ihn für einen Feigling. Der Schwurbruder seines Vaters allerdings scheint irgendetwas an ihm zu finden, er bietet ihm seine Tochter zur Frau. Der Junge ist sich allerdings zunächst einmal gar nicht sicher, ob er dieses Mädchen mit dem scharfen Verstand und der spitzen Zunge wirklich will! Gut, dass er einen Drachen zum Freund hat, der ihn in seinen Träumen besucht, auch wenn Drachenweisheiten manchmal etwas unverständlich daherkommen. Diese Erzählung ist mit achtzig Seiten mit Abstand die längste des Buches. Es geht darum, was genau eigentlich feige und was mutig ist. Am Ende stellt sich heraus, dass der sogenannte Feigling den meisten Mumm hat, und das ganz ohne Kampf oder heldenhafte Rettungsaktion oder Ähnliches, sondern auf fast alltägliche und doch dramatische Weise. Angenehm ist auch, dass der Text zu keiner Zeit schulmeisterlich wirkt, sondern immer nahe am Protagonisten und deshalb ehrlich bleibt. Ich muss zugeben, mit dieser Geschichte hat Herr Hohlbein, von dessen Büchern ich bisher nicht viel hielt, mich sehr positiv überrascht.

Wenn ich jetzt für jede Geschichte Sterne von 1 bis 5 vergeben müsste, dann käme für die Anthologie insgesamt eine Bewertung von 3,7 heraus. Zwar haben mich nur zwei Geschichten wirklich begeistert, die meisten anderen waren aber immerhin nett zu lesen, wenn auch nicht gerade mitreißend. Die verschiedenen Szenarien waren vielfältig und abwechslungsreich, und die sprachliche Gestaltung größtenteils flüssig und gut lesbar. Nicht so gut war das Lektorat, vor allem Zeitfehler sind mir begegnet. Kurz gesagt: Das Buch ist durchaus eine nette Lektüre, das Prädikat „Extra-Klasse“ allerdings ist meiner Meinung nach ein wenig übertrieben.

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Gier, Kerstin – Für jede Lösung ein Problem

Gerri glaubt, sie habe nichts mehr zu verlieren. Ihr Job als Heftromanautorin ist futsch, sie ist immer noch Single und irgendwie läuft auf einmal alles schief. Die junge Frau beschließt sich umzubringen, und da kommt die Sammlung von Schlaftabletten, die ihr ihre Mutter vermacht, gerade recht. Gerri bereitet alles vor, was es für einen guten Selbstmord braucht: Sie kündigt ihre Wohnung, kauft sich ein teures Kleid und geht zum Friseur. Sie mietet ein Hotelzimmer, kauft Wodka zu den Schlaftabletten – und schreibt Abschiedsbriefe an Freunde, Verwandte und Bekannte. Dabei geht sie nicht gerade zimperlich mit ihnen um. Was kümmert sie das auch? Schließlich wird sie bereits tot sein, wenn die Adressaten die Briefe bekommen.

Leider kommt im Leben aber nicht immer alles so wie geplant. Als die junge Frau am Abend ihres Ablebens in die Hotelbar geht, um ein letztes Glas Champagner zu genießen, trifft sie auf Ole, mit dem sie beinahe mal eine Beziehung hatte und der immer noch zu ihrem Freundeskreis gehört. Damals entschied er sich statt für Gerri für seine Ex Mia, die ihn just in dem Hotel, in dem Gerri sich umbringen möchte, betrügt. Er ist Mia gefolgt, wie in einem schlechten Film, und jetzt klammert er sich an mehrere Gläser Whiskey und an Gerri, um mit seiner kaputten Ehe zurechtzukommen. Ihre Selbstmordpläne sind damit erstmal abgehakt, und nachdem die Putzfrau am nächsten Morgen auch noch Gerris Schlaftabletten aufsaugt, hat die Heldin von „Für jede Lösung ein Problem“ wirklich ein Problem. Denn ihre Abschiedsbriefe an unliebsame Onkel und Tanten, nervige Freundinnen und den neuen, gutaussehenden Cheflektor, der sie gekündigt hat, sind bereits unterwegs – und sie dummerweise immer noch am Leben.

„Für jede Lösung ein Problem“ ist ein Buch in schönster Bridget-Jones-Marnier: Die Hauptfigur ist über dreißig und verzweifelter Single mit chaotischem Leben und noch chaotischeren Freunden, einem Faible für Fettnäpfchen und einer schrecklichen Familie. Gerri lässt sich gerne unterdrücken, doch nach ihrem Selbstmord ist Schluss damit. Geschubst von ihrer resoluten Freundin Charly lernt sie auf eigenen Beinen zu stehen und macht in der Geschichte eine authentische Wandlung durch. Ob man Gerri dabei mag, liegt am Leser persönlich. Kerstin Gier schreibt Bücher, die man, ohne wertend zu werden, der Sparte „Frauenroman“ zuordnen muss. Wer dieses Genre von vornherein nicht mag, der wird auch an „Für jede Lösung kein Problem“ keine Freude finden.

Lässt man sich auf das Buch ein, bekommt man eine lustige Geschichte serviert, die ab und an zum Schmunzeln einlädt. Die Handlung ist witzig und chaotisch, wenn auch sicherlich nicht besonders realistisch. Über Giers Umgang mit dem ernsten Thema Selbstmord lässt sich ebenfalls streiten, dennoch ist die Geschichte witzige Unterhaltung. Mehr als einmal muss man lachen, da aus der Perspektive von Gerri erzählt wird und man all ihre Gedanken mitbekommt. Diese sind meist bissig, sarkastisch und stehen im Gegensatz zu dem, was sie eigentlich tut. Was Gier einigen ihrer Kolleginnen voraus hat, ist dabei, dass ihr Humor richtig schwarz und böse sein kann, so böse, wie man es vielleicht nicht unbedingt in einem „Frauenroman“ erwartet. Das macht dann sogar Leuten Spaß, die solche Bücher normalerweise nicht lesen.

Kerstin Giers Schreibstil gefällt aufgrund des hohen technischen Niveaus. Gier benutzt ein großes, aber der Geschichte angepasstes Vokabular und klare, schlüssige Satzstrukturen. Trotz der Selbstironie und der guten Portion Humor verliert sich das Buch nie in Witzeleien. Die Autorin kommt stets auf den Punkt und erzählt gerafft, aber nicht zu schnell aus dem chaotischen Leben von Gerri.

„Für jede Lösung ein Problem“ gehört zu den wenigen deutschen „Frauenromanen“, die an die Bridget-Jones-Bücher von Helen Fielding heranreichen. Die Geschichte ist witzig, selbstironisch, gut erzählt und präsentiert eine sympathische Hauptfigur. Die Handlung ist sicherlich für manche etwas zu abgeschmackt oder zu unrealistisch, aber wer sich daran nicht stört, wird mit Kerstin Giers Roman ein paar amüsante Stunden erleben.

http://www.bastei-luebbe.de

_Kerstin Gier auf |Buchwurm.info|:_
[„Die Mütter-Mafia“ 4328
[„Die Patin“ 4344

Pauchon, Sébastien – Yspahan

_Und wieder ein neues Y …_

Nach dem durchschlagenden Erfolg sowie den vermehrten Auszeichnungen für den Ystari-Erfolgstitel „Caylus“ stand der französische Kleinverlag auf der letztjährigen Messe gehörig unter Druck. Wahre Geniestreiche wurden erwartet, schließlich stand der Aufstieg in den Strategiespiel-Mainstream unmittelbar bevor. Mit „Yspahan“ legte man schließlich auch genau jenes Schwergewicht nach, das von Publikum und Kritikern gleichermaßen herbeigesehnt wurde, nämlich ein erstklassiger, angehender Klassiker, der ganz in der Tradition seiner Vorgänger „Caylus“ und [„Ys“ 4270 steht. Ergo: Operation gelungen, Patient quicklebendig!

_Hintergrund_

Im Jahre 1598 wuchs Yspahan zur Hauptstadt des persischen Reichs heran. Wirtschaftlich und kulturell erlebte man eine gewaltige Blütezeit und avancierte langsam aber sicher zum Zentrum der hiesigen Welt. Die Dörfer und Städte in der Umgebung wollten davon natürlich auch profitieren und machten sich mit Karawanen voller Edelsteine und angesagter Waren durch die Wüste in Hoffnung auf eine Zukunft in Reichtum und Ruhm. Auch die Spieler des gleichnamigen Brettspiels sind diesbezüglich voller Hoffnung und schlüpfen in die Rolle von Kaufleuten, die mit Yspahan direkten Handel betreiben. Sie bringen ihre Waren in die unterschiedlichsten Läden der vier Stadtviertel, errichten dort Gebäude und komplettieren ihre Basare, um dadurch wichtige Punkte zu ergattern. Jedoch ist Obacht geboten, denn der Aufseher des Schahs wandert durch die Straßen und prüft die Waren und Lizenzen auf Richtigkeit und Originalität – und wer seinen scharfen Augen nicht widerstehen kann, muss wertvolle Gebäude opfern und seinen Basar ruckartig dezimieren.

Über drei Wochen blüht der Handel mit Yspahan, und zum Abschluss jedes einzelnen 7-Tage-Zyklus erfolgt eine Wertung, in der die Spieler ihre bisherigen Resultate präsentieren und Punkte für ihre Bauten erlangen. Wer schließlich nach drei Wertungsrunden die Nase vorn hat, gewinnt das Spiel und darf sich selbst als bester Kaufmann Yspahans krönen.

_Spielmaterial_

• 1 Stadtplan
• 1 Würfel-Tableau
• 1- Karawanen-Tableau
• 4 Spielertafeln
• 100 Steine in vier Farben
• 2 weiße Steine (Tages- und Wochenmarker)
• 1 weiße Aufseher-Figur
• 1 schwarze Startspieler-Figur
• 25 Kamele
• 25 Goldmünzen
• 9 weiße Würfel
• 3 gelbe Würfel
• 18 Karten
• 1 Spielübersicht
• 1 Regelheft

Beim Spielmaterial sticht zuallererst die blendende Optik des Spielplans sowie der Tableaus und Spielübersichten ins Auge. Wieder einmal haben die Brüder Arnaud und Cyril Demaegd hier ihre Fantasie spielen lassen und ein stimmiges, atmosphärisch perfekt auf das Spielthema zugeschnittenes Szenario geschaffen, das außerdem sehr schön mit den bisherigen Ystari-Spielen harmoniert. Eine gewisse Homogenität ist also auch hier maßgebend, wenngleich die hierdurch ermöglichten Mechanismen mal wieder völlig neuartig und innovativ sind.

Davon abgesehen ist die Gestaltung der aktiven Materialien sehr liebevoll, vor allem demonstriert in den feinen hölzernen Kamelen und dem gewohnt tollen Holzmaterial. Stabilität und angenehmes Handling wurden groß geschrieben und legen zusammen mit der sehr guten Übersichtlichkeit den Nährboden für lang anhaltenden Spielspaß aus. Mit anderen Worten: Hier gibt’s wirklich nichts auszusetzen!

_Der Stadtplan und die Tableaus_

Zum besseren Verständnis sollte sich zunächst jeder einmal genauer mit dem Stadtplan und der Funktion der einzelnen Tableaus auseinandersetzen. Auf dem Spielfeld sind die Stadt Yspahan und ihre vier individuellen Stadtviertel abgebildet, wobei jedes Viertel mit einem bestimmten Symbol markiert ist. Abgegrenzt werden diese vier Abschnitte durch eine Straße, die kreuzartig verläuft und noch einmal in einzelne Felder unterteilt ist, die jeweils die Schritte des Aufsehers markieren. Jedes Stadtviertel ist unterschiedlich groß, was damit zusammenhängt, dass manche Gebiete in Yspahan für den Handel lukrativer sind, es jedoch auch schwieriger ist, dort seinen Basar zu errichten.

Um dies zu ermitteln, bemüht man das Würfeltableau, welches jeweils im ersten Zug jeder Runde verwendet wird. Die Spieler würfeln mit neun bis zwölf Würfeln und sortieren anschließend die einzelnen Würfel nach Augensumme. Das heißt, dass beispielsweise alle 3er, alle 5er, etc. zusammengelegt werden. Das Würfeltableau zeigt nun am untersten Rand ein Kamel, am obersten Rand ein Feld für Gold und dazwischen jeweils Flächen mit den Symbolen der einzelnen Stadtviertel. Nach dem Würfeln wird nun der kleinste Zahlenwert nach unten (also zu den Kamelen), der größte nach oben (zum Gold) und anschließend von unten an aufsteigend die übrigen Werten platziert. Dies bedeutet, dass möglicherweise manche Stadtviertel gar nicht abgedeckt werden, wenn zum Beispiel nicht alle Zahlen von eins bis sechs erwürfelt werden.

Das Würfeltableau offiert den Spielern nun verschiedene Möglichkeit; pro Runde bzw. pro Tag darf beginnend mit dem Startspieler jeder einen Satz Würfel von einem dieser sechs Felder wegnehmen und die dort angebotene Aktion ausführen. Entscheidet er sich für eines der Stadtviertel, kann er nun dort abhängig von der Anzahl der dort entnommenen Würfel Gebäude errichten. Außerdem bietet sich die Möglichkeit, eine Karte zu ziehen oder den Aufseher zu verrücken. Auf den Kamel- und Goldfeldern darf man indes so viele Kamele/Gold entnehmen, wie Würfel abgelegt wurden. Damit ist also klar, dass die Wahrscheinlichkeit, lukrative Stadtviertel zu besetzen, verhältnismäßig gering ist, und daher auch die dort zu erzielenden Punkte entsprechend viel höher sind.

Das zweite Tableau zeigt eine Kamel-Karawane mit verschiedenen Waren. Diese Karawane ist genau dann relevant, wenn der Aufseher zugeschlagen und seine Pflicht in einem der Stadtviertel abgeleistet hat. Jedes Mal nämlich, wenn der Aufseher an einer Gebäudegruppe anhält, muss der betroffene Spieler einen seiner Gebäudesteine entfernen, es sei denn, er besitzt ein Kamel und kann dieses stattdessen entrichten. Für diesen Fall wird nun das Kamel abgegeben und ein Gebäudestein auf den Anfang der Karawane gesetzt. Hierfür gibt es individuell auch Siegpunkte. Es ist auch möglich, dass eine Kartenaktion diese Alternative anbietet, was insofern vorteilhaft ist, dass man kein Kamel abgeben muss. Siegpunkte in der Karawane sind besonders wertvoll, da sie auch in jeder Wertung noch einmal abgerechnet und teilweise sogar verdoppelt und verdreifacht werden.

Als Letztes wären da noch die Spielertafeln, auf denen verschiedene Extraaktionen abgebildet sind, die man käuflich durch die Entrichtung von Gold und Kamelen erwerben kann. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, sich mit zusätzlichen Kamelen und Extra-Gold zu versorgen, den Aufseher etwas freizügiger zu verschieben, zusätzliche Karten bei einer Karawanen-Aktion zu nehmen, Bonus-Punkte in den Wertungen abzukassieren oder effizienter beim Ausbau des Basars zu agieren. Alles hat jedoch seinen Preis und ist erst nach und nach möglich. Allerdings sollte man hier nicht geizen, da es ab der dritten gekauften Zusatzaktion weitere Siegpunkte gibt.

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie werden die Tableaus und das Spielbrett auf dem Tisch ausgelegt. Der Aufseher steht an der Mitte der Straßenkreuzung, die Tages- und Wochenmarker werden jeweils auf das Feld mit der 1 gestellt. Würfel, Kamele und Gold werden bereitgelegt, wobei jeder Spieler ein Startkapital von zwei Goldmünzen erhält. Außerdem bekommt jeder die Gebäudesteine und die Spielertafel in der ausgewählten Farbe. Anschließend wird der älteste Spieler zum Startspieler gekürt und darf mit dem ersten Tag beginnen.

_Spielablauf_

Wie bereits angesprochen, verläuft das Spiel über drei Wochen, in denen jener einzelne Tag nach einem vorgegebenen Schema ausgespielt wird.
Zunächst entscheidet der Spieler, mit wie vielen Würfeln er agieren möchte. Neun weiße Basiswürfel werden jedes Mal verwendet; es besteht jedoch die Möglichkeit, sich mit einer Goldmünze einen weiteren gelben Würfel zusätzlich zu beschaffen. Insgesamt stehen hier bis zu drei gelbe Zusatzwürfel zur Verfügung, die auch nur für den Startspieler gelten und nach dessen Aktion aus dem Spiel gehen.

Nun wird gewürfelt bzw. anschließend die einzelnen Werte sortiert auf dem Würfel-Tableau verteilt. Alle Würfel mit dem niedrigsten Wert gehen in das untere Kamel-Feld, die Würfel mit dem höchsten Wert werden auf das Gold-Feld gelegt, die übrigen Werte werden von unten aufsteigend auf die Felder der einzelnen Stadtviertel gelegt.

Jetzt beginnt der aktive Teil des Spiels: Der Startspieler wählt ein Feld auf dem Würfeltableau und führt eine der drei dort aufgeführten Aktionen durch. Man darf entweder den Aufseher verschieben (und zwar um die zahl der Würfelaugen) und so möglicherweise einen Gebäudestein eines oder zweier Gegner entfernen (sofern diese sich nicht mit einem Kamel verteidigen können), eine Karte vom Nachziehstapel ziehen oder aber in dem Stadtviertel, in dem man die Würfel auf dem Tableau entnommen hat, so viele Gebäude errichten, wie Würfel vorhanden sind. Allerdings gibt es hier bestimmte Bauregeln. Die einzelnen Basare sind farblich getrennt, und man muss immer zuerst einen Basar komplett errichten, bevor man mit dem nächsten beginnt. Wer allerdings ein Gebäude erbaut hat, kann aus dem zugehörigen Basar auch nicht mehr verdrängt werden, es sei denn, der Aufseher wird dort vorstellig. Man sollte des weiteren abwägen, welchen der Basare man nun baut und erweitert, da am Ende nur komplette Basare gewertet werden und man nicht immer abschätzen kann, ob man in diesem Stadtviertel innerhalb der laufenden Woche noch einmal bauen kann. Wer sich indes für die Gold- oder Kamel-Felder entscheidet, kann statt der Bauaktion entsprechend Kamele oder Gold an sich nehmen.

Diejenigen Spieler, die nun eine Karte gezogen haben, können diese jederzeit während des Spiels ausspielen und sich hierdurch individuelle Vorteile verschaffen. In bestimmten Fällen muss man sogar eine Karte ziehen, weil keine weiteren Würfelgruppen mehr verfügbar sind.

Unterdessen kann man auch die Gebäude auf der Spielertafel jederzeit erbauen, sobald man die nötigen Materialien, sprich Gold und Kamele, zum Ausbau besitzt. Um den Bau zu markieren, setzt man auf die jeweiligen Gebäude einen Stein und darf nun die Zusatzaktionen immer nutzen, wenn sie gefragt sind.

Sobald jeder Spieler eine Würfelgruppe entnommen hat und die entsprechende Aktion durchgeführt wurde, endet ein Tag; der Marker wird um ein Feld nach vorne geschoben, die Startspieler-Figur an den linken Nachbarn übergeben und das Spiel nach dem gleichen Muster fortgesetzt.

_Die Wertungen_

Nach jeder abgeschlossenen Woche kommt es zu einer Zwischenwertung. Die Spieler erhalten nun für alle komplett errichteten Basare die zugehörige Punktzahl (und eventuell zwei Zusatzpunkte wenn sie den Markt auf ihrer Spielertafel fertiggestellt haben). Außerdem wird die Karawane gewertet. Je nachdem, in welcher Reihe der Karawane man eigene Steine platziert hat, wird die resultierende Punktzahl sogar verdoppelt oder verdreifacht.

Anschließend werden die Gebäudesteine wieder vom Stadtplan entfernt. Eine neue Woche beginnt, und alle Spieler haben nun wieder die Möglichkeit, auf den freigewordenen Basaren von Yspahan ihre Gebäudesteine unterzubringen.

Nach der dritten Woche erfolgt die Schlusswertung. Erneut werden Karawane und Stadtviertel gewertet; hinzu kommt nun aber noch die Wertung auf der Spielertafel. Die Summe aller Siegpunkte wird schließlich auf der Leiste am Rand des Spielplans markiert. Derjenige mit den meisten Punkten hat das Spiel gewonnen.

_Persönlicher Eindruck_

Zum vierten Male wurden |Ystari| nun mit einem neuen Strategiewerk vorstellig, und zum vierten Mal kann man kein anderes Resümee ziehen, als dass der französische Qualitäts-Verlag mal wieder einen echten Kracher auf das Publikum losgelassen hat. In „Yspahan“ ist die strategische Komponente zwar nicht ganz so ausgeprägt wie bei seinen direkten Vorgängern, jedoch lässt sich dies durch die enorme Spielvielfalt locker wieder ausgleichen und lässt dem Faktor Glück nur recht wenige durchschlagende Möglichkeiten.

Der gesamte Spielablauf ist dabei fast schon revolutionär; ein prinzipiell simpler, doch letztendlich innovativer Mechanismus entscheidet bereits vor der eigentlichen Aktion über den weiteren Verlauf des Spiels und markiert das einzige glückliche Element des Spiels. Nun mag jeder denken, dass die Würfelei ausschließlich auf Glück basiert, jedoch lässt sich hierzu sagen, dass nicht automatisch derjenige, der den Wurf ausführt und nun auch als Erster entscheiden darf, dringend einen Vorteil hat. Letztendlich muss er doch nach seinen Möglichkeiten handeln und überlegen, inwiefern er etwas riskiert, wo er am besten ausbaut oder ob er doch lieber auf lukrative Gebäude verzichtet, um lieber eine ganze Reihe Kamele oder Gold einzustreichen. Oft ist die Entscheidungsfindung nämlich ein verzwicktes, weil spielentscheidendes Unterfangen, bei dem man nie so recht sagen kann, ob man nun tatsächlich den richtigen Schritt gewählt hat. Die größte Auswahl bedeutet nämlich nicht zwangsläufig auch die größte Kontrolle – und das wird man im Laufe der 21 Spieltage immer wieder erfahren. Um dem übrigens ein wenig entgegenzuwirken, hat man die einzelnen Aktionskarten teilweise mit unheimlich wertvollen Handlungsalternativen ausgestattet. Zusätzliche Siegpunkte im Tausch gegen Gold und Kamele zum Beispiel können kurz vor Schluss ein wertvolles Überraschungselement sein, um das Blatt urplötzlich und unverhofft für die Kontrahenten zu wenden. Des Weiteren kommt man hier manchmal kostengünstig an wertvolle Materialien, kann beim Ausbau der Gebäude Kosten sparen oder freizügig in einem der Stadtviertel Gebäudesteine einsetzen, obwohl die üblichen Voraussetzungen gar nicht geschaffen sind. Daher sollte man mit dem Begriff ‚Glück‘ im Zusammenhang mit der Würfelaktion immer vorsichtig umgehen.

Davon abgesehen ist die Vielschichtigkeit von „Yspahan“ der wesentliche Garant für den lang anhaltenden Spielspaß. Das Spiel verfügt über eine unheimliche Tiefe, lässt durch den schier unbegrenzten Aktionsradius keine durchschaubaren Spielverlauf zu und ermöglicht selbst den vermeintlich schwächer positionierten Spielern kurz vor Schluss noch die Chance, eine komplette Wende herbeizurufen und den gesamten Verlauf auf den Kopf zustellen. Nicht selten ist es vorgekommen, dass einzelne Aktionskarten eine sichere Führung noch zerstört haben. Damit inbegriffen sind auch die zahlreichen Strategien, die in Pauchons angehendem Klassiker zum Sieg führen können. Dabei setzt das Spiel in jeder Runde auf Individualität und Schlagfertigkeit; Pläne müssen kurzfristig über den Haufen geworfen werden, neue Situationen fordern eine zielgerichtete Reaktion, und während man noch frustriert seinen Mitspielern dabei zusieht, wie sie einem die besten Aktionen vor der Nase wegschnappen, sucht man bereits nach geschickten Auswegen, um demnächst selber den ersten Schritt machen zu können.

Insgesamt ist „Yspahan“ ein durchweg begeisternder Titel und zu Recht auch ein Anwärter auf die „Spiel des Jahres“-Auszeichnung gewesen. In Sachen Langzeitspaß und Abwechslungsreichtum deckt sich das Spiel weitestgehend mit den übrigen ‚Kollegen‘ aus dem Hause |Ystari| und setzt in Sachen Spielmechanismus sogar völlig neue Akzente. Für Tüftler, Taktik- und Strategieliebhaber hat Sébastien Pauchon hier ein echtes Highlight konzipiert, welches in keiner, aber wirklich keiner gut sortierten Strategiespielesammlung fehlen sollte!

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