Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Hill, Reginald – Wald des Vergessens, Der

Detective Superintendent (dieses Mal in der Übersetzung seltsamerweise & unnötig als „Kommissar“ betitelt) Andrew Dalziel, „der dicke Andy“ (auch „das Ekelpaket“, „der fette Bastard“ usw.) genannt, absolutistischer Herr der Kriminalpolizei von Mid-Yorkshire, muss zu seinem Ärger kurzfristig auf seinen besten Ermittler und Freund Peter Pascoe verzichten. Dem ist seine streitbare Oma Ada gestorben, um deren Bestattung und Nachlass er sich nun zu kümmern hat. Dabei fällt ihm aus einem Geheimfach des großmütterlichen Sekretärs ein altes Foto in die Hände. Es zeigt seinen Urgroßvater, der während des Ersten Weltkriegs in einer der vielen Schlachten bei Ypern 1917 gefallen ist.

Peter wird neugierig. Über ihren Vater hatte Ada nie reden wollen. Stattdessen stellte sie einen lebenslangen Hass auf alles Militärische zur Schau. Weil ihn das schlechte Gewissen plagt – mit der Großmutter hatte er sich vor Jahren zerstritten -, stellt er Nachforschungen über seinen Vorfahren an. Aus Interesse wird rasch Besessenheit, denn Peter stellt fest, dass ein düsteres Geheimnis das gar nicht so offizielle Ende des alten Soldaten umgibt.

In Mid Yorkshire lauert freilich schon Andy Dalziel auf seine Rückkehr. Militante Tierschützer haben ein versteckt im Wald gelegenes Pharmalabor überfallen. Es misslang ihnen, durch den Sperrgürtel ins Innere vorzudringen. Stattdessen fanden sie in einem Schlammloch ein menschliches Skelett. Dies lag dort wohl schon länger als das Labor existiert. Trotzdem ist Dalziel misstrauisch. Ihn irritiert der enorme Sicherheitsaufwand, der hier getrieben wird. Der Laborleiter ist auffallend nervös. Unter dem paramilitärisch gedrillten Wachpersonal erkennt Dalziel alte Bekannte, die manches Gefängnisjahr abgebrummt haben. Was geht also wirklich vor hinter diesen vorzüglich abgeschirmten Mauern – und hat Dalziels neue Liebe, die anarchistische Cap Marvell, etwas damit zu tun …?

Die Lektüre eines Dalziel/Pascoe-Romans von Reginald Hill bereitet dem vergnügten Leser jedes Mal eine Überraschung: Was hat sich der Verfasser nun wieder einfallen lassen, um sein Publikum zu unterhalten? Es gibt D/P-Krimis à la Agatha Christie, Politthriller, Noir-Parodien, Geister treten auf … Hills Fantasie sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Mit Genreelementen treibt er sein intelligentes Spiel. Puristen mögen ihm das übel nehmen. Wagemutige Leser dagegen schätzen es, immer wieder intelligent aufs Glatteis geführt zu werden – nun mit einem Historien-Drama; einem halben jedenfalls, denn Hill vergisst auch jene nicht, die einen „richtigen“ Mordfall gelöst sehen möchten (um stattdessen doch wieder aufs Kreuz gelegt zu werden).

Der Erste Weltkrieg, den man in England immer noch den „Großen“ nennt, gehört in die Reihe der nationalen Triumphe und Tragödien der Inselnation. Der zeitlich nähere Kampf gegen Nazideutschland verdeckt manchmal die Erinnerung an die unmenschlichen Schützengrabenschlachten zwischen 1914 und 1918, denen 750.000 Engländer zum Opfer fielen.

Der Triumph bestand darin, dass Großbritannien 1918 zu den Siegernationen gehörte. Auf diese Seite wird vor allem von offizieller Seite gern und oft aufmerksam gemacht. Von der Tragödie spricht man dagegen weniger gern: Tatsache ist, dass dieser Sieg nicht wegen, sondern trotz militärischer Befehlshaber errungen wurde, die ihre Soldaten unzureichend ausgerüstet in völlig sinnlose Kämpfe schickten, wo sie nicht selten täglich zu Zehntausenden umkamen. Erst recht nur ansatzweise thematisiert wird das Schicksal von Kämpfern wie dem älteren Pascoe, die zwar überlebten, durch das erlebte Grauen in den Kraterlöchern und Schützengräben jedoch buchstäblich verrückt wurden. Sie verdarben das glanzvolle Siegesbild, befleckten es gar, denn manchmal taten sie das Undenkbare: Statt für das Vaterland in einem namenlosen Schlammloch zu verrecken, ergriffen sie die Flucht, wollten nur nach Hause. Die Konsequenz: der Tod durch ein Hinrichtungskommando, das aus den eigenen Kameraden bestand. Es braucht keinen Feind, um vom Krieg verschlungen zu werden. Diese bittere Lektion ist es, die Peter Pascoe lernen muss, der auf seiner Zeitreise seine schwierige Familiengeschichte bewältigt und erleidet.

Wem das zu schwermütig klingt, sei auf die Eskapaden des fidelen Falstaff-Kriminalisten Andy Dalziel hingewiesen. In regelmäßigen Abständen tritt er in seiner unnachahmlichen Art auf die Bühne. Als Polizist dieses Mal kaum gedämpft von seinem Partner, läuft er zu ganz großer Form auf. Wie ein Tornado fällt er über Freund und Feind, über Verdächtige, Kollegen und ignorante Amtsträger gleichermaßen her. Kein bisschen lässt er sich durch die ungeschriebenen Regeln des Establishments beeindrucken: Hilfst du mir, dann geb’ ich dir – und Maul gehalten vor dem dummen Pöbel! Nichtsdestotrotz kennt Dalziel sich aus im Gefüge der Macht. Er ist seinen Gegnern stets einen Schritt voraus und verwirrt sie mit unerwarteten Schachzügen. So dröselt er den rätselhaften Todesfall am Großlabor denn auch von hinten auf und schlägt bei den Ermittlungen erstaunliche Hasenhaken. Natürlich löst er den Fall – aber der Leser darf sich an einer wendungsreichen Jagd erfreuen.

„Fröhliches Mäandern“ ist ohnehin ein Markenzeichen der Dalziel/Pascoe-Romane. Viele Krimileser der alten Schule (Untat – Ermittlung – Überführung – Sühne) ärgern sich über die Abschweifungen, die den Verfasser manchmal den roten Faden aus den Augen verlieren lassen. Reginald Hill hält sich nicht daran. Wieso auch, ergänzt er den klassisch strengen Handlungsablauf doch durch unterhaltsame Episoden, die zudem eine Chronik von Mid-Yorkshire erkennen lassen, die über nun schon viele Bände fortgesetzt wird. Und Vorsicht: Es kann durchaus sein, dass eine scheinbare Nebensache an anderer Stelle oder gar in einem späteren Roman wieder aufgegriffen wird. Insofern ist es natürlich schade, dass die D/P-Serie in Deutschland völlig planlos erscheint.

Nebenbei streut Hill, der Literaturkenner, wieder reichlich Zitate aus alten, halb oder ganz vergessenen Buch- oder Theaterklassikern ein. Man muss sie nicht zur Kenntnis nehmen. Sie bieten ein zusätzliches (intellektuelles) Vergnügen, denn sie kommentieren das Geschehen und geben versteckte Hinweise auf den Fortgang der Handlung. Zum ersten Mal folgt dem Roman zudem ein Glossar, das jene Anspielungen auflöst, welche die Übersetzung nicht überstanden – Hill ist ein Meister des Wortspiels – oder zu schade zum Überlesen sind; ein hübscher Einfall.

Mehr Raum als sonst räumt Reginald Hill wie schon gesagt dem unvergleichlichen Dalziel ein. Normalerweise dosiert er dessen Auftritte klug, so dass man sich freut, ihn wirken und wüten zu sehen. Peter Pascoe und – auf seine eigene, stille Weise – Sergeant Wield puffern seine Einmannfeldzüge normalerweise ab. Wir lesen außerdem oft nur indirekt über Dalziels Eskapaden, die von ehrfürchtigen Kollegen, Freunden und den vom Dalziel-Blitz Getroffenen im Stile von Heiligenlegenden erzählt werden. So nutzt sich die Figur nicht ab und kann ihre Einzigartigkeit sichern.

Dieses Mal stellt Verfasser Hill seinen Helden vor eine sogar für ihn schwere Herausforderung: Dalziel verliebt sich. Das ist für einen Mann seines Charakters eine ernste Sache, zumal die Angebetete erstens ebenfalls über einen veritablen Dickkopf verfügt und zweitens als Verdächtige in mindestens einem Mordfall gilt, was den auf Freiersfüßen wandelnden (oder besser stampfenden) Dalziel zu einem aberwitzigen Eiertanz zwischen Balz- und Ermittlungsspielchen zwingt.

Peter Pascoe ist der zögerliche oder besser nachdenkliche Part des dynamischen Duos. Nur zu oft muss Dalziel darauf achten, dass aus Denken nicht Grübeln wird. Pascoe neigt dazu, die Welt sehr schwer zu nehmen. Ihm geht das Talent seines Vorgesetzten und Freundes ab, Unerfreuliches an sich abtropfen zu lassen wie eine Ente das Wasser. Die Suche nach dem getilgten Urgroßvater ist ein Beispiel für Pascoes Engagement sowie sein Talent, sich in eine Sache zu verrennen. Dazu kommt seine liberale Ader, die ihm manchen inneren Konflikt beschert. Pascoe ist nicht zufrieden mit dem System, das allzu viele Schlupflöcher für schlaue Strolche mit guten Beziehungen bietet, während mancher arme Tropf auf der Strecke bleibt. Forciert wird dieser Konflikt durch Peters Gattin Ellen, eine nur mühsam zu mäßigende Radikale, die um der guten Sache gern bereit ist, öffentlichen Ärger zu beschwören, was der Karriere ihres Ehemanns verständlicherweise nicht gerade förderlich ist.

Dieses Mal geht es also gegen die Pharmaindustrie bzw. ein Labor, in dem Präparate an Tieren getestet werden. Ein militantes „Rettungskommando“ Mid-Yorkshirer Aktivistenfrauen begibt sich auf einen nächtlichen Einsatz. Was mit den befreiten Kreaturen geschehen soll, die in der freien Natur schneller umkommen würden als im besagten Labor – darüber haben sie sich keine Gedanken gemacht. Das ist auch unwichtig, denn es geht primär um „die Sache“: Hier macht sich Hills ironischer Witz besonders deutlich bemerkbar. Die meisten seiner Figuren sind leicht überzeichnet. Den Dalziel/Pascoe-Romanen fehlt der seifenoperliche Grundton, der pseudodramatisch-kitschige Beziehungsdramen aus einem schwierigen Polizistenleben in den Kriminalplot zwingen will. Hill kann ernst, nachdenklich, traurig werden. Er stülpt dies der Handlung jedoch nicht über oder lässt es diese gar überwuchern. (Man lese nur einen Elizabeth-George-Thriller aus jüngerer Zeit, dann ist sogleich klar, was gemeint ist.)

Lässt Hill also den nötigen Ernst vermissen? Wer legt eigentlich fest, dass nur ein „ernster“ Krimi ein „guter“ Krimi ist? Genau diese Haltung räumt zumindest hierzulande einem Henning Mankell immer das Primat vor einem Reginald Hill, einem Ian Rankin, einem Carl Hiaasen ein, die wichtige Themen und kluge Gedanken mit Witz präsentieren. Das ist ausgesprochen ungerecht sowie falsch, und das scheint auch dem deutschen Publikum klar geworden zu sein, das inzwischen die D/P-Serie so aufmerksam zur Kenntnis nimmt, dass sich die Lücken zwischen den übersetzten Bänden allmählich schließen.

Reginald Hill wurde 1936 in Hartlepool im Nordosten Englands geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Cumbria, wo Reginald seine gesamte Kindheit verbrachte. Später studierte er an der University of Oxford und arbeitete bis 1980 als Lehrer in Yorkshire, wo er auch seine beliebte Reihe um die beiden ungleichen Polizisten Andrew Dalziel und Peter Pascoe ansiedelte.

Deren Abenteuer stellen nur eine Hälfte von Hills Werk dar. Der Schriftsteller ist fleißig und hat insgesamt mehr als 40 Bücher verfasst – längst nicht nur Krimis, sondern auch Historienromane und sogar Science-Fiction. Einige Thriller erschienen unter den Pseudonymen Dick Morland, Charles Underhill und Patrick Ruell. Erstaunlich ist das trotz solcher Produktivität über die Jahrzehnte gehaltene Qualitätsniveau der Hill-Geschichten. Das schlägt sich u. a. in einer wahren Flut von Preisen nieder. Für „Bones and Silence“ zeichnete die „Crime Writers‘ Association“ Hill mit dem begehrten „Gold Dagger Award“ für den besten Kriminalroman des Jahres 1990 aus. Fünf Jahre später folgte der „Diamond Dagger“ für seine Verdienste um das Genre. Reginald Hill lebt mit seiner Frau Pat in Cumbria.

In Deutschland erschienen die frühen Dalziel/Pascoe-Romane im Wilhelm-Goldmann-Verlag. Nach mehr als zehnjähriger (beklagenswerter) Pause nahm sich das Verlagshaus |Europa| der Serie an und veröffentlichte die neueren Episoden vorzüglich übersetzt und angemessen im Hardcover. Die Taschenbuch-Ausgaben erscheinen bei |Knaur|. Inzwischen hat der Erfolg wohl auch hierzulande Reginald Hill endlich gefunden: Der 20. D/P-Roman („Die Launen des Todes“) erscheint bei Droemer, zeitgleich bringt Europa den „Wald des Vergessens“ auf den Buchmarkt.

Die Dalziel/Pascoe-Serie:

01. A Clubbable Woman (1970, dt. „Eine Gasse für den Tod“) – Goldmann Krimi Nr. 4070
02. An Advancement of Learning (1971, noch kein dt. Titel)
03. Ruling Passion (1973, noch kein dt. Titel)
04. An April Shroud (1975, noch kein dt. Titel)
05. A Pinch of Snuff (1978, dt. „Der Calliope-Club“) – Goldmann Krimi Nr. 4836 u. 4991
06. A Killing Kindness (1980, dt. „Der Würger von Yorkshire“) – Goldmann Krimi Nr. 5230
07. Deadheads (1983, dt. „Welke Rosen muss man schneiden“) – Goldmann Krimi Nr. 4996
08. Exit Lines (1984, noch kein dt. Titel)
09. Child´s Play (1987, dt. „Kein Kinderspiel“) – Goldmann Krimi Nr. 5054
10. Under World (1988, dt. „Unter Tage“) – Goldmann Krimi Nr. 5108
11. One Small Step (1990, noch kein dt. Titel)
12. Bones and Silence (1990, dt. [„Die dunkle Lady meint es ernst“) 194 – Europa Verlag
13. Recalled to Life (1992, dt. [„Ins Leben zurückgerufen“) 350 – Europa Verlag
14. Asking for the Moon (1994, noch kein dt. Titel)
15. Pictures of Perfection (1994, dt. [„Der Schrei des Eisvogels“) 206 – Knaur TB Nr. 62441
16. The Wood Beyond (1996, dt. „Der Wald des Vergessens“)
17. On Beulah Height (1998, dt. „Das Dorf der verschwundenen Kinder“) – Europa Verlag (geb.)/Knaur TB Nr. 61984
18. Arms and the Women (1999, dt. [„Das Haus an der Klippe“) 633 – Europa Verlag (geb.)/Knaur TB Nr. 61983
19. Dialogues of the Dead (2001, dt. [„Die rätselhaften Worte“) 857 – Europa Verlag (geb.)/Knaur TB Nr. 62400
20. Death´s Jest-Book (2002, dt. „Die Launen des Todes“) – Droemer Verlag (geb.)
21. Good Morning, Midnight (2004, noch kein dt. Titel)
22. For Love nor Money (2005; noch kein dt. Titel)
23. Secrets of the Death (2005; noch kein dt. Titel)

Wir treffen unsere Helden außerdem in:

Pascoe´s Ghost and Other Brief Chronicles of Crime (1979, dt. „Das Rio-Papier und andere Kriminalgeschichten“) – Goldmann Krimi Nr. 5216

Arnaud Delalande – Das Vermächtnis von Mont Saint-Michel

Vor fast einem Jahrtausend verschwand eine bedeutende Reliquie. Sie könnte einem kriminellen Kirchenfürsten den Weg auf den Papststuhl bahnen, weshalb dieser zwei Wissenschaftler, die sich ihm idealistisch in den Weg stellen, die Mafia auf die Hälse hetzt … – Einer jener Munkel-Thriller, deren Autoren im Kielwasser von Dan Brown nach Lesern fischen, die den Vatikan gern als Brutstätte uralter Geheimnisse und Intrigen sehen. Der Plot ist – freundlich ausgedrückt – unkompliziert und die Figurenzeichnung flach wie die sprichwörtliche Briefmarke, was die unfreiwillige Komik des Werkes nicht ausgleichen kann. Arnaud Delalande – Das Vermächtnis von Mont Saint-Michel weiterlesen

MacLachlan Gray, John – menschliche Dämon, Der

Recht mutig und reißerisch verkündet der Buchrücken von John MacLachlan Grays Debütroman ein Werk, das packend ist wie Caleb Carr und atmosphärisch wie Süskinds „Parfüm“ und hängt die Messlatte für den „menschlichen Dämon“ damit verdammt hoch. So zählt „Das Parfüm“ von Patrick Süskind für mich doch zu den spannendsten und erfreulichsten Schullektüren überhaupt, die den Leser in eine völlig fremde, geheimnisvolle und gefährliche Epoche versetzt. Zu Beginn kämpften bei mir daher die hohe Erwartung angesichts eines atmosphärisch überzeugenden Buches und eine gesunde Skepsis gegeneinander – wollen wir uns ansehen, welche Seite am Ende gewonnen hat …

John MacLachlan Gray versetzt seine Leser in das London des Jahres 1852, in welchem ein Frauenmörder umgeht, der seine Opfer zunächst mit einem teuren Schal erdrosselt und anschließend ihr Gesicht entstellt. Schon früh ist ein Verdächtiger gefunden, der sogleich ins berüchtigte Gefängnis Newgate gesteckt wird, um dort auf seine Hinrichtung zu warten. Der Korrespondent des „Falcon“ Edmund Whitty ist als Berichterstatter immer zugegen, wenn jemand hingerichtet wird und erzählt schließlich aus erster Hand von seinen Erlebnissen. Doch plagen ihn insgeheim große Sorgen, denn sein Alkohol- und Drogenkonsum haben erschreckende Ausmaße angenommen, sodass Whitty sich nur schwer seiner Gläubiger entziehen kann, die ihm an Geld und Wäsche wollen. Oftmals muss er darüber hinaus morgens feststellen, dass er sich nicht mehr an die Ereignisse des vergangenen Abends und der letzten Nacht erinnern kann.

In einem Zeitungsartikel greift Whitty offen und schonungslos den Schriftsteller Henry Owler an, der daraufhin beschließt, seinem Widersacher einen gehörigen Schrecken einzujagen, indem er ihn ins gefährliche Holy Land entführt, in welchem sich düstere Gestalten herumtreiben; außerdem will er Whitty beweisen, dass er mit seinen Vermutungen Recht behält. Gemeinsam suchen die beiden Männer das Newgate-Gefängnis auf, um dort William Ryan zu treffen, der als beschuldigter Frauenmörder im Gefängnis sitzt, jedoch seine Unschuld beteuert. Recht bald kommt Edmund Whitty zu dem Schluss, dass Ryan wohl doch richtig liegt und sich der wahre Mörder noch frei in London bewegt und weiterhin morden kann. Kurz nachdem Ryan schwer verletzt aus dem Gefängnis fliehen kann, wird eine weitere Frauenleiche gefunden, die aber zu einer Zeit ermordet wurde, als Ryan noch in Gefangenschaft war. Die Suche nach dem wahren Mörder geht also weiter.

Nebenbei begleitet der Leser einige weitere Figuren auf dem Weg durch ein düsteres London, wir erfahren etwas über die Liebesverstrickungen zweier Männer und lernen mehr über Whitty und Owler. Als Owlers schöne und lebenslustige Ziehtochter Dorcas ermordet wird, beschließt seine Tochter Phoebe, den Mörder zu suchen und ihm eine Falle zu stellen. Doch wird sie dem menschlichen Dämon entkommen können?

Schon von der ersten Seite an taucht der Leser in eine fremdartige und bedrohliche Welt ein; John MacLachlan Gray wählt hierbei den Zeitungsartikel über eine Hinrichtung als Einstieg in sein düsteres Buch. Auch der Hauptfigur Edmund Whitty, die im Zentrum des Buches steht, begegnet der Leser im ersten Kapitel. Die Eröffnung macht daher sofort klar, worum es geht, worauf der Leser sich einzustellen hat und dass man nicht allzu furchtsam sein sollte für die Lektüre dieses Buches. Lange dauert es allerdings, bis man erkennt, worauf die Erzählung abzielt. Gray eröffnet viele verschiedene Handlungsstränge und stellt immer mehr Figuren vor, von denen man anfangs nicht weiß, ob sie eine Rolle spielen werden und wenn ja, welche. Abwechselnd baut der Autor seine Handlungsebenen weiter aus und lässt einige Personen von einem Handlungsstrang in einen anderen wechseln, sodass manche Figuren als Bindeglied fungieren. Das Buch beginnt komplex, etwas schwerfällig und ohne einen rechten roten Faden. Erst ein Blick auf den Klappentext auf der Innenseite des Buchdeckels hilft hier etwas weiter und erklärt dem Leser, worauf dies alles hinauslaufen soll. Gerade zu Beginn lässt sich Gray viel Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln und die handelnden Charaktere vorzustellen; hier hätte ich mir etwas mehr Tempo gewünscht und eine zielgerichtetere Erzählweise, die den Leser nicht so lange im Dunkeln hätte tappen lassen.

Bei der Betrachtung der Sprache und verwendeten Stilmittel ist zunächst der Einsatz von Zeitungsartikeln in dem ansonsten aus einer neutralen Beobachterperspektive geschriebenen Buch auffällig. Die Zeitungsberichte entstammen entweder der Feder Edmund Whittys oder der eines seiner Kollegen beziehungsweise Konkurrenten und sind durchweg in der Ich-Form geschrieben. Die Artikel sprechen dabei ihre Leser direkt an und berichten in offener Weise von den Erlebnissen des Korrespondenten und seinen Gefühlen und Meinungen. Recht deutlich wird hierbei Grays Versuch, seinen Roman in einer Sprache zu verfassen, die dem 19. Jahrhundert entstammen könnte. Die meisten Sätze sind lang, kompliziert und verschachtelt, Gray offenbart eine Liebe zum Komma und zum Nebensatz, wie man sie selten zu lesen bekommt. Sein Buch ist daher nicht wirklich leicht und flüssig zu lesen, sondern erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Ursprünglich wollte ich den menschlichen Dämon auf einer Zugfahrt weiterlesen, habe mir dann allerdings doch bald überlegt, leichtere Kost einzupacken. Auch Metaphern und Adjektive werden in geradezu verschwenderischer Weise benutzt, sodass Grays Sätze regelrecht aufgebläht werden. An manchen Stellen spielt der Autor den Poeten und beschreibt den Nebel und seine Konsistenz in dermaßen übertriebenen Bildern, dass seine Worte leider schon schwafelig anmuten. Dem Leser wird es dabei unnötig erschwert, die wichtigen Informationen und die eigentliche Geschichte in diesem Wust an Sprache wiederzuentdecken.

Die Erzählung schleppt sich daher an vielen Stellen ziemlich dahin und als Leser wartet man auf entscheidende Ereignisse, die die Geschichte vorantreiben, doch wartet man oftmals vergebens. Gray beschreibt viele Begebenheiten und Situationen bis ins kleinste Detail und baut dabei wahrlich eine fantastische und glaubwürdige Atmosphäre auf, die es dem Leser kalt den Rücken herunterlaufen lässt, dennoch hält er sich mit derlei Beschreibungen oft zu lange auf. Unglücklicherweise hat John MacLachlan Gray nicht ganz die richtige Mischung aus veralteter Sprache, dichter Atmosphäre und einem packenden Spannungsaufbau gefunden, denn während die Sprache authentisch wirkt und ich keine historischen Patzer bemerken konnte und während Gray in der Tat eine Grundstimmung aufbaut, die an Schrecken dem „Parfüm“ nahe kommt, so leidet sein Spannungsaufbau nicht wenig. Nur selten wird es spannend und bis kurz vor Schluss gibt es keinen Punkt, an dem man das Buch nicht mehr aus der Hand legen könnte. Der eigentliche Kriminalfall wird fast schon lieblos weitergeführt, die Suche nach dem menschlichen Dämon geschieht irgendwie nur ganz am Rande. Außerdem wird es dem Leser arg schwer gemacht, Verdachtsmomente gegen den wahren Täter zu sammeln, weil derlei Informationen ebenfalls in den überladenen Sätzen untergehen. Selbst als der wahre Dämon präsentiert wird, konnte ich nicht feststellen, ob Gray in seinem Buch Hinweise auf den echten Täter versteckt hatte oder ob dieser vom Himmel fällt. Auch war ich noch etwas skeptisch, weil ich nicht recht wahrhaben wollte, dass dies nun schon das Ende gewesen sein sollte. In diesem Punkt enttäuscht der Autor schließlich doch nicht, denn am Ende denkt er sich eine Auflösung für sein Buch aus, die es in sich hat. Hier werden menschliche Abgründe deutlich, sodass der Vergleich mit Patrick Süskinds berühmtem Werk durchaus gerechtfertigt erscheint. Ohne mit Caleb Carr näher vertraut zu sein, möchte ich jedoch behaupten, dass „Der menschliche Dämon“ diesem zweiten Vergleich nicht standhalten kann, denn das Buch ist einfach nicht packend, es entführt seine Leser in eine unheimliche Welt und präsentiert diese wirklich überzeugend und bildgewaltig, doch fehlt oft die Spannung, die das Buch zu einem „Pageturner“ hätte machen können. Gray verspielt hier leider viel Potenzial, aus der Grundidee hätte man so viel mehr machen können, wenn man an einigen Stellen die Sätze und Rahmengeschichte vielleicht ein wenig abgespeckt und vereinfacht hätte; so wird man als Leser ein wenig von Grays ausufernden Beschreibungen überrollt.

Die Charakterzeichnungen haben mir dagegen sehr gut gefallen, besonders Edmund Whitty wurde dem Leser hier nahe gebracht. Schon in seiner allerersten Szene erwacht er nach einer durchzechten Nacht mit großen Gedächtnislücken und fragt sich verwirrt, ob er denn überhaupt seinen Artikel geschrieben und eingereicht hat oder ob er womöglich schon arbeitslos ist. Nur langsam kann er die zurückliegende Nacht rekonstruieren und kommt zu dem Schluss, dass er wohl doch noch in Lohn und Brot steht. Im weiteren Verlauf des Romans kommen immer weitere Steinchen hinzu, aus denen man sich ein gutes Mosaik des etwas konfusen Korrespondenten erschaffen kann. Bei all seinen Verfehlungen bleibt Edmund Whitty doch immer ein Sympathieträger, der gerade durch seine Vorliebe für ausschweifende Abendgestaltung sympathisch wirkt. Die Figur ist zwar etwas überzeichnet und nicht unbedingt glaubwürdig, doch fügt sie sich insgesamt perfekt in das entstehende Bild von London ein. Auch Owler und seine beiden Töchter und selbst der angeklagte Ryan bekommen den ihnen zustehenden Raum im Buch und werden entsprechend vorgestellt.

Insgesamt bleibt angesichts des gelungenen Endes ein positiver Gesamteindruck zurück, auch wenn das Buch nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. John MacLachlan Gray zeichnet ein überaus eindrucksvolles und überzeugendes Bild von London und lässt eine Atmosphäre entstehen, die einem Schauer über den Rücken laufen lässt. Auch die Charaktere wirken sympathisch und gewinnen an Farbe, doch bleibt die Spannung oft auf der Strecke. Zu häufig verliert Gray sich in verschachtelten Sätzen, die der Leser nur schwer zu entwirren weiß. Die Sprache wirkt dadurch zwar authentisch und dem Zeitpunkt der Handlung angepasst, ist aber dermaßen überfrachtet, dass wichtige Informationen leicht untergehen und man einen recht langen Atem beim Lesen braucht. Das trübt den Gesamteindruck des Buches leider ein wenig, da man aus der Idee ein noch viel packenderes Buch hätte machen können. Wer sich aber von derlei komplizierten Satzkonstruktionen nicht abschrecken lässt, ist mit diesem Roman sicherlich gut bedient.

Mary Logue – Totes Wasser

Das geschieht:

Pepin County ist abgelegener Landstrich im US-Staat Wisconsin. Farmer bilden die Mehrheit der Bevölkerung, die Umgebung wird von schier endlosen Getreidefeldern geprägt. Das Verbrechen blieb bisher durchschaubar. Auch der neue Fall der Polizistin Claire Watkins scheint Routine zu sein: Aus einer Scheune ist eine große Menge kostspieliger Pestizide verschwunden. Was nach einem simplen Diebstahl aussah, wird jedoch rasch bedrohlich Direkt vor dem Polizeirevier wird ein Blumenbeet vergiftet, dann eine Schar Hühner ausgerottet.

Dahinter steckt kein Kinderstreich. Vor Ort findet die Polizei jeweils einen menschlichen Fingerknochen. Die Drohung ist klar: Hier ‚übt‘ ein Wahnsinniger mit dem Gift und lernt es zu dosieren. Ebenso sicher sind sich Watkins und ihre Kollegen, dass sich der Dieb nicht mit Attentaten auf Grünzeug und Federvieh zufrieden geben wird. Tatsächlich hat der Rachefeldzug für eine ungesühnte Bluttat begonnen. Vor fünfzig Jahren wurde die gesamte Familie Schuler auf ihrer Farm niedergemetzelt. Sieben Personen fanden einen grausamen Tod. Jeder Leiche wurde ein Finger abgeschnitten. Das Verbrechen wurde niemals aufgeklärt. Vielleicht haben sich die braven Bürger und Nachbarn auch nicht besonders intensiv bemüht: Die Schulers stammten aus Deutschland und galten nach dem Ende des II. Weltkriegs als unerwünschte Zeitgenossen. Mary Logue – Totes Wasser weiterlesen

Kellerman, Faye – Schwingen des Todes, Die

Obwohl Faye Kellerman mit den „Schwingen des Todes“ bereits den 14. Roman aus der Reihe um Hauptfigur Peter Decker und seine Ehefrau Rina Lazarus veröffentlicht hat, ist sie mir als Schriftstellerin erst letztes Weihnachten begegnet, als eines ihrer Bücher den Weg auf meinen Gabentisch fand. Bekannter ist allerdings ihr Mann, der Bestsellerautor Jonathan Kellerman, mit dem sie in Los Angeles wohnt.

_Die Schwingen des Todes_
Lieutenant Peter Decker erhält von seinem Halbbruder Jonathan aus New York einen Hilferuf: Sein Schwager Ephraim ist ermordet aufgefunden worden, dessen Nichte Shayndie wird seitdem vermisst. Obwohl Decker zunächst skeptisch ist und seinen Urlaub nicht für Privatermittlungen verschwenden möchte, reist er zusammen mit seiner Frau Rina und der gemeinsamen Tochter Hannah nach New York, um seinem Halbbruder und dessen Familie in dieser schweren Zeit beizustehen und sich nebenbei umzuhören.

In New York angekommen, besuchen Jonathan und Peter zunächst zusammen den jüdischen Staranwalt Hershfield, der Jonathans Familie juristisch beistehen soll, da schnell der Verdacht auf die Familie fällt. Die Tatumstände sind wirklich mysteriös: Der ehemals drogenabhängige Ephraim wurde häufig mit seiner noch minderjährigen Nichte Shayndie zusammen gesehen, sodass bald der Verdacht auftaucht, dass er sie missbraucht haben könnte. Decker nimmt Kontakt zur New Yorker Polizei auf und bekommt den Namen eines möglichen Verdächtigen genannt, den er bei seiner Polizeiarbeit in Los Angeles bereits gut kennen gelernt hat, nämlich Chris Donatti. Donatti besitzt einen mehr als fragwürdigen Ruf, wurde eines Mordes verdächtigt und schart immer wieder blutjunge Mädchen um sich, die er erotisch fotografiert, dabei aber immer genau darauf achtet, dass diese gerade volljährig geworden sind.

Donatti ist allerdings nicht gut auf Decker zu sprechen, sodass er keine Informationen preisgeben möchte, doch Decker spürt, dass Donatti mehr über den Fall weiß, als er zugeben will. Bald gibt Chris Donatti jedoch zu, dass er Shayndies Aufenthaltsort kennt. Doch daraufhin geschieht ein weiterer Mord …

Aus der Feder von Faye Kellerman erschienen bereits zahlreiche andere Romane über Peter Decker und seine Frau Rina Lazarus, bei den „Schwingen des Todes“ handelt es sich um ihren neuesten Roman, der erst im Januar 2005 als Taschenbuch erschienen ist. Nun kenne ich leider bisher nur dieses eine Buch, sodass ich nicht weiß, wie die Geschichte um Peter Decker und seine komplizierten Familienverhältnisse bereits entwickelt wurde und wie viele Hintergrundinformationen man aus früheren Büchern mitbringen kann, doch ist dieses Buch auch ohne Kenntnis der anderen Teile durchaus gut lesbar. Der Kriminalfall ist in sich abgeschlossen und wird auch aufgeklärt, dennoch denke ich, dass man beispielweise mehr über die Vorgeschichte zwischen Decker und Donatti aus anderen Büchern kennen wird. Auch über Deckers Familie wird man sicherlich mehr gelesen haben, denn seine Familie ist groß und kompliziert, da Decker in früher Kindheit adoptiert wurde und somit den Adoptivbruder Randy hat, aber auch den Halbbruder Jonathan, der bei ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen ist. Auch war Decker bereits einmal verheiratet und hat neben der Tochter Hannah zwei weitere Söhne. Derlei Informationen werden sämtlich in diesem einen Buch eingestreut, sodass man sich schon ein recht gutes Bild von der Hauptfigur machen kann. Andere Charaktere müssen allerdings unter dieser guten Vorstellung des „Helden Decker“ etwas leiden; so bleibt seine Frau Rina eher im Hintergrund, obwohl die Krimireihe von Faye Kellerman auf dem Ehepaar aufgebaut ist und nicht nur auf Peter. Speziell die Verhältnisse zwischen Rina und Chris Donatti bleiben arg im Dunkeln, sodass es mich schon reizen würde, weitere Decker-Romane zu lesen, um hierüber mehr zu erfahren.

Neben der gelungenen Personencharakterisierung ist auch der Einstieg in das Buch sehr interessant. Schon auf den ersten Seiten erfährt der Leser von der Familientragödie in New York und wird gleich mitgerissen, da er natürlich wissen möchte, was mit der fünfzehnjährigen Shayndie geschehen wird. In New York angekommen, wird Decker gleich mit der Trauer in seiner Familie konfrontiert, jedoch fürchtet er auch schnell, dass diese etwas zu verbergen hat und mehr über die Sache weiß, als sie ihm gegenüber zugeben möchte. So dauert es auch nicht lange, bis Peter das Misstrauen ihm gegenüber spürt und bis ihm Jonathans Verwandte zu verstehen geben, dass Decker schnellstmöglich abreisen solle. Doch Peter bleibt, er möchte hinter die Fassade blicken und Shayndie retten. Außerdem hat er Blut geleckt und einen Deal mit Chris Donatti gemacht; er muss einfach wissen, wer Ephraim getötet hat und was hinter dieser Tat steckt.

Leider verfranst sich Kellerman schnell in ihrer teils ausschweifenden Erzählung. Wo es der Charakterisierung zugute kommt, behindert es den Spannungsaufbau, denn die Autorin hält sich mit zu vielen Details auf. In jeder Situation beschreibt sie neue familiäre Verstrickungen, auch manche Dialoge dauern einfach zu lange. Kleinigkeiten, die die Geschichte eigentlich nur umrahmen sollten, nehmen den Hauptteil der Erzählung ein und bremsen deutlich den Lesefluss. Darüber hinaus setzt Kellerman viele jüdische Fachvokabeln voraus, die nirgends erklärt sind. In manchen Zusammenhängen ist die Bedeutung der Worte erschließbar, manchmal fragt man sich dann aber doch, warum es kein Glossar gibt, in welchem solche Ausdrücke erklärt werden. Das gesamte Umfeld Deckers ist jüdisch, sodass viele Traditionen und Bräuche beschrieben werden, die mich persönlich nicht sonderlich interessiert haben. Solche Informationen sind teilweise nettes Beiwerk, meist allerdings langweilten sie mich recht schnell.

Auch in der Mitte des Buches wusste ich immer noch nicht, worauf Kellerman hinaus will, kein Verdächtiger zeichnete sich ab, denn Donatti konnte schnell aus dem Kreis der Hauptverdächtigen ausgeschlossen werden; auch haben die Ermittlungen kein konkretes Ziel, sondern plätschern einfach vor sich hin. Der rote Faden fehlte dadurch in diesem Roman, der es mir einfacher gemacht hätte, Kellermans Gedankensträngen zu folgen.

Sprachlich hat mir das Buch dagegen sehr gut gefallen. Faye Kellerman schreibt abgesehen vom jüdischen Fachvokabular sehr verständlich, versteht es allerdings, sich gewählt auszudrücken und die Situationen zu beschreiben. Im Thrillergenre ist sie mit dieser Fähigkeit aber vielleicht ein wenig fehl am Platze?! Auffällig waren die ausführlichen Personenbeschreibungen bei ihrem ersten Erscheinen, so bekam der Leser beim Auftauchen einer neuen Person zunächst immer erst eine kurze Umschreibung über Statur und Besonderheiten der Person zu lesen. Diese Eigenart fand ich etwas merkwürdig, sie passt aber wohl auch zum ausschweifenden Schreibstil der Autorin.

S. 30: |“Aber der Mensch hinter dem Schreibtisch war definitiv keine Frau. Seine Wangen waren so eingefallen, dass die Backenknochen förmlich durch die dünne Haut stachen. Die dünnen dunklen Haare, die sich an der hohen Stirn lichteten, trug er glatt nach hinten gekämmt. Zwei dünne Linien bildeten die Lippen, und die Augen verschwanden unter dichten Augenbrauen, funkelten aber übermütig. Der Mann war perfekt gekleidet: schwarzes Wollsakko, weißes Hemd mit Doppelmanschetten und eine gemusterte Krawatte mit Pferden und Gladiatoren – wahrscheinlich ein zweihundert Dollar teures Stück von Leonard.“|

Auch wenn das Thema an sich sehr spannend war, als dubiose Kreise in New York aufgedeckt werden konnten, wurde ich mit dem Buch nicht recht warm. Die Geschichte riss mich nicht mit, begeisterte mich nicht und wurde auch nie so spannend, dass ich zwangsläufig weiterlesen musste. So fällt mir die Beurteilung des Romans schwer wie selten, da mir der Schreibstil der Autorin sehr zugesagt hat, aber trotzdem ein packender Spannungsaufbau fehlte, der das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis machte. Positiv aufgefallen ist mir die Tatsache, dass der Roman prima lesbar war ohne Kenntnis der anderen Bände aus der Decker/Lazarus-Reihe, die bislang unbemerkt an mir vorbeigegangen war. Interesse an den anderen Büchern ist bei mir aber definitiv geweckt worden, da ich gerne mehr über Peter Decker und seine Familie erfahren möchte, dennoch bin ich nicht überzeugt davon, dass Kellerman dies in einem Thrillerrahmen überzeugend gelingen kann.

_Die Reihe um Peter Decker und Rina Lazarus:_
Denn rein soll deine Seele sein
Das Hohelied des Todes
Abschied von Eden
Tag der Buße
Du sollst nicht lügen
Die reinen Herzens sind
Weder Tag noch Stunde
Doch jeder tötet, was er liebt
Totengebet
Der Schlange List
Der wird euch mit Feuer taufen
Die Rache ist dein
Der Väter Fluch
Die Schwingen des Todes

Dan Simmons – Das Schlangenhaupt

Das geschieht:

Darwin Minor ist ein Mann mit Vergangenheit; ein Vietnam-Veteran mit typischem Trauma, was ihn aber nicht hinderte, zum Doktor der Physik zu promovieren. Im Zivilleben verdient sich Minor seine Brötchen als Spezialist für die Rekonstruktion von Unfallursachen. Seit er nicht mehr für den Öffentlichen Dienst arbeitet, sondern bei einer kleinen für Schadenregulierungen angeheuert hat, die vom grantigen Lawrence Stewart und seiner Gattin Trudy geleitet wird, bereiten ihm seine Schwierigkeiten im Umgang mit Vorgesetzten und Respektspersonen keine gravierenden Probleme mehr. Minor gilt als As und wird gern bei allen möglichen und vor allem unmöglichen Zwischenfällen zu Rate gezogen, die Menschenleben kosten und versicherte Sachschäden verursachen.

Obwohl sich darunter delikate Fälle befanden, hatte Minor bisher mit dem organisierten Verbrechen wenig zu tun. Das ändert sich, als ihn eines Tages russische Mafiakiller auf offener Straße mit Maschinengewehren beschießen. Der Anschlag misslingt, und Minor bringt die Strolche zur Strecke. Um die Hintermänner zu fassen, arbeitet er unwillig mit der Polizei und dem Geheimdienst zusammen. Dan Simmons – Das Schlangenhaupt weiterlesen

George Baxt – Mordfall für Tallulah Bankhead

Baxt Bankhead Cover kleinDas geschieht:

New York, 1952: Die Hexenjagd des paranoiden US-Senators Joseph McCarthy ist auf ihrem Höhepunkt. Sie richtet sich gegen „Kommunisten“, echte oder eingebildete, die sich vor dem „House Committee on Unamerican Activities“ (HUAC) zu ihren „unamerikanischen Aktivitäten“ äußern müssen. Befindet sie dieses Tribunal für schuldig, werden sie bestraft, finden sich auf einer Schwarzen Liste wieder und erhalten praktisch Berufsverbot.

Die Künstlerwelt ist dem HUAC schon lange ein Dorn im Auge. Sie gilt als Stall allzu freidenkender Salon-Kommunisten, den es endlich auszumisten gilt. Um ihre Pfründen bangend schlagen sich die großen Filmstudios in Hollywood, aber auch Radiostationen, Theater und sogar Nachtclubs im ganzen Land auf die Seite der Hexenjäger. Diese zwingen ihre Opfer unter Androhung hoher Strafen dazu, Namen von „Kommunisten“ zu nennen. Die Folge: ein blühendes Denunziantentum. George Baxt – Mordfall für Tallulah Bankhead weiterlesen

Evans, Jon – Tödlicher Pfad

Es ist schon ein beachtenswertes Debüt, das der Kanadier Jon Evans mit seinem Thriller „Tödlicher Pfad“ abgeliefert hat. Evans ist ein in San Fransisco lebender IT-Consultant mit Hang zum Globetrotter, genau wie Paul Wood, der Held seines Romans. Man kann Evans nur wünschen, dass dies dann auch schon alle Gemeinsamkeiten gewesen sind, denn was Paul Wood im Laufe der Geschichte so alles durchmachen darf, ist nicht gerade ohne.

Der Klappentext preist Evans‘ Roman als |brillanten Backpacker-Thriller in der Tradition von Alex Garlands „Der Strand“| an und legt damit in Sachen Erwartungshaltung die Latte sehr hoch. „Der Strand“ war schließlich ein atmosphärisch dicht inszenierter Roman, der mit dem knallharten Gegensatz einer paradiesischen Landschaft und den dunklen Abgründen der menschlichen Seele geschickt zu spielen wusste. Ein Pfad, dem auch Evans ein Stück weit folgt, aber ganz ohne dabei Gefahr zu laufen, als billiger Garland-Abklatsch zu enden.

Auch „Tödlicher Pfad“ ist also im Backpackermilieu angesiedelt. Paul Wood befindet sich auf einer Trekkingtour in Südasien, als er in einem verlassenen Dorf am Annapurna-Massiv die Leiche eines brutal ermordeten Trekkers entdeckt, dem, offenbar als makabere Dekoration gedacht, zwei Schweizer Taschenmesser in die Augen gesteckt wurden. Die nepalesische Polizei geht der Sache gar nicht erst großartig nach. Wirbelt man Staub auf, verschreckt das schließlich höchstens die Touristen.

Doch Paul Wood geht der Anblick der Leiche aus einem anderen Grund nicht mehr aus dem Kopf. Zwei Jahre zuvor wurde seine Freundin bei einer Trekkingtour in Kamerun auf genau die gleiche Art umgebracht. Ist er innerhalb von zwei Jahren an zwei weit voneinander entfernt liegenden Punkten auf dem Globus zweimal demselben Killer begegnet? Ein eigenartiger Zufall. Da die Polizei jedoch nichts weiter unternimmt, entscheidet sich Paul, wenigstens in einem Internetforum für Backpacker eine entsprechende Notiz über den Fall zu hinterlassen. Prompt erhält er Antwort von einem User, der sich „Der Stier“ nennt und sich zu den Taten bekennt. Durch sein „Geständnis“ scheint er ein Gerücht zu bestätigen, das unter Backpackern schon seit längerem kursiert: Ein Serienkiller, der es speziell auf Rucksacktouristen in der Dritten Welt abgesehen hat.

Paul als versierter Computerspezialist verfolgt zurück, von wo aus „Der Stier“ seine Nachricht im Forum abgeschickt hat und versucht ihm auf die Schliche zu kommen. Ein riskantes Unterfangen, denn plötzlich wird der Jäger zum Gejagten …

„Ein rasanter Thriller für das 21. Jahrhundert“, lautet die etwas nüchterne Kritik der |Times| im Klappentext und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Evans ist mit „Tödlicher Pfad“ ein moderner Thriller gelungen, der die in den letzten Jahren veränderten Rahmenbedingungen der modernen, technisierten Gesellschaft aufgreift. Das Internet spielt dabei eine wichtige Rolle.

Der Satz „Die Welt ist ein Dorf“ spiegelt sich in verschiedenen Facetten in Evans‘ Roman wider. Zum einen ist die Welt aus der Sicht des viel reisenden Backpackers natürlich eine kleinere. Auch Paul Wood, Evans‘ Hauptfigur, kann sich ein paar Begebenheiten in Erinnerung rufen, in denen er die gleichen Rucksacktouristen in unterschiedlichen Winkeln des Globus rein zufällig wiedergetroffen hat. Ist da die Vorstellung, dass er auch zweimal die Wege des gleichen Killers kreuzt, immer noch so abwegig?

Auch das Internet ist natürlich ein Medium, das den Globus gewissermaßen schrumpfen lässt. Evans‘ Geschichte beruht auf der modernen globalisierten Welt, in der räumliche Distanzen kaum noch ein Hindernis sind. Die Sehnsucht nach zivilisationsfernen Abenteuern und das hochtechnisierte Datennetz des Internets, das dafür sorgt, dass man, selbst wenn man im entferntesten Winkel der Welt hockt, noch mitten im Geschehen ist, ergänzen sich zu einem spannenden Kontrast, der ein Produkt der modernen Gesellschaft ist. Dies ist neben der ausgeklügelten Thrillerkomponente der zweite wichtige Aspekt, der „Tödlicher Pfad“ zu einer interessanten Lektüre macht.

Evans versetzt seine Handlung in ein Setting, das bislang noch unverbraucht und frisch erscheint und inszeniert vor diesem Hintergrund eine Geschichte, die er mit sehr vielen eigenen Erfahrungen zu würzen versteht. Die Gemeinsamkeiten zwischen Autor und Hauptfigur sind absolut offensichtlich und sie sorgen auch dafür, dass die ganze Geschichte einen realitätsnahen Anstrich bekommt. Wenn sich jemand in die Lage eines technisch versierten Backpackers hineinversetzen kann, dann ist das Jon Evans.

Beim Anblick der auf seiner Website dokumentierten Reisestationen kann einen schon das Fernweh packen. Evans ist selbst viel herumgekommen und kann somit Erfahrungen aus erster Hand in seine Beschreibungen des Backpackerlebens einfließen lassen. So verwundert es auch kaum, dass Evans die im Buch immer wieder aufgegriffene Trekkingtour mit dem Overland Truck durch Afrika selbst gemacht hat – ein Verdacht, der mir schon beim Lesen des Buches kam und der sich beim Blick auf Evans‘ Website bestätigt hat. Evans‘ Beschreibungen des Lebens auf Reisen wirken bis ins Mark glaubwürdig und realistisch. Kein Wunder. Der Leser lernt die verschiedensten Winkel der Welt aus Rucksacktouristensicht kennen. Eine Sache, die durchaus ihren Reiz hat.

Teilweise lebt der Roman von diesen lebhaften Beschreibungen des Backpackeralltags, teilweise auch von der Spannung, die mit den Ereignissen einhergeht, in die Paul Wood eher zufällig hineinstolpert. Er betrachtet den Mord an dem Backpacker im Himalaja zunächst eher mit Neugier und will die Parallelen zum Tod seiner Freundin in Kamerun als Zufälligkeit abtun. Doch so ganz kann er das Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden, nicht abschütteln.

Er wird bei seinen Nachforschungen nicht über Nacht zum mutigen Helden, vielmehr vollzieht Evans an seiner Hauptfigur eine sehr glaubwürdige, sich konsequent fortsetzende Entwicklung. Paul bleibt stets auf dem Sprung, scheut trotz aller Neugier und allen Durstes nach Gewissheit die Konfrontation mit dem Killer. Die Angst bleibt sein Begleiter und es ist kein heldenhaftes über sich Hinauswachsen, das Paul mit der Zeit packt, sondern ein schrittweises Herantasten an die Wahrheit, die nach und nach einen Sog entwickelt, der Paul nicht mehr loslässt. Für die Persönlichkeitszeichnung des Paul ist das ein Vorteil. Er bleibt dadurch über die gesamte Romanlänge glaubhaft und nachvollziehbar. Es hat eben doch gewisse Vorteile, wenn eine Romanfigur eng an die Persönlichkeit des Autors angelehnt ist.

Die Thrillerhandlung mutet auch vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehbar an. Der Plot wirkt nicht übermäßig konstruiert, aber genauso wenig abgedroschen. So wie die Rahmenhandlung noch frisch und unverbraucht erscheint, wirkt auch der Thrillerplot. Die einfallsreiche Idee, die Evans dem zugrunde legt, führt zu einem glaubwürdigen und nervenaufreibenden Katz-und-Maus-Spiel mit ungewissem Ausgang. Evans streift dabei Gedankengänge, die durchaus eine gewisse Brisanz enthalten – eine zusätzliche positive Facette des Romans.

Was „Tödlicher Pfad“ letztendlich zu einem wahren „Page-Turner“ macht, ist Evans‘ packender Stil. Er schreibt nüchtern und klar, trägt nicht dick auf und betreibt keine großartige verbale Effekthascherei. Dennoch ist der Roman absolut mitreißend. Evans hat einfach ein Gespür dafür, einen Draht zum Leser zu finden, spricht ihn an manchen Stellen sogar direkt an und zieht ihn damit tief ins Geschehen. Der Leser wird direkt und ganz unmittelbar in die Handlung gestoßen. Stimmung und Figuren entfalten sich schon nach wenigen Seiten, so dass man für „Tödlicher Pfad“ nur wenig Anlauf braucht, um mit dem Buch warm zu werden.

Ein Übriges tut der Spannungsbogen. Paul ist an vielen Punkten bereit, aus der Geschichte auszusteigen, sobald er etwas herausgefunden hat. Er will auch sich selbst nicht unnötig in Gefahr bringen und versucht sich auf diese Weise zu beruhigen. Der Leser fällt darauf natürlich nicht herein. Man ahnt, dass Paul bis zum bitteren Ende weitergehen muss, weil er in der ganzen Geschichte schon viel zu tief drin steckt. Die Spannung wird auf diese Weise angeheizt.

Ein wenig variiert der Spannungsbogen mit den Orten. Zu Hause, wo Paul sich vergleichsweise sicher fühlen kann, kann auch der Leser verschnaufen. In der Ferne exotischer Länder überschlagen sich aber teilweise die Ereignisse. Kurz vor dem Ende der Geschichte nimmt Evans noch einmal ein bisschen Tempo aus der Handlung, um zum Schlusspunkt erneut richtig Gas zu geben, und spätestens dann kann man das Buch garantiert nicht mehr aus der Hand legen. Evans inszeniert den Spannungsbogen abwechslungsreich und geschickt. Mal nimmt er etwas Tempo raus, blendet zurück auf Erlebnisse aus Pauls Backpackerleben, mal gibt er richtig Vollgas. Den Leser muss er mit diesem rasanten Katz-und-Maus-Spiel einfach mitreißen.

Jon Evans ist mit „Tödlicher Pfad“ ein spannender und temporeicher Thriller geglückt, der schlicht aber mitreißend erzählt wird. Die Figuren wirken glaubwürdig, der Plot ist einfallsreich und erfrischend, das Setting der internationalen Backpackerszene noch unverbraucht und reizvoll. Alles in allem ein absolut lohnenswerter, moderner Thriller, der zu fesseln weiß. Freunde spannender, moderner Lektüre sollten unbedingt zugreifen.

Im Sommer erscheint dann übrigens zumindest im englischsprachigen Raum Jon Evans‘ zweiter Roman namens „Blood Prize“. Die Hauptfigur ist wieder Evans‘ Alter-Ego Paul Wood. Handlungsort ist der Balkan. Dass Evans höchstpersönlich die Handlungsorte vorher ausgiebig mit dem Rucksack erkundet hat, versteht sich von selbst …

Autorenhomepage: http://www.rezendi.com

James Munro – Eine Karte aus Kutsk

munro-kutsk-cover-kleinEin britischer Geheimagent wird in die Türkei geschickt, um dort einem sowjetischen Wissenschaftler die Flucht durch den Eisernen Vorhang zu ermöglichen. Leider weiß der Feind längst Bescheid und bereitet dem Agenten einen mehr als heißen Empfang, bis dieser zu ahnen beginnt, dass ihn zudem seine eigenen Leute verraten und verkauft haben … – Harter Thriller in James Bond-Manier, keine billige Kopie, sondern durchaus eigenständig, besetzt mit einem interessant gebrochenen Helden, dazu unterhaltsam und flott geschrieben.
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Mary Roberts Rinehart – Die rote Lampe

Was geschah wirklich in dem alten, allzu geräumigen Landsitz? Geht es dort tatsächlich um, wie eine angeblich hellseherisch begabte Dame behauptet? Oder treiben allzu weltliche Schurken ihr Unwesen? Einige Menschen (und viele Schafe) müssen sterben, bis sich das Rätsel zu enthüllen beginnt … – Spannender, atmosphärisch dichter „Landhaus-Krimi“-Klassiker mit einem kräftigen Schuss Spukgeschichte, fabuliert von einer anerkannten Meisterin des Genres.
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Powers, Tim – Declare – Auf dem Berg der Engel

Am 2. Januar 1963 wird Andrew Hale, nach 14 Jahren ruhigen Berufslebens als Dozent in Oxford, von James Theodora, der Grauen Eminenz des britischen Geheimdienstes. wieder einberufen und unter höchst konspirativen Umständen nach London verbracht, wo er vom Geheimdienstchef und Premier MacMillan persönlich mit der Beendigung des Geheimauftrages DECLARE beauftragt wird. Dringende Umstände, unter anderem eine bevorstehende russische Geheimaktion, in die auch der britische Doppelagent Kim Philby verwickelt ist, machen es notwendig, dass Hale sich unter der rasch ersonnenen Tarnung, sich der drohenden Verhaftung durch den MI5 durch einen Doppelmord entzogen zu haben, nach Kuweit absetzt und den Kontakt zu dortigen russischen Agenten sucht.
Bereits in der Vergangenheit, sogar seit seiner Kindheit, war Hale in Kontakt mit „den Leuten der Krone“; dorthin gebracht von seiner Mutter selbst, stand doch auch der Vater des in Palästina Geborenen in deren Diensten. Nach Erziehung in einem katholischen Jugendheim ging er nach Oxford, schloss sich einer kommunistisch orientierten Studentengruppe an und wurde alsbald als Neunzehnjähriger ins besetzte Paris des Jahres 1941 eingeschleust. Dort trifft er die spanische Bürgerkriegswaise Elena, die bereits eine Agentin für die Russen ist, und verliebt sich in sie. Anfang 1942 entkommen sie nur knapp (und unter mysteriösen Umständen …) der Verhaftung durch die Gestapo. Über Lissabon zurück in England, versucht Kim Philby, bereits damals als Doppelagent tätig, ihn vergeblich auszuschalten. Nach einigen Jahren in höchst geheimen Archiven muss Hale im Sommer 1945 in Berlin erneut in den aktiven Dienst, wo er Elena wiedertrifft, aber auch seine mysteriöse Aufgabe (die Platzierung eines Steines an der russischen Sektorengrenze) unter Lebensgefahr (und nicht nur von Seiten der Russen) erfüllt. Nach wiederum einigen Jahren als Außerdienstleiter in Arabien leitete er 1948 den Beginn der Operation DECLARE, die von britischer Seite mit einem völligen Debakel endete; fünf Geheimdienstmitarbeiter sterben in der Osttürkei, zusammen mit einigen aus Russland eingeschleusten Agenten, deren Pläneebenfalls nicht erfüllt wurden. Von diesem „Versagen“ damals noch immer frustriert, muss er sich erneut der höchstgefährlichen Mission widmen, und wiederum ist Kim Philby sowohl sein Mit- wie sein Gegenspieler; doch bei aller Verschlagenheit: Philby ist nur ein Mensch, und die Gefahren in diesem Fall lauern ganz woanders, hoch droben auf dem „Berg der Engel“…

Das ist ein großes Buch.
Man muss die Handlungsbeschreibung entsprechend knapp und geschraubt formulieren, denn verrät man einige Schlüsselworte, kann man sich leider bereits ausmalen, worum es geht. Schon die Äußerlichkeiten lassen einiges ahnen. Der Klappentext vermeldet: „(Tim Powers) … schrieb einen beispiellosen Roman, der sowohl Spionagethriller wie auch Horrorroman à la Clive Barker ist, aber auch eine Liebesgeschichte und ein episches Abenteuer“. Die letzten beiden Bezeichnungen sind leicht übertrieben, aber die Mischung aus Spionageroman und Übernatürlichem erkennt man bereits auf dem kargen, aber symbolhaften Titelbild, das eine Gewehrpatrone mit dem roten (esoterischen) Zeichen des Ankh, des ägyptischen Henkelkreuzes zeigt.
Das Buch ist in zwei Abschnitte (plus Epilog) eingeteilt. Der erste, betitelt mit „Lernen, nicht reden“, beschreibt anhand des Werdegangs von Andrew Hale (auch dieser Name ist wie fast alles im Buch ein Symbol) eben jene Spionagegeschichte, die sich von der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis zum Höhepunkt des kalten Krieges spannt, halbwegs in der Tradition eines John le Carré geschrieben (und Andrew Hale, widerstrebend, manchmal furchtsam, manchmal kühl und besonnen, aber auch desillusioniert, erscheint vor dem geistigen Auge wie weiland Richard Burton als der Spion, der aus der Kälte kam). Die genretypischen Unwahrscheinlichkeiten eines solchen Romans sind natürlich auch vorhanden: verwirrende Handlung, Intrigen und Gegenattacken sogar innerhalb der eigenen Geheimdienste, Geheimnisgebaren der Handlungsträger, die sich allesamt in jeder Situation auskennen (obwohl sie zwei Leben brauchen müssten, um allein die grundlegendsten Kenntnisse zu erwerben, mit denen sie protzen) und der ungeheure Einsatz von „Manpower“, mit der die einzelnen Aktionen ausgestattet sind. Gewünscht hätte man sich auch ein kleines Glossar, und sei es nur mit den Erklärungen der zahlreichen Abkürzungen für Spionagedienste.
Etwas störend – nicht erkennbar, ob dem Autor oder der Übersetzung zuzuordnen – sind einige Modernismen, die in die Dialoge eingemischt sind; und bei dem konzentrierten Lesen, mit dem der ganze Roman behandelt werden sollte (denn nichts, rein gar nichts erscheint unwichtig) stößt man auch auf einige Patzer. Dass Hale sich 1941 als Erstsemesterstudent sein späteres Berufsziel als „in einer Reihe der großen Oxforddozenten wie Lewis oder Tolkien“ vorstellt, kann man noch belächeln, und als amerikanischer Autor (trotz Kartenzugangs?) kann man schon mal seine Hauptfigur von Göttingen nach Helmstedt reisen und dabei die Oder überqueren lassen (quo vadis, ungenannter deutscher Lektor?). Doch keine Fantasy lässt es zu, dass der britische Geheimdienstchef im Dezember 1962 in Rom ein Treffen mit Papst Pius XII. absolviert. Das Bereithalten eines umfangreichen Lexikons (oder gleich einer Ausgabe von „Stein’s Kulturfahrplan“) während der Lektüre ist zu empfehlen.

Und doch ist der erste Teil nur die Fassade, das fast dreihundert Seiten umfassende Deckgestein, unter dem der phantastik-interessierte Leser die goldenen Nuggets suchen muss. Sie kommen einzeln, sehr selten zunächst (auf Seite 87 wird zum ersten Mal in vier Worten erwähnt, worum es überhaupt 1948 bei DECLARE gegangen ist), dann öfters auftretend (seltsame fluoreszierende Leuchterscheinungen, die wundersame Errettung vor der Verhaftung in Paris). Es liegt im ganzen Roman immer so etwas wie ein „großes Raunen“ in der Luft, und das auch zu Recht. Kann man die kleinen Traumsequenzen, die Andrew Hale (meist zu seinem Geburtstag kurz nach Neujahr) hat, noch als phantasievolle Vorstellungen akzeptieren und ein Geschehnis in Berlin 1945 vielleicht noch mit „extremen meteorologischen Ereignissen“ (obwohl es, nachgerade betrachtet, damals schon die Grundsteinlegung der Berliner Mauer gewesen ist …), so blitzt es dann golden auf (etwa auf Seite 220), als Hale und sein arabisch-russischer Kontaktmann eine Oase in der Wüste aufsuchen und sich das Übernatürliche ganz offen aus dieser erhebt … und spätestens mit dem Beginn des zweiten Buchteils („Wissen, nicht glauben“) ist man, um im Bild zu bleiben, auf die „Mother Load“ der Bonanza gestoßen. Von hier an treten die Elemente des Spionageromans zugunsten der Beschäftigung mit „dem Übernatürlichen“ immer weiter in den Hintergrund. Und Tim Powers hat, von alten Sagen und Erzählungen über die Bibel, Qmranschriften, den Koran bis hin zu Legenden der Neuzeit (etwa dem Unfalltod Lawrence’ von Arabien … der mutmaßlich Andrews Vater gewesen ist … aber auch das bleibt im Ungewissen), so ziemlich alles hinein- und neuverpackt.

In seinem Nachwort (das man eben an dieser Stelle, also unbedingt nach der Lektüre des Romans, lesen sollte) schildert er seine Quellen und Vorgehensweise. Als Fan von le-Carré-Romanen hat er auch Sekundärmaterial dazu gelesen, etwa Biographien über Kim Philby, den bekanntesten (historischen) (Doppel-)Agenten des Kalten Krieges, dabei einige Merkwürdigkeiten festgestellt, sich eine Grundthese mit Phantastik-Inhalt gebildet und danach alles weitere zugeordnet, wobei vieles wie Puzzlesteinchen sich zusammengefügt hat. Das ist im Wesentlichen auch die Methode, nach der Verschwörungstheoretiker ihre obskuren Ansichten zusammenbasteln, aber da Tim Powers ja „nur“ einen Roman schreiben will, gibt er sich entsprechend lustvoll und locker dieser Methodik hin.

Herausgekommen ist ein sehr gutes, sehr schönes, aber auch anstrengendes Buch, als Schmöker für die langen Winterabende und -nächte immer zu empfehlen. Und solange man nicht an den Inhalt glaubt (und Occams Skalpell stecken lässt) …

_Manfred Roth_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Izzo, Jean-Claude – Chourmo

„Izzo besingt die Stadt Marseille, ihre Schönheit im frühen Morgenlicht, ihre unverfälschte Lebensfreude, aber er zeigt auch das tödliche Gift, das in ihr steckt.“ Treffender als das Urteil der |Welt| könnte man die Magie der Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo kaum auf den Punkt bringen. Izzo hat einfach eine Magie, der man sich nicht entziehen kann, wenn man einmal angefangen hat, ihn zu lesen. Das trifft auf „Chourmo“, den zweiten Teil der Trilogie, genauso zu wie auf den Auftakt [„Total Cheops“. 901

Fabio Montale, in „Total Cheops“ noch Polizist mit Herz in den nördlichen Vierteln von Marseille, hat den Dienst quittiert. Seine Zeit widmet er ausgiebig dem Fischen, gutem Essen und dem Gespräch mit Freunden, während er versucht, die Vergangenheit zur Ruhe zu kommen lassen. Doch damit ist es zunächst einmal vorbei, als seine Cousine Gélou völlig aufgelöst vor der Tür steht. Sie sorgt sich um ihren Sohn Guitou, der mit seiner arabischen Freundin Naïma verschwunden ist. Und so macht Fabio sich auf die Suche nach dem Jungen, ohne zu ahnen, dass er schon wieder mittendrin steckt, im Sumpf des Schmelztiegels Marseille.

Noch bevor er herausfinden kann, wo Guitou nebst Freundin abgeblieben ist, wird sein alter Freund Serge ermordet, vor den Augen von Fabio durch Schüsse aus einem vorbeifahrenden BMW niedergestreckt. In was hat Serge, der Sozialarbeiter, da seine Nase hineingesteckt? War er irgendeiner Sache auf der Spur, die so brisant ist, dass er dafür sterben musste? Fabio versucht auf eigene Faust Anhaltspunkte zu finden.

Guitou bleibt unterdessen verschwunden und nach und nach wird für Fabio zur Gewissheit, was der Leser schon seit dem Prolog weiß. Guitou ist längst tot, erschossen, nachdem er die erste gemeinsame Nacht mit Naïma verbracht hat. Aber warum musste Guitou sterben? Und wo ist Naïma abgeblieben? Fabio macht sich auf die Suche nach Antworten …

Schon mit den ersten Sätze von „Chourmo“ schleudert Izzo den Leser wieder zurück in sein „antikes Theater“ Marseille. Izzos Erzählstil ist wie ein Sog, der uns sofort in seinen Bann zieht und nicht mehr loslässt, bis man das Buch am Ende wieder zuklappt. Selten habe ich einen Autor gelesen, der mich schon allein durch seine Art zu erzählen so gefangen genommen hat. Izzo schafft es auf einzigartige Weise Stimmungen einzufangen, Gefühle auszudrücken, ohne viele Worte machen zu müssen und eine Stadt zum Leben zu erwecken. Er sitzt direkt am Puls der nördlichen Viertel Marseilles und macht ihn für den Leser fühlbar.

|“Hier ist nichts schlimmer als woanders. Oder besser. Beton in einer verzerrten Landschaft aus Stein und Kalk. Und dort unten links die Stadt. Weit weg. Nur das Elend nicht. Sogar die Wäsche, die zum Trocknen vor den Fenstern hängt, ist ein Beweis dafür. Obgleich in Wind und Sonne flatternd, wirkt sie immer farblos. Arbeitslosenwäsche eben. Aber im Gegensatz zu ‚denen da unten‘ hat man hier eine gute Aussicht. Prachtvoll. Die schönste in Marseille. Man braucht nur das Fenster zu öffnen und hat das ganze Meer für sich. Umsonst. Wenn man nichts hat, ist es viel, das Meer zu besitzen. Wie ein Kanten Brot für die Hungrigen.“| ( S. 35)

Izzos Bestandsaufnahme der Stadt fällt wieder einmal sehr zwiespältig aus. Einerseits liebt er ihre Leidenschaft, andererseits treiben ihn ihre dunklen Seiten zur Verzweiflung. In einem Interview, das im (vergleichsweise umfangreichen) Anhang des Buches nachzulesen ist, sagt er dann auch selbst: „Was geschieht, was ich sehe, was ich höre, bringt mich zur Verzweiflung. Ich habe keine Hoffnung mehr. Und das Schreckliche ist, dass ich umso verzweifelter bin, je mehr ich schreibe.“ Diese Verzweiflung spürt man „Chourmo“ an und sie lässt sich auch an Fabio Montale, der ebenso sympathischen wie tragischen Hauptfigur, ablesen.

Sucht er am Anfang noch die Ruhe und den Abstand von der Welt und versucht mit seiner Vergangenheit als Polizist und dem Tod seiner Freunde Ugo und Manu (Schlüsselhandlung aus „Total Cheops“) abzuschließen, wird er durch den Tod von Serge und die Suche nach Guitou wieder mitten hineinkatapultiert in den Meltingpot. Er wird wieder zum |chourmo|, zum verzweifelten Ruderer in der Galeere namens Marseille. Die Bestandsaufnahme von Montales Leben fällt dabei ähnlich düster aus wie Izzos Bestandsaufnahme Marseilles und der französischen Gesellschaft.

|“Heute war ich nichts mehr. Ich glaubte nicht an Räuber. Ich glaubte nicht an Gendarmen. Den Vertretern des Gesetzes war jegliche moralische Wertvorstellung abhanden gekommen, und die wahren Diebe hatten nie eine Handtasche klauen müssen, um abends etwas zu essen zu haben.“| (S. 65)

Montale scheint ein Lebender, umringt von Toten. Einfach zu viele liebe Menschen werden ihm im Laufe der ersten beiden Bände der Marseille-Trilogie genommen. Mehr als einem Menschen gut tut. Dass Montale alles immer mehr persönlich nimmt, ist insofern kaum verwunderlich. Oft wirkt er wie ein einsamer Cowboy (allerdings ohne Cowboy-Allüren) auf einem verzweifelten Rachefeldzug und oft sieht es dabei denkbar schlecht für ihn selbst aus. Korrupte, mit der Front National sympathisierende, gewaltbesessene Ex-Kollegen, die ihm nicht wohlgesonnen sind, islamistische Extremisten und Mafiosi. Montale macht sich im Laufe der Handlung viele Feinde, denn ähnlich wie schon in „Total Cheops“ scheint er auch hier wieder mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest zu stechen. Die Marseiller Unterwelt spielt dabei wieder eine entscheidende Rolle, nur während es in „Total Cheops“ am Rande noch um die rechtsradikale Front National geht, sind hier islamistische Gruppierungen verstärkt ein Thema. Izzo zeichnet sich also auch durch eine gewisse politische Brisanz und Aktualität aus. Ein Aspekt, der das Buch noch facettenreicher macht.

Wie schon in „Total Cheops“ zeichnet Izzo nicht schwarz/weiß, sondern grau. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen zu einem diffusen Schleier, der ganz realitätsnah und unverfälscht wirkt. Montale kennt beide Seiten der Medaille, er stand in seinem Leben schon auf beiden Seiten des Gesetzes. So sehr man Montale auch mögen will, in „Chourmo“ überschreitet er eine unsichtbare Grenze, als er einem Menschen in einer Notlage nicht hilft und dabei in Kauf nimmt, dass derjenige stirbt. Da tröstet es auch nur wenig, dass das Opfer ein richtiges Schwein ist, dem man den Tod am liebsten wünschen möchte. Montale geht einen Schritt zu weit und wurde mir bei allem Verständnis dadurch etwas fremd.

Izzo hat, wie auch sein Held Montale, keine Hoffnung mehr. Ein verkitschtes Happyend kann man sich also in jedem Fall für die Marseille-Trilogie aus dem Kopf schlagen. Izzo dokumentiert, ohne zu schönen, den Zustand einer Stadt und die Lage einer Nation – wie könnte es da ein wirkliches Happyend geben? Vor allem, wo Montale quasi ein Brandungsfels in einem Meer von Toten zu sein scheint? Für den letzten Teil der Trilogie bleibt dem Leser da wenig Hoffnung.

Stilistisch versteht Izzo auch mit „Chourmo“ wieder gänzlich zu überzeugen. Da wäre zum einen seine Sprache, die für einen Krimi (wenn auch einen untypischen und wenig klischeebehafteten) überraschend poetisch und bildhaft erscheint, und zudem seine Art zu erzählen, die den Gedanken und Erinnerungen von Montale stets viel Raum gibt und den Figuren eine phantastische Tiefe verleiht. Das Geschehen und die Orte werden so plastisch durch Izzos Beschreibungen, dass man fast das Gefühl hat, man könne das Meer riechen, wenn Montale mit seinem kleinen Boot zum Fischen hinausfährt. „Chourmo“ versteht somit nicht nur durch die Handlung und die tief gezeichneten Figuren zu fesseln, sondern auch sprachlich.

„Chourmo“ ist die logische Fortführung von „Total Cheops“ – sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Montale durch Marseille zu folgen, ist spannend und stimmt sowohl nachdenklich als auch melancholisch. Izzo vermittelt das Seelenleben seines Protagonisten eindringlich und mitreißend. Er erzählt eine Geschichte, die bei all dem gleißenden Sonnenschein unter dem strahlend blauen Himmel der Provence überraschend beklemmend und düster ist. Viel Sonne wirf eben auch immer viel Schatten. Izzos Marseille ist so dunkel und hart, dass es fast weh tut. Die gesamte Trilogie hat aber solch eine erzählerische Tiefe und Brillanz, dass man sich ihrer Magie dennoch nicht entziehen kann und es eigentlich auch gar nicht will.

„Chourmo“ wurde übrigens mit dem deutschen Krimipreis 2001 ausgezeichnet. Völlig zu Recht natürlich …

Kastner, Jörg – Farbe Blau, Die

Wer die deutschsprachige Spannungsliteratur unter die Lupe nimmt, kommt an einem Namen kaum vorbei: Jörg Kastner. Er strickt Verschwörungen, deckt spannende Geheimnisse auf und lässt die Geschichte wieder aufleben. Kastner lässt sich nicht so leicht auf ein Genre reduzieren, hat schon die vielfältigsten Bücher geschrieben, teils im Bereich Fantastik, teils in der Spannungsliteratur und ist auch dem historischen Roman, dem er seinen schriftstellerischen Durchbruch zu verdanken hat, stets treu geblieben. Mit „Die Farbe Blau“ liefert Kastner nun ein weiteres Buch aus der Rubrik historischer Spannungsroman ab.

Amsterdam im Jahr 1669 – das so genannte Goldene Zeitalter der Niederlande und die Epoche Rembrandts. Der junge Maler Cornelis Suythof arbeitet im Amsterdamer Zuchthaus als Aufseher, um seine brotlose Kunst zu finanzieren, als zwei aufsehenerregende Taten die Stadt erschüttern: Zwei angesehene Bürger Amsterdams haben bestialisch ihre Lieben ermordet. Beide Male war ein sonderbares Gemälde im Spiel, das, wie Suythof schnell feststellt, als er es zum ersten Mal sieht, verdächtig nach Rembrandt aussieht. Doch das „Todesbild“ ist in einem intensiven Blau gehalten – eine Farbe, die Rembrandt sein Leben lang vermied. Als Suythof weiter nachhakt, ist das Gemälde plötzlich verschwunden.

Suythofs Neugier ist geweckt – zumal einer der Mörder sein bester Freund war. Zum zweiten Mal in seinem Leben heuert er bei dem alten Rembrandt als Schüler an und knüpft dabei zarte Bande zu Rembrandts hübscher Tochter Cornelia. Doch mit Suythofs Nachforschungen beginnen die Ereignisse sich zu überschlagen. Es gibt einen weiteren Todesfall, diesmal durch Brandstiftung, und wieder ist ein bläuliches Gemälde im Spiel.

Plötzlich steht auch Cornelis im Visier der Ermittler um Amtsinspektor Kaeton und jemand scheint bestrebt, Cornelis von weiteren Nachforschungen fernzuhalten. Doch er sucht weiter nach der Wahrheit und lässt sich damit auf ein teuflisches Spiel ein, in das offenbar auch der alte Rembrandt verstrickt ist, denn der ist plötzlich wie vom Erdboden verschwunden …

Kastner ist mit seinem neuen Roman wieder einmal ein interessantes Stück historisch durchsetzter Spannungsliteratur geglückt. Er baut auf eine Symbiose aus Kunst, Geschichte und Spannung, die über weite Strecken des Romans sehr gut aufgeht und für gute Unterhaltung sorgt. Besonders positiv ist der Eindruck, den der Roman mit Blick auf die Beschreibungen Amsterdams zur Zeit Rembrandts hinterlässt. Kastner beschreibt recht detailgetreu, lässt gute Recherche erkennen und gibt dem Leser am Beginn des Romans einen Stadtplan zur besseren Orientierung an die Hand.

Mit dem jungen Maler Cornelis rückt er eine Figur ins Zentrum der Geschichte, die uns schnell sympathisch wird. Cornelis ist einerseits Künstler, aber andererseits realistisch genug, sich nicht der Illusion hinzugeben, von seiner Kunst leben zu können. Seine Tätigkeit im Rasphuis, dem Amsterdamer Zuchthaus, nimmt er ernst, auch wenn die Malerei neben der Arbeit oft etwas ins Hintertreffen gerät.

Die Entwicklung, die Cornelis vor dem Hintergrund der Geschichte durchmacht, trübt zwar nicht unbedingt die entstandenen Sympathien, lässt ihn aber hier und da leider etwas unrealistisch erscheinen. Cornelis wandelt sich im Laufe des Romans zu einem wahren Superhelden – teils durch die Unterstützung des Ringkampflehrers Robbert Cors, teils angespornt von dem Bedürfnis herauszufinden, warum sein Freund zum Mörder wurde. So oft, wie Cornelis nahezu ungeschoren und höchstens leicht verletzt aus den unterschiedlichsten brenzligen Situationen entkommt, lässt ihn das etwas zu unverwundbar erscheinen. Wenn dem Protagonisten auch aus der x-ten Einkerkerung ein Entkommen gelingt, dann leidet letztendlich ein wenig die Spannung darunter. Bei allem, was unser Held durchsteht, was soll ihn noch ernsthaft gefährden können?

Man hat ein wenig das Gefühl, dass Kastner das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Gut und Böse, zwischen Cornelis und seinen Widersachern überstrapaziert. So oft die Lage für Cornelis auch vollkommen aussichtslos erscheint, so leicht scheinen sich seine Schwierigkeiten etwas zu oft in Wohlgefallen aufzulösen. Das ging mir alles ein bisschen zu leicht. Dieser Aspekt wirft einen Schatten auf die ansonsten so ausgefeilte Atmosphäre des Romans und trübt ein wenig den Lesegenuss. Die beständige Rettung des Helden in letzter Sekunde, sein unbändiger Heldenmut, mit dem er sich zunächst trotz Fesseln und Bewacher aus seiner Gefangenschaft zu befreien vermag, um dann wenige Augenblicke später todesmutig in die Flammen eines lichterloh brennenden Hauses zu stürzen, um eine Frau zu retten – all das ist etwas viel des Guten und würde vielleicht eher zu Spiderman passen als zu einem minderbemittelten Maler. Suythof wird ein wenig zu sehr zum strahlenden Helden der Geschichte, wie er stets clever mitdenkend, mutig voranschreitend und flink mit den Fäusten seines Weges geht.

Dabei baut Kastner seine Figuren eigentlich ganz solide und stimmig auf. Sie wecken Sympathien, erscheinen größtenteils nachvollziehbar und realistisch – nur Cornelis häuft eben im Laufe des Zeit etwas viele positive Eigenschaften an und wirkt damit nicht mehr ganz so realistisch. Die Zeichnung der übrigen Figuren, z. B. des netten und schlagkräftigen Ringkampflehrers Robbert Cors, Cornelia, der geschäftstüchtigen Tochter Rembrandts, der beiden alten, stets durstigen Seemänner Henk Rovers und Jan Pool und eben auch des kauzigen alten Rembrandts höchstpersönlich wirkt überzeugend und glaubwürdig.

Stimmig ist der Roman vor allem auch auf sprachlicher Ebene. Historische Romane sind ein schwieriges Feld. Viele Autoren scheitern schon an den sprachlichen Anforderungen und lassen die Dialoge so klingen, als würden die Protagonisten heutzutage leben. Kastner umschifft diese Klippe recht souverän. Figuren und Sprache wirken in der Tat so, als wären sie der damaligen Zeit entliehen. Sie drücken sich nicht übertrieben schwülstig-antiquiert aus, sondern so, dass es einerseits glaubwürdig wirkt, andererseits die Geschichte aber flott und einfach zu lesen ist.

Was Kastner trotz der Superheldeneigenschaften seines Protagonisten sehr gut gelingt, ist der Spannungsbogen. Nachdem in Amsterdam nach den ersten beiden Mordfällen zunächst wieder Ruhe einkehrt, lässt Kastner auch den Leser erst einmal ein wenig verschnaufen. Cornelis bekommt Raum sich zu entwickeln und es werden Ereignisse geschildert, die für das große Ganze zunächst noch wenig Sinn ergeben und eher als Nebenstrang der Geschichte erscheinen. Aber Kastner hat in der Vergangenheit schon bewiesen, dass er ein Faible für Verschwörungen hat und spinnt er auch hier ein Komplott zusammen, dessen Ausmaß man als Leser zunächst gar nicht erahnen kann. Das birgt einen Großteil der Spannung des Buches in sich und auch wenn Cornelis zu perfekt wirkt, um an seinem Erfolg zweifeln zu können, bleibt das Buch bis zum Ende hin recht spannend.

Die Stimmung des Romans und alles, was sich in der Geschichte um die ominösen „Todesbilder“ und das rätselhafte Blau, in dem sie gemalt sind, dreht, entwickelt mit der Zeit etwas sonderbare, mystische Züge. Blau wird ganz allgemein als Farbe des Teufels ins Spiel gebracht, was den Roman um eine weitere interessante Komponente auf künstlerischer Ebene bereichert. Kastner belässt es hier teilweise bei Andeutung und läuft nicht Gefahr, die Geschichte durch die diabolische Komponente ins Lächerliche zu ziehen, auch wenn ich das einen Moment lang befürchtet hatte.

Im Anhang präsentiert Kastner eine Zeittafel, die die wahren geschichtlichen Hintergründe und die wichtigsten Eckdaten aufzeigt. Nicht nur Rembrandt, sondern auch einige andere Figuren haben demnach tatsächlich gelebt. Auch die Figur des Cornelis Suythof scheint nicht Kastners Phantasie entsprungen zu sein, was für mich etwas überraschend war. Nicht zuletzt auch die Zeittafel trägt dazu bei, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion ein wenig zu verwischen. Atmosphäre und Thematik sind also zweifellos ausgefeilt und auf spannende Art unterhaltsam, auch wenn es Schwächen in der Charakterzeichnung des Cornelis Suythof und letztendlich auch offene Fragen nach der Motivation bestimmter Figuren gibt.

Solide historische Thrillerunterhaltung liefert Kastner mit seinem Roman auf jeden Fall – spannend und atmosphärisch dicht erzählt. Die Schwächen trüben ein wenig die Freude an dem Buch, sind aber nicht so schwerwiegend, dass sie den positiven Eindruck zerstören könnten – sie schmälern ihn eher.

Lohnenswert ist das Buch übrigens teils auch schon aufgrund der Gestaltung des Hardcovers. Selbst die Schrift hat der |Knaur|-Verlag in einem dunklen Blau gehalten. So wird ein Romantitel auch mal bei Druck und Gestaltung überzeugend umgesetzt.

Whitley Strieber – Der Kuss des Vampirs

Miriam Blaylock ist eine Hüterin. Ihr Herde – ihr Vieh – sind Menschen. Sie ist eine Jägerin, die das Blut des Viehs zum Überleben braucht. Mehr als viertausend Jahre schon. Paul Ward ist CIA-Agent. Seine Profession ist das Jagen. Seine Beute: Vampire.

Miriam will in Thailand die asiatische Konklave aufsuchen, eines jener Treffen von Hütern, die einmal im Jahrhundert stattfinden. Obwohl sie unter ihresgleichen als Außenseiterin gilt, treibt sie die Suche nach einen geeigneten Partner, mit welchem zusammen sie einen letzten leiblichen Nachkommen zeugen will. In Asien angekommen, muss sie feststellen, dass sämtliche Hüter des Kontinents vernichtet wurden. Überstürzt flieht sie nach Paris, den Urheber des Massakers – Paul Ward – dicht auf ihren Fersen. Dort kann sie ihm zum zweiten Mal knapp entkommen, während auch die Pariser Vampire vollständig vernichtet werden. Als geborene Kämpferin und Jägerin beschließt sie, Paul in ihrem Domizil in Manhatten eine tödliche Falle zu stellen. Doch auch Paul ist mehr als nur ein Mensch …

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Wekwerth, Rainer – Traumschlange

Lebendig begraben zu werden, gehört sicherlich zu den unerfreulichsten Vorstellungen, die unsere Albträume heimsuchen können. Anschließend ein Dasein als tumber Zombie und Arbeitssklave ohne Selbstbewusstsein fristen zu müssen, wäre dabei wohl keine angenehme Fortsetzung dieses düsteren Gedankenspiels. Was uns eher aus abstrusen Horrorfilmen als geschmacklose Splatter-Einlage bekannt ist, gehört in der Kultur Haitis ebenso zum Alltag wie die ständige Präsenz wechselnder und natürlich stets wohlwollender Besatzungsmächte.

_Behörden und andere Katastrophen_

Es ist wahrlich keine gute Woche für die englische Innenarchitektin Abby Summers. Das Geschäft läuft eher flau derzeit, die Kasse ist leer, ihr Gipsfuß macht die Arbeit auch nicht leichter und ein soeben vollendeter Auftrag bringt nur kurzzeitigen Grund zur Freude. Noch am gleichen Abend findet sie nämlich in der Post eine behördliche Nachricht aus Haiti: Ihre Schwester Linda sei an einer Fiebererkrankung verstorben. Abby quittiert die Mitteilung mit einem heftigen Asthma-Anfall und anschließender Apathie.

Als sie wieder klaren Kopfes ist, möchte sie sich um die Rückführung des Leichnams kümmern, auch wenn die Finanzlage derlei Kostspieligkeiten nicht wirklich erlaubt. Linda muss allerdings erfahren, dass dieser nicht nur unter speziellen Vorkehrungen transportiert werden müsste, sondern dass sie vor allem persönlich bei den haitianischen Behörden vorstellig werden und die Überführung vor Ort beantragen muss. Na bestens – also heißt es die Reservekasse plündern und auf in die Karibik nach Haiti.

Dass die Behörden dort auch nicht gerade unkompliziert sind, kann kaum überraschen, aber dass Linda nach allerlei Hin und Her erfahren muss, dass der Leichnam ihrer Schwester unauffindbar ist und die Krankenhausakten ebenfalls verschwunden sind, lässt sie zunächst wie vom Donner gerührt und ratlos in der Fremde stehen.

_Unter Zombies_

Abby macht die Bekanntschaft des charismatischen Haitianers Patrick Ferre, der sie nicht nur zum Essen einlädt und für eine Weile die trübe Wirklichkeit vergessen macht, sondern der orientierungslosen Ausländerin auch noch bei den Behörden helfend zur Hand geht. Ob er dabei nicht nur selbstlos handelt, sondern Abby zumindest ein wenig umgarnen will? Vermutlich. Auf jeden Fall aber zeigt er sich recht geheimnisvoll und exotisch, was eine unbestreitbare Faszination auf Abby ausübt.

Dem Arzt Jean Mitchard lässt Abbys Nachfrage betreffs Linda keine Ruhe, denn in seinem Krankenhaus pflegen die Toten ebenso wenig zu verschwinden wie die lebenden Patienten. Gemeinsam versuchen sie, dem Problem auf die Spur zu kommen, erhalten aber von den offenkundig korrupten Behörden keine Unterstützung und werden lapidar abgefertigt. Eine der Möglichkeiten, die sie gedanklich durchspielen, lässt sie auf die phantastisch anmutende Schreckidee verfallen, dass es eine Verbindung gibt zwischen Lindas Fiebertod, ihrem Verschwinden, den Zuckerrohrplantagen und dem allzu lebendigen Mythos von den wandelnden Toten …

Ferre scheint ebenfalls weiterhin behilflich sein zu wollen und macht Abby ganz nebenbei mit allerlei kulturellen Eigenheiten des Inselstaates vertraut – und nicht jede dieser Attraktionen lässt sich in einem Touristikführer nachlesen …

_Thrillerqualitäten_

Der Leser ahnt natürlich sofort, was mit Abbys Schwester Linda geschehen ist, immerhin soll es laut Klappentext um Voodoo gehen. Diese frühe Erkenntnis ist auch so beabsichtigt (immerhin handelt es sich um einen Thriller und keinen Krimi zum Mitraten), den direkten Hinweis gibt Wekwerth bereits im stimmungsvollen Prolog seines neuen Thrillers „Traumschlange“. |Neu?|, fragt sich der Leser dieser Zeilen vielleicht an dieser Stelle. Rainer Wekwerth hat doch zuvor noch nichts anderes veröffentlicht, oder? Doch, hat er, allerdings bislang unter dem Pseudonym David Kenlock („Dunkles Feuer“); seine Jugendbücher erschienen unter dem Namen Jonathan Abendrot („Emilys wundersame Reise ins Land der Träume“).

Was bekommen wir also an Kulissen und Handlungszutaten für diesen Thriller mit leichtem Mystery-Einschlag präsentiert? Die Ausgangssituation erscheint vertraut: Die Protagonistin, ohnehin in keiner glücklichen Lebenslage, wird aus ihrem ganz gewöhnlichen Alltag gerissen und muss einem verzwickten persönlichen Problem auf die Spur kommen, gerät dabei in Machenschaften jenseits der ihr vertrauten Normalität und muss sich letztlich an Leib und Leben bedroht sehen. Bis dahin nichts Neues, aber Wekwerth hat den üblichen Thrillercocktail mit einigen interessanten Ingredenzien versehen und verfeinert.

_Just what you do must be voodoo_

Die reizvollste Zutat ist zunächst sicherlich der Voodoo-Hintergrund. Wekwerth hat sich sichtlich über die kulturellen Eigenheiten seines Schauplatzes informiert, die eingestreuten Voodoo-Elemente sind stimmungsvoll und authentisch in Szene gesetzt und mit dem passenden Vokabular versehen. Hinzu kommt eine medizinische Hypthese für das Zombiephänomen, wobei der Autor sich auf eine bekannte Untersuchung von BBC-Reportern berufen kann, die bereits etwas älteren Datums ist. Diese Ergebnisse wurden inzwischen zwar bereits mit einer Gegenuntersuchung widerlegt, aber tatsächlich sind die Gegenargumente der Skeptiker so dünn wie das Indizmaterial der Befürworter. Diese Grauzone kann Wekwerth also nutzbringend beackern, ohne sich ins Phantastische zu begeben, aber durch die Möglichkeit realen Zombietums noch besser einen wohligen Schauer erzeugen, als dies bei einem reinen Horroreffekt der Fall wäre.

_Haiti ist kein Urlaubsparadies_

Wenn wir an Haiti denken, haben wir im Normalfall bunte, helle Fernsehfilmkulissen vor Augen, die bei näherer Betrachtung die Wirklichkeit verspotten. Nein, Haiti ist kein Urlauberparadies voll lächelnder und braun gebrannter Hulamädchen. Haiti gehört zu den ärmsten Ländern unserer Hemisphäre. Die Ureinwohner wurden von den frühen Kolonialmächten praktisch ausgerottet, die Insel wurde anschließend mit afrikanischen Sklaven neu besiedelt, zwischen Spanien und Frankreich aufgeteilt, und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewann Haiti seine Freiheit und wurde die erste von europäischen Mächten unabhängige Republik. Handelsembargos, schlechte Agrarpolitik und Reparationszahlungen (!) an Frankreich ließen das Land verarmen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es für zwanzig Jahre von den USA besetzt, von 1957 bis 1986 hatte das Land unter Diktatoren zu leiden, dann folgte nach einem Putsch eine Militärregierung. Dann kam Aristide, dann wieder ein Militärputsch, dann wieder Aristide, dann sein Weggefährte Préval, dann wieder Aristide und seit den Aufständen von 2004 befindet sich das Land unter der Herrschaft einer Übergangsregierung – die USA lassen erneut grüßen. Not und Gewalt allerorten. (Mehr zur aktuellen Rolle der USA gibt es u. a. von Noam Chomsky an [dieser Stelle]http://www.chomsky.info/articles/20040309.htm nachzulesen.)

Warum dieser ausführliche Ausflug in die Geschichte? Nun, Wekwerth war es ebenfalls wichtig, seinen Handlungsschauplatz nicht in luftleerem Raum oder einer verkitschten Hollywoodvariante existieren zu lassen. So gut er sich über Voodoo und Zombies informiert hat und dabei auf dem Teppich der Realitäten blieb, so gründlich hat er das wirkliche Haiti in seine Erzählung eingeflochten, bis hin zu den korrekten Straßennamen, Distanzen oder Fahrstrecken. Dies macht einen großen Anteil an der Atmosphäre aus und in der Tat funktioniert der Plott des Autors nur in ebendiesem realen Haiti in einem Umfeld von Ausbeutung, Armut, Aberglauben, Voodokult und kulturellen Eigenheiten. Und die erdrückenden Armutszustände sind als Kontrast zu früherer Pracht der Insel ebenso gegenwärtig wie beständige Bedrohungen durch Guerillas, Privatarmeen, Besatzungskräfte oder Straßenbanden. Wer „Traumschlange“ liest, kommt nicht umhin, ein besonderes Augenmerk auf all diese Begleitumstände zu richten und sie in den Erzähl- und Handlungsfluss aufzunehmen, denn zum Glück bezieht der Roman seine besonderen Momente und seine Wirkung nicht allein aus aktionsbetonter Dramatik.

_Spannungsbogen_

Man muss nun nicht befürchten, lange Belehrungen über Geschichte und Kultur dargeboten zu bekommen. Diese Informationen werden aktiv in das Geschehen eingefügt und es bleibt genug Handlungsreichtum, um die Erzählung in Bewegung zu halten. Bedrohungen, unerwartete Wendungen, verzwickte Situationen nehmen, wie es sich gehört, zudem im letzten Drittel stark zu, so dass wir in einem aktionsreichen Finale – und einem augenzwinkernden Epilog, der den Kreis zum stimmungsvollen Prolog schließt – aus dem Geschehen entlassen werden. Nur an einer Stelle unterläuft dem Autor ein geringfügiger Fehler in der Choreographie seines Erzählflusses, als er auf einer Autofahrt Abby und den Doc ihre jeweiligen Lebensgeschichten breitwalzen lässt. Das mag zwar durchaus realitätsnah erscheinen – so eine stundenlange Fahrt über Land kann recht ermüdend werden ohne Gespräch –, ist aber zu monologlastig ausgefallen. Zum Glück taucht dies in der Mitte des Buches auf, als es ohnehin zu einer Verschnaufpause kommt bzw. kurz bevor sich der deutlich aktionsreichere Teil der Erzählung anbahnt. Offenbar hatte der Autor noch eine Menge an Informationen über seine Charaktere unterzubringen und der Platz dafür wurde knapp. Die wirklich gelungene Ausformung der Handlungsträger mag dies durchaus rechtfertigen, sicherlich hätten diverse Details jedoch gewinn- und spannungsträchtiger untergebracht werden können.

Wekwerth hält seinen Thriller ansonsten straff im Aufbau, genau bemessen in der Länge und weiß mit stimmungsvollen Bildern zu bestechen – fast kann man den Lärm und Schmutz sinnlich ebenso wahrnehmen wie das nächtliche Haiti, das eine ganz andere, ausgesprochen intensiv-exotische Seite zu offenbaren weiß. „Traumschlange“ lässt sich ebenso intensiv in einem Rutsch und ohne Hänger genießen, und überdies nimmt man noch einiges Nachdenken über Haiti und das, wozu Menschen fähig sein können, aus der spannungsreichen Lektüre mit – Was will man mehr erwarten? Und vor internationaler Thrillerkonkurrenz muss sich dieses rundum gelungene Werk keineswegs verstecken. Da kann Rainer Wekwerth sein voriges englisches Pseudonym gern zu den Akten legen und stattdessen den Beweis antreten, dass die deutsche Autorenschaft durchaus noch gelungene und sorgfältig orchestrierte Spannungsliteratur hervorbringen kann.

Homepage des Autors: http://www.wekwerth.com

http://www.fischerverlage.de/

Collins, Max Allan – CSI Las Vegas: Doppeltes Spiel

Eine Nacht wie jede andere in Las Vegas, der Stadt in der Wüste des US-Staates Nevada, die noch viel seltener schläft als New York. Gleich zwei Leichenfunde zur selben Zeit sind nichts Ungewöhnliches für das Team der „Crime Scene Investigation“ (CSI) des „Las Vegas Criminalistics Bureau“, das Tatorte sichert, Spuren untersucht und der Kriminalpolizei – meist verkörpert durch Captain Jim Brass von der Mordkommission, der früher selbst beim CSI war – zuarbeitet.

Wie üblich teilt man sich auf. Gil Grissom, leitender Beamter der Nachtschicht, und seine Kollegen Warrick Brown und Sara Sidle machen sich auf ins Beachcomber-Casino-Hotel. Dort ist ein Gast vor den Augen eines entsetzten Etagenkellners buchstäblich hingerichtet worden: Zwei Kugeln jagte der Killer präzise in den Schädel seines Opfers, bevor er unerkannt entkam. Doch Spuren hat er trotzdem hinterlassen, auch wenn wie so oft das gesamte fahndungstechnische Instrumentarium der CSI sowie das geballte Wissen seiner unkonventionell denkenden und arbeitenden Beamten gefordert ist, sie nicht nur zu entdecken, sondern auch zu entschlüsseln.

Nick Stokes und Catherine Willows, die beiden übrigen Mitglieder von Grissoms Team, mühen sich derweil auf einem Baugrundstück ab, wo unter einer wilden Müllhalde die vollständig mumifizierte Leiche eines Mannes entdeckt wurde, die dort wohl mindestens fünfzehn Jahre gelegen hatte. Hier wird es besonders schwierig, die Todesumstände zu rekonstruieren. Eines steht allerdings rasch fest: Mord beendete dieses Leben, genauer gesagt: zwei Kugeln, präzise in den Schädel gejagt …

Lange dauert es nicht, bis den CSI-Leuten die Übereinstimmung auffällt. Zunächst glauben sie noch einen makabren Zufall – bis auf Gil Grissom, der den Zufall generell ausklammert und nur handfeste Beweise gelten lässt. Nur mühsam gehen die Ermittlungen voran, aber ein erster Teilerfolg kann errungen werden: Die Mumie war einst Malachy Fortunato, 1985 plötzlich verschwundener Buchhalter in einem der großen Casinos, gleichzeitig ein Spieler – ein ungute Kombination, wenn man für das Syndikat arbeitet. Las Vegas war in den 80er Jahren noch fest im Würgegriff des organisierten Verbrechens. Gemeinsam mit Fortunato verschwand damals eine große Summe Mafia-Geldes, was seiner Witwe einige unangenehme Besucher ins Haus brachte. Doch sie war tatsächlich ahnungslos, und ihr Gatte womöglich auch.

Wer steckt also wirklich hinter dem Fortunato-Mord? Nach so vielen Jahren ist die Spur erkaltet, die Schar der Verdächtigen groß. Aber in den Labors der CSI setzt man allen Ehrgeiz daran, das Puzzle zusammenzusetzen – und vergisst darüber, dass die Karriere eines Killers durchaus länger als anderthalb Jahrzehnte dauern kann. Der „Deuce“, der die Köpfe seiner Opfer löchert wie die Zwei im Kartenspiel, ist jedenfalls noch sehr aktiv, und er beginnt jetzt allmählich nervös zu werden …

Bücher zu Filmen oder Fernsehserien, die zudem von der Vgs Verlagsgesellschaft herausgebracht werden, sollte man eigentlich meiden. Sie leben allein vom Ruhm der Vorlage, gelten den Studios als nettes Zusatzgeschäft und werden von fix schreibenden, aber minderbegabten Autorenknechten wie am Fließband produziert. Eile tut Not, ist doch das Verfallsdatum solcher „tie-in-Literatur“ identisch mit dem Zeitpunkt, an dem der Film aus dem Kino verschwindet oder die TV-Serie abgesetzt wird.

Zwei Gründe gibt es, das hier besprochene Werk trotzdem eines näheren Blickes zu würdigen. Da ist zum einen der Verfasser: Max Allan Collins hat zweifellos einen guten Namen als „tie in“-Autor, denn er produziert bei aller Hast solide Unterhaltungsware, die mehr ist als die bloße Nacherzählung eines Drehbuchs. Sein Name steht heute über unerhört zahlreichen Film- und Fernseh-Romanen, aber der wahre Leser kennt und ehrt Max Allan Collins als Autor vorzüglicher Kriminalromane, der mit seinen historischen Thrillern noch eines draufzusetzen vermag. Was? Noch nie davon gehört? Kein Wunder, denn Deutschland ist Collins-Diaspora. Man müsste eigentlich bitterlich klagen (oder fluchen): Während dieser Autor mit seinen Butter-aufs-Brot-Büchern in jedem Buchladen vertreten ist, werden seine wahren Kunstwerke nur noch in den Antiquariaten gehandelt – wenn sie denn überhaupt zu bekommen sind! Wer einmal einen der grandiosen Nate-Heller-Thriller gelesen hat, die das Chicago der 30er Jahre mit seinen selbst dem historischen Laien wohl bekannten Gangstern wieder aufleben lassen, wird süchtig nach diesem Stoff, der Reales und Erfundenes so meisterhaft mischt. Theoretisch gäbe es genug davon: Collins ist ein fleißiger Mann (der auch Elliot Ness, den berühmten „Unbestechlichen“, neue-alte Abenteuer erleben lässt). Davon werden wir in Deutschland allerdings nicht profitieren: Nachdem |Bastei-Lübbe| vor vielen Jahren fünf Heller-Bände publiziert hatte, startete der |DuMont|-Verlag in seiner „Noir“-Reihe einen weiteren Versuch. Die Zeit reichte gerade, den dürstenden Fan wie den sprichwörtlichen Tantalus mit einem einzigen neuen Abenteuer zu quälen, dann wurde die Reihe mangels Nachfrage eingestellt: Der deutsche Krimileser mag es lieber gemütlich und nicht gar zu aufregend. So müssen wir uns eben mit einem Collins aus zweiter Hand zufrieden geben.

Der zweite Punkt geht an die Serie: „CSI“ gehört eindeutig zu den besten Thriller-Shows des an Qualität in dieser Hinsicht nicht gerade armen US-Fernsehens. (Ich weiß, dass 99 von 100 amerikanischen Serien Bockmist sind, aber handwerkliche Professionalität und die schiere Quantität der ausgestoßenen Shows garantieren auch heute ein gutes Quantum Sehenswertes.) Die Storys sind krude, aber stets überzeugend, das Tempo rasant (Produzent: Jerry „Pearl Harbor“ Bruckheimer, sonst die Pest der Kinowelt, aber hier in seiner holterdipoltrigen Großkotzigkeit wohltuend gezügelt), die Effekte heftig. Dazu kommt das große Glück einer fabelhaften Besetzung. Zuvor eher unbekannte, aber TV-erprobte Darsteller formen eine Riege, der man einfach gern bei der Arbeit zuschaut. Besonders William L. Petersen als Gil Grissom ist eine Figur mit Ecken und Kanten, die nicht im Reagenzglas des TV-Labors für Instant-Quotenhits lieblos zusammengebraut wurde. Die Chemie stimmt zwischen den Männern und Frauen des CSI-Teams, obwohl sie tüchtig miteinander konkurrieren und streiten.

Collins schafft es, alle diese Punkte in seinen Roman zu retten. Während der Lektüre kann man vor dem inneren Auge einen CSI-Film „Doppeltes Spiel“ ablaufen sehen. Dabei hilft es maßgeblich, dass der Plot mit einer der überdurchschnittlichen TV-Episoden mithalten kann. Der ökonomisch arbeitende Verfasser greift auf die Ergebnisse früherer Recherchen zurück: Mit „The Million Dollar Wound“, dem vierten Nate-Heller-Roman (1986, dt. „Las Vegas 1946“) hatte Collins schon einmal die Geschichte der Casino-Stadt als Kulisse für einen Thriller genutzt. Sein Wissen hat er klug genutzt und ein leichtes, aber rundum lesenswertes Krimivergnügen realisiert, das sich der Genreliebhaber spätestens als nicht mehr gar so teures Taschenbuch auf die Leseliste setzen sollte.

Michael Connelly – Schwarzes Echo

Das geschieht:

Der Lake Hollywood ist das Trinkwasserreservoir für die Großstadt Los Angeles. Die Hügel der Umgebung sind durchzogen von Zu- und Ableitungsrohren, die den Obdachlosen und Fixern der Umgebung einen willkommenen Unterschlupf bieten. Dass von diesen Untermietern immer wieder einer tot gefunden wird, ist ein Ärgernis, an das die Polizei gewöhnt ist. Als an diesem Sonntag anonym eine Leiche am Damm gemeldet wird, hat Hieronymus „Harry“ Bosch Bereitschaftsdienst. Er ist ein Vollblut-Kriminalist und auch nach vielen Polizeijahren nicht in Routine erstarrt. Bosch erkennt den Toten: William Meadows war vor zwanzig Jahren mit ihm Soldat in Vietnam, wo sie Seite an Seite den Vietcong im Gewirr jener Gänge bekämpften, die dieser tief unter der Erdoberfläche anlegte. Der mörderische Kampf in der Finsternis ließ eine verschworene Gemeinschaft entstehen ließ: die „Tunnelratten“.

Meadows gehörte zu den Veteranen, deren Psyche in Vietnam einen Knacks erhielt. Lange Jahre war er rauschgiftsüchtig, doch die Indizien, die auf eine Überdosis hindeuten, wurden manipuliert. Die Ermittlungen ergeben weiter, dass Meadows in einen spektakulären Bankeinbruch verwickelt war, der Los Angeles im Vorjahr in Atem hielt und bei dem die Täter mit einer Riesenbeute unerkannt entkommen waren. Michael Connelly – Schwarzes Echo weiterlesen

Narciso, Giancarlo – schöne Hand des Todes, Die

Singapur: Fernab der Heimat kreuzen sich hier die Wege zweier Italiener, die sich zu Hause wohl gegenseitig nie wahrgenommen hätten. Der eine ist der unkonventionelle Weltenbummler Rodolfo, der sich seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Übersetzer verdient, der andere ist Marco, der Boss eines großen internationalen Bauunternehmens. Auf den ersten Blick haben beide gar nichts gemeinsam. Allein in der Fremde entdecken sie allerdings ein paar Gemeinsamkeiten. Rodolfo hat stets unabhängig gelebt, Marco hat sich durch seine frühe Heirat schon sehr bald unter die Fittiche seiner Frau begeben, träumt aber heimlich immer noch von der Freiheit und Unabhängigkeit, die Rodolfo auslebt.

Die beiden ziehen regelmäßig zusammen durch die Kneipen Singapurs, doch ihre Freundschaft ist nur von kurzer Dauer. Marco steht eines Tages verzweifelt vor Rodolfos Tür und vertraut ihm einen Schließfachschlüssel und eine große Summe Bargeld an – für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte. Außerdem trägt er Rodolfo auf, sich im Fall der Fälle darum zu kümmern, dass seine Geliebte Diana das Land verlassen kann. Rodolfo willigt ein und schon kurze Zeit später liegt es an ihm, zu seinem Versprechen zu stehen, denn Marcos verbrannte Leiche wird gefunden.

Rodolfo nimmt Diana zunächst einmal bei sich auf, bis er die nötigen Papiere besorgt hat und sie das Land verlassen kann. Doch so einfach kommt er aus der ganzen Geschichte nicht wieder heraus. Rodolfo steckt schon sehr bald in ernsthaften Schwierigkeiten und wird zu einer Figur in einem Spiel, dessen Regeln er nicht zu durchschauen vermag.

Reichlich Vorschusslorbeeren kann Giancarlo Narciso bei der deutschen Erstveröffentlichung seines zweiten Romans vorweisen. Lobeshymnen in der italienischen Presse und dann noch die Auszeichnung mit dem renommierten Preis „Premio Tedeschi“. Zusammen mit dem überaus poetisch anmutenden deutschen Titel „Die schöne Hand des Todes“ erscheint das sehr viel versprechend, wobei aber zumindest Letzterer völlig falsche Erwartungen weckt.

Wer vom Titel auf den Inhalt schließt, der könnte enttäuscht werden. Was der Titel an sprachlicher Finesse und Poesie verspricht, das sucht man im Roman leider vergeblich, so dass auf jeden Fall die Frage berechtigt ist, warum der Verlag zu dieser Irreführung greift. In meinen Augen könnte man als Leser eine wesentlich realistischere Erwartungshaltung entwickeln, wenn man auch für die deutsche Ausgabe beim Originaltitel „Singapore Sling“ (Marcos Lieblingscocktail) geblieben wäre. Dementsprechend brauchte ich zu Beginn des Romans überraschend lange, um damit warm zu werden. Es gilt eben erst einmal, die eigene Erwartungshaltung komplett umzustülpen und sich während des Lesens umzuorientieren.

Hatte ich mir aufgrund von Klappentext, Titel und Titelbild eine exotische, atmosphärisch dichte, spannende Geschichte mit ausgefeilter, poetischer Sprache erhofft, so entpuppte sich der Roman als wesentlich nüchterner, gradliniger und weniger exotisch – wenngleich dennoch sehr spannend. Narcisos Thriller ist mit gerade einmal 283 Seiten recht kompakt geraten. Man wird unvermittelt in die Geschichte hineingestoßen, Figuren und Atmosphäre werden nicht gerade ausschweifend skizziert, aber etwa ab der Mitte wird die Geschichte dann so spannend, dass man möglichst schnell erfahren will, wie sie endet.

Der Plot, den Narciso inszeniert, hat es wirklich in sich. Rodolfo wird in eine verzwickte Geschichte hineingezogen, in der es viele unterschiedliche Interessen gibt. Jeder verfolgt seine eigenen Ziele und wer auf welcher Seite steht, wer vertrauenswürdig ist und wer falsch spielt, ist schwer zu entschlüsseln. In dieser Hinsicht ist Narcisos Roman wirklich sehr gut gelungen. Auch sein Spannungsaufbau weiß zu überzeugen. Die Geschichte entwickelt sich mit steigender Seitenzahl zunehmend rasanter und undurchsichtiger, so dass man schon wirklich konzentriert folgen muss, um nicht den Faden zu verlieren. Im Angesicht der Achterbahnfahrt, auf die Narciso Leser und Figuren zum Ende hin schickt, kann einem schon mal schwindelig werden.

Raffiniert knüpft Narciso Verbindungen zwischen unterschiedlichen Figuren und inszeniert einen frühen Showdown, der noch längst nicht das Ende markiert. Nach dem Showdown folgt eine kleine Verschnaufpause, die Leser und Figuren kurz wieder Atem schöpfen lässt, um sie dann mit einem letzten Knall zum Ende der Geschichte zu schicken. Danach bleibt der Eindruck eines „runden“ Romans. Die Geschichte wirkt in sich stimmig, der Plot gut konstruiert, wenngleich der eine oder andere kleinere Schwachpunkt im Gedächtnis bleibt. Die Motive des Täters lassen sich zwar begründen, bleiben aber in meinen Augen auch etwas blass und können somit nicht die letzten Zweifel ausräumen.

Ähnlich blass bleiben teilweise die Figuren. Insbesondere Rodolfo lässt einige Fragen aufkommen. Seine Person wirkt sehr verschlossen und kalt. Obwohl er Frau und Kind hat, sitzt er einsam am anderen Ende der Welt und schafft es höchstens einmal im Jahr, sich bei seiner Familie zu melden. Er wirkt irgendwie leblos und innerlich leer. Diesen Eindruck kann Narciso zwar zum Ende des Romans etwas relativieren, dennoch bleibt Rodolfo uns etwas schwer begreiflich. Ähnlich sieht es mit seinem Verhalten aus. Für meinen Geschmack bewegt er sich fast schon zu souverän durch dieses verzwickte, undurchsichtige Spiel, um bis in den letzten Winkel glaubwürdig zu sein. Einerseits bringt er bestimmten Figuren (obwohl er keinen Grund dazu hätte) überraschend viel Vertrauen entgegen, andererseits kann man ihm kaum Leichtgläubigkeit vorwerfen, so souverän, wie er oftmals die Lage meistert. Das ist ein etwas sonderbarer Widerspruch.

Auch die übrigen Figuren strahlen eine gewisse Kühle aus, die in einem etwas merkwürdigen Kontrast zur schwülen Hitze Singapurs steht. Sonderlich nah geht uns keine der Figuren, was sicherlich auch in der Kompaktheit der Handlung begründet liegt. Narciso konzentriert sich eindeutig auf seinen ausgeklügelten, rasanten Plot, der wirklich überzeugend und durchgängig spannend ist. Figuren und Atmosphäre treten dabei etwas in den Hintergrund.

Ein weiterer Reiz des Romans ist der Handlungsort. Singapur als Ort einer Thrillerhandlung bekommt man nicht sehr oft serviert, so dass die Atmosphäre und das ganze Drumherum des Romans zwangsläufig etwas aus dem Rahmen gewohnter Klischees fallen müssen. Das tun sie letztendlich auch. Narciso hat selbst jahrelang in Singapur gelebt und pendelt heute zwischen Mailand und Indonesien. Er kennt das Land also aus eigenen Erfahrungen und hegt eine besondere Beziehung zu Südostasien allgemein.

Dass das Bild, das Narciso von Singapur zeichnet, also absolut realistisch ist, daran kann kein Zweifel bestehen. Trotzdem dauert es sehr lange, bis er diesen Vorteil voll ausspielt. In dem Handlungsort steckt mit Blick auf die Atmosphäre des Romans ein großes Potenzial, das Narciso leider nicht hundertprozentig ausschöpft. Ein Punkt, in dem die Kompaktheit des Romans etwas bedauerlich ist. Es entsteht zwar ein interessantes Bild von Singapur, zumal der durchschnittliche Mitteleuropäer darüber sicherlich nicht viel weiß, aber man hätte daraus sicherlich auch noch eine etwas dichtere Atmosphäre zaubern können. Singapur als Schmelztiegel unterschiedlicher asiatischer Kulturen, als Land ohne wirkliche Wurzeln und als Ansammlung moderner Bauwerke, ohne tief greifende Geschichte wird sehr deutlich ausgeformt, könnte aber hier und da auch tiefer greifend sein.

Was Narcisos sprachlichen Stil angeht, so ist der, wie angesprochen, längst nicht so feinfühlig und poetisch wie der Titel des Romans vermuten lässt. Er formuliert schlicht und etwas schnörkellos, sehr klar und direkt. Er scheint ein Faible für Marken zu haben, das an manchen Stellen etwas sonderbar anmutet, denn ich für meinen Teil finde es nicht unbedingt erwähnenswert, wenn jemand ein Poloshirt mit einem eingestickten Krokodil auf der Brust trägt.
Narciso konzentriert sich sehr auf die Interaktion der Figuren, schildert seine Handlung häufig in Dialogen und lässt auch trotz der gewählten Form des Ich-Erzählers nicht tiefer in seinen Protagonisten Rodolfo blicken. Sprachlich und inhaltlich fügt sich der Roman dennoch sehr gut zusammen. Letztendlich passt Narcisos Art zu Formulieren ganz gut zur Kompaktheit der Erzählung und zu seiner Konzentration auf den Plot.

Insgesamt betrachtet, ist Giancarlo Narciso mit „Die schöne Hand des Todes“ ein solider Thriller geglückt. Die Geschichte wird durchgängig spannend erzählt, der Plot ist ziemlich pfiffig inszeniert und entwickelt sich mit der Zeit so rasant, dass dem Leser fast schwindelig wird. Dass vor diesem Hintergrund die Figuren nicht so tief gezeichnet werden und sich auch die Atmosphäre Singapurs nicht bis in den letzten Winkel entfaltet, ist zwar eine etwas bedauerliche Begleiterscheinung – besonders wenn man im Hinterkopf behält, dass man aufgrund des deutschen Titels vielleicht mit einer etwas falschen Erwartungshaltung an das Buch herangeht -, aber letztendlich in gewissem Maß verzeihlich.

Ian Rankin – Verborgene Muster (John Rebus 1)

John Rebus, Polizist in Edinburgh, wird von einem geistesgestörten Mörder persönlich herausgefordert. Dieser zerstört systematisch Familie und Leben seines Totfeindes, der lange nicht einmal ahnt, wie bzw. warum ihm dies geschieht … – Der erste Band der ungemein erfolgreichen Rebus-Serie entstand Jahre vor der Fortsetzung. Die Hauptfigur ist wesentlich schroffer gezeichnet, die Handlung eher Psycho-Thriller als Krimi. Gerade deshalb (sowie zügig geschrieben) ist dieser Roman spannend; sein Potenzial wurde in der Serie nachhaltig unter Beweis gestellt. Ian Rankin – Verborgene Muster (John Rebus 1) weiterlesen

David Morrell – Totem

morrell totem cover kleinDas geschieht:

Potter’s Field ist eine kleine Gemeinde im US-Staat Wyoming. Farmer stellen hier die Mehrheit der Bürgerschaft. Das Leben ist hart und schlicht, die Verbrechensrate niedrig. Das gefällt vor allem dem Polizeichef Nathan Slaughter. Nachdem er, der Star der Detroiter Mordkommission, versehentlich zwei minderjährige Diebe niederschoss, ist sein Nervenkostüm angegriffen. In der Provinz möchte er wieder zu sich finden.

Leider hat er sich keinen idealen Ort für den Neuanfang ausgesucht. Potter’s Field war vor sechs Jahren Zentrum einer bizarren Tragödie. Der Sektenguru Quiller hatte sich mit 200 Hippie-Gläubigen in der ‚unverdorbenen‘ Wildnis ein neues Utopia schaffen wollen. Im strengen Winter von Wyoming hatte der Traum im Desaster geendet; zu Dutzenden waren die Unglücklichen erfroren. Der Journalist Gordon Dunlap hatte damals einen bemerkenswerten Bericht über diese Ereignisse verfasst. Das Grauen hatte ihn niemals losgelassen. Er ist zum Säufer geworden, der wie Slaughter in Potter’s Field sein Leben wieder in den Griff zu bekommen versucht. David Morrell – Totem weiterlesen