Nuyen, Jenny-Mai – Rabenmond – Der magische Bund

Mion ist ein Ruinenkind, zerlumpt, hungrig und mit einem Kopf voller Träume von einem besseren Leben. Doch als sie eines Tages mit Pfeil und Bogen auf einen Fuchs schießt, der gar kein Fuchs ist, scheinen ihre Träume jäh zu einem frühen Ende verdammt. Da taucht ein seltsamer Fremder auf, der ihr Rettung anbietet. Aber bedeutet dieses Angebot wirklich Mions Rettung?

Lyrian ist der Sohn des Kaisers. Das hat ihm noch nie besonders gefallen, aber seit der letzten Nacht der Wintersonnwende hat er beschlossen zu fliehen. Seine Freundin Baltipp, die Tochter des Tierpflegers der kaiserlichen Gärten, begleitet ihn. Tatsächlich schaffen sie es bis über das Mitternachtgebirge. Doch dann zeigt sich, dass sie von ihrer Richtung abgewichen sind, mit fatalen Folgen …

Getragen wird die Geschichte hauptsächlich von vier Personen. Mion mag aufgrund der Härten ihrer Kindheit eine raue Schale haben. Sie ist anpassungsfähig, zäh und kann ganz kräftig austeilen. Außerdem spielt sie regelmäßig ein ziemlich hartes Spiel namens Ritus. Aber sie hat einen weichen Kern. Sie hängt sehr an ihrem kleinen Bruder Mirim, und der Schuss auf den Fuchs tut ihr bereits leid, kaum dass sie den Pfeil losgelassen hat. Wie alle Menschen in Elend und Armut träumt sie von einem besseren Leben, doch Mion ist außerdem entschlossen genug, für diesen Traum auch etwas zu riskieren, als sich ihr eine Chance bietet. Diese Mischung aus Rücksichtslosigkeit, Ehrgeiz, Mitgefühl und Sehnsucht wird ihr schließlich zum Verhängnis.

Lyrian ist ähnlich hin- und hergerissen. Auch er besitzt ein freundliches, mitfühlendes Herz, er ist sich seiner Verantwortung als Thronfolger bewusst und voller guter Vorsätze. Leider lässt sich das nicht ohne Weiteres mit dem in Einklang bringen, was seine Eltern und der Adel von ihm erwarten. Die Vorstellungen der Herrschenden darüber, wie ein Kaiser und seine Regierung zu sein haben, laufen Lyrians Denken und Fühlen massiv zuwider. Und sein vages Gefühl, dass da etwas fürchterlich falsch läuft, reicht nicht aus, um den Forderungen seiner Umgebung erfolgreich zu begegnen.

Baltipp ist noch weit weniger geneigt, die herrschende Weltanschauung infrage zu stellen. Für sie sind nur drei Dinge wichtig: ihr Vater, die Tiere, um die sie sich kümmert, und Lyrian. Sie ist weder besonders hübsch noch besonders klug, aber sie ist sehr, sehr treu. Nicht, dass sie sich ernsthafte Hoffnungen machen würde, was Lyrian angeht. Sie ist sich durchaus ihrer Stellung bewusst und zufrieden mit seiner Freundschaft. Andererseits duldet ihre Anhänglichkeit aber auch nicht, dass er sich von ihr entfernt. Als Lyrian sich in ein anderes Mädchen verliebt, ist Baltipp überfordert.

Der rätselhafte, geheimnisvolle Charakter ist in diesem Buch ein Mann namens Jagu. Er ist es, der Mion Hilfe anbietet, als sie wegen des erschossenen Fuchses in der Klemme steckt. Aber über seine Gründe schweigt er. Dass er immer wieder tagelang einfach verschwindet, dass er ständig zwischen Grobheit und Freundlichkeit schwankt, zwischen teilweise brutaler Ehrlichkeit und beharrlichem Schweigen, tut ein Übriges. Mal wirkt er hilflos und verletzlich, mal ist er ausgesprochen kaltschnäuzig und skrupellos. Auch er spielt Ritus, was Mion nicht verstehen kann, denn er ist erfolgreich und wohlhabend und hat es eigentlich nicht nötig, sich in Träume zu flüchten.

Zwischen diesen vier Hauptfiguren entspinnt sich ein kompliziertes Netz aus Beziehungen, Abhängigkeiten und Lügen. Die Charakterzeichnung ist von derselben Intensität, die die Autorin bisher bei all ihren Büchern zu erzeugen wusste; das gilt auch für Nebenfiguren wie Faunia oder die Kaiserin. Sehr gelungen.

Was das Buch aber vor allem interessant macht, ist die eigentliche Thematik. Im Kaiserreich Wynter herrschen die Drachen. Keine feuerspeienden Echsen, sondern Gestaltwandler. Ihre Herrschaft gründet sich auf der Tatsache, dass Drachen denken und Menschen fühlen. Da Gefühle jedoch die Ursache sind für alles Übel, das es auf der Welt gibt, sind alleine die Drachen, die Gefühle nicht kennen, in der Lage, gerecht zu herrschen, denn sie allein sind erhaben über Neid, Ehrgeiz, Rachsucht und Gier. So zumindest lautet die Staatsdoktrin.

Dass diese Ideologie auf einer Lüge basiert, wird nur zu bald deutlich. Drachen fühlen durchaus. Sie fühlen Kummer und Liebe und vor allem Angst! Angst vor der Wahrheit, denn sollte das Volk diese erkennen, wäre es mit der Herrschaft der Drachen vorbei! Und in ihrer Angst verbieten sie, dass das einfache Volk lesen lernt, sie lassen alte Bücher verbrennen und in der Nacht der Wintersonnwende, der einzigen Nacht, in der sie verletzlich sind, kostenlos Wein ausschenken, damit die Menschen sich betrinken und ihnen nicht gefährlich werden können. Gleichzeitig ist Mion der beste Beweis dafür, dass Menschen nicht nur fühlen, sondern auch denken können.

Eines jedoch scheint sich im Verlauf der Handlung zu bestätigen: Gefühle sind die stärksten Triebfedern überhaupt. Und im Fall dieser Geschichte ziehen sie vor allem negative Folgen nach sich. Selbst der völlig uneigennützige Lyrian ist letztlich mitverantwortlich für die zahllosen Toten eines blutigen Massakers, weil er auf sein Herz gehört hat, und nicht auf seinen Verstand. Hier ist es tatsächlich so, dass alles Chaos und alles Blutvergießen seine Ursache in den Gefühlen hat, ganz gleich, ob diejenigen von Menschen oder Drachen.

Jenny-Mai Nuyens Bücher haben sich von Anfang an in keines der gängigen Fantasy-Schemata pressen lassen. Dieses Buch jedoch ist besonders sperrig. Nicht nur, weil es kein Happy End hat, sondern weil es noch einen Schritt weiter geht und sich gegen eine Idee stellt, die auch in anderen Bereichen der Literatur vorherrscht: dass die Liebe allen Widerständen zum Trotz immer siegt und danach alles gut wird. Hier wird nichts gut. Nicht einmal der Sturz der Tyrannen scheint positive Auswirkungen zu haben. Im Kleinen – in der Beziehung zwischen den Hauptfiguren – wie im Großen – in der Politik – münden alle Gefühle und die daraus resultierenden Taten in eine einzige Welle der Zerstörung. Ein Szenario, das sicherlich nicht jedem liegt. So ganz desillusioniert wollen die meisten Leser ihr Buch dann doch nicht zuklappen. Ich fand das Buch jedenfalls sehr gut. Es mag Fantasy sein. Aber es ist trotzdem wahr.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist sie zwanzig und studiert Film an der New York University.

511 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13: 978-3-570-16000-8

www.jenny-mai-nuyen.de/
www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Saramago, José – Stadt der Blinden, Die

|“[…] ein Mensch wird nicht blind, nur weil er einen Blinden ansieht, Blindheit ist eine private Angelegenheit zwischen dem Menschen und den Augen, mit denen er geboren wurde.“|

_Alles weiß_

In einer namenlosen Stadt springt eine Ampel auf grün. Ein Auto bleibt stehen, und die anderen Autofahrer hupen wild, bis die Worte des Fahrers nach außen dringen – ich bin blind! Urplötzlich hat der Mann – der erste Blinde – sein Augenlicht verloren. Die Blindheit taucht seine Welt nicht in ein tristes Dunkel, sondern in ein helles Weiß. Von nun an herrscht immer Tag für ihn. Ein anderer Mann bietet dem ersten Blinden seine Hilfe an und bringt ihn nach Hause. Dort endet seine Hilfsbereitschaft, denn er nutzt die Blindheit des Mannes aus und entwendet ihm sein Auto. Kurz darauf erblindet auch der Dieb. Zu Hause wartet der erste Blinde auf seine Frau, die ihn schleunigst zu einem Augenarzt bringt. Der Augenarzt und seine Patienten sind die nächsten, die erblinden.

Wie eine Epidemie greift die Blindheit in der Stadt um sich. Die Regierung beschließt, die Blinden und diejenigen, die mit ihnen in Kontakt waren, in einer ehemaligen Irrenanstalt zu internieren, um sie vom Rest der Bevölkerung zu isolieren. Soldaten bewachen die Anstalt und stellen den Internierten dreimal am Tag Lebensmittel vor die Tür. Doch das Essen reicht für die schnell wachsende Gruppe der Internierten hinten und vorne nicht. Lange dauert es auch nicht, bis sämtliche Toiletten verstopft sind und die Blinden ihre Notdurft verrichten, wo sie sich gerade befinden, sei es im Bett, auf dem Flur oder sonstwo. Nur eine Frau ist dort untergebracht, die das ganze Elend, den ganzen Ekel noch sehen kann – die Frau des Augenarztes, die ihre Blindheit nur vorgetäuscht hat, um ihren Mann begleiten zu dürfen. Sie ist der Rettungsanker in der Irrenanstalt, auch wenn niemand außer ihrem Mann weiß, dass sie noch sehen kann.

Die Frau des Arztes versucht unauffällig, das Leben in der Irrenanstalt zu organisieren. Doch als immer mehr Blinde eingeliefert werden, schließt sich in einem anderen Saal eine Gruppe von Männern zusammen, die sämtliche Lebensmittel für sich beanspruchen und von den anderen Internierten Wertsachen als Bezahlung einfordern. Als diese schließlich verteilt sind, verlangen die Männer Frauen als Gegenleistung. Die Situation in der Irrenanstalt läuft nun völlig aus dem Ruder …

_Anarchie, und niemand sieht zu_

Der portugiesische Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger José Saramago zeichnet in diesem Buch ein Schreckensszenario, wie man es sich niemals ausgemalt hätte. Nach und nach erblinden alle Menschen einer Stadt oder sogar eines ganzen Landes. Alle Arbeit liegt brach, niemand kann mehr Auto, Bus oder Straßenbahn fahren und auch kein Pilot lenkt mehr ein Flugzeug. Niemand kümmert sich um die Lebensmittelversorgung, und als schließlich alle Menschen erblindet sind, fällt überall der Strom aus. Die Menschen irren blind durch die Straßen – auf der Suche nach Lebensmitteln und Obdach, denn wenn sie auf der Straße erblindet sind, finden sie ihr Zuhause nicht mehr. Jede Wohnung, jedes Haus oder jeder Laden wird nun zur zeitweisen Unterkunft. Niemand hat mehr eine Heimat.

Davon ahnen die Internierten noch nichts, sie hausen unter unvorstellbaren Bedingungen, haben kein Wasser, um sich zu waschen oder etwas zu putzen. Sie hungern, weil es immer wieder Blinde gibt, die sich bei der Essensverteilung mehrfach anstellen – wer sollte es schließlich sehen und für Ordnung sorgen? Alles stinkt, alles ist verdreckt, sodass es eigentlich ein Wunder ist, dass nicht mehr Menschen in der Irrenanstalt sterben.

Die Blinden führen Krieg untereinander, sie bestehlen sich gegenseitig und misstrauen allem und jedem, denn niemand kann die anderen sehen und sie kontrollieren. Niemand sorgt für Ordnung, niemand sieht die Schuldigen. Und so wundert es nicht, dass eine Gruppe Männer die Führung an sich reißt und sämtliche Lebensmittel für sich beanspruchen kann. In der Anonymität der Blindheit und ausgestattet mit einer Pistole und einem „echten Blinden“ trauen sie sich, sich über die anderen Blinden zu erheben. Niemand sieht sie dabei und könnte hinterher gegen sie vorgehen. Doch zwei gequälte Frauen, die mehrfach brutal von den aufrührerischen Männern vergewaltigt wurden, wagen den Aufstand: Die Frau des Arztes bringt den Anführer um und sorgt für Chaos unter der Gruppe der Männer. Doch diese lassen sich das Zepter immer noch nicht aus der Hand nehmen, und so schleicht sich heimlich des Nachts eine blinde Frau mit einem Feuerzeug zu den Männern und zündet die Barrikade aus Betten im Zimmereingang an.

Nur eine Frau kann dem Elend zusehen und doch nicht helfen, da niemand wissen darf, dass sie sehen kann. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn jemand erführe, dass die Frau sehen kann. Sie müsste sich um alle Kranken kümmern, Menschen zu den nicht funktionierenden Toiletten bringen, andere Menschen trösten oder sich vermutlich vor Angriffen schützen, da andere ihr das Augenlicht neiden würden. So wird sie zur Zeugin, wie die Menschen angesichts der Blindheit zu Tieren werden. Sämtliche Menschenwürde ist verschwunden, als die Blinden beginnen, ihre Notdurft an allen möglichen und unmöglichen Stellen zu verrichten. Männer und Frauen fallen blindlings übereinander her, um sich gegenseitig Trost und Nähe zu spenden, auch wenn sie sich sonst vermutlich nie miteinander abgegeben hätten. Verzweifelt versucht die Frau des Arztes, für Ordnung zu sorgen, doch misslingt es ihr immer mehr. So flüchtet sie sich immer häufiger unter die Bettdecke, um still in sich hineinzuweinen.

_Die Macht der Sprache_

José Saramagos Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig: Kaum Absätze sorgen für Zäsuren, die wörtliche Rede findet sich durch Kommas abgetrennt mitten im Fließtext, und keine Anführungszeichen deuten darauf hin, ob diese Worte wirklich gesagt oder nur gedacht wurden. Dieser Schreibstil (den Andrzej Sapkowski in seiner historischen Trilogie vom Narrenturm ähnlich einsetzt) fordert den Leser heraus, passt aber wunderbar zur Geschichte, denn auch dort fließen Worte ineinander, niemand kann den Sprechenden erkennen, und so wundert es nicht, dass keine handelnde Person einen Namen erhält. Bis zum Ende werden die Personen über Merkmale charakterisiert, mit denen die Blinden etwas anfangen können. Was bedeuten Namen, wenn man die Person ohnehin nicht erkennen kann? Saramagos Figuren stehen für bestimmte Rollen, nicht aber für eine individuelle Person; er will uns keine konkreten Menschen vorstellen, sondern eine grausame Situation zeichnen, in der Menschen mit ihrem Schicksal hadern und um ihr Leben kämpfen. Doch was ist das überhaupt für ein Leben?

Saramagos Sprache ist unauffällig und still, aber manchmal umso poetischer. Seine Sätze sind lang und verschachtelt und beschwören eine spannungsgeladene Atmosphäre herauf. Meist sind es die wenigen Worte, die still und unbemerkt daherkommen, die dem Leser einen Schauder über den Rücken laufen lassen, oder es sind die langen detailgetreuen Beschreibungen. So verwendet Saramago mehrere Seiten darauf, um die schrecklichen Lebensbedingungen in der Irrenanstalt zu schildern – die verstopften Toiletten oder die Gänge, die vor Dreck und Kot überschwemmt sind, Menschen, die schon aus Gewohnheit jeden Winkel des Gebäudes in ein Scheißhaus verwandeln, den Gestank, den jeder einzelne Blinde ausdünstet, sodass auch die morgendlichen Blähungen oder die schweißgetränkten Körper die Luft nicht weiter verpesten könnten.

Der Wechsel aus diesen ausschweifenden Beschreibungen und den Dingen, die nur angedeutet werden, sorgt für eine unglaublich dichte Atmosphäre. Viele Schrecken muss man sich als Leser ausmalen, und manchmal kann die Fantasie noch schrecklicher sein als die Worte, die explizit aufgeschrieben werden. In einer Szene verbrennt eine Frau, und hier beweist José Saramago sein unglaubliches Sprachgefühl, denn er nimmt sich zurück und überlässt es dem Leser selbst, wie er sich diese Situation vorzustellen hat:

|“[…] o ja, sie sind nicht vergessen, die Schreie der Wut und der Angst, das Brüllen vor Schmerz und Agonie, das sei hier erwähnt, es werden auf jeden Fall immer weniger, die Frau mit dem Feuerzeug zum Beispiel schweigt schon seit langem. […] Lieber sterbe ich durch einen Schuß als im Feuer, es schien die Stimme der Erfahrung zu sein, deshalb war es vielleicht nicht er selbst, der sprach, sondern vielleicht hatte durch seinen Mund die Frau mit dem Feuerzeug gesprochen, die nicht das Glück gehabt hatte, von einer letzten Kugel durch den blinden Buchhalter getroffen worden zu sein.“|

Das Schweigen der Frau wird den Schreien der Wut und Angst gegenübergestellt und wirkt dadurch noch dramatischer. Diese Worte, die Saramago fast schon lapidar dahingeschrieben hat, erhalten dadurch eine viel stärkere Wirkung. Erst zwei Seiten später deutet Saramago das Unglück an, das der Frau mit dem Feuerzeug widerfahren ist, denn sie ist bei lebendigem Leibe verbrannt.

Besonders gelungen empfand ich auch Saramagos Beschreibungen des Hausstaubs, der die Abwesenheit der Bewohner genutzt hat, um sich friedlich und still auf den Möbeln zu verteilen. Niemand hat ihn dabei gestört, niemand ihn aufgewirbelt oder gar abgewischt. Kein geöffnetes Fenster hat für Durchzug gesorgt und den Staub verteilt. Erst als die Bewohner zurückkamen, begann der Reinigungsprozess – Finger, die über Möbel wischten und den Staub verteilten und Spuren auf der Oberfläche hinterließen. José Saramagos Schreibstil versetzt den Leser mitten in die Szene, der Autor nimmt uns an die Hand und zeigt uns alles, das er für wichtig erachtet. So kann man tief in diese aufreibende Geschichte abtauchen.

_An der Menschlichkeit festhalten_

|“[…] jemanden mit sehenden Augen unter uns zu haben, die letzten, die geblieben sind, wenn sie eines Tages erlöschen, daran möchte ich gar nicht denken, dann wird der Faden, der uns an die Menschheit bindet, zerreißen, es wird sein, als würden wir uns einer vom anderen im Weltraum entfernen, für immer […]“|

Nur dieses eine zarte Band – die sehenden Augen der Frau des Arztes – ist es, das für einige Blinde Hoffnung bedeutet, doch auch Verzweiflung, denn die Augen sind so empfindlich – und was wäre, wenn auch diese letzten erlöschen würden? Fragen der Hoffnung, der Menschlichkeit, des Zusammenlebens, des Misstrauens und der Freundschaft sind es, die José Saramago hier aufwirft. Nie hätte ich mir die Situation so dramatisch ausgemalt, wenn plötzlich alle Menschen erblinden würden, doch natürlich müsste die Situation eskalieren – zunächst durch die Angst der noch Sehenden und dann durch das Chaos, wenn niemand sich mehr um eine geordnete Lebensmittelversorgung oder um die Elektrizität kümmern könnte. Die Menschen müssten zugrunde gehen, und wie dieses Zusammenleben dann aussehen könnte, stellt uns Saramago eindrucksvoll vor.

„Die Stadt der Blinden“ ist ein Buch, das sehr nachdenklich stimmt. Sind wir wirklich so kurz davor, unsere Menschenwürde aufzugeben und allen Mitmenschen zu misstrauen, wenn uns das Augenlicht verloren geht? Werden wir nicht nur mit den Augen blind, sondern auch mit dem Herzen? Und was bedeutet es, wenn niemand mehr sehen kann – kein Arbeiter, keine Regierung …? Dieses Buch fordert den Leser inhaltlich und sprachlich heraus, erzählt aber eine umso bewegendere Geschichte, die nachwirkt und mich tief beeindruckt hat. Ein Buch, welches das Prädikat ‚besonders wertvoll‘ definitiv verdient hat!

|Originaltitel: Ensaio sobre a Cegueira
Deutsch von Ray-Güde Mertin
398 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-499-22467-6|
http://www.rowohlt.de
[Wikipedia-Eintrag]http://de.wikipedia.org/wiki/Jos%C3%A9__Saramago

Covin, Alec – Rückkehr der Wölfe, Die

Fenryders Wölfe sind zurück. Die bösartige Geheimgesellschaft aus Alec Covins Debütroman „Die Augen der Angst“ treibt dieses Mal in New York ihr Unwesen und hofft, ihre Macht ausweiten zu können. Doch es gibt ein paar Leute, die vom Geheimnis der Wölfe wissen und vorhaben, sie zu zerstören …

Tim Molder, Privatdetektiv in New York, und seine Freunde, die durchsetzungsfreudige Sarah und der Künstler Forrest, wissen genau, dass Walter Skoll einer von Fenryders Wölfen ist. Er gibt sich großzügig als Kunstmäzen, aber in dem Gebäude, das er seine Stiftung nennt, scheint etwas Düsteres vorzugehen. Forrest wird dort hineingeschmuggelt. Als gefeierter Künstler soll er seine Werke ausstellen und zugleich hinter Walter Skoll herspionieren.

Gleichzeitig tritt Sarah mit Senator March in Kontakt, der den Ausschuss leitet, der sich mit Sekten beschäftigt und unter anderem auch Informationen über die Wölfe besitzt. Sie erfährt von ihm, dass momentan eine Operation geplant ist, deren eigentliches Ziel ungewiss ist. Sie soll an dem Tag ihren Höhepunkt finden, an dem Forrests Ausstellung eröffnet wird. Gemeinsam mit ihren Freunden und Jodie, einer Sekretärin der Stiftung, bereitet man sich gewissenhaft auf diesen Tag vor und rechnet mit dem Schlimmsten. Es scheint, als ob der mysteriöse Fenryder persönlich dafür sorgen möchte, dass die „Operation Dämon“ gelingt …

„Die Rückkehr der Wölfe“ möchte sich gern mit dem Attribut ’spannend‘ schmücken, aber so einfach ist das nicht, denn dieses Attribut muss man sich verdienen. Das gelingt Alec Covins Zweitling nur in Teilen. Der Aufbau der Geschichte ist recht flach und die Handlung wird dadurch, besonders am Anfang, seicht. Es fehlt an Spannung, fesselnden Ereignissen und überraschenden Wendungen. Die Geschichte plätschert vor sich hin und krankt manchmal an den absatzlangen Erklärungen zu historischen Details oder Erinnerungen. Diese sind nicht besonders geschickt eingefügt und ziehen das Buch unnötig in die Länge. Die wenigen Höhepunkte, welche die simpel gestrickte Geschichte zu bieten hat, finden sich am Ende, wo es dann tatsächlich spannend(er) wird. Es geschehen Dinge, die man so nicht erwartet hat, komplettiert durch ein Set an möglichen Verrätern, welche die Hauptfiguren – und auch den Leser im positiven Sinne – verwirren. Das finale Feuerwerk zündet zwar nicht wirklich, bringt das Buch aber zu einem versöhnlichen Ende.

Die Hauptfiguren der Geschichte entwickeln, ähnlich wie Handlung, zu wenig Tiefe, um mitreißend zu sein. Sie wirken eindimensional und ihre Gedanken und Gefühle hinterlassen wenig Eindruck. Sarah, Tim und Forrest sind noch nicht mal besonders trennscharf. Obwohl sich der Autor redlich bemüht, Tim als raubeinigen Außenseiter darzustellen, wirkt der Detektiv eher blass. Seine Charakterzüge kommen kaum zum Tragen, was letztendlich auch auf alle anderen Charaktere zutrifft.

Wenigstens der Schreibstil funktioniert bei Covin, der gern mit Stephen King verglichen wird. Locker, manchmal fast schon mit persönlicher Note und wortreich schildert er die Erlebnisse der drei Helden. Das Buch lässt sich schnell und flüssig lesen und hängt, im Gegensatz zur Handlung, nicht durch.

In der Summe ist „Die Rückkehr der Wölfe“ zwar nett geschrieben, hinterlässt aber trotzdem keinen bleibenden Eindruck. Dazu ist die Handlung zu flach, hat zu wenig spannende Momente und die Personen sind zu eindimensional.

|Originaltitel: États primitifs
Aus dem Französischen von Monika Buchgeister
477 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3-404-15933-8|
http://www.bastei-luebbe.de

_Alec Covin bei |Buchwurm.info|:_

[„Die Augen der Angst“ 4560

Bishop, Anne – Nacht (Die Schwarzen Juwelen 6)

|Die Schwarzen Juwelen|:

Band I: [„Dunkelheit“ 3375
Band II: [„Dämmerung“ 3437
Band III: [„Schatten“ 3446
Band IV: [„Zwielicht“ 3514
Band V: [„Finsternis“ 3526
Band VI: „Nacht“ (dt. im Oktober 2008)

Surreal hat die Kriminalromane des Landen Jervis Jenkell eigentlich immer gern gelesen. Bis der Autor anfing, Romane über die Angehörigen des Blutes zu schreiben. Seine Vorstellungen vom Leben der Hexen und ihrer Krieger erscheinen ihr ausgesprochen lächerlich, und da ist sie nicht die Einzige. Jaenelle ist deshalb sogar auf die exzentrische Idee verfallen, ein Spukhaus einzurichten, als Spaß für Kinder, was Saetan überhaupt nicht gefällt.

Jervis Jenkell dagegen fühlt sich durch die Angehörigen des Blutes auf den Schlips getreten und sinnt nun auf Rache. Ein perfides Katz-und-Maus-Spiel beginnt …

Jervin Jenkell ist der einzige neue Charakter. Und er ist ein eingebildeter, hinterhältiger, grausamer Kerl. Im Grunde ist er intelligent und findig, doch die Erkenntnis, dass er selbst, obwohl als Landen aufgewachsen, ein Angehöriger des Blutes ist, hat ihn offenbar völlig abheben lassen. So ist er zu eitel und zu hochmütig, einfach seine Bezirkskönigin aufzusuchen, ihr sein Juwel zu zeigen und sie um Rat und Hilfe zu bitten. Stattdessen hat er seine Entdeckung in einen Roman gekleidet und erwartet jetzt, von allen als einer der ihren behandelt, ja sogar regelrecht hofiert zu werden. Die Idee, dass seine versteckte Botschaft womöglich nicht verstanden werden könnte, kommt ihm gar nicht. Und da er keinerlei Vorstellung vom sozialen Gefüge innerhalb der Blutsangehörigkeit hat, ist ihm auch nicht klar, dass er keinesfalls auf derselben Stufe wie Daemon und Jaenelle steht. Er fasst ihre Reaktion schlicht als Beleidigung auf.

Ich muss ehrlich zugeben, dieser Band des Blutjuwelen-Zyklus hat mich schwer überrascht. Ungewöhnlich ist schon mal, dass Jenkell eigentlich recht wenig auftaucht. Er kommentiert nur gelegentlich das Geschehen und offenbart dadurch seine Art zu denken und die Beweggründe für sein Handeln: seinen Hochmut und seine gekränkte Eitelkeit. Das Handeln wiederum offenbart seine hinterhältige Bosheit. Die Intensität dieser Charakterzeichnung kann bei weitem nicht mit der Jaenelles und Daemons aus den ersten Bänden mithalten. Dennoch ist die Figur Jervis Jenkell glaubwürdig und nachvollziehbar ausgefallen.

Außerdem setzt sich das Buch dadurch von seinen Vorgängern ab, dass diesmal nicht Jaenelle und Daemon im Mittelpunkt stehen. Hauptsächlich ist es Surreal, die sich mit Jenkell herumschlagen muss. Da Surreal vor allem praktisch veranlagt ist, spielen Gefühle in diesem Band eine untergeordnete Rolle. Der spürbarste Unterschied zeigt sich jedoch im Grundtenor des Buches. Während die ersten drei Bände vom Niedergang und der Wiedergeburt einer ganzen Welt erzählen, spielt sich der neue Konflikt nur zwischen der Familie SaDiablo und Jenkell ab. Diese beiden Punkte – die Wahl Surreals als Hauptperson und der begrenzte Umfang des Konflikts – haben dafür gesorgt, dass die Wucht, die den ersten drei Bänden innewohnte, hier völlig fehlt. Waren die Bände eins bis drei wie das Ankämpfen gegen einen heftigen Sturm, so ist Band sechs wie die Überquerung eines Nagelbretts. Surreal und ihre Begleiter haben sich in einer Falle verheddert, und alles, was ihnen in dieser Falle an kleinen oder größeren Widrigkeiten begegnet, wirkt wie immer neue Nadelstiche: verwirrend, zermürbend. Und der Gegner beobachtet das Ganze insgeheim.

Die Art der Falle ist wirklich trickreich. Sie ist ein fieses kleines Spiel, das darauf ausgelegt ist, die Beute in der Falle dazu zu bringen, dass sie genau das tut, was sie eigentlich unbedingt vermeiden sollte. Gekonnt spielt sie mit Sein und Schein und ist deshalb ausgesprochen geeignet, um Leute wie Surreal oder Daemon einzufangen und zur Strecke zu bringen. Und diejenigen, die draußen stehen, haben keine Möglichkeit, das Spiel zu beenden, ohne das Leben derjenigen zu gefährden, die in der Falle sitzen. Es scheint, als wäre eine grausame Wahl zu treffen. Und dann taucht auch noch Lucivar am Schauplatz auf, drauf und dran, sich ebenfalls in die Falle zu stürzen!

Was mir dagegen eher negativ aufgefallen ist, war die Veränderung in der Ausdrucksweise, sodass ich mich schon fragte, ob hier ein anderer Übersetzer am Werk war. Das war nicht der Fall, weshalb sich mir als nächstes die Frage stellte, warum die Übersetzerin es auf einmal für nötig befunden haben mag, ein Wort, das in den ersten Bänden noch mit Geschlecht übersetzt wurde, jetzt auf einmal mit Schwanz zu übersetzen. Das macht die eigentliche Aussage keineswegs erotischer, eher ordinärer.

Von diesem sprachlichen Detail abgesehen fand ich „Nacht“ aber recht gelungen. Was diesem Band letzten Endes an Intensität und Dramatik fehlt, macht er locker durch Spannung und Einfallsreichtum wieder wett. Anne Bishop hat sich diesmal tatsächlich fast völlig von allen anderen Bänden des Blutjuwelen-Zyklus gelöst, indem sie nicht nur auf ihre alten Antagonisten Dorothea und Hekatah verzichtet hat, sondern auch eine Neben- zur Hauptfigur gemacht und sie in eine völlig neue Situation gestellt hat. „Nacht“ ist kein Epos mehr, auch nicht der Versuch, ein Epos fortzuführen oder auszubauen. „Nacht“ ist ein Krimi und eigenständig. Das hat dem Buch ausgesprochen gutgetan. Es hat Raum geschaffen für Ideen, die im Kontext dieses Zyklus neu und auch interessant umgesetzt waren, und einen neuen Antagonisten, der wesentlich mehr Biss hat als die beiden kleinen Hexchen Roxie und Lektra. Wer eine Geschichte von der Dimension der ersten drei Bände erwartet hat, wird vielleicht enttäuscht sein, denn die bietet „Nacht“ definitiv nicht. Das Flickwerk aus Band IV aber steckt diese neue Geschichte locker in die Tasche, und mit Band V kann sie durchaus mithalten.

_Anne Bishop_ lebt in New York, liebt Gärtnern und Musik, und hatte bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, ehe ihr mit dem Zyklus der |Schwarzen Juwelen| der internationale Durchbruch gelang. Außerdem stammen aus ihrer Feder die Trilogie |Tir Alainn|, die auf Deutsch bisher anscheinend nicht erschienen ist, sowie der Zweiteiler |Ephemera| mit den Bänden „Sebastian“ und „Belladonna“.

|Originaltitel: The Black Jewels Series: Tangled Webs
Deutsche Übersetzung von Ute Brammertz
398 Seiten, kartoniert
Mit Bonusmaterial: „Wenn das Hexenblut blüht“|
http://www.heyne.de
http://www.annebishop.com

_Mehr von Anne Bishop auf |Buchwurm.info|:_

|Die dunklen Welten|:

Band I: [„Sebastian“ 3671
Band II: [„Belladonna“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=4799
Band II: [„Belladonna“ 4722 (zusätzliche Buchrezension)

Peinkofer, Michael / Rohrbeck, Oliver – Team X-treme 3: Projekt Tantalus

Folge 1: [„Alles oder nichts“ 5064
Folge 2: [„Die Bestie aus der Tiefe“ 5317

_Inhalt_

Das Team X-treme wird auf den Fall eines verschwundenen Professors angesetzt, dessen unfreiwillige Abstinenz scheinbar unmittelbar mit dem Projekt Tantalus in Verbindung steht. Die künstliche Intelligenz beordert die vier Agenten in die Türkei, wo Leland bereits einen der Drahtzieher ausfindig gemacht hat. Als Kyle ihm jedoch einen Peilsender zustecken möchte, wird er von einem Taschendieb namens Okey abgelenkt und verliert jede Spur. Als Wiedergutmachung soll der inzwischen festgesetzte türkische Junge nun selbst den Sender unterbringen, wird jedoch beim Versuch gemeinsam mit Charlie von den Gangstern festgehalten. Auch Kyle und Race kommen beim Versuch, die beiden zu retten, beinahe ums Leben, als eine Explosion ihnen den Boden unter den Füßen wegreißt.

Auf den Spuren ihrer Anführerin und des neuen, erst 12-jährigen Verbündeten reisen die verblieben drei Agenten mit dem X-Copter in die östlichen türkischen Berglandschaften und stoßen dabei auf eine furchtbare Verschwörung. Der Professor wird von einer brutalen Organisation gefangen gehalten, die offenbar bestens über Kyles wahre Identität informiert ist. Erstmals, seit der kühne Held zum Team gestoßen ist, wird er direkt mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

_Persönlicher Eindruck_

„Projekt Tantalus“ ist für Michael Peinkofers Hörspiel-Reihe „Team X-treme“ definitiv eine Schlüsselepisode. Zunächst einmal gilt es, die lebendige Inszenierung ein weiteres Mal zu bestätigen und die erfrischende Dynamik des jugendlich-modernen Hörspiels weiter aufrechtzuerhalten. Andererseits ist Peinkofer aber auch wirklich gefordert, da das klischeehafte Vorgehen in den letzten beiden Folgen ziemlich anstrengend war und man darüber hinaus auch in Sachen Rollenverteilung endlich klarere Linien fahren sollte. Das Team mag zwar halbwegs gefestigt sein; doch wo jedes Mitglied genau hingehört bzw. was exakt hinter den einzelnen Charakteren steckt, bleibt weiterhin ein Mysterium, das der kontinuierlichen Aufklärung bedarf.

Diesbezüglich macht das „Team X-treme“ in der dritten Episode jedoch klare Fortschritte. Vor allem Kyle und Charlie, bislang große Konkurrenten um die Führungsposition, geben einiges über ihre Ambitionen und Wünsche preis und kommen einander indirekt näher, was die bisher eher kritische Konstellation langfristig schon einmal stabiler erscheinen lässt. Dies wird begünstigt durch einige Schlüsselszenen während der Rettungsaktion in den türkischen Bergen, die zweifelsohne zu den besten Momenten der bisherigen Serie gehören und die bis dato noch vermisste Harmonie endgültig in die Mannschaft bringen. Insofern ist „Projekt Tantalus“ gerade auf dieser Ebene auf alle Fälle richtungsweisend.

Ferner werden auch einige der bislang nur geringfügig angeschnittenen Geheimnisse der Serie aufgegriffen. So erfährt man zumindest ein wenig über die Organisation, die für Kyles Gedächtnisverlust verantwortlich ist, wenngleich natürlich noch nicht verraten wird, was oder wer der junge Connor vor seiner Amnesie gewesen sein könnte. Aber aus diesem Umstand schöpft die Serie ja ohnehin einen nicht zu unterschätzenden Teil ihres Potenzials …

All dies soll aber nicht von der erneut rasanten, in diesem Fall sogar wahrlich fantastischen Story ablenken. Unzählige flotte Wendungen treiben den Plot voran, stellen ihn auf den Kopf und sorgen zuletzt sogar für einige echte Überraschungen. So stößt zum Beispiel ganz unverhofft ein weiterer junger Kerl zum Team, der vorher nur durch Unannehmlichkeiten aufgefallen war, den vier Gefährten aber ganz schnell nützlich wird. Aber auch bei der Jagd nach den Schurken schießt die Handlung ständig hin und her und bleibt bis auf das vorhersehbare positive Ende erstaunlich unberechenbar.

Andererseits konnte man die üblichen Nervtöter auch dieses Mal nicht abstellen. Kyle glänzt zwar nicht mehr permanent mit Plattitüden und heroischen Drohgebärden, ist aber irgendwie ständig außer Atem, wodurch manch situativer Sprecherpart recht aufgesetzt wirkt. Und auch wenn man sich mittlerweile schon fast daran gewöhnt hat: Es gibt diese Szenen, in denen man sich wünscht, der Hauptakteur würde mit seinen reißerischen Sprüchen manchmal ein Stückchen herunterfahren.

Nichtsdestotrotz darf als Resümee stehen bleiben, dass „Projekt Tantalus“ aus den genannten Gründen das beste Hörspiel der bislang veröffentlichten drei „Team X-treme“-Episoden ist. Peinkofers Team befindet sich auf einem guten Weg und kann sich trotz einiger erneut überflüssig brutaler Szenen zu Beginn noch einmal mächtig steigern!

|42 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3557-2|
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stiftung-x.de
http://www.michael-peinkofer.de
http://www.wellenreiter.la

_Mehr von Michael Peinkofer auf |Buchwurm.info|:_

[„Die Bruderschaft der Runen“ 1024
[„Die Erben der schwarzen Flagge“ 4201 (Audio)

Keen, Andrew – Stunde der Stümper, Die

_Eine digitale Höllenfahrt in neun Kapiteln_

Im 21. Jahrhundert scheint ein alter Menschheitstraum endlich Wahrheit geworden zu sein: Die weite Welt ist durch das Internet 2.0 vernetzt, der Informationsprozess bleibt nicht länger einer Elite von Forschenden und Wissenden vorbehalten. Jede Frau und jeder Mann, die oder der sich berufen fühlt, kann einsteigen und öffentlich = global ihre/seine Meinung kundtun. Es wird gebloggt, was die Leitungen hergeben; heute teilt sich eine Menschenschar in unbekannter, aber dreistelliger Millionenzahl regelmäßig über das Internet mit. Sie beschränken sich nicht auf die Ausstellung persönlicher Befindlichkeiten. ‚Wissenschaftliche‘ Artikel aus den Natur- und Geisteswissenschaften stehen neben tagesaktuell vorgestellten & kommentierten Neuigkeiten; Romane, Gedichte, Musik und neuerdings Filme zeugen von der kreativen Ader der Internet-2.0-Gemeinde.

Längst sind Wirtschaft und Politik aufmerksam geworden und nutzen das Web zur Realisierung eigener Vorhaben. Internetportale sind wertvoll geworden. Immer größere Informations- und Unterhaltungsdateien treten ihre digitale Reise an. Die Welt verwandelt sich in einen riesengroßen, kunterbunten Selbstbedienungsladen, in dem alles ständig verfügbar ist.

Oder? Mit einer gewissen Verspätung treten die Kritiker des Internet 2.0 auf den Plan. Sie haben es schwer, denn ihnen zuvor kamen die Befürworter und Profiteure, die von unendlichen Möglichkeiten schwärmten und gewaltige Gewinne ankündigten. Dass noch jede Innovation in der Geschichte der Menschheit ihre Schattenseiten hatte, wurde geflissentlich ausgeblendet. Wieso ausgerechnet das Internet 2.0 so lange nicht kritisch hinterfragt wurde, ist eines der Themen, denen sich Andrew Keen in „Die Stunde der Stümper“ nicht nur mit viel Wissen, sondern auch mit Verve widmet.

_Wird der Planet der Affen Realität?_

In den 1990er Jahren war Autor Keen selbst im berühmt-berüchtigten kalifornischen Silicon Valley tätig und ein eifriger Vertreter der „Neuen Medien“. Er kennt die Materie deshalb gut, und auch wenn er sich allzu kompromisslos vom Saulus zum Paulus gewandelt hat – dazu weiter unten mehr -, beeindrucken und beunruhigen die Fakten, mit denen er seine Thesen untermauert.

Eine endlose Kette aufgedeckter Internet-Sünden bildet den roten Faden in einem ansonsten recht wüst (oder wenig) gegliederten Buch, was Keen in seinem Nachwort gar nicht leugnet. „Wes‘ Herz ist voll, des‘ Mund läuft über“: Diese Haltung verleiht dem Verfasser Schwung und Überzeugungskraft, aber es lässt ihn auch wie eine wütende Gämse von Thema zu Thema springen.

In neun Kapitel presst Keen seine Darstellung. Mit einem Paukenschlag beginnt er: seiner Einleitung, die den angedeuteten Erweckungsprozess schildert, der in diesem Buch gipfelte. Schon auf diesen ersten Seiten legt Keen sich keinerlei Zurückhaltung auf. Ausgehend von einem bekannten Lehrsatz des Evolutionsbiologen Thomas Henry Huxley (1825-1890), nach dem man nur eine unendliche Anzahl von Affen mit Schreibmaschinen ausrüsten müsse, die irgendwann ein literarisches Meisterwerk vom Format eines Dramas von Shakespeares liefern würden, definiert Keen den Alltag des Internet 2.0 so: |“Doch … Millionen und Abermillionen übermütiger Internetnutzer, von denen vielen nicht mehr Talent haben als unsere äffischen Verwandten, produzieren keine Meisterwerke, sondern einen endlosen Dschungel der Mittelmäßigkeit. Diese Amateuraffen von heute können mit ihren vernetzten Computern nämlich alles publizieren: politische Kommentare ohne Informationsgrundlage, ungehörige selbst gedrehte Videos, peinliche Amateurmusik oder unlesbare Gedichte, Rezensionen, Essays und Romane.“| (S. 10)

Mit dem Sturz des „edlen Amateurs“ (der deutsche Titel ‚übersetzt‘ dies marktschreierisch als „Stümper“), der sich dank Internet vor allem selbst auf sein hohes Ross gesetzt hat, beginnt Keen denn auch seine Expedition in ein digitales Land des Grauens, erzählt von selbst ernannten „Bürgerjournalisten“, die ohne jede Vor- oder journalistische Ausbildung das Internet mit Halb- und Null-‚Wissen‘ verstopfen und damit Glauben finden, weil die menschliche Mehrheit lieber glaubt, was sie glauben möchte, und simplifizierte Gedankengänge der oft komplexen Realität vorzieht. Weiter geht es mit „Spammern und Abzockern“, mit Lügnern, Wirrköpfen, Faktenverdrehern und anderen manipulativen Zeitgenossen, die im Internet endlich das Medium gefunden haben, über das sie, die bisher mit Fug und Recht mit Fußtritten davongejagt wurden, ihren Schwachsinn verbreiten können.

Das Kapitel „Wahrheit und Lügen“ räumt mit dem Irrglauben auf, dass Blogs der Welt etwas zu sagen haben. In der Regel ist es reine Nabelschau, die auf diese Weise betrieben wird, was kräftig dazu beiträgt, die wenigen lohnenswerten bzw. künstlerisch relevanten Texte, Musikstücke oder Filme im weißen Hintergrundrauschen des Internet 2.0 untergehen zu lassen.

_Der Autor, der Dieb, seine User und ihre Nutznießer_

„Wikipedia“ und „YouTube“ sind besonders rote Tücher für Keen, was er wiederum mit deprimierend einsichtigen Beweisen belegen kann. Unter dem Titel „The Day the Music Died“ beschäftigt er sich intensiv mit der Frage des geistigen Eigentums. In einer Ära der digitalen Tauschbörsen ist dank der modernen technischen Möglichkeiten nichts mehr vor dem unendlichen Kopieren sicher, was unter anderem die Musikbranche in eine existenzielle Krise stürzte; in einen ähnlichen Abgrund wird wohl auch das kommerzielle Kino stürzen.

Während Keen sich mit seinem Appell an die Wahrung von Eigentumsrechten in der digitalen Welt der Gegenwart eher lächerlich macht, kommt auch der hartgesottenste Downloader an einer Frage ins Grübeln: Wer kreiert zukünftig die originären Inhalte, wenn niemand mehr bereit ist, für Kultur und Kunst zu zahlen? Die Apologeten des Internet 2.0 vertreten den Standpunkt, dass der geistige Input einer nach Milliarden zählenden Schar von Beiträgern einen frei verfügbaren Pool unendlichen Wissens und unglaublich schöpferischer Kunst generieren wird. Keen kontert nüchtern mit einer elementaren Tatsache: |“Talent war schon immer eine begrenzte Ressource, und heute ist es die Nadel im digitalen Heuhaufen. Begabte, gut ausgebildete Menschen wird man nicht im Schlafanzug am Computer finden, wie sie geistlose Blog-Beiträge oder anonyme Filmrezensionen schreiben. Zur Talentförderung sind Arbeit, Geld und Erfahrung nötig.“| (S. 39) Das ist eine heutzutage offenbar unangenehme Wahrheit, die indes Wahrheit bleibt.

Der Aufstieg der Dummbärte und ihre wahlweise parasitäre Aneignung der Leistungen talentierter Mitmenschen bzw. die Ignorierung derselben, wenn diese einem bereits vorgefassten und erschütternd engem Weltbild nicht entsprechen, geht einher mit dem Abbau bewährter Informationsstrukturen. Die klassische Zeitung verliert immer mehr Leser: Wieso für die tägliche oder wöchentliche, von einem geschulten Team fachkundiger Journalisten und Redakteure betreute Ausgabe zahlen, wenn man sich kostenfrei per Internet ‚informieren‘ kann? Wie gut sich hinter professionell gestalteten Layouts Unwissen, Werbung oder politische Manipulation verbergen können, deckt Keen anhand zahlreicher Beispiele auf.

_Schöne, neue, abgründige Welt_

Zu den Gewinnern der Internet-2.0-Ära gehören erwartungsgemäß primär jene, die sich niemals naiv und früh genug der Möglichkeiten der neuen Technik bewusst waren und diese planvoll zu ihrem Nutzen einsetzen oder missbrauchen. Die Zeche zahlen die weniger Dreisten oder Klugen. „Moralische Verwirrung“ überschreibt Keen ein Kapitel, dass sich mit moderner Online-Spiel- oder Sex-Sucht beschäftigt und weiter beschreibt, wie sich von den Bedürfnissen ihres Alltags überforderte oder gelangweilte Menschen in der Traumwelt der „Second Lives“ verlieren.

Eher kurz, aber nichtsdestotrotz deutlich geht Keen auf das Thema Datenschutz ein. Am Beispiel der nichtsahnend genutzten Suchmaschinen weist er nach, wie deren Betreiber nicht nur unkontrolliert Userdaten sammeln, die sie nichts angehen, sondern diese der Werbung zur Verfügung stellen und – der Gipfel der Dreistigkeit – den zusammengerafften Datenbestand nicht nur ungeschützt lassen, sondern ihn nicht selten selbst preisgeben. Die intimsten Geheimnisse des sich anonym wähnenden Internet-Users können mit fatalen Folgen plötzlich öffentlich und dankbare Identitätsdiebe aktiv werden.

In einem abschließenden Kapitel versucht sich Keen an Lösungen für die zuvor aufgeworfenen Probleme. Für ihn läuft es auf die Bewahrung akademischer bzw. intellektueller Eliten hinaus, die nicht umsonst als solche gelten: Sie verfügen über das ‚echte‘ Wissen und benötigen in erster Linie fachkundige Mediatoren, die es dem interessierten Laien zur Verfügung stellen. Damit erteilt Keen den selbst ernannten Fachleuten der „Wikipedia“-Kategorie eine eindeutige Absage, was man ihm objektiv unterschreiben kann: Auf dieser Erde werden unterdrückte oder bisher unentdeckte Superhirne nur im Ausnahmefall durch das Internet 2.0 offenbar!

_Noch ist die Menschheit nicht verloren!_

Nachdem er auf über 200 Seiten ein Szenario des geistigen und moralischen Untergangs zelebriert hat, wird Keen im letzten Teil seines Buches versöhnlich. Am Beispiel der Wahl des US-Präsidenten von 2008 meint er zu erkennen, dass die ‚wichtigen‘ Aspekte des Alltags noch nicht in den Sog des zweiten Internets geraten sind. Obwohl der Wahlkampf durchaus von nutzergenerierten Dümmlich- und Hinterhältigkeiten begleitet wurde, hat sich nach Ansicht von Keen die klassische Demokratie durchgesetzt: Die Präsidentschaft wurde nicht durch das Internet entschieden – eine Furcht, die (nicht nur) Keen durchaus gehegt hatte.

Dieser Nachklapp passt nicht zum Tenor des bisher Gesagten & Beklagten. Es relativiert Keens Äußerungen, die nachträglich überspitzt klingen. Dies sind sie zweifellos, weil sich ihr Verfasser Gehör verschaffen möchte. Das ist ihm gelungen, und seine Polemik ist ein nützliches Instrument, weil in der Regel die Fakten auf Keens Seite sind.

Darüber vergisst der Leser jedoch leicht, dass auch Keen nur eine Stimme in dem Chor ist, der sich über die Vor- und Nachteile des Internets auslässt. Keen muss sich selbst der Kritik stellen, die er zumindest einem entsprechend vorgebildeten Publikum ausdrücklich zugesteht. Bei näherer Betrachtung finden sich dann schnell Positionen, die sich objektiv nicht halten lassen, weil sie übertrieben oder aus dem Zusammenhang gerissen oder – dies vor allem – subjektiv allein auf Keens Mist gewachsen sind.

Aus Saulus wurde wie schon erwähnt Paulus. Dabei ist das Pendel verständlicherweise ein gutes Stück zu weit auf die negativkritische Seite ausgeschlagen. Mehrfach entlarvt sich Keen als Vertreter allzu trivialer ‚Tatsachen‘. Im Rahmen seiner sonst ausgefeilten Ausführungen fallen Banalitäten wie diese unangenehm auf: „13-jährige sollten Fußball spielen oder Fahrrad fahren und nicht im abgeschlossenen Schlafzimmer Hardcore-Pornografie anschauen.“ (S. 173) Das sind exakte jene Verallgemeinerungen, die Keen so gern den „Affen“-Usern nachweist.

„Die Stunde der Stümper“ ist deshalb keine ‚Bibel‘ für den Internet-Skeptiker. Als solche werden sie nur jene betrachten, die bereits vor der Lektüre ‚wussten‘, dass das Internet ‚böse‘ ist. Solche Zeitgenossen sind indes ebenso kontraproduktiv wie die allzu kritiklosen Jünger der digitalen Wunderwelten. Keen besitzt eine Stimme, die sich Gehör verschaffen konnte. Ob oder besser: wie weit ihr zu trauen ist, bleibt den Lesern überlassen. Sie haben Fakten erfahren und vor allem Denkanstöße erhalten. Das ist es, was Keen ursprünglich wollte, bevor er in seinem (Über-)Eifer selbst zu predigen begann. Von dieser Welt muss jeder Mensch sich weiterhin selbst sein Bild machen. Worin man Keen zustimmen muss, ist die Forderung, die Quellen, aus denen man dabei schöpft, sehr sorgfältig und heute sorgfältiger denn je auf ihre Genießbarkeit zu überprüfen. Dabei ist „Die Stunde der Stümper“ auf jeden Fall hilfreich.

_Impressum_

Originaltitel: The Cult of the Amateur: How Today’s Internet Is Killing Our Culture (New York : Doubleday 2007)
Übersetzung: Helmut Dierlamm
Deutsche Erstausgabe (geb.): September 2008 (Carl Hanser Verlag)
247 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-446-41566-9
http://www.hanser.de

Harry Carmichael – Geflohen aus Dartmoor

Ein flüchtiger Gefangener will nach einem letzten erfolgreichen Coup aussteigen, doch seine Pläne zerschlagen sich sämtlich: Er ist verdammt, sein Schicksal wird ihn richten … – Konventioneller Krimi mit recht penetranter „Crime-doesn’t-pay!“-Moral, der in seinem letzten Drittel eine überraschende Wende nimmt und an Tiefe gewinnt: kein Klassiker, nur angetrocknetes Lesefutter.
Harry Carmichael – Geflohen aus Dartmoor weiterlesen

Interview mit Ulrike Schweikert

|Ulrike Schweikert (* 28. November 1966 in Schwäbisch Hall) ist eine deutsche Schriftstellerin der Historien- und Fantasyliteratur, die auch unter dem Pseudonym Rike Speemann veröffentlicht.

Nach sechs Jahren als Wertpapierhändlerin studierte sie Geologie und später Journalismus. Daneben beschäftigte sie sich mit der Geschichte ihrer Heimatstadt. Diese Recherchen bilden die Grundlage zu ihrem ersten Roman „Die Tochter des Salzsieders“. Heute lebt die Autorin in der Nähe von Pforzheim. Für „Das Jahr der Verschwörer“ erhielt sie 2004 von der „Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur – Das Syndikat“ den Hansjörg-Martin-Preis.|

Liebe Besucher meiner Internetseite,

_Bibliographie:_

Die Tochter des Salzsieders (historischer Roman, 2000)
Die Hexe und die Heilige (historischer Roman, 2001)
Die Herrin der Burg (historischer Roman, 2003)
[Die Seele der Nacht 1232 (Fantasyroman, 2003)
[Der Duft des Blutes 4858 (Fantasykrimi, unter Pseudonym Rike Speemann, 2003)
Das Jahr der Verschwörer (historischer Jugendroman, 2003)
Das Kreidekreuz (historischer Roman, 2004)
Die Drachenkrone – Der Zyklus der Drachenkrone, Band 1 (Fantasyroman, 2005)
[Feuer der Rache 2139 (Fantasykrimi, unter Pseudonym Rike Speemann, 2005)
Das Vermächtnis des Kupferdrachens – Der Zyklus der Drachenkrone, Band 2 (Fantasyroman, 2006)
Das Siegel des Templers (historischer Roman, 2006)
Die Maske der Verräter (historischer Jugendroman, 2007)
Das Drachentor – Der Zyklus der Drachenkrone, Band 3 (Fantasyroman, 2007)
[Nosferas – Die Erben der Nacht, Band 1 5084 (Fantasyroman, 2008)
Die Dirne und der Bischof (historischer Roman, 2008)
[Lycana – Die Erben der Nacht, Band 2 5359 (Fantasyroman, 2008)

_Michael Sterzik:_
Guten Tag, Frau Schweikert. Ich freue mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, einige Fragen für |Buchwurm.info| zu beantworten. Zuerst einige persönliche: Was gibt es über Sie als Mensch zu sagen? Was zeichnet Sie in Ihren Augen aus und was würden Sie als liebenswerte Marotten bezeichnen? Was mögen Sie und was eher nicht?

_Ulrike Schweikert:_
Meine Marotten heißen Peramina und Covalin – nach den beiden Drachen in der Drachenkronentrilogie. Es sind zwei Graupapageien, die mich seit elf Jahren begleiten und mir bei der Arbeit helfen. Ja, neben meinem Mann hänge ich sehr an meinen „Viechern“. Außerdem gehört zum täglichen Glück ein Ritt auf meiner Stute Chakira. Ich liebe es, hier am Rande des Schwarzwaldes zu leben. Die Ruhe und das Grün tun mir gut.

_Michael Sterzik:_
Sie sind eine vielseitige Autorin und fühlen sich nicht nur im Genre des historischen Romans wohl. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Was war das auslösende Ereignis?

_Ulrike Schweikert:_
Während meines Geologiestudiums gehörte ich einer Rollenspielgruppe an. Bald war ich Spielleiter und für die Abenteuer, durch die die Gruppe geschickt wird, verantwortlich. Ich begann, die Geschichten selbst zu schreiben. Daraus entstanden dann die ersten Romane der Drachenkronentrilogie. Allerdings fand ich damals noch keinen Verlag. Erst als ich den ersten historischen Roman geschrieben habe, hat es dann geklappt. Später konnte ich dann auch meine Fantasyromane unterbringen.

_Michael Sterzik:_ Ich gratuliere zu den Erfolgen und zu Ihrer neuesten Buchreihe, die eindeutig für junge Leser bestimmt ist – „Die Erben der Nacht“.

_Ulrike Schweikert:_
„Die Erben der Nacht“ soll für alle sein, die Vampire lieben, die große Geschichten mögen und auch gern in die Geschichte reisen. Diese Mal ins 19. Jahrhundert. Ich würde sagen, von zwölf Jahren an aufwärts. Ich hoffe, dass sich auch viele Erwachsene für die Serie begeistern.

_Michael Sterzik:_
Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Schreiben Sie jeden Tag und dann gleichzeitig an mehreren Projekten?

_Ulrike Schweikert:_
Ich nehme mir immer ein Projekt vor und bearbeite es so weit, wie es in meiner Hand liegt, also bis der von mir fertige Text dem Verlag übergeben wird. Ich versetzte mich so in die Geschichte, dass ich an andere Dinge nicht mehr denken kann. So fällt es mir auch schwer, wenn dann der Rücklauf aus dem Lektorat kommt und ich bereits an einer neuen Geschichte arbeite, mich noch einmal auf den vorherigen Text einzulassen. Aber das geht nicht anders. So lange kann ich nicht warten, bis ich mit einem neuen Buch anfange. Ich habe so viele Verträge für die verschiedenen Genres, dass ich nur fertig werden kann, wenn ich jeden Tag mein Pensum arbeite, was heißt, zehn Seiten oder acht bis zehn Stunden in der Recherche oder Nachkorrektur.

_Michael Sterzik:_
Was reizt Sie an meisten – „Historik“, „Krimi“ oder „Fantasy“?

_Ulrike Schweikert:_
Die Historik ist sehr anstrengend. Es ist viel Forschungsarbeit im Vorfeld nötig – ich nehme mir sechs Monate für jeden Roman. Das heißt, ich bin ein Jahr mit einem Thema beschäftigt. Danach ist ein Krimi oder Fantasy Erholung und Abwechslung, bevor ich mich wieder in ein historisches Thema stürzen mag. So brauche ich beides. Die Abwechslung ist das Reizvolle.

_Michael Sterzik:_
Was mir sehr positiv auffällt, ist, dass Sie – egal wo Sie sich literarisch bewegen – viel Wert auf recherchierte Fakten legen. Haben Sie diesen Aufwand in den Anfängen Ihrer schriftstellerischen Karriere bereits erwartet oder sind Sie generell an Geschichte interessiert?

_Ulrike Schweikert:_
Ich habe gerne historische Romane gelesen, doch das wissenschaftliche Arbeiten habe ich während des Studiums gelernt und auch lieben gelernt. Es macht mir Spaß, die Details zusammenzusuchen und daraus ein buntes Ganzes zu erstellen. Dabei ist es auch egal, ob es sich um ein geologisches Thema, etwas Geschichtliches oder Hintergrundwissen zur Arbeit der Rechtsmedizin für einen Krimi handelt. Die Art der Arbeit bleibt gleich.

_Michael Sterzik:_
In „Nosferas“ und auch in „Lycana“ spielen junge Vampire aus verschiedenen Regionen Europas die Hauptrolle, und auch wenn sie als untot gelten, so erleben wir sie erfrischend „menschlich“. Wussten Sie von Anfang an, wie die Charaktere dargestellt werden sollten?

_Ulrike Schweikert:_
Ich arbeite gedanklich schon mehrere Jahre an dieser Serie, doch damals waren Vampire noch nicht zu verkaufen. Daher hatte ich viel Zeit, die Charaktere auszubauen. Sie sind gewachsen, und als es dann endlich losging, waren sie mir schon sehr vertraut und lebendig.

_Michael Sterzik:_
Warum lassen Sie Ihre Vampire in der Vergangenheit agieren?

_Ulrike Schweikert:_
Ich wollte schon immer mal eine Geschichte im 19. Jahrhundert spielen lassen, doch für den historischen Roman ist diese Zeit von den Verlagen nicht gefragt. So war es für mich verlockend, die Geschichte Europas zu Beginn der Moderne als Hintergrund für die Vampire zu nehmen. Ich finde, diese Zeit bietet ein enormes Spannungsfeld zwischen dem Alten und Überlieferten und dem Aufbruch ins Industriezeitalter. Heute sind wir von den alten Werten schon zu weit abgerückt und die Moderne überwiegt mir für meinen Geschmack zu sehr.

_Michael Sterzik:_
Es gibt inzwischen unzählig viele Vampirgeschichten, die für Kinder- und Jugendliche erschienen sind. „Die Erben der Nacht“ umfasst mittlerweile zwei Bände – wie viele wird es noch geben und wird sich die Geschichte einem Gesamthöhepunkt im letzten Band nähern?

_Ulrike Schweikert:_
Es werden fünf Bände. Band drei ist nun fertig. Er spielt in Hamburg und Paris. Im vierten Band reisen die Vampire zu den Dracas nach Wien und der letzte Band findet in London seinen Höhepunkt. Neben den abgeschlossenen Abenteuern in jedem Band baut sich noch eine zweite Handlung im Hintergrund auf, deren Lösung es am Ende in London geben wird.

_Michael Sterzik:_
In welcher Figur Ihrer Vampire finden Sie sich wieder? Oder haben sie reale Figuren mit ihren charakterlichen Merkmalen als Vorbild genommen? Ich denke da an Freunde oder Verwandte.

_Ulrike Schweikert:_
Nein, so direkt sind die Zusammenhänge nicht. Ich denke, am ähnlichsten ist mir Alisa mit ihrer Wissbegierde. Ich wollte auch immer allem auf den Grund gehen, dennoch habe ich mich nicht als Streber gefühlt – was mir natürlich dennoch nachgesagt wurde.

_Michael Sterzik:_
Großartig finde ich, dass Sie augenzwinkernd historische Persönlichkeiten in ihren Vampirromanen eine Nebenrolle spielen lassen. Wie sind Sie denn auf diese interessante Idee gekommen, die nicht nur spannend und lehrreich, sondern auch unterhaltsam sein kann?

_Ulrike Schweikert:_
„Die Erben der Nacht“ sollen eben keine reinen Jugendbücher sein. Sie sollen für jede Altersklasse etwas haben. Die Jüngeren werden sich sicher mehr auf die Abenteuer der Vampire stürzen, und für die Älteren gibt es diese „Schmankerl“. Ich bin auch für die nächsten Bände immer auf der Suche nach passenden Geschichtchen. Ich habe immer so viel Spaß bei der Recherche, wenn ich auf lustige und skurrile Anekdoten stoße. Diese Lust an der kleinen Geschichte möchte ich weitergeben.

_Michael Sterzik:_
Gehen wir ein wenig zurück und widmen wir uns den historischen Romanen. „Die Tochter des Salzsiedlers“ wurde als Theaterstück aufgeführt. Waren Sie maßgeblich an diesem Projekt beteiligt? Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung?

_Ulrike Schweikert:_
Ich habe „Die Tochter des Salzsieders“ und „Das Jahr der Verschwörer“ selbst dramatisiert. Allerdings unter Beratung des Regisseurs Gerd Bauer, da das Neuland für mich war. Ich musst erst lernen, loszulassen und die Theaterstücke als eigene Werke zuzulassen, dann hat es viel Spaß gemacht, im Gegensatz zu der einsamen Arbeit beim Schreiben mit den Schauspielern das Entstehen des Stückes zu erleben und dann die Reaktion des Publikums bei der Uraufführung. Das war ein sehr bewegender Moment. Die Umsetzung in Leofels hat mir bei beiden Stücken gut gefallen.

_Michael Sterzik:_
Welche Buchprojekte planen Sie noch? Welche Epochen oder Figuren würden Sie reizen?

_Ulrike Schweikert:_
Die nächsten sechs Projekte stehen fest. Es wird eine Fortsetzung zu „Die Dirne und der Bischof“ geben. Es war von Anfang an als Doppelband geplant. Dann die letzten beiden Bände von „Die Erben der Nacht“ und die Vorgeschichte des Vampirs Peter von Borgo, der in „Der Duft des Blutes“ und „Feuer der Rache“ sein Unwesen treibt. Die weiteren Ideen habe ich auch schon, aber darüber möchte ich noch nicht reden. Was mich für den historischen Roman noch sehr reizt, ist der Dreißigjährige Krieg oder das ganz frühe Mittelalter zur Zeit Karls des Großen.

_Michael Sterzik:_
Welcher eigener Roman liegt Ihnen besonders am Herzen?

_Ulrike Schweikert:_
Schwierig. Das ändert sich auch immer wieder. Momentan schlägt mein Herz für meine jungen Vampire in „Die Erben der Nacht“.

_Michael Sterzik:_
Jetzt, wo Sie selbst Romane schreiben, sind Sie da skeptischer, aufmerksamer geworden, wenn Sie selbst zu einem Buch greifen?

_Ulrike Schweikert:_
Ja, das lässt sich nicht vermeiden, obwohl ich mich natürlich beim Lesen in der Freizeit gern einfach in eine Geschichte fallen lasse. Das heißt aber auch, dass sie so rund und fesselnd sein muss, dass mir das mühelos gelingt. Was mich ärgert, ist, wenn Geschichten schlecht recherchiert sind und mir das auch als Laie für ein Thema störend ins Auge springt.

_Michael Sterzik:_
Was und welchen Autor lesen Sie besonders gerne? Haben Sie sich durch andere Autoren inspirieren lassen?

_Ulrike Schweikert:_
Ich habe immer mal wieder Lieblingsautoren, die ich zum Zeitvertreib lese – Elizabeth George oder Tess Gerritsen. Ich habe alle „Harry Potter“ verschlungen, die „Bartimäus“-Bücher gelesen und mag die beiden Krimis von Simon Beckett. Inspiriert bin ich eher von „Der Name der Rose“, ein phantastisches Werk, und immer wieder nehme ich mir Oscar Wilde vor und genieße seine Sprache, die einfach wundervoll ist. Und ich liebe Bram Stokers „Dracula“. „Die Erben der Nacht“ ist auch eine Hommage an den Meister des Vampirromans.

_Michael Sterzik:_
Und abschließend: Wenn der Mensch Ulrike Schweikert drei Wünsche an die Zukunft frei hätte, welche wären das?

_Ulrike Schweikert:_
Mit meinem Mann und meinen Tieren zusammen glücklich alt werden dürfen und noch lange meine Geschichten schreiben, an denen eine wachsende Leserschaft ihre Freude hat.

_Michael Sterzik:_
Frau Schweikert, ich bedanke mich, dass Sie sich für das Interview so viel Zeit genommen haben.

Liebe Besucher meiner Internetseite,

Salvatore, R. A. / Merlau, Günter / Elias, Oliver – Drizzt – Die verschlungenen Pfade (Die Saga vom Dunkelelf 8)

_Handlung:_

Bruenors Schützling, der Barbar Wulfgar, hat bei Drizzt das Kämpfen erlernt. Als die beiden Männer eines Tages einen Trupp Riesen stellen, ahnt der Dunkelelf, dass dieser nur eine Vorhut war. Tatsächlich hat der wahnsinnige Akar Kessel eine gewaltige Armee aus Riesen, Goblins und Ogern zusammengestellt, mit der er das Eiswindtal erobern und unterdrücken will.

Abermals müssen Drizzt und seine Freunde, der Zwerg Bruenor und der Halbling Regis, ihre ganzen Überredungskünste unter Beweis stellen, um die Menschen von Zehnstädte zu einen. Zu diesem Zeitpunkt entschließt sich Wulfgar, zu seinem Barbarenstamm zurückzukehren. Drizzt und seine Gefährten stehen vor der gewaltigsten Schlacht, die das Eiswindtal je gesehen hat …

_Meine Meinung:_

Nahtlos schließt die Handlung an den Vorgänger an, und bereits nach den ersten Sekunden wird der Hörer durch die epische Musik und die Kampfgeräusche in das Geschehen gezogen. Kein Intro, kein „Was bisher geschah“ – der Hörer wird sofort in die Handlung katapultiert, und es empfiehlt sich wirklich, die Folge 7 zu erstehen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Beide Hörspiele bilden einen Zweiteiler, der zu den besten Hörspielen in Sachen Fantasy gehört. Zwerge, Barbaren, Riesen, Oger und Dämonen geben sich ein Stelldichein, und wer von Tolkiens Schöpfung nicht genug bekommen kann, wird sich auch in der Welt von Drizzt zu Hause fühlen.

Über den Hauptdarsteller Tobias Meister braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren, der Mann ist einfach genial. Ebenfalls überzeugend ist Drehbuchautor Oliver Elias als wahnsinniger Antagonist Akar Kessel. Bernd Hölscher nimmt man den ungestümen Barbaren Wulfgar ebenso ab wie Philipp Otto den Halbling Regis. Die Sprecherauswahl ist |Lausch| respektive Günter Merlau hervorragend gelungen, ohne dass er auf eine Reihe bekannter Synchronstimmen zurückgreifen musste. Bis auf Tobias Meister ist kaum einer der Sprecher als deutsche Stimme eines ausländischen Mimen zu hören.

Die Handlung des achten |Drizzt|-Abenteuers ist eine klassische Fantasy-Geschichte mit einem ausladenden Schlachtengemälde für alle Fans von „Herr der Ringe“. Die Cover-Illustration zeigt sich in gewohnt hochwertiger Qualität: Drizzt und seine Freunde Wulfgar, Bruenor und Regis im Schlachtengetümmel. Der gute Eindruck schwindet auch nicht beim Aufklappen des Begleitheftchens, denn wieder einmal wird das Auge des verwöhnten Fantasy-Fans durch wunderschöne Innenillustrationen beglückt. Ein ausführliches Glossar und eine Karte des Eiswindtals runden die Sache ab.

_Fazit:_

„Die verschlungenen Pfade“ ist spitze! Die Macher von |Drizzt| haben es verstanden, die Fortsetzung von „Der gesprungene Kristall“ noch opulenter und temporeicher zu gestalten. Ein Fantasy-Spektakel mit erstklassigen Sprechern und einem genialen Soundtrack.

_Besetzung:_

|Es spielen und sprechen:|

Tobias Meister, Uwe Hügle, Annabelle Krieg, Peter Tabatt, Ronny Schmidt, Helmut Gentsch, Oliver Elias, Bernd Hölscher, Klaus Robra, Martin Schleiß, Konrad Halver, Roland Floegel, Wolfgang Berger, Günter Merlau, Philipp Otto, Frieder Schölpple, Katinka Springborn, Patrick Holtheuer, Willy Kniep, Thomas Birker, Olaf von der Heydt

Spielbuch: Oliver Elias
Produktion, Regie & Musik: Günter Merlau
Sounddesign & Aufnahmen: Frederik Bolte, Frieder Schölpple, Jens Pfeifer
Layout & Gestaltung: Oliver Graute
Illustration: Tim Seeley, Todd Lockwood, Oliver Graute

|79 Minuten auf 1 CD
Empfohlen ab 14 Jahren
ISBN-13: 978-3-939600-22-0
ISBN-10: 3-939600-22-9|
[Verlagsspezial]http://www.merlausch.de/index.php?option=com__content&task=view&id=201&Itemid=1
http://www.merlausch.de

Die bisherigen drei Staffeln der Serie auf |Buchwurm.info|:

Folge 1: [„Der dritte Sohn“ 2978
Folge 2: [„Im Reich der Spinne“ 3055
Folge 3: [„Der Wächter im Dunkel“ 3082
Folge 4: [„Im Zeichen des Panthers“ 4458
Folge 5: [„In Acht und Bann“ 4422
Folge 6: [„Der Hüter des Waldes“ 4488
Folge 7: [„Der gesprungene Kristall“ 5330

_Florian Hilleberg_

Cortez, Donn – Closer

_Das geschieht:_

Vor drei Jahren hat ein Serienkiller die gesamte Familie des Kunstmalers Jack Salter auf grausamste Weise ausgelöscht. Der ist daraufhin zum unerbittlichen Rächer mutiert. Er sucht den Unhold, doch in dem Wissen, dass noch viele andere Mörder ihr Unwesen treiben, hat Jack seinen Rachefeldzug auf alle in den USA und Kanada aktiven Psychopathen ausgeweitet. Er jagt sie systematisch, lockt sie in die Falle und sperrt sie in seinen privaten Folterkeller. Dort müssen sie ihm ihre Untaten gestehen. Mit der Leiche des schließlich getöteten Mörders werden die dabei entstehenden Tonaufnahmen der Polizei zugespielt.

Die Medien, die Gesetzeshüter und die Angehörigen der Mordopfer haben Jack längst ins Herz geschlossen, da er die Monster auslöscht, die man auf legale Weise oft kaum dingfest machen kann. Mann nennt ihn den „Closer“, denn Jack sorgt dafür, dass die Akten der Mörder geschlossen werden können.

Jack ‚arbeitet‘ auch deshalb so effektiv, weil er sich auf die Unterstützung der Prostituierten Nikki verlassen kann, der er einst das Leben rettete. Gemeinsam haben sie bereits diverse Serienkiller gestellt und ausgeschaltet. Jetzt steht Jack vor seiner größten Herausforderung: Er konnte die geheime „Jagdrevier“-Website infiltrieren, die Webmaster „Dschinn-X“ als Netzwerk für Serienmörder eingerichtet hat. Hier können sie als „Rudel“ miteinander kommunizieren, mit ihren Gräueltaten prahlen und ‚Jagdtipps‘ austauschen.

Wenn Jack die Nicknames der Teilnehmer entschlüsselt, kann er auf einen Schlag ein halbes Dutzend äußerst erfolgreicher Killer eliminieren. Darunter ist auch der „Patron“, in dem Jack den Mörder seiner Familie erkennt. Er gibt sich als „Dschinn-X“ aus und versucht seine Gegner zu täuschen und auszuspionieren. Doch die sind misstrauisch und sehr gewieft, wenn es um ihre Sicherheit geht. Nikki macht sich zudem Gedanken über Jacks psychische Verfassung. Die grausamen Folterverhöre haben ihre Spuren hinterlassen. Ist Jack noch der objektive Rächer, oder hat er das Lager gewechselt und ist selbst zum Lustmörder geworden …?

_Wenn schon, denn schon …_

Verkaufsbewährte Namen und grell angepriesene Unbekannte dominieren den deutschen Krimi-Buchmarkt. Gemeinsamer Nenner ist viel zu oft die mittelmäßige Qualität dieser Elaborate. Man muss wirklich entschlossen sein und über die Fähigkeit verfügen, Enttäuschungen gleich im Salventakt an der Leserseele abprallen zu lassen, will man in diesem Einheitsbrei nicht nur rühren, sondern etwas wirklich Lohnendes gleich Lesenswertes finden.

Wobei „lesenswert“ ja nicht unbedingt „neu“ oder gar „originell“ bedeuten muss. Beide Attribute kann Donn Cortez für „Closer“ sicher nicht beanspruchen. Das lässt sich aber selten so gut verschmerzen wie in diesem Fall. „Closer“ ist Handwerk pur und fern jeder klassischen Qualität, wie das diejenigen, die zwischen ‚Schund‘ und ‚Literatur‘ zu differenzieren pflegen, nur zu gern und angewidert bestätigen werden. Aber „Closer“ macht Spaß. Selten liest man einen Thriller, der nicht nur als Pageturner konzipiert wurde, sondern diesen Anspruch auch erfüllen kann. Dabei hat Donn Cortez im Grunde nur zwei bewährte Regeln beherzigt: Beherrsche deinen Job – das Schreiben – und gib dort Gas, wo die Wankelmütigen zaudern.

Der Vigilant mit seinem Drang zur Selbstjustiz gehört nicht nur in den USA zum festen Inventar der Unterhaltungsmedien. Zu verlockend ist der Gedanke, auf dem Weg zum ‚gerechten‘ Urteil eine Abkürzung zu nehmen, das scheinbar notorisch liberale und auch den überführten Übeltäter schützende Gesetz zu umgehen und die Strafe als Rache zu zelebrieren: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Selten wird dieses Prinzip so kompromisslos durchgespielt wie in „Closer“. Cortez arbeitet wie der Regisseur eines Horror-B-Movies mit intensiven Splatter-Einlagen. Zwar schwelgt er nicht in Blut & Gedärmen, doch er beschränkt sich nicht auf Andeutungen: Wenn Jack und das „Rudel“ foltern, dann erfahren wir, was sie ihren Opfern antun.

_Unter Blut und Schweiß kaum auseinanderzuhalten_

Das geschieht nicht (nur) als Service für die Fans des aktuell beliebten Folter-Pornos à la „Saw“ oder „Hostel“. Tatsächlich beschreibt Cortez ’nur‘ den entsetzlichen „Bind-Torture-Kill“-Alltag realer Serienkiller und lässt diese zusätzlich darüber reflektieren. Wenn die plakativen Sitzungen ausführlicher Foltersitzungen auszuufern drohen, ersetzt Cortez sie lieber durch fiktive ‚Essays‘, in denen „Dschinn-X“, „Gourmet“, „Patron“ oder „Road-Rage“ über ihren ‚Job‘ philosophieren. Das Entsetzen speist sich aus dem sachlichen Tonfall, in dem sie über schauerlichste Gräuel diskutieren.

Auf einer zweiten Handlungsebene ist „Closer“ die mindestens ebenso dramatische Höllenfahrt eines Mannes, der dem folgenschweren Irrtum unterliegt, er könne seinen inneren Frieden wiederfinden, indem er die Welt von ihren Dämonen befreit. „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Dieser berühmte, fast schon zur Plattitüde verkommene Aphorismus Friedrich Nietzsches (Nr. 146; „Jenseits von Gut und Böse“, 1886) trifft den Nagel auf den Kopf. Jack hat die Grenze womöglich überschritten. Diese Frage stellt sich stellvertretend für den Leser Nikki, die nicht nur Jacks Partnerin bei der ‚Jagd‘ ist, sondern auch die Stimme der Vernunft verkörpert, für die Jack taub geworden ist. Wenn er foltert, dann wendet er die Methoden seiner Gegner an. Dabei bedient er sich der gleichen ‚Argumente‘ wie seine Gefangenen, wenn diese ihre Taten rechtfertigen. Kein Wunder, dass Nikki Schwierigkeiten hat, zwischen dem gleichermaßen mit Blut bespritzten Täter und seinem Opfer zu unterscheiden, wenn sie in Jacks Folterkeller schaut.

Die Ambivalenz des Mannes Jack, der im Grunde als Sympathiefigur dargestellt ist, wird von Cortez vorbildlich in den Dienst seiner Geschichte gestellt. Die Sprache ist nüchtern, kein Zeigefinger wird erhoben, keine Kompromisse werden gemacht; es wird erklärt, aber nicht gewertet. Eine literarische Verfremdung der grausigen Fakten findet nicht statt. Dem Leser wird kein Hintertürchen gelassen.

Prompt und vom Verfasser natürlich methodisch geweckt, stellt sich Unbehagen ein. Man wird zum Voyeur gemacht und muss Stellung beziehen: Ist es nicht ‚richtig‘, dass eingefleischte Psychopathen, die dem Gesetz und seinen Hütern viel zu oft durch die Finger schlüpfen, schlicht ausgerottet werden? Cortez verdeutlicht den Preis der Selbstjustiz, und das macht er besser als jeder predigende Gutmensch.

_Mit dem Bleifuß auf dem Spannungspedal_

Im Vordergrund steht für Cortez die Geschichte. Die ist beispielhaft geplottet, weil stringent, rasant und dabei doch voller Überraschungen. Wenn Jack sich gleich mit mehreren Serienkillern anlegt, hat er, den Cortez erfolgreich als extrem organisierten und deshalb so erfolgreichen „Closer“ dargestellt hat, sich eindeutig übernommen. Das Schiefgehen eines ausgeklügelten Racheplans ist Klischee, aber so geschickt, wie hier variiert, beschert er einem Roman zuverlässig zusätzliche Spannungsschübe. Cortez wird im Finale möglicherweise zu theatralisch mit „Patrons“ Rechtfertigung seiner Schandtaten als Katalysator einer monströsen und buchstäblichen „art pour l’art“; hier orientiert sich Cortez unnötig am genialischen Metzel-Vorbild Hannibal Lecter.

Die Idee einer Website für Serienkiller ist so ‚logisch‘, dass sich tatsächlich die Frage stellt, wieso oder ob es so etwas nicht schon gibt. Schon erwähnt wurde, dass Cortez auch hier die ‚richtigen‘, d. h. erschreckenden Worte findet, wenn er seine Psychopathen chatten, über das Für und Wider verschiedener Mordmethoden beraten oder über frustrierende ‚Betriebsunfälle‘ klagen lässt. Dieser Wahnsinn hat Methode. Das lässt ihn sehr real wirken.

„Closer“ ist trotz der Geschwindigkeit, mit der die Ereignisse ablaufen, durchaus keine Hetzjagd von Mord zu Mord. Es gibt Ruhephasen, die vor allem der Erläuterung und Informationsvermittlung dienen. Sie sind sorgfältig in den Erzählfluss eingebettet. Nicht selten sprengen sie dessen Chronologie. Nicht einmal die Einleitung bleibt ohne Zeitsprünge. Was dort geschieht, wer Jack und Nikki sind und wer wen jagt, bleibt zunächst unklar. Nicht nur unsere beiden Hauptfiguren, sondern auch ihre Gegner lernen wir erst ‚bei der Arbeit‘ kennen.

Im letzten Drittel rückt Jacks Erkenntnisprozess in den Vordergrund. Er stellt sich endlich der Frage, ob „Closer“ womöglich der Spitzname eines weiteren Serienkillers geworden ist. Die Antwort fällt erneut anders aus als erwartet. Im Anschluss demonstriert Cortez, wie man den Leser mit einer ganzen Kette infam eingefädelter Schlusstwists von einer Verwirrung in die nächste stürzt: Die wahre Identität des „Patrons“ wird erfolgreich so spät wie möglich gelüftet.

Diese Tour-de-Force leitet gleichzeitig ein Happy End ein, das man nur tragisch, aber nochmals konsequent nennen kann. Es komplettiert einen Thriller, dessen Ökonomie vorbildlich ist. 400 Seiten benötigt Cortez für seine Geschichte. Sie werden mit einer Geschwindigkeit umgeblättert, die sogar den erfahrenen Leser überraschen dürfte …

_Autor_

Donn Cortez ist das Pseudonym des kanadisches Schriftstellers Don H. DeBrandt, der unter seinem Geburtsnamen Science-Fiction und Horror schreibt. „The Quicksilver Screen“, sein Romandebüt von 1992, wurde vom renommierten SF-Magazin |Locus| als Geheimtipp gehandelt. DeBrandt schrieb außerdem für |Marvel Comics|, wo er an Reihen wie „Spiderman 2099“ und „2099 Unlimited“ mitarbeitete.

Seit 2006 verfasst DeBrandt, der im kanadischen Vancouver lebt und arbeitet, Romane zur TV-Serie „CSI: Miami“. Über seine Werke informieren die Websites:

http://www.donncortez.com
http://www.sfwa.org/members/DeBrandt

_Impressum_

Originaltitel: The Closer (New York : Pocket Star Books, a division of Simon & Schuster 2004)
Übersetzung: Friedrich Pflüger
Deutsche Erstausgabe: September 2008 (Knaur Taschenbuch Verlag/TB Nr. 63703)
399 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-426-63703-6
http://www.knaur.de

Als Hörbuch: Oktober 2008 (Argon Verlag)
Sprecher: Martin Kessler
5 CDs in Brillantbox (339 min)
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-86610-548-5
http://www.argon-verlag.de

_Mehr von Donn Cortez auf |Buchwurm.info|:_

[„CSI Miami: Der Preis der Freiheit“ 5017
[„CSI Miami: Tödliche Brandung“ 5122

Schlunze, Robert / Mignola, Mike / Merlau, Günter – Hellboy: Saat der Zerstörung 1 (Folge 1)

_Handlung:_

Im Winter des Jahres 1944 schließen die Nazis ein Bündnis mit einem russischen Magier, um die drohende Niederlage mit schwarzer Magie abzuwenden. Die Alliierten, unter der Beratung von Professor Broom, können das Ritual verhindern. Doch das Höllentor stand lange genug offen, um etwas hindurch zu lassen. Es ist klein, rot und besitzt zwei Hörner.

Gut 60 Jahre später ist es immer noch rot, allerdings stolze 2,13 Meter groß, hat seine Hörner abgefeilt und ist einer der besten Agenten der B.U.A.P., der Behörde zur Untersuchung und Abwehr parapsychischer Aktivitäten. Er nennt sich Hellboy, so wie ihn sein Ziehvater Professor Broom, bei seiner Entdeckung taufte. Hellboy steht vor seiner schwersten Prüfung als Broom ihn zu sich bittet und mit den Nerven am Ende zu sein scheint. Vor Kurzem kehrte der Professor von einer Expedition in die Arktis zurück, an der, gemeinsam mit den Cavendish-Brüdern teilnahm. Dort haben die Wissenschaftler etwas gefunden, was das Ende der Menschheit heraufbeschwören kann. Broom und Hellboy werden von einem riesigen, froschähnlichen Monster attackiert und der Professor stirbt noch in den Armen seines Adoptivsohnes. Hellboy macht sich mit seinen Freunden und Kollegen Liz Sherman und Abe Sapien auf den Weg zum Cavendish-Haus, wo Hellboy hofft Antworten auf seine Fragen bezüglich der Expedition zu finden. Doch was genau den Höllensohn und seine Gefährten dort erwartet übersteigt sogar das Vorstellungsvermögen eines Teufels …

_Meine Meinung:_

Endlich sind die ersten Folgen der neuen Serie aus dem Hause |Lausch – Phantastische Hörspiele| erhältlich, pünktlich zum Kinostart von „Hellboy II: Die goldene Armee“, der am 16. Oktober 2008 anlief.

Die Serie startet sogleich mit zwei Doppelfolgen, wobei der erste Zweiteiler die Vorgeschichte Hellboys erzählt, wenngleich auf eine etwas andere Art und Weise, als es der erste Film getan hat. Wie Janet Sunjic und Günter Merlau von |Lausch| nicht müde werden zu betonen, handelt es sich bei der Hörspielserie keineswegs um ein weiteres Merchandising-Produkt. Vielmehr ist es eine eigenständige Geschichte, welche sich der werkgetreuen Vertonung der Comics von Mike Mignola widmen möchte.

Allerdings sind hier auch alle Hörspielfans goldrichtig, die die Comics und Filme nicht kennen, aber von dem eigenwilligen Stil von |Caine| und |Die Schwarze Sonne| nicht genug bekommen können. Tatsächlich scheint sich |Hellboy| zu einem innovativen Hybrid beider Stilrichtungen zu entwickeln. Unverkennbar sind der trockene Humor und die coolen Sprüche, die bereits in |Caine| zu finden sind, wenngleich |Hellboy| nicht so vulgär ausgefallen ist. Auch in Sachen Szenenwechsel und Musikscore ähnelt die neue Serie |Caine|, während die Handlung um die Nazi-Experimente sehr den entsprechenden Passagen in |Die Schwarze Sonne| gleicht.

Dass Michael Prelle auch bei |Hellboy| den Widersacher spricht, verstärkt diesen Eindruck noch. Der Schauspieler ist wahrlich die perfekte Besetzung für die Rolle des Schwarzmagiers und liefert eine geniale Darbietung ab. Seine Stimme ist wie dafür geschaffen, um charismatische Persönlichkeiten darzustellen und tragende Monologe zu führen, die einem Schauder über den Rücken jagen. Hellboy selbst wird natürlich von Tilo Schmitz gesprochen, der seine Stimme dem roten Riesen bereits in den Verfilmungen lieh. Auch in den Hörspielen trifft der Schauspieler immer den richtigen Ton und schafft es, den schnoddrigen Humor Hellboys echt wirken zu lassen. Liz Sherman wird von Ranja Bonalana gesprochen, die im Hörspielgenre auch als die Freundin des Detektivs Richard Diamond zu hören ist und in |Hellboy| ihre kämpferische Seite ausleben kann. Abe Sapien wird von Joachim Tennstedt gesprochen, der seine Stimme auch schon Schauspielern wie John Malkovich lieh. Erwähnt werden sollte auch Wolf Frass, der den 1st Sergeant der Alliierten verkörpert und dem raubeinigen Soldaten genau den richtigen Militär-Charakter verleiht. Auf einen Erzähler wurde indes verzichtet, denn entweder schildert Hellboy selbst die Ereignisse aus der Ich-Perspektive oder ein anderer Charakter, der gerade eine tragende Rolle spielt. Einige Passagen werden zudem in der Art von Tonbandaufzeichnungen vorgetragen, was den Anschein pseudowissenschaftlicher Dokumentation unterstützt.

Das Drehbuch von Robert Schlunze ist rasant, actionbetont und dennoch sehr atmosphärisch. |Hellboy| ist darüber hinaus auch kein ’normaler‘ Comic-Superheld wie Batman, Spider-Man oder Superman. Er kommt direkt aus der Hölle und muss sich nicht nur mit ehemaligen Artgenossen herumschlagen, sondern auch mit finsteren Gestalten aus der Geschichte der Menschheit. Dabei offenbart das Hörspiel schon recht ausgeprägte Horror-Elemente, die sich durch die grandiose Musik von Günter Merlau noch eindringlicher hervorheben. Das Label |Lausch| beweist abermals, dass es selbst auf einem übervölkerten Markt immer noch mit frischen, neuen Ideen zu überraschen versteht. Die neue Hörspielserie präsentiert sich im bunten Comic-Stil und hebt sich dadurch gut von den anderen Produkten des Labels sowie des restlichen Hörspielmarktes ab.

_Fazit:_

„Saat der Zerstörung“ ist ein fulminanter Start für eine neue Serie. |Hellboy| ist rasante, actionreiche und atmosphärische Hörspielunterhaltung vom Feinsten. Ein innovatives Spielbuch, professionelle Sprecher und ein erstklassiger Musikscore zeugen von dem hohen Qualitätsstandard, der allen Produkten von |Lausch| zu eigen ist.

_Besetzung:_

Hellboy – Tilo Schmitz
Adam Cavendish – Günter Merlau
Abe Sapien – Joachim Tennstedt
1st Sgt. Wittman – Wolf Frass
Liz Sherman – Ranja Bonalana
Lady Cynthia – Dorothea Hagena
Broom – Gerd Samariter
Caleb Cavendish – Martin Schleiß
Magier – Michael Prelle
Sven Olafsen – Roland Floegel
Aron Cavendish – Marco Reinbold
Gibson – Achim Buch
Dr. Manning – Klaus Dittmann
Von Krupt – Robert Schlunze
Lady Cavendish – xxx
Obersturmbannführer – Helmut Gentsch
Liz‘ Mutter – Katinka Springborn

In weiteren Rollen: Dirk Heinrich, Konradin Kunze, Martin Wolf, Wolfgang Berger, Bernd Hölscher, Carlheinz Heitmann, Janet Ivana Sunjic, Svenja Kimbel und Frieder Schölpple.

|60 Minuten auf 1 CD
Empfohlen ab 14 Jahren
ISBN-13: 978-3-939600-47-3|
http://www.merlausch.de
http://www.hellboymovie.com
http://www.cross-cult.de

_Florian Hilleberg_

Haensel, H. / Böhmert, F. / Feldhoff, R. / Effenberger, S. A. / Hagitte, Chr. / Bertling, S. – Land unter dem Teich, Das (Perry Rhodan – Sternenozean, Folge 20)

_Auf Bagger-Mission: Perry gräbt ein Mädel aus_

|Lübbe Audio| vertont die Abenteuer des Kadetten Kantiran und des Sternenadminstrators Perry Rhodan, die in der Unterserie „Sternenozean“ im |Perry Rhodan|-Universum spielen. Bislang sind vierundzwanzig Hörspiele veröffentlicht, doch will |Lübbe| offenbar vierzig Hörspiele produzieren. Dies ist die vierte Staffel.

Folge 19: Unbekannte Mächte zapfen die sechsdimensionale Energie der toten Superintelligenz ARCHETIM in der Sonne an. Als im Rahmen der „Operation Kristallturm“ ein Forschungsschiff zur Aufklärung dieser Vorkommnisse startet, entdeckt TLD-Agentin Mondra Diamond einen gefährlichen Saboteur an Bord …

Folge 20: Zephyda hat einen Konvent einberufen und soll zur stellaren Majestät der Motana ausgerufen werden. Währenddessen erspürt die geheimnisvolle Schildwache Lyressea ihre Schwester in einer Asylkapsel unterhalb der Stadt Kimte. Als sie Perry Rhodan in das Land unter dem Teich führt, wird beiden klar, dass Kimte in wenigen Minuten die Vernichtung droht …

_Die Reihe_

„Perry Rhodan“ ist die größte SF-Heftchen- und Roman-Reihe der Welt. Eine Vielzahl von Autoren schreiben seit Jahrzehnten für die Reihe, und koordiniert wird dieser Aufwand vom |Pabel|-Verlag in Rastatt. Auch Andreas Eschbach fühlte sich geehrt, einen oder zwei Bände beitragen zu dürfen.

Es gab vor der aktuellen |Lübbe-Audio|-Reihe schon Vertonungen der PR-Silberbände, doch nicht in der stilvollen Inszenierung des |STIL|-Tonstudios. Die Vorlage für das vorliegende Abenteuerhörspiel lieferten die Romane „Friedenskämpfer“ von Hubert Haensel, „Das Land unter dem Teich“ von Frank Böhmert sowie Zeuge der Zeit“ von Robert Feldhoff.

Die 1. Staffel:

1) [Der Sternenbastard 3030
2) [Die Mascantin 3031
3) [Der Hyperschock 3035
4) [Planet der Mythen 3058
5) [Havarie auf Hayok 3263
6) [Das Blut der Veronis 4468

Die 2. Staffel:

7) [Der Gesang der Motana 3627
8) [Sonderkommando Kantiran 3639
9) [Tau Carama 3656
10) [Überfahrt nach Curhafe 3664
11) [Entscheidung in Vhalaum 3682
12) [Die Femesängerin 3699

Die 3. Staffel:

13) [Der Flug der Epha-Motana 4589
14) [Terraner als Faustpfand 4592
15) [Die Sekte erwacht 4595
16) [Der Todbringer 4609
17) [Kampf um den Speicher 4633
18) [Die mediale Schildwache 4661

Die 4. Staffel:

19) [Operation Kristallsturm 5339
20) Das Land unter dem Teich
21) Attentat auf Hayok
22) Kybb-Jäger
23) Auf dem Weg nach Magellan
24) Jenseits der Hoffnung

_Die Sprecher & Die Inszenierung_

Erzähler: Christian Schult (Richard Belzer in „Law & Order: New York“)
Perry Rhodan: Volker Lechtenbrink (Schauspieler, Sänger, Synchronsprecher: Kris Kristofferson, Burt Reynolds als ‚Logan‘)
Atlan: Volker Brandt (Stimme von Michael Douglas)
Rorkhete: Charles Rettinghaus (Jean-Claude van Damme)
Lyressea: Yara Blümel-Meyers (‚Aura Institoris‘ in den Hörspielen zu „Die Alchimistin“)
Zephyda: Claudia Urbschat-Mingues (Angelina Jolie, Kristanna Loken, Maria Bello)
Ilkhete: Barbara Ratthey (Elaine Stritch, Miranda Richardson in „Merlin“ 1 & 2)
Kischmeide: Karin David
Sowie Martin Baden und Kerstin Ratschke.

Volker Lechtenbrink wurde 1944 in Cranz/Ostpreußen geboren. Bereits als Achtjähriger sprach er im Kinderfunk und stand zwei Jahre später auch schon auf der Bühne. 1959 wurde er durch den Antikriegsfilm „Die Brücke“ (Regie: Bernhard Wicki) bundesweit bekannt. Er besuchte die Schauspielschule in Hamburg und ist heute in zahlreichen TV-Serien zu sehen. Darüber hinaus ist er am Theater tätig, geht auf Tourneen oder wirkt als Intendant. (Verlagsinfo)

Die Hörspieladaption stammt von S. A. Effenberger. Regie, Musik, Ton und Programmierung lagen in den Händen von Christian Hagitte und Simon Bertling vom Ton-Studio |STIL|. „Die Musik wurde exklusiv für die Perry-Rhodan-Hörspiele komponiert und vom Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte live eingespielt. Die elektronischen Klänge und Effekte wurden speziell für die Hörspiele vom |STIL|-Team durch den Einsatz von Computertechnik generiert“, heißt es im Booklet. Executive Producer der Reihe ist Marc Sieper.

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ von |Radiopilot|. Musik und Text stammen von Lukas Pizon und Rafael Triebel. Mehr Info: www.radiopilot.de und MySpace.

_Vorgeschichte_

Die Lage des Jahres 1332 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist in der Galaxis so bedrohlich und zugleich offen wie seit Jahren nicht mehr. Und alles bewegt sich auf eine einzige Veränderung hin: die Erhöhung des Hyperphysikalischen Widerstandes, kurz Hyperimpedanz genannt. Dieser „Hyperimpedanzschock“ trifft die Galaxis mehrfach. Durch ihn fällt jede hochwertige Technologie aus. Dies kündigt sich durch eine stark verminderte Höchstgeschwindigkeit der Raumschiffe und eine reduzierte Reichweite des interstellaren Hyperfunks an. Auch das Gesicht der Galaxis verändert sich. Durch die Hyperimpedanz ausgelöst, kommt es zu schweren Hyperstürmen und Raumbeben. Bisher unter Hyperkokons verborgene Sternenhaufen stürzen in die Galaxis zurück.

In dieser Zeit sind Perry und Atlan noch immer im Sternenozean von Jamondi verschollen, jenem optisch nicht wahrnehmbaren Sternhaufen, der direkt neben dem Sektor Hayok aufgetaucht ist – aus einem Hyperkokon, in den er offenbar seit Jahrmillionen gehüllt war. Es gibt Verbindungen zwischen der Galaxis und Jamondi, die sich den Menschen bisher noch nicht erschließen. Fieberhaft arbeiten terranische Wissenschaftler an Erklärungen für die angestiegene Hyperimpedanz.

|Unterdessen im Jamondi-Sternenozean.|

Im Jahr 1332 NGZ sind Perry und Atlan, die beiden Unsterblichen und ehemaligen Ritter der Tiefe, noch immer im Jamondi-Sternenozean unterwegs. Seite an Seite mit den menschenähnlichen Motana und dem Nomaden Rorkhete stehen sie im Kampf gegen die Herrscher des Sternenhaufens, die Kybb – kybernetische, igelähnliche Wesen. Ein Kontakt mit Terra ist nicht möglich – siehe oben.

Nach großen Anfangserfolgen ihres Aufstandes zerplatzt die Zuversicht der Rebellen, als sie erstmals den übermächtigen Kybb-Traken gegenüberstehen. In einem einzigen Gefecht über dem Planeten Baikhal Cain geht den Motana eine große Zahl ihrer bionischen Kreuzer an die Kybb verloren (Folge 18). Nachdem Perry während der Kämpfe die geheimnisvolle Schildwache Lyressea aus ihrer zeitlosen Asylkapsel auf Baikhal Cain befreit hat, sind die Gefährten nach Tom Kartay, der einzigen freien Motana-Welt, zurückgekehrt, um den Kampf gegen die Kybb fortzuführen.

_Handlung_

Damit die Revolte nicht stirbt, bevor sie so richtig begonnen hat, wird ein Konvent der planetaren Majestäten einberufen, der die junge Motanafrau Zephyda zur Stellaren Majestät erheben soll. Nur unter ihrem Kommando vereint können die Motana den Befreiungskrieg gegen die Kybb führen, den sie sich in den langen Jahren der Unterdrückung immer erhofft haben. Einzige Kandidatin für das Amt ist Zephyda. Als sie in der Festung Rödergorm ihre Rede hält, sorgt sie unter den über 300 Planetaren Majestäten für einiges Aufsehen.

Sie berichtet nämlich, was sie und Perry von der Medialen Schildwache Lyressea erfahren haben. Vor sieben Millionen Jahren herrschte in unserer Milchstraße und der Großen Magellanschen Wolke (GMW) ein Bruderkrieg. In der GMW fiel der Gott Gon-Orbhon vom wahren Glauben ab und schuf eine große Festung: Parrak. Die Schutzherren der Galaxien waren machtlos gegen ihn. Nach sieben Jahrhunderten beendete die Superintelligenz ES den Krieg, indem sie den Sternenozean von Jamondi und die Bastion von Parrak in sogenannten Hyperkokons voneinander abschottete: kleinen Taschenuniversen.

Doch der Schutzherr Takazani wurde ebenfalls abtrünnig und initiierte eine Revolte, die als „Blutnacht von Barings“ in die Geschichte einging. Dabei wurden alle Schutzherren bis auf eine getötet, die fliehen konnte. Fortan herrschten die Kybernetischen Völker über den Sternenozean, denn die Kybb Cranar halfen Takazani. Sie unterdrückten die Motana fortan brutal. Bis heute residiert Takazani in seinem Schloss Kerzesch, das sich im Afronie-Sternhaufen befindet. Dieser Sternhaufen ist von Jamondi ebenfalls durch einen Hyperkokon abgetrennt. Und Gon-Orbhon herrscht noch immer in der Großen Magellanschen Wolke.

Nun ist jedoch Jamondi in den Normalraum zurückgestürzt, was für Terra die Gefahr eines Angriffs der Kybb heraufbeschwört. Um sowohl den Motana als auch Terra zu helfen, will die Mediale Schildwache Perry Rhodan und Atlan, die ehemaligen Ritter der Tiefe, in den Stand von Schutzherren erheben und ihnen somit mehr Macht verleihen. Zu diesem Zweck müssen jedoch die anderen fünf Schildwachen ebenso gefunden werden wie das Paragonkreuz.

Die erste dieser fünf Schildwachen spürt Lyressea bereits auf dieser Welt, auf Tom Kartay. Es sei ihre Schwester Katiane, und sie befinde sich tief unten, am Fuße des Stadt-Baums von Kimte. Nach einigem Suchen entdecken sie, dass Katianes Asylkapsel unter dem Boden des Teiches liegen muss. Zusammen mit Perry betritt sie die Tunnel, die in das Land unter dem Teich führen …

_Mein Eindruck_

Endlich haben wir unsere alten Helden wieder! Da sind Perry, Atlan, die schöne Zephyda und der geheimnisvolle Shozide Rorkhete, eine Art letzter Mohikaner. Zephyda erlangt nun höchste Würden, wird sich doch ruckizucki zur Stellaren Majestät gewählt. Es macht nichts, wenn wir nicht wissen, wie sie zu dieser Würde kommt, wo sie doch nur eine Planetare Majestät unter 300 ist. (Ob die Zahl 300 etwas mit den Spartanern des Königs Leonidas zu tun hat, wage ich zu bezweifeln.) Hauptsache, Zephyda tritt den anderen Majestäten verbal in den Hintern und macht ihnen klar, dass es Zeit für einen ordentlichen Befreiungskrieg ist. Wir wähnen uns im Amerika des Jahres 1776.

Unterdessen im Sumpf. Hier schleicht Perry mit seinem Spezialmädel, der Medialen Schildwache Lyressea, durch Busch und Strauch. Picknick und Schäferstündchen stehen jedoch nicht auf dem Stundenplan, sondern vielmehr das Ausbuddeln einer weiteren Schildwache: Schwesterherz Katiane soll die Gute heißen, und ganz klar ist Perry auch auf dieses Mädel scharf. Vielleicht ahnt er ja auch schon, was er von all diesen Schildwachen bekommen kann: nämlich die Erhebung zur Würde des Schutzherren.

Wie auch immer: Der Held muss mal wieder wie weiland Odysseus und Faust „hinab zu den Müttern“, will heißen: in den Bauch der Erde. Dort ist jedoch ebenfalls nicht Baggern angesagt, sondern die Befreiung der Schildwache (was im Grunde aufs selbe hinausläuft). Die stellt sich als schwieriger heraus als gedacht, denn wenn die „Asylkapsel“ Katianes bewegt wird, dürfte ein Selbstzerstörungsmodus aktiviert werden, der große Hitze entwickelt. Diese wiederum dürfte den Stadt-Baum in Brand setzen, aus dem die hiesige Stadt Kimte besteht. Die Bürgermeisterin Kishmaede ist denn auch wenig entzückt von dieser Nachricht aus dem Sumpf. Sie ordnet die Evakuierung an.

Nun darf auch Rorkhete mitbaggern. Wie sonst soll die Asylkapsel auch ausgegraben werden? Vielleicht braucht der letzte (und ganz bestimmt ziemlich einsame) Shozide aber auch ein eigenes Mädel? Wie auch immer: Die Außenschleuse der Kapsel öffnet sich – und wie so oft bei der Begegnung mit weiblichen Wesen ist der Gang dahinter tiefer als Mann denkt. Genauer gesagt, führt ein Dimensionstor auf eine andere Welt. Da staunen Perry und Rorkhete nicht schlecht.

Dumm nur, dass die fremde Welt einen verderblichen Einfluss auf ihre Besucher auszuüben scheint. Lyressea sieht mit Schrecken, wie Rorkhete seine Waffe gegen sie erhebt. Und Perry, der sich auf die Prärie hinausgewagt hat, wird plötzlich von einem gigantischen Reittier verfolgt. Nein, es ist nicht Woody Allens Riesenbusen, der sich selbständig gemacht hat, sondern etwas viel Schlimmeres: eine Riesenamöbe …

Wie man sieht, scheint es mit unseren Helden ziemlich rasch ein böses beziehungsweise lächerliches Ende zu nehmen. Da jedoch die Serie weitergehen muss, komme was da wolle, ist anzunehmen, dass die Riesenamöbe schon bald ein frühzeitiges Ableben ereilen wird, und auch Lyressea zeigt, was in ihr steckt. Schließlich hängt die Zukunft des Universums von ihr ab.

_Die Inszenierung_

Im Rahmen einer guten Radiostunde erlebt der Hörer hier ein mal mehr, mal weniger actiongeladenes Drama, das es in puncto Produktionsqualität mit einer Star-Wars-Episode aufnehmen kann. Die SF-Handlung, kombiniert mit Fantasyelementen – immer wieder sind Psikräfte am Werk -, weiß für flotte Unterhaltung zu sorgen.

So fangen Sternenopern an: mit einer schmissigen Titelmelodie und raunenden Stimmen, die Schicksalhaftes verkünden. Ein Erzähler wie Christian Schult hat eine recht hohe Autorität und wir glauben ihm seine Geschichte nur allzu gern, wenn er von der Flucht Perrys und Atlans erzählt. Atlan klingt wie Michael Douglas. Ihm und Volker Lechtenbrink als Perry Rhodan nehme ich die Actionhelden ab. Die Figur des Rorkhete gewinnt zunehmend an Bedeutung, und mit Charles Rettinghaus drängt sich die deutsche Stimme von Jean-Claude van Damme in den Vordergrund. Können wir also künftig mit mehr Action rechnen?

|Geräusche|

Die größte akustische Leinwand bemalen jedoch die tausend elektronisch erzeugten Sounds, die der ganzen Handlung erst das kosmische Science-Fiction-Feeling verleihen. Ohne sie könnte es sich ebenso gut um Fantasy auf einem fernen Planeten handeln, wie sie z. B. Jack Vance fabriziert hätte.

Diese Sounds kommen besonders gut in dem Land unter dem Teich und auf dem neuen Planeten zum Tragen. Hier könnte ich mir sehr gut einige charakteristische Sound-Samples aus |Star Trek| oder |Star Wars| vorstellen, doch diese Vorgaben vermeiden die Sounddesigner mit peinlicher Genauigkeit. Sie hätten ja sonst womöglich Lizenzgebühren zahlen müssen.

|Musik|

Insgesamt sind die Musik und die Geräuschkulisse eine ganze Menge Aufwand für eine simple Sternenoper, aber es lohnt sich: Das Hörspiel klingt höchst professionell produziert. Ich könnte Gegenbeispiele nennen, in denen die Musikbegleitung in die Hose ging, aber sie stammen alle nicht vom Studio |STIL|.

|Der Song|

Am Schluss erklingt der Song „Post #1“ der deutschen Band |Radiopilot|. Mit dreieinhalb Minuten Länge ist er von durchschnittlicher Popsonglänge. Nach den obligaten Perry-Rhodan-Zitaten hören wir einen elektronisch verzerrten deutschen Text von erstaunlicher Banalität. Er ist mit einem Drum-&-Bass-Rhythmus unterlegt, der wie ein stockender Herzschrittmacher klingt, welcher gerade den Geist aufgibt. Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Song sonderlich eindrucksvoll fand. Aber wahrscheinlich soll das Ganze unheimlich innovativ wirken.

|Das Booklet …|

… umfasst neben den oben genannten Credits auch jede Menge Werbung für die vorhergehenden Episoden der Serie. Außerdem findet sich in der CD-Box ein Einleger mit Werbung für die Band |Radiopilot|. Offenbar findet hier eine Art Reklameaktion auf Gegenseitigkeit statt. Das interessiert mich aber nicht die Bohne. Am wichtigsten ist im Booklet die Sektion „Was bisher geschah …“, die eine Zusammenfassung dessen gibt, was der Hörer für die vorliegende Episode an Vorgeschichte wissen muss.

_Unterm Strich_

Was ist bloß aus unseren Helden Perry Rhodan, Kantiran und Zephyda geworden, fragte ich mich in Folge 19, doch nun habe ich die Antwort: Sie sind quicklebendig und wie stets zu Abenteuern aufgelegt. Diesmal bekommen es Perry und Rorkhete mit gleich zwei Schildwachenmädels zu tun. Hoffentlich können sie sich entscheiden, wer welches anbaggert. Denn Baggern muss sein, um Katiane aus der Asylkapsel, einem Raumschiff, herauszubekommen. Nur die lächerliche Riesenamöbe, gelenkt von „Echsenwesen“, hätte wirklich nicht sein müssen. Manchmal schlagen die Drehbuchautoren wirklich über die Stränge.

Jugendliche beiderlei Geschlechts zwischen 14 und 17 Jahren dürften sich rasch mit den Helden identifizieren, und das ist eine der besten Voraussetzungen, ein treues Publikum aufzubauen. Auch Zephyda ist eine solche Identifikationsfigur, und ich hoffe, dass sie möglichst lange Teil des Serienpersonals bleibt.

Was die Qualität des Inhalts angeht, so darf man wohl kaum tiefschürfende und daher langweilige Monologe erwarten. Vielmehr sind kämpferische Action und romantische Exotik angesagt – das ist genau die Mischung, die auch „Star Wars“ so erfolgreich gemacht hat. Über einen Mangel an Action konnte ich mich diesmal wirklich nicht beklagen.

|69 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3596-1|
http://www.perryrhodan.org
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name
http://www.perry-rhodan-game.com
[Ausführlicher Überblick über diesen Zyklus der Heftromanserie]http://www.perrypedia.proc.org/Der__Sternenozean__%28Zyklus%29

_Mehr |Perry Rhodan| auf |Buchwurm.info|:_

[„Die Sternenarche“ 769 (Perry Rhodan – Lemuria 1)
[„Der Schläfer der Zeiten“ 871 (Perry Rhodan – Lemuria 2)
[„Exodus der Generationen“ 886 (Perry Rhodan – Lemuria 3)
[„Der erste Unsterbliche“ 949 (Perry Rhodan – Lemuria 4)
[„Die letzten Tage Lemurias“ 1021 (Perry Rhodan – Lemuria 5)
[„Die längste Nacht“ 1137 (Perry Rhodan Lemuria 6)
[„Die Lebenskrieger“ 2189 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA 1)
[„Die Trümmersphäre“ 2468 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA Band 2)
[„Die Quantenfestung“ 3050 (Perry Rhodan PAN-THAU-RA 3)
[„PERRY RHODAN: Odyssee“ 3240
[„Die Kaiserin von Therm“ 3241 (Perry Rhodan Silberband 94)
[„Die Rückkehr“ 1611 (Perry-Rhodan-Roman 2295)
[„Das Antares-Riff“ 1706 (Perry Rhodan Extra 2)
[„Perry Rhodan – Das Rollenspiel“ 2925 (Grundregelwerk)

McFadyen, Cody – Böse in uns, Das

Wer das Treiben des amerikanischen Schriftstellers Cody McFadyen schon etwas länger verfolgt, für den ist die FBI-Agentin Smokey Barrett keine Unbekannte. Smokey hat in „Das Böse in uns“ bereits ihren dritter Auftritt und muss sich auch dieses Mal mit einem verzwickten Fall herumschlagen …

Lisa Reid, eine junge Frau, die früher ein Mann war und zudem einflussreiche Eltern in der Politik hat, wird während eines Flugs getötet. Erst als das Flugzeug gelandet ist, merkt man, dass Lisa nicht mehr lebt. Smokey und ihr Team bekommen den Fall, da aufgrund des Berufs der Eltern besondere Rücksichtnahme nötig ist. Nichts darf an die Presse, doch dann stellt sich heraus, dass der Mörder im Körper der Leiche ein Kreuz mit einer Zahl hinterlassen hat. Was hat das zu bedeuten? Die Zahl ist dreistellig – hat der Mörder etwa schon über hundert Tote auf dem Gewissen?

Tatsächlich findet man wenig später die Leiche einer weiteren Frau, einer ehemaligen Prostituierten. Smokey sucht nach Berührpunkten zwischen den Opfern. Es scheint, als ob sie alle ein düsteres Geheimnis verbergen würden. Kurz darauf nimmt der Mörder Kontakt zu den Ermittlern auf: über eine Videoplattform, ähnlich dem Portal |youtube|. Das Dumme dabei ist, dass er außerdem die Videos sämtlicher Morde in den letzten Jahren hochlädt und sich dieser Skandal im Internet natürlich rasend verbreitet. Die Ermittler stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie haben immer noch keine Spur, und nun droht der Täter damit, als nächstes ein Kind umzubringen …

„Das Böse in uns“ ist eines dieser Bücher, bei denen sich alles um die Hauptperson dreht. Smokey Barrett ist allerdings auch eine selten gute Protagonistin. Sie wirkt sehr eindrücklich und unglaublich realistisch, da sie durch ihren Beruf und einige harte Schicksalsschläge gezeichnet ist. Das sorgt dafür, dass sie sich zum einen sehr viele Gedanken über das Leben macht (und dabei auf einen großen Schatz von Erfahrungen zurückgreifen kann) und zum anderen eine sehr eigene, beinahe schon zynische Sicht der Dinge zugelegt hat. Gleichzeitig wird sie aber nie zu einseitig. Ein Hoffnungsschimmer bleibt immer. McFadyen hat eine schöne Balance zwischen der düsteren und hoffnungsvollen Seite seiner aus der Ich-Perspektive erzählenden Hauptperson gefunden, so dass der Leser sich gut mit ihr identifizieren kann.

Smokey schildert die Handlung also aus ihrer Sicht – auch wenn es einige, seltene andere Perspektiven gibt – und reichert diese daher mit sehr vielen Überlegungen und Meinungen zum Geschehen an. Der Thriller ist dadurch alles andere als objektiv, denn Smokey durchtränkt, wie bereits erwähnt, das ganze Buch mit ihrer starken Persönlichkeit. Da diese Abschweifungen trotz allem auf den Punkt kommen und nicht ausufern, behindern sie die spannende, geradlinige Handlung nicht. McFadyen schafft es, den Leser das ganze Buch über bei der Stange zu halten, indem er eine fesselnde Verbrecherjagd inszeniert. Gefüttert mit nur dem Nötigsten, fiebert der Leser mit der Heldin und ihren Leuten mit und folgt gebannt den einzelnen, häufig falschen Spuren.

Der Schreibstil des Autors hängt sehr eng mit der Hauptperson zusammen, da aus ihrer Ich-Perspektive erzählt wird. Genau wie Smokey ist die Geschichte dadurch manchmal zynisch, manchmal verletzlich, dann wiederum taff und aggressiv. McFadyens Umgang mit der Sprache ist elegant, ohne hochgestochen zu klingen. Er webt viele Sprichwörter und Redewendungen ein, was den Eindruck, Smokey direkt gegenüberzusitzen, zusätzlich verstärkt. Die Atmosphäre ist insgesamt recht düster und traurig, ganz wie die schicksalsgebeutelte Protagonistin, versinkt aber nicht in einem Tränenmeer.

„Das Böse in uns“ von Cody McFadyen ist ein rundherum gelungener Thriller mit einer spannenden Handlung, einer entsprechenden Grundstimmung und einer tollen Protagonistin. Der Roman ist zwar nicht unbedingt die originellste Kost – Serienmörder kommen ja mittlerweile in fast jedem amerikanischen Thriller vor -, lässt sich aber leicht lesen und bereitet Freude.

|Originaltitel: The darker side
Aus dem Englischen von Axel Merz
445 Seiten, Hardcover
ISBN-13: 978-3-7857-2339-5|
http://www.luebbe.de
http://www.codymcfadyen.com

_Cody McFadyen bei |Buchwurm.info|:_

[„Die Blutlinie“ 3120
[„Der Todeskünstler“ 4473

Thompson, Kate – silberne Pferd, Das

_Es waren zwei Königskinder …_

Als der jugendliche Reiter Michael den verlassenen Pfad entlangreitet, trifft er am Flussufer Annie. Annie, die mit den vielen Piercings so viel anders ist als er selbst. Eine Leidenschaft teilen sie: Beide lieben Pferde. Michael erklärt sich bereit, Annie Reitstunden zu geben, und mit der Zeit verlieben sie sich. Doch Annie umgibt ein düsteres Geheimnis, welches sie trotz ihrer Liebe nicht preisgeben kann. Er muss den tückischen Fluss durchqueren, um sie für sich zu gewinnen…

Die Geschichte basiert nach Angaben der Autorin auf dem Volkslied „Annan Water“ aus dem 17. Jahrhundert, das 1890 erstmals in schriftlicher Form veröffentlicht wurde.

_Die Autorin_

Kate Thompson, 1956 geboren, wuchs in England auf, trainierte Rennpferde in USA, studierte Jura in London und machte ausgedehnte Reisen durch Indien, bevor sie sich in Kinvara im irischen County Galway niederließ. Dort entwickelte sie ihre Leidenschaft für das Fiddlespiel. Sie hat eines ihrer Zimmer in eine Werkstatt umgewandelt, in der sie alte Instrumente restauriert.

Sie schreibt Lyrik, Drehbücher, Romane und Kinder- und Jugendbücher, für die sie bereits zweimal den |Irish Children’s Book of the Year Award| gewonnen hat. Ihr Roman [„Zwischen den Zeiten“ 3668 wurde laut Verlag mehrfach ausgezeichnet.

_Handlung_

Der etwa 14 Jahre alte Michael lebt mit seinen Eltern Jean und Frank auf einer Pferdefarm. Ursprünglich stammt die Familie aus Yorkshire, doch nach dem Tod der kleinen Tochter zogen die Eltern ins schottische Dumfries, von wo Jeans Familie stammt. Hier schuftet Michael von frühmorgens bis spätabends für eine Gewinnbeteiligung am Pferdehandel. Die Schule leidet natürlich darunter, aber Michael gelingt es, seine Eltern darüber zu täuschen, wie mies seine Leistungen in Wahrheit sind. Das wird sich bald ändern …

Bei einem Ausritt mit der lebhaften silbergrauen Stute (des deutschen Titels) und einem Wallach auf einem vergessenen Pfad gelangt Michael an einen Fluss, vor dem die Stute zurückschreckt. Angesichts des Wassers geht ihm ein Vers eines Liedes durch den Sinn, das ihm seine Großmutter in Dumfries immer vorgesungen hat: „Annan Water“. Das Wasser verkündet einem jungen Mann, der zu seiner liebsten Annie will, Unglück.

Zwei Erwachsene und ein Teenager-Mädchen begrüßen ihn. Mike wundert sich über die vielen Piercings, die das Mädchen im Gesicht trägt. Sie stellt sich als Annie vor und würde sehr gerne reiten lernen. Sie wohnt am anderen Flussufer mit ihrer Mutter, die an Multipler Sklerose leidet. Ein Nachbar namens Jimmy Souter, den Mikes Mutter noch als Nachbarn kennt, unterstützt die beiden.

Aus den Reitstunden für Annie wird schnell mehr, als sie sich begeistert und mit Schwung an den Arbeiten auf dem Pferdehof beteiligt. Auch Jean und Frank sind von ihr begeistert, weil sie ihnen so viel Arbeit abnimmt. Doch Michael ist von ihr mehr als nur beflügelt: Er verliebt sich unversehens in sie. Doch während er sie küsst, vergisst er seine Pflichten. Seine Mutter Jean stürzt mit ihrem Pferd auf regennassem Boden. Beim Parken am Krankenhaus verursacht er einen Verkehrsunfall, den er seinen Eltern verschweigt.

Obwohl er mit Annies Motivation eine Pferdeschau nach der anderen gewinnt und sie selbst ebenfalls einen Sieg nach Hause holt, ist das dicke Ende doch unausweichlich. Und als Annies Vater aus dem Knast entlassen wird und mit Annie wegziehen will, dreht Michael vor Angst und Frust vollends durch. Darauf hat der tückische Fluss vor Annies Haus nur gewartet …

_Mein Eindruck_

Der Leser fragt sich unwillkürlich, was denn an diesem recht prosaischen Plot bitteschön „phantastisch“ sein soll. Tatsache ist jedoch, dass nirgends auf dem Umschlag das verräterische Etikett „Fantasy“ steht und es sich daher einfach um eine recht poetisch aufgemotzte Romanze handeln darf. Vielleicht sind deswegen allenthalben weiße Blümchen auf dem Umschlag zu finden.

Wer also wie ich von Kate Thompsons phantastischen Romanen wie [„Zwischen den Zeiten“ 3668 begeistert war, dürfte sich relativ enttäuscht sehen. Aufhänger der Story ist besagtes altes Volkslied „Annan Water“, das unsere zwei Königskinder trennt, so dass sie nicht ordentlich zueinander kommen können.

Wer jedoch genauer hinschaut, der entdeckt, dass die beiden Hauptfiguren Michael und Annie aus ihren jeweiliges familiären Gefängnissen ausbrechen wollen und müssen, um ihrer inneren Bestimmung folgen zu können. Michael möchte eigentlich ein Tierarzt sein, doch der Pferdehandel in der Drei-Mann-Familie nimmt ihn derartig in Beschlag, dass er sogar für die Hausaufgaben zu müde ist. In Annie steckt eine verhinderte Künstlerin oder Innenarchitektin. Sie ist jedoch durch Frust und Schuldgefühle in ihrem Unterbewusstsein so sehr gegen sich selbst gerichtet, dass sie sich pierct und ritzt, um sich spüren zu können (Borderline-Persönlichkeitsstörung).

Der dunkle Fluss stellt die Barriere dar, die die beiden sowohl buchstäblich als auch psychologisch und sozial voneinander trennt. Folglich muss einer von beiden irgendeinen Weg finden, die Barriere zu finden und so sie beide zu befreien. Der Haken dabei ist die große Gefahr, die den Versuch der Überquerung mit dem Tode bedroht.

Letzten Endes ist es, wie sich zeigt, eine Frage des Vehikels: Die quecksilbrige Stute („the bonny grey mare“ des Liedes) verweigert den Dienst, doch der brave Wallach trägt Michael gerne in das tosende Wasser, auch um den Preis des eigenen Lebens. Wie das Lied es ausdrückt: Wahre Liebe baut eine Brücke, und Treue ermöglicht das Fundament.

Bange Wochen vergehen, in denen die Familien nichts von dem verschwundenen Liebespaar hören. Haben sie es geschafft, zueinander zu gelangen, oder treiben sie mit dem Fluss dem Meer entgegen? Das soll hier nicht verraten werden. Im Lied geht der Überquerungsversuch unglücklich aus.

|Realismus|

Was mich jedoch besonders für das Buch eingenommen hat, ist nicht die recht konventionelle Liebesromanze, sondern der beeindruckend realistisch geschilderte Alltag eines Pferdehändlerhofes. Hier wird nicht gezüchtet oder aufgezogen, sondern nur gehandelt. Allerdings müssen die Ponys und Pferde zugeritten werden, um einen Mehrwert damit erzielen zu können. Die sichersten und gehorsamsten Tiere erzielen auf Pferdeschauen nicht nur Auszeichnungen, sondern in den nachfolgenden Verhandlungen auch bessere Preise.

Es gibt eine gute Episode, in der die Autorin, vertreten durch Jean und Michael, nichtsnutzige, schlechte Reiter kritisiert. Eine dünkelhafte Mittelklassemami will für ihren ebenso hochnäsigen, aber schweigsamen Sohnemann ein passendes Pony kaufen. Das Pony ist brav und gut ausgebildet, doch der junge Reiter ist viel zu ängstlich und nimmt das Tier viel zu stark an die Kandare, so dass es völlig durcheinander gerät. Die ganze Partie endet schließlich, wie es Michael hat kommen sehen: in einem Sturz. Selbstredend gibt Supermami dem Ponybesitzer die Schuld statt ihrem inkompetenten Sohn. Dass Michael Recht hat, zeigt er später bei einem Schaurennen.

_Unterm Strich_

Solche Szenen kann man sich sehr plastisch wie einen Film vorstellen. Das Buch besteht fast nur aus solchen Szenen und lässt sich daher ohne Mühe verstehen und lesen. Die Schrift ist groß gehalten, die Kapitel sind kurz wie bei James Patterson.

In Irland käme so ein Buch wahrscheinlich nur in einer winzigen Auflage als Liebhaberausgabe auf den Markt, aber die Autorin hat bei uns dank der guten Presse- und Marketing-Arbeit des Verlags ein größeres Publikum.

Dieses Publikum besteht vor allem aus weiblichen Fans, und sie dürften sich für die Romanze auf dem Pferdehof besonders begeistern. Mich selbst hat mehr die realistische Darstellung von Michaels Umwelt überzeugt. Von Annie hingegen erfahren wir nur sehr wenig, weil intensivere psychologische Szenen kaum vorhanden sind, in denen sie das Ritzen und Piercen näher erklären kann.

Für ein Buch, das die realistische und in die Gegenwart verlegte Umsetzung eines alten Volksliedes darstellt, vermag „Das silberne Pferd“ dennoch sehr gut zu unterhalten. Man darf jedoch keine höheren Erwartungen hegen. Weder Krimi- noch Fantasyliebhaber kommen hier auf ihre Kosten. Und der Liedtext ist auch nicht ins Deutsche übertragen worden.

|Originaltitel: Annan Water, 2004
Aus dem Englischen von Kattrin Stier
219 Seiten
Empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-30447-1|
http://www.cbj-verlag.de

Schneider, Frank Apunkt – Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW

_Inhalte:_

„Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW“ beschreibt, wie der Titel bereits andeutet, die beiden Begriffswelten Punk und NDW nicht als geographische, zeitliche oder ideologische Gegensätze, sondern als Kontinuum; wobei Frank Apunkt Schneider den Begriff NDW im weitesten Sinne auslegt, sodass zwischen |030| und |ZZZ HACKER| dort alles seinen Platz findet: von Unbekanntem mit mehr oder weniger gewollt banalen bis seltsam-lustigen Namen (|ARMUTSZEUGNIS|, |B. TRUG|, |THE DIESE HERREN|, |DIN-A-TESTBILD|, |DON CAMILLO UND DIE SCHILDBÜRGER|, |ERSTE WEIBLICHE FLEISCHERGESELLIN NACH 1945|, |WAFFELSCHMIEDE|, |KNUSPERKEKS|) über jazzig Angehauchtes (|ES HERRSCHT UHU IM LAND|, |HUBA HUBA HOPP|), die mit den krassen Namen (|ERTRINKEN VAKUUM|, |BRUTAL VERSCHIMMELT|, |KOTZEN UND ERHÄNGEN|, |SÄUREKELLER|, |MASSENMORD|, |ROTZKOTZ|, |BLITZKRIEG|), Elektro-Experimentelles (|KRAFTWERK|, |DIG IT AL(L)|, |CONRAD SCHNITZLER|, |MONOTON|) und Bekanntes (|ABWÄRTS|, |DAF|, |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN|, |IDEAL|, |DIE KRUPPS|, |FISCHER Z|, |FEHLFARBEN|, |NORMAHL|, |OHL|, |PALAIS SCHAUMBURG|, |SLIME|, |SOILENT GRÜN|, |BOSKOPS|, |DIE ÄRZTE|, |FOYER DES ARTS|, |CHUZPE|, |FALCO|, |THE BUTTOCKS|, |HANS-A-PLAST|, |NEONBABIES|, |DER PLAN|, |DIE TÖDLICHE DORIS|, |TOXOPLASMA|) bis hin zu allzu Bekanntem (|NINA HAGEN BAND|, |IXI|, |NENA|, |HUBERT KAH MIT KAPELLE|, |DIE TOTEN HOSEN|).

Frank Apunkt Schneiders grundlegende Hypothese ist die, dass Punks und Neue-Deutsche-Welle-Macher, egal ob am Untergrund oder am Kommerz interessiert, ob als Alternativgesellschaftler, Gesellschaftsfeinde oder Subversive, ja sogar als im Mainstream verhaftete Spötter, Anfang der Achtziger vor allem durch das Damoklesschwert der nuklearen Totalvernichtung geprägt waren: |“Dieses Szenario wurde von der zeitgenössischen Popmusik verarbeitet, sei es in der Bettina-Wagner-und-Nicole-Fassung oder in der „Osten währt am längsten“-Version von |DAF|. Selbst in Markus‘ „Ich will Spaß“ schwingt mit, dass das Projekt „Menschheitsgeschichte“ jeden Moment vorbei sein konnte. Auf dieses Faktum konnte mit penetrantem Mahnverhalten oder eben mit Hedonismus reagiert werden.“|

Die Generation, die Punk & NDW hervorbrachte, war somit politisch geprägt, selbst wenn sie dezidiert keine Politik mehr machen wollte. Schneider schreibt: |“Vor diesem also doch verdammt realen Weltende-Hintergrund waren Punk und New Wave politisch. Nicht weil sie oft dieselben überflüssigen Kommentare dazu abgaben wie Kirchentage, sondern weil Punk und New Wave das mögliche Ende ab den späten 1970ern als Realitätsmaterial akzeptierten, mit dem gespielt werden konnte. Sie waren keine systemimmanente Instanz, sondern Opposition um der Opposition willen. Und die erste, der alles erlaubt war, weil sie selbst keine Utopie mehr aufbieten wollte. Die Pershing- und SS-20-Raketen machten es leicht, alle zu hassen und zu verachten, die dafür verantwortlich waren. Und sie dabei aus Spaß und Überaffirmation in einer von diesen wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt bemerkten Weise zu umarmen. Identifikation mit dem Aggressor, aber als Aggression! ‚Wir sind die Bomben von Hiroshima‘ sangen |ABWÄRTS| 1980. Punk und New Wave akzeptierten den (kalten) Krieg, der sie umgab, und fochten dementsprechend an zwei Fronten: gegen die Herrschenden und gegen eine ältere Gegenkultur, die sich aus ihrer radikalen Gegnerschaft gelöst hatte und ihrerseits nun mitherrschte.“|

Das Diktum „No Future“ wirkte dabei befreiend, ermöglichte es doch, aus starren Konventionen auszubrechen, ohne sich dafür – so wie die Hippies – erst auf eine lange Reise ins Innere begeben zu müssen, um „sich selbst zu finden“; dafür blieb ja ohnehin keine Zeit mehr! „No Future“, das bedeutete auch: keine Angst mehr haben zu müssen, sich selbst die eigene Zukunft verbauen zu können oder sie sich von der Gesellschaft verbauen lassen zu müssen, wenn man sie öffentlich bespuckte. Denn wenn die Doomsday Clock ohnehin die letzten Minuten vor Mitternacht vertickt, dann sind Konformität und Konventionen hinfällig. Dann ergibt sich daraus allerdings auch kein Anlass mehr, noch für höhere (utopische) Ziele, für Ideen und Sinngebung zu kämpfen.

Frank Apunkt Schneider: |“Auch ‚Sinn‘ ist eine solche moralische Übereinkunft. Die Sinnlosigkeit, die Punk und New Wave zelebrierten, kappte den Dialog mit der moralisierenden Diskussionskultur. Es war zunächst noch keine existenzialistische Weinerlichkeit um den toten Sinngott – die kam erst später auf im düster klagenden Proto-Dark-Wave -, sondern eine Sinn-Orgie; ein Gelage mit den freigesetzten Sinnbruchstücken. Ein ‚Fest der vielen Sinne‘, so der Titel der zweiten |GEISTERFAHRER|-LP.“| Punk und New Wave waren demnach die ersten populären Subkulturen der Postmoderne.

Doch nachdem er sein Feld abgesteckt hat, beschäftigt sich Schneider erst einmal mit der Geschichtsschreibung und Rezeption der NDW – verstärkt vor allem seit Jürgen Teipels ‚Doku-Roman‘ „Verschwende Deine Jugend“ (2001) – und stellt damit heute gängige Wahrnehmungsmuster infrage, indem er Ursachenforschung betreibt. Diesen Wahrnehmungsmustern stellt er dann seine eigene Sicht auf Punk und New Wave als popinterne Jugendrevolte entgegen. Dabei weist er darauf hin, dass Jugend seinerzeit gesellschaftlich vor allem als zu überwindende Übergangsphase gerahmt wurde – eine Sichtweise, gegen die sich der Punk mit seiner Verweigerung eines ernsthaften, reifen, erwachsenen Diskurses gestellt habe.

In einem solchen Diskurs verortet er auch die Vorgeschichte von Punk & NDW als deren Ausgangslage: Rockmusik in Deutschland sei bis dato in der Regel „als Bandsein nur in einer langfristigen, existenzgründerischen Perspektive“ verstanden worden. Schneider spricht in diesem Zusammenhang von unumgänglichen Anpassungs- und Institutionalisierungsprozessen, die zu Ergebnisähnlichkeit und einem leblosen Virtuositäteneintopf geführt hätten – „zumindest, wenn man/frau den deutschen Rockmainstream aus |JANE|, |ELOY|, |BIRTH CONTROL| oder |LAKE| zum Maßstab nimmt und die zahlreichen experimentellen Krautrockgruppen außer Acht lässt“. Auch die „Technologiespirale“ immer günstigerer Synthesizer habe musikalisch keine Innovation, sondern im Gegenteil zu Herzeige- und Vorführeffekten und damit „zu immer armseligeren Platten“ geführt. Das „technologische Downsizing“ in Punk und Wave habe demgegenüber ein hohes Maß diverser kreativer Energie freigesetzt.

Als Deutsche Punkübernahmen bezeichnet Schneider die stilistische Ausrichtung früher Bands im Lande wie |PACK|, |MANIACS|, |STRASSENJUNGS|, |BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT|, |PVC| und |RIZZO|, die einige Merkmale der britischen oder us-amerikanischen Avantgarde für sich nutzbar gemacht hätten, allerdings integriert in bestehende deutsche Rocktraditionen. Verortet hätten sie sich eher auf der Streetpunk-Seite der in den Ursprungsländern bereits zerfallenden, bzw. sich ausdifferenzierenden Szene.

Eine solche Fraktionierung der Punk-Szene macht Schneider dann auch in Deutschland aus, wobei er mit der eigenen Subjektivität nicht hinter dem Berg hält: |“Dass für mich die Art-School-Tradition von Punk zu Post-Punk bedeutsamer ist, ist eine rein subjektive Entscheidung, bedingt durch meinen bürgerlich-akademischen Hintergrund. Man/frau hätte die Geschichte von Punk und New Wave in Deutschland aus einer |BUTTOCKS-NORMAHL-CHAOS Z|-Perspektive erzählen können, was unbedingt erwähnt werden muss, da sich die Art-School-Perspektive spätestens mit ‚dem Teipel‘, eigentlich aber schon vorher, eingebildungsbürgert hat, trotz oder gerade wegen der zu plumpen Gegensteuerungsversuche in bestimmten Punkfanzines.“|

Nach den bereits erwähnten Urpunks mit ihrem proletarischen Image hätte die zweite Phase der deutschen Bewegung jedoch ebenfalls eher in die Richtung Art-School-Punk tendiert. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Generation habe sich teils auch im Bandnamen niedergeschlagen – genannt sei hier nur ein Beispielpaar: |RABID| versus |MUSELMANISCHES TÜRKMENEN BATAILLON DER SS BEI GEBETSÜBUNG|. Die Fraktionsbildung in diese beiden Sub-Szenen führt Schneider in erster Linie auf Vereinnahmungsversuche durch die unterschiedlichen Klassenmilieus von ArbeiterInnen (mit Betonung auf Tradition – Folge: stilistisches Einfrieren) und BürgerInnen (mit Betonung auf Progression – Folge: Distinktions-Spiele) zurück. Beide Extreme des Spektrums hätten sich damit jedoch vom „Energiezentrum des Punk“ abgekoppelt: „nichts zu wollen, wie im wichtigsten Programmsatz von Punk verlautbart, dem ‚I don’t know what I want‘ der |SEX PISTOLS|.“ Das rein destruktive Spiel des willkürlichen und ziellosen Herausbrechens und Gegenüberstellens von Sinnbruchstücken scheint demnach ein Kernelement des Apunkt Schneiderschen Ursprungsmythos‘ von Punk zu sein.

Sobald das also geklärt ist, arbeitet er sich an den diversen Veröffentlichungslandschaften ab – zunächst einmal geographisch; beginnend mit Düsseldorf und seiner stark künstlerisch geprägten Szene um den Ratinger Hof (u. a. |CHARLEY’S GIRLS| / |MITTAGSPAUSE|, |MINUS DELTA T|, |WELTENDE| / |WELTAUFSTANDSPLAN| / |DER PLAN|, Chrislo Haas von |DAF| und |LIAISONS DANGEREUSES|), anhand der einwohnerstärksten Städte jener Zeit weiter über Berlin (u. a. |PVC|, |STUKA PILOTS|, |NEONBABIES|, |IDEAL|, |SPLIFF|), Hamburg (u. a. |BUTTOCKS|, |SCREAMER| / |SLIME|, |FRONT|), München (u. a. |FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE|, |SPIDER MURPHY GANG|, |TOLLWUT|, |FKK STRANDWIXER|), Köln (u. a. |CHARLEY’S GIRLS|, |ZLOF|, |REIZENTZUG|, |ZELTINGER BAND|, |DUNKELZIFFER|), Essen (u. a. |RAABS BALLA BALLA|, |GESUNDES VOLKSEMPFINDEN|, |DIE REGIERUNG|), Frankfurt/Main (u. a. |STRASSENJUNGS|, |BÖHSE ONKELZ|, |BILDSTÖRUNG|), Dortmund (u. a. |KONEČ|, |ST 42|, |THE IDIOTS|), Stuttgart (u. a. |NORMAHL|, |CHAOS Z|, |MANNSCHRECK|, |PETER SCHILLING|), Bremen (u. a. |OH 87|, |A5|, |ORGANBANK|, |AGM|), Duisburg (u. a. |LOUIS PASTEUR|, |PROFIL|, |LA DOLCE VITA|), Hannover (u. a. |HANS-A-PLAST|, |ROTZKOTZ|, |BLITZKRIEG| / |BOSKOPS|), Nürnberg (u. a. |STAUBSAUGER|, |GASHAHN AUF!|, |FIT & LIMO| / |SHINY GNOMES|), Bochum (|VORGRUPPE|, |EIN JAHR GARANTIE|), Wuppertal (u. a. |MATERIALSCHLACHT|, |ARMUTSZEUGNIS|, |DIE ALLIIERTEN|, Gabi Delgado-Lopez von |DAF|), Saarbrücken (u. a. |ALTES EISEN|, |CHAOTIC BROTHERS|, |SINALCO FLUOR S|, |SYNTHENPHALL|), Bielefeld (u. a. |DER WAHRE HEINO|, |ZZ HACKER|, |NOTDURFT|), Mannheim (diverse Undergroundbands), bis hin zur Bundeshauptstadt Bonn (|ACHMED UND DIE ARSCHKRIECHER|, |CANALTERROR| u. a.), dann quer durch die bundesdeutsche Provinz (u. a. |EXTRABREIT| und |NENA| aus Hagen, |THE NOTWIST| aus Weilheim, |THE WIRTSCHAFTSWUNDER| und |DIE RADIERER| aus Limburg), durch Österreich (u. a. |NOVAK’S KAPELLE|, |DRAHDIWABERL|, |CHUZPE|, |MINISEX|, |ROSACHROM|, |MORDBUBEN AG|, |ANDRÉ HITLER|, Ronnie Urini von |STANDARD OIL| u. v. m.), Schweiz (u. a. |NASAL BOYS| / |EXPO|, |GLUEBEAMS|, |SPERMA|, |MOTHER’S RUIN|, |FRESH COLOUR| / |FRISCHE FARBE|, |GRAUZONE|) und DDR (u. a. |DIE ART|, |REGGAE PLAY|, |SCHESELONG|, |KEKS|, |PANKOW|, |AG GEIGE|, |SAUKERLE| / |SCHLEIM-KEIM|, |L’ATTENTAT|) werden alle möglichen Band-Projekte auf Vinyl und Kassette durchgehechelt.

Hier gibt sich der Autor ganz der manchmal schon etwas trockenen Chronistenpflicht hin; wobei man fairerweise sagen muss, dass er damit zum einen Pionierarbeit geleistet, zum anderen dazwischen immer wieder einige interessante oder doch zumindest auflockernde allgemeine Betrachtungen sowie Anmerkungen zu regionalen Strukturen, Stilistiken, Befindlichkeiten, auch zu Labels, Fanzines, Läden, wichtigen Szenepersonen und deren Netzwerken eingestreut hat. Besonders die (leider etwas kurz geratenen) Anmerkungen zum Punk-Regionalismus im Spannungsfeld zwischen teils fast schon kryptischem Individualismus („Kassettentäter“ mit Kleinstauflagen), mitunter kreativem Crossover aus globaler und regionaler Kultur und nicht zuletzt auch (manchmal gar als Widerstand verstandener bzw. verkappter) Identitätspolitik sind interessant zu lesen.

Danach geht es ans Eingemachte: Der Autor weist darauf hin, dass in der Popkultur Rezeptionsfragen für die Künstler ebenso wichtig sind wie die traditionellen Formen des Ausdrucks, ja dass beides zu einer Einheit verschmilzt: „Über Michael Jackson oder David Bowie nur als Musiker zu reden, ist ein Ding der Unmöglichkeit“, und die Aufarbeitung ihres Schaffens in diversen Medien deshalb unauslöslicher Bestandteil ihrer Gesamtwahrnehmung.

Auch das Phänomen Punk & NDW wurde so von den Medien mitgestaltet. Einerseits bezeichnet Schneider die zeitgenössischen Vereinnahmungsversuche seitens der bürgerlichen Kultur als gescheitert („Das Kultur-Establishment kapierte nicht mal ansatzweise, was da vor sich ging“), andererseits hätten gerade deren massenmedial-vulgärsoziologische Erklärungs-Versuche der Szene erst richtig Zustrom beschert (Schneider schreibt etwa über den |Spiegel|-Artikel „Punk: Nadel im Ohr, Klinge am Hals“: „Für die Verbreitung von Punk in Deutschland dürfte dieser Artikel von entscheidender Bedeutung gewesen sein, nicht zuletzt in den Zahnarztwartezimmern der Nation.“). Mainstream-Medien von |Bild| bis |Die Zeit|, aber auch etablierte Musik-Fachblätter (|Sounds|, |Musik Express|, |Spex|) und beispielhaft auch die Masse der Fanzines nimmt Schneider in den Blick, aber auch unabhängige Labels.

Dies alles jedoch ist lediglich der Vorlauf für das, was dem Autor offenbar besonders am Herzen liegt, was aber auch den großen, heute – zumindest in der massenmedialen Wahrnehmung – weitgehend in Vergessenheit geratenen Löwenanteil ausmacht, nämlich subkulturelle Massenmedien: die Kassettenszene. Schneider spürt dem gesamten Umfeld nach: Klein- und Kleinstauflagen bis hin zur Kinderzimmerproduktion, Vernetzungen, zeitgenössische Besprechungen in Zines und Radiomitschnitte von Sendungen zur Szene, Analysen von dazumals – alles wird zitiert und kommentiert. Auf Bootlegs wird am Rande eingegangen, auf Vertriebe etwas ausführlicher, und natürlich dürfen Namen wie die des Kritikers Alfred Hilsberg oder des |Rough Trade|-Labels nicht fehlen, auch wenn das Gros der Privatproduktionen und Briefkastenvertriebe besonders gewürdigt wird. Dazwischen finden sich immer wieder Cover, Anzeigen, Fotos usw. der Protagonisten aus allen Größenordnungen – natürlich schwarzweiß. Aber auch die LP kommt zu ihrem Recht, wie auch das Filmformat Super-8.

Unter dem Stichwort ‚Niedrigschwellige Ästhetik‘
wird abgehandelt, worin auch ein wesentlicher Unterschied zwischen straightem Rock / Rock ’n‘ Roll und seiner Gegenbewegung lag: „Das Masseninstrument der Neuen Wellen schlechthin“, der Synthesizer, „befreite von der Entfremdung durch Arbeit am Bandsein.“ Der Künstler als Einzelperson rückte in den Vordergrund, was sich szenedynamisch auch auf Gruppen auswirkte, die gar nicht mit ihm arbeiteten: Es genügte, dass die Vorherrschaft der Vorstellung vom zünftigen Bandmitglied gebrochen war. Ähnlich ermöglichte die Loslösung von traditionellen Instrumenten und ihrer vordem zwingend notwendigen, mühselig zu erlernenden Beherrschung nicht nur das Sampeln von synthethisch erzeugten Tönen, sondern bewirkte auch eine „ungerichtete Aggression der befreiten Geräusche“ insgesamt. Hierin hoben sich die neuen Wellen von jener Art des Punk ab, der mehr oder weniger traditionelles Musikantentum lediglich mit einer programmatischen Anti-Haltung verband; dessen Feindbildtexte auch bloß Negative des Altbekannten waren, und der musikalisch bieder dann eben doch wieder (wenn auch limitiertes) Können und Virtuosität-als-ob einforderte.

Frank Apunkt Schneider formuliert es ganz radikal: |“Das Politische von Punk lag nie in seiner mal besser (CRASS), mal schlechter (DAILY TERROR) durchdachten Institutionenkritik begründet, sondern darin, organlos, unkontrollierbar, streuend und giftig Geräusch zu produzieren, das keinen bekannten diskursiven Spielregeln folgte, aber auch nicht völlig willkürlich war, sondern in zahllosen möglichst fremden, seltsamen und schwachsinnigen Konzepten organisiert war, die sich kraft ihrer Fremdheit dem Zugriff der bürgerlichen Welterklärungsinstanzen, dem Sinnknast entzogen. ‚Alien Culture‘ hieß dieses Geräusch bei THROBBING GRISTLE.“|

Da kommt die Rede auf den „Kleister, der die Kunst zusammenhält: Dilettantismus als Kulturbewegung“ – was sich nicht wie im Punk bereits in der DIY-Idee erschöpfte, sondern das Element des Unkontrollierten bewusst zum Programm erhob. Exemplifiziert und versinnbildlicht wird das am Beispiel der Künstlergruppe |Geniale Dilletanten| (sic!) um Blixa Bargeld, bei der die Falschschreibung im Namen bereits von Anfang an zum Konzept gehört haben könnte. |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN|, |HERVÉ & KILOWATT|, |SPRUNG AUS DEN WOLKEN| und |DIE TÖDLICHE DORIS| werden ebenso vorgestellt wie auf die weitaus größere Zahl kurzlebiger Projekte, Sessions oder Einmal-Festivalauftritte verwiesen, bei denen wenige Protagonisten in ständig wechselnden Konstellationen miteinander experimentierten. Der Autor betont, dass Gruppen wie die |NEUBAUTEN|, obwohl auch sie – etwa in |TON STEINE SCHERBEN| – Vorbilder haben konnten, mit einer Sache konsequent brachen: „utopischem Gehalt“. Und das auch bei |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN| von Anfang an, wo es schon zu psychedelischen Ursprungszeiten statt ‚LSD ins Trinkwasser‘ ‚Bakterien für eure Seele‘ geheißen hat.

Dem gegenüber stellt Schneider eine Reihe von UmsattlerInnen, gestandenen Musikern bzw. angestaubten Deutschrockern, die sich Punk als Parfüm aufgetragen hätten, „um den eigenen Verwesungsgeruch zu übertünchen und um sich einen Hauch von Gefährlichkeit zu verleihen.“ Hier nennt er einige Namen, die im Mainstream bis heute als Aushängeschilder gelten: Nina Hagen, die für „ihr mit Abstand punkigstes Stück“ ‚Pank‘ Schützenhilfe im Schreiben von SLITS-Sängerin Ari Up benötigte und deren |NINA HAGEN BAND| er als gefundenes Feindbild der im Aufbau befindlichen Szene tituliert; ihre Mitmusiker von SPLIFF, die für ihn zwar „eine gelungene Rockaktualisierung“ repräsentieren, aber eben der durch New Wave vorangebrachten Popgeschichte zuzurechnen seien, und nicht der wild blühenden Subkultur; schließlich auch |IDEAL|, die mit ihrer unterstellten Orientierung „an der einzigen deutschen Pop-Tradition der Nachkriegszeit, dem Schlager,“ das offizielle NDW-Bild geprägt hätten: ein Schlager-Tanzkapellen-Image. Sie hätten damit den Startschuss für die Talentschnüffler der Plattenindustrie und für eine Reihe an Epigonen, Klonen und Kalkülbands gegeben – namentlich |ZEITGEIST|, |FISCHER Z|, |PETER GORSKI BAND|, |EXTRABREIT|, |DR. KOCH VENTILATOR|, |CAT’S TV| und |FEE|.

Gleichzeitig sei es aber auch zu wunderschönen Rückkopplungen zwischen Rockavantgarde und Punk gekommen, die sich gegenseitig stark beeinflusst hätten, und so mancher NDW-Avantgardist hätte Jazzrockwurzeln gehabt. Gerade in der Provinz sei es oft zu – wenn auch instabilen – Verbindungen von Altrock- und Punk-Musikern zu Bands gekommen, die auch vom Spielniveau her unterschiedliche Hintergründe aufwiesen. Als dann auch von gestandenen Rocker erkannt worden sei, dass die Zeit für den neuen Minimalismus reif war, habe die Stunde von |TRIO| geschlagen, die mit „maximaler Perfektion und Präzision“ ihren Stil entschlackten und auf rudimentäre Basisakkorde zurückschraubten und daraus funktionierende Popsongs entwickelten, die irgendwo zwischen Punk-Verschrägung und Musikclownerie-Kleinkunst-Tradition Erfolge feierten, die zwar – erst einmal auf die Bühnen gebracht – spontan wirkten, hinter denen sich jedoch „ein perfekt durchgestyltes Programm“ verbarg.

Dann kippt die Bewegung in Schneiders Chronik auch schon in ihre Selbstzerfleischungsphase, in der sich Punk zum einen die Klassenfrage stellt, zum anderen aber – teils deckungsgleich – die Frage, ob nun Art School oder Hard School die wahren Bannerträger stellten. Für die einen war die Revolution quasi erfolgreich abgeschlossen, sodass Punk als ein Genre unter – bzw. in der eigenen Wahrnehmung über – anderen fortan so auszusehen hatte, wie man sich das seither vorstellte. Kollektive Identität war ihnen wichtig, und die erforderte eben auch einen kollektiv verbindlichen Formenkatalog – im Zweifel Hardcore. Diese Sichtweise fasst der Autor treffend unter das Schlagwort „Punkrockismus“. Die anderen begriffen Punk als Strategiemodell, als Mittel und Ausdruck einer permanenten künstlerischen Revolution und einer möglichst individuell-authentischen Selbstverwirklichung. Die Anhänger dieses Ideals liefen, wenn sie allzu individualistisch bzw. experimentell wurden, schließlich Gefahr, von den Punkrockisten als bürgerliche Avantgardisten verschrien und ausgegrenzt zu werden. Der Autor nennt in diesem Zusammenhang |MATERIALSCHLACHT| und |GEISTERFAHRER| als Objekte eines regelrechten Hasses. Sowohl unter den Punk-als-Rock-Betreibern als auch im Avantgarde-Flügel kam es zu einer weiteren Zersplitterung der Szenen.

Was freilich in dieser Phase auch nicht fehlen durfte, waren (teils völlig haltlose) Unterstellungen wie „Industriescheiße“; Frank Apunkt Schneider: |“Dem Kommerzverdacht liegt in der Regel keinerlei andere ökonomische Analyse zugrunde als: ‚Schweinesystem‘.“| Im Extremfall konnte er jedoch auch schon einmal der Legitimierung eines Raubüberfalls unter dem Schlagwort ‚Kommando gegen Konsumterror‘ gegen die verhasste Konkurrenz dienen. Schließlich hatte sich die Neue Deutsche Welle, dem Autor zufolge spätestens 1982, so weit gebrochen, dass selbst „aus dem Boden gestampfte NDW-Kapellen, deren einzige Existenzberechtigung in diesen drei Buchstaben zu finden wäre,“ sich von ihr zu distanzieren begannen. Was blieb, war ein neuer Markt.

Dass Schlagworte wie ‚Kommerzialisierung‘, ‚Ausverkauf‘ und ‚Verrat‘ der Realität nicht gerecht wurden, obwohl die kommerzielle Verwertung für das diffuse Verebben der Neuen Deutschen Welle durchaus eine Rolle spielte, wird im Kapitel „Die Enden der NDW“ aufgedröselt. Zur kommerziellen Ausschlachtung des Phänomens bedurfte es auch der Massenmedien. 1980 hievten die Sounds Gruppen wie |ABWÄRTS|, |MITTAGSPAUSE|, |DAF|, |FEHLFARBEN|, |MANIA D.|, |S.Y.P.H.|, |RAZORS| und |DER PLAN| in ihre neu ins Magazin aufgenommenen Alternativ-Charts, welche freilich nur die Verkaufszahlen einiger großstädtischer Szeneläden widerspiegelten.

Ungefähr zeitgleich begannen sich auch die Großen der Musikindustrie für die Erfolge der Indie-Label im neugeborenen Sektor zu interessieren. Man erhoffte sich wohl, ein Potenzial an steady sellers wie |TALKING HEADS|, |DEVO|, |BLONDIE| oder |XTC| nun auch aus dem deutschen Band-Pool für den deutschsprachigen Markt abschöpfen zu können, woran die hauseigenen ProduktentwicklerInnen bisher allerdings gescheitert waren. Statt Investitionen in mögliche (falls überhaupt) One-Hit-Wonder zu verbraten, hieß die neue Strategie nun: Indie-Bands abwerben und/oder Indie-Strukturen simulieren; Letzteres beispielsweise durch das neugegründete |Phonogram|-Sublabel |Konkurrenz|. Allerdings warb dieses sogleich die |GEISTERFAHRER| von Alfred Hilsbergs Zick Zack-Label ab und machte so seinem Namen alle Ehre. Doch auch die |Phonogram| selbst kaufte Bands wie |PALAIS SCHAUMBURG| ein. Schneider betont, dass es für die NDW-Bands durchaus unterschiedliche Beweggründe zu einem solchen Schritt in Richtung Plattengroßkonzern geben konnte. |DAF| wollten erklärtermaßen immer schon die Massen erreichen, und für |ABWÄRTS| fallen dem Autor gleich vier unterschiedliche mögliche Gründe ein.

Die größten Erfolge feierte die Plattengroßindustrie jedoch nicht mit den experimentelleren bzw. avantgardistischen Bands aus dem Stall ihrer auf die neue Welle spezialisierten Sublabel, sondern mit von deren Entwicklungen lediglich beeinflussten Pop- und Rock-Updates wie |TRIO| (|Phonogram|) und |EXTRABREIT| (|Reflektor Z / Metronome|). Da hinein flossen nun die Investitionen, während die ursprüngliche Klientel auf derlei finanzstarke Studio- und PR-Unterstützung verzichten musste. Vertriebs-Kooperationen mit Indie-Labels steckten noch in den Kinderschuhen; und wenn sich ein Sublabel in Konkurrenz zu den Indies aus Sicht eines Majors nicht mehr rentierte, konnte es sogar auch schon einmal an eine bei ihm unter Vertrag stehende Band abgestoßen werden. Andersherum konnte ein bandbegründetes Label wie |Welt-Rekord| (|FEHLFARBEN|; dann: |GRAUZONE|, |RHEINGOLD|) von der |EMI| als ihr neues Sublabel erworben werden – dessen Geschäftspraktiken von ROTZKOTZ dann schon bald im Lied ‚Tante Emi‘ kritisiert wurden.

Erst 1982, zu der Zeit, für die Schneider bereits die „Selbstzerfleischungsphase“ der Graswurzelszene konstatiert, hätten die Majorlabel ihre Strategie wieder geändert und eigene Phantasiegruppen auf den Markt geworfen, die sich allerdings bereits mit der ersten Single als überlebensfähig hätten erweisen müssen, da sie sonst nicht weiter gefördert worden seien. Dies habe die weitere Spaltung der Szene in Sell-Out-Gruppen und Untergrundtümler begünstigt. Allerdings dürfe man auch nicht übersehen, dass die Auslösesummen der Majors an die Indies die von denen geleistete Aufbauarbeit in erwähnenswertem Umfang mitfinanziert hätten.

Ironischerweise fällt der Niedergang der Szene als solcher laut Schneider mit den Verkaufs-Erfolgen des Phänomens NDW zusammen: Erste NDW-Charts-Hits waren 1981 ‚Blaue Augen‘ (|IDEAL|), ‚Eisbär‘ (|GRAUZONE|), ‚Polizisten‘ (|EXTRABREIT|), ‚Dreiklangdimensionen‘ (|RHEINGOLD|), ‚Ein Jahr (Es geht voran)‘ (|FEHLFARBEN|), ‚Der Goldene Reiter‘ (|JOACHIM WITT|). Anfang 1982 folgten ‚Da Da Da‘ (|TRIO|), ‚Rosemarie‘ (|HUBERT KAH|) und ‚Taxi‘ (|JAWOLL|). Einzig |GRAUZONE| konnte von diesen Kapellen auf eine eigene Punkvergangenheit zurückblicken. Im Laufe des Jahres ’82 sei dann das letzte bisschen Profil der NDW in der großen Flut des „Neuen Deutschen Schlagers“ abgeschliffen worden und die Anspielung des Begriffs auf die ursprünglichen New Wave-Formationen für die Rezeption völlig unwichtig geworden, sodass selbst |NOVALIS| mit ‚Was ist Zeit?‘ auf einem der vielen NDW-Sampler erschien, die fortan das Bild dessen, was NDW war, maßgeblich prägten . Als symptomatisch für den ‚Genre‘-Spagat führt Schneider das „Neue Deutsche Welle Special“ des |Musik Express| vom Sommer 1982 an, welches weitgehend zusammenhanglos aus Insider-Städteberichten zur (Untergrund-)Szene, Pop-Star-Portraits auf PR-Agenturtext-Basis und Bravo-für-Erwachsene-Niveau sowie wahllosen Auflistungen von (teils sogar falsch abgeschriebenen) Bandnamen zusammengestoppelt worden sei.

Am Beispiel der |Bravo| selbst und ähnlicher Magazine wie |Popcorn| macht Schneider fest, wie die Umdeutung der Neuen Welle in eine „Rock mit“-Ästhetik erfolgte, die sich in erster Linie durch Attribute wie „verrückt“, „ausgeflippt“, „deutsch“ und „bizarr“ auszeichnete. Diese Berichterstattung habe zum einen in einer „sensationalistisch und freakwhoistisch motivierten Medientradition“ gestanden, zum anderen (ähnlich wie der Genre-Spagat des |Musik Express|) dazu beigetragen, die Trennung zwischen Mainstream und Untergrund für die Teenager-Zielgruppe zu verwischen. Im Vermarktungskontext der nebenstehenden Anzeigen, die auf ein eher biederes Weltbild schließen ließen, habe die grellbunte Ästhetik dieser NDW zwar als Kontrast, letztlich aber nicht als Opposition, sondern auch nur als andere Seite einundderselben Medaille gewirkt: |“Die oft als Bildgeschichte verkappte und auf den ersten Blick von den Foto-Lovestories nicht unterscheidbare Werbung zeigte in ihren Geschichten aus dem Alltag homöopathisch upgedatete Jugend, in Frisurschlenkern der Moderne nicht verschlossen, aber dennoch den gereiften Lebensernst der Tampon-, Berufsvermittlungsbehörden- und Bundeswehr-Zielgruppen transportierend.“| Die NDW war als solche medial von der Anti-These zur Synthese entschärft und damit im konventionellen Sinne vermarktbar geworden.

Die Schlagernähe der neuen NDW zeigt sich laut Schneider unter anderem auch im Popfilm „Gib Gas – Ich will Spaß“ des Regisseurs Wolfgang Büld („Brennende Langeweile“, „Women in Rock“, „Berlin Now“, „Japlan“, „Go Trabi Go“, „Manta Manta“ u. a.), der den Paukerfilm „Plem Plem – Die Schule brennt“ aus dem gleichen Jahr 1983 im Subversionsgehalt kaum überrage. „Jedenfalls ratifiziert ‚Gib Gas‘ den Verlust der subkulturellen Basis dadurch, dass außer dem Freund des Protagonisten, einem Punker, der immer Hunger haben muss, um als Running Gag erkennbar zu bleiben, nichts mehr davon – auch nicht negativ – zu sehen war“, und „Plem Plem“ ist dem Autor zufolge ebenfalls nurmehr eine Aktualisierung des altbekannten Schlagerfilms und relativierte „den Rest-Subversions-Gehalt des |EXTRABREIT|-Stücks (Anm. d. Red.: ‚Hurra Hurra, die Schule brennt‘), dem noch Züge einer Teenage-Riot-Hymne anhafteten, ins Feuerzangenbowleske.“ Auch zwei andere zeitgenössische Filme mit NDW-Bezug werden von Schneider in diesem Kontext kurz vorgestellt und bewertet: „Drei gegen Drei“ von Dominik Graf und „Der Fan“ von Eckhart Schmidt. Mag man dem Autor in seinen weiteren Darlegungen folgen, so zeigt sich jedoch, dass sich selbst das Schlagerhafte in der NDW noch aus dem Harmlosen ins Provokative kippen ließ, obschon sich dieser Ansatz letztlich als Strohfeuer erweisen sollte:

Mit „Schlager als Waffe“ schien die NDW kurzfristig noch einmal punkistische Relevanz zurückzugewinnen. Jedenfalls berichtet Frank Apunkt Schneider unter diesem Zwischentitel davon, wie das Schlagerhafte der neuen NDW von denen gepriesen oder zumindest toleriert werden konnte, denen es aus Prinzip ums Gegen-den-Mainstream-Sein ging. Als vom Bildungsbürgertum verachtetes, scheinbar ’sinnentleertes‘ Genre besaß der Schlager im Gegensatz zu den als ’sinnhafte‘ (oder zumindest ’sinnkritische‘) Kunst zunehmend vereinnahmten Punk-Strömungen noch kulturpolitisches Spreng-Potenzial. Schlagermutationen konnten folglich subversiv gedeutet werden. Die poptheoretischen Verrenkungen und feinsinnigen (subjektiven) Gegeneinanderabgrenzungen, die Gurus wie Diedrich Diederichsen in diesem Zusammenhang machten und die Schneider hier anführt, lesen sich allerdings aus der heutigen Distanz in ihrer verbissenen Ernsthaftigkeit fast schon wie Realsatire.

Schneider aber macht eine interessante Anmerkung zur Funktion des Schlagers für den seinerzeit in Deutschland etablierten Kulturbetrieb: Sowohl Bildungsbürgertum als auch Rock(ismus) diente er als negative Abgrenzungsschablone; hierin konnte man sich – jenseits bestehender Gräben auf anderem Gebiet – noch einig sein, dass Schlager per se ‚verlogen‘ war beziehungsweise „das, worüber sich Klaus Lage mit |Rockpalast|-Moderator Albrecht Metzger abendfüllend aufregen konnte, wozu sie den Segen von Rudolf Augstein und Günter Grass hatten. Mit den publizistischen Mitteln von Kritik musste er immer wieder aufs Neue niedergemacht werden. Hierbei handelte es sich um einen Reflex, der – völlig entleert von der ursprünglichen Funktion – zum ritualisierten, bedeutungslosen kulturellen Wiederholungszwang wurde.“ Warum? „Erst in Abgrenzung zum ‚verlogenen‘ Schlager ließ sich sinnvoll Rockidentität herstellen. Er diente damit der Subkulturhygiene und war ein wichtiges Selbstvergewisserungsmoment. Seine stereotype Kritik hatte auch den Sinn, eigene Widersprüche zu verschleiern und damit die allseits gefürchteten Dissoziationskräfte der Selbstreflexion abzuwehren.“ Sich den Schlager als gegenkulturelles Zitat zunutze zu machen, bedeutete also nicht einfach dessen Umkehrung ins Gegenteil (im Sinne einer schlagerkritischen Ironisierung), sondern vielmehr das Ausschöpfen seines Potenzials als Provokationsmittel gegen den vermeintlich aufklärerischen, ritualisierten Kulturbetrieb des Establishments. Ob dies dann auch so verstanden wurde, ist eine andere Frage …

Weil derlei Konzepte nicht eindeutig angelegt waren, markieren sie laut Schneider „ein Dazwischen, das Platz ließ für alles Mögliche“. Dieses Dazwischen machte anscheinend nicht nur eine klare Abgrenzung unmöglich, sondern sorgte wohl zumindest ansatzweise auch für das tatsächliche Aufweichen der Grenzen zwischen Mainstream und Subkulturen. Jedenfalls sollen in den Archiven der |Ariola| noch unveröffentlichte Aufnahmen eines gemeinsamen Projekts von Gitte Haenning und Walter Thielsch liegen. Die Idee von Schlager als Waffe jedoch sei „an sich selbst zugrunde“ gegangen, so der Autor.

Geschäftliches beleuchtet Schneider ebenfalls schlaglichtartig. So zeigt sich, dass die NDW bei aller kommerziellen Prägung des Medien-Phänomens kommerziell nicht unbedingt so erfolgreich war, wie man hätte vermuten können. Dies lag zum einen am One-Hit-Wonder-Charakter vieler Acts, zum anderen aber auch daran, dass für deutschsprachige Musik der (internationale) Markt begrenzt blieb. Schon der vergleichsweise hohe weltweite (Achtungs-)Erfolg einiger Krautrockbands aus dem Untergrund hatte in den 1970er Jahren einen kurzlebigen Boom ausgelöst, bei dem die großen Plattenfirmen dem Autor zufolge verwirrt und kriterienlos einiges weggesignt hatten, was dann die erste Kleinkrise des deutschen Popmarktes produziert hätte. Ähnlich sei es auch mit der NDW gelaufen: „Die Industrie tat im Prinzip nichts anderes als die Szene selbst: ungehindert und zum Teil ungefiltert produzieren.“

Auch durch die Abwerbesummen teils hohe Investitionskosten hätten die Gewinnmarge reduziert, vor allem wenn ein Produkt sich dann nicht als steady seller bewährt habe. Hinzu kam später das Kleinstlabelsterben, welches durch Restpostenverkäufe die Preise an den Plattenbörsen stark gesenkt habe. Spätestens im Sommer 1983 sei dann sowohl im Mainstream wie auch im Untergrund ein Rückgang der Produktion und Präsenz der NDW zu spüren gewesen, und auch die Berichterstattung über die NDW habe Züge von Nachrufen angenommen.

Allerdings könne man bei genauerem Hinsehen ohnehin nicht von der Flut der NDW-Artikel sprechen; Schneider macht mehrere zeitlich verschobene Phasen aus: Hochzeit der Gruppengründungen und Fanzines; Single-Flut; LP-Flut; Kassettenflut; Hochzeit der Kassettenfanzines; danach – immer schneller – Städtesampler, Kleinstadtsampler, Samplerparodien, Labelsampler; das Ganze begleitet von einer Flut an Deutschrockgruppen, die auf der NDW mittels stilistischer Anverwandlungen mitsurfte. Und heute die Flut der Re-Releases.

Als der Katzenjammer jener Fluten verebbt war, blieb quasi als Strandgut das Erbe der NDW zurück: Deutsche Sprache in der Popmusik war verhältnismäßig normal geworden und auch im Mainstream angekommen. Schneider unterscheidet explizit zwei Post-NDW-Szenen: Zum einen prägt der Autor dafür den Begriff „Neuer deutscher Pop-Mainstream und GAL-Pop“ (Anm. d. Red.: GAL = Grüne/Alternative Liste), wozu er Acts wie |HERBERT GRÖNEMEYER|, |GEIER STURZFLUG|, |INA DETER BAND|, das Projekt |BAND FÜR AFRIKA| und – davon etwas abgesetzt – wohl auch die „Hamburger Schule“ zählt. Gemeinsam sei diesen, dass sie moderne Stilelemente und teils auch modernen Umgang mit der deutschen Sprache mit einer Rückkehr zur konventionellen, Message-artigen Sinnhaftigkeit und einem Stück Liedermachertradition verbunden hätten. Die meisten Protagonisten der Hamburger Schule mit Bands wie |BLUMFELD|, |DIE STERNE|, |TOCOTRONIC|, |DIE GOLDENEN ZITRONEN| oder |HUAH!| hätten dabei allerdings eine gewisse Distanz zum ‚Deutschen‘ und vor allem ‚Deutschtümelnden‘ gewahrt, indem sie sich eines strategisch entfremdeten, abstrakten, brüchigen, jargonhaften und intellektualisierten Textdeutsch bedient hätten.

Zum anderen spricht Schneider von „Neo-Underground-NDW“, worunter er Gruppen wie |DAUERFISCH|, |HOLZ OLIBER| oder |MARTIN & ICH| versteht. Diese zeichneten sich durch merkwürdig-absurde Texte und einen NDW-Referenzrahmen aus, der an die frühe dadaistische New Wave erinnere, und fände in der typischen Nischenöffentlichkeit eines informierten Publikums von jeweils bis zu 500 Leuten statt. Im Vergleich mit der ehemaligen NDW-Avantgarde sei diese Szene jedoch noch stärker „in und auf sich selbst kontextualisiert“ und dringe nicht in tiefere, unvorbereitete Publikumsschichten vor.

Im letzten Kapitel „Trau keinem über 68“ räumt Frank Apunkt Schneider mit einigen Popgeschichtsmythen auf und wagt einen Blick hinter das längst zum Ritual erstarrte ’68er-Bashing in Mainstream und Subkultur. Zwischen diesen beiden Bereichen, genauer gesagt: zwischen der (heutigen) ‚Neuen Mitte‘ und dem (ursprünglichen) Punk & New Wave, wird hier genauer differenziert. Denn, so Schneider: |“Vieles, was ich auf den vorangegangenen Seiten geschrieben habe, funktioniert vermutlich auch als Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, im Feuilleton immer noch ihre Anti-68er-Prägung spazieren führen zu müssen, egal ob als Punk-Sozialisierte, Pseudopunk-Sozialisierte (der |MARILLION|-sozialisierte Florian Illies) oder Alt- bzw. Post-68er. Letztere haben längst gelernt, ihre nicht nostalgisierbaren schlechten Gewissensreste und alles, was nicht in den Rahmen der eigenen Humankapitalbildung (‚Erfahrungen mit der Führung von Menschen konnte ich 1973 im Scheitern von hierarchielosen Wohnraumsituationen sammeln …‘) passen will, öffentlich immer noch einmal zu exekutieren.

Der dabei durchgesetzte feixende und behagliche Tonfall hat gewissermaßen liturgische Funktion: den Glauben zu zelebrieren, dass die Welt, wie sie ist, eben doch die bestmögliche sei. Im Unterschied dazu warf Punk den Ex-68ern ihr Scheitern noch vor und zerrte sie aus ihrer Eingerichtetheit ins Bestehende vor ein Tribunal. Dazu brauchte es Polemik und eine dezidierte Antihaltung. Anders als die bürgerliche Schlussstrich-Routine war diese Verabschiedung aber eine Fortführung. Punk spielte an diesem Punkt die Dialektik von Kritik und Kontinuität aus – einer Kontinuität des Bruchs, der Überwindung und des Angriff auf ein Establishment, zu dem längst die Alt-68er befriedet worden waren, zumindest in den Weltausschnitten, wo Punk etwas Neues wollte.

Jenseits der Gegnerschaftsmythen und ihrer Inszenierung waren die Themen und Fragestellungen oft genug die gleichen und beide Pop-Revolten in vielfacher Weise miteinander verwoben. […] ’68 und ’76 waren Poprevolten. Beide stellten weltweite Umwälzungen dar, einen politischen und lebensästhetischen Aufruhr, nicht nur der Jugend. Sie waren nicht so sehr die nationalistischen Generationsphänomene, als die sie neoliberale Rhetorik und kapitalistische Erfolgsmythologie vereinnahmt hat, sondern international vernetzte Unruheherde. Sie waren kontinuierlicher Ausdruck einer weltweiten Erosionsbewegung am Bestehenden.“|

In diesem Sinne habe die Hippie-Schelte der Punks nicht diejenigen treffen wollen, die 1968 ein anderes Leben propagiert hatten, sondern das, was aus ihnen geworden war: Weltflüchtige oder Resignierte. Zugespitzt gipfelt das in Schneiders Aussage: „Die Hippiekritik des Punk war strategische Kritik.“ Der Punk-Hippie-Konflikt sei eine „innerlinke Angelegenheit“ gewesen, der von Punk-Seite aus zudem noch aus dem kulturellen Abseits gegen eine Position mit Stammplatz im Feuilleton geführt worden sei. Punk-Strategie als Strategie lässt sich freilich auch von denen instrumentalisieren, die ansonsten mit Punk überhaupt nichts am Hut haben. Doch nicht immer stimme die selbstdarstellerische Underdog-Stilisierung der Protagonisten mit ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Situation überein:

|“Heute ist dieser Kampf schon deswegen ein Anachronismus, weil es seinen Gegenstand (Anm. d. Red.: den Linksliberalismus, der inzwischen zum heute dominanten Rechtsliberalismus ‚mutiert‘ sei) nicht mehr gibt. Der Krieg des Mainstreams gegen eine angeblich linke Meinungshegemonie hat den Relevanzgehalt historischer Schlachtendarstellungen. Die publizistischen Sondereinsätze gegen eine nirgends definierte ‚Political Correctness‘ (zumal in Deutschland ohne historisch gewachsene ‚p.c.‘-Bewegung) sind ein Kampf gegen einen Pappkameraden, gegen ein inhaltsloses Klischee, dem kein realer Gegenstand entspricht, abgesehen von einer publizistisch bedeutungslosen Hand voll links-akademischer Kleinstzirkel und einigen versprengten Restautonomen. Die neue Pop-Mitte markiert eine Konsenshaltung, die sich subversiv wähnt und aus Punk-Unkorrektheitstechniken ein bisschen Radical Chic einzuheimsen meint, die sie aus eigenen Kräften nicht hinbekommt.“|

Punk dagegen sei als Jugendkultur eine bewusste „pubertäre Trotzreaktion“ gegen Werte gewesen, die sich aus eigener Anschauung als in der modernen Welt nicht mehr haltbar erwiesen hätten, vom heuchlerischen Establishment und einigen weltflüchtigen Träumern aber weiter aufrechterhalten wurden. Darum sei zum Beispiel der Natur- und Natürlichkeitskult der Hippies von den Punks abgelehnt worden. Diese „als ‚Menschennatur‘ aufoktroyierten kulturellen Identitätsmuster“ hätten die Punks verächtlich abgestreift und sich stattdessen in einer die Auswegslosigkeit der Entfremdung trotzig bejahenden „Kuschelkälte“ des Zynismus mehr oder weniger behaglich eingerichtet. Provokative Parolen wie „Zurück zum Beton“ kann man also sowohl als Strategie der Verweigerung (eben jener als von der Realität überholt angesehenen Werte und Normen) wie auch als Coping-Strategie (Protest gegen die, die diese als unverrückbar empfundenen Realitäten geschaffen hatten) deuten.

Demnach wäre es ein gründliches Missverständnis, solche Parolen als freies Bekenntnis zu tiefsten, ureigensten Wünschen zu deuten. Sie sind – folgt man Schneider – vielmehr ein Ausdruck der Verzweiflung am eigenen apokalyptischen Weltbild des ernsthaft so empfundenen „no future“. Anders als vor der vom Autor eingangs eingeführten Folie der massiven nuklearen Bedrohung mit ihren durchaus als realistisch wahrgenommenen Endzeitszenarios ist eine solche Haltung auch gar nicht zu verstehen. Dieser ’80er-Jahre-Zynismus‘ diente weitaus weniger der Gewissensberuhigung als vielmehr und in erster Linie der emotionalen Panzerung gegen die tägliche existenzielle Bedrohung. |“Die Entfreumdungs- und Untergangs-Angstlust führte zudem den Zynismus als ein Gefühl zweiter Ordnung ein: nicht mehr Euphorie, Liebe, Trauer, Angst, Hass, sondern gewissermaßen das alles multipliziert mit dem Wissen, dass Gefühle einstudierbare soziale Handlungen sind, also auch vereinnahmbar. Zynismus meinte strategische Gefühlskomplexität, die sich einfachen Empfindungen verwehrte.“|

Dem gegenüber stellt der Autor einen mittlerweile daraus fort-entwickelten Zynismus, der „heute als neoliberale Staatsraison verehrt und mittels einer Zynismus-Industrie kulturell durchgesetzt“ sei: |“Heute können sich Berufs-Tabubrechende, selbst ernannte Gutmenschen-JägerInnen und passionierte Schlechtmenschen sowie andere Peergroupies am ’80er-Jahre-Zynismus‘ abarbeiten, ohne dazu auch nur den Hauch eines wirklichen Wagnisses eingehen zu müssen. Ihre Pseudo-Provokationen ohne wirkliches Objekt sind systemstabilisierend und die neue Subjekttechnik für eine deregulierte Zukunft. Sie lösen jedenfalls nichts mehr auf, und ihr ‚Zurück zum Beton‘ meint nur noch den Beton der Bauspekulation.“|

Auch das Thema „Deutsche Identität“ wird angesprochen. So habe die NDW die deutsche Sprache im Pop selbstverständlich gemacht, allerdings mit unterschiedlichen (Sinn-Hinter-)Gründen. Teils sei es um eine direktere, genauere Kommunikation gegangen, teils um bewusste Abgrenzung gegenüber dem Angloamerikanischen, und teils auch um eine dezidiert nationale Identitätsstiftung. Ersteres hält der Autor für vertretbar; doch bereits die Abwehr des Angloameriakanischen sieht Schneider ambivalent: Ihre Motive verortet er im kulturellen Grenzland zwischen politisch-situativ abgrenzungsstrategischer und essentialistisch-nationalistischer Kulturpolitik, wobei die Differenzierung zwischen beidem nicht immer leicht fiele. Letzterem erteilt er eine Absage und zitiert Diederichsen: |“Wer ohne primäre Not Identität verlangt, stiftet oder verehrt, ist ein Faschist. Da, wo Identitäten ohne primäre Not angehäuft werden, hat jemand etwas vor. Und zwar nichts Gutes.“|

Gegenüber solcher Identitätsproduktion sieht Frank Apunkt Schneider in der Wiederaneignung des Deutschen in der NDW jedoch „in den besten Fällen“ eine mehrfache Entfremdung, ein Fremdwerden in der eigenen Sprache. Gleichzeitig habe die NDW – neben dieser paradoxen, gebrochenen, entfremdeten „‚deutschen Pop-Identität‘ […] des Nicht-Identitären, die freier Fall war, lustvoller Sturz ins Blut- und Bodenlose und performatives Ringen mit Identität um des Ringens willen“ – jedoch auch einen „Nistplatz für Identitätsgewinnler aller Art, die sich Identität als Stärke wünschen. Identisch zu sein wie Krupp-Stahl“ hervorgebracht. Dieses Spektrum reiche, so Schneider, von |PUR|, die (statt „Pop, wo es traditionell um Widersprüche, Defizite und Deterritorialisierungen“ gehe) „‚deutsche‘ Musik als starke Selbstidentität, als ‚Rock'“ spielten, über den in die „rechtsliberale Grünen-WählerInnen-Mitte“ einzuordnenden |HEINZ-RUDOLF KUNZE| bis hin zum „postrechten Einzelkampf-Machorock der [BÖHSEN] ONKELZ.“ Ebenso diffus sei das Spektrum jener, die eine deutschtümelnde Sprach-Quote im Sendebereich forderten; gemeinsam sei ihnen allenfalls die „Mitwirkung von kaltem Kaffee“, der „außerhalb von dessen unkalkulierbarer Trash-Ebene“ nichts mit Pop zu tun habe. Hier zeigt sich der Autor streitbar: |“Im Prinzip sind das die Leute, die bei Deiner Geburtstagsparty die Polizei anrufen, genauso wie sie es bei Hitparaden-Überfremdung tun. […] Ein Gutes hat die ‚deutsche Pop-Identität‘ allerdings: Sie stiftet eine klare und eindeutige Trennlinie für die nächste Zukunft. Zwischen denen, die sich entschließen, daran zu glauben, und denen, die das nicht tun.“|

_Bewertung:_

Für alle, die sich Punk als zeitgeschichtlich-popkulturellem Phänomen annähern wollen, bietet die Darstellung „Als die Welt noch unterging“ einen guten (subjektiven, aber auch theoretischen) Einstieg ins Thema; wer sich insbesondere mit der Neuen Deutschen Welle beschäftigen will, wird um das Werk ohnehin kaum herumkommen. Denn hier wird erstmals eine (wenn auch nicht erschöpfende, so doch zumindest breit aufgestellte) Szene-Geographie in Ergänzung zum interviewlastigen Teipel-Standardwerk „Verschwende Deine Jugend“ vorgelegt.

Über diese Chronistenleistung hinaus ist es Frank Apunkt Schneider aber vor allem hoch anzurechnen, dass es ihm nicht an einer glatt gebügelten subkulturellen Allerweltserklärung gelegen war, sondern dass er die Szene(n) mitsamt ihren Brüchen, Widersprüchen, Kontroversen, Dialektiken und Grauzonen präsentiert, dass er Komplexes nicht bis zur Nichterkennbarkeit des (scheinbar) Identischen und einfach Schubladisierbaren eindampft, sondern im Gegenteil Mut zum Stehenlassen von Fragen auch um der Gefahr des Schwammigbelassens bewiesen hat.

„Als die Welt noch unterging“ ist insofern ein Buch, das den Leser zum eigenen Fragen, Hinterfragen, Weiterforschen und vielleicht sogar zum Widerspruch einlädt. Die bisweilen in wissenschaftlichen Termini kompliziert theoretisierende Sprache des Werks wird immer wieder durch Vergleiche, Zitate, umgangssprachlichen Jargon und dezidierte Meinungsäußerungen aufgelockert, sodass sich das Buch auf mehreren Ebenen lesen lässt. Schneider bietet mithin gleichermaßen unterhaltsamen wie auch anspruchsvollen Journalismus, der in erster Linie die popkulturell und poptheoretisch breiter interessierte Leserschaft, mit seinen Städteszeneportraits sowie den ausführlichen Diskografien im Anhang vermutlich aber auch eingefleischte Kassettenszene-Nerds und begeisterte Punk/NDW-Tonträgersammler anspricht.

|385 Seiten, kartoniert
mit zahlreichen Abbildungen
ISBN-13: 978-3-931555-88-7|
http://www.ventil-verlag.de

Haines, Carolyn – Mädchen im Fluss, Das

Das Städtchen Drexel in Mississippi, im Sommer 1952: Die schwarze Jade führt einen Schönheitssalon und richtet im Bestattungsinstitut die Verstorbenen her. Obwohl alle Einwohner ihre Fertigkeiten schätzen, wird sie wie alle Farbigen gemieden und als Mensch zweiter Klasse behandelt. Zusätzliches Misstrauen entsteht durch die Gerüchte, Jade könne mit den Toten sprechen.

Jade wurde von dem schwarzen Ehepaar Ruth und Jonah aufgezogen, doch jeder in der Stadt weiß, dass sie die uneheliche und nicht anerkannte Tochter von Lucille Sellers Longier, Drexels First Lady, ist, auch wenn niemand über dieses offene Geheimnis spricht. Während sie Jade verleugnet, vergöttert Lucille ihre jüngere Tochter Marlena, eine blonde Schönheit, die mit dem reichen Lucas Bramlett verheiratet ist. Marlena und Jade sind befreundet, ohne jedoch ein echtes Schwesternverhältnis zu pflegen.

An einem Sommertag macht Marlena mit ihrer kleinen Tochter Suzannah einen Ausflug in den Wald. Wenig später wird Marlena schwerverletzt aufgefunden, Suzannah ist spurlos verschwunden. Deputy Frank Kimble nimmt die Suche nach dem Mädchen und den Männern auf, die Marlena beinahe umgebracht haben, unterstützt von Jade – eine gefährliche Aufgabe …

Ein bisschen Mystik, ein bisschen Krimi, eine intensive Atmosphäre und ein Hang zu den Südstaaten zeichnen die Romane von Carolyn Haines aus. Ähnlich wie ihr Erfolgsroman „Am Ende dieses Sommers“, greift auch dieses Werk auf diese bewährte Mischung zurück.

|Teilweise interessante Charaktere|

Im Mittelpunkt steht die Afroamerikanerin Jade, deren Ansehen in der Stadt von Widersprüchen geprägt ist. Einerseits ist ihr Schönheitssalon mit den Bildern der Hollywoodstars der einzige Hauch von Luxus im ländlichen Drexel, ein Anlaufpunkt für alle Damen der Gesellschaft, die sich widerwillig eingestehen müssen, dass niemand bessere Frisuren und Make-ups zaubert als die geheimnisvolle Farbige. Auch auf ihre Dienste im Bestattungsinstitut will niemand verzichten. Jade besitzt das Geschick, allen Toten einen würdigen Anblick zu verleihen. Mit Rouge, Wachs, Vaseline und Blumensträußen kaschiert sie die Makel des Todes, sodass selbst Angehörige von Unfallopfern nicht auf einen offenen Sarg verzichten müssen. Auf der anderen Seite ist die Einzelgängerin Jade den meisten Bewohnern unheimlich; es geht das Gerücht um, sie könne mit den Toten sprechen. Jade trägt ihr Außenseiterdasein mit Würde. Sie hat Jonah und Ruth, das schwarze Dienstbotenehepaar, als Eltern akzeptiert und ignoriert ihre leibliche Mutter Lucille. Sie drängt auch Marlena nicht dazu, sich als ihre Schwester zu bekennen, und ist damit zufrieden, der kleinen Suzannah Babysitterin zu sein.

Weiterhin gelungen ist die Figur des Deputys Frank Kimble. Ein düsteres Familienschicksal lastet auf dem Kriegsveteran, der seit seinem Einsatz unter einem Trauma leidet. Trotz seiner verdienstvollen Arbeit wird er ähnlich misstrauisch beäugt wie Jade; kein Wunder also, dass die beiden einander näherkommen. Bedeutsame Nebenfiguren sind außerdem Jades Zieheltern Ruth und Jonah und Lucille, von Jonah verehrt, von Ruth gehasst; zudem noch Dotty, Marlenas vorgeblich beste Freundin, ein oberflächliches Frauenzimmer, stets auf Männersuche und bald in eine Affäre mit Lucas Bramlett verstrickt. Allerdings erhält Dotty, die zunächst eine unsympathische Figur ist, gegen Ende noch Gelegenheit, sich zu bewähren, und erscheint in einem freundlicheren Licht. Marlena, von der Handlung her einer der wichtigsten Charaktere des Romans, geht dabei ein wenig unter; über ihr Verhältnis zu Jade wird mehr gesagt, als dass man es wirklich erlebt.

|Spannend und atmosphärisch|

Es ist ein typisches Bild der Südstaaten in den Fünfzigerjahren, das die Autorin hier entwirft. Ein schwüler Sommer mit drückender, feuchter Hitze, eine Kleinstadt voller Vorurteile und gestrigem Denken sowie eine scharfe Rassentrennung, auch wenn sie teilweise nur indirekt zum Tragen kommt. Afroamerikaner sind Menschen zweiter Klasse, werden entweder offen angefeindet oder gönnerhaft wie loyale Dienstboten behandelt. Auch wenn dies kein typischer Krimi ist, wird für Spannung gesorgt. Lange Zeit ist unklar, wer hinter dem Überfall auf Marlena steckt, welches Motiv sich dahinter verbergen mag. Während Marlena mit dem Überleben kämpft, weiß niemand, ob Suzannah noch lebt, ob vielleicht eine Lösegeldforderung eingeht und wo man suchen soll. Jade begegnet auf ihrer Suche nach ihrer Nichte unverhohlenem Hass, und zu Recht bangt Frank Kimble bald auch um ihre Sicherheit.

|Kleine Schwächen|

Weniger gelungen sind die spirituellen Einschläge, die ab und zu in der Handlung aufblitzen. Sowohl Jade als auch Frank erleben Visionen, die ihnen etwas über Suzannahs Schicksal verraten – ein unnötiges Konstrukt, das zudem etwas von der Spannung raubt. Tatsächlich wird die Suche nach Suzannah im Verlauf der Handlung noch in den Hintergrund gerückt; ihr Vater verhält sich gleichgültig, Jade konzentriert sich auf ihre Halbschwester, Frank kommt in den Wäldern hinter ein grauenvolles Geheimnis und schließlich wird auch noch Dotty entführt – alles interessante Nebenhandlungen, die aber etwas zu dominant im Vergleich zu dem verschwundenen Mädchen behandelt werden. Auch das Ende ist nicht optimal; nachdem sich der Kreis scheinbar geschlossen hat, wird auf den letzten beiden Seiten eine neue Entwicklung angedeutet, die fast Platz für einen Fortsetzungsroman böte und zu lapidar die Handlung beschließt.

_Als Fazit_ bleibt ein atmosphärisch dichter Südstaatenkrimi, der überzeugend das Flair der Gegend am Mississippi in den Fünfzigerjahren einfängt. Die Hauptcharaktere sind gelungen, allerdings haben sich auch ein paar kleine Schwächen eingeschlichen. Insgesamt erreicht der Roman nicht die Klasse von Haines Erstling „Am Ende dieses Sommers“, ist aber allen Südstaateninteressierten ans Herz zu legen.

_Die Autorin_ Carolyn Haines, Jahrgang 1953, wuchs in Mississippi auf und arbeitete zunächst zehn Jahre lang als Journalistin, ehe sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Anfangs verfasste sie unter Pseudonym Romanzen, heute schreibt sie Kriminalromane, die alle in den Südstaaten spielen. Zu ihren Werken zählen unter anderem „Am Ende dieses Sommers“, „Der Fluss des verlorenen Mondes“ und „Wer die Toten stört“.

|Originaltitel: Penumbra
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Karl-Heinz Ebnet
333 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7857-2328-9|

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John Dickson Carr – Der vergoldete Uhrzeiger

Carr Uhrzeiger Cover kleinDas geschieht:

Im Londoner Kaufhaus Gamridge stiehlt eine Ladendiebin eine kostbare Uhr. Vom Hausdetektiv erwischt, schlitzt sie diesem den Bauch auf und entkommt: ein bizarrer Mordfall so recht nach dem Herzen von Gideon Fell ist, der als Amateur-Ermittler so berühmt ist wie als Wissenschaftler.

Besagte Uhr wurde von Johannus Carver hergestellt, einem Meister seines Fachs, der zurückgezogen in einem großen Haus lebt. Dorthin begibt sich Fell, der den Uhrmacher und seine seltsame ‚Familie‘ gern persönlich kennenlernen möchte. Der Besuch erfolgt unter dramatischen Umständen: Gerade fanden die Bewohner einen Unbekannten tot in einem der Zimmer; der Mann ist offenbar ein Einbrecher. In seinem Nacken steckt der Minutenzeiger einer gewaltigen Turmuhr. John Dickson Carr – Der vergoldete Uhrzeiger weiterlesen

Roberson, Jennifer – Kind des Raben (Cheysuli 4)

Band 1: [„Dämonenkind“ 4409
Band 2: [„Wolfssohn“ 4868
Band 3: [„Tochter des Löwen“ 4961

Mit „Kind des Raben“ erschien nun der letzte Teil der |Cheysuli|-Neuausgabe; er umfasst die Bände „Der Flug des Raben“ und „Ein Gobelin mit Löwen“.

Aidan hat Alpträume von einer zerfallenden Goldkette, schon seit er ein kleiner Junge ist. Seine Eltern haben sie nicht weiter ernstgenommen, er aber weiß, dass sie von Bedeutung sind. Denn abgesehen von den Träumen hat er auch ganz ungewöhnliche Begegnungen, nicht nur mit einigen seiner toten Vorfahren, sondern auch mit noch weit seltsameren Leuten wie dem Jäger, der Weberin oder dem Krüppel. Aber gerade, als er glaubt, das Rätsel gelöst zu haben, wird er von einer grausamen Realität eingeholt …

Kellin hat ebenfalls Alpträume. Seit einer unbedachten Äußerung seines Großonkels Ian fürchtet er sich vor Löwen, selbst jenen auf dem Wandteppich in der großen Halle oder dem geschnitzten Löwen des Throns. Weit mehr als das leidet er allerdings darunter, dass sein Vater ihn verlassen hat. Als er auch noch andere, ihm nahestehende Menschen verliert, wird seine Verlustangst zur Phobie. Kellin versucht, seine Ängste mit Alkohol, Hurerei und Gewalt zu verdrängen, doch es gelingt ihm nicht. Erst als er nach einem unfreiwilligen Bad in einem reißenden Gebirgsfluss sein Gedächtnis verliert, scheint er in der Lage, seinen eigenen Weg zu finden …

_Aidan_ war mir ehrlich gesagt der weitaus sympathischere von beiden. Die ständig wiederkehrenden Alpträume, denen er sich nicht verweigern kann, lassen Aidan ernstlich an seinem Verstand zweifeln. Außerdem besitzt er die erinnische Gabe des Kivarna, die Fähigkeit, die Gefühle anderer zu spüren. Deshalb weiß er, dass seine Eltern genau dieselben Zweifel hegen. Er versucht, Antworten von seinen magischen Begegnungen zu bekommen, doch die scheinen nicht geneigt, ihm irgendetwas zu verraten, und bestehen stattdessen darauf, dass er es selbst herausfindet. Aidans Verwirrung treibt ihn fast zur Verzweiflung.

Kellin ist ebenfalls verzweifelt, was durchaus nachvollziehbar ist, allerdings ist er im Gegensatz zu Aidan vollkommen blind für das, was er selbst anrichtet, als hätten seine Verluste ihm das Recht verliehen, seinerseits andere zu verletzen. Die Risiken, die er eingeht, übersteigen selbst alles, was Hart jemals ausgefressen hat; er ist eigensinnig, selbstgerecht und zeigt nicht die geringste Bemühung um Selbstbeherrschung, ja nicht einmal die Bereitschaft dazu, es auch nur zu versuchen. In der Szene, in der er mit Burr, dem Shar Tal, aneinandergerät, hätte ich ihn am liebsten geohrfeigt.

Natürlich braucht die Geschichte nach Strahans Tod auch einen neuen Gegenspieler. Und so schwer es ist, aber Lochiel scheint seine Vorgänger an Bosheit sogar noch zu übertreffen. Was er mit Aidans Frau anstellt, stellt einen neuerlichen Höhepunkt in der Verruchtheit der Ihlini dar, und mit seinen eigenen Familienangehörigen geht er auch nicht gerade freundlich um.

Abgesehen davon aber, ob mir die Charaktere nun sympathisch waren oder nicht, sie waren alle ausgesprochen glaubhaft und lebendig beschrieben. Da blieb nichts zu wünschen übrig.

_Was die Handlung anging_, so hat mir auch hier die Geschichte um Aidan besser gefallen als die um Kellin. Zur Abwechslung ging es tatsächlich mal nicht darum, den geeigneten Ehepartner für die richtige Blutmischung zu finden oder zuzusehen, wie die nächste Generation in eine Falle der Ihlini tappt und sich dann wieder rauswindet. Aidan fällt in jeder Hinsicht aus dem Rahmen, was ich als sehr wohltuend empfand. Sein Versuch, den richtigen Weg durch die Flut von Andeutungen und Halbinformationen zu finden, war erfrischend neu.

Der Wermutstropfen war dagegen Lochiel. Eigentlich ist er ja nicht dumm. Aber nach so vielen gescheiterten Versuchen seiner Vorgänger, die Prophezeiung in eine falsche Richtung zu lenken, und mit dem Wissen, dass den Ihlini die Zeit davonläuft, muss er sich schon die Frage gefallen lassen, warum in aller Welt er Aidans Sohn entführt hat, anstatt ihn einfach umzubringen. Zumal er seiner eigenen Aussage nach ja wusste, dass Aidan keine weiteren Kinder haben würde. Da wäre ein schlichter Mord eine wesentlich sicherere Methode gewesen, die Prophezeiung zu vernichten, als eine neuerliche, verwickelte Intrige. Natürlich hat es dramaturgische Gründe, sonst wäre ja schließlich kein Happy -End mehr möglich gewesen. Das macht es aber nicht unbedingt logischer.

Kellins Geschichte birgt natürlich den Reiz, dass auf irgendeine Weise die Verbindung mit den Ihlini hergestellt werden muss. Das ist der Autorin tatsächlich auf geschickte Weise gelungen. Leider beginnt Kellin sich erst ab dem Moment in die richtige Richtung zu bewegen, nachdem er den Schoß der Erde aufgesucht hat, und bis dahin ist mehr als die Hälfte des Buches gelesen. Außerdem empfand ich auch den Schluss des Zyklus als ein wenig unbefriedigend. Der Leser erfährt weder, was es mit diesen Erstgeborenen, deren Rückkehr so hart erkämpft und so teuer erkauft wird, eigentlich genau auf sich hat, noch, warum sie so dringend zurückgebracht werden müssen. Asar-Suti ist ein Gott, und ein Gott kann nicht endgültig besiegt werden. Es wird also weiterhin Böses und Übles in der Welt geben, selbst wenn die Erstgeborenen mächtiger sein sollten als Asar-Sutis Anhänger, von denen es ja mehr gibt als nur Tynstars Nachkommen.

Ein wenig enttäuschend fand ich auch, dass die A’saii, die einen interessanten Aspekt hätten darstellen können, so sang- und klanglos im Hintergrund verschwunden sind. Tiernan war ein vielversprechender Charakter, der für einen Menge echte Turbulenzen hätte sorgen können, wenn er denn mal richtig zum Zug gekommen wäre. Dass er seinen Lir verloren hat, empfand ich ein wenig als Verschwendung. Andererseits wäre angesichts der Dicke der letzten beiden Bände wohl einfach nicht mehr genügend Platz gewesen, um ihm wirklich gerecht zu werden. Auch die Lirs haben nicht zu der Bedeutung zurückgefunden, die ich mir erhofft hatte. Aidan und Kellin und ihre Lirs sprechen nicht halb so viel miteinander, wie ich es zum Beispiel von Donal in Erinnerung habe, und nicht halb so freundlich.

_Am Ende_ hab ich das Buch mit gemischten Gefühlen zugeklappt. Ich hätte durchaus gern gewusst, wie die Zukunft der Welt unter der Herrschaft der Erstgeborenen ausgesehen hätte, wenigstens ein kleines bisschen. Und bei Kellins rüden Eskapaden trotzdem weiterzulesen, hat mich einiges an Geduld gekostet. Trotzdem fand ich auch die letzten beiden Teile des Zyklus nicht wirklich schlecht, vor allem dank Aidans ausgefallener Rolle innerhalb der Prophezeiung und der Tatsache, dass die Autorin auf so gelungene Weise die letzte heikle Kurve hin zu den Ihlini genommen hat. Ich bin aber auch nicht unglücklich, dass der Zyklus jetzt zu Ende ist, denn noch eine oder zwei weitere Generationen, und ich hätte endgültig den Überblick darüber verloren, wer denn nun eigentlich wer war.

_Jennifer Roberson_ studierte englische Geschichte und war zunächst als Journalistin tätig, ehe sie Bücher zu schreiben begann. Der |Cheysuli|-Zyklus war ihr erstes Werk, seither hat sie eine ganze Reihe von Zyklen, Einzelromanen und Kurzgeschichten geschrieben, darunter die |Schwerttänzer|-Saga sowie die Historienromane „Lady of the Forest“ („Herrin der Wälder“, dt. 1996) und „Lady of Sherwood“ („Die Herrin von Sherwood“, dt. 2002). Die Autorin lebt mit einem Rudel Hunde und Katzen in Flagstaff/Arizona.

|Originaltitel: Flight of the Raven / A Tapestry of Lions
Überarbeitete Neuausgabe
Übersetzung: Karin König
990 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52487-3|
http://www.cheysuli.com
http://www.heyne.de

Vargas, Fred / Baudoin, Edmond – Zeichen des Widders, Das

_Sieht man sich die Rezensionen_ bei |Amazon| zu Fred Vargas‘ neuestem Werk „Das Zeichen des Widders“ an, so wird schnell deutlich, dass die Grande Dame des französischen Kriminalromans zu polarisieren weiß. Entsetzt musste da so mancher Leser feststellen, dass der vermeintliche Roman „nur“ ein Comic ist, und sich darauf einzulassen, scheint so manchen eingeschworenen Romanleser leider zu überfordern.

Umso schöner ist es zu sehen, dass eine Autorin, die seit 1994 mit immerhin neun Romanen national wie auch international so manchen Literaturpreis einheimsen konnte, so mutig und offen neue Wege beschreitet. Wer ihr vorhält, dass ihr neuestes Werk ja „nur“ ein Comic sei, der verkennt die enormen Möglichkeiten dieses Genres.

Was Fred Vargas in Zusammenarbeit mit dem Zeichner-Urgestein Edmond Baudoin auf die Beine gestellt hat, ist mehr als ein schnöder Comic. Vielmehr hält der Leser eine düstere, atmosphärisch dichte und spannende Graphic Novel in den Händen, die viel zu sehr Roman ist, um ein Comic zu sein, und viel zu sehr Comic, um ein Roman zu sein.

_“Das Zeichen des Widders“_ erzählt die Geschichte des jungen Grégoire. Zusammen mit seinem Kumpel Vincent versucht er sich als Kleinkrimineller auf den Straße von Paris. Ihr Leben nimmt eine Wende, als sie einem alten Mann eine Tasche stehlen, deren Inhalt sie in Angst und Schrecken versetzt: vier Haarbüschel, ein Tierschädel, eine Polizeimarke, eine Filmdose voller Zahnsplitter und 30.000 Francs.

Als Grégoire am nächsten Morgen Vincent tot in dessen Wohnung auffindet, nimmt er Tasche und Geld an sich. Der Beklaute heftet sich derweil an Grégoires Fersen, um seine Tasche bei günstiger Gelegenheit möglichst unauffällig zurückzuergattern. Unterdessen versucht Grégoire auf eigene Faust, etwas über den Besitzer der ominösen Tasche herauszufinden, ohne zu ahnen, wie gefährlich das für ihn werden kann.

Kommissar Adamsberg hingegen hat so eine Ahnung, wer hinter dem Mord an Vincent stecken könnte, und wähnt nun auch Grégoire in Gefahr. Doch der sucht lieber das Weite anstatt sich Adamsberg anzuvertrauen …

_Im Prinzip_ gibt es zwei unterschiedliche Ansätze, Vargas‘ neuestes Werk zu betrachten: als Vargas-„Roman“ oder als das, was es ist, nämlich eine Graphic Novel. Freunde der Vargas’schen Kriminalromane werden hier sicherlich eine ganze Menge Vertrautes vermissen. Zum einen bekommen Adamsberg und sein Team nun plötzlich ein Gesicht (zum Teils wie zum Beispiel im Fall von Danglard recht derb und unschön gezeichnet) und zum anderen muss Vargas‘ textlicher Beitrag zu diesem Werk schon aufgrund der anderen Darstellungsweise anders ausfallen als sonst. Insofern kann es eigentlich nur sinnvoll sein, das Ganze ein wenig von Vargas‘ bisherigem Wirken zu lösen und als eigenständiges Werk zu betrachten.

Und dann sieht das Urteil gar nicht so schlecht aus. „Das Zeichen des Widders“ funktioniert als Graphic Novel wunderbar, und Fred Vargas macht ihre Sache als Autorin in fremden Gefilden sehr gut. Von der Umsetzung her kann das Team Vargas/Baudoin es durchaus mit anderen Genregrößen aufnehmen. Baudoins Zeichnungen steuern dazu natürlich einen ganz großen Teil bei. Mit groben Strichen skizziert er die Geschichte und legt dabei eine etwas raue Darstellungsweise an den Tag. Vieles wird mit scheinbar wirren Strichen angedeutet, und die schwarz-weiße Darstellung trägt das Ihrige zur eher düsteren Atmosphäre der Geschichte bei.

Gesichter bleiben oft schemenhaft, viele Details werden verwischt, und dennoch entwickelt die Geschichte, wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat, eine beachtliche Tiefe. Mit Grégoire hat Vargas eine sympathische Hauptfigur geschaffen, deren Leben sie hier und da mit liebenswürdigen und skurrilen Details versieht. Natürlich funktioniert die Figurenskizzierung nicht ganz so tiefgreifend wie in ihren Romanen, aber betrachtet man das Ganze im Rahmen der Möglichkeiten der Graphic Novel, so gelingt die Darstellung der Charaktere durchaus gut.

Etwas comic-untypisch ist teilweise die Art der Dialoge. Auf vielen Seiten werden einzelne Szenen nur anhand eines Bildes angedeutet. Man sieht, in welcher Situation die Figuren miteinander sprechen, aber der folgende Dialog spielt sich dann zum Teils auch nur in Worten und weniger in Bildern ab. „Das Zeichen des Widders“ kann sich damit als eigenständiges Werk behaupten, das mit den Möglichkeiten des Genres spielt. Man sieht hier wirklich auf ganz eigenwillige Weise eine Verknüpfung zweier Welten – der des Romans und der des Comics.

Und so sind Geschichte und Darstellung über weite Strecken auch durchaus überzeugend. Was auch in der Graphic Novel typisch für Vargas bleibt, ist die teilweise vorherrschende Unergründlichkeit von Adamsbergs Gedankengängen. Er folgt wie üblich seiner Intuition, und als Leser schaut man ihm dabei mitunter etwas verwundert zu.

_Dennoch ist „Das Zeichen des Widders“_ ein insgesamt durchaus zufriedenstellendes Lesevergnügen. Die Leserschaft wird es sicherlich weiter spalten – die Graphic Novel ist halt ein Format, dessen Vorzüge viele nicht zu schätzen wissen, weil sie sich nie wirklich ernsthaft darauf eingelassen haben. Wer genau das aber einmal macht, der wird mit einer düsteren und spannenden Geschichte belohnt, die zwar einerseits durch ihre Umsetzung als Graphic Novel sehr viel bildhafter ist, als man das von Fred Vargas sonst gewohnt ist, aber aufgrund der teils sehr schemenhaften Darstellung auch noch vieles der Fantasie des Lesers überlässt.

Fred Vargas‘ Ausflug in neue Gefilde ist nicht zuletzt auch durch die ausdrucksstarken Zeichnungen von Edmond Baudoin durchaus geglückt. Dennoch werden sicherlich viele ihrer angestammten Leser inständig hoffen, dass es ihr letztes Experiment dieser Art war …

|Originaltitel: Les quatre fleuves
Mit Zeichnungen von Baudoin
222 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-351-03250-0|
http://www.aufbau-verlag.de

_Mehr von Fred Vargas auf |Buchwurm.info|:_

[„Die schöne Diva von Saint-Jacques“ 2880
[„Die dritte Jungfrau“ 3517
[„Die schwarzen Wasser der Seine“ 4430

von Ulmann, Jachim / Herzog, Ulli – Geldfälscher, Die (Die 3 Freunde ermitteln – Folge 8)

_Besetzung_

Tina Gerstner – Tatjana Buschenhagen
Andi Bertram – Frank Schaff-Langhans
Markus Bertram – Carsten Zachariae
Marianne Bertram – Evelyn Meyka
Herbert Bertram – Alexander Herzog
Theo Kernbacher – Klaus Nägelen
Anna Eichhorn – Maria Axt
Conrad Eichhorn – Otto Czarski
Paul Kolbe – Gerd Holtenau

Regie: Ulli Herzog
Buch: Joachim von Ulmann
Ton: Walter Scheerbarth
Musik: J. Stahlberg
Ilustrator: Marc Chrostek

_Story_

Nur wenige Wochen, nachdem die drei Junior-Detektive ihren letzten Fall erfolgreich abgeschlossen haben, bahnen sich auch schon die nächsten Ermittlungen an. Eher zufällig erfährt Andi bei einem Besuch in der Druckerei Eichhorn, dass in den hinteren Kammern des Gebäudes einige krumme Geschäfte vonstatten gehen. Ausgerechnet der ständig betrunkene Paul Kolbe arbeitet für die angesehenen Geschäftsleute und bringt Andi und seine Freunde auf eine Idee: Der junge Detektiv schleust sich als Bote für den Betrieb ein und schnüffelt als solcher in den Büros der Druckerei herum. Schon bald entdeckt er, dass der Verlag in einer Geldwäsche-Affäre aktiv ist und die Besitzer als Mittelsmänner fungieren. Doch als Andi die Gauner auf dem Silbertablett servieren will, kommen ihm die Eichhorns und ihr selten nüchterner Begleiter auf die Schliche …

_Persönlicher Eindruck_

In der achten Episode werden die drei Junior-Detektive mal wieder auf eine harte Probe gestellt. Eine regionale Geldfälscherbande treibt in den Gemäuern einer Druckerei ihr Unwesen und scheut auch vor härteren Bandagen nicht zurück. Dies ist eigentlich auch schon das Grundgerüst der Story, die in den Nebensträngen noch von den serientypischen Eigenheiten geprägt wird. Da wären vorab natürlich die Sorgen von Familie Bertram, allen voran Mutter Marianne, die von den Heldentaten ihrer beiden Söhne nicht sonderlich angetan wäre. Durch dieses Element kommt auch gleich ein bisschen Humor in die Geschichte hinein, da der neunmalkluge Andi auf ihre fürsorglichen Ansprachen immer die passende Antwort im Repertoire hat. Zwar ist das Sprachniveau nicht ganz so zeitgemäß wie in den aktuellen Episoden von beispielsweise „TKKG“ oder den fünf Freunden von Enyd Blyton, jedoch ist dies auch ziemlich angenehm, da somit auch keine moralischen Grenzen überschritten werden.

Was vielmehr stört, ist so manch hüftsteife Entwicklung innerhalb der Geschichte. Die Sprecher sind hier zwar recht ambitioniert, aber der Inszenierung fehlt das Feuer, quasi eine Spur mehr Lebendigkeit. Die ganze Atmosphäre ist ein wenig trocken, da die musikalischen Untermalungen recht unspektakulär und auch die Szenenwechsel nicht ganz so dynamisch sind wie bei den großen Vorbildern aus dem Hause |Europa|. Dies weiß „Die Geldfälscher“ zwar noch mit einer ganz netten, sympathisch aufgebauten Geschichte zu kaschieren, doch insgesamt könnte das Hörspiel noch weitaus spritziger und aufregender gestaltet sein – auch wenn die Zielgruppe wohl eher im Grundschulalter zu suchen ist.

Davon abgesehen ist die Story aber ganz ordentlich und punktet zumindest mit sympathischen Sprechern und jugendfreundlichem Inhalt. Da die Erzählung vergleichsweise einfach gestrickt und dementsprechend leicht nachzuvollziehen ist, sollten nicht nur Anhänger der Serie, sondern auch Freunde von Detektiv-Hörspielen mal ein Ohr riskieren – wohl wissend, dass alles noch eine Spur besser ginge.

|Empfohlen ab 8 Jahren
ISBN-13: 978-3-86714-136-9|
http://www.maritim-produktionen.de/