Archiv der Kategorie: Rezensionen

Cook, Thomas H. – Taken – Unter fremden Sternen (Band 2)

Nachdem der [erste Teil 1477 von „Taken“ eigentlich nur eine Art Einleitung war, um die Hintergründe der Generationen überspannenden Geschichte deutlich zu machen, geht es nun beim zweiten Teil „Unter fremden Sternen“ schon etwas mehr in die Tiefe, weil hier die ersten Spätfolgen des UFO-Absturzes über Roswell im Jahre 1947 sichtbar werden. Dementsprechend gibt es auch eine ganze Riege neuer Hauptakteure, weil man mittlerweile schon im Jahre 1980 angelangt ist und die alten Helden entweder schon verstorben oder in einem für die Geschichte nicht mehr relevanten Alter sind.

Die wichtigste Figur ist jedoch auch schon aus dem ersten Roman bekannt, nämlich Jacob Clarke, der Sohn des Außerirdischen John und der Farmerin Sally, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten ihn ja schon im ersten Teil mit dem militärischen Geheimdienst in Konflikt geraten ließen. Ein weiterer Bekannter ist Jesse Keys, der Sohn des im Krieg entführten Russell, dessen Schicksal von Bedeutung ist, denn er konnte der Bedrohung aus dem All nicht mehr entkommen. Aber vor allem geht es hier bereits um die dritte Generation und somit um die Kinder von Jesse und Jacob, die im Endeffekt das Ziel des langfristig angelegten Plans sind …

_Story:_

Nach eltichen Jahren kehrt der mittlerweile verheiratete Jacob mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in sein Elternhaus zurück. Jacob hat sich schwer verändert, ist seit einiger Zeit nämlich tatsächlich dazu imstande, ein normales Leben zu führen. Dort trifft er nicht nur auf seine beiden Geschwister, sondern auch auf eine sterbende Mutter, deren Tod letztendlich auch Jacobs Kräfte schwächt und sich auf sein Verhalten auswirkt. Sein Bruder hat seine Zweifel bezüglich UFOs derweil komplett abgelegt und beschäftigt sich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Phänomen. Dabei gelingt es ihm sogar, Eric Crawford das geheime Projekt aus den Händen zu reißen, und bis auf das Geschenk seines Vaters verliert Crawford schließlich sämtliche Unterlagen und Beweisstücke über die Aliens. Eric taucht eine Zeit lang unter, soll aber später noch groß in Erscheinung treten …

Erics Tochter Mary hat sich ebenfalls dem Thema gewidmet und geht dabei über Leichen. So freundet sie sich mit Dr. Wakeman an, der inzwischen große Fortschritte bei der Analyse der gefundenen Aliens gemacht hat und hinter das Geheimnis der eingepflanzten Sensoren gekommen ist. Er hat herausgefunden, dass die betroffenen bzw. entführten Personen allesamt einen Sender ‚eingebaut‘ bekommen haben und für die Außerirdischen jederzeit aufspürbar sind. Dies hat sich Wakeman selber zunutze gemacht und eine Karte erstellt, mit Hilfe derer er ebenfalls genau nachsehen kann, wo sich die Menschen mit diesem Sender derzeitig befinden. Als es Wakeman schließlich noch gelingt, das Signal abzuschirmen, macht er den größten Coup, denn so kann er die Aliens täuschen.

Nach und nach entwickelt sich die ganze Geschichte, wobei Charlie, der Sohn des entführten Jesse Keys, sowie Jacobs Tochter Lisa am Ende die wichtigste Rolle übernehmen, denn wie sich herausstellt, sollen die beiden laut dem Plan der Aliens ein gemeinsames Kind zeugen, welches schließlich menschliche und außerirdische Eigenschaften und Fähigkeiten miteinander verbinden soll. Und der Plan gelingt tatsächlich; das Kind, Allie, wird schnell zum begehrtesten Wesen auf dem ganzen Planeten und alle machen Jagd auf sie. Selbst ein gewisser Eric Crawford taucht plötzlich wieder auf der Karte auf …

_Bewertung:_

Im zweiten Teil laufen viele Geschichten parallel, und auch wenn das oben Angeführte ein wenig konfus klingen mag, so gelingt es Thomas H. Cook dieses Mal viel besser, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen. Im Gegensatz zum ersten Buch werden hier nicht bloß Fakten aneinander gereiht, sondern wirklich erzählt. Sehr angenehm ist dabei, dass sich die einzelnen Zeitsprünge in Grenzen halten, die Geschichte also in einem recht limitierten Zeitrahmen stattfindet – auch hier sehe ich eindeutige Vorteile zum ersten Buch.

Vor allem aber erscheint mit dem zweiten Teil langsam aber sicher alles logisch. Die vielen Optionen, die sich mit dem ersten Buch aufgetan haben, werden hier tiefgreifender beschrieben und ihr Zusammenhang deutlicher und verständlicher herausgestellt. Trotzdem muss man den Inhalt des ersten Bandes aber kennen, um der Story in „Unter fremden Sternen“ folgen zu können.

Man könnte also behaupten, dass „Wir sind nicht allein“ die etwas mühselige Einleitung für die ‚richtige‘ Geschichte ist, die erst jetzt beginnt, dafür aber dann auch sofort sehr spannend wird, vor allem, weil so viele Dinge zunächst offen bleiben und sich eine ganze Reihe neuer Optionen infolge des teuflichen Plans der Aliens ergeben.

Bei dem Eindruck, dass ich die TV-Serie in diesem Fall bevorzuge, bleibe ich dennoch, denn Steven Spielberg hat hier wirklich etwas Einzigartiges kreiert, das sich eben besser in bewegten Bildern als in der von Thomas H. Cook beschriebenen Story verstehen lässt. Dennoch finde ich dieses zweite Buch sehr gelungen und toll erzählt, kann es also als Alternative zum Fernsehereignis auch bedenkenlos empfehlen.

http://www.vgs.de/taken.jsp

Isau, Ralf – unsichtbare Freund, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 4)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“
Band 3: „Der weiße Wanderer“
Band 4: „Der unsichtbare Freund“

Endlich hat David sich der Frage nach der Zerstörung des Fürstenrings zugewandt, nur um in jeglicher Hinsicht einen Rückschlag einzustecken! Der Ring hat nicht einmal die Andeutung einer Beeinträchtigung abbekommen, stattdessen haben die Experimente Belials Schergen auf den Plan gerufen. David muß schleunigst untertauchen.

Aber wenigstens ein Gutes ist dabei herausgekommen: Sein Freund Lorenzo di Marco, zu dem der Kontakt während des Zweiten Weltkriegs komplett abgebrochen war, ist wiedergefunden und begleitet David nun nach New York, um seine Recherchen für David dort weiter zu betreiben.

David ist zunächst noch einmal in Südamerika unterwegs, denn ein Gespräch mit dem nach jahrelanger Suche endlich aufgetriebenen von Papen hat ihm in einigen Punkten die Augen geöffnet. Kaum aus Südamerika zurück, verlangt die Kuba-Krise seine volle Aufmerksamkeit. Das eigentliche Ziel des Interesses jedoch sind die Qumram-Rollen, von denen David sich Aufschluss über frühere und vielleicht auch jetzige Versammlungsorte des Kreises der Dämmerung erhofft. Seine Suche führt ihn über Griechenland und Russland in die Türkei. Die Reise lüftet das Geheimnis der einfachen Siegelringe, aber nicht das um den Fürstenring. Und die letzten beiden Logenbrüder des Kreises sind wie vom Erdboden verschluckt! David tritt auf der Stelle, und die Zeit läuft ihm davon …

Nachdem die ersten drei Bände des Zyklus einen Zeitraum von lediglich knapp sechzig Jahren behandelten, rechnete ich schon fast damit, dass die Handlung bereits weit vor dem Jahrtausendwechsel enden würde. Das sollte sich als Irrtum herausstellen.

Bei Davids Rückkehr aus der Türkei schreibt der Autor das Jahr 1982. Die darauf folgenden Jahre werden durch die Zusammenfassung verschiedener Eckdaten recht straff zusammengefasst. Erst im Jahr 1995 geht die Handlung mit Davids letzter Japanreise wieder mehr ins Detail. Die letzten hundertfünfzig Seiten umfassen dann die extrem kurze Zeitspanne von nur neun Monaten, vom April bis zum 31. Dezember 1999.

Davids Charakter macht in diesen letzten vierzig Jahren keine großen Wandlungen mehr durch. Erwachsen ist er schon, leidgeprüft auch, und für das Entwickeln von Schrullen, wie alte Leute es häufig tun, hat er gar keine Zeit. Auch körperlich bleibt er überraschend jung, im Alter von fünfundneunzig Jahren wirkt er noch wie ein Fünfzigjähriger, was wohl zu seinen Gaben als Jahrhundertkind gehören dürfte, denn die Lebensspanne von hundert Jahren wäre wohl kaum diese hundert Jahre wert, wenn davon zwanzig Prozent oder gar mehr durch Gebrechlichkeit beeinträchtigt wären.

Trotzdem ist David gegen Ende seines Lebens auf ein wachsendes Heer von Helfern angewiesen. Getarnt als Nachrichtenagentur, sammeln eine Menge Leute für ihn alles an Informationen, was zu kriegen ist. Dazu gehören neben Lorenzo und Ruben inzwischen auch Dee-Dee und Davy, zwei junge Computer-Freaks, die für ihn, wenn nötig, auch mal in fremde Rechner einbrechen. Denn der Giftgas-Anschlag in Tokyo geht David nicht aus dem Sinn, und tatsächlich ergibt die Recherche Ungeheuerliches …

Ob das Szenario, das Isau da entwirft, so wirklich möglich ist, dürften noch nicht einmal Koryphäen der Wissenschaft beantworten können, denn das Thema selbst ist längst nicht genügend erforscht. Davon ganz abgesehen, enthält die Sache einen kleinen Logikfehler: Wenn die Basis zur Vernichtung, die Zündschnur quasi, bereits verlegt ist, wie Kellipoth sagt, was sollte es dann nutzen, wenn David das Zünden der Lunte verhindert? In den folgenden Jahren nach der Jahrtausendwende kann jeder beliebige Unfall die Lunte nachträglich in Brand setzen! – Erstaunlicherweise hat David diese Erkenntnis selbst bereits im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag in Tokyo geäußert! Das Ende der Geschichte ist, zumindest im Hinblick darauf, deshalb nicht ganz befriedigend ausgefallen.
Die Erwähnung des Pik-Ass zu einem Zeitpunkt, da David es noch gar nicht erhalten hat, war wohl ein Lapsus des Lektorats, und die Äußerung bezog sich auf das Kreuz-Ass, das David von Südamerika nach Rom gelotst hat.

Verwunderlich erschien mir dagegen, dass der Kreis auch nach den Ereignissen, die ihn bereits mehrere seiner Brüder gekostet hat, immer noch nicht zu wissen scheint, welche außergewöhnlichen Gaben David besitzt! Eigentlich sollte man meinen, dass der mächtige Lord Belial das mal rauskriegt und die Übrigen über die Einzelheiten informiert. Allgemeine Warnungen dürften aufgrund Davids unübersehbarer Erfolge ziemlich überflüssig sein!
Ebenso verwundert hat mich der Fatalismus, mit dem Davids Angehörige die Meldung hingenommen haben, er sei im Pazifik gefallen. Sie alle wussten von Davids Lebensaufgabe und seinen Fähigkeiten. Eine solche Meldung hätte ich nur angesichts seines Leichnams geglaubt!

Auch mit dem Epilog hatte ich gelinde Schwierigkeiten. So relativ nach Einstein auch alles sein mag, wie immer David es geschafft haben mag: Eine Doppelexistenz über mehrere Jahrzehnte, ohne dass irgendwelche Behörden, Banken, Versicherungen oder sonstige Leute damit ein Problem bekommen und die Sache auffliegt, das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor! Andererseits haben wir es hier nicht umsonst mit Fantasy zu tun, also sei David die Entschädigung für seinen langen Kampf gegönnt.

Trotz dieser kleinen Mängel fand ich das Buch im Ganzen gelungen. Spätestens nach der Kuba-Krise geht es ans Eingemachte, und vor allem auf den letzten 150 Seiten zieht die Spannung deutlich an. Nicht allein deshalb, weil David die Zeit davonläuft, sondern auch, weil der Leser zum ersten Mal nicht weiß, worum es diesmal wirklich geht und wie es endet.

Insgesamt gehört der Kreis der Dämmerung zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Isau hat seine fantastischen Elemente geschickt mit der historischen Realität verwoben, seine fundierte Recherche zu den beschriebenen Geschehnissen war dazu die beste Grundlage. Entstanden ist daraus eine intelligente und faszinierende Geschichte, die durchaus deutlich Stellung zu den Ereignissen und Entwicklungen des Jahrhunderts enthält, und das ganz ohne Polemik oder erhobenen Zeigefinger. Ein echter Leckerbissen, sowohl für Freunde des Fantasy-Genres als auch für Liebhaber des Historienromans.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch 510 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15321-3

http://www.luebbe.de/
http://www.isau.de/index.html

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


http://www.isau.de

Festa, Frank (Hg.) – Omen – Das Horror-Journal Nr. 2

Dem Vorwort des Herausgebers Frank Festa (S. 4/5), der sich für die Leserresonanz auf den ersten Omen-Band bedankt und dem Horror auf dem deutschen Buchmarkt eine optimistische Prognose stellt, folgt mit „Mister Bradbury“ (S. 25-28) ein erster Bericht der „Omen-USA-Korrespondentin“ Paula Guran, die einen öffentlichen Auftritt des Phantastik-Veteranen Ray Bradbury erlebte. Auch die nächsten drei Beiträge stammen von Guran: ein „Interview mit Clive Barker“ (S. 49-69), gefolgt von einer „Ergänzung“, die dem Schriftsteller den Maler und Zeichner Barker zur Seite stellt: „Die Kunst des Clive Barker“ (S. 89-96). Schließlich gibt es ein „Interview mit Neil Gaiman“ (S. 97-104). Konstantin Paustowski erinnert an das unglückliche Leben und das reiche Werk des russischen Schriftstellers Alexander Grin (S. 115-133). Dirk Berger führt das dritte Interview dieses Journals mit Tim Powers (S. 150-165).

|Storys:|

– Brian McNaughton: Meryphillia („Meryphillia“, 1990, S. 7-28): Ein weiblicher Friedhofsghoul verliebt sich in einen überspannten Dichter und beweist eindrucksvoll, dass Liebe tatsächlich durch den Magen gehen kann …

– Howard Phillips Lovecraft: Pickmans Modell („Pickman’s Model“, 1927, S. 30-44): Die schrecklichen Nachtmahre, die ein junger Maler auf die Leinwand bannt, wirken nicht grundlos so lebensecht …

– Daniela Klug & Stefan Krüger: Jack, der U-Bahn-Klopfer (2005, S. 45-48): Ein gelangweilter Streckenwärter verfällt tief unter der Erde seiner Angst vor der Finsternis …

– Henry Kuttner: Das Geheimnis von Schloss Kralitz („The Secret of Kralitz“, 1936, S. 70-77): Der 21. Nachkomme eines verderbten Adelsgeschlechts lernt den Familienfluch kennen …

– John Metcalfe: Das Ödland („The Bad Lands“, 1925, S. 78-88): Eine Art Raumfalte verschafft dem nervenschwachen Kurgast Zugang in eine fremde Dimension, deren böses Herz er mit einem reinigenden Feuer auszubrennen gedenkt …

– Tim Powers: Wo sie lauern („Where They Are Hide“, 1995, S. 166-191): Kreuz & quer springt der Zeitreisende durch die Jahrzehnte und tilgt unerfreuliche Handlungsträger aus der Weltgeschichte, welche sich indes nicht kampflos verdrängen lassen, sondern als übellaunige „Zeitgeister“ in die Gegenoffensive gehen …

– William Hope Hodgson: Die Insel des Ud („The Island of the Ud“, 1912, S. 192-214): Auf einer einsamen Südseeinsel steht ein mit Perlen geschmückter Totempfahl, auf den es ein habgieriger Kapitän abgesehen hat; freilich steht allerlei Monsterpack zwischen ihm und dem ersehnten Reichtum …

Brian Calvin Andersons Kurzcomic „Teddybär“ (S. 105-114) erzählt von den Schrecken, die in einem nächtlichen Kinderzimmer hausen können …

Unter dem Titel „Fenster zur Phantastik“ rezensieren Jan Gardemann, Malte S. Sembten und Uwe Vöhl verschiedene deutschsprachige Horrortitel der vergangenen Monate (S. 134-149, 219-222). Diverse Leserbriefe, die Herausgeber Festa selbst beantwortet, schließen „Omen 2“ ab (S. 215-218).

|Darstellung|

Gleich vierfach ist Paula Guran mit einschlägigen Horror-Beiträgen vertreten. Warum dies so bzw. wer diese Dame eigentlich ist, enthält uns das „Omen“-Team vor. Daher muss man sich selbst schlau machen, was glücklicherweise einfach ist, da Ms Guran äußerst aktiv ist (vgl. http://www.darkecho.com/darkecho/web/about.html#guran ). Ihr Ruf als Genre-Expertin lässt sich demnach begründen, wichtiger sind aber wohl ihre Verbindungen zu Autoren, Regisseuren und anderen Horror-„Machern“. Die Interviews mit Barker und Gaiman wurden professionell geführt und sind informativ (wenn auch bereits leicht angestaubt), der Artikel über den Künstler Clive Barker fällt zwar sehr subjektiv aus (woraus die Verfasserin keinen Hehl macht), ist aber ebenfalls interessant. Missfallen erregt hingegen der Beitrag über Ray Bradbury, welcher an mittelalterliche Heiligenverklärung grenzt, aber immerhin sehr schön den US-amerikanischen Hang zur organisierten Gefühlsduselei („Dennoch waren wir zu Tränen gerührt. Wir nahmen mehr mit, als wir mitgebracht hatten. Wir waren inspiriert worden.“ – S. 28) verdeutlicht. Wohltuend sachlich und konzentriert befragt Dirk Berger einen offensichtlich gut gelaunten Tim Powers.

Erst irritiert, dann zunehmend ärgerlich macht die Lektüre von „Über Alexander Grin“. Der Anlass ist (wahrscheinlich) der Geburtstag dieses russischen Schriftstellers (1880-1932), der sich heuer zum 125. Male jährt. (Vermerkt wird das an keiner Stelle.) Natürlich braucht es keinen direkten Grund, um an den Verfasser phantastisch-romantischer Meisterwerke wie „Purpursegel“, „Tod durch Ratten“ oder „Wogengleiter“ zu erinnern. Dies sollte dann freilich nicht durch einen Artikel geschehen, der völlig veraltet und höchstens noch – wenn überhaupt – als zeithistorisches Dokument lesbar ist. Konstantin Paustowski (1892-1968) schrieb als strammer (bzw. vorsichtiger) Bolschewist in einer Sowjetunion, die „Abweichler“ auch in der Kunst planvoll mundtot machte. Aus dem Menschen und Schriftsteller Grin, der sowohl im Zarenreich als auch nach der „Revolution“ trotz eher hilfloser Anbiederungsversuche ein missachteter und verfolgter Außenseiter blieb, macht Paustowski nachträglich einen Kulturrevolutionär im Geiste Lenins. Auch sonst müssen die wenigen biografischen und literaturgeschichtlichen Fakten aus einem Wust von Politkitsch, paustowskischen Treuebekenntnissen zum Sowjetregime und schwülstig literarisierten Episoden der Grin-Vita geklaubt werden. Ob Paustowski einst so schreiben musste, ist an dieser Stelle irrelevant. Im 21. Jahrhundert und Jahre nach dem Ende der Sowjetdiktatur des Geistes dürfte es bessere Artikel über Grin und sein Werk geben. Falls dies nicht zutrifft, sollte man lieber selbst einen schreiben oder besser ganz darauf verzichten. Wer Grin war und was seine Arbeiten (nicht nur unter phantastischen Aspekten) zu etwas Besonderem macht, bleibt hier jedenfalls ungesagt.

Die Kurzgeschichten übertreffen den redaktionellen Teil an Qualität. (Halbwegs) Modernes (McNaughton, Powers) mischt sich mit Klassischem (Lovecraft, Kuttner, Metcalfe, Hodgson), wobei wie in „Omen“ Nr. 1 echte Neu- bzw. Wiederentdeckungen zu verzeichnen sind. McNaughton balanciert mit seiner Story um eine in Liebe entflammte Leichenfresserin und ihren spinnerten menschlichen Schatz auf dem schmalen Grat zwischen Ernst und Parodie, wobei der fabelhafte Schwarzhumor dem grotesken Geschehen eine ganz besondere Note (darf man sagen: „Hautgout“?) verleiht. Kuttner – hier mit einem ansehnlichen Lovecraft-Pastiche vertreten – ist schon lange vom deutschen Phantastik-Buchmarkt verschwunden, Metcalfe praktisch ein Unbekannter; in beiden Fällen ist dies eine Schande. Besonderes Lob verdient Tim Powers mit einer vertrackten Zeitreise-Story, die neben den Robert-A.-Heinlein-Klassikern „By His Bootstrap“ (1941; dt. „Im Kreis“) und „All You Zombies“ (1959; dt. „Entführung in die Zukunft“) ausgezeichnet bestehen kann.

Ob H. P. Lovecrafts x-fach nachgedruckte Story um den Monster-Maler Pickman unbedingt an dieser Stelle Wiederauferstehung feiern musste, ist eine Frage, die mancher Leser, der sie vielleicht doch noch nicht kannte, sicherlich anders beantworten wird als Ihr Rezensent. Unbeeinflusst davon bleibt „Pickmans Modell“ natürlich ein Klassiker mit ungebrochener Gruselwirkung (auch wenn die Auflösung wohl niemanden mehr überraschen kann). Apropos Auflösung: Endlich erfährt der Leser auch, was auf der „Insel des Ud“ wirklich geschah. Technische Probleme (oder übernatürliche Sabotage) machten in „Omen Nr. 1“ aus W. H. Hodgsons Meeresschauer unbeabsichtigt einen Zweiteiler. Nun folgen nicht nur die unter den Tisch gefallenen Seiten, sondern noch einmal die gesamte Story, was sicherlich die richtige Entscheidung ist.

Zu den weisen Entscheidungen muss man auch diejenige zählen, dem deutschen Gruselnachwuchs dieses Mal nur eine Gelegenheit zur Lautäußerung zu gewähren. Obwohl gleich als Doppelpack aktiv, gelingt (bzw. misslingt) dem Autorenduo Klug & Krüger mit „Jack, der U-Bahn-Klopfer“ nur eine bis ins vorhersehbare Finale spannungslose Fanstory im Groschenheft-Stil („Keuchend stieß er den Atem aus.“), die zwischen dem Porträt eines frustrierten Nine-to-Five-Arbeitsroboters und (wohl psychologisch angelegtem) Horror dahinschlingert. Ebenfalls überraschungsarm, aber ansprechend schwarzweiß und wortlos umgesetzt, präsentiert Brian Calvin Anderson die Mär vom Kinderspielzeug, in das der Teufel fährt.

Die Leserbriefe äußern (positive wie negative) Kritik zur „Omen“-Ausgabe Nr. 1; sie dienen gleichzeitig Herausgeber Frank Festa als Podium für allgemeine Aussagen zu Form und Inhalt des Journals. So nimmt er beispielsweise zur „Festa-Lastigkeit“ der im Journal vorgestellten Autoren Stellung, die er weder bestreitet noch zu ändern gedenkt. Das „Omen“ ist in der Tat Informations- und Werbeträger gleichzeitig, was uns in der Nr. 3 eine Art Brian-Lumley-Sonderausgabe bescheren wird: keine Ankündigung, die Anlass zur generellen Freude gibt, aber die Bedeutung dieses nicht gerade begnadeten, aber überaus erfolgreichen Verfassers gerade für den Festa-Verlag widerspiegelt. Diplomatisch und mutig zugleich nimmt der Hausherr außerdem Morgenluft witternden Nachwuchsautoren aus deutschen Landen den Wind aus den Segeln und bittet vor der Einsendung einer mit Herzblut geschriebenen, aber oft Hirnschmalz (& grammatische Grundregeln) entbehrenden Story noch einmal Selbstkritik walten zu lassen. Dem kann man sich als Leser nur anschließen.

Was die Rezensionen angeht, so befassen sich diese ausschließlich mit deutschsprachigen aber nicht von |Festa| verlegten Werken – eine Zurückhaltung, die hier eigentlich unnötig ist, da das hauseigene Programm viele Titel umfasst, die einer Besprechung eher Wert wären als die hier ausgewählten, meist deutlich mittelmäßigen Romane und Kurzgeschichtensammlungen.

Bleibt abschließend die schwer oder gar nicht zu beantwortende Frage, welche Nische das „Omen“-Journal auf dem sekundärliterarischen Horror-Sektor eigentlich einnimmt. Noch sind (zu) viele Beiträge – hier seien vor allem die Guran-Texte genannt – für diverse Websites und Webzines entstanden. Sie wurden sichtlich für den „schnellen Verbrauch“ geschrieben, verlieren rasch an Aktualität oder haben – wie Gurans Bradbury-Eloge – eher Blog-Charakter. Ein Journal, das nur einmal jährlich erscheint, sollte doch Themen finden, die eines Berichtes würdiger sind, um es etwas pompös auszudrücken. So wird aus dem „Omen“ jedenfalls kein deutsches „Weird Tales“! (Ausgespart bleiben von diesem Tadel die nicht deutschsprachigen Storys, deren Wahl – und Übersetzung – zu keinen Klagen Anlass geben.)

An der Überpräsenz von „zweitverwerteten“ Artikeln wird sich wohl zukünftig wenig ändern, da das „Journal“ einerseits sehr zeitaufwändig in der Zusammenstellung ist und andererseits nur von einem kleinen Team realisiert wird. Deshalb wird es wohl nichts mit umfassenden Blicken auf den Horror fremder Länder, auf dass wir in Deutschland wenigstens erfahren, was anderswo geschrieben und gelesen, uns leider jedoch in der Regel vorenthalten wird.

Dessen ungeachtet füllt das „Omen“-Journal hierzulande eine Lücke für den Genrefan, dem ansonsten nur die Möglichkeit bleibt, sich auf die Informationssuche in den Weiten des WWW zu begeben. Das ist – vor allem, wenn man des Englischen mächtig ist und ein bisschen Qualitätsstudium betreibt – eine ergiebige und verlässliche Quelle, aber auch der nicht konservative Horrorfreund liebt halt noch immer das Papier bzw. die gebündelte Lieferung von Hintergrundinfos. Deshalb trotz einiger kritischer Worte abschließend ein uneingeschränktes „Ja“ zum „Omen“.

Joseph Conrad – Herz der Finsternis

Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ lässt sich sicherlich zu den Literaturklassikern zählen. Geschrieben 1899, wird das Werk auch heute immer wieder neu verlegt, gelesen, adaptiert, neuinterpretiert und verfilmt. Mit der Ausgabe vom Juni 2005 legt der |dtv| nun eine komplette Neuübersetzung von Conrads bekanntestem Werk vor.

„Herz der Finsternis“ ist eine klassische Rahmenerzählung. Kapitän Marlow ist mit ein paar anderen Männern an Bord einer Hochseeyacht auf der Themse unterwegs. Sie warten auf die einsetzende Flut und während sie warten, beginnt Kapitän Marlow eine Geschichte zu erzählen, die vor Jahren passierte und die er seitdem im Stillen mit sich herumgetragen hat.

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Andy Oakes – Drachenaugen

Acht Leichen sind der Anfang. Es ist tiefe Nacht, als man die toten Körper am Ufer des Huangpu Jiang entdeckt. Ein groteskes, schreckliches Bild: Die Toten sind aufs Ärgste verstümmelt und gleichzeitig mit Eisenketten aneinander gefesselt. Ein unwirkliches Rad der Brutalität. Sun Piao, Hauptkommissar bei der Mordkommission von Shanghai, übernimmt den Fall. Und bereits am Tatort kündigt sich an, dass hier etwas unter der Oberfläche gärt, was nicht ans Licht kommen soll.

Zuerst ist es nur der Polizeipathologe, der sich weigert, die Toten zu untersuchen und auch Sun dazu rät, von der Sache abzulassen. Als dann auch noch einige hohe Kader am Ufer des Huangpu auftauchen und sich in die Ermittlungen einmischen, wittert Piao großen Ärger auf sich zukommen. Doch diesmal wird er nicht nach den Vorgaben des Systems handeln. Diesmal wird er sich nicht unterordnen und einfach abnicken, was seine Vorgesetzten ihm diktieren. Er ist fest entschlossen, die Hintergründe der Tat ans Licht zu zerren und in der korrupten, verkorksten Welt Shanghais ein einziges Mal für Gerechtigkeit zu sorgen. Zusammen mit seinem Kollegen Yaobang beginnt er auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.

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Stöcklein, Verena / Plischke, Thomas – Terra Nova: Der Schwur des Sommerkönigs 1

Im Jahr 2656 hat sich das Antlitz der Erde grundlegend verändert. Nach der zweiten Sinflut ist der Meeresspiegel drastisch gestiegen, weite Teile Europas stehen unter Wasser und der Begriff „Britannische Inseln“ hat eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Ganz Britannien ist in viele kleine Inseln zerfallen, London selbst ist eine einzige große Inselfestung geworden.

Auf dem Armut leidenden Kontinent kämpft die angelitische Kirche mit ihren Engeln und unzähligen Gläubigen gegen die |Traumsaat| genannten Dämonen der Hölle. Der Technologie der Britonen steht man ablehnend und feindselig gegenüber, ihrem Glauben an heidnische Götter und Götzen der keltischen Sagenwelt ebenso.

Darum hat man eine gewaltige, schwimmende Festung gebaut. Die |Terra Nova| soll unzählige Gläubige, Templer und Engel nach Britannien übersetzen, um das Gelingen der Invasion der Inseln sicherzustellen. Die Engelsschar des Michaeliten Lumael, dessen Gruppe der Leser begleiten wird, ist nur eine der vielen Engelsscharen, die sich an diesem Feldzug beteiligen. Tief im Feindesland dagegen spioniert der Sarielit Joel, eine Mission, die ihn in höchste Gefahr bringt: Er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs, eines der höchsten Götzen der Britonen, auserwählt …

„Terra Nova“ erzählt zusammen mit dem noch nicht erschienenen „Terra Incognita“ die Geschichte dieser Invasion. Die Duologie spielt im |Engel|-Rollenspieluniversum von |Feder & Schwert|, ein auf Phantastik und Rollenspiel spezialisierter Verlag, der von |Wizards of the Coast| die D&D-Lizenz für Deutschland erhalten hat und bereits zuvor für die Übersetzung von |Dungeons & Dragons|-Romanen wie der Reihe [Der Krieg der Spinnenkönigin 183 verantwortlich zeichnete.

Nicht-Rollenspieler können jedoch aufatmen, es sind keine der zahlreichen Bücher über die verschiedenen Engelsorden dieser Welt oder andere Sourcebooks, wie bei rollenspielbasierten Serien oft üblich, erforderlich, um „Terra Nova“ verstehen und genießen zu können. Die Autoren Verena Stöcklein und Thomas Plischke lassen die notwendigen Informationen elegant in die Handlung einfließen, die so mit einigen Aha-Effekten aufwarten kann und Interesse weckt.

Alleine die Idee des Engel-Universums hat ein hohes Unterhaltungspotenzial: Ein mittelalterliches Europa, in dem die Kirche noch stark ist, der Aberglaube weit verbreitet und der Teufel mit seinen Dämonen auf Erden wandelt. Die andersgläubigen Britonen setzen auf Technologie und heidnische Magie, Toleranz ist auf beiden Seiten nicht vorhanden, dafür sorgen die Priester beider Seiten mit markigen Predigten. Die von einer zweiten Sinflut heimgesuchte und durch sie veränderte Welt ist auf interessante Weise an unsere Geschichten und Sagen angelehnt, die in ihr verfremdet belebt und neu kombiniert werden. So wurden die Gralsburg oder der Gralsberg |Munsalvaesche| beziehungsweise |Montsalvasch| zum |Mount Salvage| umbenannt, während in |Roma Aeterna| der Chor der Sarieliten seine Ausbildung erfährt, neben den Gabrieliten, die mit Feuer und Schwert die Todesengel und somit die Kämpfer unter den Engeln stellen. Hier fließt das Rollenspielelement am stärksten ein, besteht doch die uns durch das Buch begleitende Engelsgruppe aus dem altbekannten Muster Kämpfer, Heiler, Magier.

Die Engel werden sehr menschlich dargestellt; so hat der Michaelit und Anführer der Schar, Lumael, panische Angst vor dem Wasser. Wie der Rest seines Engelsordens kann er jedoch für kurze Zeit jegliche Furcht unterdrücken, während die Gabrieliten mit Feuerschwert und feuerfester Rüstung ins Gefecht ziehen – auch hier sieht man das Regelwerk eines Rollenspiels hindurchscheinen, die zweigleisig erzählte Handlung schreitet jedoch flott voran und ist sehr abwechslungsreich, so dass dies nicht allzu störend wirkt.

In Britannien wird die Geschichte aus der Sichtweise von George, einem zuckerkranken Goldschmied, erzählt. Er kann nur durch das industriell hergestellte Insulin überleben, etwas, das es im angelitischen Europa nicht gibt, das alle Maschinen ablehnt. Als Angelit lebt er versteckt unter den heidnischen Britonen, die von keltisch angehauchten Druiden und Priesterinnen beherrscht werden. Weltlich werden sie von an altenglische Verhältnisse angelehnten „Thanes“ regiert, zwischen beiden Parteien kommt es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Er soll dem Engel Joel als Partner zur Seite stehen, der ihn bitter nötig hat. Trotz aller Ausbildung und göttlichen Gaben mangelt es dem Engel an Kenntnis von Land und Leuten, sein überirdisch gutes Aussehen lässt sich zudem nicht verbergen und er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs bestimmt, einem mächtigen Götzen der Britonen, was George an den Rand des Wahnsinns treibt. Konfliktpotenzial ist mehr als gegeben!

Interessant ist, dass die Engel sowie George durchaus kritisch reflektieren können, für was und gegen wen sie streiten. So sind nicht alle Engel aus Lumaels Schar angetan vom fanatischen Eifer der Templer und dem bevorstehenden Gemetzel, während Joel durch die Begegnung mit dem Sommerkönig in den Grundfesten seines Glaubens erschüttert wird. Wenig wird in diesem Band auf die Traumsaat-Dämonen eingegangen, er fokussiert das Geschehen stark auf die britannischen Inseln, auch treten interessanterweise weder Gott noch Teufel in Aktion und halten sich trotz aller übernatürlicher Präsenz im Hintergrund.

_Fazit:_

Auch wenn sich das Buch gezielt an Rollenspieler wendet und für das Engel-Rollenspiel wirbt, kann die fantasievolle Welt auch für gewöhnliche Fantasyleser einen Charme entfalten, dem man sich nicht entziehen kann. Wer D&D-Rollenspiele satt hat, bekommt hier eine frische und unverbrauchte Welt geboten, die sehr vielversprechende Ansätze bietet. Der Roman weist nur 259 Seiten auf, diese sind recht klein gedruckt, allerdings hervorragend gesetzt und so sehr gut lesbar – man könnte bei normaler Druckgröße von knapp 400 Seiten Umfang ausgehen, was die Qualität der Geschichte unterstreicht; ich hätte gerne noch weiter gelesen. Diese relative Kürze, verbunden mit den offenen Ende, stellt auch meinen Hauptkritikpunkt dar; man muss zwangsweise auch den zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht erschienenen zweiten Band, „Terra Incognita“, lesen.

Hervorheben möchte ich auch das hochwertige Erscheinungsbild des Romans: Alleine die ausgefallene schwarz-weiß-goldene Gestaltung des Covers im Stil des Engel-Universums macht einen außergewöhnlich guten Eindruck, der sich im sorgfältigen Lektorat und der liebevollen Gestaltung der Kapitelüberschriften bis hin zu den Seitennummern fortsetzt. Hier steht das Engel-Universum ganz in der Tradition von |Feder & Schwert|; die Zeiten schlecht übersetzter amerikanischer Rollenspielfantasy sind endgültig vorbei. Misslungen ist hingegen der viel zu verspielte Titelschriftzug des Romans: Weder „Terra Nova“ noch „Der Schwur des Sommerkönigs 1“ kann man auf Anhieb lesbar erkennen, hier sollte man in Zukunft nachbessern.

Die hochinteressante postapokalyptische Welt spielt gekonnt mit Mythen, Geschichte und Legenden und schafft so eine tolle Atmosphäre; die Liebe zum Detail zeigt sich nicht nur im Roman, sondern setzt sich auch in der wunderschönen optischen Gestaltung fort. Ich kann sie jedem Rollenspieler nur empfehlen, der einmal ausgetrampelte D&D-Pfade verlassen und etwas Neues ausprobieren möchte. Dieser gelungene Roman erweckt Interesse und macht Appetit auf mehr.

Homepage des Engel-Rollenspiels:
http://www.engel-net.com/

Homepage von Feder & Schwert:
http://www.feder-und-schwert.com/

Gaborit, Mathieu – scharlachrote Turm, Der (Im Reich des Feuervogels 1)

Leicht kann man bei der Übermacht an englischen Fantasy-Romanen vergessen, dass auch in anderen Ländern von fremden Welten, Magie und seltsamen Wesen erzählt wird. Selten genug veröffentlichen deutsche Verlage Romane aus dem französischen oder auch anderen Sprachräumen. Mathieu Gaborits Zyklus um das „Reich des Feuervogels“ ist eine solche Ausnahme.

„Der scharlachrote Turm“ ist der Auftakt der Geschichte und entführt uns auf eine Inselgruppe, deren Reiche nicht nur die Namen von Fabelwesen wie Greif, Drache und Einhorn tragen, sondern in denen auch tatsächlich solche Wesen mit den Menschen leben, ihnen die Magie geben und sie beschützen.

Einzig die Diener der Phönixe haben kein eigenes Reich gegründet. Ihre Gilde ist in allen Ländern beheimatet, denn die Feuervögel sind zum einen mächtiger als die anderen Fabelwesen, zum anderen aber auch nur von wenigen zu kontrollieren und zu bezähmen. Zu schnell kann Chaos und Vernichtung aus deren Feuer entstehen.

Der junge Januel ist ein solcher Diener, ein Phönike. Er wird im Turm von Sedana ausgebildet und hofft wie so mancher andere junge Alkoluth, für die Erweckungszeremonie eines Phönix erwählt zu werden. Doch es ist sein Kamerad Sildinn, der offiziell in die Hauptstadt des Greif-Imperiums geschickt wird, obwohl er die schwächeren Fähigkeiten besitzt.

Doch kaum ist dieser abgereist, wird Januel von seinem Meister Farel beiseite genommen und erfährt, dass er eigentlich an den Hof gebracht werden soll, doch dass es gefährlich sei, das offen zu tun. Er weiht ihn in schreckliche Geheimnisse ein. „Das Aas“, die Nachfahren und die Essenz pervertierter Fabelwesen, der Inbegriff des Bösen, ist auf dem Vormarsch und bedroht die anderen Reiche. Sie wollen Chaos und Tod über die Länder der Inseln bringen, und sie haben es auch auf die Phöniken abgesehen. Denn allein das Feuer der Phönixe kann dem Aas Einhalt gebieten …

Nach einer langen, gefahrvollen Reise kommen Januel und Farel am Hofe des Greifen-Imperators an. Sie hoffen, ein Beispiel setzen zu können, doch bei der Wiedererweckung des kaiserlichen Phönix kommt es zu einer Katastrophe …

Wenn ich früher französische Fantasy in deutscher Übersetzung gelesen habe, so war ich meist von dieser enttäuscht, da sie meist nur an versponnene exzentrische Kunstmärchen erinnerte.

Deshalb begann ich dieses Buch auch mit einer gewissen Skepsis zu lesen, wurde aber angenehm überrascht. Mathieu Gaborit gelingt es, vertraute Versatzstücke der Fantasy neu anzuordnen. Er konzentriert sich auf Fabelwesen, die in den meisten angloamerikanischen Romanen gerne vernachlässigt werden und begeht nicht den Fehler, sie zu vermenschlichen oder als bloße Tiere zu betrachten, wie es ebenfalls oft genug passiert. Zudem verknüpft er die Magie auf glaubwürdige und interessante Weise mit den verschiedenen Kreaturen, wobei vor allem die Phönixe eine Rolle spielen.

Januel wächst wie der Leser in die Geschichte hinein und lernt das auf leisen Sohlen heranschleichende und zielgenau zuschlagende Böse erst nach und nach richtig kennen. Er ist nicht von Anfang an der erfahrene Auserwählte, sondern macht eine Entwicklung durch, die ihn einerseits sehr schnell reifen lässt, andererseits aber auch von ihm verlangt, viele Eröffnungen sehr schnell zu verkraften und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu einzusetzen. Letztendlich gelingt es dem Autor auch hier, ein wenig abseits von ausgetretenen Pfaden zu wandeln und einige Dinge konsequent bis zum bitteren Ende zu führen.

Es ist also kein Fehler, den ersten Band genauer in Augenschein zu nehmen, wenn man einmal magiebetonte High-Fantasy fernab von den anglo-amerikanischen Gewohnheiten lesen will.

|Originaltitel: Les Chroniques des Feals 1: Coeur des Phenix
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn|

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Edgar Wallace – Der Hexer

Unterwelt-Anwalt und Strolch Messer lockt einen jungen Mann in die Falle, weil er dessen Schwester entehren will. Das ruft den „Hexer“ auf den Plan. Der selbsternannte Rächer der Enterbten straft jene, die dem Gesetz durch die Maschen schlüpfen. Da auch die Polizei vom Plan des „Hexers“ weiß, muss sich dieser besonders gut tarnen, um seine Mission zu erfüllen … – Angeblich klassischer, tatsächlich statischer, in einem Theaterstück wurzelnder, inhaltlich staubiger, mit Klischeefiguren besetzter Alt-Krimi, dessen Ruf heute eher verwundert. Edgar Wallace – Der Hexer weiterlesen

Dart-Thornton, Cecilia – Im Bann der Sturmreiter (Die Feenland-Chroniken 1)

„Im Bann der Sturmreiter“ erzählt die Geschichte von Imrhien. Wobei Imrhien eigentlich gar nicht so heißt, denn Imrhien ist ein Findelkind. Nicht eines, das als Säugling irgendwo vor eine Tür gelegt oder einfach ausgesetzt wurde, sondern eines, das schon auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist, als man es findet. Sein Gesicht ist durch das Gift eines Efeus grausam entstellt, es kann nicht sprechen und sich an nichts erinnern. Eine alte Dienstmagd nimmt sich seiner an und päppelt es auf. Schon bald muss es bei der Arbeit helfen, schwerer Arbeit. Und es leidet unter dem Abscheu seiner Umgebung, der Gleichgültigkeit und Kälte, der Missachtung. Als sich eines Tages die Möglichkeit bietet, von der Festung Isse zu fliehen, nimmt es diese Möglichkeit wahr. Es will seine Identität wiederfinden! Als Piraten das Windschiff angreifen, auf dem es sich versteckt hat, kommt es vom Regen in die Traufe. Wieder wird es bedrängt und gequält, sodass es schließlich in seiner Verzweiflung einfach über Bord springt. Es landet in einem Wald voller Dunkelelfen …

Cecilia Dart-Thornton tastet sich nur langsam an dieses Kind heran. Im Prolog nennt sie es noch Geschöpf. Erst als es von der alten Dienstmagd Hemd und Hose erhält und von der Kleidung der anderen auf seine eigene schließt, nennt die Autorin es Junge. Als wäre er ein Neugeborenes, muss er sich erst langsam in diese fremde Welt hineintasten, in die er geraten ist. Da er keinerlei Erinnerungen mehr hat, ist er völlig entwurzelt, und durch die Ablehnung seiner Umgebung kann er keine neuen Wurzeln schlagen. Doch er ist nicht dumm und lernt eine Menge durch lauschen und beobachten.

Die eigentliche Zeit des Lernens beginnt jedoch, als er durch den Wald zieht. Hier hat er zum ersten Mal einen Begleiter, der ihn nicht von vornherein als Krüppel abtut, sondern ihn ernst nimmt. Dieser Abenteurer namens Sianadh bringt ihm die Zeichensprache bei, erzählt ihm von der Vergangenheit des Landes und von Licht- und Dunkelelfen. Von ihm erhält er auch seinen Namen Imrhien.

Als die beiden die Stadt erreichen, findet Imrhien auch neue Freunde in Sianadhs Familie. Dessen Schwester ist eine Heilerin, und wenn sie selbst auch nicht die Macht besitzt, Imrhiens Gesicht zu heilen, so weiß sie doch eine Frau, die diese Macht besitzen könnte: Maeve Einauge. Voller Hoffnung macht Imrhien sich auf den Weg zu dieser Frau! Denn das eigene Gesicht wiederzufinden, bedeutet vielleicht auch, den wahren Namen und die Erinnerungen wiederzufinden.

Imrhien besitzt eine rasche Auffassungsgabe und einen gesunden Menschenverstand, doch die Scham über seine Entstellung macht das Findelkind scheu und zurückhaltend, besonders als es sich verliebt. Die unzähligen Demütigungen haben keine Rachsucht, sondern Mitgefühl hervorgebracht, es weiß, wie ein Ausgestoßener sich fühlt, und handelt entsprechend. Seine Handlungsweise stößt aber durchaus nicht immer auf Verständnis oder gar Zustimmung. Vor allem gegen Sianadhs Sohn Diarmid, der es auf seiner Reise zu Maeve Einauge begleitet, kann es sich nur schwer durchsetzen, dazu fehlen ihm das Selbstbewusstsein und eine Stimme. Sprechende Hände sind nur aus der Nähe sichtbar und leicht zu ignorieren.

Sianadh ist leichter zu überzeugen, wenn er eine Torheit vorhat. Spätestens, nachdem ihm eine missachtete Warnung ein paar gebrochene Rippen eingebrockt hat, ist er bereit, auf Imrhien zu hören. Der gutmütige, leutselige Mann, der sich selbst gern als Bär bezeichnet, liebt gute Geschichten und gutes Essen. Letzteres ist im Wald nicht immer zu bekommen. Aber Sianadh hat Erfahrung mit der Wildnis. Mit der Stadt offenbar weniger, dort tappt er von einem Fettnäpfchen ins nächste.
Diarmid ähnelt seinem Onkel nur wenig. Er ist ein wenig steif und förmlich, seine Treue und Ergebenheit gehört ganz und gar dem König. Er färbt sich sogar die roten Haare, damit man ihm seine Abstammung von den Ertish nicht ansieht. Denn er ist von dem brennenden Ehrgeiz beseelt, bei den Dainnan, der Elitetruppe des Königs, aufgenommen zu werden. Als sie unterwegs einem dieser Dainnan begegnen, erhält sein Stolz einen ziemlichen Dämpfer. Doch er ist entschlossen zu lernen.
Sein Verhältnis zu Imrhien ist geprägt von Unsicherheit. Imrhien passt nicht ganz in das Schema seines Weltbildes, deswegen verhält er sich distanziert und kühl, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er seine Aufgabe als Beschützer außerordentlich ernst nimmt. Für ihn bedeutet das auch, dass Ihmrhien sich unterzuordnen hat. Das ist nicht unbedingt immer zu beider Vorteil!

Dorn, der Dainnan, ist eine Mischung zwischen Krieger und Waldläufer, so eine Art Aragorn, nur nicht so ernst und grimmig. Dorn lächelt gern und schafft es sogar, in der Zeichensprache zu scherzen. Gleichzeitig haftet ihm ein Hauch von Melancholie an, deren Ursprung lediglich einmal kurz angedeutet wird. Ansonsten wird seine Vergangenheit kein einziges Mal erwähnt. Aber diese eine Andeutung genügt, um den Leser zu der Frage zu veranlassen, ob Dorn sich sein Haar wirklich nur aus modischen Gründen färbt.

Ebenso gekonnt wie die Hauptpersonen schildert die Autorin auch Charaktere, die nur ganz kurz vorkommen, wie Ustorix, der älteste Sohn der Herrscher von Isse, oder der Fechtmeister Mortier. Aufgrund dieser präzisen Darstellung würde der Leser erwarten, dass sie später noch einmal vorkommen, was aber nicht der Fall ist. Die Handlung konzentriert sich ganz auf Imrhien und weicht so gut wie nie von diesem Handlungsstrang ab. Im Grunde wäre es nicht nötig, an diesem einen Strang so festzukleben, denn die Geschichte wird nicht in der Ich-Form erzählt, trotzdem verschwinden alle Figuren, von denen Imrhien sich im Laufe der Geschichte entfernt, völlig in der Versenkung. Mag sein, dass Imrhien einfach nicht wichtig genug war, um nach seiner Flucht verfolgt zu werden. Andererseits fragt man sich, warum die Autorin sich die Mühe gemacht hat, Ustorix überhaupt zu erwähnen, wenn diese Szene nicht noch irgendwelche Auswirkungen auf das Geschehen hat. Das Ganze wirkt ein wenig irritierend, wie ein loser Faden, von dem man sich fragt, wozu er eigentlich aufgenommen wurde. Und davon gibt es noch mehr.

Nun ist „Im Bann der Sturmreiter“ ja „nur“ der erste Band eines Zyklus. Ich gehe deshalb davon aus, dass lose Fäden wie der von Ustorix und Mortier in den folgenden Bänden wieder aufgenommen werden. Abgesehen von diesen losen Fäden wirkt das Buch aber auch noch in anderer Hinsicht ein wenig unfertig. Die Abenteuer, die Imrhien unterwegs zu bestehen hat, sind einfach lose hintereinander aufgereiht, ohne einander zu bedingen oder sonst irgendwelche Auswirkungen auf die eigentliche Handlung zu haben. Sie bewirken keine Charakteränderung, sie dienen nicht zur Lösung irgendwelcher Rätsel und stellen keine neuen, die es zu lösen gälte. Das einzige Rätsel des Buches bleibt Imrhiens Herkunft und vielleicht noch Dorns Vergangenheit. Aber kaum etwas von dem, was Imrhien unterwegs zustößt, steht damit in irgendeinem Zusammenhang.

Es scheint, als dienten Imrhiens Reisen nur dazu, sämtlichen Gattungen, Arten und Unterarten von Licht- und Dunkelelfen einen Auftritt zu ermöglichen. Laut Quellenangabe war es das erklärte Ziel der Autorin, die Anderwelt so originalgetreu wiederzugeben wie möglich. Ihre Recherchen in den vielen schottischen und walisischen Quellen in Ehren, aber auf Dauer wirken die Massen an verschiedenen Nixen, Wichteln und sonstigen Geisterwesen eher ermüdend, es sei denn, man hegt dieselbe Begeisterung für derlei Geschichten wie die Autorin selbst. Für alle anderen wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen, denn wie gesagt, die vielen verschiedenen Begegnungen bleiben – bis auf eine – ohne Auswirkungen auf die Geschichte, und als Ausschmückung allein empfand ich ihre Auftritte zu massiv und erdrückend.

Ausschmückend ist auch die Sprache der Autorin. Hier kann man ihr tatsächlich einen hohen Grad an Virtuosität bescheinigen. Bilder und Stimmungen werden mit einer enormen Vielfalt an Ausdrücken bedacht, das gilt besonders für Kleidung, Lichtverhältnisse und Landschaftsbeschreibungen, aber auch die Geisterstürme und ihre Auswirkungen. In diese Welt einzutauchen, sie vor dem inneren Auge bildlich entstehen zu lassen, ist hier eine Kleinigkeit. Die Darstellung von Imrhiens Gefühlswelt bleibt dahinter ein gutes Stück zurück, obwohl der Leser durchaus immer wieder in seine Gedanken mit einbezogen wird.

An eigenen Ideen war in dem Buch – der vielen Anderweltbeschreibungen wegen – nicht mehr viel vorhanden. Die wenigen, die vorkamen, waren durchaus interessant und neu für mich, so zum Beispiel das Sildron, das besondere Gestein Dominit, das Geisterstürme abhalten kann, und natürlich die Sturmreiter und die Windschiffe. Gegen ein paar zusätzliche Einfälle dieser Art hätte ich gern einige von den Dunkelelfen eingetauscht.

Denn trotz aller Ausschmückung und trotz des massiven Einsatzes aller Arten von Geisterwesen kommt im Verlauf der Handlung nur wenig Spannung auf. Die ständig neuen Versuche der Dunkelelfen, die Protagonisten ins Verderben zu führen, werden irgendwann langweilig, vor allem, weil man jedes Mal vorher schon weiß, dass diese im letzten Moment entkommen werden. Die finstere Bedrohung, die während Imrhiens Aufenthalt in der Stadt nur ganz leise angedeutet wurde, ging bei der nächsten Reise wieder verloren, und über die Zusammenrottung im Norden und den drohenden Krieg erhält man zu wenig Hintergrundinformationen, um es als echte Bedrohung wahrzunehmen. Es tut sich nicht wirklich etwas, der Spannungsbogen hängt durch.

So war dieser Einstieg in den Zyklus doch etwas langatmig und gewissermaßen ereignislos. Bleibt zu hoffen, dass in den Folgebänden das Erzähltempo ein gutes Stück anzieht, sich die vielen sinnlosen Fäden zu einem sinnvollen Netz zusammenfinden und die hingehauchten Andeutungen etwas handfester werden. Denn als brillant und einen Genuss für Freunde von Tolkien und Sara Douglass, wie der Klappentext vollmundig anpreist, kann man diesen Einstieg noch nicht bezeichnen. Vor allem hinter der Vielschichtigkeit des |Weltenbaum|-Zyklus bleibt dieses Buch bisher noch weit zurück. Mit etwas mehr Schwung und Bewegung im Handlungsverlauf und einem engeren Zusammenhang der einzelnen Ereignisse untereinander, etwas mehr Konzentration auf die interessanten und gelungenen Hauptfiguren und weniger auf die Wesen der Anderwelt, könnte sich der Zyklus aber durchaus noch zu einem guten Buch entwickeln!

|Piper| hat wieder ein recht ordentliches Lektorat abgeliefert, nur würde mich interessieren, ob der Wald Tiriendor oder Tieriendor heißt. Das Cover ist vom optischen Eindruck her so elegant und gelungen, dass ein Einwand gegen die absolut untauglichen Segel des Windschiffs als prosaisch abgelehnt werden muss. Auch ohne Schutzumschlag ist dieser Band eine sehr schöne Ausgabe, dunkel gebunden und mit Leseband. Die Karte im Buchdeckel ist trotz Gold-auf-Schwarz-Druck gut lesbar, nur die Küstenlinien erfordern eventuell einen zweiten Blick.

Cecilia Dart-Thornton, selbst ein Findelkind, wuchs in der Nähe von Melbourne auf. „Im Bann der Sturmreiter“ gehört zu den |Feenland-Chroniken|, deren zweiter Teil „Das Geheimnis der schönen Fremden“ im Oktober erscheinen soll. Eine Herausgabe des dritten Bandes in deutscher Sprache ist momentan noch nicht Sicht, dürfte aber nicht allzu lang auf sich warten lassen. Die Autorin schreibt inzwischen an ihrem nächsten Zyklus, dessen erster Band „The Iron Tree“ im Februar erschienen ist. Neben dem Schreiben widmet sie sich außerdem der Musik und der Photographie.

http://www.dartthornton.com

Miller, Frank / Mazzuchelli, David / Lewis, Richmond – Batman – Das erste Jahr

„Batman – Das Erste Jahr“ behandelt, wie der Titel schon sagt, das erste Jahr, in dem der psychopathische Superheld in Gotham City in Erscheinung tritt.

_Die Story_ dürfte den meisten bekannt sein: Der Millionenerbe Bruce Wayne verlor mit sechs Jahren beide Eltern, die von einem Straßenräuber erschossen wurden. Von nun an hat sein Leben für ihn jeglichen Sinn verloren, bis er sich eines Tages entschließt, den von Verbrechen und Korruption geschüttelten Großstadtmoloch Gotham City zu „säubern“.

Frank Miller schreibt jedoch weder ein glorioses Heldenepos, noch das tragische Psychogramm eines Opfers, das zum Täter wird. In erster Linie schreibt er eine ganz normale schwarze Kriminovelle, die ziemlich hard-boiled daherkommt, sich jedoch durch sehr gelungene Charakterentwicklungen auszeichnet und so wohltuend vom Einerlei der bunten Heftchen abhebt.

Bezeichnenderweise beginnt die Geschichte mit keiner heißen Actionszene und auch nicht mit einer plumpen Vorausdeutung auf den späteren Batman, sondern (wie ein Film) mit einer realistischen, grauen und recht ernüchternden Szene, in der ein gewisser James Gordon aus Chicago am tristen Bahnhof von Gotham City ankommt, wo er demnächst seinen Dienst als Lieutenant der Polizei verrichten wird.

Miller und sein Zeichner Davie Mazzuchelli erschaffen auf hervorragende Weise von Anfang an eine eigentümliche Atmosphäre der Stadt, die den Leser im weiteren Verlauf der Geschichte immer stärker in den Bann zu schlagen vermag. Das Bild einer Stadt voller Entfremdung setzt sich im Kopf des Lesers in dem Maße zusammen, in dem die Illusionen und die noch recht neutrale Erwartungshaltung Gordons mehr und mehr den Frustrationen des harten Alltags weichen müssen.

Die später eingeführte, stark einseitige Perspektive des Bruce Wayne ist es aber, die den Wahnsinn dieser Stadt noch stärker aufzeigt und ein endgültig düsteres Bild der Metropole zeichnet; es ist jedoch eine Perspektive, die schon so gebrochen erscheint, dass man als Leser allmählich zu zweifeln beginnt, ob man hier die ganze Wahrheit gezeigt bekommt.

Dieser Wayne ist nämlich keineswegs ein überlegener Moralist mit harten Methoden, sondern ein arroganter Schnösel, den die Schuldgefühle gegenüber seinen Eltern keineswegs davor bewahren, die Ausgestoßenen der Gesellschaft pauschal als Abschaum zu betrachten. Erst als er sich hinab begibt in ihre (Halb-)Welt, dämmert es ihm unbewusst, dass es sich um Menschen handeln könnte, die genauso ihre Motive haben wie jeder andere auch. Das führt noch längst zu keiner Wandlung; wäre das der Fall, würde Batman auch recht schnell unglaubwürdig. So aber erleben wir ihn beim Training, beim Räsonieren, beim Planen, beim Repräsentieren und natürlich dann doch beim Kämpfen als einen innerlich zerrissenen Menschen, der sich äußerlich (auch vor sich selbst) aber immer zu rechtfertigen weiß.

Gordon ist ebenso ein Mensch mit Fehlern und dunkler Vergangenheit. Er eignet sich recht schnell die illegalen Methoden seiner Kollegen an, wird hart und abgebrüht, versucht den Job nicht an sich ranzulassen und seine schwangere Frau aus allem rauszuhalten. Und beginnt eine Affäre mit einer Kollegin. Er stellt nach und nach fest, dass sich sowohl Kollegen und Vorgesetzte als auch der Bürgermeister selbst tüchtig schmieren lassen, und es kotzt ihn an. Schon bald ist er recht unbeliebt und beginnt notgedrungen, Verbündete gegen die internen Intrigen im Polizeiapparat zu suchen. Er stellt fest, dass die Korruption zum Himmel stinkt, die meisten Verdächtigen jedoch Protektion von oberster Stelle genießen.

Als Batman seine nächtlichen Streifzüge und aufsehenerregenden Selbstjustizaktionen beginnt, ist es Gordon, der ihn bekämpfen soll. Anfangs nimmt er diesen Job an wie jeden anderen. Doch nach und nach beginnt er an den Methoden der Polizei zu zweifeln, zumal einige Leute den Fledermausmann offenbar unbedingt tot sehen wollen, obwohl dieser bisher stets darauf achtete, niemanden zu töten …

Ein interessanter Nebenstrang ist der einer Prostituierten, die eines Tages beschließt, ihr Leben zu ändern. Noch im selben Jahr tritt nach dem Mann im unheimlichen Fledermauskostüm eine zweite kostümierte Gestalt in Gotham Citys Polizeiberichten in Erscheinung: Eine Fassadenkletterin, die sich ihre Opfer stets unter den reichsten Verbrechern der Stadt auswählt.

Derweil muss Batman sich Gedanken um seine Sicherheit gegenüber dem immer rücksichtsloseren Polizeiapparart machen, und nach einem ersten „Presse-Erfolg“ auch um sein Image, als er mit der katzenhaften Fassadenkletterin in Verbindung gebracht wird. Auch Gordon, der bisher als erfolgreicher Einsatzleiter unter dem Schutz der öffentlichen Meinung stand, wird die Luft dünn. Nachdem er bereits von oben eine „inoffizielle Abmahnung“ wegen „unkollegialen Verhaltens“ bekam, wird nun seine Frau bedroht …

_Die Zeichnungen_ von Mazzucchelli sind recht schlicht gehalten, aber dennoch wirkungsvoll. Die teils nur schemenhaften, teils stark eingetuschten Bilder bringen die desolate Nachtstimmung ausgesprochen realistisch rüber. So richtig beeindruckend wirken sie aber erst durch die perfekt auf diesen Zeichenstil abgestimmte Farbgebung (Richmond Lewis), bei der im jeweiligen Panel meist ein bestimmter Ton in diversen Schattierungen dominiert und so nahezu jedes Bild mit einer zu eben diesem passenden, flächigen Eintrübung zusammenhält und atmosphärisch verdichtet.

Den Actionszenen kommt besonders ihre drastische Schemenhaftigkeit zugute, die diese Momentaufnahmen blitzschneller Entscheidungen und Reaktionen von der Alltagsrealität deutlich abhebt. Die Gewalt bricht stets als dunkle Bedrohung in das Geschehen ein.

Hier erweist sich David Mazucchelli als Meister der dramaturgischen Licht- und Schattengebung. Bemerkenswert sind auch die Zwischentitel, deren grundlegende Schwarzweiß-Technik aufgebrochen wird, indem Detailausschnitte auf beeindruckende Weise durch Einfärbungen in den Focus genommen werden, fast so, als blicke man durch ein Zielfernrohr.

Frank Millers Verdienst aber ist es, die Handlungsstränge auf spannende Weise miteinander zu verweben und so nicht nur ein psychologisch nachvollziehbares Handlungsgerüst, sondern auch eine komplexe Darstellung seiner Kulisse zu liefern.

Wie es scheint, ist es nämlich erst diese dämonische Stadt, die die Personen zu dem gemacht hat, was sie sind. Für mich ist Gotham City der wahre (Dark) Star dieser Erzählung.

Edward D. Hoch – Schock um Mitternacht

hoch-schock-cover-kleinSeit 2000 Jahren jagt er die Vertreter des Bösen auf der ganzen Welt: Simon Ark, unsterblicher Ghostbuster mit ausgeprägten detektivischen Fähigkeiten, die er in den hier versammelten fünf Fällen auch dringend benötigt, da sein Wild bevorzugt Besitz von willensschwachen Menschen ergreift, die ausgesprochen kriminell vorgehen … – Fünf Storys im schattigen Bereich zwischen Realität und Jenseits, wobei auch der rein menschliche Wahnsinn nicht ausgespart bleibt: routinierter, etwas anderer und auch deshalb interessanter Grusel der metzelfreien Art.
Edward D. Hoch – Schock um Mitternacht weiterlesen

Rankin, Ian – Souvenir des Mörders, Das

Gleich vierfach hat das Schicksal – das es nach Ansicht der Schotten auf sie ganz besonders absieht – Detective Inspector John Rebus dieses Mal geschlagen. Da ist zunächst seine Strafversetzung vom „heimatlichen“ Revier St. Leonard’s nach Craigmillar, das verrufendste Polizeirevier von Edinburgh, das die hier tätigen Beamten gern „Fort Apache, Bronx“ nennen. Zu vielen hoch gestellten Persönlichkeiten ist er auf die Zehen getreten, so dass er nun hier Dienst schieben muss, wo die Kollegen ihn, den Paria, weitgehend meiden.

Außerdem jagt ihn die Presse. Ein alter Fall von 1977 wurde von den Medien aufgegriffen. Damals hatten Detective Inspector Lawson Geddes und sein junger Untergebener John Rebus einen gewissen Leonard Spaven als Mörder überführt. Im Gefängnis war dieser zu einem berühmten Schriftsteller avanciert. Später brachte er sich um, nachdem er stets seine Unschuld beteuert und geklagt hatte, die Polizei habe ihn in eine Falle gelockt. Dies könnte zutreffen, wie Rebus sich unbehaglich eingestehen muss. Geddes hatte Spaven um jeden Preis als Mörder stellen wollen. Jetzt hat sein ehemaliger Vorgesetzter Selbstmord begangen: ein Schuldeingeständnis? Rebus soll vor der Kamera Stellung nehmen, was er nicht zu tun gedenkt, bis er Genaues weiß. Er zwingt seinen Kollegen Detective Sergeant Brian Holmes, den Spaven-Fall noch einmal heimlich aufzurollen und zu überprüfen. Dies geschieht im Wettlauf mit der eigenen Behörde, die selbst nachprüfen lässt, ob damals fehlerhaft gearbeitet wurde. Leiter der Prüfungskommission ist ausgerechnet Detective Chief Inspector Charles Ancram aus Glasgow, mit dem es sich Rebus ebenfalls verdorben hat.

Dann ist da ein aktueller Mord: Ein Erdölarbeiter ist gefesselt aus einem hoch gelegenen Fenster gestürzt. Die Spuren deuten auf die Täterschaft von Andrew Kane, genannt „Tony El“, hin. Der sadistische Schläger war bisher für Joseph „Uncle Joe“ Toal, einen gefürchteten Gangsterboss in Glasgow, tätig. Die Polizei wird hellhörig: Plant dieser etwa, seine „Geschäfte“ nach Edinburgh auszuweiten? Toal behauptet, Tony El längst nicht mehr zu beschäftigen. Rebus soll ermitteln, was hinter der rätselhaften Tat steckt. Angeblich hält sich Tony El neuerdings in Aberdeen auf. Diese schottische Stadt ist erfreulich weit entfernt von Edinburgh und Ancram. Deshalb beschließt Rebus, seine Nachforschungen in den schottischen Nordosten zu verlegen.

Das lässt ihm außerdem die Muße, sich mit einem anderen Fall beschäftigen. Seit einiger Zeit treibt „Johnny Bible“ sein Unwesen in Schottland – ein Serienmörder, der gern die Bibel zitiert, Frauen auflauert, sie vergewaltigt und erdrosselt. Merkwürdig ist, dass es Ende der 1960er Jahre schon einmal einen Mehrfachkiller gab, der drei Opfer in Glasgow nach identischem Muster umbrachte. Die Presse nannte ihn damals „Bible John“. Ist er es, der wieder aktiv geworden ist? Hat er einen Nachfolger gefunden?

So ist es in der Tat – und der „echte“ „Bible John“ zeigt sich höchst empört über den „Parvenü“, der es wagt ihn nachzuahmen. Narzisstisch und so gefährlich wie einst, beschließt er, Johnny Bible zu finden und umzubringen, denn er fürchtet, dessen Aktivitäten könnte die Polizei nach vielen Jahren auch auf seine Spur bringen. Rebus könnte ihm womöglich auf die Spur kommen, so dass Bible John überlegt, diesen vorsichtshalber auszuschalten …

Mit „Das Souvenir des Mörders“ stößt Ian Rankin mit seiner Rebus-Saga endgültig in eine neue Dimension vor. Auch die ersten sieben Romane der Serie ließen es an einer ausgefeilten Handlung nie fehlen. Sie beschränkten sich indes recht klassisch auf einen zentralen Kriminalfall, den es zu lösen galt. Nunmehr erweitert sich das Blickfeld. Rebus wird zum Wanderer durch eine Welt, die für das Verbrechen grenzenlos geworden ist. Politik und Großkonzerne mauscheln mit nationalen und internationalen Banden, die Presse lässt sich als Handlanger der korrupten Eliten instrumentalisieren, nicht einmal die verschiedenen Ordnungsmächte sind vor Korruption und Misswirtschaft gefeit. Es ist eine neue, globalisierte, schmutzige Welt, in die Rebus jetzt gerät. Kein Wunder, dass er nun mehr Buchseiten benötigt, um wenigstens in Teilbereichen Gerechtigkeit walten zu lassen. Mit mehr als 600 Seiten stellt „Das Souvenir des Mörders“ auch in dieser Beziehung einen Quantensprung dar.

Fragt sich indes, ob dies unbedingt von Vorteil ist. Rankin hat sich Luft geschaffen und seinen Helden aus dem Alltagstrott gerissen, was der Serie zweifellos neues Leben einhaucht. Indes nimmt er sich manchmal ein bisschen zu viel auf einmal vor. Im Grunde sind es drei Kriminalfälle, derer sich Rebus annehmen muss. Um dies nicht gar zu deutlich werden zu lassen, schafft Rankin einige Querverbindungen, die logisch nur bedingt nachvollziehbar sind. In der Auflösung ist sogar ein unvermittelt in die Handlung flatternder Brief mit dringend erforderlichen Zusatzinfos nötig.

Das soll nicht heißen, dass es kein Vergnügen bereitet, den aktuellen Rebus-Kapriolen zu folgen. Immer neue, überraschende Wendungen weiß der Verfasser seiner Geschichte zu geben. Zu geschickt weiß er reales Tagesgeschehen mit seiner fiktiven Edinburgh-Chronik zu verquicken, deren Kontinuität zudem gewahrt bleibt. Rankin lässt uns wissen, was aus Figuren geworden ist, die wir in früheren Bänden kennen gelernt haben. Die Welt ist zwar groß, aber sie ist zumindest in Edinburgh ein Dorf geblieben. Man läuft sich immer wieder über den Weg. Dieses „Pflegen“ älterer Handlungsstränge trägt zur Vertrautheit der Serie viel bei. Dazu kommt wieder viel sarkastischer Humor, der sich vor allem über die Medien, den Polizeialltag und Rebus’ Kollegen ergießt. Schotten mögen von düsterem Gemüt sein, aber sie können sich wenigstens über sich & ihr Elend lustig machen!

Würde man ihn nicht längst besser kennen, könnte man auf den Gedanken kommen, John Rebus leide unter dem „Wallander-Syndrom“, das die Betroffenen zum depressiven Suhlen im Schlamm einer notorisch schlechten Welt zwingt. Aber Rebus ist nur angezählt und noch längst nicht am Boden. Dazu ist er viel zu eigensinnig. Die Vorgesetzten züchtigen, die Stadtprominenz hasst, die Presse piesackt ihn? Rebus, der es weder anders erwartet noch wirklich will, blüht förmlich auf, flüchtet in die Arbeit und läuft erneut zur kriminalistischen Hochform auf. Die langen Jahre der meist trüben Polizeiroutine haben ihn nicht ausbrennen lassen wie DS Holmes. Rebus hat sich in einen „Frontermittler“ verwandelt, der das Recht nicht beugt, aber in seinem Sinne auslegt. Dabei legt er sehr viel Initiative und Kreativität an den Tag. So bereitet es ihm keine Schwierigkeiten, den Gangster „Big Ger“ Cafferty, seine alte, endlich gefangen gesetzte Nemesis, als Instrument einzusetzen, das ihm den Weg zu „Uncle Joe“ Toal ebnet.

Privat sieht es für den Kettenraucher, Trinker und Einsiedler Rebus dieses Mal besonders düster aus. Im Kern ist er jedoch unbeschädigt, denn er findet die Kraft, sich vor dem definitiven Absturz zu fangen und einen persönlichen Fehler aus seiner Vergangenheit aufzuarbeiten: Den Fall Spaven wirklich zu klären, ist Rebus ein inneres Bedürfnis. Hinzu tritt die – von Ian Rankin gern und nur halb im Scherz ins Spiel gebrachte – schottische Melancholie, welche – gepaart mit einem Hang zur Selbstgeißelung – ein integrales Element des Rebusschen Wesens ist. Letzteres zielt vor allem auf sein Liebesleben ab, das Rebus selbstzerstörerisch wie selten zuvor in ein Minenfeld verwandelt.

Rebus’ eigentlicher Gegner ist „Das Souvenir des Mörders“ „Bible John“. Rankin wagt hier ein Risiko: Er macht eine authentische Person zur Figur einer fiktiven Geschichte. Tatsächlich hat der echte Bible John zwischen Februar 1968 und Oktober 1969 drei Frauen getötet; seine Identität ist bis heute unbekannt. Akkurat bezieht Rankin die wenigen bekannten Fakten in seine Story ein. „Sein“ Bible John ist gleichzeitig der Versuch, ein Täterprofil zu erstellen bzw. das Profil, das von kriminalistischen Fachleuten erstellt wurde, zum Leben zu erwecken. Es gelingt Rankin mit erschreckender Prägnanz, den Serienkiller als „funktionierendes“, als Alltagsmensch „getarntes“, aber tatsächlich absolut amoralisches Wesen darzustellen. Bible John akzeptiert ausschließlich sich als Mensch. Um ihn herum bewegen sich ansonsten nur ihm unterlegene Kreaturen, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse ausnutzt oder umbringt. Deshalb ist er so wütend auf „Johnny Bible“: Dieser gefährdet seine Sicherheit, imitiert ihn und missachtet damit offen seine Stellung an der Spitze der Nahrungskette. Das erträgt John nicht, es treibt ihn sogar aus seiner perfekten Deckung – letztlich unterliegt er doch seinen Zwängen, was er sich nie eingestehen würde.

Ian Rankin wird 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studiert er ab 1983 Englisch, zunächst mit dem Schwerpunkt Amerikanische, später Schottische Literatur. Schon früh beginnt er zu schreiben. Zunächst hoffnungsvoller Poet, wechselt er als Student zur Prosa. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versucht er sich an einem Roman, findet aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erscheint 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Nachdem sein Stipendium ausgelaufen ist, verlässt Rankin 1986 die Universität und geht nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitet. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionageroman „Watchman“ (1990). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasst Rankin in rascher Folge drei actionlastige Thriller. 1991 greift Rankin eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. [„Verborgene Muster“) 956 zum ersten Mal hat auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. „Knots & Crosses“ war 1987 weniger als Kriminalroman, sondern eher als intellektueller Spaß im Stil Umberto Ecos gedacht, den sich der literaturkundige Autor mit seinem Publikum machen wollte. Schon die Wahl des Namens, den Rankin seinem Helden gab, verrät das Spielerische: Um Bilderrätsel – Rebusse – dreht sich die Handlung.

Mit John Rebus gelingt Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftet. Als man ihn immer wieder auf das weitere Schicksal des Sergeanten anspricht, wird er sich dessen Potenzials bewusst. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. [„Das zweite Zeichen“) 1442 spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt seither den dunklen Seiten nach, die den Bürgern, vor allem aber den (zahlenden) Touristen von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kirche gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Simple Schurken, deren möglichst malerisches, weil „gerechtes“ Ende bejubelt werden kann, gibt es bei ihm nicht.

Ian Rankins Rebus-Romane kommen nach 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnet ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 1992 ehrt man ihn in den USA mit dem „Chandler-Fulbright Award“ als „Nachwuchsautoren des Jahres“. Rankin gewinnt im Jahre 2000 weiter an Popularität, als die britische BBC beginnt, die Rebus-Romane zu verfilmen.

Ian Rankins [Website]http://www.ianrankin.net ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.

Die John Rebus-Romane …
… erscheinen in Deutschland im |Wilhelm Goldmann Verlag| (Stand: Sommer 2005):

01. [Verborgene Muster 956 (1987, Knots & Crosses) – TB-Nr. 44607
02. [Das zweite Zeichen 1442 (1991, Hide & Seek) – TB-Nr. 44608
03. Wolfsmale (1992, Wolfman/Tooth and Nail) – TB-Nr. 44609
04. Ehrensache (1992, Strip Jack) – TB-Nr. 45014
05. Verschlüsselte Wahrheit (1993, The Black Book) – TB Nr. 45015
06. Blutschuld (1994, Mortal Causes) – TB Nr. 45016
07. [Ein eisiger Tod 575 (1995, Let it Bleed) – TB Nr. 45428
08. Das Souvenir des Mörders (1997, Black & Blue)
09. Die Sünden der Väter (1998, The Hanging Garden) – TB Nr. 45429 (noch nicht erschienen)
10. Dead Souls (1999, noch kein dt. Titel)
11. Der kalte Hauch der Nacht (2000, Set in Darkness) – TB Nr. 45387
12. Puppenspiel (2001, The Falls) – TB Nr. 45636
13. [Die Tore der Finsternis 1450 (2002, Resurrection Man)
14. Die Kinder des Todes (2003, A Question of Blood)
15. So soll er sterben (2004, Fleshmarket Close, noch nicht erschienen)

Darüber hinaus gibt es zwei Sammlungen mit Rebus-Kurzgeschichten: „A Good Hanging & Other Stories“ sowie „Beggars Banquet“. Hinzu kommt „Rebus’s Scotland“, ein Fotoband mit Texten von Rankin, der hier jene Orte aufsucht, die ihn zu seinen Romanen inspirierten.

Holt, Anne – Wahrheit dahinter, Die

_Auf den Hund gekommen_

Kurz vor Weihnachten erreicht Hanne Wilhelmsen die Schreckensnachricht, dass vier Leichen gefunden worden sind, die von Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen durchlöchert wurden. Ihr Urlaub muss folglich erst einmal verschoben werden und auch an ruhige Feiertage ist selbstverständlich nicht zu denken. Drei der Opfer zählen zur reichen Familie Stahlberg, doch das vierte Opfer gibt der Polizei Rätsel auf; zunächst ist seine Identität unklar, doch auch als Knut Sidensvans als viertes Mordopfer identifiziert ist, fehlt sämtlicher Zusammenhang zur Familie Stahlberg. Erschwerend für die Ermittlungen kommt hinzu, dass ein Hund zuerst am Tatort gewesen ist und sich dort an den Leichen gütlich getan hat. Viele Spuren sind dadurch verwischt worden.

Dennoch zeichnet sich schnell ab, dass Familie Stahlberg einiges zu verbergen hat. Das Familienoberhaupt Hermann Stahlberg und seine Ehefrau Tutta sind ermordet worden, sowie der älteste Sohn Preben. Zurück bleiben die Kinder Carl-Christian und Hermine, die beide mehr zu wissen scheinen, als sie zugeben wollen. Zudem besitzt Carl-Christian einen Waffenschein und hatte sich offensichtlich mit seinem Vater überworfen. Hermine dagegen hat zwar ein Drogenproblem, scheint aber dennoch von ihren Eltern bevorzugt worden zu sein. Billy T. findet über zweideutige Kontakte im Osloer Untergrund heraus, dass Hermine illegal Waffen gekauft und sich in den letzten Wochen seltsam benommen hat. Auch die Alibis der beiden Stahlbergkinder sind mehr als dünn, sodass der Schluss nahe liegt, dass eine Familientragödie aufzuklären ist.

Doch Hanne Wilhelmsen will sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben und bemüht sich, mehr über das vierte Opfer herauszufinden, das ihrer Meinung nach nicht nur zufällig in das Familiendrama geschlittert ist, sondern eine wichtige Rolle spielen könnte. Dennoch macht sich Hanne mit ihren unkonventionellen Ermittlungsmethoden keine Freunde. Am Ende steht aber allen Beteiligten eine große Überraschung bevor …

_Interessant und überraschend, aber konstruiert_

In einer Art Prolog begleiten wir einen herumstreunenden Hund bei seinem blutigen Leichenfund, der für das ausgehungerte Tier ein wahres Festmahl darstellt. Gleich darauf beginnen auch schon die Ermittlungen, als Billy T. spätabends seine Kollegin Hanne Wilhelmsen zum Tatort beruft, obwohl diese kurz vor ihrem wohlverdienten Weihnachtsurlaub steht. Der begangene Mord ist grausam, doch verdichten sich die Hinweise schnell zu einem konkreten Tatverdacht, denn es ist offensichtlich, dass Carl-Christian und auch Hermine Stahlberg einiges zu verbergen haben. Beide lügen und können kein entlastendes Alibi vorweisen.

Wie nach einem Rettungsanker greifen die Polizisten dankbar diese Verdachtsmomente auf, um ihre Ermittlungen so schnell wie möglich abschließen zu können. Der Mord hat viel Aufsehen erregt, außerdem sind die Beamten urlaubsreif und übermüdet, sodass man es ihnen fast nachsehen kann, dass sie viele Hinweise nicht hinterfragen, sondern sich nur noch in eine Richtung fortbewegen.

Dem gegenüber steht allein Hanne Wilhelmsen, die zwar auch nicht so recht an die Unschuld der Stahlbergkinder glauben kann, da diese sich immer mehr in Lügen verstricken, doch Hanne möchte sicher sein und die Verbindung Knut Sidensvans zur einflussreichen Familie Stahlberg herausfinden. Dennoch entwickelt der Kriminalfall sich relativ einseitig weiter, es wird kaum in andere Richtungen ermittelt und für den Leser zeichnet sich auch kein anderer Tatverdächtiger ab. Erst mit Kenntnis der Auflösung bemerkt der Leser, dass Anne Holt ganz unbemerkt zwischendurch Hinweise eingeflochten hat, die sehr wohl einen weiteren Verdächtigen bemerkbar machen. Diese Andeutungen sind allerdings so geschickt eingestreut, dass ich sie überlesen hatte und am Ende von der Autorin überrascht wurde. Um sich das ganze Lesevergnügen zu erhalten, empfehle ich, die Inhaltsangabe auf Seite 2 nicht zu lesen, da hier ein wenig vorgegriffen wird.

Trotz alledem war ich mit der Auflösung am Ende nicht vollauf zufrieden; es war klar, dass Anne Holt noch ein Ass aus dem Ärmel zaubern würde und am Ende nichts so ist, wie es scheint, allerdings kam mir das Buchende künstlich konstruiert vor. Obwohl zwischendurch kleine Hinweise eingeflochten waren, fiel der wahre Schuldige vom Himmel und auch die Hintergründe des Mordes und der Tatablauf scheinen nicht sonderlich realistisch, zu viele Zufälle kommen hier zusammen. Hier schießt Anne Holt in ihrem Wunsch, ihre Leser zu überraschen, meiner Meinung nach etwas über das Ziel hinaus.

_Personalien_

„Die Wahrheit dahinter“ ist ein weiterer Krimi aus der Hanne-Wilhelmsen-Reihe, der mit einem kleinen zeitlichen Bruch nach „Das letzte Mahl“ die Serie fortsetzt. Aus eigener Erfahrung kann ich nur dringend dazu raten, die Bücher in chronologischer Reihenfolge zu lesen, um der personellen Weiterentwicklung folgen zu können. Anne Holt verwendet viel Zeit darauf, um ihre handelnden Figuren näher vorzustellen; so erfahren wir in diesem Buch, dass Hanne Wilhelmsen nach dem Tod ihrer ehemaligen Lebensgefährtin Cecilie eine wohlhabende Frau namens Nefis geheiratet hat. Die beiden leben zusammen mit ihrer skurrilen Haushälterin Marry in einer schönen Wohnung und auch Nefis äußert mehr als deutlich den Wunsch nach einem Kind. So sind auch in dieser Beziehung die Streitereien vorprogrammiert, denn in dieser Hinsicht ist Hanne Wilhelmsen uneinsichtig wie eh und je. Obwohl sie inzwischen in therapeutischer Behandlung ist, konnte sie ihre traurige Kindheit noch nicht überwinden und mag auch nicht die Verantwortung für ein eigenes Kind übernehmen.

Eine weitere wichtige Figur ist Billy T., der mit der Frau seines fünften Kindes zusammenlebt, aber permanent unter Geldmangel leidet, weil er vier Exfreundinnen Alimente für die gemeinsamen Kinder zahlen muss. Auch seine Verbindung zu dubiosen Osloer Kreisen sind noch nicht eingeschlafen; so liefert Billy T. entscheidende Hinweise zur Auflösung des Mordfalles. Während Billy T. in den vorigen Romanen Hannes einziger Vertrauter war und er allein wusste, dass seine Kollegin lesbisch ist, distanziert sich Hanne in diesem Buch mehr denn je von Billy T.

Doch auch die Stahlbergkinder bekommen viel Raum in der Erzählung. Anne Holt stellt ausführlich Hermine und ihre Drogenprobleme vor, aber auch Carl-Christian und seine Ehefrau Mabelle finden Erwähnung. Die Autorin versucht hier bemüht, alle Charaktere nahezu gleichwertig zu behandeln; wir begleiten fast alle Personen in ihr Privatleben und lesen über ihre Gedanken und Handlungen. Allerdings franst die Erzählung dadurch so sehr aus, dass man den Gedankengängen der Autorin kaum folgen kann. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn Anne Holt sich auf drei oder vier Figuren konzentriert hätte, nicht jeder Charakter kann gleichwertig vorgestellt werden, ohne die Leser zu verwirren. Durch die vielen Charakterisierungen gerät leider die Erzählung ins Stocken, da es inhaltlich nur wenig vorangeht. Schade – eine gute Figurenzeichnung trägt zwar zum Lesegenuss bei, kann aber die Freude auch trüben, wenn sie übertrieben wird.

_Am Ende siegt die Wahrheit_

Anne Holt hebt sich alleine schon durch ihre lesbische Krimiheldin deutlich von ihren Krimikollegen ab, verwendet aber so viel Zeit und Mühe, um ihre Figuren zu präsentieren, dass dringend dazu geraten ist, Holts Romane in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Sonst ist es äußerst schwierig, die vergangenen personellen Entwicklungen nachzuvollziehen. Der vorliegende Kriminalfall erscheint uns äußerst brisant; drei Mitglieder der einflussreichen Familie Stahlberg sind brutal ermordet worden und stören damit die idyllischen Vorbereitungen zum verschneiten Weihnachtsfest in Oslo. Dadurch entsteht ein interessanter Gegensatz. Durch die ausschweifenden Personenbeschreibungen verliert man sich aber schnell in den unterschiedlichen Handlungssträngen und blättert ein wenig verwirrt weiter; ein roter Faden wäre hier an einigen Stellen wünschenswert gewesen. Die Auflösung erschien mir ein wenig zu unwahrscheinlich und konstruiert, sodass ein fader Nachgeschmack zurückbleibt. Dennoch versteht es Anne Holt, ihre Leser zu unterhalten und wie immer am Ende auch zu überraschen. Es sind daher nur kleine Abzüge zu vermerken, die die Lektüre dieses Buches ein wenig verkomplizieren und das Lesevergnügen trüben.

Huston, Charlie – Gejagte, Der

Gut ein Jahr ist es her, dass Charlie Hustons Romandebüt [„Der Prügelknabe“ 1469 auf den deutschen Markt kam. Nun folgt mit „Der Gejagte“ die Fortsetzung der rasanten Flucht des sympathischen Verlierertypen Hank Thompson – kein bisschen weniger actionreich als der erste Teil und auch kein bisschen unblutiger.

Etwa drei Jahre sind vergangen, seit Hank Thompson mit viereinhalb Millionen Dollar im Gepäck die Flucht von New York nach Mexiko gelang. Es sind nicht seine viereinhalb Millionen Dollar, wohlgemerkt, sondern die mehrerer mittlerweile toter Gangster aus New York. In dem Zwist zwischen russischer Mafia, korrupten Polizisten und Gangstern, der um das Geld entbrannt war, geriet Hank damals zwischen die Fronten – nur weil er so nett war, ein paar Tage auf die Katze seines Nachbarn Russ aufzupassen. Am Ende ist es Hank, dem mit dem Geld die Flucht gelingt.

Seit drei Jahren lebt Hank, der meistgesuchte Mann Amerikas, also nun schon in Mexiko. Er hat ein bescheidenes kleines Häuschen am Strand und verbringt die meisten Tage bei seinem Freund Pedro in der Strandbar. Kurzum: Hank genießt das Leben. Als dann aber plötzlich in Pedros Bar ein Typ mit russischem Akzent auftaucht, holt Hank die Vergangenheit wieder ein.

Hank muss feststellen, dass sein geheimes Leben in Mexiko aufzufliegen droht und so tritt er erneut die Flucht an. Er geht zurück in die USA, doch kaum hat er amerikanischen Boden betreten, beginnt die wilde Jagd von vorne. Wieder sind unterschiedliche Parteien hinter dem Geld her und wieder zieht Hank eine Schneise der Verwüstung hinter sich her – quer durch die USA …

Bereits Hustons Debütroman „Der Prügelknabe“ verkaufte sich gut. Die Kritiker waren voll des Lobes und die Filmrechte sind bereits nach Hollywood verkauft. Der nun vorliegende zweite Teil von Hustons als Trilogie angelegter Geschichte steht dem in nichts nach. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist wieder Hank. Besonders im ersten Roman baut Huston Hank als eine sympathische Figur auf. Ein Verlierer, mit dem es das Leben nicht immer gut meint und mit dem man mitleidet und mitfiebert. Hank wirkte in seiner ganzen Art glaubwürdig und menschlich, da konnten alle Geschehnisse um ihn herum noch so abgefahren sein.

Es ist schon in „Der Prügelknabe“, als Hank eine Grenze überschreitet, die auch in seiner Figurenzeichnung zu einer Veränderung führt. Ab einem gewissen Punkt nimmt Hank die Geschichte selbst in die Hand und verliert dabei seine Unschuld. Am Ende gehen sechs Leichen auf sein Konto und Hank ist nicht mehr derselbe wie vorher. Diese Entwicklung führt Huston auch im zweiten Band konsequent weiter. Hank hat sich verändert, er ist härter geworden und wenn er Gewalt anwenden muss, um mit heiler Haut davonzukommen, dann tut er das eben – eine reine Zweckmäßigkeit. Ein paar Punkte büßt er dadurch auf der Sympathieskala zwar ein, aber dennoch wirkt die Veränderung glaubwürdig, denn letztendlich geht es Hank immer noch um nichts anderes, als darum, sich und seine Lieben vor weiterem Unheil zu bewahren. Hank ist im zweiten Band abgebrühter und härter. Ein Resultat seiner Erlebnisse aus dem ersten Band.

Auch Huston hat sich im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelt. Der erste Roman wirkte vom Stil her schon selbstbewusst und gewitzt. Auch das entwickelt er im zweiten Band konsequent weiter. Die schwarzhumorige Seite seiner Erzählung weiß er stärker zu unterstreichen. Wo Hank hinkommt, da gibt es immer eine Eskalation der Situation. Alles läuft gegen ihn, ständig gerät er an die falschen Typen und alles endet im Chaos. Wie ein roter Faden zieht sich das durch die gesamte Handlung und je mehr Hank daran verzweifelt, desto komischer wirkt all das auch. Huston baut einen ganz unterschwelligen, schwarzen Humor in die Geschichte ein, so dass der Roman zu einem wahren Lesevergnügen wird.

Was zum Lesevergnügen ebenso beiträgt, ist Hustons Erzählstil. Die Geschichte wirkt sehr plastisch, der Drehbuchautor Huston lässt im Kopf des Lesers die Handlung wie einen rasanten Actionfilm ablaufen: schnelle Schnitte, rasante Wortwechsel, kurze prägnante Sätze. Ein Roman, der sich binnen kürzester Zeit verschlingen lässt. Man kann sich schon beim Lesen des Buches „Der Gejagte“ ganz wunderbar als Film vorstellen und das, obwohl Huston sich zu keiner Zeit mit ausschweifenden Beschreibungen aufhält. Atmosphäre und Figurenzeichnung entfalten sich bei ihm auch schon mit wenigen Worten ganz hervorragend.

„Der Gejagte“ ist genau wie „Der Prügelknabe“ im Grunde ein Actionfilm im Buchformat. Huston legt ein hohes Tempo für seine rasante Odyssee quer durch Amerika vor und heizt schon mit diesem hohen Erzähltempo die Spannung an. Dominiert wird der Spannungsbogen stets von einer Frage: Wie kommt Hank da bloß mit heiler Haut wieder heraus? Diese Frage brennt einem vom ersten bis zum letzten Kapitel unter den Nägeln. Wirklich beantwortet wird sie aber vermutlich erst im dritten Teil der Trilogie.

Parallelen zum Actionfilm gibt es nicht nur aufgrund des hohen Erzähltempos und des Gegenstands der Handlung. Auch sprachlich trifft dieser Vergleich zu. Die Dialoge sind immer wieder ein wenig vulgär. Es wird viel geflucht und in gangstermäßigem Slang schlau dahergeredet, Drogen werden konsumiert (und das nicht zu knapp), Personen mit Schusswaffen bedroht. Es geht insgesamt schon recht ruppig zu und die handelnden Protagonisten sind alles andere als zimperlich im Umgang miteinander. Dementsprechend verläuft auch „Der Gejagte“ nicht ohne reichlich Blutvergießen und wie auch schon im Auftaktroman der Trilogie geht es in den Schilderungen nicht immer ganz appetitlich zu. Hustons Trilogie ist also nicht unbedingt für zartbesaitete Gemüter und lässt sich innerhalb des Thrillergenres eher in der Hard-Boiled-Ecke positionieren.

Ein paar Worte noch zur Kontinuität: Für Quereinsteiger ist „Der Gejagte“ nicht unbedingt zu empfehlen. Wer das Buch liest, sollte möglichst auch die Kenntnisse aus dem ersten Teil haben. Huston baut zwar Rückblenden auf den ersten Roman ein, aber die können nicht dazu dienen, einem Quereinsteiger zu vermitteln, was im ersten Teil alles passiert ist. Dafür geschieht in der Geschichte einfach zu viel. Vielmehr rufen sie dem Leser ins Gedächtnis, was im ersten Teil besonders wichtig war. Also bitte die Trilogie möglichst komplett und in vorgesehener Reihenfolge lesen. Nach dem ersten Band will man ohnehin wissen, wie’s weitergeht und so kommt man kaum umhin, sie nicht komplett zu lesen.

Auch die Ausgangssituation, die Huston für den dritten Teil der Trilogie schafft, ist sehr vielversprechend. Die Geschichte entwickelt noch eine gänzlich neue Richtung, die im dritten Teil sicherlich die Hauptrolle spielen wird.

Fazit: Was Huston mit „Der Prügelknabe“ so erfrischend und rasant angefangen hat, führt er mit „Der Gejagte“ konsequent fort. Stilistisch bemerkt man eine gewisse dezente Weiterentwicklung. Hank Thompson bleibt als Protagonist außerordentlich interessant. Obwohl er abgebrühter und härter geworden ist, behält er seine sympathische, menschliche Seite – eine Figur, mit der man mitfiebert und mitleidet. Der Roman an sich ist ein rasantes, actiongeladenes und schwarzhumorig angehauchtes Lesevergnügen und ausgezeichnetes Kopfkino. Da darf man mit Spannung erwarten, wie Huston die Geschichte im abschließenden dritten Teil auflösen wird.

Gebhardt, Harald / Ludwig, Maria – Von Drachen, Yetis und Vampiren. Fabeltieren auf der Spur

Fabelwesen – seltsame Tiere oder Tiermenschen, die stets genau dort zu finden sind, wohin sich der Mensch normalerweise nicht zu gehen traut. Man „kennt“ sie nur vom Hörensagen, findet seltsame Spuren, stellt sich fantasiereich ihre Erzeuger vor. Manchmal ruft man sie sogar durch die Kraft der eigenen Vorstellung ins Leben. Vor allem im Alltag unserer eher von Mythen als von der Wissenschaft geprägten Vorfahren waren Fabelwesen wichtig: Ihr Wirken half unverstandene und gefürchtete, scheinbar übernatürliche Vorgänge zu „erklären“. Schiffe gehen auf dem Meer verloren? Da müssen Seeschlangen und Riesenkraken ihr Unwesen treiben! Auf einem Berg raucht, brennt und zischt es? Hier wohnt gewiss ein Drache! Im Dorf tobt eine Seuche, während auf dem Friedhof feist & rosig die Toten in ihren Särgen dösen? Holzpflock her, denn Vampire gehen um!

Sie halten sich zäh, die „Fabeltiere im Leben der Menschen“ (S. 9-36); noch in der Gegenwart begleiten sie uns, wobei sich natürlich ein gravierender Bedeutungswandel feststellen lässt, den uns die beiden Verfasser des hier vorgestellten Buches verdeutlichen. Die ältesten Fabelwesen stehen seit Ewigkeiten über uns: Starrt man lange genug in den Nachthimmel, lassen sich Sterne zu Bildern fügen, die in Beziehung zu Legenden und Sagen gesetzt wurden. Da gibt es Sternbilder wie Pegasus, benannt nach dem geflügelten Pferd, den Drachen, das Einhorn und viele andere. Sie alle besaßen große Symbolkraft, was ihnen feste Plätze in der Heilkunst, der Magie und in der Religion sicherte. Auch das Christentum ist keineswegs frei von solchen Wesen. Fabeltiere fanden ihren Platz auf Adels- und Stadtwappen, wo sie von der Stärke der auf diese Weise Ausgezeichneten kündeten. Recht prosaisch schlug man ihr Abbild in Münzen, würdigte sie freilich auch in der Kunst. Malerei und Architektur, Musik, Lyrik und Prosa, später Film und Werbung: Fabeltiere erwiesen sich erstaunlich lebensfähig, auch nachdem ihre rein mythische Natur enthüllt war.

Zu den wichtigsten Fabelwesen überhaupt gehören die „Drachen und ihre Vettern“ (S. 37-61). Sie existieren in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten, im Abendland und im Fernen Osten. Immer sehen sie erstaunlich ähnlich aus. Die Verfasser gehen der Frage nach, ob es reale Vorbilder für den Drachen gibt. Ausführlich stellen sie anschließend die fernöstlichen Drachen vor, die als Weltenschützer, Beschützer und Glücksbringer hoch in Ehren gehalten wurden, während um die Lind- und Tatzelwürmer und Basilisken des Abendlandes besser ein großer Bogen zu schlagen war.

„Klassische Fabelwesen“ (S. 62-114): Die meisten „Prototypen“ bekannter Fabelwesen finden sich in den Sagen des klassischen Altertums. Ob Sphinx, Hydra, Chimära und Zerberus, Phönix, Vogel Rock, Greif, Harpyien, Pegasus, Zentauren und Gorgonen: Sie plagten nach Homer oder Vergil die Menschen des Mittelmeerraums und standen zudem meist im Bunde mit den Göttern, welche keineswegs für ihren Gerechtigkeitssinn bekannt waren. Die Autoren stellen den „Werdegang“ dieser Wesen dar. Außerdem weisen sie darauf hin, dass die Naturwissenschaftler der Neuzeit die alten Fabelwesen „weiterleben“ ließen, indem sie realen, meist bizarr wirkenden Tiere oder Pflanzen ihre Namen gaben. So gibt es die Hydra, den Greif, die Harpyie oder Gorgonen tatsächlich, auch wenn sich dahinter meist harmlose Kreaturen verbergen.

Fabelwesen eher jüngeren Datums sind der Vampir, diverse Affenmenschen wie der Yeti, Bigfoot oder Almasty, der „Neandertaler aus dem Kaukasus“. Hier mischen sich Mystik und „wissenschaftlich“ begründeter Glaube (bzw. die Hoffnung), unbekannten Wesen aus der Urzeit sei es gelungen, sich auf der fast gänzlich erforschten Erde gewisse Nischen zu besetzen und auf diese Weise zu überleben.

Von dieser Theorie profitieren verständlicherweise vor allem die „Fabeltiere der Meere“ (S. 115-156). Sie existieren (vielleicht) dort, wo es in der Tat schwer ist, sie festzunageln. Zwar wurden das Meerpferd oder der Leviathan inzwischen als reines Seegarn entlarvt. Mindestens ebenso seltsame, zum Teil sehr reale Kreaturen sind an ihre Stellen gerückt. Die Verfasser berichten Neues über Haie, Seeschlangen (unter Berücksichtigung des Ungeheuers von Loch Ness), den Riesenkalmar, den Pottwal und über Sirenen (bzw. Seekühe). Jedem Kapitel folgt der Versuch einer Interpretation, wobei sich Fabel und Fakt oft erstaunlich gut trennen lassen, ohne dabei das Mysterium selbst zu beschädigen: Die Wahrheit, die bekanntlich immer irgendwo da draußen ist, wirkt mindestens ebenso faszinierend wie das Mutmaßliche.

„Reale Fabeltiere“ (S. 157-192): Der Kreis schließt sich, wenn wir zu den „echten“ Fabeltieren kommen. Jawohl, es gibt oder gab sie: den Quastenflosser, die neuseeländische Brückenechse, den Komodo-Waran, den Dodo, den riesigen Moa, das Okapi, das vietnamesische Dschungelrind Sao-La oder das Riesenfaultier Mapinguari. (Wobei Letzteres eher die Hoffnung auf eine mögliche Entdeckung symbolisiert: Der Mensch liebt es, Tiere neu zu entdecken, die er früher ausgerottet hat; es entlastet ihn ökologisch und moralisch.)

„Fabelwesen falsch gedeutet“ (S. 193-214): Das abschließende Kapitel macht deutlich, dass im Zusammenhang mit Fabeltieren Glauben oft Wissen bedeutet(e). Zwar verlangt der skeptische Mensch Beweise, aber die lassen sich (erschreckend) leicht finden. Um ein Narwal- oder Panzernashorn lässt sich problemlos ein Einhorn konstruieren, wenn man die eigentlichen Hornträger nicht kennt. Die massiven Schenkelknochen eines Mammuts geben vortreffliche Überreste böser Riesen ab, welche – noch besser! – in der biblischen Sintflut umgekommen sind und sich so zusätzlich als lehrreiche Kirchenpropaganda nutzen lassen. Für den Menschen der Gegenwart einfacher nachvollziehbar ist dagegen ein Irrtum, der den Glauben an vorzeitliche Zyklopen schürte: Wer hätte gedacht, dass es auf den Inseln des Mittelmeers vor gar nicht so langer Zeit Zwergelefanten lebten, deren Schädel sich wunderbar als Zyklopenköpfe deuten ließen?

Der reichhaltige Anhang (S. 215-223) umfasst die verwendete bzw. weiterführende Literatur sowie ein ausführliches Stichwort- und Quellenverzeichnis, mit deren Hilfe man sich sehr gut innerhalb des Buches orientieren kann.

Die „Geheimnisse der Natur“-Reihe des |BLV|-Verlags stellt ihren Lesern bekannte oder weniger bekannte Mythen vor, die auf ihren realen Kern abgeklopft werden. So gibt es Bände über „den Vogel“, „das Meer“, „das Pferd“ oder „den Baum“, die das breite Bedeutungsspektrum belegen, welches scheinbare Alltagsphänomene in der Menschheitsgeschichte einnehmen.

Die einzelnen Themen können aus Platzgründen einerseits überblicksartig und andererseits exemplarisch behandelt werden. Das vorliegende Buch stellt keine Ausnahme dar. Die Inhaltsangabe macht deutlich, welche Rolle Fabelwesen für den Menschen spielten und spielen. Dem Literaturverzeichnis ist zu entnehmen, dass über Kreaturen wie Riesenkraken, Drachen oder Riesen dickleibige Bücher geschrieben wurden. Mit solcher Informationstiefe können Gebhard & Ludwig nicht dienen; es liegt auch gar nicht in ihrer Absicht.

Ihnen ist es wie gesagt wichtig, das Thema in seiner Vielfältigkeit abzuhandeln. Das ist, wie immer, wenn Mythisches ins Spiel kommt, recht kompliziert. Leicht können Nachforschungen darüber, woher die Einhörner wirklich stammen, sehr fachspezifisch und – seien wir ehrlich – trocken ausfallen. Hier seien die Verfasser ausdrücklich für die Allgemeinverständlichkeit gelobt, mit der sie ihre Erkenntnisse unter steter Wahrung der Fakten einem möglichst breiten Publikum nahe bringen. Schließlich galt es zahlreiche, durchaus kontroverse Fachbereiche (Geschichte, Biologie, Archäologie, Psychologie u. a.) unter einen Hut zu bringen. Lobend hervorzuheben ist weiterhin die Gegenüberstellung des einzelnen Fabelmythos‘ mit der Realität. Hilfreich sind auch die zahlreichen, meist farbigen und sehr qualitätvollen Abbildungen, welche die Allgegenwärtigkeit der Fabelwesen nachdrücklich unterstreichen.

Eine gewisse themenspezifische Einseitigkeit sei dem Autorenduo verziehen. Auf sicherem Forschergrund bewegen sie sich, solange sie mythologische Fabelwesen präsentieren. Schwammiger wird es, wenn es um jene Wesen geht, von denen primär in der Folklore ethnisch-geografischer Randgruppen die Rede ist, während handfeste Existenzbeweise fehlen. Hier geraten wir in die Untiefen der Kryptozoologie. Sie ist keine anerkannte Wissenschaft. Ihre Anhänger bedienen sich der Methoden „richtiger“ Forscher, doch es gibt eine Grenze: Die Sehnsucht, diese Welt mit Fabelwesen zu bevölkern, lässt sie die strikte Beweispflicht, die aus Theorien Fakten werden lässt, gern vergessen. Dieser Vorwurf wird mit dem Argument gekontert, die Schulwissenschaft wisse auch nicht alles bzw. urteile zu streng oder sei verbohrt in ihren Ansichten. Das mag im Einzelfall zutreffen. Dennoch bleibt die (nicht immer vermerkte) Tatsache, dass die Argumente wider den Yeti, das Ungeheuer von Loch Ness oder wundersam überlebende Saurier in lauschigen Urwaldseen überzeugender sind als die kryptozoologischen Gegenbeweise: Die Autoren halten es bei aller Objektivität offenkundig mit Fox Mulder selig. („I want to believe!“)

Behält man dies im Hinterkopf, wird – und das zu einem heutzutage fairen Kaufpreis – ein wunderbarer Einstieg in ein (buchstäblich) bezauberndes Thema geboten. Wer sich ihm intensiver widmen möchte, findet in der Literaturliste manche Anregung.

Isau, Ralf – weiße Wanderer, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 3)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“
Band 3: „Der weiße Wanderer“

Die Wunden, die der Nationalsozialismus David geschlagen hat, haben ihn zu einem verschlossenen Einzelkämpfer gemacht. Entschlossen, nie mehr das Leben anderer Menschen zu gefährden, lehnt er jegliche Mithilfe, die über das Zutragen von Informationen hinausgeht, strickt ab. Doch die Menschlichkeit lässt sich dadurch nicht abschrecken, immer wieder erreicht ihn, fast gegen seinen Willen, die Hilfe anderer. So ist sein alter Freund und Leibwächter aus Jugendtagen, der Inder Balu, gerade rechtzeitig zur Stelle, um David das Leben zu retten, und in New York steht eines Tages unerwartet ein Mann mit Baskenmütze vor seiner Tür, den er aus Berlin kennt, und dem Rebekka ein Bild abgekauft hat. Binnen kurzem ist der Maler Ruben Rubinstein nicht nur ein „Bruder“ in Davids Sinne, sondern auch sein Geldbeschaffer und Vermögensverwalter.

Das Gros seiner Unternehmungen führt David jedoch immer noch allein aus. In Indien entdeckt er neue Spuren, die ihn auf dem Umweg über Pakistan und Korea nach Südamerika führen. Tatsächlich gelingt es David, zwei weitere Logenbrüder unschädlich zu machen. Doch seine Suche nach von Papen, den er eigentlich fassen will, bleibt vergebens. Da erhält er völlig überraschend eine Nachricht, die ihn veranlasst, nach Rom zu reisen. Noch weit überraschender ist die Entdeckung, die ihn dort erwartet …

Im Vergleich zu seinen Vorgängerbänden umfasst „Der weiße Wanderer“ nur einen relativ kurzen Zeitraum von rund zehn Jahren.
Bereits im „Wahrheitsfinder“ war David unglaublich viel unterwegs, im Vergleich zum Folgeband wirkte dieser durch die räumliche und thematische Begrenzung auf hauptsächlich Europa beziehungsweise Deutschland jedoch wesentlich kompakter und in sich geschlossener als der dritte Teil des Zyklus. Bei Letzterem bedingen natürlich die verschiedenen Etappen einander, da sie jeweils die Hinweise für das nächste Ziel liefern, die Ziele selbst jedoch haben, anders als in Band zwei, nicht unmittelbar miteinander zu tun und wirken daher ein wenig hintereinander aufgereiht.

Abgesehen davon hat David durch heimliches Üben seine Fähigkeiten vervollkommnet. Eine Bemerkung Albert Einsteins während eines Interviews hat ihn auf den Gedanken gebracht, diese auf ein bisher unerprobtes Gebiet auszuweiten, mit erstaunlichem Erfolg. Diese erweiterten Fähigkeiten zusammen mit seiner neu erworbenen Ruhe und Gefasstheit angesichts der Gefahr machen ihn für den Kreis zu einem weit ernster zu nehmenden Gegner als bisher. Seinen Gegenspielern merkt man das deutlich an. Sie sind nervös geworden!

All das verschiebt die Gewichtung innerhalb des Buches beträchtlich: von einer übermächtigen, alles überrollenden Bedrohung, der David fast völlig hilflos gegenübersteht, zu einem Duell mit einem eher ebenbürtigen Gegner, gegen den zu gewinnen nicht mehr unbedingt eine Frage der Fähigkeiten ist, sondern vor allem auch eine Frage der Zeit. Die Grundstimmung ist daher weniger von Finsternis und Verzweiflung geprägt als von gelegentlichem Frust und erbittertem Trotz.

Was mich in diesem Zusammenhang ein wenig wunderte, war, warum die Mitglieder des Kreises Davids Verfolgung plötzlich so schleifen lassen, nachdem sie ihm in den Dreißigerjahren mit solcher Zähigkeit durch sämtliche Identitätswechsel hinterhergejagt sind! Niemand versucht mehr, ihn umzubringen, niemand versucht mehr, ihm den Fürstenring abzunehmen! Stattdessen verschanzen sich die Männer in ihren Verstecken, und als David bei ihnen auftaucht, lassen sie ihn trotz ihres Verdachtes, dass er das Jahrhundertkind sein könnte, an sich heran, verplappern sich mit geheimen Informationen und versagen dann bei seiner Beseitigung!

Das gilt besonders für Ben Nedal, der ja offenbar bereits vor Davids Ankunft in seinem Haus den Verdacht hatte, dieser könnte das Jahrhundertkind sein. Natürlich wollte er die Perle, aber um diese zu erlangen, hätte er den Verdächtigen auch einfach umbringen lassen können, noch bevor dieser sein Haus betrat. Im Zweifelsfall hätte er einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt, was für einen solchen Mann wohl kaum ein Problem dargestellt hätte. Aufgrund von Davids Fähigkeiten mag es nicht gerade einfach sein, das Jahrhundertkind umzubringen. Zumindest aber hätte Ben Nedal sich im Falle eines Misserfolgs nicht verplappert! Und David hätte den Ring nicht erbeutet!

Davids Jagd nach einzelnen Logenbrüdern, insbesondere von Papen, sowie genaueren Informationen über den Kreis lässt die historischen Ereignisse ein gutes Stück in den Hintergrund treten. Als zwangsläufige Folge dieser veränderten Vorgehensweise ist der Korea-Krieg ebenso wie die Entmachtung Guzmáns in Guatemala eher eine Randerscheinung, die Davids Ermittlungen erschwert, als Zentrum der Handlung. Das gilt auch für das Rätsel um die Ringe, dessen Lösung David diesmal ungewöhnlich wenig Zeit widmet, obwohl die Frage, wie der Fürstenring zerstört werden kann, den eigentlichen Knackpunkt im Kampf gegen den Kreis bedeutet. Nur die Vernichtung Lord Belials kann das Ende von dessen Weltuntergangsverschwörungen garantieren!

„Der weiße Wanderer“ ist vom logischen Ablauf her und der Entwicklung von Davids Charakter nach in jedem Fall nachvollziehbar und passt zur Gesamtentwicklung. Dennoch bleibt er im Hinblick auf die Intensität des erzählten Geschehens ein Stück hinter seinen Vorgängern zurück. Auch der Spannungsbogen ist nicht ganz so straff gespannt wie bisher. Das Herumgezipfel mit der Suche nach von Papen in Südamerika hinterließ bei mir trotz der Ausschaltung Barrios‘ eine gewisse Unzufriedenheit, vielleicht, weil ich Davids verbissenen Wunsch, gerade diesen Mann unbedingt zur Rechenschaft zu ziehen, nicht ganz verstehen konnte, vielleicht auch, weil ich bis fast zum Ende des Buches das Gefühl hatte, der eigentlichen Lösung des Problems, nämlich der Zerstörung des Rings, kein Deut näher gekommen zu sein.
Trotzdem war auch dieses Buch immer noch interessant zu lesen, und der Schluss macht noch einmal gehörig Neugier auf den letzten Band, der außer dem Showdown auch noch einige Antworten und Lösungen enthalten dürfte. Wer jetzt aufhört zu lesen, ist selber schuld.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch 506 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15320-6

http://www.luebbe.de/
http://www.isau.de/index.html

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


http://www.isau.de

Scott, Manda – Im kalten Morgenlicht

Es ist eine kalte, dunkle Nacht in Glasgow, Schottland, in der Dr. Kellen Stewart, Therapeutin, erfahren muss, dass ihre jetzige Freundin und einstige Geliebte Bridget Donnelly tot aufgefunden wurde. Auf ihrem Bauern- und Reiterhof, den sie gemeinsam mit Kellen besitzt, hat sie offenbar mit starken Beruhigungsmitteln Selbstmord begangen; so denkt jedenfalls die Polizei, die natürlich gleichgültig und voller Vorurteile ob solcher moralisch verworfener Kundschaft an den Fall herangeht, wie Kellen und ihre Freundinnen Caroline und Lee sogleich im kollektiven lesbischen Verfolgungswahn konstatieren. (Stopp: „gleichgeschlechtlich“ ist die politisch korrekte Bezeichnung.) Nein, eine solche starke, lebenslustige Frau, eine wahre Heilige – viele (sehr viele) Rückblenden auf entsprechende Episoden des Donellyschen Lebens stellen dies eindrucksvoll unter Beweis -, kann sich niemals selbst gemeuchelt haben. Das wissen Kellen & Co. genau und beginnen folglich mit eigenen Ermittlungen.

Siehe da, Bridget Donnelly ist nicht das einzige Opfer in der Familie: Ihren Bruder Malcolm hat es schon einige Wochen zuvor niedergestreckt. Ein Herzanfall soll die vielversprechende Karriere des Biologen und Genforschers beendet haben, aber bei näherer Betrachtung fallen unseren Hobby-Detektivinnen einige Unstimmigkeiten auf. Der hochbegabte, idealistische und seiner Wissenschaft ergebene Malcolm hatte die Universität verlassen und sich in die Krakenarme eines pharmazeutischen Konzerns geworfen, der ihm seine Forschungen finanzierte, die offenbar weiter gediehen waren als es der Menschheit zuträglich ist – jedenfalls nach Auffassung des plötzlich von Skrupeln befallenen Entdeckers. (Man könnte dies die „Lex Frankenstein“ nennen.) Dabei spielen zwei harmlos aussehende Hühner eine Hauptrolle, die es indes in sich haben. Malcolm hatte sie gentechnisch aufgerüstet und dann, als ihm der Schrecken ob seines sündhaften Tuns (seltsam, dass er nie vor begangener Tat einen Gedanken daran verschwendete …) ins Gebein gefahren war, nicht etwa gebraten und auf solche Weise seinen finsteren Geldgebern entzogen, sondern auf dem Hof der Schwester unter vielen Artgenossen versteckt. Klug ausgedacht, aber in der Realität nicht schlau genug, wie beide Donnellys zu ihrem Nachteil erfahren mussten.

So rekonstruieren Kellen und ihre Verbündeten nach und nach Malcolms und Bridgets letzte Lebenswochen, was es im Dienste der Wahrheit erforderlich macht, des Nachts in zwielichtige Laboratorien einzubrechen, Computernetze zu knacken oder diverse Körperteile auf die Seite zu schaffen, bis endlich die mordlüsternen Hintermänner aufmerksam werden und beschließen, sich der neugierigen und lästigen Schnüfflerinnen zu entledigen …

„Im kalten Morgenlicht“ (dessen Titel im Original wesentlich treffender „Hühnerzähne“ lautet, was aber nicht übernommen wurde, weil es für den geistig schlichten und als Buchkäufer lieber nicht zu verwirrenden Krimi-Michel offenbar zu angelsächsisch, d. h. originell war) ist ein medizinischer Thriller mit ausgeprägten belletristischen Elementen. Die Genre-Leser werden mit den üblichen, aber immer wieder gern gesehenen Szenen (Untat, Ermittlung, Präventivschlag des Täters, großes Finale mit Auflösung und Verfolgungsjagd und/oder Schießerei) bedient, die Anhänger „richtiger“ Literatur massiv mit einer vorgeblich sozialrelevanten Nebenhandlung umworben. Hier bildet das Milieu der gleichgeschlechtlichen Frauenliebe die Kulisse, was völlig legitim und auch interessant ist, wäre die Verfasserin nicht gar zu eifrig damit beschäftigt, eine Art lesbische Parallelwelt zu gestalten, deren Bewohnerinnen geradezu aufdringlich deutlich von denselben großen und kleinen Dingen bewegt werden wie ihre „normalen“ Zeitgenossen. Davon ist der Leser schon bald oder ohnehin überzeugt und beginnt sich zu langweilen, wenn er (oder eher sie, wie man wohl das primäre Zielpublikum einschätzen darf) nicht gar zu sehr an den Irrungen & Wirrungen aus dem zwischenmenschlichen Bereich interessiert ist. Solche Kritik ist subjektiv, das weiß Ihr Rezensent; sie lässt sich hier aber mit objektiven Argumenten bestätigen. Hier sind vor allem die zahlreichen, oft willkürlich eingeschoben wirkenden Rückblenden auf prägende Erlebnisse aus der Vergangenheit unserer Heldinnen zu nennen, welche die ohnehin nicht gerade vor Leben sprühende Handlung unterbrechen und sich arg in die Länge ziehen. Denkt man sich zu all dem Seufzen, den seelenvollen Blicken ins Leere und bedeutungsschwangeren Sprüchen noch die passende Musik dazu, hat man quasi das kommende TV-Highlight der Woche („Genteufel im Moor – Rettet meine Geliebte!“) schon vor dem geistigen Auge.

Unter kriminalistischem Gesichtspunkt stellt „Im kalten Morgenlicht“ ebenfalls Schmalkost dar. Entkleidet man den Plot aller künstl(er)ischen Verwicklungen, kommt er recht bescheiden daher, was immerhin gewährleistet, dass er funktioniert. Dass Manda Scott für ihren Debütroman 1997 für den britischen „Orange Prize for Fiction“ nominiert wurde, erstaunt aber trotzdem. Nur: Solche Auszeichnungen gibt es inzwischen wie Sand am Meer, und sie werden (unter typisch pompösen Namen) heute anscheinend hauptsächlich ins Leben gerufen, um für die Institutionen zu werben, die sie verteilen. Daher sagt so ein Preis zunächst einmal gar nichts über die Qualität des ausgezeichneten Buches aus, was man besonders deshalb im Hinterkopf behalten sollte, da „Im kalten Morgenlicht“ besagten „Orange Prize“ letztlich gar nicht gewonnen hat, was im Klappentext übrigens keine weitere Erwähnung findet … (Ja, ja, der Rezensent prüft so etwas nach!)

Schwer leiden die Darsteller unseres Spiels unter dem Ehrgeiz ihrer geistigen Mutter. Trotzdem verdienen sie es nicht, von der Werbung als schlaue Girls mit flotten Sprüchen in die düstere Kiste zu den unsäglichen „Frauen-Krimis“ verbannt zu werden. Stattdessen sind Scott durchaus dreidimensionale, nicht gar zu dreist angepilcherte Frauengestalten gelungen, die aus ihrem glaubhaft geschilderten Alltag gerissen werden. Freilich ist Scott vorzuwerfen, dass sie den Alibi-Mann Inspektor Stewart MacDonald als typische Klischeefigur auftreten lässt. Recht unbeholfen muss er nach dem Willen der Verfasserin belegen, dass es unter den männlichen Bewohnern dieses Planeten auch ganz Gute gibt. Also ist er betont verständnisvoll, höflich, gebildet, stellt keine chauvinistischen Ansprüche & verschenkt Hundebabys – Herz, was willst du mehr? Ansonsten teilt sich die Welt der Männer in echte Schurken, impertinente Ignoranten und Dummköpfe; sie spielen hier nur die zweite Geige, was im gewählten Rahmen in Ordnung geht, in seiner naiven Schwarz-Weiß-Zeichnung aber dennoch irritiert und verärgert.

Manda Scott ist Tierärztin, passionierte Bergsteigerin und Schriftstellerin. Sie ist in Schottland geboren und lebt heute im ländlichen Suffolk mit einem Jagdhund und allen möglichen anderen tierischen Bewohnern. Kein Werbetexter vergisst, dieses idyllische Bild vom kleinen Schriftsteller-Glück zu malen; wer trotzdem noch Näheres wissen möchte, werfe einen Blick auf die Website der Verfasserin: http://www.mandascott.co.uk.

Als Autorin ließ Scott Kellen Stewart inzwischen in zwei weiteren Kriminalromanen auftreten. Darüber hinaus schrieb (oder besser verbrach) sie ein grauenvolles Historien-Garn namens „Die Herrin der Kelten“ (im |Goldmann|-Verlag erschienen) um Breaca, die Keltenprinzessin und „listige Kriegerin“, die sich (und den Leser) auf der schmerzvollen Suche nach Recht, Weltfrieden & Mr. Right durch das vorzeitliche Britannien quält.

Richard Morgan – Gefallene Engel

„Gefallene Engel“ ist der direkte Nachfolger von Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblichkeitsprogramm“ , der unter anderem mit dem |Philip K. Dick Award| ausgezeichnet wurde. Wieder berichtet er aus der Perspektive des „Envoys“ Takeshi Kovacs aus einer düsteren Zukunft, in der körperlicher Tod kein Problem mehr darstellt: Denn das in einem kleinen, schwarzen Kästchen (der sogenannte kortikale „Stack“) im Nacken oder extern gespeicherte Bewusstsein eines Menschen ist potenziell unsterblich. Der Körper hingegen kann geklont werden, man wechselt seinen „Sleeve“, sobald er zerstört wird, und erhält einen Körper von der Stange oder mit besonderen Eigenschaften für Spezialaufgaben – oder eben auch nicht, alles eine Frage des Geldes und ob man gebraucht wird …

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Val McDermid – Das Lied der Sirenen

Bradfield, eine kleine Stadt in Nordengland. Ein Serienmörder versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Die ungewöhnliche Grausamkeit der Taten steigert die Panik, denn die verstümmelten Leichen zeigen deutlich die Spuren bizarrer und grausamster Folterungen. Ein Muster scheint den Morden zugrunde zu liegen: Die Opfer werden immer an Orten und Plätzen abgelegt, die von den homosexuellen Bürgern Bradfields bevorzugt werden. Das ist aber auch die einzige Erkenntnis, zu der die Polizei bisher gelangen konnte, die ansonsten wie üblich im Dunkeln tappt. Bedrängt von diversen Politikern, die auf rasche Aufklärung des Falls pochen, und natürlich von der Presse, muss die Polizei Hilfe von „außen“ in Anspruch nehmen. Assistent Chief Constable John Brandon engagiert den Psychologen Tony Hill, der als „Profiler“ die seltsame Kunst beherrscht, das Wesen eines Serienmörders aus den am Tatort zurückgelassenen Spuren zu rekonstruieren und auf diese Weise einen Steckbrief zu erstellen, mit dessen Hilfe sich der Täter womöglich finden lässt, wenn es keine Fingerabdrücke, Fotos oder andere Indizien gibt, die eine „klassische“ Polizeiarbeit ermöglichen.

Brandons Vorgesetzte, aber auch seine Untergebenen sind wenig begeistert davon, sich von einem „Fremden“ zeigen zu lassen, wie sie ihre Arbeit zu tun haben. Sie heißen Hill daher keineswegs willkommen, sondern geben ihm mehr oder weniger deutlich (meistens mehr) ihre Ablehnung zu verstehen. Hinzu kommt eine eindeutig homophobe Grundstimmung im Revier: Die Ermittlungen werden durch die heimliche oder offen geäußerte Abneigung vieler mit dem Fall beschäftigter Polizisten gegen die homosexuelle Gemeinde ihrer Heimatstadt behindert.

Stone hat also einen schweren Stand. Private Nöte lassen ihn noch angreifbarer werden. Er kämpft mit eigenen sexuellen Problemen, die er sorgfältig zu verbergen trachtet, wäre ihr Bekanntwerden doch der ideale Ansatzpunkt für seine Gegner, sich seiner zu entledigen – und gleichzeitig seine berufliche Reputation zu zerstören.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz fällt dem Profiler bald auf, dass die ermordeten Männer keineswegs zur schwulen Szene Bradfields gehörten, sondern eindeutig heterosexuell waren. Die Möglichkeit, ein schwuler Mörder könne sich an seinen „normalen“ Mitbürgern vergreifen, heizt die ohnehin explosive Situation noch weiter auf. Überhaupt wird die Lage langsam kritisch, da sich der Abstand zwischen den Morden laufend verkürzt.

Der Mörder verfolgt mit dem Interesse eines publicitysüchtigen Künstlers die Berichterstattung über seine Untaten. Seine „Kritiken“ nimmt er sehr ernst und reagiert daher missgelaunt, als das Bild, das sich Tony Hill allmählich von ihm zu machen beginnt, der Presse zugespielt wird und er sich nicht gebührend gewürdigt, sondern als gemeingefährlicher Psychopath gebrandmarkt und herausgefordert sieht. Das fünfte Opfer, so entscheidet der Wahnsinnige, soll daher Tony Stone heißen. Als dieser dann tatsächlich entführt wird und in der Folterkammer des Täters erwacht, weiß er, dass die Zeit des Theoretisierens endgültig vorüber ist. Nun heißt es für den Profiler, sein ganzes Wissen aufzuwenden und mit dem Mörder um sein Leben zu feilschen …

„Das Lied der Sirenen“ gehört zu den größten Erfolgen der seit einigen Jahren ohnehin auf Bestsellerruhm abonnierten Schriftstellerin Val McDermid. Die ehemalige Oxford-Dozentin und Journalistin gehört zu den prominenten Mitgliedern der homosexuellen Gemeinde ihres Heimatortes Manchester. Jahrgang 1955, ist sie gerade noch alt genug, die Zeit der offenen Diskriminierung und Verfolgung persönlich erlebt zu haben. Heute ist es um die Gleichberechtigung besser bestellt, aber die alten Vorurteile haben überlebt und üben ihre unheilvolle Wirkung mehr oder weniger offen weiter aus. McDermid schreibt gegen sie an, aber sie tut es nicht (g)eifernd oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern „verpackt“ das, was sie sagen will, in spannende Genregeschichten. Da sie über ein beachtliches schriftstellerisches Talent verfügt, geht die Rechnung auf, zumal McDermid die Frage der sexuellen Gleichberechtigung nicht stets und unbedingt zum Leitmotiv ihrer Bücher erhebt, sondern harmonisch in die Handlung integriert.

Der vorliegende Thriller gehört eindeutig in die Sparte „Starker Tobak“. Kritiker messen den literarischen „Wert“ (was immer das sein mag) eines Buches gern am Grad der Zurückhaltung, mit der sich der Autor (männlich oder weiblich) seinem Thema nähert. Das gilt besonders, sobald Gewalt ins Spiel kommt. Insofern hat Val McDermid schlechte Karten, denn sie bricht die Spielregeln, und zwar rigoros. Ihr psychopathischer Mörder lässt sich bei seinen Folterungen durch die Vorbilder des Mittelalters „inspirieren“. Damals wie heute erleiden die Opfer dieser Tortur nicht „nur“ höllische Schmerzen; darüber hinaus werden ihre Körper langsam zu einem blutigen Fleischfetzen zerschunden – einst zum Wohle der Gerechtigkeit oder im Namen Gottes, jetzt ganz offen zur krankhaften Belustigung des Folterers. McDermid beschreibt das mit drastischen Worten und in allen Einzelheiten. Wohliges Gruseln stellt sich zu keinem Zeitpunkt ein, denn sie lässt den Mörder selbst seine Gräueltaten schildern. Die morbide Sachlichkeit seiner Worte kann den kaum unterdrückten, wahnsinnigen Zorn nur unzureichend kaschieren – dieser Serienkiller ist kein medientauglicher Publikumsliebling vom Schlage Hannibal Lecters, sondern ein kaltblütiger Schlächter, dessen brutale Unmenschlichkeit keine Möglichkeiten bietet, ihn zu „verstehen“ oder sich mit seinen Taten zu arrangieren.

Auch die „Guten“ taugen wenig als Identifikationsfiguren. Persönliche Ängste und Schwierigkeiten, Engstirnigkeit, Intrigen, Mobbing und über allem das Bemühen, die Serienmorde von Bradfield in einen Baustein für die eigene Karriere zu verwandeln, zeichnen ein sehr realistisches Bild von der Arbeit eines modernen Polizeireviers abseits aller Hollywoodthriller-Klischees.

Val McDermids außergewöhnlichen Fähigkeiten ist es zu verdanken, dass dem schon recht ausgelaugtem Genre des Serienmörder-Thrillers ein neues Glanzlicht aufgesetzt wurde. Die |British Crime Writers‘ Association| würdigte dies, indem sie „Das Lied der Sirenen“ 1995 mit dem |Golden Dagger Award| als besten Kriminalroman des Jahres auszeichneten. Auch in Deutschland war McDermid mit den „Sirenen“ sehr erfolgreich – und zu Recht, denn das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und liest sich dazu auch noch flüssig.

Lancaster, Peter – blaue Portal, Das (Die Chroniken der Anderwelten 1)

Eva, fünfzehn Jahre alt und mit ihren Eltern und ihrem Onkel Friedrich in einer Burg in Hessen lebend, hat ein verdammt zukunftsweisendes Aufeinandertreffen im Keller, als sie ihrem dem Alkohol verfallenen Onkel neuen Stoff für die Sinne holen will. Hinter einem Regal kommen kleine, sprechende, menschenähnliche Pferde hervor, die einem Portal in eine andere Welt entsprungen sind. Dort werden sie von den beheimateten Kreaturen als eine Art Sklaven gehalten.
Nach langer Flucht, bei der einige der Pferde ihr Leben lassen mussten, erreichen sie das bläulich schimmernde Portal über eine ellenlange Treppe, die schließlich in den Keller der Burg führt.
Nachdem sich die zwei Parteien zunächst nicht wohlgesonnen sind, kehren nach einiger Zeit Ruhe und Vertrauen im Umgang der ungleichen Schlossbewohner ein. Bis sich das Portal erneut öffnet und zum zweiten Mal Besucher anklopfen. Und die haben nichts Freundliches im Sinn …

Es folgt eine genreübergreifende Story, die jugendtaugliche Literatur über Phantastik bis hin zu Horror umfasst und auch vor geschichtsrecherchierten Fakten nicht zurückschreckt. Leider verzettelt sich der Autor (Peter Lancester; zugleich Chef des |Eldur|-Verlags) manchmal in zu vielen Querverweisen, Zeitsprüngen, Fußnoten und Charakterzeichnungen. Man muss aber sagen, dass es Lancester gelungen ist, liebevolle Typen auf seinen Seiten zu erschaffen, die abseits vom leidigen Heldenstatus als eher kauzige und unbedarfte Charaktere ihrer wahren Größe entgegensteuern.

„Das blaue Portal“ ist ein überwiegend locker zu lesendes Buch, das hier und da mal etwas verwirrend in den Zeiten umherspringt. Man muss aber dazu sagen, dass der Roman der erste Teil von insgesamt fünf Büchern ist. Somit werden noch viele Fragen in den folgenden Bänden aufzulösen sein und Lancester wäre schön blöd, würde er sein komplettes Pulver schon zu Beginn verschießen.

Ein Publikum für diese fremde Welt zu empfehlen, fällt mir etwas schwer, da für jüngere Leute die teilweise explizit derbe Gewalt doch eine Nummer zu heftig sein dürfte. Lassen wir also die Kleinsten mal weg und fangen bei gesetzteren Jugendlichen an, die man aufgrund der medialen Alltagsgewalt sowieso durch nichts mehr schocken kann. Wer sich vom Stress des täglichen Lebens erholen will und seine Gedanken in eine andere Welt transportieren lassen möchte, ist bei Peter Lancester bestens aufgehoben.

Die Aufmachung und der Druck des Buches sind, typisch für den |Eldur|-Verlag, professionell gestaltet und ansprechend. Die Schriftgröße ist für ein Taschenbuch perfekt gewählt und verhilft trotz der Größe des Romans nicht zu blutenden Augen.
Summa summarum freue ich mich bereits auf die restlichen Teile, bleiben doch so viele Fragen offen, die Lust auf ein tieferes Eintauchen ins blaue Portal machen. The show must go on …

|Nachtrag d. Ed.: Der Roman wurde für den Deutschen Phantastik-Preis 2005 nominiert. Es handelt sich um einen Leserpreis, zu dem jeder mit seiner Stimme beitragen kann. Zum Abstimmungsformular geht es hier entlang: http://www.foltom.de/phden05.html.|