Lupano, Wilfrid (Autor) / Augustin, Virginie (Zeichner) – Alim der Gerber 1: Das Geheimnis des Wassers

_Reihentitel:_

Band 1: Das Geheimnis des Wassers
Band 2: [Die Verbannung 6261
Band 3: Der weiße Prophet
Band 4: Dort, wo die Blicke brennen

_Story:_

Für einen kastenlosen Gerber und Tunichtgut wie Alim ist das Reich Jesameth das genaue Gegenstück des Paradieses. Bereits mehrere Male ist der unglücksselige Mann aus der Arbeiterklasse mit Kommissar Reinkhol aneinander geraten. Und der Herrscher über das Gebiet der Gottheit Jesameth macht ihm auch jetzt wieder Angst, da seine kleine Tochter Bul am Strand einen Drachen hat steigen lassen und so öffentlich Gotteslästerung begangen hat. Ein letztes Mal kommen Vater und Tochter mit einem blauen Auge davon, doch Reinkhol hat die Sünde noch nicht vergessen.

Während der Feierlichkeiten zur Ankunft der Götter bekommt Alim den Auftrag, eine gestrandete Killersirene aufzulesen und vom Strand zu entfernen. Kurzerhand macht er sich gemeinsam mit Bul auf, seiner Berufung als Gerber nachzugehen, und staunt nicht schlecht, als er im Magen des Meerestiers die Reliquien Jesameths findet – und damit den Beweis, dass die heiligen Schriften, in denen der Gott als Bezwinger des Meeres gepriesen wird, nicht auf wahren Fakten beruhen.

Alim und sein Schwiegervater Pepeh sind sich der Brisanz ihres Fundes bewusst und vereinbaren Stillschweigen. Doch ausgerechnet bei der Opfergabe am Pier der Hauptstadt widersetzt sich Bul, erschrocken von den menschlichen Opfern, Reinkhols gottesfürchtiger Propaganda. Alim und Bul werden daraufhin zum Tode verurteilt – und nur Pepeh, der die gefundenen Reliquien verwaltet, kann die beiden jetzt noch aus dem Schlamassel retten …

_Persönlicher Eindruck:_

Wer sich unter dem leicht irreführenden Titel „Alim der Gerber“ eine Geschichte aus 1001 Nacht erhofft, sieht sich schnell getäuscht. Denn auch wenn einige Elemente dezent entliehen sind zielt Wilfrid Lupano nicht auf das Märchenpublikum, sondern eher auf die Lachmuskeln seines Publikums, verwöhnt dieses jedoch gleichzeitig mit einer Fantasy-reichen Action-Handlung, die genau jenen Abwechslungsreichtum bietet, die man von einem modernen Märchen erwartet. Also doch ein Märchen? Nun, vielleicht …

Die Geschichte um Alim und seine Tochter Bul beginnt jedenfalls recht dramatisch: Das kleine Mädchen wird dem Komissar vorgeführt, weil ihre kindlichen Spiele von ihm als Gotteslästerung ausgelegt werden. Alim, der keiner Kaste angehört und mittlerweile (warum auch immer) alleinerziehend ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich ständig Reinkhols Urteil zu beugen und alles in seiner Macht stehende zu tun, um den Herrscher nicht weiter zu verärgern. Allerdings meint es das Schicksal mit dem lustigen gerber nicht gerade gut. Nicht nur, dass er die Feierlichkeiten zur Ankunft Jesameths nicht von Anfang an begleiten darf, sondern auch die tatsache, dass er bei seiner Aufgabe, eine Killersirene zu beseitigen die Reliquien des verehrten Gottes entdeckt, bereiten ihm unfreiwillige Schwierigkeiten.

Und genau hier setzt der wirklich sehr schön ausgewogene Mix aus temporeicher Action, feinem Humor, ein bisschen Emotionalität und liebevoller thematischer Aufbereitung dann ganz effizient an.
Der Autor verbindet ganz verschiedene Elemente, zielt hier aber vorrangig auf ein jugendliches Publikum, nicht nur wegen seiner ebenfalls noch jungenhaft anmutenden Hauptfigur. Mit Alim hat er einen tragischen Helden geschaffen, einen ganz normalen Typen, der als Identifikationsfigur leichter kaum zugänglich sein könnte.

Gleichermaßen lässt er es im ersten Band zunächst ganz langsam angehen und macht seine Leser erst einmal mit den Handelnden vertraut, eben ganz so, wie es sich für ein anständiges Debüt gehört. Doch Lupano lässt es sich im Zuge dessen trotzdem nicht nehmen, das Erzähltempo recht schnell anzuziehen und zur Mitte des ersten Kapitels senkrecht in die Story zu stürzen, bis schließlich die Überzeugung gereift ist, dass „Alim der Gerber“ als Serie auf Anhieb taugt und „Das Geheimnis des Wassers“ einen wunderbaren Einstieg in die sympathische Welt des unscheinbaren Titelgebers ist. Gerade diejenigen, bei denen Fantasy nicht immer mit Schlachten zusammenstehen muss, sondern bei denen die entspannten Aspekte dieser Sparte zählen, sollten sich daher mal dringend mit der von Virginie Augustin gezeichneten Reihe auseinandersetzen!

|Graphic Novel: 48 Seiten
Originaltitel: Alim le tanneur – Le secret des eaux
ISBN-13: 978-3-940864-93-2|
[www.splitter-verlag.de]http://www.splitter-verlag.de/

Wellington, David – Vampirfeuer

Band 1: [„Der letzte Vampir“ 4613
Band 2: [„Krieg der Vampire“ 5894

Vampire sind einfach nicht tot zu kriegen, das muss auch Laura Caxton langsam einsehen. In David Wellingtons Debutroman „Der letzte Vampir“ war sie eher zufällig in eine Vampirjagd geraten, doch seither lassen sie die Blutsauger nicht mehr los. Im zweiten Teil musste sie schon gegen eine ganze Hundertschaft von Untoten antreten. Nur knapp war sie mit dem Leben davon gekommen, ihren Vampirjägerausbilder Arkeley hatte es jedoch erwischt: Um Caxtons Leben zu retten, hatte er sich einverstanden erklärt, selbst zum Vampir zu werden. Sein Versprechen, zurück zu kommen und sich von Caxton endgültig töten zu lassen, hat er allerdings nicht gehalten.

Der dritte Band der Reihe, „Vampirfeuer“, setzt zwei Monate nach den verheerenden Ereignissen von Gettysburg ein. Caxton hat mittlerweile ihre eigene Abteilung bekommen – die SSU, Special Subjects Unit -, die sich vor allem mit der Vampirbedrohung befassen soll. Klar, die Unit besteht eigentlich nur aus Caxton und ihrem Kollegen Glauer, klar auch, dass sie komplett unterfinanziert ist. Und trotzdem – Caxton ist jetzt die offizielle Stelle für Vampiraktivitäten aller Art. Ihr Hauptaugenmerk liegt allerdings darauf, endlich Arkeley zu finden und dingfest zu machen. Da kommt es ihr sehr ungelegen, dass sie zwar zu einem viel versprechenden Tatort gerufen wird, sich der böse Vampir aber am Ende als Emo-Teenager mit Schminke und angeklebten Elfenohren herausstellt. Caxton ist entnervt, doch Glauer vermutet hinter der Attacke mehr und macht sich über das Tagebuch des selbsternannten Vampirs Rexroth her.

Gleichzeitig tritt auch Arkeley wieder in Aktion. Offensichtlich gefällt ihm seine Vampirexistenz, obwohl er sich wohl einsam fühlt. Und so bietet er nacheinander den Mitgliedern seiner Familie an, sich ihm doch anschließen. Welches Muster er verfolgt, wird Caxton leider erst klar, als bereits zwei Familienmitglieder tot sind, weil sie Arkeleys großzügiges Angebot abgelehnt haben. Und so gilt es, seine verhuschte Tochter und seinen bockigen Sohn gegen ihren Willen vor den scharfen Reißzähnen ihres Herrn Papa zu beschützen.

„Vampirfeuer“ erscheint etwas gemäßigter als seine beiden Vorgänger. Zwar beginnt der Roman gleich mit einem Kracher – einer ordentlichen Vampirjagd, ein paar Toten und spritzendem Blut -, doch Wellington konzentriert sich diesmal über weite Strecken auf einen konventionellen Krimiplot: Caxton versucht verzweifelt, Arkeleys Versteck ausfindig zu machen und Wellington folgt ihren Schritten minutiös und lässt den Leser miträtseln, was der böse Vampir wohl als nächstes geplant hat. Solide Polizeiarbeit steht also im dritten Teil der Reihe im Vordergrund, doch natürlich wird diese auch regelmäßig von actionlastigen Szenen unterbrochen – ganz abgesehen davon, dass der Roman mit einem im wahrsten Sinne heißen Showdown endet.

Großen Wert legt Wellington auf die charakterliche Entwicklung seiner Heldin Laura Caxton. Ihre Beziehung zu Arkeley war nie eitel Sonnenschein, war nie von persönlicher Sympathie geprägt. Zu Beginn verurteilte Caxton Arkeley noch wegen seinen Wildwest-Methoden und wegen seiner Unfähigkeit, an etwas Anderes als an die Vampirjagd zu denken. Umso interessanter, dass Caxton nun immer mehr in seine Fußstapfen tritt, manchmal gar, ohne es selbst zu merken. Ihre Freundin Clara foppt sie damit jedoch nicht. Sie meint über Arkeley: „Zuerst bringt er dich in Gefahr. Er hat dich zu seinem Vampirköder gemacht. Dann hat er dich zu einem echten Vampirkiller gemacht. Jetzt verwandelst du dich richtig in ihn. Vielleicht endest du auch genauso wie er. Dazu bereit, alles zu tun, nur um den Kampf fortzusetzen. Dazu bereit, schreckliche Dinge zu tun.“ Wer weiß, Claras Worte könnten prophetischen Charakter haben …

Arkeley zu finden und unschädlich zu machen ist für sie zur fixen Idee geworden, dem sich alles andere – auch persönliche Beziehungen – unterzuordnen hat. So ist ihre Denkweise zwar nachzuvollziehen, schließlich stellen die Vampire eine beängstigende Bedrohung dar. Gleichzeitig jedoch zeigt Wellington Caxtons langsames Abdriften in den Wahn. So scheut sie sich nicht, eine Leiche auf dem Polizeiparkplatz selbst zu verbrennen, weil sie kein Krematorium auftreiben konnte, das die Einäscherung noch am selben Tag vornehmen will. Dass Caxton nicht mehr klar denken kann, wenn es um Vampire geht, machen auch ihre manchmal sprunghaften und unlogischen Entscheidungen deutlich. Wie gut also, dass sie Glauer an ihrer Seite hat, einen herzensguten Cop, der auch viel besser mit Zivilisten umgehen kann als sie und der ihr ständig ins Gewissen redet und ihr klar zu machen versucht, dass sie als Dirty Henriette nicht weiterkommt: „Sie müssen vorsichtiger mit den Menschen in ihrer Umgebung sein. Vielleicht ist Ihnen ja egal, ob sie leben oder sterben …“ Und tatsächlich, Caxton wird zwar kurzfristig von Gewissensbissen geplagt, wenn sie Polizisten in den Tod schickt, doch letztendlich zählt für sie nur das große Ganze. Und unter großen persönlichen Opfern wird sie es auch schaffen, Arkeley schlussendlich zu stellen. Doch wird sie die Konsequenzen dafür tragen müssen, denn ihre Kompetenzen hat sie bereits weit überschritten.

Man muss es sagen: Wellington wird von Buch zu Buch besser. Zwar hat er den Horror- und Ekelfaktor in „Vampirfeuer“ um einiges herunter geschraubt, doch als Erzähler hat er sich seit seinem ersten Roman stetig weiter entwickelt und ein Universum geschaffen, dass auch im dritten Band weder langweilt noch stagniert. Langsam schließt sich der Kreis zum ersten Band, in dem noch Arkeley der große Vampirjäger war. Caxton hat in jeder Hinsicht seinen Platz übernommen. Doch heißt das tatsächlich, sie tut es ihm in jedem Fall gleich? Wird Clara recht behalten, wird Caxton vielleicht selbst als Vampir enden? Da muss man wohl einfach abwarten – der Folgeband ist in den USA bereits erschienen und kommt sicher bald auch in unsere Buchläden.

|Broschiert: 382 Seiten
ISBN-13: 978-3492267212
Originaltitel: |Vampire Zero|
Deutsch von Andreas Decker|
http://www.piper.de/

_Wellington beim Buchwurm:_
[Stadt der Untoten 4980

Kinskofer, Lotte – Schwarzer Schnee

Der eigene Bruder, der Freund – eigentlich glaubt man, diesen Leuten vertrauen zu können und sie genau zu kennen. Doch Vertrauen kann enttäuscht werden, wie Lotte Kinskofer in ihrem Jugendkrimi „Schwarzer Schnee“ aus der „dtv pocket crime“-Reihe zeigt.

Lara kann sich eigentlich nicht beschweren. Ihr Freund Max liebt sie, mit ihren Eltern und ihrem fünfzehnjährigen Bruder kommt sie gut zurecht, doch dann passiert etwas, was ihr Leben auf den Kopf stellt. Simon, ihr Bruder, verschwindet. Er hatte vorher gesagt, er würde bei einem Kumpel übernachten, aber als die Familie Sonntag abend dort anruft, muss sie feststellen, dass er dort nie aufgetaucht ist. Wo ist Simon? Nichts hat darauf hingedeutet, dass er einen Grund hatte, abzuhauen. Oder hat er sich umgebracht?

Tausend Fragen beschäftigen die Familie. Als Lara und Max Simons Zimmer durchforsten, finden sie merkwürdige Computerspiele, Geld, Alkohol – alles, was sie nie im Leben bei Simon vermutet hätten. Anstatt es der Kripo zu verraten, behalten sie es für sich. Lara möchte ihre Eltern nicht noch trauriger machen. Also beginnt sie selbst zu ermitteln, aber das ist gar nicht so leicht. Simon ist wie vom Erdboden verschluckt, niemand scheint ihn gesehen zu haben. Doch dann gibt es eine erste Spur. In einem leer stehenden Haus werden eine Blutspur ihres Bruders und ein Schreibheft von ihm gefunden. Was ist dort passiert? Und lebt ihr Bruder überhaupt noch?

Das Thema, das sich durch die ganze Geschichte zieht, ist, wie man sich in Menschen, die man zu kennen glaubt, täuschen kann. Das beginnt bei Laras Bruder Simon und endet bei Charakteren, bei denen man es gar nicht erwartet hat. Die Autorin baut mit Hilfe unterschiedlicher Personenkonstellation eine wendungsreiche, spannende Handlung auf. Actionszenen sind dabei selten. Vielmehr handelt es sich um einen sehr ruhigen, nachdenklichen Krimi, bei dem nach und nach Missstände ans Tageslicht kommen. Diese Ruhe wird an der einen oder anderen Stelle zu Langeweile, doch insgesamt schlägt sich „Schwarzer Schnee“ recht gut.

Lotte Kinskofer versteht es, ihre Geschichte und die Figuren sehr detailliert und anschaulich darzustellen. Ich-Erzählerin Lara schildert die Ereignisse sehr genau und eindrücklich. Das beginnt bei den Veränderungen, die Simons Verschwinden in ihrer Familie verursachen, bis hin zu der Zusammenarbeit mit der Polizei – sowohl die Handlung als auch die Figuren sind sauber durchdacht. Lara ist ein junges, eher ruhiges Mädchen, mit dem man sich gut identifizieren kann. Die anderen Charaktere haben ebenfalls Ecken und Kanten. Sie sind gut ausgearbeitet und erwecken die Geschichte zum Leben.

Lotte Kinskofers Schreibstil passt zu ihrer Heldin. Er ist ebenfalls ruhig, intelligent, dabei aber auch gewieft. Witzig ist die Geschichte nicht, sondern zumeist sehr ernst. Trotzdem liest sich das Buch schnell und flüssig. Die anschauliche Darstellung von Gefühlen und Gedanken sorgt dafür, dass man sich direkt in Laras Kopf versetzen kann.

„Schwarzer Schnee“ ist damit ein netter Jugendkrimi mit einem starken Fokus auf Personen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Er ist anschaulich und lebensnah geschrieben und gefällt durch die authentische Hauptperson.

|270 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3423782371|
http://www.dtvjunior.de

Maberry, Jonathan – Patient Null

_Das geschieht:_

Joe Ledger ist ein hartgesottener Ordnungshüter, der als Mitglied einer Sondereinheit der Polizei von Baltimore die Augen offen und die Waffe entsichert hält, um aufmerksam nach Terroristen und anderen Strolchen auszuschauen, die seit dem 11. September 2001 in Scharen die USA zu infiltrieren versuchen. Gerade erst hat er einen neuerlichen Vorstoß solchen Gesindels aufgedeckt und persönlich beim Versuch, die Lumpenzelle auszuheben, nicht nur namenloses Fußvolk, sondern auch den prominenten Mordstrolch Javad Mustafa mit Blei vollgepumpt.

Vier Tage später wird das FBI bei Ledger vorstellig. Man konfrontiert ihn mit einem zwar mausetoten, aber putzmunteren Mustafa, der sich erstens als Zombie und zweitens als biologische Waffe muslimischer Gotteskrieger entpuppt. Solche Untoten sollen in die USA geschleust werden und dort brave Bürger beißen, die sich daraufhin ebenfalls in lebende Leichen verwandeln! Dahinter steckt El Mudschahid, selbst ernannter Zorn Gottes. Um ihm Einhalt zu gebieten, wollen Geheimdienst und FBI eine Taskforce zusammenstellen und den Zombiemachern aus dem Nahen Osten ordentlich einheizen. Als guter Amerikaner kann und will Ledger trotz seiner Probleme mit Autoritäten dabei nicht tatenlos zusehen.

Hinter dem charismatischen, aber manipulierbaren El Mudschahid zieht der skrupellose Machtmensch Sebastian Gault die Fäden. Zusammen mit der wunderschönen und superschlauen Amirah hat er die Zombies buchstäblich entwickeln lassen, um den für seine unzähligen Firmen sehr lukrativen Terrorkrieg auf eine neue Ebene zu hieven. In dieses Geschäft will er sich nicht von US-Saubermännern pfuschen lassen und aktiviert seine Schergen, die gemeinsam mit den Zombies Ledgers Ledernacken einen unfreundlichen und bissigen Empfang bereiten …

_Die Welt im schwarz-weißen Schattenriss_

Man kann Jonathan Maberry nicht vorwerfen, aus seiner Weltsicht ein Geheimnis zu machen. Als Widmung stellt er seinem seitenstarken Zombie-Thriller folgende Zeilen voran: „Dieses Buch ist all jenen oft nicht beachteten und unbesungenen Helden gewidmet, die für die Geheimdienste bei verdeckten Operationen ganz einfach ihren Job machen.“ Er schweigt sich darüber aus, ob er dabei auch jene einschließt, die sich z. B. in Abu Ghuraib für die US-Sache ins Zeug gelegt haben, doch der Kontext lässt wenig Gutes ahnen. Zurückhaltung oder die Einhaltung von Gesetzen sind für Maberry jedenfalls keine Rezepte, um die Schurken dieser Welt Mores zu lehren, denn die sind unbelehrbar böse, heimtückisch und rücksichtslos, während Politiker wankelmütig oder korrupt vor allem am eigenen Posten kleben. Zumindest mit dem gedruckten Wort kann Maberry zeigen, wie’s eigentlich zugehen sollte!

„Patient Null“ drückt natürlich nur sekundär eine politische Haltung aus. Primär will Maberry (so bleibt zu hoffen) unterhalten. Eine grobe Differenzierung der Realität in schwarz = böse = Naher Osten (oder Nordkorea, Kuba bzw. Nicht-USA) und weiß = gut = USA hat dabei selten geschadet, wie unter anderem Hollywood immer wieder unter Beweis stellt. Für die Arena, in die der Kampfsportler Maberry die Welt als Handlungsort verwandelt hat, klingt dieses Konzept einfach und einleuchtend, weshalb er es für sein literarisches Schaffen übernommen hat.

_Ist doch alles nur Spaß …!_

Aktion erzeugt Reaktion. Auf dieses simple Schema hat Maberry die Dramaturgie des Geschehens reduziert. Diese Struktur hat Vorteile; so lassen sich vom Verfasser in Serie geschilderte Kampfszenen modulartig aneinander klinken, bis die mit dem Verlag vereinbarte Seitenzahl in Sichtweite gerät und es Zeit für das große Finale wird.

Politisch korrekt denkenden Lesern – auch diese sind mögliche Buchkäufer – sperrt Maberry ein Hintertürchen auf: Zwar gibt es mit El Mudschahid einen Burnus-Banditen, der mit Lust und Liebe Mordpläne gegen die USA inszeniert und den Koran als Steinbruch für farbenfrohe Metzeleien ausbeutet, doch hinter ihm steht ein Schlips-Schurke aus dem Abendland, den nicht Idealismus, sondern blanke Macht- und Geldgier antreiben.

El Mudschahid, Amirah und Sebastian Gault sind Bilderbuch-Böslinge, die für ein Rumpelpumpel-Abenteuer wie „Patient Null“ passend grob geschnitzt wurden. Sie tücken und schurken mit schmierenkomödiantischer Wonne, und es bleibt ihnen immer Zeit genug, dies durch kaltschnäuzige Phrasen zu unterstreichen. Damit komplettiert sich das Bild überlebensgroßer Übeltäter, die man keine Sekunde ernst nehmen kann.

Immerhin verschont der Autor auch seine Helden nicht. Über Joe Ledger muss man grinsen, wenn er sich als Peter Pan der „Terminator“-Ära gibt. Mit den Jahren ist er nicht schlauer geworden, sondern markiert nur den taffen Möchtegern-Rebellen. Weil Maberry Ledgers Kampf gegen verkrustete Konventionen sich nüchtern betrachtet als Kette kindisch-bockiger Regelverstöße darstellt, bleibt diese Figur nur ein Schwätzer, der sich letztlich doch wieder dem System eingliedert und unterwirft. Wenn Ledger dabei zum Anführer einer Elite-Einsatzgruppe aufsteigt, werden wir selbstverständlich ausgiebig mit pubertären Macho-Spielchen zwischen taffen Kämpfern im Wettstreit um die dickste Hose unterhalten, die durch bewährten Landser-Humor – einer der beinharten Kerls heißt „Bunny“: urkomisch! – ergänzt werden.

_Lesen, ohne denken zu müssen: ein ehrliches Angebot_

Bücher wie dieses soll und darf man nicht ernst nehmen. Das schützt sie zwar keineswegs vor Kritik. Angesichts der von Verfasser Maberry gar nicht verhohlenen Grobschlächtigkeit seines Romans kann diese höchstens ironisch gefärbt werden, bleibt aber letztlich hilflos: Verbrauchslektüre ist relativ rezensionsresistent, denn gelesen wird sie auf jeden Fall, wenn sie ein geneigtes Publikum findet. Davon darf unser Verfasser ausgehen, denn es gibt schlechtere „prose mechanics“ als ihn, zumal Profi Maberry den Fuß ständig auf dem Gaspedal ruhen lässt: „Patient Null“ ist Pageturner-Action der schnell vergessenen, aber zuvor noch schneller voraneilenden Art.

Für Irritation sorgt die Übersetzung. Allerdings ist davon auszugehen, dass es Maberry selbst war, der meinte, seine Geschichte durch eine saloppe, dem Ohr der (nicht mehr allzu intensiv) lesenden Jugend angenehme Umgangssprache zusätzlich aufpeppen zu müssen. Vor allem wenn Ledgar das Wort ergreift, meint der Leser vor dem inneren Ohr Dieter Bohlen zu hören, was zumindest dem Gegner derartigen Pidgin-Sprechs echte Qualen bereitet, die der Lektüre arg abträglich sind.

_Autor_

Jonathan Maberry wurde am 18. Mai 1958 in Kensington (US-Staat Kentucky) geboren. Nach Schule und Studium wurde er als Kampfsportler aktiv. Maberry war und ist nicht nur ein Jujitsu- und Schwertkämpfer von Rang und Namen, sondern gilt auch als Fachmann, der über Kampfsport und Selbstverteidigung zahlreiche Bücher und unzählige Fachartikel schrieb.

Im 21. Jahrhundert machte Maberry seine zweite Leidenschaft zum Beruf: Er wurde Schriftsteller, wobei er als Genre den (harten) Horror wählte. Schon mit seinen ersten drei Werken, der „Pine-Deep“-Trilogie, gelang dem Verfasser der Durchbruch. 2009 begann Maberry 2009 eine neue Serie um den Geheimagenten Joe Ledger, der überall auf der Welt mit Terroristen rauft, die Zombies, Ungeheuer und andere Plagegeister gen USA schicken. 2010 startete Maberry mit „Rot & Ruin“ eine Horror-Serie für jugendliche Leser, die in einem von Zombies verheerten Nordamerika spielt.

Darüber hinaus liefert Maberry Textvorlagen für den Comic-Verlag |Marvel| (u. a. für die Serien „Wolferine“ und „Black Panther“). Außerdem widmet er sich in Artikel und Sachbüchern den Mythen und Realitäten des modernen Horrors. Selbstverständlich ist Maberry auch im Internet ungemein aktiv. [„Jonathan Maberry’s Big, Scary Blog“]http://jonathanmaberry.com ist keineswegs die übliche Mischung aus Eigenwerbung und Buchankündigung, sondern bietet lebendig und kundig Informationen „About Books, Writing, Publishing and Everything in Between“.

Jonathan Maberry lebt in Warrington im US-Staat Kentucky.

Die Joe-Ledger-Serie:

(2009) Patient Null („Patient Zero“)
(2010) „The Dragon Factory“ (noch kein dt. Titel)
(2011) „The King of Plagues“ (noch kein dt. Titel)

_Impressum_

Originaltitel: Patient Zero (New York : St. Martin’s Griffin 2009)
Übersetzung: Wally Anker
Deutsche Erstausgabe: Januar 2010 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 52604)
576 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-453-52604-4
http://www.heyne-verlag.de

Sethi, Ali – Meister der Wünsche

_Inhalt:_

Zaki und seine Cousine Samar Api wachsen zusammen in einem Haus in Lahore auf. Der Alltag wird dominiert von Reibereien zwischen Zakia, Zakis unabhängiger, revolutionär denkender Mutter und ihrer Schwiegermutter, der konservativen Daadi.

Wie üblich empfinden die Heranwachsenden die Zeit, in der sie leben, nicht als besonders. Benazir Bhutto kommt an die Macht und scheidet die Geister – wen interessiert das, wenn Samar Api das erste Mal verliebt ist? Warum sollte man über das Alkoholverbot klagen, wenn es doch überall Schmuggler gibt? In der Welt von Zaki und Samar Api geschehen mehr Abenteuer, als die neuen islamischen Verbote und Gesetze jemals zugelassen hätten: Individuelle Triumphe, Intrigen, Freund- und Feindschaften lassen den beiden jungen Leuten nur wenig Raum, sich über Politik Gedanken zu machen. Außerdem tut das ja schon die ältere Generation und streitet sich andauernd. Zakia gibt gar ein Frauenjournal heraus, in dem sie kein Blatt vor den Mund nimmt.

Die Jahre vergehen, Jammer und Freude wechseln einander ab. Freude folgt auf Enttäuschung, und Menschen werden wie Blätter im Wind in verschiedene Richtungen geweht. Zaki besucht verschiedene Schulen, sticht durch Talent zum Schreiben hervor und studiert schließlich in Boston. Als er zur Hochzeit seiner Cousine nach Hause kommt, ist es eine Reise in die Vergangenheit, die durch seine Erinnerungen führt.

_Kritik:_

Ali Sethi hat eine berührende und schöne Familiensage geschrieben. Die Ängste, Zwänge und wilden Freiheiten des Heranwachsens sind unmittelbar und eindringlich geschildert. Dass sie sich vor dem Hintergrund des politisch gebeutelten Pakistan abspielen, gibt dem Ganzen eine besondere Würze.

Ali Sethi verfügt über eine stilistische Kunst, die seine Bilder beeindruckend hervortreten lässt. Der Mann kann |schreiben|! Ohne mit erhobenem Zeigefinger zu belehren, führt Sethi durch ein interessantes und beängstigendes Kapitel von Pakistans Geschichte. Durch die lebenden, atmenden, hoffenden und ringenden Menschen erhält auch dieser Hintergrund Farbe und Leben, und plötzlich ist Pakistan nicht mehr nur eine Krisenregion aus den Nachrichten, sondern der Platz, an dem Zaki mit seinen beiden älteren Cousins nachts Auto fährt und Samar Api sich heimlich aus dem Haus schleicht, um ihren Freund zu treffen.

Sethi verwendet keine Gemeinplätze, all seine Bilder und Geschichten sind frisch, eindringlich und anrührend. Natürlich bleibt naturgemäß auch der Jammer des Umsturzes nicht aus, aber er reiht sich ein in die privaten Sorgen und Nöte, vermengt sich mit ihnen und wird dadurch auf eine viel weniger abstrakte Ebene gehoben, als stures Aufzählen von Daten und Fakten das jemals vermöchte. Und Zakis Aufbruch in die fremde Welt jenseits des Meeres erscheint vor diesem Hintergrund wie ein großes Abenteuer.

_Fazit:_

Man möchte „Meister der Wünsche“ nehmen und es jedem geben, den man trifft. Es ist ein gutes, ein eindringliches und liebevolles Buch, das verschiedene komplizierte Themen in sich vereint und auf zarte Weise dem Leser nahe bringt. Khaled Hosseini, Autor des „Drachenläufer“, zeigte sich begeistert und erklärte: „Ali Sethi […] schenkt uns eine differenzierte, oft komische und immer völlig überraschende Sicht auf das Leben im heutigen Pakistan.“ Dem bleibt nur mehr wenig hinzuzufügen.

Wenn Sie sich für dieses gebeutelte Land interessieren, wenn Sie gern Geschichten von interessanten Menschen lesen, die wunderschön erzählt sind, dann kommen Sie am „Meister der Wünsche“ kaum vorbei. Das Glossar, das sich im Anhang befindet und das die im Text verwendeten landestypischen Ausdrücke erklärt, ist umfassend und hilft beim tieferen Eintauchen in diese fremde Kultur.

|Taschenbuch: 495 Seiten
Originaltitel: The Wish Maker
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
ISBN-13: 9783423247894|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de/
[www.alisethi.com]http://www.alisethi.com

Arleston, Christophe (Autor) / Floch, Adrien (Zeichner) – Das Zeichen der Ythen (Die Schiffbrüchigen von Ythaq 7)

_Reihentitel:_

Band 1: Terra Incognita
Band 2: Die falsche Ophyde
Band 3: Seufzer der Sterne
Band 4: Khengis Schatten
Band 5: Das letzte Geheimnis
Band 6: Aufstand der Spielfiguren
Band 7: Das Zeichen der Ythen

_Story:_

Nachdem Granit und ihre Begleiter dem wochenlangen Schwindel Kurgors auf die Schliche gekommen sind, sieht die Besatzung des Luxusraumers ‚Kometenstaub‘ endlich eine Chance, der Gefangenschaft auf Ythaq zu entfliehen. Krugor legt ein ausführliches Geständnis ab und berichtet seinen eigentlichen Mitstreitern vom teuflischen Spiel, an welchem er als einer der Protagonisten partizipiert, und in welches Granit und Co. eher zufällig hineingeraten sind.

Derweil bietet sich den übrigen Gestrandeten eine Möglichkeit, Ythaq mit dem Schiff zu verlassen. Doch eine Piratenbastion entert die Fregatte und entführt die Mannschaft. Wie der Zufall es will stranden die Passagiere erneut und treffen dort auf alle verschollenen Figuren des Spielsystems: Narvarth kehrt unverwundet zurück und Leah offenbart sich als weitere Hauptakteurin, die den Schlüssel zu Ythaqs Hauptstadt Drohna mit sich führt – dort wo die Figuren seinerzeit das Spiel starteten. Doch erst als Granit, Narvarth und ihre Gefährten hier ankommen, wird ihnen bewusst, welchen Umfang der riesige Komplex innehat, der dem Sieger die Unsterblichkeit verspricht …

_Persönlicher Eindruck:_

Die siebte Episode über „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“ leistet nach ziemlich langem Verwirrspiel über den Ursprung der Handlung nun erste Aufklärungsarbeit und erklärt Passagen des bis dato undurchschaubaren Backgrounds der spannenden Fantasy-Story. Allerdings gibt Arleston beim Erhalt der Spannungskurve keineswegs nach, auch wenn er konkretere Einblicke erlaubt und der Lösung des Problems, mit welchem sich die Schiffbrüchigen nun schon seit einer halben Dutzendschaft herumschlagen, ein Stückchen näher kommt.

Doch spätestens der finale Cliffhanger zeigt wieder, dass die Geschichte noch kein echtes Ende in Sicht hat und man sich auf weitere entscheidende Wendungen gefasst machen darf. Doch bis hierhin fungiert „Das Zeichen der Ythen“ zunächst als informatives Interludium, das die Handlung zwar nicht im selben Tempo weiterbringt wie die letzten Ausgaben, dafür aber durchaus mehr Transparenz schafft, als man dies nach den geheimnisvollen bisherigen Ausgaben hätte erwarten können.

Infolge der jüngsten Entwicklungen stagniert die Charakterentwicklung natürlich ein wenig, was jedoch keinesfalls kritisch zu betrachten ist, weil erneut frische Elemente in die Story gelangen, neue Figuren auf dem Schachbrett platziert werden und die Szenerie wiederum einen komplett neuen Anstrich bekommt. Neue Rahmenbedingungen, neue Optionen, neue Feinde, neue Mysterien – in dieser Hinsicht bleiben sich „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“ indes treu, wobei die Ausgangssituation für die nächsten Kapitel nun etwas klarer definiert sein sollte.

Entscheidende Fakten gelten nun als aufgedeckt, und die Marschrichtung scheint vorgegeben. Ein Ende scheint also jetzt doch auf absehbare Zeit in Sicht – zumindest wenn der Autor sich nicht wieder dazu hinreißen lässt, neue Elemente ins sprichwörtliche Spiel zu bringen und den Komplex weiter auszudehnen. Die Serie geht also in die entscheidende Phase, und „Die Zeichen der Ythen“ ist eine Schlüsselkomponente für die weiteren Fortsetzungen. Doch als solche ist auch der siebte Band eine sichere Bank und genau das, was Arleston zur Aufhebung aller zuletzt ausgelösten Hektik braucht. Insofern kann man erneut sagen: Alles richtig gemacht!

|Graphic Novel: 56 Seiten
Originaltitel: Les Naufragés d‘ Ythaq – La Marque des Ythes
ISBN-13: 978-3-940864-90-1|
[www.splitter-verlag.de]http://www.splitter-verlag.de/

Katrin Stehle – Kalte Augen

Vom Dörfchen ins gigantische Berlin – da kann man schon mal den Überblick verlieren. Kira, die Protagonistin aus Katrin Stehles Jugendkrimi „Kalte Augen“, passiert das auf einer Klassenfahrt. Allerdings bekommt sie ungeahnte Hilfe von einem Unbekannten …

Alles beginnt mit einer Mutprobe. Kira möchte Lara und Jenna beweisen, dass sie cool und furchtlos ist und traut sich ganz alleine nachts in einen Berliner Park. Doch die beiden „Freundinnen“ folgen ihr nicht, wie versprochen, sondern lassen sie im Stich. Plötzlich ist Kira verloren in der Großstadt und weiß nicht, wo sich die Jugendherberge befindet. Sie irrt durch die Nacht, bis sie plötzlich von einem Jungen namens Gunnar angesprochen wird.

Katrin Stehle – Kalte Augen weiterlesen

Jeschke, Wolfgang – Zeiter, Der. Mit einem Vorwort von Andreas Eschbach

_Zwischen Supernova und Puppenmacher: ein Autor im Kosmos_

Diese 1970 und 1978 veröffentlichte Sammlung von Jeschkes Erzählungen wurde vom |Shayol|-Verlag komplett überarbeitet und neu zusammengestellt, um in dieser Form die „Gesammelten Werke“ von Wolfgang Jeschke zu eröffnen. Dieser Band enthält seine frühesten Erzählungen, ein Hörspiel und fünf Gedichte. Sie entstanden zwischen 1955 und 1961, wurden aber erst Jahre später veröffentlicht oder gesendet.

Erstmals seit 1957 wird seine Debüterzählung „Der Türmer“ wieder zugänglich gemacht. Alle Erzählungen und das Hörspiel wurden vom Autor mit Nachbemerkungen versehen, die sehr aufschlussreich sind. Andreas Eschbach steuerte das Vorwort bei. Drei Illustrationen von Thomas Franke runden das Gesamtkunstwerk ab.

_Der Autor_

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im |Lichtenberg|-Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science-Fiction-Reihe Deutschlands beim |Heyne|-Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und zum Teil für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

Wolfgang Jeschke auf |Buchwurm.info|:

[„Der letzte Tag der Schöpfung“ 1658
[„Das Cusanus-Spiel“ 2065
[„Marsfieber. Aufbruch zum Roten Planeten“ 330
sowie diverse Herausgeberwerke

_Die Erzählungen und Gedichte_

_1) Der Türmer (1957)_

George sitzt alt in seinem Lehnstuhl, neben sich den ebenso alten, aber schon kaputten Roboter Ralph. Der Türmer sitzt im höchsten Zimmer seines Turmes, von dem aus er die blühende Vegetation ihres Planeten betrachten. Er wundert sich, als eine Kletterpflanze aus dieser Vegetation in seinem Fenster erscheint und mit ihm spricht. Direkt in seinem Kopf …

Eine Patrouille hat den Notruf Georges aufgefangen und ist zu seiner Welt geflogen, die ja nicht gerade zentral gelegen ist. Doch als die Crewmitglieder nachschauen, was mit George los ist, können sie ihn nicht finden, keine einzige Spur von ihm. Da sind bloß jede Menge Kletterpflanzen mit hypnotisch gezeichneten Blüten. Einen Moment meint einer der Männer Worte zu vernehmen, aber das war sich nur eine Sinnestäuschung. Sie nehmen den Roboter Ralph mit, der immer noch zu reparieren ist, und vergessen den armen alten George. Wo mag er nur abgeblieben sein?

|Mein Eindruck|

Ganz im Gegensatz zu den unternehmungslustigen oder satirischen amerikanischen SF-Erzählungen der fünfziger Jahre – man denke an Heinleins Jugendromane oder Kornbluth & Pohls Satiren -, schildert Jeschke den letzten Abend eines Planetenwächters, dem sogar sein unverwüstlicher Roboter kaputt gegangen ist. (Ralph heißt er, weil so der erste Roboterroman überhaupt, Hugo Gernsbacks „Ralph 142C+“, hieß)

Es ist eine Endzeitschilderung, in der der Mensch das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Nun kommt die Natur wieder zum Zuge: Die Kletterpflanze bietet George etwas an, nach dem er sich gesehnt hat – das Aufgehen in einer Gemeinschaft sowie ein Weiterleben, zwar in anderer Form, aber womöglich sogar für immer. Kein Wunder also, dass die Angehörigen der galaktischen Maschinen-Zivilisation keinen Sinn für derlei Verwandlungen haben und Georges neue Existenzform schlicht übersehen.

_2) Zwölf Minuten und einiges mehr (1959)_

In einer fernen Zukunft auf einer Treibhaus-Erde, als der Nil bereits versiegt ist, existiert in Kiara, dem früheren Kairo, auf einem einsamen Flugfeld am Rand der Wüste eine Zeitmaschine, die schlicht als „Der Zeiter“ bezeichnet wird. Selbstredend wird der umfangreiche Apparat, der mehrere Menschen gleichzeitig durch die Zeit schicken kann, von pflichtbewussten Betreuern überwacht, gewartet und verwaltet. So erzählt es uns zumindest der Chronist, der begründen will, warum er seinen neuen Untermieter so merkwürdig findet.

Heute begrüßen die zwei Betreuer – ein Mensch, ein Android – einen Fremden, der ein wenig seltsam aussieht: Langes Haar hat man schon lange nicht mehr gesehen, er ist hager, dunkel, dazu trägt er eine große schwarze Reisetasche, wirkt aber schüchtern, als er nach einer Reise fragt, zu einem ganz bestimmten Datum. Null problemo an sich, aber man macht ihn darauf aufmerksam, dass er von dort, wo er landet, dreitausend Jahre auf die Abholung warten müsse, weil nämlich dann er der ZEITER erfunden und die Zeittore gebaut würden. Das gehe schon in Ordnung, meint er. Na denn. Nachdem er mit seiner Kreditkarte gezahlt hat, stecken sie ihn in den Apparat und schicken ihn durch. „Eine gute Zeit noch“, wünschen sie ihm.

Blöd, dass er seine Reisetasche vergessen hat. Lauter uralte Bücher sind da drin, sogar noch aus Papier, kaum zu glauben. Der Android findet, dass die Zielzeit des Fremden doch auffällig mit dem Beginn einer religiösen Bewegung der alten Erde übereinstimmt. Der Mensch, als Herr und Meister, tut das abfällig ab – na, wenn schon? Nach zwölf Minuten ist der Zeitreisende wieder zurück, zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber geistig voll da. Nur die Hände scheinen ihm zu schmerzen. Und sein Schiff zu den Sternen ist startbereit.

Ach ja, der Untermieter. Mit dem fährt der Chronist raus nach Garching zum Atomforschungszentrum. Dort haben sie den schnellsten Computer, ein wahres Wunderwerk. Aber das lässt den Chronisten nicht vergessen, dass sein Freund schon fast 2000 Jahre hienieden wartet und noch über tausend Jahre auf die Erfindung des ZEITERs warten muss, bevor er wieder zurückreisen kann …

|Mein Eindruck|

Jesus war ein Zeitreisender – das ist doch mal eine nette Idee. Wir erfahren zwar nur wenig über die Zivilisation, aus der er stammt, und überhaupt nichts über seine Motivation – hat wohl zu viele Bücher gelesen, der Ärmste -, aber dafür lässt sich sein Erscheinen quasi aus dem Nichts im Jahr seiner Geburt wenigstens erklären. Dass er von einer gewissen Maria, Frau des Zimmermanns Joseph aus Nazareth, geboren worden sein soll, ist eh bloß Legende.

Der Faktor Zeit spielt die entscheidende Rolle in der Handlung. Nicht nur die Reise an sich ist damit gemeint, sondern auch das 3000 Jahre währende Warten auf die Erfindung des Zeiters. Das lässt uns natürlich fragen, wie dieser Zeitreisende so lange leben kann, ohne dass es jemandem auffällt. Fragen über Fragen – und keine Antworten. Aber nett ist die Idee doch.

_3) Sirenen am Ufer (1960)_

Das Erkundungsschiff landet auf einer neuen Welt, die den Männern wie das Paradies vorkommt: alles schön grün, weit und breit kein Raubtier. Sie fangen ein harmloses Tier und sezieren sein Hirn, bevor sie es entsorgen. Am Lagerfeuer singen sie von den Lieben daheim und vom Heimweh. Danach wird einer von ihnen, der sich besonders heftig nach seiner Frau sehnt, von einem weiblichen Wesen besucht, das sich aus dem Nichts zu formen scheint.

Sie nimmt ihn mit – in ihrer Kutsche, ab nach Montana, dann in eine Hütte am Meer, wo auch die zwei Kinder des Paares auftauchen. Er streichelt ihr graues Fell, während sie ihn kratzen und zu beißen versuchen. Aber ihn verlangt es nur nach Ann, die schon auf ihn wartet. Erst ist die Vereinigung wunderbar, dann kommt der Schmerz …

Am nächsten Morgen finden sie ihn endlich, in einer Höhle im Wald, ein zerfleischter Leichnam. Daneben liegt ein Exemplar jenes Tiers, das sie Tags zuvor erlegt und seziert haben. Sein Genick ist gebrochen. Offenbar hat ihr Kamerad sich noch vor dem Ende gewehrt. Sie bestatten ihn, nehmen aber den Kadaver des Tieres mit. Sollen sich die Wissenschaftler darüber den Kopf zerbrechen. Das Schiff hinterlässt verbrannte Erde, als es in den Himmel steigt.

|Mein Eindruck|

Die Sirenen des Titels sind offenbar wörtlich zu nehmen, und sie finden sich offenbar auf jeder Welt, die eine unerklärliche Faszination auf den Erforscher auszuüben vermag. Dies ist eine der ersten Erzählungen, die ihren Plot auf Psychologie begründet statt auf äußere Action. Bemerkenswert, dass sich unser moderner Odysseus von einer Schönen à la Nausikaa betören und in Lieblingslandschaften der Sehnsucht entführen lässt.

_4) Tore zur Nacht (1963)_

Nahe Toulouse haben die französischen Wissenschaftler nicht nur Atombunker gebaut, sondern auch eine maschinenhafte Klinik, die sich um das Austragen der ungeborenen Kinder kümmert. Mittlerweile sind rund 8000 Embryonen dort eingelagert. Am Tag, an dem es geschieht, sitzen Alain und Roger im Café, wo sie erst den besorgten Radionachrichten lauschen, bevor sie den Lichtblitz in der Ferne erblicken. Alain sorgt sich um seine Frau Eve und läuft los. Die Feuerwolke lässt nicht lange auf sich warten …

Nach Jahren der Überwinterung in 4000 Metern Tiefe steigt die Klinik-Maschine wieder an die Oberfläche. Sie hat nicht verhindert können, dass die harte Strahlung das Erbgut ihrer Schützlinge angriff und zu Mutationen führte. So manches missgestaltete ihrer Babys hat sie zwar aussortiert, doch gegen psychische Deformationen weiß sie kein Mittel; hier versagen die Programme ihrer Erbauer. Und so kommt es, dass eines ihrer Kinder eine ganz besondere Fähigkeit entwickelt: Es kann den Verlauf der Zeit verändern. Die Maschinenmutter verstößt es, und es muss allein zurechtkommen.

Nirgendwo empfängt es die Signale von Leben, deshalb streckt es seine Fühler in die Vergangenheit aus. Dort trifft es auf eine Wand aus Schmerz und Schreien, die es zurückprallen lässt. Doch was war die Ursache für diesen Ausbruch von Emotionen, fragt es sich und forscht nach. Es stellt fest, dass es zeitgleich einen Ausbruch von Energie aus Geschossen gab, der die ganze Welt umfasste. Es muss einen Zusammenhang geben, den es aufhalten und auflösen kann.

Verschiedene Versuche, die es unternimmt, schlagen fehl. Einfach nur die Temperatur der Umgebung bei einem Einschlag abzusenken, reicht nicht. Auch die Verschiebung von Zeit erweist sich als wenig hilfreich. Wenigstens lässt sich überall im Land der Strom abstellen, so dass die Raketen nicht gezündet und abgeschossen werden können. Die Schicksale der Betroffenen – Alain, Roger & Eve, Winzer, Polizisten, Bahnarbeiter – sind mit den Anomalien verknüpft, aber nicht beeinträchtigt. Noch nicht.

Das ändert sich, als das Uran zu Blei verwandelt wird und die ersten Zeitreisenden auftauchen …

|Mein Eindruck|

Ende der 50er Jahre machte Jeschke mit seiner Frau eine Ferienreise mit Motorroller und Zelt (!) durch Südfrankreich. Die weitgehend autolose Idylle des Süden wurde nur von der damaligen nuklearen Bedrohung durch die Supermächte überschattet. Das Ergebnis dieses Kontrastes ist die vorliegende Novelle.

Die besten, weil anschaulichsten Szenen sind lose aneinander gereiht und schildern Figuren aus dem Süden Frankreichs, wie sie wirklich hätten existieren können – jedenfalls damals. Aber an Wein, Café, Pastis und Gendarmen hat sich zum Glück inzwischen wenig geändert. Zwischen diese anschaulichen und recht amüsant, ja, sogar spannend geschilderten Szenen hat der Autor die subjektiven Erlebnisse und Gedanken von Supermaschine und ihrem mutierten Kind eingeflochten.

Im Hinblick auf ein Gleichgewicht zwischen realistischen und Mutantenszenen kann man nur sagen, dass es keines gibt: Die anfangs in der Überzahl vorhandenen SF-Szenen werden zunehmend von realistischen abgelöst, so dass sich der Leser fragt, wo das Mutantenkind abgeblieben sei. Als gelinder Schock wirken dabei, wie die ganz beiläufig erwähnten Bahnarbeiter das missgebildete Mutantenkind erschlagen. Erstaunlicherweise halten aber dennoch die Folgen seines Wirkens an: Uran in AKWs und Sprengköpfen wird zu nutzlosem Blei verwandelt.

Weil der Mutant zusätzlich an der Zeit herumgepfuscht hat, tauchen unvermittelt mitten in Toulouse auch noch Zeittouristen auf. Eine sehr amüsante Szene, die den Gendarmen des Ortes vor eine Herausforderung stellt, die ihn uns sehr sympathisch macht.

Das dritte Element der Erzählung soll nicht unterschlagen werden: Gedichte. Sie sind wunderschön in ihrer Sprachgewalt. Melancholisch zeichnen sie Weltschmerz und Sinnsuche angesichts der nuklearen Bedrohung. Hier ist der vom Autor selbst (an anderer Stelle) bekannte Einfluss des deutschen Barocks zu sehen, allen voran die Lyriker wie etwa Andreas Gryphius. Den Barock lernte Jeschke an der Münchner Universität kennen und lieben. Die Gedichte appellieren indirekt an den Leser, sich Gedanken zum Thema zu machen, etwa zur Sterblichkeit, dem ewigen „memento mori“.

Hätte es der Autor bei einem Element – vor allem den vorzüglichen realistischen Szenen – belassen, wäre eine erstklassige Story daraus geworden, die man auch heute noch vergnügt lesen könnte.

_5) Der König und der Puppenmacher (Novelle) (1961, Hörspiel gesendet 1975)_

12.000 Jahre in der Zukunft herrscht im Thronsaal des Königs dicke Luft: Ihre Majestät sind sauer. Ganz besonders auf Collins, seinen Minister für persönliche Sicherheit und Futurologie. Collins ist außerdem der Chef seiner Zeitpatrouille, deren Aufgabe vor allem darin besteht, den König dieses Sonnensystems vor einem Anschlag aus der Zeit zu bewahren. Und es sieht nicht so aus, als ob sie einen Job machen würden. Ständig treten irgendwelche Zeitwächter aus einem der Spiegel, die in den Thronsaal führen, sehen, dass die Luft rein ist, und verschwinden wieder.

König Collins fürchten einen Anschlag von WEISS, der Gegenpartei in einer Art temporalem Schachspiel. Collins stoppt die Uhr: Noch 25 Minuten bis zu einem temporalen Blackout von zehn Sekunden. Derweil steigt die Anspannung des Königs ins Unermessliche: Er wirft Collins Versagen auf der ganzen Linie vor. Beispielsweise im Fall dieses mysteriösen Puppenmacher Weißlinger aus dem frühen 17. Jahrhundert, den Collins nicht dingfest machen konnte. Was, wenn eine dieser mechanischen Puppen hier auftauchen würde?

Nach dem Blackout staunt Collins: Der König wirkt in seiner Freundlichkeit und Heiterkeit wie ausgewechselt. Und er hält eine jener Holzpuppen Weißlingers auf dem Schoß. Die Puppe bewegt sich selbsttätig und turnt um den Thron herum. Das findet Collins sehr beunruhigend. Und weil keine Soldaten der Zeitpatrouille nicht mehr in den Saal platzen, hat Seine Majestät genügend Muße, um Collins die Geschichte jenes Puppenmachers zu erzählen. Aber auch die Geschichte von zwei Prinzen, die als Schüler eines alten Zeiterforschers mit speziellen Fähigkeiten aufwuchsen und zu erbitterten Feinden wurden. Sie wurden zu SCHWARZ und WEISS und begannen ihre temporale Schachpartie …

Oder ist alles ganz anders?

|Mein Eindruck|

Es ist nicht leicht, etwas über diese wundervolle Erzählung zu sagen, ohne die geniale Pointe zu verraten. Dies aber zu tun, würde die Spannung wirklich verderben und das Geheimnis frühzeitig lüften. Deshalb schreibe ich nichts über den weiteren Verlauf der Geschichte – jedes Wort wäre schon zu viel.

Dies ist der Prototyp aller Zeitreisegeschichten, die Jeschke jemals herausgegeben („Zielzeit“) oder selbst verfasst hat, so etwa für „Das Cusanus-Spiel“ (2006), aber auch für Carl Amerys formidables „Königsprojekt“ (1974). Elegant und anschaulich erzählt, schildert die Novelle erst die zentrale Konfrontation zwischen dem König und seinem Minister Collins, bis es zum überraschenden Sinneswandel des Herrschers und dem Auftauchen der Puppe kommt. Es wirkt wie ein Zauberkunststück und verlangt natürlich nach einer Erklärung.

Nun beginnt der rätselhafte König mit seinen verschiedenen Versuchen, das Leben des Puppenmachers Weißlinger zu erzählen, der angeblich im 17. Jahrhundert die Pläne erhielt, um eine Zeitmaschine zu bauen. Allerdings konnte er damit nicht selbst reisen, sondern nur Signale eines Anachronismus an die Zeitpatrouille „senden“. Aber wie und warum kam es zu dieser epochalen Erfindung, von der wir, die wir ihr zeitlich viel näher sind, nie gehört haben?

Ganz klar: Zwecks Erklärung muss das Leben Weißlingers erzählt werden. Seltsamerweise weiß der König viel mehr darüber als der Chef der Zeitpatrouille. Collins kann sich jedoch immer mit den Zeitsiegeln herausreden, die WEISS über bestimmte Epochen gelegt habe – eben auch über die letzten 30 Jahre von Weißlingers Leben. Davor werden die ersten Jahre Weißlingers während des beginnenden 30-jährigen Krieges (1618-48) geschildert, und diese Szenen sind wirklich grausig. Auch hier zeigt sich der Einfluss des Barock, den Jeschke bei der Lektüre des Grimmelshausen und der Dichter (s. o.) kennenlernte.

Man sieht also, dass sich der Autor zahlreiche Gedanken über die Manipulation der Zeit gemacht hat und solche Erfindungen wie Siegel, Blackouts, Frakturen und dergleichen mehr geschickt einzusetzen weiß. Das kenne ich zwar schon fast alles von den Zeitpatrouille-Geschichten Poul Andersons (siehe dazu unsere Rezensionen), aber davon zu lesen, ist immer wieder ein Spaß. Wer an die Erlebnisse Marty McFlys in der Filmtrilogie „Zurück in die Zukunft“ denkt, bekommt eine blasse Ahnung von den Phänomenen, um die es geht.

|Das Hörspiel |

Weil die gesamte Geschichte aus einem grundlegenden Dialog an nur einem Ort sowie mehreren eingeflochtenen Erzählungen des Königs besteht, ließ sie sich ausgezeichnet für das Radiospiel einrichten. Dieter Hasselblatt produzierte sie für den Bayerischen Rundfunk. Und der Autor bedankt sich bei der Redakteurin und dem Produzenten, weil es sie es trotz seiner Zweifel schafften, den Text sinnvoll zu komprimieren. Wenn man dem Experten Horst Tröster glauben darf (und warum auch nicht?), handelt es sich um eines der besten Hörspiele aus Deutschland.

_6) Der Riss im Berg (1955)_

Die Physik im Kosmos hat so ihre Mucken. Auf einmal verschiebt sich der Punkt, an dem ein Schwarzes Loch kein Licht mehr entlässt und prompt verschieben sich überall in der Umgebung die Massepunkt, die das Erreichen der Lichtgeschwindigkeit für superschnelle Raumschiffe ermöglichen. Sie kommen weit vom Kurs ab, stranden im Nirgendwo.

Nicht nur das: Nur fünf Lichtjahre entfernt von der Sonne Kirn und ihrer Welt Thor explodiert ein Stern. Die Supernova überschüttet ihre Umgebung monatelang mit grellem Licht, was niemand witzig findet. Was die Techniker des Raumflughafens noch nicht ahnen: Auch der Transitionspunkt für den lichtschnellen Flug hat sich auf ihre Welt verschoben, genauer gesagt: mitten in einen Berg (siehe Titel) hinein, der den Eingeborenen Thors heilig ist. Erst durch eine Delegation der Thoreaner werden die zwei Techniker darauf aufmerksam, dass es im Gebiet der Eingeborenen einen Eindringling gebe, der sich sehr seltsam verhalte und die Zeremonien störe.

Als Satch, einer der beiden Techniker, hinfliegt, um den Eindringling aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, gerät er unversehens in eine Zeitfalle und -schleife …

|Mein Eindruck|

Nach einem etwas holprigen Start, der vom Makrokosmos hin zum Mikrokosmos, nämlich der Welt Thor, führt, gelangt die Handlung in das vom SF-Fan gewohnte Fahrwasser: ein Rätsel auf der Welt, das es zu lösen gilt. Zum Schmunzeln regen zunächst die Beschreibungen der nichtmenschlichen Eingeborenen an, die nicht nur übermäßig stinken, sondern auch ansonsten ein wenig appetitliches Verhalten an den Tag legen. Niemand hat behauptet, dass Außerirdische wie Elfen aussähen.

Recht einfallsreich ist auch die Art und Weise, wie der Autor die Zeitfalle für Satch aufgestellt hat. Ich will aber darüber nichts weiter verraten, um die Spannung nicht zu verderben. Das Lesen lohnt sich jedenfalls.

_7) Welt ohne Horizont (1957)_

In einem Generationen-Raumschiff, das schon seit langen Jahrhunderten zu seiner Zielwelt fliegt, ist der letzte Tag angebrochen. Der junge Jay weiß von dem alten Mr. Hayes, dass er in einer Art Röhre lebt, in der mehrere Städte in den Himmel ragen. Aber der arme Mr Hayes wird von Kindern verhauen, weil er Bücher liest – etwas, was Jay nicht kann – und von betrunkenen Rowdys erschlagen. Als wäre dies nicht genug, wird auch noch seine Mutter, die letzte Frau dieser Welt, krank und beginnt zu sterben. Ihr letzter Auftrag an ihren Sohn lautet, zum Anführer McCain zu gehen und mit ihm nach der Welt jenseits der blauen Wände zu suchen. Dort gebe es Lebensmittel und andere Menschen.

Nach einer Zeit der Trauer begibt sich der Junge zu dem Mann, der das Kommando über die Rowdys und Zerstörer hat. McCain ist schon am Morgen angetrunken und lästert über die vielen toten Maschinen, die in dieser Halle stünden: alle nutzlos. Weil die Menschen, für die die Maschinen produzierten, schon längst gestorben sind. McCain schleudert seine Flasche auf eine Schalttafel und fällt besoffen übers Geländer auf ein Förderband. Die Maschinen erwachen zum Leben und verarbeiten ihn, bevor ein Kurzschluss die Halle in Brand steckt – und danach die ganze Stadt Detroit …

Die Systeme fallen eines nach dem anderen aus, sogar die Schwerkraft wird aufgehoben, so das alles durcheinander wirbelt, Tote und Lebende. Jay gelangt zur blauen Wand. Deren Schutzzone ist jetzt nicht mehr bewacht. Eine bombastische Stimme begrüßt ihn mit den Worten, dass die Zielwelt Corynthus erreicht sei und sich alle aufstellen sollten, um Plan sechs zu erfüllen. Dann hebt sich das äußere Tor der Schleuse und Jay erblickt die Welt jenseits der Welt, genau wie Mr Hayes es behauptet hat …

|Mein Eindruck|

Der Autor schreibt selbst in seiner Nachbemerkung, dass es Mitte der fünfziger Jahre eine Mode in der SF-Szene gab, Geschichten über Generationenraumschiffe zu schreiben. Eine der ersten solcher Geschichten erschien jedoch bereits 1941: Robert Heinleins „Universe“. Sie ist immer noch der Maßstab für dieses Sujet. Und natürlich muss sich auch Jeschkes Beitrag daran messen lassen.

Erstaunlicherweise besteht „Welt ohne Horizont“, berücksichtigt man die Entstehungszeit und das Alter des 21-jährigen Autors, den Vergleich mit dem US-Klassiker. Wie erfahren zwar so gut wie nichts über die Figuren, die sämtlich eindimensional sind, doch dafür ersteht eine ganze Welt in nur wenigen angedeuteten Strichen als Bild. Wer Greg Bears Roman [„Äon“ 3429 gelesen hat, weiß, was es mit einer gigantischen Röhre als Raumschiff auf sich hat: Über dem Kopf des Betrachters ragen die Türme einer gegenüberliegenden Stadt nicht in die Höhe, sondern wie Stalaktiten herab, als drohten sie, jeden Moment herabzustürzen. Nicht gerade ein beruhigender Anblick.

Jeschkes Welt-Variante ergeht sich in Selbstvernichtung, und die Bilder der Apokalypse sind nicht von schlechten Eltern. Man wundert sich nur, wie ein simpler Flaschenwurf auf eine Schalttafel ein solches Inferno auslösen kann. Offenbar wurden auf dieser Welt weder auf Sicherheit noch auf Reserve-Systeme geachtet.

_8) Pater Ramseys Totenmessen (1961)_

Mr Tensley hat seine geliebte Frau Ann verloren und muss die Reise zu Mars oder Venus abschreiben. Er zieht aus seinem stillen Haus in ein kleines möbliertes Apartment bei Mrs Scott. Diese Witwe ist sehr religiös, aber das stört den Witwer nicht. Bis zu jenem Tag, an dem er ein Flugblatt eines gewissen Pater Ramsey auf seinem Tisch findet. Obwohl peinlich berührt, lässt er die Sache höflich auf sich beruhen, bis er selbst so weit ist. Als das Wetter am deprimierendsten ist, beschließt er, heimlich Mrs. Scott zu folgen, um an einer Totenmesse des Paters Ramsey teilzunehmen.

Zu seiner Überraschung ist das Kirchlein bis auf den letzten Platz gefüllt. Das scheinen ja tolle Totenmessen zu sein, denkt sich Tensley. Messdiener öffnen die Seitenflügel des Altars, und Tensley erblickt schockiert, dass das Triptychon kein Bild, sondern ein reines Schwarz zeigt, das eine geradezu hypnotische Wirkung auf ihn ausübt, wie ein psychischer Strudel.

Die Messdiener führen einen gebrechlichen Greis herein, den sie vor den Altar stellen. Wechselgesang hebt an, um den Greis auf den Übergang einzustellen, der diesen begrüßt. Dann wirft sich der Greis mit erhobenen Armen auf die schwarze Wand des Altars – er gleitet langsam zu Boden. Die Diener legen die Leiche auf eine Bahre und während die Gemeinde singt, tragen sie ihn hinaus. Tensley ist verwirrt und aufgebracht. Soll er hier für dumm verkauft werden?

Nachdem alle anderen gegangen sind, stellt er Ramsey zur Rede. Der Mann, der ihm so bekannt vorkam, war vor 50 Jahren tatsächlich einmal sein Kommilitone an der Physikalischen Fakultät. Doch während Tensley die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Bauunternehmer antreten musste, schloss Ramsey sein Physikstudium ab, erfährt er, und entwickelte ein Simultan-Funkgerät (ähnlich Le Guins „Ansible“), mit dem er schließlich Kontakt mit einer 360 Lichtjahre entfernten Zivilisation aufnahm: Roboter.

Tensleys Unglaube wächst, doch Ramsey steckt seine Attacken lächelnd weg. Die Roboter von Tyrtok hätten ihm nicht nur die Warp-Vorrichtung, den riesigen, tiefen Altar, geschenkt, sondern auch die Möglichkeit angeboten, Menschen bei ihnen einreisen zu lassen – dorthin sei der Greis gegangen, um in einem neuen Androidenkörper weiterzuleben. Tensley schüttelt den Kopf, als er die ungeheuren Möglichkeiten erkennt – nicht zuletzt auch für sich …

|Mein Eindruck|

Der Autor hat viele Male über die Aufhebung des Todes geschrieben, so etwa in seinem Roman „Midas“ (1989) und in Geschichten wie „Nekyomanteion“ (1985). Denn er weiß, dass es Liebe und Tod sind, die die stärksten Kräfte für unser Leben bilden. Auch „Totenmessen“ ist eine Erlösungsgeschichte – und entpuppt sich ironischerweise letzten Endes als Reisegeschichte: Tensley kommt nicht bloß bis zur Venus, sondern in eine Art Himmel, in der er die Reinkarnation Anns findet …

An dieser Geschichte ist ein erstaunlicher Sprung in der Qualität des Erzählens festzustellen. Der Autor hat seine Figuren ebenso sorgfältig angelegt wie er die Umgebung schildert. Erstmals spielt die Natur die Rolle einer Seelenlandschaft, eines Spiegels des Gemüts. Der rote Faden ist deutlich erkennbar und wird aus der Sicht nur einer Figur erzählt, so dass es keine Brüche mehr gibt. Aus literarischer wie auch aus SF-inhaltlicher Sicht ist dieser Text einer der zufriedenstellendsten dieser Sammlung.

_9) Die Anderen (1959/70)_

Irgendwo im US-amerikanischen oder kanadischen Norden fährt der Wartungstechniker Louis sein Runden. Diesmal gerät er auf dem Rückweg in schlechtes Wetter und findet im Nebel ein Haus neben der Straße, in dem er essen, einen Kaffee trinken und vielleicht sogar übernachten könnte, da er sehr müde ist. Doch die zwei Bewohnerinnen stellen sich als launisch heraus und schicken ihn wütend wieder weg. Die Alte hatte keine Zunge und die Junge zahlreiche Narben auf dem Rücken, als wäre sie gefoltert worden. Wütend geht Louis zu seinem Wagen.

Doch er kommt nicht weit, denn unerklärlicherweise ist der Benzintank leer. Als er einen Wandersmann nach dem Weg nach Uraney, dem angeblichen nächsten Ort, fragt, erschrickt er: Der Sensenmann besitzt keine Nase. Freundlich antwortet der Bursche, in Uraney bekäme Louis alles, was er brauche, und geht rasch weiter. Louis fragt sich, wozu der Kerl mitten im Winter eine Sense braucht: Es gibt ja nichts zu mähen außer Schnee. Kurz danach fährt ein Auto vorüber, und er könnte schwören, es sei sein eigenes. Hol’s der Teufel, was ist heute Nacht bloß los?

Eine Art Zigeunerfamilie gewährt ihm in ihrem Wohnwagen Obdach. Doch das Familienoberhaupt behauptet, dass es Uraney gar nicht mehr gebe: völlig ausgestorben. Und tatsächlich: Als Louis jetzt die Häuser ringsum bemerkt, sind alle verfallen und nirgendwo brennt Licht. Ist er in der Zeit gewandert?

In der Nacht – oder im Traum – weckt ihn das 12-jährige Mädchen der Familie und liebkost ihn, um ihn zu einem Bad in Uraney zu verlocken. Diana nennt sie sich. Doch diese Sirene stellt sich als ebenso tückisch heraus wie die beiden Frauen im Gasthaus. Louis landet an einem sehr unheimlichen Ort …

|Mein Eindruck|

Wer hätte gedacht, dass der Autor in der Lage ist, einen Albtraum von Nagasaki, Hiroshima und Seveso in eine derartig unheimliche und gruselige Erzählung umzusetzen? Damit kann er es ohne weiteres mit Klassikern des gepflegten Grusels wie Arthur Machen aufnehmen, wenn er auch nicht so weit geht wie Poe oder Lovecraft. Doch darauf kommt es ihm nicht an: Er will die Schrecken der Atombombenopfer aufzeigen.

Schnell bemerkt der Leser, dass jede Figur, der Louis begegnet, einen Defekt aufweist, wie er durch radioaktive Verstrahlung verursacht werden kann: eine fehlende Zunge oder Nase hier, dort eine schwärende Wunde auf dem Rücken, dem Zigeuner fehlt ein Arm. Es ist nur konsequent, dass auch Louis an seinem letzten Aufenthaltsort eine Gliedmaße opfern muss, um auf der Seite der Opfer aufgenommen zu werden. Und dann wird er es den Gesunden zeigen …

_10) Fünf Gedichte_

Die ersten zwei Gedichte über die Chemiekatastrophe von Seveso, Italien, in den 1970er Jahren, und über Bombay/Mumbai anno 1980 betrachten die Welt in ihrem jeweiligen Zustand und ziehen Resümees daraus. Dabei fällt das Urteil über Sevesos Verursacher wesentlich härter aus als über Bombay. Mumbai, der Stadtmoloch, ist die fleischgewordene Masse MENSCH und wird womöglich abgelöst werden von anderen Spezies – von Krähen etwa, oder Spezies, die dermaleinst ans Land kriechen werden.

Die restlichen drei Gedichte sind wesentlich besinnlicher. „Denkmodelle“ qualifiziert eben diese als Luftschlösser ab, lächerlich in ihrer Vergänglichkeit. „Sterne“ interpretiert die Position des verzweifelten Ichs gegenüber den leuchtenden Himmelskörpern als vergeblich: Die Schreie, die die Sterne ausstoßen, sind bloß nicht hörbar – sie sind ihr Licht.

Im letzten Gedicht setzt der Autor zwei Arten von Bewegung einander gegenüber: Während die einen laut den Himmel erstürmen, bereitet sich der Alte gemütlich, behaglich und still auf seinen eigenen Aufbruch vor: hinab ins Grab. Wieder einmal klingt Jeschkes Dauerthema, der Tod und das Vergehen bzw. die Relativität derselben, an. Zum anderen zeigt er sich in allen fünf Gedichten als Fortschrittsskeptiker, als Zweifler, ohne jedoch jemals zynisch zu werden. Er verachtet die Menschen nicht für ihre Hoffnungen, Ängste und Bestrebungen, sondern zieht nur seinen eigenen Standpunkt vor.

_Unterm Strich_

In den Erzählungen, die zwischen 1955 und 1962 entstanden, ist ganz klar eine positive Entwicklung hin zu erzählerischer Kompetenz und Versiertheit festzustellen, nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich. So konfrontiert der Autor seinen Leser anfangs noch mit lyrischen Abschnitten, bevor er endlich zur prosaischen Sache kommt.

Fern von der anfänglichen Melancholie des 19- und 25-Jährigen präsentieren sich dann die zwei Prunk- und Hauptstücke dieses ersten Bandes der gesammelten Werke: „Der König und der Puppenmacher“ sowie „Tore zur Nacht“. In letzerem Text zeigt sich Jeschke noch unsicher und sucht den roten Faden, doch in „Puppenmacher“ scheint er alle Register souverän zu ziehen.

Mit Verve und Hinterlist führt er hier den Leser hinters Licht, bis sich dieser nur noch wundern kann, was ihm da passiert ist. Kein Wunder, dass Dieter Hasselblatt auf die Vertonung als Hörspiel so erpicht war: Es ist ein einziger glänzender Dialog. Selbst wenn der König monologisiert, so erzählt er doch so fesselnd, dass man ihm gerne folgt. Denn es ist spannend, die Lüftung des Geheimnisses, das sich hinter der temporalen Schachpartie zwischen SCHWARZ und WEISS zu verbergen scheint, mitzuverfolgen.

Kein Zweifel: Allein schon wegen „Puppenmacher“ lohnt sich dieser Band. (Diese Story ist aber etwas günstiger in dem Sammelband „Das Auge des Phönix“, erschienen bei |Heyne|, zu bekommen.) Wer aber „Der Türmer“ endlich mal lesen möchte, weil es in den ersten beiden Abdrucken der Collection „Der Zeiter“ NICHT enthalten war, der kommt hier endlich zum Zuge.

Der nächste Band trägt den Titel „Partner fürs Leben“.

|252 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3926126658|
http://www.shayol.biz

Goldstein, Rebecca – 36 Argumente für die Existenz Gottes

_Inhalt:_

Professor Cass Seltzer ist ziemlich überrumpelt. Der freundliche, zurückhaltende Mann ist Religionspsychologe und damit, wie die wunderschöne Psychologin Lucinda Mandelbaum meint, ganz weit am falschen Ende der Psychologie angesiedelt. Lucinda selbst glaubt an Statistiken, am Logik und Mathematik, um den schwammigen Bereich „Psychologie“ zu befrieden und urbar zu machen. „Religionspsychologie“ – hah!

Allerdings ist sie von Cass’ Buch angetan. Cass hatte eine sehr intensive Studienphase bei einem Professor, dessen Genie nahe dem Wahnsinn ankerte und der halb verächtlich und halb ehrfürchtig betrachtet worden war. Cass hatte zu den Ehrfürchtlern gehört, ehe der Professor schließlich völlig überzuschnappen schien, was einen schmerzhaften Abnabelungsprozess ausgelöst hatte. Cass hatte irgendwann zu all den ungeklärten und in seinem Inneren gärenden Fragen aus jener Zeit eine Antwort schreiben wollen.

Heraus kam ein Buch, das die Bestsellerlisten nur so stürmte und Cass völlig unvorhergesehen in die Führungsposition der Atheisten erhob. Der „Atheist mit Herz“, wie sie ihn nennen, weiß nicht so recht, was er mit dem Rampenlicht anfangen soll. Er weiß auch nicht, warum Lucinda ihn liebt. Er nimmt nur beides an, so gut es geht.

Während der Strom der Ereignisse ihn mit fortspült, rekapituliert er, wie es so weit kommen konnte. Und mitten in seine Gedanken platzt Roz, seine Exfreundin aus dem Studium, die immer kommt und geht wie ein Herbststurm. Das Einzige, worauf man sich bei ihr verlassen kann, ist die Tatsache, dass sie immer im Begriff steht, etwas Unkonventionelles zu tun. Der irgendwie gemeinsame Weg der selbstbewussten Frau und des stillen Mannes, der auf verschlungenen Pfaden in skurrilste Situationen führte, wird hier nachgezeichnet. Und alles andere auch: Das Gestern, das Heute, und vielleicht ein bisschen vom Morgen. Und nebenher: 36 Argumente für die Existenz Gottes.

_Kritik:_

Dieser Roman ist ein Appell: Wenn auch schon ersichtlich ist, dass Rebecca Goldstein eher den Gegenargumenten Glauben schenkt, als den Argumenten FÜR die Existenz Gottes, so erklärt sie doch, dass das moralische Handeln im Menschen fest verankert ist. Dieses Buch appelliert ans Gutsein, ohne darauf hinzuweisen.

Wie Goldstein aus Mathematik, Physik, Metaphysik, Philosophie, Psychologie, Lyrik und den Geheimnissen der Kabbala einen Roman gewoben hat, der so menschlich und unmittelbar nah erscheint, dass man die Figuren vor Augen zu haben meint, ist wundervoll. Die Kapitel strotzen nur so vor Wissen. Die Autorin hat sich nicht mit halben Sachen zufrieden gegeben. Die Dozentin für Psychologie, die ihre Promotion in Philosophie gemacht hatte, hat fleißig Recherche betrieben und schön allgemein verständlich ein dichtes Netz aus Zusammenhängen gewoben, um die Zauberhaftigkeit der Welt darzustellen.

Die tiefen Einblicke, die man ins orthodoxe Judentum erhält, sind für Laien wie mich faszinierend. Die alltägliche Situation, aus der heraus plötzlich aus einem Kind ein Genie wird, und die Schlichtheit, mit der lebensumwälzende Entscheidungen getroffen werden – werden müssen -, berühren ganz besonders.

_Fazit:_

„36 Argumente für die Existenz Gottes“ ist ein Roman, wie es sie nur ganz selten gibt: Er hat die Kraft zu verändern. Er stößt das Gehirn an, zeigt Blickwinkel auf, ist herzerwärmend, komisch, ergreifend, lässt andächtig zurück und belehrt, ohne Lehrbuch zu sein. Zwar musste ich das eine oder andere nachschlagen, aber ich habe es gern gemacht, weil alles sich so harmonisch ins Ganze gefügt hat und ich in dieser bunt schillernden schönen Fläche keine weißen Flecken wissen wollte.

Ganz abgesehen von der fiktiven Geschichte, die ein literarisches Geschenk ist, finden sich am Ende wie im Buch von Professor Cass Seltzer die 36 Argumente für die Existenz Gottes: Von den frühesten philosophischen Versuchen bis hin zu neumodernen Spitzfindigkeiten ist alles vertreten. Und jedes Argument wird gefolgt von seinen Gegenargumenten, da ist also für jeden etwas dabei. Und wenn das letztendlich doch auch müßige Gedankenspielerei ist – warum sollte man argumentativ etwas mit Absolutheitsanspruch zu beweisen versuchen, das nicht beweisbar ist? Glaube ist Glaube, punktum. So ist das Buch eine Bereicherung für jeden, der es liest. Tun Sie sich den Gefallen, es ist wunderschön.

|Gebundene Ausgabe: 559 Seiten
Originaltitel: 36 Arguments for the Existence of
God
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader
ISBN-13: 978-3896674234|
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Mucha, Martin – Papierkrieg

_Inhalt:_

Arno Linder lebt in Wien, ist Anfang dreißig und Philologe mit kleinem Lehrauftrag an der Wiener Universität. Da aber überhaupt niemand mehr Geisteswissenschaften braucht, wird er jämmerlich bezahlt und ist nicht einmal krankenversichert. Dafür hat er ein ausgesprochenes Faible für Musik in großer Bandbreite und Marihuana. Seine Bekanntschaften tingeln zu großen Teilen durch die Halbwelt, wo auch Arno selbst sich wohl fühlt wie ein Fisch im Wasser.

Das Bildungsgefälle zwischen ihm und seinen Freunden stört ihn nicht. Es stört ihn allerdings, dass er andauernd so knapp bei Kasse ist. Und als eines Nachts beim Heimkehren ein betrunkenes junges Mädchen mitsamt geladener Waffe in seine Arme taumelt, sieht er eine Möglichkeit, seinen finanziellen Engpass in eine von Dukatenbäumen gesäumte Allee zu verwandeln.

Da sein ethisches Empfinden von Skrupeln völlig unbelastet ist, fährt er die junge Dame nach Hause, bemächtigt sich der Waffe und bietet dem wohlhabenden Vater an, den Namen seiner Tochter aus dem Schlamassel heraus zu halten. Gegen ein entsprechendes Entgelt, versteht sich. Wie groß der Schlamassel allerdings tatsächlich ist, wie tot die Toten in diesem Fall sein werden, dass man niemandem trauen darf und dass zu den Gefährdetsten überhaupt in diesem Abenteuer sein eigenes Herz gehören wird, kann der eigenwillige Schöngeist freilich nicht voraussagen. Und so stolpert er denn mutwillig in eine Geschichte, die ihre Wurzeln weit in die Vergangenheit streckt und unter anderem gut organisierte internationale Verbrecher auf den Plan ruft …

_Kritik:_

Sprachlich mal bildschön, mal krude führt Martin Mucha seine Leser durch die unkonventionelle Welt des Arno Linder. Geistige Erhabenheit, Bildung und Fachwissen treffen auf Proletentum, geringe Wortschätze und mentalen Dreck.

Die Figur des Arno Linder ist von ausgesprochener Ambivalenz. So sehr der Ich-Erzähler sich durch Wissen hervortut, durch Einhaltung gewisser Rituale sich in den Stand des liebenswert Schrulligen erhebt, so sehr stößt er dann wieder ab durch seinen gänzlichen Mangel an Ethik, Moral und Empathie. Wie er zwischen der Welt des Geistesadels, die sich in seinen Gedanken zeigt, und der Welt der Spieler, Nutten und Verbrecher hin und her laviert, ist faszinierend mit anzusehen. Er tänzelt quasi mit Lackschuhen am Rande der Gosse, und man vermag kaum wegzuschauen, auch, wenn er ab und an bis über die Waden in Unaussprechliches tritt.

Diese rasant ausgefahrenen Höhen und Tiefen werden geschmiert von überraschend viel Blut. Und wer gerade nicht damit besudelt ist, trägt mindestens eine Maske, hinter der sich etwas verbirgt, das ganz bestimmt nicht schön anzusehen ist. Nebenbei bemerkt klingen nicht eben leise Antipathien an, was die Wiener Polizei betrifft. Während man verwirrt dem Fall folgt, stellt sich irgendwo im Hinterkopf die Frage, was da vorgefallen sein muss, denn die Beamten werden samt und sonders abgewatscht.

_Fazit:_

Ehrlich gesagt habe ich schon lange nicht mehr so ratlos vor einem Buch gestanden. Was soll man zu „Papierkrieg“ sagen? Es ist … also, es ist schon mal nicht schön. Es ist faszinierend. Und unterhaltsam. Und abstoßend. Voller Typisierungen, voller harter Kerle, voll von teilweise wunderschönen Worten, die sich über den krass entgegen gesetzten anmutig erheben wie schillernde Schmetterlinge über Ursumpf. Ab und zu hat man das Gefühl, Mucha schieße hier über das Ziel hinaus: Manchmal ist es ein bisschen zuviel des Guten. Ganz so abgehoben spricht dann wohl doch niemand. Aber die Grundidee der kreischenden Gegensätze, das Aufreiben der Erhabenheit am Gewöhnlichen, Widerlichen, Eiskalten – das ist brillant erdacht und brillant gelungen.

Wenn es auch sonst nicht einfach ist, „Papierkrieg“ zu einzuordnen, kann ich doch eine Tatsache erzählen, die Ihnen vielleicht bei der Entscheidungsfindung (Lesen oder Nichtlesen?) helfen wird: Wenn ich auch noch immer keine Ahnung habe, wie ich den Krimi eigentlich finde, so kreisen meine Gedanken doch auch nach dem Lesen noch viel um die Geschichte. Und das hat einen ganz eigenen Wert.

|Broschiert: 372 Seiten
ISBN-13: 978-3839210543|
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Dünschede, Sandra – Todeswatt

_Inhalt:_

Anfang 2000: Alle sind im Börsenfieber. Menschen, die sich wenig bis gar nicht damit auskennen, stürzen sich mit Begeisterung in den Aktienhandel, und die Kurse steigen höher und höher. Träume von unendlichem Reichtum scheinen in greifbare Nähe gerückt. Doch am 11. März 2000 ist damit Schluss, die Kurse stürzen in den Keller und nehmen reihenweise kleine Anleger mit, die nun oft genug alle Ersparnisse verlieren. Was für eine Katastrophe!

Man sucht verzweifelt nach jemandem, dem man die Schuld geben kann, und in dem kleinen Städtchen Risum-Lindholm ist dieser jemand Arne Lorenzen, der Bankberater. Wie vielen Leuten hatte er nicht das Geld aus den Taschen gezogen – jedenfalls kommt es den Leuten im Nachhinein so vor.
Dummerweise kann man Arne gar keine Vorwürfe mehr machen: Er liegt tot im Watt vor der Insel Pellworm. Hatte da jemand, der durch Lorenzens Beratung seine Ersparnisse verloren hat, Rache genommen? Vielleicht der Fuhrunternehmer Sönke Matthiesen, der nun aller Wahrscheinlichkeit nach Insolvenz anwenden muss? Oder handelt es sich um eine Verwechselung?

Kommissar Thamsen zerreißt sich zwischen den Ermittlungen und seinen Vaterpflichten. Tatsächlich kommt es ihm nicht ganz ungelegen, dass sich die Freunde Tom, Marlene und Haie in den Fall einmischen. Dass sie nicht auf den Kopf gefallen sind, haben sie bereits in früheren Fällen unter Beweis gestellt, und Thamsen profitiert von den Informationen, die die drei ihm liefern. Aber dann scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, den Täter zu überführen, und die Beteiligten lassen sich auf eine gefährliche Scharade ein …

_Kritik:_

Sandra Dünschede entführt ihre Leser dahin, wo man das Salz im Wind riechen kann. Sie beschreibt die Orte des Geschehens so plastisch, dass man sie genau vor Augen hat – inklusive der Pensionen und Ferienhäuschen, die einen zurückführen zu Urlaubserinnerungen.

Schön gemacht ist auch die Beschreibung des Mikrokosmos’ Dorf: Wie den Fremden das Misstrauen entgegenschlägt, wie man jederzeit Hilfe finden, aber auch keinen Schritt tun kann, ohne dass es jeder weiß. Das Elend des vielfachen finanziellen Verlusts in so kleiner Gemeinschaft unmittelbar verdeutlicht zu sehen, gibt dem Leser schon zu schlucken. Die Platt schnackenden Einwohner steigen wunderbar authentisch von den Seiten auf, und die Geschichten und Aberglauben der Region sind gekonnt und unaufdringlich mit in den Plot der Kriminalgeschichte mit eingebunden.

Auch die Bürokratie und das Kompetenzgerangel zwischen den einzelnen Polizeistellen sind schön nachgezeichnet und wirken ausgesprochen enervierend. Nur die Auflösung hat mir persönlich nicht so gut gefallen, da mir die Ausarbeitung weniger dezidiert erschien als bei verschiedenen anderen Spuren. Allerdings ist das vermutlich Geschmackssache. Stilistisch gibt es nichts zu beanstanden. Die mundartlichen Stellen der wörtlichen Rede sind interessant gemacht und die Charaktere glaubwürdig gezeichnet. Die möglichen Motive sind glaubwürdig, und die Verwicklungen, die die Ermittlungen ans Tageslicht bringen, sind manchmal nur allzu menschlich.

_Fazit:_

Wer mal auf einer Nordseeinsel gewesen ist, wird so einiges wieder erkennen in Sandra Dünschedes Roman. Wer noch nicht auf einer war, möchte möglicherweise nach der Lektüre hin: Die Einsamkeit, die Weite und die einfachen Strukturen wirken fast meditativ und ausgesprochen verlockend.

Da die Charaktere alle mit ihren eigenen kleinen und größeren Sorgen zu kämpfen haben, erscheinen sie menschlich und natürlich, und man fühlt unwillkürlich mit ihnen. Es ist der dritte Fall, den Kommissar Thamsen, Tom, Marlene und Haie zusammen bearbeiten, und in dieser Zeit können einem die fiktiven Personen schon durchaus sympathisch werden.

Alles in allem handelt es sich bei „Todeswatt“ um einen gut ausgearbeiteten Krimi, der in einer liebevoll detailreich gezeichneten Umwelt angesiedelt ist. Wen also die Sehnsucht nach Nordfriesland packt, wer die Folklore dort mag, wer das Meer rauschen hören und nebenher einen Mordfall knacken möchte, der ist mit der Lektüre dieses Buches gut beraten.

|Broschiert: 327 Seiten
ISBN-13: 978-3839210581|
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Val McDermid – Nacht unter Tag

Immer noch einen draufsetzen, sich stets neu erfinden, aber dennoch einem vertrauten Metier treu bleiben. Val McDermid ist in den vergangenen Jahren gerade deshalb als Bestseller-Autorin an der Spitze geblieben, weil ihre Kriminalgeschichten nie mit Fakten überfrachtet wurden, sondern stets an der Basis blieben und dort mit außergewöhnlichen Entwicklungen für ein Höchstmaß an Spannung sorgten.

Die Fortschritte, die McDermid seither macht, sind beachtlich, auch wenn die Legende „Ein Ort für die Ewigkeit“ immer noch als unerreicht gilt. Mit „Nacht unter Tag“, dem aktuellsten Werk der begehrten Britin, scheint hier aber endgültig die Wachablösung zu folgen.

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Everett, Daniel – glücklichste Volk, Das

_Inhalt:_

Daniel Everett machte sich als junger Mann auf, um den Pirahã-Indianern am Amazonas den christlichen Glauben nahezubringen. Jahrzehnte später liefert er ein faszinierendes Werk ab, in dem er die fremdartige Kultur und speziell die eigentümliche Sprache der Pirahã schildert.

Die Menschen sind zäh, fit und lachen viel und gerne. Sie schlafen und essen wenig und leben fast ausschließlich für den Moment. Einen Chef, Häuptling oder König kennen sie nicht – die Gemeinschaft ist es, die zählt, und ihre Strafen sind äußerst wirksam. Die Pirahã kennen keine Zahlen, führen ein extrem umweltbezogenes Leben, kommunizieren mit Geistern und zweifeln alles an, wofür es keine lebenden Augenzeugen gibt.

Speziell letzterer Punkt macht es natürlich so gut wie unmöglich, ihnen die Geschichte des vor zweitausend Jahren geborenen Heilsbringers beizubringen: Wer denn diesen Jesus gesehen habe? Oh, was, kein Freund von dir? Danke – dann lieber nicht. Wie wenig diese ruhige, selbstgenügsame Gesellschaft und der für seine Aufgabe brennende, blutjunge Missionar am Anfang zusammen passen, kann man sich lebhaft vorstellen.

Aber langsam wächst Everetts Interesse an den Pirahã. Was ihm anfangs fragwürdig erschien, weil es seinen eigenen Konventionen widersprach, kommt ihm mit der Zeit immer vernünftiger vor. Und allmählich hinterfragt er immer mehr Dinge, die er als gegeben angenommen hatte, weil er mit ihnen aufgewachsen war, und verwirft, was ihm falsch erscheint. Im Zuge dieses „Entrümpelns“ bleibt auch sein Glaube auf der Strecke: Er soll Menschen, die glücklicher und zufriedener sind als die Bürger der modernen Gesellschaft, beibringen, dass sie verloren seien, um sie erretten zu können? Das ergibt keinen Sinn mehr: Der Bekehrer wird zum Bekehrten.

_Kritik:_

Everett zaubert faszinierende Bilder vor das Leserauge. Die Urtümlichkeit des Dschungels und die uns so schwierig erscheinende Einfachheit der Pirahã entführen in eine völlig andere Welt. Die Tatsache, dass Everett halb eine Erzählung und halb einen Forschungsbericht inklusive Fotos abliefert, vermittelt ziemlich genaue Vorstellungen.

Mit dem ehemaligen Missionar und Sprachwissenschaftler macht man die ersten Schritte auf unbekanntes Terrain, steht hilflos vor Problemen, ist geängstigt, fasziniert, abgestoßen oder angezogen. Auch das behutsam wachsende Verstehen ist nachvollziehbar dargestellt, und man folgt Everett gern auf seinen verschlungenen Pfaden in die fremde Kultur. Man darf allerdings nicht vergessen, dass Everett Wissenschaftler ist und Pirahã eine Sprache, die wenigen anderen Sprachen gleicht. Die krassen Unterschiede zu allgemein bekannten Sprachen werden zu verdeutlichen versucht, was natürlich eine Menge Raum einnimmt.

Tatsächlich ist es aber wohl fast unmöglich, so etwas wie den Knacklaut schriftlich korrekt wiederzugeben. Der dritte Teil des Buches, der sich mit der Sprache beschäftigt, wirkt nach den abenteuerlicheren ersten beiden etwas trocken, weil man längst vergessen hat, dass es sich hier ja eigentlich um ein Sachbuch handelt. Wenn man sich aber erst einmal wieder darauf eingelassen hat, ist die Andersartigkeit des Pirahã ebenso faszinierend wie die Kultur und das Leben derer, die es sprechen.

_Fazit:_

Daniel Everett hatte das Glück, Dinge zu erleben, die den eigenen Horizont sprengen. Natürlich tun sie das immer, ob man nun gerade darauf vorbereitet ist oder nicht, was sicherlich manchmal – sagen wir: anstrengend sein kann. Die Chance aber, sein ganzes Leben unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten und den eigenen Standpunkt ändern zu können, ist wahrscheinlich viel weniger Menschen gegeben als allgemein angenommen. Allein das macht schon Wert, dieses Buch zu lesen.

Dass hier außerdem Dinge aufgezeichnet werden, die die Sprachwissenschaft, wie sie bisher war, komplett in Frage stellen und allgemeingültige Theorien ins Wanken bringen, ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte. Alles in Allem ist „Das glücklichste Volk“ ein Gänsehautbuch, das den Blick auf die Welt zu verändern im Stande ist, ob man den geschilderten Situationen nun mit Verständnis gegenüber steht oder nicht. Everett schreibt keine Fiktion, er schreibt davon, wie es ist. Und die Exotik der Denkweise und der Prioritäten der Pirahã gehen auf jeden Fall unter die Haut. Lesen Sie es, Sie werden es nicht bereuen.

|Gebundene Ausgabe: 414 Seiten
Originaltitel: Don’t Sleep, There Are Snakes
ISBN-13: 978-3421043078
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel|
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Berndorf, Jacques – Meisterschüler, Der

Mit seinen Eifel-Krimis hat sich Jacques Berndorf in den vergangenen Jahren seine Sporen in hiesiger Kriminalliteratur verdient. Seine authentischen, absolut realitätsnah aufgezeichneten Landschaftsdokumentationen, sein Faible für die eigenbrötlerische Welt des westdeutschen Mittelgebirges, vor allem aber die Fähigkeit, ohne jegliche überflüssige Ausschmückung auf den Punkt zu kommen, aber dennoch malerisch zu erzählen, werden von Lesern und Kritikern gleichermaßen geschätzt.

Seit geraumer Zeit hat Berndorf nun ein zweites Betätigungsfeld im Krimi-Metier eröffnet. Mit den BND-Krimis wagt er sich an härtere Fälle heran und entfernt sich kategorisch von seinem Spezi, der Eifel, nur um später dann doch wieder dorthin zurückzukehren …

_Inhalt:_

Nach den Anschlägen auf verschiedene Ziele in Mumbai laufen auch beim BND die Drähte heiß. Ein Serientäter, der vor Ort unbeobachtet von allen Kameras eine Mossad-Bedienstete ermordet hat und offenbar auch noch in New York und Bogota zugange war, scheint nun auch am Mord an einen Kölner Priester beteiligt gewesen zu sein. Sein Visitenkärtchen ‘Im Namen Allahs‘ prangert an den jeweiligen Tatorten und hinterlässt eine enorme Blutspur, der auch die BND-Mitarbeiter um Top-Agent Krause nachgehen.

Zur gleichen Zeit erhält Svenja Takamoto den Auftrag, den Vizepräsidenten des pakistanischen Geheimdienstes außer Landes zu bringen, weil er Informationen gesammelt hat, mit denen er den aggressiven Part der Regierung in Bedrängnis bringen könnte. Sein Kopf ist der meistgesuchte in Pakistan, und auch wenn die Pläne des BND bis ins letzte Detail gefestigt sind, kann auch Svenja nicht verhindern, dass Ismail Mody nur knapp seinem Tod entgeht. Und während sich die Lage auf pakistanischem Boden zuspitzt, müssen Krause, Müller und Co. zusehen, wie der gesuchte Mörder inkognito wieder zuschlägt. Und sein Ziel ist kein x-beliebiges, sondern ein Militärstützpunkt in der Eifel, auf dem die Beamten des CIA offenbar schmutzige Wäsche waschen …

_Persönlicher Eindruck:_

Mit seinem dritten BND-Krimi begibt sich Jacques Berndorf auf riskantes Terrain. In diesem Fall nutzt er ein reales Attentat, nämlich jenes in Mumbai im November 2008, um seine Story anzuheizen und sie schließlich mit fiktiven Inhalten weiter voranzutreiben. Und zu Beginn tut sich Berndorf auch merklich schwer. Der Leser wird ins kalte Wasser geschmissen, mit allerhand Erzählsträngen gefüttert, letzten Endes mit Infos geradezu überhäuft, ist aber schließlich nicht durch die Fülle der Details verwirrt, sondern durch die unglaubliche Transparenz, die der Autor hier auffährt.

Der Macher der Eifel-Krimis lässt sich von der ersten Seite an viel zu offensichtlich in die Karten schauen, gibt immer wieder zu viele Nuancen zu den Hintergründen der terroristischen Handlungen preis und kann dieses offenkundige Manko nicht dadurch wettmachen, dass er wenigstens um das Vermächtnis von Ismail Mody, der vom BND unter Personenschutz gestellt wird, ein kleines Geheimnis macht.

Jedenfalls dauert es nicht sonderlich lange, bis Berndorf den Täter namentlich und im Hinblick auf seine Motive beschrieben und vorgestellt hat. Die Fragen zum Wer sind genauso schnell geklärt wie diejenigen zum Warum. Was dem Autor also bleibt, ist die Qualität der insgesamt drei Erzählstränge, die für sich betrachtet sicher einiges an Potenzial bereithalten, dieses aber eben nicht entschieden und effektiv ausspielen.

Zwar gelingt es Berndorf, zunächst einmal alles unabhängig voneinander zu konstruieren und somit das Offensichtliche, nämlich die spätere Zusammenführung, in Frage zu stellen. Doch letzten Endes sind die einzelnen Passagen einfach zu verlässlich aufeinander abgestimmt, als dass man hier grübeln müsste, inwiefern ein Zusammenhang überhaupt möglich ist. Der Altmeister zeigt sich leider viel zu oft von seiner ungeschickteren Seite, vermeidet jedwede inhaltliche Komplexität und schreibt in diesem Fall wirklich nur für jenes Publikum, dem einfache Kost gerade anspruchsvoll genug ist, und welches sich beim Lesen nicht sonderlich lange mit Grübeln, Nachdenken oder auch Atem anhalten beschäftigen möchte.

Das Potenzial für solche Ereignisse ist „Der Meisterschüler“ nämlich weder inhaltlich, noch hinsichtlich des mageren Spannungsaufbaus in die Wiege gelegt worden.

_Fazit:_

Man kann letzten Endes streiten, ob eine 007-isierung, wie sie in den ersten beiden Romanen um die Figuren Krause etc. betrieben wurde, sinnvoll ist. Doch im direkten Vergleich zeigt sich, dass eine Verteilung der Schwerpunkte auf zu viele Handlungsspielräume und Charaktere innerhalb der BND-Serie (noch) nicht funktioniert.

Entgegen vieler Behauptungen entpuppt sich Part drei der Reihe als das bislang schwächste Glied in der Kette und erweist sich – überraschenderweise – als ein Berndorf-Roman, den man nicht zwingend gelesen haben muss. Mit anderen Worten: „Der Meisterschüler“ ist eine ziemliche Enttäuschung, der das Bauchgefühl fehlt, und die summa summarum nahezu ausschließlich konstruiert wirkt.

|Hardcover: 415 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-26643-8|
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_Jaques Berndorf bei |Buchwurm.info|:_

[Eifel-Feuer 735
[Eifel-Träume 1989
[Eifel-Kreuz 3212
[Eifel-Kreuz (Hörbuch) 3306
[Der letzte Agent 3079

Gier, Kerstin – Saphirblau – Liebe geht durch alle Zeiten 2

_Weiter, weiter!_

Wenige Tage sind vergangen, seit die 16-jährige Gwendolyn Shepard erfahren hat, dass nicht ihre hochnäsige Cousine Charlotte, sondern sie selbst das Zeitreisegen ihrer Familie geerbt hat. Während Charlotte ihr bisheriges Leben lang mit Tanz- und Fechtunterricht sowie dem Pauken von diversen Sprachen, Geschichte und kulturellen Unterschieden in den verschiedenen Jahrhunderten gründlich auf ihre Zeitreisen vorbereitet wurde, tappt die unbedarfte Gwendolin von einem Fettnäpfchen ins andere, während sie tägliche Zeitreisen in ungefährliche Jahre sowie quälende Stunden Tanz- und Benimmunterricht über sich ergehen lassen und außerdem ihre Schule sowie ihr restliches Sozialleben auf die Reihe bekommen muss. Zudem traut man ihrem sorglosen und naiven Wesen nicht zu, das große Geheimnis, dessen Teil sie als „Rubin“ einnimmt, zu verstehen – geschweige denn vollständig eingeweihter Teil des Geheimbundes zu werden.

Solchermaßen unwissend, bleibt ihr beinahe nichts anderes übrig, als an Gideons Hand durch die Zeitreise-Liebesgeschichte der deutschen Autorin Kerstin Gier zu stolpern. Der gutaussehende, vielfach talentierte Gideon trägt ebenfalls das besagte Gen in sich, ist jedoch offensichtlich über alles voll im Bilde und spielt seine Überlegenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus, so dass Gwen nicht nur durch ihre Unwissenheit, sondern auch durch den inneren Zwiespalt zwischen aufkeimender Liebe und empörter Abneigung verunsichert wird. Doch ihre Freundin Leslie steht ihr mit Hilfe des Internets und ihres analytischen Verstandes bei der Erforschung des Geheimbundes und in Liebesangelegenheiten unerschütterlich zur Seite. Sie ist auch die Einzige, die weiß, dass Gwendolyn in der Lage ist, Geisterwesen zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Als sehr nützlich erweisen sich die Bekanntschaft mit dem Schulgespenst James, welches ihr in Sachen Anstandsregeln im 18. Jahrhundert so manchen Tipp geben kann, und mit Xemerius, einem Dämon, der sich nicht nur als ein anhänglicher Nervtöter herausstellt, sondern als Spion auch gute Dienste leistet. Nicht zuletzt kann sich Gwen auf die Hilfe ihres Großvaters verlassen, mit dem sie in der Vergangenheit zusammentrifft, während man sie eigentlich Hausaufgaben erledigend in einem dunklen Kellerraum wähnt.

_Mein Eindruck_

„Saphirblau“ ist der zweite Teil der Trilogie „Liebe geht durch alle Zeiten“. Was im ersten Teil [„Rubinrot“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5664 mit einem Kuss angedeutet wurde, entwickelt sich zu einer Liebesgeschichte, die mit einer Liebeserklärung des grünäugigen Gideon nur ein vorläufiges Happyend findet, denn dem zwielichtigen Graf St. German, der Gwendolyn bereits im ersten Buch verängstigt, gelingt es auch im zweiten Teil, seine undurchsichtigen Fäden so zu spinnen, dass niemand dem anderen vertraut und auch Gwen nicht an Gideons Liebe glauben kann. Ihrer Cousine Lucy und Gideons Verwandtem Paul und deren Motiven kommt man nur so weit auf die Schliche: Sie haben den ersten Chronographen, mit dessen Hilfe kontrollierte Zeitreisen möglich werden, gestohlen und halten sich in der Vergangenheit vor dem Geheimbund versteckt. Ihr Ansinnen ist es offensichtlich, den Initiator und Kopf der Loge, Graf St. Germain, töten zu lassen, weil sie Kenntnis davon haben, was der Chronograph wirklich vermag, wenn erst das Blut aller Zeitreisenden dort eingelesen worden ist. Sie wissen, welche Opfer die Macht, die dem Grafen dann verliehen werden wird, darüber hinaus fordert. Genaueres wird leider noch vorenthalten, aber eines ist ganz klar: Gwendolyn wird nicht nur verdächtigt, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, sondern auch ihr Leben ist in höchster Gefahr. Damit entlässt die Autorin ihre Leser in die Wartezeit auf den dritten Teil, der im Herbst 2010 erscheinen wird.

Kerstin Gier verzaubert ihre Leser mit einer Geschichte von der ersten großen Liebe mit Höhen und Tiefen, wie man sie nur als Teenager erleben kann. Alles daran ist neu und rätselhaft: das Küssen, das Sehnen, das Verhalten des Geliebten, das eigene Verhalten und nicht zuletzt das Wechselbad der Gefühle zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“. Hinzu kommen die ganz alltäglichen Probleme, mit denen man sich herumschlagen muss: das allzu kritisch bewertete Aussehen, die Schule, Lehrer, nervige Verwandte und ein wenig gefestigtes Selbstbewusstsein. Als sei das alles noch nicht genug, wird Giers Hauptfigur einmal am Tag fürchterlich übel, und kurz darauf landet sie für mehrere Stunden in einer anderen Zeit.

Ihre jugendlichen Leserinnen finden sich gewiss in Gwendolyn wieder, und auch die erwachsenen erinnern sich noch an die Zeit, in der sie von Prinzessinnenroben träumten und sich einen gutaussehende Beschützer an ihre Seite wünschten. Die Zeitreisegeschichte dient in diesem Sinne als nette Verpackung und als Spannungselement. Doch die bezaubernde Naivität, die nur einem jungen Mensch wie Gwen innewohnt, die bereits so viel von der Welt und dem Leben zu kennen glaubt und dabei doch nur eine vage Ahnung von ihren Dimensionen und dem eigenen Platz im Leben hat, amüsiert den Leser und macht die Figur überaus sympathisch. Wenn Gwen trotz eines Antialkohol-Paktes mit ihrer besten Freundin auf einer Soirée im 18. Jahrhundert merklich angetrunken „Memory“ aus Cats zum Besten gibt und bei ihren Lieblingszeilen „If you touch me, you’ll understand what happiness is“ bemerkt, „dass das Lied nicht speziell für Katzen geschrieben sein konnte“, zeigt sich der wunderbare Humor der Autorin, welcher bereits den unverwechselbaren Charme ihrer ersten Bücher wie „Männer und andere Katastrophen“ oder „In Wahrheit wird viel mehr gelogen“ geprägt hat. Tatsächlich sollte man sich auch bei der Lektüre von „Saphirblau“ auf häufiges Schmunzeln und lautes Auflachen gefasst machen.

Der |Arena|-Verlag hat sich entschlossen, die wunderbare Covergestaltung Eva Schöffman-Davidoffs auch für den zweiten Band beizubehalten. Dieses Mal winden sich als Schattenriss gestaltete erhabene Ranken auf dem blauen Grund der Vorder- und Rückseite um die beiden Hauptfiguren. So wird auch äußerlich ein Zusammenhang zwischen den Romanen hergestellt. Der Leser kann die fledermausartige Figur, welche zunächst nur als schmückendes Beiwerk erkennbar war, nun dem Dämon Xemerius zuordnen. Alles in allem macht sich auch dieser Band gut im Bücherregal und ist ein lesenswerter Schmöker, der trotz seiner knapp 400 Seiten nicht viel Lesezeit in Anspruch nimmt.

_Die Autorin_

Kerstin Gier (geb. 1966 bei Bergisch Gladbach) ist eine deutsche Autorin, die – auch unter den Pseudonymen Jule Brand und Sophie Bérard – überwiegend Frauenliteratur verfasst. Gier studierte zunächst Germanistik, Musikwissenschaften und Anglistik, bevor sie zur Betriebspädagogik und Kommunikationspsychologie wechselte und als Diplompädagogin abschloss. Nach mehreren Jobs begann sie 1995 mit dem Schreiben von Frauenromanen. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einem Dorf im Bergischen Land. Ihr erstes Buch „Männer und andere Katastrophen“ von 1996 wurde mit Heike Makatsch in der Hauptrolle verfilmt. 2005 erhielt Kerstin Gier den DeLiA-Literaturpreis für Liebesromane deutschsprachiger Autorinnen. Mit der auf drei Bände angelegten Reihe über die Abenteuer von Gwendolyn und Gideon in London („Rubinrot“, „Saphirblau“ und „Smaragdgrün“) verfasste sie erstmals einen Jugend- und Fantasyroman. (Quelle: |Wikipedia|)

|400 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3401063478|
http://www.arena-verlag.de
http://www.kerstingier.de
[DeLiA-online.de]http://www.delia-online.de/html/mitglieder__gier__kerstin.html

_Mehr von Kerstin Gier auf |Buchwurm.info|:_

[„Rubinrot. Liebe geht durch alle Zeiten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5664
[„Die Mütter-Mafia“ 4328
[„Die Patin“ 4344
[„Für jede Lösung ein Problem“ 4374

Köstering, Bernd – Goetheruh

_Inhalt:_

Hendrik Wilmut, frankfurter Literaturdozent und Goethe-Kenner, wird von seinem Cousin Benno in seinen ehemaligen Heimatort Weimar gerufen. Benno hatte am Telefon nichts sagen wollen, und Hendrik ist tatsächlich neugierig. Was ihn erwartet, ahnt er allerdings nicht, und er ist wie vor den Kopf geschlagen, als er erfährt, dass im Goethehaus Diebstähle stattgefunden haben. Offensichtlich ging der Täter sehr planvoll vor, da es sich bei den gestohlenen Stücken nur um Originale handelt.

Nach jedem Diebstahl lässt der Dieb Benno, der für die Stadt Weimar tätig ist, ein Zitat aus einem Werk Goethes zukommen – zeitlich und zu den Umständen des Diebstahls so passend, dass es der reine Hohn für die Männer ist, die ihn jagen.
Hendrik soll mit seinem Wissen über Goethe weiterhelfen: Welche Stellen genau sind es, die der Unbekannte zitiert? Und gibt es nähere Zusammenhänge mit den Beutestücken?

Schnell wird klar, dass die Diebstähle nicht beim normalen alltäglichen Publikumsverkehr entwendet worden sein können. Das Goethe-begeisterte Phantom verfügt also über Mittel und Wege, die nicht jedem zugänglich sind.
Hendrik ist entsetzt über die Entweihung seines Lieblingsmuseums und stürzt sich mit Feuereifer in die Arbeit. Er kommt dem Dieb geistig relativ nahe, befindet er sich doch in einer ähnlichen Umlaufbahn um den letzten Universalgelehrten wie der Kriminelle. Doch je mehr der Dozent erfährt, desto unheimlicher wird ihm der Fall. So vieles, was der Unbekannte tut, erscheint ihm falsch und blasphemisch.

Und als wäre das alles nicht schon genug, muss er sich nun auch noch lebensumwälzenden Fragen stellen, die teils mit seiner Jugendfreundin Hanna und teils mit seiner Arbeit zusammenhängen…

_Kritik:_

Köstering führt seine Leser nach Weimar und zeichnet ein liebevoll-detailreiches Bild des Goethe-Hauses und der Umgebung. Durch Hendriks Recherche und die Ränke des Diebes erfährt der Leser nebenher jede Menge über Goethe als Dichter, als Menschen und als Mythos. Zahlreiche Zitate des großen Mannes vermitteln seine geistige Nähe in seiner einstigen Heimatstadt. Das ist schön gelungen und macht Spaß zu lesen.

Allerdings krankt „Goetheruh“ an Längen. Jeder, aber auch jeder Schritt, jeder Gedanke, jeder Schwindelanfall, jede Regung Hendrik Wilmuts wird mit einem Wortschwall geschildert und lassen den Dozenten und zivilen Polizeiberater als echten Leisetreter erscheinen. Natürlich ist er nicht der Mann fürs Grobe, natürlich wurde er als Gehirn zur Sonderkommission gebeten, aber man kann es auch übertreiben. An Stelle seiner Jugendliebe Hanna beispielsweise wäre die Unterzeichnete längst durchgedreht. In Hendriks Kopf liegen Dinge immer wundervoll klar dar, wie es scheint, aber an der Umsetzung hapert es offensichtlich, wenn nicht mehrere Tage Anlaufzeit vorhanden sind.

Zumindest kam es mir so vor – vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass kaum etwas der Phantasie des Lesers überlassen bleibt, weil alles ausformuliert wird. So etwas nimmt natürlich Zeit in Anspruch. Weniger wäre in diesem Fall einfach mehr gewesen, hätte dem Roman etwas mehr Tempo und Spannung verleihen können.

_Fazit:_

„Goetheruh“ ist grundsätzlich für jeden Literaturfan empfehlenswert. Die Anspielungen auf Goethe selbst sind liebevoll ausgearbeitet und zeugen von emsiger Vorarbeit und einem profunden Wissen seitens Köstering. Auch die Details aus dem medizinisch-psychologischen Bereich zeugen von akribischer Recherche.

Wem allerdings die Verbundenheit zum alten Meister fehlt, der wird mit diesem Krimi sicherlich seine Probleme bekommen. Auf Grund seiner Sperrigkeit und der Tatsache, dass Köstering durch Beschreibungen und Introspektion immer wieder die Bremse zieht, wenn sein Fall Fahrt aufnimmt. Allerdings ist „Goetheruh“ Bernd Kösterings Krimi-Erstling. Bisher schrieb er Fach- und Sachbücher. Bestimmt ist die Umstellung von Tatsachenschilderung zu Fiktion, Reiz und Lockung von Andeutungen und Tempo nicht ganz einfach.

Da diverse Grundlagen viel versprechen und Übung bekanntlich den Meister macht, lohnt es sich wohl also dennoch, ein weiteres Auge auf Kösterings Werke zu haben. Vielleicht verlieren sich diese kleinen Makel im Laufe der Zeit.

|Broschiert: 374 Seiten
ISBN-13: 978-3839210451|
[www.gmeiner-verlag.de]http://www.gmeiner-verlag.de

Donohue, Keith – dunkle Engel, Der

_Story:_

Für Margaret Quinn hat das Leben bereits vor mehr als zehn Jahren eine grausame Wendung genommen. Ihre Tochter Erica ist seinerzeit völlig unangekündigt aus der heimischen Idylle ausgebüchst und hat sich ihrem Freund Wiley angeschlossen, der als Revoluzzer Erfüllung in einer merkwürdigen Glaubensvereinigung suchte und seine Geliebte zu einem Ausflug ohne Rückkehr verführte.

Nur einzelne Spuren deuten später darauf hin, was mit Erica und Wiley geschehen ist. Doch nachdem auch das FBI erfolglos gefahndet hat und keine weiteren Lebenszeichen mehr nachzuvollziehen sind, hat Margaret die Hoffnung aufgegeben, ihre Tochter je wieder, geschweige denn lebend zu Gesicht zu bekommen.

Jahre später taucht mitten in der Nacht ein junges Mädchen im Hause der verwitweten Quinn auf und stellt Margaret vor eine große Herausforderung. Mit wehmütigen Gedanken an ihre verlorene Tochter, entschließt sie sich kurzerhand, die junge Norah aufzunehmen und sie ihrer Umgebung als ihre plötzlich heimgekehrte Enkelin zu präsentieren. Doch schon bald wird Norah auffällig, behauptet, sie sei ein Engel und verzaubert ihre neuen Mitschüler mit den phantasievollsten Tricks.

Doch die Schulautoritäten können unter dem wachsenden Druck der Elterngemeinschaft langfristig nicht zulassen, dass Norah eine Sonderstellung einnimmt. Und während Magaret langsam aber sicher realisiert, dass Norahs Auftauchen eine tiefere Bedeutung hat, läuft das Leben des Mädchens mit den besonderen Fähigkeiten völlig aus dem Ruder …

_Persönlicher Eindruck:_

Bevor man überhaupt näher in die Tiefenanalyse von Keith Donohues neuem Roman „Der dunkle Engel“ einsteigt, sollte zunächst einmal festgehalten werden, dass das in drei übergeordneten Sinnabschnitten unterteilte Buch ein ziemlich merkwürdiges ist. Sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der sehr wechselhaften Charakteristik des Erzählstils.

Problematisch ist hierbei in erster Linie der manchmal fast schon gravierenden Sprung zwischen den Genres, welches die Story von Kinderbuch über Fantasy bis hin zu einem reißerischen Road Trip führt und schließlich mit einigen Horror-Sequenzen verfeinert wird.

Die Unterteilung in die drei Hauptkapitel gibt also zunächst mal Sinn, wird aber mit der Zeit als Stimmungskiller entlarvt, da die im zweiten Part geschilderte Rückblende zu Ericas Flucht überhaupt nicht mit dem mysteriösen Auftauchen des kleinen Mädchens zusammenpassen will (selbst wenn hier ab und zu ein klarer Querverweise herausgearbeitet wird).

Und die erwarteten Entwicklungen im letzten Part wiederum ganz und gar nicht mit dem hohen Tempo klarkommen wollen, welches der Autor in der mittleren Passage an den Tag gelegt hat. Und schon ergibt sich ein Hickhack, das zwar durch viele gute Ideen entzerrt wird, langfristig aber zuviel Hektik aufbringt, als dass ein angenehmer Fluss der Story noch gewährleistet werden könnte.

Zu Beginn gelingt es Donohue indes auch nur sehr schwer, der Geschichte den nötigen Drive zu verpassen und das vermeintliche Drama um das verlorene Mädchen halbwegs spannend zu gestalten. Ihre Ankunft wird als selbstverständlich hingenommen, die Verschleierung ihrer Identität hingegen mit so wenig Aufwand betrieben, dass die Glaubwürdigkeit der Ereignisse zunehmend unter dem mangelnden Gefühl für eine authentische Darbietung leidet. Gerade noch rechtzeitig gelingt der Absprung in das neue Kapitel, so dass zumindest ein Stückweit ein Mysterium erhalten bleibt, das jedoch zu keiner Zeit das Zeug zu einem echten Personenkult hat.

Sobald Donohue dann das Tempo anzieht und eben jenen Personenkult auf die beiden Ausreißer Wiley und Erica überträgt, bekommt „Der dunkle Engel“ dann plötzlich genau das, was man sich bei der oberflächlichen Betrachtung des Inhalts erhofft hatte: Faszinierende Gestalten, undurchsichtig-spannende Handlungsschritte, eine allgemeine Faszination für den spektakulären Inhalt und vor allem einen sehr individuellen Charakter, der zwischen besagtem Road Trip, stark beschriebener Naivität und unkonventioneller mentaler Überzeugung pendelt.

Ganz stark, was der Autor hier über weite Strecken abliefert. Und ganz merkwürdig, dass Donohue sich zuvor an vergleichsweise Langatmigem aufhält, bevor er weiter in die Vergangenheit des Plots eindringt.

Schade ist daher, dass der Versuch, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter einen Hut zu bringen, absolut nicht funktioniert. Der Abschluss drängt zu sehr in den philosophischen Bereich, packt die schmale Gratwanderung mit der Fantasysparte ebenfalls nicht und wirkt inhaltlich einfach zu künstlich. Außerdem scheint das Ende von Beginn an ersichtlich, wird aber eben nicht in die Dramaturgie gebettet, die eine solche Verquickung der Ereignisse erfordert.

Schlussendlich avanciert das Ganze eher zu Stückwerk als zu einer schlüssigen Erzählung, insgesamt zwar sicherlich liebevoll aufbereitet, in letzter Instanz aber nicht effektiv genug differenziert. Immerhin: Das mittlere Kapitel hat es wirklich in sich und besitzt genügend Potenzial für einen noch weitergeführten Bestsellerstrang. Doch das Rahmenprogramm ist schlichtweg zu schlaff und gekünstelt und kann selbst von den sehr starken Momenten in der Haldnung nicht kaschiert werden.

Einerseits schade, andererseits aber eben auch jene bittere Realität, die eine Empfehlung für „Der dunkle Engel“ erheblich einschränkt, vielleicht sogar auch verbietet!

|Hardcover: 477 Seiten
Originaltitel: Angels of Destruction
ISBN-13: 978-3570011263|
[C. Bertelsmann Verlag]http://www.derclub.de

_Keith Donohue bei |Buchwurm.info|:_

[Das gestohlene Kind 4581

Antoine de Saint-Exupéry – Der kleine Prinz

Jubiläumsausgabe eines Weltklassikers

Im Jahre 1943 erschien das moderne Märchen „Der kleine Prinz“ des Berufspiloten Antoine de Saint-Exupéry. Dieser hatte in seinen bis dahin 43 Lebensjahren bereits ein aufregendes und gefahrvolles Leben hinter sich gebracht, von dessen Motiven er in diesem und anderen Büchern zehrte. Wie der Ich-Erzähler im „Kleinen Prinzen“, stürzte er mit Flugzeugen in der Wüste ab. Wie der kleine Prinz musste Saint-Exupéry seinen „Planeten“ verlassen und nach Amerika emigrieren, wobei er seinen „besten Freund auf der ganzen Welt“, welchem er das Buch widmete, im besetzten Frankreich zurückließ. Daher schrieb Saint-Exupéry nicht nur ein philosophisches Märchen, sondern setzte sich in der vordergründig märchenhaften Erzählung mit der politischen Lage und gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit sowie seiner privaten Situation als Emigrant und Berufsflieger auseinander. Obwohl der Autor bis zu seinem Tod im Jahr 1944 noch weitere Texte veröffentlichte, blieb „Der kleine Prinz“ sein bekanntestes Werk und begründete seinen Weltruhm.

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Korte, Lea – Maurin, Die

_Hintergrundinformationen_

[Andalusien]http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/ff/Localizaci%C3%B3n__de__Andaluc%C3%ADa.svg im Süden Spaniens ist durch die Straße von Gibraltar nur 14 Kilometer von Afrika entfernt und stand von allen Regionen des Landes am längsten unter islamischer Herrschaft. Noch immer sieht man dort eindrucksvolle architektonische Zeugnisse dieses Einflusses, unter anderem prachtvolle Moscheen und ganz besonders die weltberühmte Alhambra, eine bedeutende Stadtburg in Granada und vielleicht das schönste Beispiel des Maurischen Stils in der islamischen Kunst. Noch heute gehört die Burganlage als Weltkulturerbe zu den imposantesten Attraktionen in Europa.

Unter der Herrschaft der Kalifen war Granada ein blühendes und reiches Land gewesen. Wissenschaften und auch die Kunst waren ebenso wie das Handwerk weltberühmt und galten in ganz Europa als Vorbild. Die Mauren bauten Schulen für die Einwohner der Städte, Krankenhäuser, Freizeitzentren und Bibliotheken. Im christlichen Europa war solch ein Luxus gänzlich unbekannt.

Die religiösen Volksgruppen der Mauren, Christen und Juden lebten untereinander in relativ friedlicher Eintracht. Der Koran predigt nicht umsonst den Respekt gegenüber anderen Religionen und Ansichten und ist damit toleranter, als es das Christentum in seinen zumeist sehr starren Ideologien jemals war.

Die katholischen Könige sahen in der Herrschaft Granadas unter den Mauren eine Gefahr und die Eskalationsspirale drehte sich zunehmend um dieses Problem. Einzelne Städte, aber auch ganze Regionen wechselten ständig ihre Zugehörigkeit zu Mauren und Christen. König Ferdinand II. und Isabella I. von Spanien gingen mit aller Schärfe und unbeschreiblicher Brutalität gegen die jüdische und muslimische Bevölkerung vor. Ihre Vorstellung von einem Spanien unter ihrer Herrschaft ging über die bestehenden Grenzen hinaus, noch heute nennt man diese Epoche „Reconquista“ (= Rückeroberung). Die Einrichtung der Inquisition gehört zu den besonders dunklen Kapiteln des spanischen Königshauses.

Die deutsche Autorin Lea Korte, die selbst in Südspanien lebt, hat in ihrem aktuellen historischen Roman „Die Maurin“ die Geschichte der fiktiven Zahra as-Sulami innerhalb dieser Epoche niedergeschrieben.

_Inhalt_

Granada – 12. Juli 1478. Die sehr junge Zahra as-Sulami, Tochter einer ehemaligen Sklavin und eines maurischen Edelmannes, führt ein wohlbehütetes und geordnetes Leben. Doch Zahra verfügt über Neugierde und Mut und findet sich mit dem ihr zugewiesenen sittsamen und eintönigen Leben nicht immer ab. Ihr strenger Vater ist der Berater des amtierenden Sultans und lässt seine Familie gern spüren, wer innerhalb der Familiengrenzen das Sagen hat.

Doch drei Tage in der Woche kann sich Zahra von ihrer Familie lösen und verbringt diese Zeit als Vertraute und Hofdame der Sultanin Aischa in der Alhambra. Zahra genießt das Vertrauen von Aischa, die sich als Zweitfrau des Sultans eher als Gefangene denn als dessen Frau betrachtet. Zahra erhält einen Eindruck der Intrigen am Hof, und auch die Politik und die sich langsam entwickelnden Feindseligkeiten zwischen Christen und Mauren bleiben ihr nicht lange verborgen.

Als am Hofe zwei Botschafter von Königin Isabella I. von Spanien zur Unterredung auftauchen, erhält Zahra von Aischa den Auftrag, als Spionin die Verhandlungen zu beobachten. Es ist ihre erste Begegnung mit Gonzalo Fernandez de Cordoba, einem Vertrauten der spanischen Königin, und dem Feldherren Juan de Gongora. Aber die anfangs friedlichen Verhandlungen eskalieren und ein kleiner Schwertkampf zwischen Yazid, Zahras älterem Halbbruder, und dem Botschafter Juan entbrennt.

Nur mit Mühe können die beiden Kontrahenten getrennt werden, und dies ist der Anfang vom Ende der maurischen Herrschaft über Granada. Hassan, der Emir von Granada, verweigert die Tributzahlungen an das Königshaus, und das Land wird überzogen mit den Schrecken des Krieges. Nicht wenige Dörfer wechseln beständig die politische Seite, je nachdem, ob gerade wieder die Mauren oder die Christen gewonnen oder verloren haben. Die Gefangenen werden jeweils zu Sklaven der Sieger und sind damit einer brutalen Willkür ausgesetzt.

Auch Zahra und ihre Familie werden in die Machtkämpfe und kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt. Die Religion spaltet nicht nur ein Land, das in voller Blüte stehen könnte, sondern auch ganze Familien. Die Familie des Sultans ist sich längst nicht einig: Aischa, die zweite, verstoßene Frau des Sultans Hasan, strebt an, ihren Sohn Muhammad XII., auch genannt Boabdil der Unglückliche, auf den Thron des Emirats zu bringen. Zahra wird von Aischa auf die heikle Mission geschickt, Boabdil aus seinem Exil zu befreien und sicher nach Granada zu führen. Für kurze Zeit hat Zahra die Möglichkeit, selbst über Schicksal zu bestimmen, und die temperamentvolle junge Frau kann der von ihrem Vater geplanten Hochzeit und seinen Zwängen entfliehen.

Zahras Familie steht dabei auf beiden Seiten des Krieges, wenn auch nicht offensichtlich. Raschid, ihr Bruder, ist ein besonnener Mann, der sich, wie auch Gonzalo auf spanischer Seite, für den Frieden einsetzt, der aber Wohlstand und respektvolles Miteinander voraussetzt. Raschid ist selbst mit der Jüdin Deborah verheiratet, die sich immer wieder sorgt, wenn Raschid vom Sultan oder von seinem Vater auf eine gefährliche Mission geschickt wird. Yazid, Zahras Halbbruder, hingegen ist ein verblendeter Kriegstreiber, ein intoleranter junger Mann, der seine Worte gern durch das Schwert unterstreicht. Auch Zahras Vater, einer der engsten Ratgeber des Sultans, muss immer wieder innerhalb seiner Familie Auseinandersetzungen schlichten. An seiner Seite agiert Zahras Mutter Leonor, eine gütige und sanfte Frau, die selbst das Leiden der Sklaverei kennt, aber aus Liebe zu ihrem Ehemann zum Islam konvertiert ist.

Zahra, die es immer wieder schafft, ihrem Leben einen Sinn von Selbstverwirklichung zu geben, gerät dabei in den Krieg zwischen die maurischen und kastilianischen Fronten. Die religiösen und kulturellen Grenzen beider Völker lernt sie dabei kennen, und immer wieder kreuzen sich ihre Wege mit denen des spanischen Adligen Gonzalo und seines Bruders Jaime, die beide eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausüben. Zahra findet zwischen den beiden Kulturen doch noch ihr Glück, aber ihre Liebe und ihr Drang zur Selbstbestimmung bringen nicht nur sie und ihre Familie in größte Gefahr …

_Kritik_

1492 wurde das Alhambra-Edikt der katholischen Herrscher Ferdinand und Isabella von Spanien in Kraft gesetzt. Die Juden und Mauren mussten das Land verlassen, sofern sie nicht gewillt waren, zum Christentum überzutreten. Erst 1992 entschuldigte sich der noch heutige amtierende König Juan Carlos I. für das brutale und rücksichtslose Vorgehen seiner königlichen Vorgänger, die so viel Leid über die Bevölkerung brachten.

Wer in „Die Maurin“ von Lea Korte einen seichten Liebesroman erwartet, der vor allem mit Klischees und Vorurteilen aufwartet, der wird enttäuscht sein. Die Autorin schildert eine ungemein realistisches und farbenprächtiges Drama des maurisch-kastilianischen Krieges. Ihre Recherchearbeit ist vorbildlich ausgefallen, und viele Autoren/-innen historischer Romane dürfen sich gern ebenfalls solche Mühe damit machen, die Vergangenheit vergleichbar realistisch zu schildern. Lea Korte wirft den Leser schon auf den ersten Seiten mitten ins Geschehen und stößt ihn in die kulturelle und religiöse Welt beider Volksgruppen.

So anders auch der maurische bzw. islamische Glaube den Christen vorkommen mag – der Hass und die Vorurteile sowie das Verhindern jeglichen Konsens wirken vertraut und werden in jedem Kapitel ersichtlich. Ebenso schafft es die Autorin mit Unterstützung historischer Persönlichkeiten, die hier viel Raum einnehmen, zu verdeutlichen, dass es auf beiden Seiten durchaus auch vernünftige Menschen gab, die sich für Toleranz und Frieden zwischen den Völkern einsetzten.

Betrachten wir die Protagonisten in „Die Maurin“, so ist auch hier zu loben, dass einzig Zahra und ihre Familie fiktiv sind. Die Autorin stellt die Konflikte im Süden von Spanien anhand von Fakten dar und lässt dabei Zahra als aktive Beobachterin von diesem Konflikt erzählen. Zahras Figur ist recht realistisch, auch wenn sie manchmal etwas viel er- und überlebt, aber die Autorin schafft es dann immer wieder, kleinere Klippen mit spannenden und abwechslungsreichen Szenen zu umschiffen.

Lea Korte, die sich intensiv mit dem Land und seiner kulturellen wie auch kriegerischen Vergangenheit beschäftigt hat, bezieht zu keiner der beteiligten Seiten eindeutig Stellung. Als neutrale Berichterstatterin erzählt sie vom Fanatismus und dem Streben nach Macht beider Völker und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie beschreibt, wie egoistisch die Herrscher Politik und Religion einsetzen, um ihre Macht zu vergrößern. Das Wohl der Menschen steht für sie an letzter Stelle, und Toleranz gegenüber Andersgläubigen kennen sie nicht.

Doch die Autorin beschreibt auch solche intensiven Szenen, in denen die Menschlichkeit siegt, die Vernunft sich durchsetzt und Verstand und Gefühl miteinander in Einklang stehen. Auch wenn in diesem Roman „Sinn und Sinnlichkeit“ nicht zu kurz kommen, so ist „Die Maurin“ doch viel mehr als ein klassischer Liebesroman, der auf der historischen Bühne spielt. Nicht nur die weibliche Zielgruppe wird hieran Gefallen finden – Leo Korte beschreibt die Schlachten und Kämpfe so detailreich, dass es spannender nicht sein könnte.

Das Tempo der Geschichte verläuft steigend, die Dramatik nimmt in jedem Kapitel zu, so dass der Leser den Konflikt beider Völker begleiten kann und dabei nicht aus dem Auge verliert, worum es im Eigentlichen geht. Die einzelnen Erzählstränge sind dabei abwechslungsreich und erzählen aus der jeweiligen Perspektive der Protagonisten, allen voran natürlich Zahra. „Die Maurin“ versetzt den Leser direkt in die Handlung, so dass man sich nur schwer zu lösen vermag und der Wunsch entsteht, mehr über diese Zeit und deren kriegerischen Konflikt zu erfahren.

_Fazit_

„Die Maurin“ ist ein absolut empfehlenswerter Roman, der gedanklich lange nachwirkt. Eindrucksvoll realistisch dargeboten, ist „Die Maurin“ ein Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz gegenüber Andersgläubigen – eine Mahnung, die Kultur und Lebensweise eines Landes zu achten und zu verstehen zu versuchen, anstatt mit Waffengewalt anderen Völkern seinen Willen aufzuzwingen.

Abwechslungsreich und sensibel, zugleich temperamentvoll und ehrgeizig erzählt uns Leo Korte von der Vergangenheit einer Region, die praktisch vor unserer Haustür liegt, uns aber dennoch nur wenig vertraut ist. Nie ist die Vergangenheit dieser südlichsten spanischen Region spannender und nachhaltiger erzählt worden. „Die Maurin“ legt auf menschliche Weise Zeugnis ab von einer Epoche, die weit in der Vergangenheit liegt, aber dennoch nicht in Vergessenheit geraten darf.

_Die Autorin_

Lea Korte, geboren 1963, wanderte nach Abschluss ihres Studiums nach Spanien aus, wo sie zuerst in Katalonien und später im Baskenland und in Valencia als Übersetzerin und Autorin lebte. Zusammen mit ihrem französischen Ehemann und ihren beiden Kindern lebt sie heute in Südspanien.

|Siehe ergänzend dazu auch unser [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=105 mit der Autorin.|

|663 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3426502303|
http://www.leakorte.com
http://www.leakorte.wordpress.com
[facebook: Lea Korte – Historische Romane, Lea Korte]http://www.facebook.com/pages/Lea-Korte-Historische-Romane/274631567914

Tehy / Guenet / Renéaume / Vee – Yiu – Die Apokalypse: Buch 2 – Das Versprechen, das ich dir gab

_Reihentitel:_

Band 1: [Yiu – Die Apokalypse 1 – In der Hölle 6107
Band 2: Yiu – Die Apokalypse 2 – Das Versprechen, das ich dir gab
Band 3: Yiu – Die Apokalypse 3 – Heilige Mörder
Band 4: Yiu – Die Apokalypse 4 – Bete, dass du stirbst
Band 5: Yiu – Die Apokalypse 5 – Der Fall des Evangelischen Imperiums

_Story:_

Yius kleiner Bruder Ji-A wartet im Sankt Johannes Hospital in Jerusalem immer noch darauf, dass seine Schwester endlich das nötige Geld für die genetische Rückbildung auftreibt und ihn von seiner Einsamkeit, seinem Kummer und seinem Leiden befreien kann. Nur noch ein Auftrag, noch eine letzte Mission, dann steht der Wiedervereinigung der Geschwister nichts mehr im Wege.

Doch Yius Auftraggeber ahnen selber noch nicht, auf welches Monster sie die Killerin in Kürze loszulassen gedenken. Inmitten der ökumenischen Festung steigt der Bastard des Paläo-faschistischen Ordens auf und verspricht, die Welt in die Apokalypse zu stürzen. Delfi Myazannhauer, treibende Kraft der lediglich geduldeten Sekte, hat die Kräfte seiner Schöpfung unterschätzt und die Kontrolle über das mächtige Wesen völlig abgeben müssen. Und jetzt, wo sich die Inkarnation alles Bösen wie eine brutale Plage über die Menschheit ausbreitet, steht für Yiu nicht nur die Existenz ihrer Familie auf dem Spiel, sondern die Zukunft der gesamten Welt!

_Persönlicher Eindruck:_

Es hat ganz den Anschein, als würde das „Yiu“-Prequel „Die Apokalypse“ einen ähnlichen Weg gehen wie die ebenfalls sehr ruckartig gestartete Originalserie, deren Vorgeschichte nun in diesem Siebenteiler erzählt wird. Auch im klassischen „Yiu“ brauchte Chefdenker Tehy vergleichsweise lange, bis er die grundsätzlichen Gegebenheiten und das Setting erläutert und die Umstände erklärt hatte, die zu den brutalen Ereignissen führten, die die Titelheldin in ihren Aufträgen als Profikillerin durchlebte.

Und auch in „Yiu – Die Apokalypse“ wurde schon eine geschlagene Episode darauf verwendet, Rahmenbedingungen abzustecken, einen minimalen Einblick in den Hauptcharakter zu gewähren und die leicht veränderte Logistik aufzureißen, die in diesem Fall eine noch elementarere Rolle für den Inhalt der Story einnimmt.

Nun, wo der zweite Band vorliegt, besteht natürlich die Hoffnung, dass die Action nicht nur Action bleibt, sondern auch etwas mehr Effekt für den Spannungsaufbau hat. Doch das Ergebnis ist nur teilweise befriedigend, da Tehy wieder lange zögert und zaudert, dann aber doch noch die Kurve bekommt …

Doch die Probleme der neuen Serie sind im übergeordneten Sinne ganz anderer Art. Der Autor bemüht sich, verstärkt auch durch die enorm düstere Atmosphäre der Illustrationen, ein sehr intellektuelles Konstrukt von größerer Bedeutung zu schöpfen, dass es aber – zumindest bis hierhin – gar nicht sein kann. Die ständigen Andeutungen, hinter unzähligen futuristischen Fachtermini versteckt, fordern schlichtweg mehr.

Und auch wenn der Teufel höchstpersönlich in moderner Gestalt heraufbeschworen wird und der Story zumindest zum Ende hin etwas zurückgibt, was die fadenscheinig anmutenden Ankündigungen suggerieren, scheint hier vieles künstlich kunstvoll zu sein. Dabei sind es nicht einmal Klischees oder dergleichen, die die Handlung untergraben. Es ist vielmehr das Potenzial, welches eine Geschichte, die so tief gräbt und so gewaltsam ins Bewusstsein dringen möchte, besitzen muss, um den großen Worten auch große Taten folgen zu lassen.

Aber hier ist auch das zweite Kapitel namens „Der Versprechen, das ich dir gab“ nur eine Art Kompromiss, der durch die günstige Entwicklung zwar nicht zu stark in die Kritik gerät, sich aber auch immer wieder dadurch rettet, dass die fragwürdigen (weil sehr künstlich aufgebauschten) Passagen mit guter Action und angenehm flotten Tempo ausgekontert und kaschiert werden können.

Nur, und das sollte dem Autor klar sein, ist diese Übergangslösung kein Allheilmittel, welches die Schwächen der Handlung übertünchen kann. Es ist lediglich ein zweckmäßiges Vorgehen, das sich aber nicht über weitere fünf Bände ziehen lässt.

Immerhin, eine Steigerung zum enttäuschenden Debüt ist „Das Versprechen, das ich dir gab“ allemal. Und auch die Spannungskurve nimmt langsam aber sicher einen angenehmen, annehmbaren Verlauf, nachdem durch die Introduktion des ganzen Hintergrunds hier noch Ebbe angesagt war. Aber, und schon wieder ist die Parallele zum erstveröffentlichten Ableger präsent, man wird analog zur Entwicklung dort auch in „Die Apokalypse“ noch einige Schippen draufpacken müssen. Ansonsten werden Anspruch und Realität auch weiterhin aneinander vorbeilaufen!

|Graphic Novel: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868690002|
[http://www.splitter-verlag.de/]http://www.splitter-verlag.de/

_Weitere „Yiu“-Comics bei |Buchwurm.info|:_

[Yiu 1 – Die Armee des Neo-Mülls 4289
[Yiu 2 – Die Auferstehung des Unreinen 4290
[Yiu 3 – Die Kaiserin der Tränen 4920
[Yiu 4 – Der Schwur der Söhne 5114
[Yiu 5 – Operation Geisha 5485
[Yiu 6 – Der Inquisitor und seine Beute 5968