Interview mit Thomas Finn

_Martin Schneider:_
Servus Tom, herzlichen Glückwunsch zu deinem gelungenen Roman [„Der Funke des Chronos“! 2239

_Thomas Finn:_
Dank dir. In dieses Buch ist auch sehr viel Herzblut hineingeflossen.

_Martin:_
Vielleicht stellst du dich jenen Lesern kurz vor, die dich bislang noch nicht kennen.

_Thomas Finn:_
Nun, ich bin 38 Jahre alt, Hamburger und mit Leib und Seele Schriftsteller und Autor. Angefangen mit dem Schreiben habe ich noch während meiner Schulzeit mit Fantasyrollenspiel-Publikationen, was sich dann während Ausbildung und Studium mehr und mehr hin zu Romanen, Drehbüchern und Theaterstücken entwickelt hat. Nach dem Studium habe ich einige Jahre lang als kommissarischer Chefredakteur bei dem Phantastik-Magazin |Nautilus| gearbeitet sowie als Lektor und Dramaturg in einem Drehbuch- und Theaterverlag. Seit 2001 lebe ich hauptberuflich vom der Schriftstellerei. Wer noch mehr über mich wissen möchte, dem empfehle ich einen Blick auf meine Webseite unter www.thomas-finn.de, »denn da wird Ihnen geholfen«.

_Martin:_
Wie kamst du auf die Idee, a) über eine Zeitreise, und b) im alten Hamburg zur Zeit des Großen Brandes zu schreiben?

_Thomas Finn:_
Die Grundidee zu dem „Funken“ kam mir bereits vor über zehn Jahren. Ich erfuhr damals, dass bis heute nicht geklärt ist, warum in einem Speicher an der Deichstraße ein Feuer ausbrach, das dann den Großen Brand von 1842 entfachte, der ein Drittel der damaligen Stadtfläche verwüstete. Rätsel dieser Art liebe ich, denn hier beginnt die Vorstellungskraft. Dies alles mit einer phantastischen Zeitreise zu verknüpfen, lag insofern nahe, als dass ich mich schon damals fragte, wie wohl das Leben um 1840 ausgesehen hat und ob ein heutiger Hamburger die Stadt überhaupt wiedererkennen würde. Ich habe diese Frage einfach sehr wörtlich genommen. Nebenbei sprechen wir hier von jener Epoche, die praktisch alle heute bekannten Hamburger Stadtoriginale hervorgebracht hat. Zum Beispiel den Wasserträger Hummel, der noch heute Pate steht für den vertrauten Hamburger Schlachtruf: „Hummel Hummel, Mors Mors!“ Hinzu kam, dass sich während und nach dem Brand auch entwicklungstechnisch ein Quantensprung in Hamburg vollzog: Die Eisenbahn hielt Einzug in die Hansestadt, außerdem ebnete der Große Brand im wahrsten Sinne des Wortes den Weg für zahlreiche Neubauten, die noch heute das vertraute Stadtbild Hamburgs prägen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass mit 1842 die Moderne in Hamburg Einzug hielt.

_Martin:_
Wie würdest du diesen Roman beschreiben?

_Thomas:_
Als phantastischen Historien-Thriller – also fast so, wie auch der |Piper|-Verlag den Roman bewirbt. Denn trotz des Phantastik-Anteils dieses Romans war es ein großes Anliegen, das alte Hamburg so korrekt wie nur irgend möglich zu beschreiben. Das fängt bei Kleinigkeiten wie dem Aussehen einer Straßenlaterne an, reicht über Darstellungen des damaligen Polizeiwesens, der detailgetreuen Beschreibung einzelner Straßenzüge bis hin zur verwendeten Sprache der Protagonisten und Antagonisten. Trotz alledem standen beim Schreiben natürlich vor allem Story und spannender Handlungsaufbau im Vordergrund.

_Martin:_
Das Recherchieren der Fakten muss eine ganze Menge Zeit in Anspruch genommen haben, wie lange hast du dafür gebraucht?

_Thomas Finn:_
In dem Roman stecken gut und gerne zehn Jahre Recherchearbeit. Während des Schreibens griff ich auf etwa 60 zum Teil geerbte und heute schon lange nicht mehr erhältliche Bücher sowie noch einmal 80 weitere Artikel zurück, die ich in der Hamburgensien-Sammlung der Hamburger Staatsbibliothek gefunden oder schlicht in Zeitschriften oder im Internet erjagt habe. Manches zufällig, vieles aber auch sehr gezielt.

_Martin:_
Sind die durchaus skurrilen Szenen, die sich während des Brandes ereignen, wirklich so passiert?

_Thomas:_
Ja, fast alle. Ich konnte es anfänglich selbst nicht glauben, als ich zum ersten Mal davon las. Sei es die Sache mit der Familie, die den Sarg eines gerade verstorbenen Verwandten zu retten versuchte, sei es die Episode mit dem brennenden Zucker, der sich lawinenartig aus den Speichern in die Fleete ergoss, oder sei es die Begebenheit mit dem Kostümverleiher, der sich im Napoleonskostüm in Sicherheit brachte. Überhaupt habe ich in dem Roman derart viele Originalschilderungen der damaligen Zeit eingearbeitet, dass sie alle aufzuzählen den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. So haben sich auch die beschriebenen Ereignisse im Elysium-Theater fast detailgetreu so zugetragen, wie ich es im Roman geschildert habe – sieht man mal davon ab, dass vielleicht nicht alles an genau einem Tag passiert ist. Die historischen Rechercheergebnisse mit der eigentlichen Handlung zu verbinden, hat aber gerade den Spaß beim Schreiben ausgemacht.

_Martin:_
Du bezeichnest deinen Roman als Hommage an H.G. Wells‘ [„Die Zeitmaschine“; 1414 warum war es dir ein Anliegen, dies zu tun?

_Thomas Finn:_
Weil mich die 50er-Jahre-Romanverfilmung der »Zeitmaschine« schon als Kind nachhaltig beeindruckt hat. Wann immer die Morlocks auftauchten, tauchte ich hinter den Fernsehsessel ab. Nach zehn- bis zwölfjähriger Pause habe ich den Film dann erstmals mit 21 Jahren zur Gänze gesehen. Kein Wunder also, dass mein Protagonist mit keiner geringeren Maschine in die Vergangenheit reist als mit DER Zeitmaschine. Auch das sicher überraschende Ende des Romans stand bereits seit zehn Jahren fest.

_Martin:_
Warum hast du ausgerechnet Heinrich Heine für dein Buch ausgewählt?

_Thomas:_
Auf Heinrich Heine bin ich vor vier Jahren eher durch einen Zufall gestoßen. Während meiner Brandrecherchen stieß ich auf einen Eintrag, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass sich Heine während der Katastrophe in Hamburg aufhielt. So bin ich aber immerhin auf seine familiären Verflechtungen zur Hansestadt und auch auf sein besonderes Verhältnis zu seinem Hamburger Onkel Salomon Heine aufmerksam geworden. Und je mehr ich über Heine las, desto mehr zeichnete sich ab, dass er als eine meiner Hauptfiguren Einzug in die Handlung halten würde.

_Martin:_
Wie sieht es mit deinem Verständnis der deutschen Dialekte aus, als gebürtiger Amerikaner? Schließlich verwendest du neben dem nicht ganz einfachen Hamburger Plattdeutsch auch noch Jiddisch und Hessisch in deinem Roman.

_Thomas:_
Ach Gott, du spielst auf meinen Geburtsort Chicago an? Ich gestehe, im Klappentext eines Buches macht sich der recht gut. Gut, dass kaum einer weiß, dass meine Eltern – übrigens beide Hamburger – nach einem zweijährigen USA-Aufenthalt und nur ein halbes Jahr nach meiner Geburt wieder zurück nach Deutschland gezogen sind …

Was die verwendeten Dialekte im „Funken“ betrifft, die habe ich speziell von versierten Fachleuten aus dem Hochdeutschen übersetzen lassen. Aber damit kommen wir zum Bereich der Tricks, über die weder Zauberkünstler noch Autoren gerne sprechen. Offiziell beherrsche ich neben dem Hochdeutschen natürlich auch Plattdeutsch, Hessisch, Jiddisch und mindestens acht weitere deutsche Mundarten fließend. Was denkst du denn …?

_Martin:_
Du verwendest noch die alte Rechtschreibung. Bequemlichkeit, Überzeugung oder Verlagsdogma?

_Thomas:_
Eine Vorgabe des |Piper|-Verlags. Die Verlage haben da ganz unterschiedliche Richtlinien. Als ich einem Monat nach dem „Funken“ an meinem nächsten Buch saß, musste ich wieder auf die neue Rechtschreibung umschwenken. Da freut man sich, dass es Lektoren gibt.

_Martin:_
Die Figuren, die du verwendest, wie Caroline Lewald oder Polizeiaktuar Kettenburg, sind alles andere als Stereotypen. Hast du darauf besonderen Wert gelegt?

_Thomas:_
Na klar. Eigentlich sollte man sich immer darum bemühen, Stereotypen zu vermeiden. Schön, dass es mir hier gelungen zu sein scheint. Wichtig scheint mir, dass man jede Figur seiner Geschichte liebt. Und das muss der Leser am Ende auch merken.

_Martin:_
Besonders hat mir die Figur des Uhlen (althamburgisch für Nachtwächter) Borchert gefallen. Wie kamst du auf die Idee, diesen Typ so zu gestalten? Vor allem ist die Wandlung des Charakters interessant, von Kettenburgs Sidekick zum Alleskönner.

_Thomas:_
Es ist witzig, manche sehen in Borchert sogar die heimliche Hauptfigur des Romans. Ursprünglich war der dicke Uhle nicht einmal eingeplant, doch als die Rolle von Polizeiaktuar Kettenburg feststand, entwickelte sich mit ihm auch der Nachtwächter. Und damit auch der Gag mit Borcherts weit verzweigter Verwandtschaft. Bei alledem schwingt natürlich ein Hauch von Sherlock Holmes und Watson mit, nur eben unter völlig anderen Vorzeichen. Ich denke, es ist die grundehrliche Haltung dieses Mannes, gepaart mit seiner anrührenden Art, mit der er erst mein Herz und damit einhergehend dann auch die der Leser erobert hat. Es hat beim Schreiben ein oder zwei Stellen gegeben, wo Borchert mich ernsthaft zu Tränen gerührt hat. Erstaunlich, dass ich das als Autor so sagen kann. Vielleicht ist es ja doch so, dass gute Geschichten nicht erschaffen werden, sondern sich nur des Autors als Medium bedienen.

_Martin:_
Dann lege doch bitte hier, exklusiv für unsere Leser, die Familienverhältnisse von Borchert offen!

_Thomas:_
Pah, so weit kommt es noch. Selbst ist der Mann oder die Frau!

_Martin:_
Du hast ja auch noch einige Gezeitenwelt-Romane geschrieben. Da ich gestehen muss, dass ich noch nichts von der Gezeitenwelt gelesen habe, bitte ich dich, mir eine kurze Einführung in diese Romanreihe zu gewähren.

_Thomas:_
Bei der Gezeitenwelt handelt es sich um eine epische Romansaga, die ich gemeinsam mit meinen Kollegen Bernhard Hennen, Hadmar von Wieser und Karl-Heinz Witzko unter dem Gruppen-Pseudonym „Magus Magellan“ erschaffen habe. Bei dieser Saga geht es um eine Welt, die nach dem Einschlag eines großen Meteoriten von einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes heimgesucht wird. Und als wäre das noch nicht genug, hält nach dem Einschlag eine wundersame Magie Einzug in die Gezeitenwelt, die Träume aber auch Albträume wahr werden lässt. Wer mehr zu alledem wissen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, einen Blick auf unsere Webseite unter http://www.gezeitenwelt.de zu werfen.

_Martin:_
Einige unserer Leser werden dich hauptsächlich als Autor im Rollenspiel-Genre kennen. Wann gibt’s neuen Lesestoff von dir für die „Das Schwarze Auge“-Fans oder das Rollenspiel allgemein?

_Thomas:_
Eigentlich immer wieder, sobald ich Zeit dazu finde. Im März 2006 erscheint die Hörbuchversion meines DSA-Romans [»Das Greifenopfer«, 1849 der vom |Horchposten|-Verlag wirklich großartig vertont wurde. Und erst Ende letzten Jahres habe ich dem Hexer-Regelband von |Pegasus| ein ausführliches Cthulhu-Abenteuer beigesteuert. Auch dieses Jahr wird sicher noch das eine oder andere von mir zu erwarten sein.

_Martin:_
Bleibt dir überhaupt noch Zeit, selber Rollenspiele zu spielen?

_Thomas:_
Ja. Die nehme ich mir einfach. Für mich sind Fantasy-Rollenspiele selbst nach 20 Jahren nicht nur ein fantastisch-schöner Zeitvertreib, sie sind nebenbei auch ein hervorragendes Testgelände für neue Ideen. Solange ich mich für spannende Geschichten begeistern kann, werden die fantastischen Rollenspiele ganz sicher einen festen Platz in meiner Freizeitgestaltung einnehmen.

_Martin:_
Sowohl in [„Das Greifenopfer“ 1849 (Orklandschildkröte) als auch in „Der Funke des Chronos“ (tote Katze) wird sofort zu Beginn etwas überfahren. Irgendwelche schlechten Erfahrungen im Hamburger Feierabendverkehr gemacht?

_Thomas:_
Diese Frage ringt mir ein Schmunzeln ab. Die beschriebenen Ähnlichkeiten sind mir nämlich erst durch deine Anmerkung bewusst geworden. Nein, mit dem Hamburger Feierabendverkehr hat das ganz sicher nichts zu tun. Den erlebe ich bei meinem Job nur sehr selten als unmittelbar Beteiligter. Mein Feierabend, wenn du so willst, endet nämlich regelmäßig erst so gegen 3 Uhr morgens.

_Martin:_
Was ist in nächster Zeit von dir zu erwarten? Wie sieht es mit weiteren Projekten aus?

_Thomas:_
Bereits im Juli erscheint bei Ravensburger mein neuer Roman „Das unendliche Licht“. Darin verschlägt es einen jugendlichen Irrlichtsammler in eine Stadt namens Hammaburg, wo er als Zauberlehrling ausgebildet wird. Dieses Hammaburg ist aber eingebettet in eine sehr fantastische Welt, die von der besetzten Insel Albion im Norden bis hinunter zum Alptraumgebirge im Süden reicht. Und natürlich wird diese Welt von einer großen Bedrohung heimgesucht. Ich verspreche schon jetzt spannende Unterhaltung.

Der Roman bildet übrigens den Auftakt zu einer Trilogie, was die Frage nach den nächsten Romanen beantwortet, an denen ich schon in Kürze sitzen werde. Weitere Romanideen liegen bereits in der Schublade.

Desweiteren bin ich seit 2005 Mitgesellschafter der Historia Hanseatica GmbH, eine Theaterproduktionsgesellschaft, deren Ziel es ist, 2007 die Geschichte des bekannten Piraten »Störtebeker« als großes Theaterspektakel in Hamburg aufführen – und gleich auch noch ein großes Theater dazu zu bauen. Aktuell arbeiten mein Partner Volker Ullmann und ich am Ende der ersten Stückfassung. Wer noch dieses Jahr ein Theaterstück aus unserer Feder miterleben will, dem empfehle ich ab dem 10. Juni einen Besuch der Freilichtspiele in Breisach bei Freiburg. Denn dort wird nach dem großen Erfolg der Uraufführung 2005 im Alten Schauspielhaus in Stuttgart unser Theaterstück „D’Artagnans Tochter & die drei Musketiere“ ein weiteres Mal aufgeführt werden. Außerdem liegt hier auf meinem Schreibtisch die ziemlich konkrete Anfrage nach einem Hörspiel. Du merkst, das Jahr wird sehr arbeitsreich.

_Martin:_
Dann bedanke ich mich für dieses Interview und werde dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Letzte Worte?

_Thomas:_
Nun denn: Lest mehr Bücher!

http://www.thomas-finn.de

Rezensionen zu:
[„Das Greifenopfer“ 1849
[„Der Funke des Chronos“ 2239

Krieg der Religionen

Ein beachtliches Werk, das die beiden Autoren dem interessierten Leser hier vorlegen. Führten die beiden Vorgänger-Bücher „Der Schatten des Dalai Lama“ (1999) zu einem Aufschrei in der Esoterik-Szene und „Hitler – Buddha – Krishna“ (2002) etwas abgemildert zu ähnlichen Turbulenzen, weil entgegen gängiger Forschung die Nazi-Diktatur auf Religionsebene betrachtet wurde, ergibt sich mit dem neuesten Werk ein differenzierteres Bild. Keinesfalls ist der Kurs ein anderer geworden und die vorgelegten Recherchen – nunmehr zu Judentum, Christentum und Islam – werden nicht weniger Wellen schlagen. Aber alle drei Bände im Zusammenhang eines Gesamtwerkes betrachten zu können, ermöglicht einen völlig anderen Blickwinkel auf die Intention der Autoren und führt in der Beurteilung der einzelnen Titel dadurch ebenso zu vollkommen anderen Ergebnissen. Als Gesamtbild ergibt sich keine Diffamierung mehr gegenüber einer speziellen Religion, sondern der Blick auf ein zeitgenössisches umfangreiches Forschungsgebiet zur notwendigen Kritik an den gefährlichen Schatten der gegenwärtigen Religionen wird eröffnet, und dies ist ein durchaus wichtiger Beitrag aktueller Kultur- und Politikreflektion.

Der Titel „Krieg der Religionen“ meint nicht explizit, dass Religionen in Krieg miteinander getreten wären, sondern bezieht sich auf die fundamentalistischen Kräfte innerhalb der Religionen, die sehr wohl mehr denn je im Krieg miteinander stehen; dass dies möglich werden konnte, ist allerdings in den Grundformen der religiösen Texte bereits implantiert. Allenorts setzen sich heutzutage wieder die Glaubensvorstellungen durch, wir befänden uns in der Zeit der nahenden Apokalypse. Dieses Wort ist ursprünglich ein Begriff der monotheistischen abrahamitischen Religionen und tauchte erstmals im Christentum als „Apokalypse des Johannes“ auf. Eigentlich hanelt es sich um ein griechisches Wort für „Offenbarung“ oder „Enthüllung“, weswegen zu Recht der entsprechende Text des Johannes auch „Johannes-Offenbarung“ genannt wird. Aber durch das, was in diesem Text enthalten ist, hat sich der heute allgemein benutzte Apokalypse-Begriff als Verständnis für den absoluten chaotischen Umbruch durchgesetzt und wird nunmehr auch in anderen als christlichen Religionen im selben Sinne verwandt. Im Vordergrund des apokalyptischen Krieges der Religionen stehen derzeit auf politischer Weltebene lediglich die drei genannten „Weltreligionen“ im Mittelpunkt der Ereignisse. Alle sind sie vom Kampf „Gut“ gegen „Böse“ besessen, und die Aussagen eines Osama Bin Laden unterscheiden sich in ihrer frommen Maske nicht von denen eines George Bush oder anderer christlichen Fundamentalisten. Die beiden Autoren zeigen auf, wie austauschbar das scheinbar „Gute“ ist und wie es von jedem beliebig benutzt werden kann – selbst von den extremsten Gewalttätern.

In Deutschland werden die Bezüge auf Religion in der Politik glücklicherweise noch nicht geteilt, aber dadurch auch viel zu wenig beachtet. Dabei kann sich all dies schneller ändern, als viele in Unkenntnis der gegenwärtigen Realität vermuten würden. Nach neuesten Statistiken vom April 2005 glauben 63 % der Amerikaner, dass die Bibel das „Wort Gottes“ ist und wörtlich zu verstehen sei und nur 24 % glauben dies nicht. Ihnen geht es darum, ob Satan oder Gott die Oberhand behält, und das „Böse“ sind nicht nur die berüchtigten Diktatoren, sondern vor allem Liberale, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle und Feministinnen. „Die feministische Agenda kümmert sich nicht um Frauenrechte. Es handelt sich hierbei um eine sozialistische, antifamiliäre Bewegung, die Frauen dazu auffordert, ihre Ehegatten zu verlassen, ihre Kinder zu töten, Hexerei zu betreiben, den Kapitalismus zu zerstören und Lesben zu werden“. Sie sind fest davon überzeugt, dass der Anti-Christ eine neue Religion gründet, und machen dies an der aus der Hippie- und Protestbewegung der in den 60er Jahren entstandenen New-Age-Szene fest. Dieser werden Häresie, Paganismus, Okkultismus, Dämonenglaube und Teufelsdienst vorgeworfen. Tatsächlich ist es ja auch so, dass aus dem New Age mittels Anleihen bei den etablierten Glaubensrichtungen Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus gepaart mit Astrologie, Spiritismus, Magie, Tiefenpsychologie, Naturheilkunde und Drogenexperimenten eine neuer „synkretistischer Religionsmix“ entstanden ist. Aus dem religiösen Feminismus vor allem, der sich offen zur Hexentradition bekennt und seine eigenen Riten praktiziert, ist spätestens zur Jahrtausendwende die aufblühendste „neue“ Religionsform erstanden, die fast als einzige der derzeitigen Religionen täglich Zuwächse statt der Austrittswellen verbuchen kann.

Fast ganz Amerika schaut zudem argwöhnisch bis verachtend auf Europa, denn die hiesigen Werte, wo kaum noch jemand in die Kirchen geht, sind vollkommen andere. Eine Mehrheit der Amerikaner glaubt, dass hier der Anti-Christ geboren wird, und leitet diese Ansicht aus der „Offenbarung“ ab. Dieser hat als „Tier“ zehn Hörner und zehn Könige, die noch nicht zur Herrschaft gelangt sind, und jene stehen für das „Alte Europa“, das vor der Erweiterung zehn Mitgliedsstaaten hatte. Die zwölf Sterne in der europäischen Flagge sind die |corona stellarum duodecim| (die Zwölf-Sternen-Krone) des apokalyptischen Weibes. Wo in der herkömmlichen Kirche diese Kirche die Braut Gottes ist, ist das satanische Gegenstück die Hure Satans. Diese ist von der Sonne bekleidet und schwanger, sie steht mit den Füßen auf dem Mond und trägt den Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Europa hat seinen Namen von der kretanischen Zeusgeliebten Europa, und da in der EU-Ästhetik diese auch auf dem Stier abgebildet wird, sei das der Beweis aus der Offenbarung: „Dort sah ich eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das über und über mit gotteslästerlichen Namen beschrieben war“. Das alles habe Tradition: Schon in der Hymne Europas, Friedrich Schillers „Ode an die Freude“, vertont von Beethoven in seiner 9. Symphonie, wird die heidnische Göttin besungen, die durch magische Mittel alle Menschen zu einer anti-christlichen Bruderschaft vereinigen wolle. Da diese als Hure Babylons bezeichnet wird, sieht man die Sprachenvielfalt Europas auch als Zeichen der in der Bibel verwendeten Sprachverwirrung zu Babel.

Linke Christen machen – müsste ich in diesem austauschbaren Chaos eine Realität wählen, wäre mir diese Sichtweise viel sympathischer – dagegen all das in den USA selber aus. Sie sehen im globalen amerikanischen Kapitalismus die große Hure und setzen in der Offenbarung für die Bezeichnung „Babylon“ das Wort „Amerika“ ein: Die Nation Babylon (Amerika) ist von Wassern umgeben. Die Völker der Welt müssen das Meer überqueren, um mit ihr Handel zu treiben. Sie wird von Menschen verschiedener Rassen bewohnt, einem Völkergemisch, das dem amerikanischen |melting pot| entspricht. Sie ist militärisch äußerst mächtig, sie ist arrogant, stolz und überheblich. Die anderen Nationen der Erde werden von ihr beherrscht. Sie ist die größte ökonomische Macht, so dass die Kaufleute der Erde um sie weinen, als ihr Untergang bevorsteht, weil niemand mehr ihre Waren kauft. Durch ihre ökonomische Macht kontrolliert sie die Welt. Ihre Einwohner leben in Überfluss und Luxus, und so fort – alles Bibelverweise.

Einig ist man sich aber darüber, dass die Schlacht der Apokalypse im Nahen Osten stattfinden wird, und diese Ansicht wird von den Juden, den Christen wie den Mohammedanern geteilt. Begonnen – in der Wahrnehmung dieser Art – habe alles mit dem Attentat auf das World Trade Center am 11.9.2001, obwohl das in diesem Zusammenhang recht eigentümlich anmutet: Angegriffen wurden ja keine Symbole des Christentums, sondern solche des Kapitalismus und der profanen westlichen Gesellschaft. Wenn es um einen religiösen Angriff ging, dann höchstens gegen das System der Gottlosigkeit, wie es alle fundamentalistischen Vertreter des Islam bis dahin auch vertreten hatten. Interessant war die Reaktion US-Amerikas, das sich sofort auf den Iran und Saddam Hussein einschoss, obwohl der mit den Attentaten nachweislich wohl am wenigsten in Zusammenhang zu bringen war. Dass dies dennoch in solcher Weise geschah, hat aus religiöser Betrachtung mit der ältesten überlieferten „apokalyptischen“ Geschichte des Kampfes Gut gegen Böse zu tun – dem babylonischen „Enuma Elish“, wo Marduk (das Gute geordnete Männliche) gegen seine Großmutter Tiamat (das Böse chaotische Weibliche) antrat. Die späte „Hure Babylon“ aus der Johannes-Offenbarung ist noch diese Tiamat. Der babylonische König Nebukadnezar II. (604 – 561 v. Chr.) erbaute einen Marduk-Tempel und eroberte Jerusalem. Als dessen Wiedergeburt und Nachfahre sah sich Saddam Hussein, der, wie auch schon Alexander der Große, Babylon (Bagdad) wieder zum Großreich aufbauen wollte und auch als Eroberer von Jerusalem in die Geschichte einzugehen gedachte. Er setzte alles ein, um die enorme kulturelle Erbschaft der ältesten Zivilisation wiederaufleben zu lassen, und veranstaltete ritualisierte Feste, auf denen man die archaischen Zivilisationen des Zweistromlandes feierte. Stein für Stein ließ er das berühmte Tor der Ischtar wieder aufbauen, versehen mit der Inschrift „Ischtar – die Überwinderin der Feinde“. Ischtar war die babylonische Kriegsgöttin, stand aber im kultischen Dienst des Marduk. Hussein war als Inkarnation Nebukadnezars gleichzeitig auch Gott Marduk selbst. Sein Slogan „Mutter aller Schlachten“ aus dem ersten Golfkrieg war eine Metapher aus den „Hymnen an die Ischtar“. Die Amerikaner sprachen danach von der „Mutter aller Bomben“, die sie einzusetzen drohten, was glücklicherweise nicht geschah. Mit dem Bezug auf die alten Traditionen suchte Hussein nach einem Mythos, der die Spaltung des Landes zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden überwinden konnte. Mit seiner „Babylonisierung“ des Landes wollte er eine irakische Identität jenseits aller ethnischen Unterschiede, jenseits des Islams und jenseits der sozialistischen Baath-Partei erreichen, die sich von der übrigen arabischen Welt unterschied.

Für die christlichen amerikanischen Fundamentalisten war aber genau das das Schreckensbild. Babylon und Nebukadnezar verkörpert für sie den Anti-Christen. Nebukadnezar war der Weltherrscher und Satan bezeichnet man ja auch als „Fürsten der Welt“. Schon für Bush sen. war Saddam Hussein deswegen die Inkarnation des leibhaftigen Teufels. Und dessen Festnahme 2003, als man ihn aus seinem Bunkerversteck holte, war für Bush jun. eine höchst religiöse Angelegenheit. Durch ihre Bibelinterpretationen ist das Wichtigste im gegenwärtigen „heiligen Krieg“ die Auseinandersetzung mit Jerusalem als gutem und Babylon (Irak) als bösem Sinnbild – alles andere Islamische steht weit hinten an.

Sie erwarten die Wiederkehr des Messias, und nur durch solche Mythen konnte auch ein Arnold Schwarzenegger überhaupt seine Wahlen zum Gouverneur von Kalifornien gewinnen, denn er spielte in mehreren Filmen einen apokalyptisch-messianischen Helden, der mit übermenschlicher Kraft und brutalster Gerechtigkeit das Böse vernichtet und dem Guten zum Sieg verhilft. Die Mehrheit der Amerikaner wartet auf den „Christus mit der Knarre“. Für das hiesige christliche Denken ist das sehr entfernt vom Pazifismus des Neuen Testaments, aber in den Evangelien gibt es genügend Stellen, die Derartiges anklingen lassen; spätestens in der Johannes-Offenbarung hat der dort prophezeite blutrünstige Messias nichts mehr zu tun mit dem leidenden, sich selbst aufopfernden und auferstandenen Christus der Evangelien. Die ganze Propaganda für die im Krieg befindlichen Soldaten ist auf den wirklichen Kampf gegen den Teufel ausgerichtet. Selbst die bekannt gewordenen Folterungen stehen in diesem Zusammenhang, die von fundamentalistischen christlichen Generälen angeordnet waren. Was die islamische Welt so sehr in Aufregung versetzte, war genau das, was auch bezweckt war. Es waren religiöse Demütigungspraktiken an den Gefangenen, die gezwungen wurden, dem Islam und Allah abzuschwören, Schweinefleisch zu essen, Alkohol zu trinken (was nach dem Koran verboten ist) und Jesus Christus dafür zu danken, dass sie nicht noch mehr gefoltert werden. Im Grunde geht es dem amerikanischen Militär im ganzen Krieg und der Praxis an den Gefangenen um einen Exorzismus. Die christlichen Gebete der Amerikaner sind auch nicht mit unseren stillen privaten Gebeten vergleichbar. Dort sind es inszenierte Massengebete mit zunehmend aggressiven Inhalten. Die Soldaten der Marines im Irak-Krieg haben ein Mini-Gebetbuch in der Tasche („Die Pflicht des Christen“), worin es Seiten zum Herausreißen gibt, die an das Weiße Haus geschickt werden und in denen vorgedruckt vermerkt ist, dass der Soldat für George W. Bush bete. „Ich habe mich verpflichtet für Sie zu beten, für Ihre Familie etc.“. Christliche Fundamentalisten sind auch der Ansicht, dass Bush nicht durch Wahlen an die Macht kam, sondern direkt durch das Eingreifen Gottes.

Der Islam kämpfte stets gegen „Satan Amerika“ als Symbol der Gottlosigkeit. Erst nach 2001 erkannten die Impulsgeber, dass sie es mit einem religiös geleiteten christlichen Gegner zu tun haben, der offensiv einen Krieg gegen den Islam begonnen hat. Da es offensichtlich im Zentrum im Grunde noch immer um den Kampf um die heilige Stadt Jerusalem geht, wurde ein realer Krieg der Religionen offenbar perfekt. Nunmehr wird in den islamischen Ländern lauthals und ohne Hemmung zum Krieg der Religionen aufgerufen, und Amerika ist noch vor Israel der gemeinsame Feind Nr. 1. Und dem fundamentalchristlichen Amerika ist das nur recht so. Allah ist für sie sowieso nur ein Mondgott von Mekka, was das Emblem der islamischen Mondsichel zeigt. Er ist ein anderer Gott als Jehova, und Mohammed war aus ihrer Sicht ohnehin nur ein von Dämonen besessener Pädophiler, der zwölf Frauen hatte, und was er lehrte, sei keine friedliche Religion. Mohammed gilt als erster Terrorist. Entsprechende christlich-fundamentalistische Internetseiten rufen genau wie Araber inzwischen zur Tötung jedes Mohammedaners auf, mit den schändlichsten, abscheulichsten Beschreibungen, wie dabei vorzugehen sei. Araber seien Abschaum und die Moscheen sollten niedergebrannt werden. Auf Mekka und Medina sollen Atombomben fallen, und sogar der US-Senator Guy W. Glodis verteilte 2003 Flugblätter, in denen stand, muslimische Extremisten sollten mit den Innereien getöteter Schweine begraben werden.

Amerika führt keine Befreiungskriege im arabischen Raum, sondern missionarische Kreuzzüge, um die Mohammedaner zum Christentum zu bekehren. Leidtragende im Irak sind dann allerdings auch die dortigen einheimischen christlichen Kirchen, die unter Sadam Hussein Religionsfreiheit genossen und keine Konflikte mit der muslimischen Mehrheit hatten. Seit dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten werden aber auch diese nunmehr von den Untergrundorganisationen attackiert – ihre Kirchen werden in die Luft gesprengt und einheimische Christen werden wegen ihres Glaubens ermordet. Die armenischen, assyrischen und chaldäischen Religionsgemeinschaften stehen im Visier der islamischen Fundamentalisten und sind auf der Flucht ins Ausland. Dabei waren alle einheimischen Christengemeinschaften aus dem Nahen und Mittleren Osten gegen den Präventivschlag der Amerikaner. Die orthodoxe Kirche im Heiligen Land gab feierlich bekannt, George Bush, Donald Rumsfeld, Tony Blair und dem britischen Außenminister Jack Straw sei es verboten, die Geburtskirche in Bethlehem zu betreten. Die irakischen Christen verglichen nach dem Fall von Sadam Hussein die US-Besetzung ihres Landes mit der Kreuzigung Christi. Vor allem die katholische Kirche aber machte unter Papst Johannes Paul II. Front gegen den Irak-Krieg. Bei Demonstrationen vor dem Weißen Haus wurden hochrangige Religionsvertreter wie der römisch-katholische Bischof Thomas Gumbleton festgenommen. Ausschlag für die Wut in der islamischen Welt ist das offensichtliche Verhalten der Amerikaner, die im berüchtigten Folterknast Guantamano Koranausgaben vor den Augen der Inhaftierten die Toiletten herunterspülen. Nach der Scharia werden solche Religionsverbrechen mit der Todesstrafe geahndet, da Gott selbst wegen solcher Verunglimpfung höchstpersönlich attackiert werde. Diese Respektlosigkeiten führen zu mehr Unmut in der arabischen Welt als die Demütigungen der Folterskandale von Abu Ghraib. Entschuldigungen der US-Regierung werden für Lügen gehalten, was auch wahrscheinlich so ist, denn die Verantwortlichen an der Spitze der Befehlskette – wie Drei-Sterne-General William Boykin (Gotteskrieger, Islamhasser und Teufelsaustreiber) und Donald Rumsfeld – bleiben in ihren Machtpositionen. Aber auch der Präsident George Bush selbst teilt deren Ansichten, dass es ein Kampf gegen das Böse – den Islam – sei. Der US-Psychiater und Gewaltforscher Robert Jay Lifton hält dessen Strategie, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, in Kombination mit der fundamentalistischen Religiösität als wiedererweckter Christ und dem Supermacht-Syndrom für eine der gefährlichsten Kombinationen, denen die Welt gegenübersteht. Seit 2001 benutzt Bush den Begriff Kreuzzug, was für die islamische Welt Osama Bin Laden bestätigt, der bereits in seinem Statement zum 9/11 vom „neuen jüdischen Kreuzzug, der von dem großen Kreuzzügler Bush unter der Flagge des Kreuzes geführt wird“ sprach.

Die Gründung Groß-Israels mit Jerusalem als Hauptstadt geht nach Ansicht der fundamentalistischen Christen wie auch der Juden dem zweiten Kommen Christi bzw. dem Messias voraus. Das schweißt die Christen mit der radikalen zionistischen Siedlerbewegung für ein Zweckbündnis zusammen. Sie wollen dafür ein Israel, das sich von der Sinai-Wüste bis zum Euphrat-Fluss erstreckt und das heutige Israel, den Libanon, die Westbank von Jordanien, wesentliche Teile von Syrien, Irak und Saudi-Arabien umfasst. Die Nazis unter Hitler, welche das auserwählte Volk in das auserwählte Land zurücktrieben und somit halfen, die bedeutendste Prophezeiung zu erfüllen, werden deswegen auch als ein Instrument in der Hand Gottes gewertet. Auch im Islam sei man der Ansicht, dass der Holocaust – das Abschlachten der Juden durch Nazis – eine der bösen Taten der Juden selbst war, denn es sei von jüdischen Führern geplant und Teil der eigenen Politik gewesen. Unter den Christen wird nun ein zweiter Holocaust unter den Juden erwartet, dem zwei Drittel zum Opfer fallen sollen; das restliche Drittel würde dann zum Christentum bekehrt. Das gegenwärtige freundschaftliche Bündnis zwischen Christen und Juden sei nur ein Zwischenschritt, bevor die Christen in gewohnt antisemitischer Weise brutal gegen die Juden vorgehen wollen.

Es geht nicht darum, dass alle Juden Zionisten wären – was ja die israelische Friedensbewegung unter Beweis stellt, ebenso wie manche orthodoxe Rabbis, die eine Auflösung Israels wollen und einen gesamtpalästinensischen Staat unterstützen, weil sie den atheistischen Zionismus ablehnen. Sie erwarten nicht die Ankunft Israels, sondern die Ankunft des Messias. Den Unabhängigkeitstag Israels begehen sie als Trauertag und arbeiten eng mit der palästinensischen PLO zusammen. Die erneut die Macht übernehmenden radikalen Siedler in Israel aber berufen sich auf die Geschichte, wie man sie auch in der Bibel nachlesen kann, und dort kann jeder die Abscheulichkeiten der Juden unter Gottes Befehl an nichtjüdischen Stämmen und Volksgruppen nachlesen. Es ist widerwärtig und ohne jegliche Moral, in welcher Weise da „geschlachtet“ wurde. Josua, der damals Jericho stürmte, 31 Stammesführer verstümmelte und bei der Eroberung der Stadt Ai zwölftausend Frauen und Männer abschlachtete, ist heute das Vorbild der israelischen Armee. Ihr Gott Jahwe geht aber auch genauso gegen das eigene Volk vor, wie das Massakrieren der dreitausend Anbeter des Goldenen Kalbes, welche die Führerschaft Moses in Frage stellten, aufzeigt.

Die Propaganda westlicher „Krieg gegen den Terror“-Akteure wie Bush und Blair ist ähnlich wie früher jene gegen den Kommunismus. Es gibt auch tatsächlich viele Ähnlichkeiten zwischen Kommunismus und dem neuzeitlichen Islamismus. Beide haben den westlichen Kapitalismus und internationalen Wirtschaftsimperialismus als Gegner, beide zielen auf eine Weltrevolution, beide sind international und nicht nationalistisch ausgerichtet, beide berufen sich auf die Massen (die einen auf das Proletariat, die anderen auf die „Umma“, die Gemeinschaft der Muslime). Der Unterschied ist, dass sich der Kommunismus an einer politischen Theorie orientiert, der Islamismus aber an einer politischen Theologie. Der Islamismus hat aber bei seiner Herausbildung Anleihen bei der kommunistischen Ideologie gemacht, hat sich einen dialektischen Denkstil zugelegt und eine internationale Revolutionstheorie entwickelt. Gegenwärtig verfügt er über eine effektive Agitprop-Erfahrung und hat viel von den kommunistisch gefärbten Guerillabewegungen der Dritten Welt gelernt. Trotz dieser Modernisierung leitet sich die Theorie aber dogmatisch aus der Tradition des Islam ab. Ihre Theoretiker konnten religiöse, archaische und mythisch-mystische Gesellschaftsentwürfe in einer modernen, rationalistischen Sprache darstellen. Waren es im letzten Jahrhundert noch Vertreter von Bruderschaften, die nach der Scharia lebten, geht es seit den Achtzigerjahren um den Heiligen Krieg für eine islamische Weltherrschaft. Vom Kommunismus unterscheidet sich dies darin, dass der Islamismus nicht in einer internationalen Partei organisiert ist; die vielen Gruppen werden nicht in einer „Islamistischen Internationale“ präsentiert. Dennoch ist daraus mittlerweile eine weltweite Kulturströmung innerhalb des Islam geworden.

Al Qaida ist die einzige Organisation, die an eine Islamistische Internationale erinnern könnte, ist aber mit der Rolle der Kommunistischen Internationale dennoch nicht vergleichbar. Die gefährlichen Selbstmordattentate waren früher im Islam verboten, jedenfalls bei den Sunniten, der Mehrheit der Mohammedaner. Heutzutage werden solche Attentate viel häufiger durch Sunniten begangen als durch traditionelle Märtyrer-Operationen der Schiiten. Zu dieser Entwicklung haben die Israelis beigetragen, als sie in den 80er Jahren palästinensische Aufständige und Fatah-Kämpfer, die alle Sunniten waren, in den Libanon deportierten, wo diese in Kontakt zu der schiitischen Hisbollah traten. Aus dieser Begegnung entstand eine explosive Waffenbrüderschaft und Gesinnungsgemeinschaft, so dass der israelische Premier Yithak Rabin bekannte: „Wir haben den Schia-Geist aus der Flasche entlassen“. Die Hamas und der Islamische Djihad exportierten in kürzester Zeit die Märtyrerideologie der Hisbollah. Seitdem gilt der Selbstmord auch bei Sunniten als ein religiöses Urereignis und Erfüllung der heiligen Schriften. Das Shabad (Martyrium) ist in allen islamischen Ländern zu einem umfassenden und aufregenden Kulturphänomen geworden. Psychologen bestätigen ein umfassendes Glücksgefühl, das entsteht, wenn es die Attentäter zerfetzt. Der Gesichtsausdruck kurz vor der Explosion zeigt das bassamat al-farah, das Lächeln der Freude. Wie Jesus „erscheinen“ die Attentäter danach aus dem Jenseits ihren Verwandten und versichern, dass sie noch am Leben sind, weswegen das Ereignis auch nicht betrauert sondern gefeiert wird. Mütter brechen in Freudengeschrei aus. Die Attentäter seien ja jetzt für ewig im Himmel und könnten siebzig Familienmitglieder auswählen, die das Paradies ebenso betreten dürfen.

Das erste große Ereignis, das den Islam nach zweihundertjähriger Ohnmacht aufwachen ließ, war die iranische Revolution durch Sayyed Ruhollah Khomeni, der sich auch Ayatollah („Zeichen Gottes“) nennen durfte. Dieser bekämpfte im Iran-Irak-Krieg Saddam Hussein, der für ihn ein Handlanger der Amerikaner und Israelis war. Die Geschichte wird erst noch zeigen, wie verheerend und falsch für die Weltpolitik der Sturz Saddams durch die USA gewesen war. Khomeni war für Millionen von Muslimen die Erlöserfigur und der islamische Staat die Prophezeiung für das Erscheinen des Mahdi, des verborgenen Imam. Er war der Erste, der von den USA als „Satan USA“ sprach. Es war das erste islamische Land, das den Islamismus internationalisieren wollte, mit dem Ziel einer einzigen Welt-Ordnung (Ommat) innerhalb eines andauernden Kampfes, um die entrechteten und unterdrückten Nationen der Welt zu befreien. Diese iranische Revolution hatte für den gesamten Islam den Charakter eines mythischen Primärereignisses. Sie war eines der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts und gab dem Islam sein Selbstbewusstsein zurück. Das Erscheinen des Mahdi ist in den Prophezeiungen allerdings auch mit der vollständigen Vernichtung der Juden verknüpft, die diesem Ereignis vorausgeht. Der Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis wird deswegen zur Schicksalsfrage des gesamten Islams und der ganzen Welt hochstilisiert. In diesem Punkt treffen sich die islamischen Fundamentalisten mit den jüdischen und christlichen.

Damalige Staatstheorien im Iran wurden selbst von Philosophen wie Jean Paul Sartre als beste zeitgenössische Religionsmodelle verteidigt. Und der geistige Mentor von Osama Bin Laden, der saudische Scheich Safar al-Hawali, hat auch eine fundierte Kulturkritik des Westens vorgelegt, in der er ein kriegerisches und dekadentes Bild der westlichen Kultur und Historie zeichnet. Als barbarisch deklariert er unter anderem: den Kolonialismus und den Imperialismus, den Sklavenhandel, die Vernichtung der Indianer in Amerika, die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, die Tötung von Frauen und Kindern in Afghanistan und im Irak. Angesichts dieser grausamen Geschichte und Gegenwart habe der Westen nicht das Recht, der übrigen Welt sein angebliches Wertesystem aufzupropfen, an das er sich selber nicht halte. Dagegen sei das muslimische Wertesystem das wahre Band, das die gesamte Menschheit umschließen könne und der allgemeine Nenner der positiven Facetten aller Kulturen. Die Menschenrechte, die Freiheit der Religionsausübung, Friedfertigkeit und Gerechtigkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Würde der Persönlichkeit, Recht auf Meinungsäußerung sei im Islam besser garantiert als in der westlichen Kultur. Denker wie Giordano Bruno und Galileo Galilei wären in einer muslimischen Gesellschaft niemals mundtot gemacht worden. Selbst die Juden hätten immer mehr Rechte in der islamischen Gesellschaft genossen als in der abendländischen. al-Hawali nimmt die Position eines an humanpolitischen Werten orientierten Kulturkritikers in Anspruch. Er sieht den Westen als religiöses System und kämpft gegen „Christen und Kreuzzügler“, die das zweite Kommen Christi mit Atomwaffen herbeibomben wollen.

Der Irak-Krieg ist daher zweifelsfrei ein Religionskrieg. Sein Schüler Bin Laden und dessen al Qaida kämpfen daher auch zuerst gegen „Christen und Juden“ und dann erst gegen westlichen Kapitalismus und die liberale Mediengesellschaft. Das Banner, unter dem Bush und Blair kämpfen, ist das Kreuz. Osama Bin Laden fordert aber auch die Aufrüstung der arabischen Welt mit Atombomben. Der zweite Mann in der al Qaida, der Ägypter Ayman al-Zawahri, sagt offen, dass seine Organisation bereits über Atomwaffen verfüge. Wenn man über dreißig Millionen Dollar verfügt, geht man einfach auf den schwarzen Markt in Zentralasien, kontaktiert dort irgendeinen der enttäuschten sowjetischen Wissenschaftler und erhält eine ganze Menge von Angeboten an smarten Aktentaschenbomben. Solche atomare Kofferbomben seien längst erworben.

Osama Bin Laden gilt im Westen als losgelassener Teufel, als Instrument des Bösen. Das begrüßen die Mohammedaner, denn dadurch wird er in den Augen der Unterdrückten und Verdammten in der Welt umso mehr zum Helden. Im gegenwärtigen Spektrum der islamischen Führer gibt es niemand Vergleichbaren. Er ist der Einzige, der eine wirklich internationale Organisation aufgebaut hat, die überall in der Welt zuschlagen kann, und verfügt über große Gefolgschaft in der islamischen Welt bis hin zu den Immigranten-Generationen in Nordamerika, Europa und Australien. Obwohl er der Mastermind der schlimmsten Terrorattacke in der Geschichte war, ist seine Popularität in keiner Weise zurückgegangen. Für die Muslime hat er die Rolle eines Erlösers, eines mystischen Heiligen. Sein bisher nicht entdeckter Aufenthaltsort ist der mystische Ort der Verborgenheit, von wo aus er demnächst entweder selbst als Mahdi aufbricht oder von wo er zumindest das Kommen des muslimischen Mahdis vorbereitet. In ausgestrahlten Videoclips sieht man ihn vor einer Schrift in arabischer Sprache, die übersetzt besagt: „Der erwartete Erleuchtete“. Seit 2001 lässt er sich zusätzlich Mohammed nennen, denn eines der Kennzeichen des Mahdi ist, dass dieser den Namen des Propheten trägt. Als Anti-Amerikaner ist er selbst für Nicht-Muslime der Dritten Welt zu einem charismatischen Sozialrebellen in der Nachfolge Che Guevaras geworden. Er ist eine internationale Kultfigur. Alle „Terror-Experten“ sind sich einig, dass al-Qaida als zentrale und logistisch handelnde Organisation kaum noch existiert. Aber um so mehr wirkt sie als Ideologie, als Bewegung, als Mythos, als Symbol. Al Qaida ist zum islamischen Urbild geworden, mit bin Laden als optischem Mittelpunkt. Diesem neuen Archetyp gelingt es, immer neue Terrorgruppen aus sich heraus zu gebären, ohne diese selber organisieren und finanzieren zu müssen. Al Qaida selbst ist durch Waffen gar nicht angreifbar. Sie ist eine realitätsträchtige Imagination. Würde bin Laden getötet, täte dies dem Mythos keinen Abbruch, sondern würde diesen nur noch mehr steigern.

Was sich in der politischen Welt in den letzten Jahren vollzieht, entspricht schon zum Großteil den islamischen Endzeit-Prophezeiungen. Der Afghanistan-Krieg und der darauf folgende Irak-Krieg wurden in den traditionellen Khurasan-Prophezeiungen vorhergesagt. Dort wird das Erscheinen des Mahdi aus den Grenzgebieten zwischen Iran und Afghanistan vorhergesagt, die früher den Namen Khurasan trugen. „Schwarze Banner werden aus Khurasan kommen. Keine Macht wird sie stoppen können, bis sie schließlich Jerusalem erreichen, wo sie ihre Flaggen hissen. Wenn du die schwarzen Banner siehst, die aus Richtung Khurasan kommen, dann schließ dich ihnen an, selbst wenn du kriechen musst, denn unter ihnen wird Allahs Kalif, der Mahdi, sein“. Da Khurasan der Name für das heutige Afghanistan war, wurden die Taliban, die schwarze Turbane, weiße Gewänder und schwarze Fahnen trugen, von den Muslimen der Welt als Mahdi-Armee klassifiziert. Nach der Khurasan-Prophezeiung wird es dem muslimischen Messias gelingen, den Streit zwischen Sunniten und Schiiten zu beenden und „Millionen Mujaheddin, die schwarze Banner tragen, werden vom Iran und den unabhängigen islamischen Staaten der kollabierten Sowjetunion in die arabische Insel in Kolonnen von Fahrzeugen hinabfahren, mit keinerlei anderer Absicht, als dem Mahdi persönlich Gefolgschaft zu schwören, Hand in Hand und ohne Vermittler.“

Tatsächlich hat die Festnahme Saddam Husseins durch die Amerikaner, die von allen islamischen Fundamentalisten begrüßt wird, es ermöglicht, dass sich jetzt al-Qaida und ehemalige Taliban-Anhänger in Bagdad treffen und dort neu gruppieren, um die Endzeit-Armee aufzubauen. Der Irak ist ein integraler Bestandteil der Mahdi-Prophezeiung. Hätte Saddam Hussein seine Herrschaft fortgesetzt, wäre er zu einem Widersacher des Mahdi geworden. Im Irak sind gegenwärtig zwei bedeutende Fundamentalisten-Führer am Wirken. Dies ist einen der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi, der mit den Palästinensern gegen das jordanische Königshaus agierte und am Krieg gegen die Sowjetbesatzer in Afghanistan teilnahm. In Pakistan baute er seine eigene Djihad-Organisation auf, die auch in Europa über ein großes Netzwerk verfügt. Kurz hielt er sich dann im Iran auf, organisierte die Ermordung des amerikanischen Botschafters Laurence Foley in Jordanien und ging dann in den Irak, wo er vor allem durch die schockierenden Videos seiner Organisation Aufmerksamkeit erlangt, in denen Geiseln um ihr Leben bitten, bevor sie enthauptet werden. Zuerst agierte er unter eigenem Namen, aber 2004 schloss er sich der al-Qaida an und wurde von bin Laden als militärischer Führer für das Land der beiden Flüsse, Irak, bestätigt. Er gehört zu den Sunniten und sieht in den Schiiten seine traditionellen Erbfeinde, die er ebenso bekämpft wie die Kreuzzügler. Der zweite gefährliche Mann im Irak ist Muqtada al-Sadr, allerdings ist dieser radikaler Schiitenführer. Seine Miliz trägt den Namen Mahdi-Armee und diese tragen wie die afghanische Taliban entsprechend der Khurasan-Prophezeiung schwarze Turbane und schwenken schwarze Fahnen. Er will Befreiung, Friede und Gerechtigkeit für sein Volk und gilt auch bei engagierten Muslimen im Westen als eine Figur wie Jeanne d`Arc, ebenso wie sie ist er Soldat und Heiliger. Nach den Kämpfen mit den Amerikanern, wo er als Terrorist galt, versucht er derzeit auf legale Weise in der irakischen Politik mitzumischen. Durch die politischen Änderungen im Iran kann sich das alles aber auch ganz schnell wieder ändern. Entgegen den Prophezeiungen ist es bislang aber nicht gelungen, dass der kommende Mahdi Sunniten und Schiiten vereinigen würde. Zumindest im Irak und in Pakistan sind die alten Konflikte zwischen beiden Gruppierungen wieder voll ausgebrochen.

Die von Scheich Achmed Yassin gegründete palästinensische Hammas, ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft, gilt ebenso als Endzeit-Armee des Mahdi. Sie war schon immer die militant-islamische Alternative zur PLO und hat diese in den jüngsten Wahlen (Januar 2006) der Macht beraubt. Im Gegensatz zur PLO sieht sie den Israel-Konflikt nicht als politisches, sondern als religiöses Phänomen. Sie treten für die theokratische Staatsform (Scharia) mit dem Koran als eigentlicher Verfassung ein und für den Djihad als religiöse Pflicht für jeden Muslim. Das edelste Mittel dabei sind die Märtyrer-Operationen. Die Hamas-Charta fordert die Absage an alle internationalen Konferenzen und Verhandlungen, die sich kompromissbereit mit der Landfrage in Palästina auseinander setzen. Sie wollen die vollkommene Vernichtung Israels. Ihre Statements sind der Spiegel zur radikalen israelischen Siedler-Position – keine Kompromisse im Kampf der Endzeit-Apokalypse. Mit ihrem Machtantritt sehen sie das Auferstehen des Mahdi näher gerückt.

Als im Sommer 2005 Mohammed Ahmadinejad überraschenderweise zum neuen Staatschef des Irans gewählt wurde, jubelte ebenso der fundamentalistische Islam. Sein Wille, sein Land Atommacht werden zu lassen, und die Zeichen dafür, dass er eventuell schon über Atombomben verfügt – jedenfalls verfügt er bereits über Langstreckenraketen, die Städte Mitteleuropas erreichen können –, liegen ganz im Sinne der islamischen Weltrevolution. Auch dass die Schiiten im benachbarten Irak die Mehrheit der Bevölkerung stellen, macht das Ende des Iran-Irak-Konfliktes möglich; die Verteidigungsminister der beiden Länder (Iran und Irak) haben sich auch schon unter misstrauischen Blicken des Westens getroffen, um über eine robuste militärische Kooperation zu verhandeln. Ahmadinejad will die Ungerechtigkeiten in der Welt ausrotten und eine Welle islamischer Revolutionen in der ganzen Welt entfachen.

Sofort nach seiner Wahl als Präsident empfing er den Generalssekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah. Die Hisbollah ist die bekannteste schiitische Widerstandsorganisation, deren Hauptziel die Bekämpfung Israels ist. Die Hisbollah, wurde obwohl aus Libanesen bestehend, 1982 durch den Iran gegründet und proklamiert eine islamische Republik nach dem Vorbild Irans. Trainiert wurde sie von den Revolutionären Garden Khomenis. Als Partei Allahs (Hisbollah) kämpfen sie gegen die Partei Satans. Sie haben in ihrer ganzen Geschichte keinen eigenständigen Kurs verfolgt, sondern befolgen vollkommen die Anweisungen aus dem Iran. Sie waren die ersten, die das Konzept der Märtyrer-Operationen in den radikalen Islam verankerten. Sie sind derzeit zwar friedlicher aufgetreten, aber sie warten auf die Direktiven aus Teheran.

In Europa bleibt die von Bassam Tibi konzipierte Vision des „Euro-Islams“ zwischen Tradition und europäischer Aufklärung leider aus, sie stößt bei den Immigranten auf wenig Zustimmung. Stattdessen entwickelt sich eine Symbiose des radikalen Islam mit den totalitären und nihilistischen Kulturströmungen des alten Europa. Der radikale Islam hatte sich ursprünglich ja auch sehr von den erstmals in Europa formulierten Revolutionstheorien stark beeinflussen lassen. Die Euro-Djhads machen Anleihen bei der revolutionären Linken. Das radikalisierte Jugendmilieu ist vergleichbar mit der 68er Revolte. Diese Jugendlichen sind keine vom Nahen Osten gesteuerte Gruppe mehr, sondern junge Muslime, die im Westen geboren, aufgewachsen und mit der westlichen Denkart vertraut sind. Sie nehmen denselben Platz ein, den die Proletarische Linke vor 30 Jahren inne hatte und die Direkte Aktion vor 20 Jahren. Sie leben in einer militanten Realität, die von der extremen Linken verlassen wurde, und wollen das System zerstören. Dass theoretische Kombinationen zwischen europäischem Existenzialismus und Islamismus möglich sind, zeigte sich schon, als Jean Paul Sartre bestimmte iranische Theoretiker wie Ali Schariati als den Höhepunkt einer modernen, revolutionären Religionsphilosophie lobte. Aufgrund der „Judenfrage“ ist eine Symbiose aber genauso auch mit der radikalen Rechten möglich. Bei beiden steht die Vernichtung der Juden ganz oben auf dem Programm. Weitere Berührungspunkte sind apokalyptisch orientiertes Krieger-Ethos, dessen Grundlage von Julius Evola geschaffen wurde, der sich dabei an den indogermanischen Kriegertraditionen der Kshatriya-Kaste und den japanischen Samurai orientierte. Der Heilige Krieg und der Heilige Krieger stehen im Zentrum dieser wie auch der islamischen Philosophie.

Ob die Apokalypse abläuft wie von allen drei abrahamitischen Religionen vorhergesagt, wird nun das Verhalten der in Palästina an die Macht gekommenen Hamas ausmachen, mit denen unbedingt Verhandlungen geführt werden müssten. Dass sie sich ansonsten mit der libanesischen Hisbollah vereinigen wird, liegt auf der Hand; ebenso, dass dann der Iran zuschlagen will, um Israel zu vernichten, dass dann in Ägypten die Muslimbruderschaften die Regierung stürzen werden, dass dies Nachahmer in anderen arabischen Ländern nach sich zieht. Die politische Lage ist wie über Nacht derzeit tatsächlich zu einem religiösen Krieg mutiert, wie die nicht mehr zu kontrollierenden Massenunruhen in der gesamten arabischen Welt (aufgrund den Islam verunglimpfender Karikaturen in europäischen Zeitungen, Februar 2006) deutlich zeigen. Dabei sind die Guten und die Bösen in der aktuellen Weltpolitik lediglich einander bekämpfende Brüder einer kranken monotheistischen abrahamitischen Religion, denen es ums Gleiche geht, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Alarmierend ist, dass sich dabei eine zunehmende Eigendynamik entwickelt, in der sich die verschiedenen islamischen, christlichen und jüdischen Fraktionen gegenseitig hochschaukeln. Die biblischen Prophezeiungen könnten sich aus sich selbst heraus erfüllen. Eiferer jeder der drei monotheistischen Religionen sind dabei, eine Reaktion von Schlag, Gegenschlag und Massenvernichtung auszulösen. Der apokalyptische Wahn kann unseren Planeten in Schutt und Asche bomben.

Aus dieser gefährlichen Perspektive heraus gesehen, stellen die Bücher von Victor und Victoria Trimondi – um an den Anfang der Inhaltsbeschreibung zurückzukehren – eine unverzichtbare Analyse und Bewertung von Endzeit-Apokalypsen in bestehenden Religionsformen dar. Das neueste Werk ist dabei der aktuellen Realität am entsprechendsten. Aber im Zusammenhang erscheint es dann durchaus notwendig, alle Religionen dahingehend zu untersuchen, denn es ist eine vordringliche Aufgabe der Aufklärung und des Humanismus, die Menschen vor der Destruktion des religiösen Wahns zu schützen. Aus dieser Perspektive heraus ergeben nunmehr alle drei Bände Sinn, wenn man sie im Zusammenhang dieser Forschung betrachtet.

_Victor und Victoria Trimondi
Krieg der Religionen
Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse
597 Seiten, Hardcover, Wilhelm Fink Verlag, Dezember 2005_
[ISBN 3-7705-4188-X]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/377054188X/powermetalde-21

http://www.trimondi.de

Links zu meinen themenverwandten Rezensionen und Artikeln:

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Die Kriege der Familie Bush – Die wahren Hintergründe des Irak-Krieges
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Bradby, Tom – Gott der Dunkelheit, Der

Wer bei seiner Lektüre gerne auf Spannung, Exotik und Historie setzt, der findet bei einem Autor ganz bestimmt den passenden Schmöker: Tom Bradby. Hat der Engländer bereits mit seinem 2004 in Deutschland erschienenen Werk „Der Herr des Regens“ bewiesen, dass er sich auf historischem Terrain an exotischer Stätte pudelwohl fühlt, so setzt er dies auch in seinem aktuellen Roman (mittlerweile sein insgesamt fünfter) „Der Gott der Dunkelheit“ fort.

[„Der Herr des Regens“ 2117 spielt 1926 in der pulsierenden Metropole Shanghai. „Der Gott der Dunkelheit“ ist in Kairo im Jahr 1942 angesiedelt. So wie Bradby sich für seinen Shanghai-Roman eine Zeit politischer Brisanz ausgesucht hat (Aufkommen des Kommunismus, blutige Niederschlagung der Studentenproteste), hat er das auch für sein aktuelles Werk wieder getan.

Rommel steht mit seinen Truppen vor den Toren Kairos. Alexandria wird bereits evakuiert, während man in Kairo noch beunruhigt auf jede Neuigkeit und jedes neue Gerücht von der Front wartet. Stets sucht Bradby sich Zeiten, in denen die Zeichen auf Veränderungen stehen, und so weiß auch in Kairo niemand, was der nächste Tag, die nächste Woche, der nächste Monat für Veränderungen bringen wird.

Es ist zu dieser unruhigen Zeit, als die Leiche eines ermordeten britischen Offiziers gefunden wird. Ein Offizier, der noch dazu an militärisch empfindlicher Stelle gesessen hat. Er hatte stets den Überblick über sämtliche Truppenbewegungen, Nachschubwege und die Gesamtlage der Armee. Über seinen Schreibtisch gingen jeden Tag Dutzende sensibler Daten. Und so verwundert es nicht, dass die Briten in dem Mord ein politisches Attentat vermuten – Stichwort Spionage.

Doch Joe Quinn, ein in Kairo gestrandeter ehemaliger New Yorker Polizist, ermittelt auch noch in eine andere Richtung. Da wäre beispielsweise Amy White, die hübsche Nachbarin des britischen Offiziers, die irgendetwas zu verbergen scheint. Hatten die beiden eine Affäre und Amys eifersüchtiger Ehemann hat den Nebenbuhler ausgeschaltet?

Doch dann geschehen zwei weitere Morde nach gleichem Muster. Allen drei Opfern wurde eine Abbildung von Seth, dem Gott der Dunkelheit, in die Brust geritzt. Quinn sucht weiter nach einer Spur des Täters und muss schon bald erkennen, dass es bei diesem Fall um mehr geht als um Liebe und mörderischen Hass. Was Quinn mit seinen Ermittlungen heraufbeschwört, ahnt er erst, als es für ihn selbst fast zu spät ist. Er gerät mitten in eine Verschwörung, und irgendjemand scheint es darauf anzulegen, Quinn von weiteren Ermittlungen abzuhalten – notfalls mit allen Mitteln …

Tom Bradby setzt mit „Der Gott der Dunkelheit“ das fort, was er in „Der Herr des Regens“ schon so wunderbar lesenswert angefangen hat. Er hat wieder einmal einen vielschichtigen und interessanten Thriller abgeliefert, der in fast noch höherem Maße als das Vorgängerwerk vor Spannung nur so strotzt. Temporeich und mit einer Prise Exotik spinnt er seinen Plot und lässt Zeit und Ort lebhaft vor dem Auge des Leser auferstehen.

Bradby schafft es auf besonders spannende Weise, die Historie aufzuarbeiten und in einen interessanten Plot zu packen. Besonders interessant ist dabei auch, dass er sich bevorzugt Orte heraussucht, die literarisch noch nicht ganz so abgegrast sind, und so wird der Pulsschlag der exotischen Metropolen in seinen Romanen zum Salz in der Suppe.

Es gibt dabei unverkennbare Parallelen zwischen „Der Gott der Dunkelheit“ und „Der Herr des Regens“. In beiden Romanen fällt Bradbys Figurenzeichnung recht vielschichtig aus. Es scheint, als habe es zur damaligen Zeit vor allem Polizisten in die Kolonien verschlagen, die irgendeinen dunklen Punkt ihrer Vergangenheit hinter sich zu lassen versuchen. Und so flieht auch Quinn vor seiner Vergangenheit in New York und sucht in Kairo einen neuen Anfang. Doch auch dort schlägt er sich mit neuen Problemen rum. Ein Jahr zuvor wurde sein Sohn überfahren und Quinn sucht verzweifelt den Schuldigen. Das belastet sowohl seine berufliche Arbeit als auch das Verhältnis zu seiner Frau Mae. Bradby verknüpft seine Thrillerhandlung auf irgendeine Weise auch stets mit persönlichen Schicksalen. Er verwebt das Personengeflecht eng mit der Handlung und erzeugt dadurch ein hohes Maß an Spannung.

In „Der Gott der Dunkelheit“ trifft der mit Bradby vertraute Leser dann auch ein paar alte Bekannte aus Shanghai wieder. Wer zuvor „Der Herr des Regens“ gelesen hat, der weiß die Loyalitäten dieser beiden Personen gleich richtig einzuschätzen, hat aber gegenüber dem unbedarften Leser dennoch kaum einen Vorteil. Bradby lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er mit MacLeod und Lewis zwei Personen aus Shanghai importiert hat, die schon früher eine recht zwielichtige Rolle eingenommen haben. Und auch im aktuellen Romanen tauchen sie wieder in mächtigen Positionen auf und hegen teils recht zweifelhafte Motive. Die weit verstreuten britischen Kolonien bieten halt immer irgendwo einen Schlupfwinkel für einen Neuanfang.

So wie bereits in „Der Herr des Regens“, lebt auch bei „Der Gott der Dunkelheit“ ein Teil der Spannung davon, dass man ahnt, dass der ermittelnde Held drauf und dran ist, in ein Wespennest zu stechen. Eine unterschwellige Bedrohung ist allgegenwärtig und man wartet als Leser förmlich darauf, dass der Gute sich schließlich im Räderwerk der Bösen verfängt.

Düster und beklemmend wirkt der Plot dadurch immer wieder. Mit Quinn setzt Bradby auf eine Hauptfigur, die sich nicht nur den kriminellen Elementen der Stadt stellen muss, sondern auch immer ihren eigenen Dämonen ins Auge blickt. Der Plot nimmt dadurch mitunter schon mal recht düstere und dramatische Züge an, die auch vor allem durch die kontrastierende Exotik Kairos unterstrichen werden.

Wie schon „Der Herr des Regens“, ist auch „Der Gott der Dunkelheit“ wahres Kopfkino. Bradby schreibt atmosphärisch dicht und zieht kontinuierlich die Spannungsschraube an. Wie schon den Vorgängerroman, mag man auch „Der Gott der Dunkelheit“ kaum zur Seite legen, wobei ich bei diesem Roman den Eindruck hatte, dass er noch spannender und dichter erzählt ist. Bradby schafft mit seinen historischen Thrillern Spannungslektüre allererster Güte.

Lediglich zum Ende hin schwächelt er ein bisschen. Besonders auf den letzten 50 bis 60 Seiten überschlagen sich die Ereignisse förmlich und die Auflösung, die Bradby am Ende parat hält, ist zwar größtenteils durchaus überzeugend, die Täterschaft an den Morden gerät darüber aber ein wenig ins Hintertreffen.

Dennoch bleibt der Roman als ausgesprochen hohes Lesevergnügen im Gedächtnis. Bradbys historische Thriller sind temporeich und vielschichtig erzählt, skizzieren eine interessante Epoche vor exotischer Kulisse und sind überaus spannend und mitreißend geschrieben. Wer historische Thrillerkost mag und mal zu etwas anderem als Ken Follett greifen will, dem sei Tom Bradby ausdrücklich ans Herz gelegt. Wer’s spannend mag, macht mit „Der Gott der Dunkelheit“ absolut nichts verkehrt.

http://www.heyne.de

David Brin – Copy

David Brin gilt durch seine wissenschaftlich fundierten Romane als einer der großen Science-Fiction-Schriftsteller unserer Zeit, er wird von Verlagen gern in eine Reihe mit Isaac Asimov, Robert Heinlein und Arthur Clarke gestellt. Seine erste Romantrilogie aus dem »Uplift«-Universum sorgte für Furore und brachte ihm einige renommierte Preise ein.

Der vorliegende Roman »Copy« ist keinem Zyklus zugeordnet, sondern erzählt eine eigenständige Geschichte aus einer näheren Zukunft, die unter einem gigantischen Kulturschock leidet. Der Roman erhielt keinen ersten Platz in den wichtigen amerikanischen Preisverleihungen, Brin selbst rückt dieses Ergebnis auf seiner Homepage davidbrin.com ins rechte Licht: Während bei vier Preisverleihungen (Hugo Award, Locus Award, John W. Campbell Award, Arthur C. Clarke Award) je vier unterschiedliche Romane den ersten Platz belegten, war der universelle zweite Platz eben Brins »Copy«.

In naher Zukunft kommt es zu einer revolutionären Erfindung, mit deren Hilfe eine Kopie der eigenen Erinnerungen und Seele in eine Tonnachbildung des eigenen Körpers übertragen werden kann. Die Kopie (der sogenannte »Dit« oder »Dito«) wird gebrannt und erhält ein kurzes, nur einen Tag währendes Pseudoleben, das normalerweise dazu genutzt wird, anfallende Erledigungen für den Realmenschen zu übernehmen. Der Kopie bleibt als Hoffnung auf Kontinuität nur die Möglichkeit, am Ende des Tages per Inload auf die Realperson zurück überspielt zu werden, die dadurch die Erinnerungen der Erlebnisse erhält.

Wie alle kommunikativen Erfindungen erfährt auch diese Duplikationstechnik den Missbrauch durch fast alle Bereiche, vordringlich in der Pornografie: Mit einer Kopie Sex zu haben oder zwei Kopien miteinander schlafen zu lassen, um die Erinnerungen zu inloaden, ist ein weit verbreitetes Vorgehen der sich langweilenden Bevölkerung.

Albert Morris ist Privatdetektiv, spezialisiert auf Copyrightverbrechen. Seine Ditos kommen unabhängig voneinander einer komplizierten Geschichte auf die Spur, die zum Teil wie eine unheimliche Verschwörung aussieht, im Endeffekt aber etwas ganz anderes bedeutet. Involviert ist unter anderem die große Firma »Universal Kilns«, deren Betreiber gleichzeitig die Erfinder der Technik sind und nun Rohkörper an alle Menschen verkaufen. Es scheint, als hätte UK neue Techniken entdeckt und würde sie der Öffentlichkeit vorenthalten: Um wie viel angenehmer wäre eine »Fernprägung« der Kopien, die es erlauben würde, gleichzeitig an wirklich weit voneinander entfernten Orten handeln zu können? Oder was würde eine Verlängerung des Dito-Lebens für die Gesellschaft bedeuten? Oder die Möglichkeit, fremde Erinnerungen zu inloaden?

Diese und andere Fragen beschäftigen Alberts Ditos, die im Auftrag unterschiedlicher Interessengruppen ermitteln und sich in einem Strudel umbrechender Ereignisse befinden. Und die Wahrheit hat etwas mit Alberts einmaliger Fähigkeit im Prägen zu tun: Seine Ditos enthalten die hochwertigste Seelenprägung, die vorstellbar ist – sie sind quasi er.

Konsequent verarbeitet David Brin Mythologie, Religion und einen großen Menschheitstraum und schafft etwas Neues, eine Geschichte, die äußerst spannend, hervorragend recherchiert und in ihrem Plot beinahe beängstigend ist, so dass sich das Buch wie von selbst liest. Dabei wird erst bei näherem Nachdenken klarer, in welcher Weise er sich aus den Geschichten der Menschheit bedient. Die Tonmenschen sind offensichtlich jüdischen Golems nachgebildet, gebrannt und gebranntmarkt durch ihre Farbe, die ihre Qualität und Fähigkeiten ursprünglich verdeutlichen sollte, sich aber weiter entwickelte zu einem Element der Täuschung und des Protzens.

Fehlprägungen führen zu so genannten »Frankies« – ausgeartete Schöpfungen wie jene Frankensteins, die sich nicht im Sinne ihres Schöpfers verhalten. Gefährlich wird so etwas selten: Durch die Ditotechnik kam es zu einer unhaltbaren sozialen Katastrophe, der weitgehenden Arbeitslosigkeit. Nach Brin pendelte sich eine Gesellschaft aus, in der die Menschen großteils von staatlichen Geldern leben und ihre Golems für sich handeln lassen. Die gigantische Langeweile führte zu verschiedenen, nicht selten perversen Hobbies, unter anderem die Jagd. Veröffentlicht ein Realmensch seinen Dito als Frankie, gibt es genug Jäger, die sich seiner annehmen.

Ton: Der Werkstoff der Geschichte. Es spielen steinzeitliche Tonfiguren als Beginn der Kommunikation ebenso eine Rolle wie babylonische Tontafeln oder chinesische, unglaublich real aussehende Kriegernachbildungen, die dem ersten Kaiser nach seinem Tode dienen sollten. Schon damals eine Art von Prägung? Brin knüpft ein fast unüberschaubares Netz der Realitätsbezüge und verliert dabei nie den Sinn für die Geschichte selbst, hangelt sich mit unerwarteten Wendungen und humorvollen Erlebnissen seiner Ditos (die auch mal durch einen Fluss waten und in ihrer tönernen Auflösung von Fischen attackiert werden) an dem Gerüst der Erzählung entlang zu einer Lösung, die der Komplexität und Ideenvielfalt gerecht wird. Die weltlichen Aspekte der Geschichte führen in voller Ausnutzung zu einem transzendenten Punkt. Dies wirkt keinesfalls einfallslos und konstruiert, sondern ist die konsequente Entwicklung der Geschichte um den Ton, als Weiterführung der realen Vergangenheit über die vorstellbare Romangegenwart in die Zukunft, die aus der perfekten Ausnutzung der Ditotechnik resultiert.

Der Leser sieht, dass ein Dito eine Seele hat, denkt und handelt wie ein Mensch. Da kommen Gedanken wie Gleichberechtigung, Wahlberechtigung und dergleichen völlig menschlich an, denn die Ditos werden in der Öffentlichkeit wie »Untermenschen« behandelt, oder wie die Roboter futuristischer Romane. Aber was würden einem Wesen, das bestenfalls einen Tag überlebt, derartige Freiheiten bedeuten?

Besondere Erwähnung gebührt Andreas Brandhorst als Übersetzer des Romans – eine so spannende und flüssige Übertragung ist eine hervorragende Leistung, an der man auch Brandhorsts Qualitäten erkennen kann.

Der Roman liest sich nicht wie eine Utopie, er ist vielmehr ein spannender Thriller, dessen Welt auf eine Art geschildert wird, dass man eintaucht und sich in dieser Zukunft befindet, in der Tonmenschen und Brennöfen (die sogenannten Kilns) Realität sind. Der Originaltitel »Kiln People« bedeutet »Brennofen-Menschen« oder »gebrannte Menschen« und ist in sich schon doppeldeutig. Und so liest sich auch der Roman. Es werden »Produkte« mit der eigenen Seele für Tätigkeiten benutzt, die für eine reale Person nie in Frage kommen würden. Zumindest Alberts Ditos betrachten diese Problematik mit einer amüsanten Selbstironie und verleihen der Erzählung dadurch einen sympathischen Charakter. Mit einem tränenden und einem lachenden Auge verfolgt man zeitweise die Geschehnisse, denn für den Leser ist ein Dito trotz dessen eigener Gedanken, mit denen er seine eigene Minderwertigkeit akzeptiert, ebenso menschlich oder oft noch menschlicher als die wenigen Realpersonen, denen man im Roman begegnet und die sich wenig bis gar nicht engagieren, sondern das Leben ihren Kopien überlassen.
»Copy« ist unbestreitbar ein Highlight des Jahres.

Jan van Aken – Das Geständnis des Mönchs

Der Autor

Jan van Aken schrieb für verschiedene Zeitschriften und arbeitete für ein Amsterdamer Kulturzentrum. Sein erster Roman „Het oog van de Basilisk“ fand 2000 in seiner niederländischen Heimat begeisterte Leser und Kritiken. Das Manuskript zu „Das Geständnis des Mönchs“ darf man getrost als sein Lebenswerk bezeichnen; zehn Jahre verbrachte van Aken mit der Fertigstellung der Geschichte um den umherreisenden Mönch Hroswith.

Story

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Oprisko, Kris / Wood, Ashley – Metal Gear Solid (Band 1)

Mit fast 15 Millionen verkauften Einheiten gehört das Videospiel „Metal Gear Solid“ zu den erfolgreichsten Games aller Zeiten, und dies unter anderem auch, weil der Hersteller |Konami| eine recht interessante Story um das Spiel gestrickt hat. Meines Wissens war sogar mal geplant, um diese Geschichte herum einen Kinofilm zu drehen, jedoch scheint sich diese Idee wieder irgendwo verlaufen zu haben. Dafür kommt aber dieser Tage eine schon länger angekündigte, von |Konami| lizensierte Comic-Serie zu „Metal Gear Solid“ auf den Markt, die sich den Helden des Spiels widmet. Der legendäre „Spawn“-Zeichner Ashley Wood hat sich mit mit dem nicht minder bekannten Kris Oprisko, der unter anderem schon für die Comics zu „Resident Evil“, „Underworld“ und die zeichnerische Erzählung einiger Clive-Barker-Novellen verantwortlich zeichnete, zusammengetan und hier eine recht düster illustrierte Geschichte zusammengestrickt, die nicht nur für Fans des gleichnamigen Spiels interessant sein sollte.

_Story_

Im Jahr 2010 nimmt eine Gruppe von Terroristen eine Militäreinrichtung mitten auf einer Insel in Alaska ein. Ihre Forderung: die sterblichen Überreste ihres Anführers Big Boss. Die gesamte Terrorbande setzt sich aus abtrünnigen Agenten der Spezieleinheit „Foxhound“ zusammen, zu der auch Solid Snake einst gehörte. Schnell wird klar, dass die Verbrecher sehr kompromisslos zu Werke gehen. Daher duldet ihr Ultimatum auch keinen Aufschub. Die Regierung will sich aber dennoch nicht auf die Forderungen einlassen, denn schließlich ist die Herausgabe des Gangsterbosses auf lange Sicht das größere Übel. Um dennoch ein Massaker zu vermeiden, wird Spezialagent Solid Snake beordert, die Militärbasis zu infiltrieren, die Geiseln zu befreien und einen Atomschlag zu verhindern …

_Meine Meinung_

Der erste Band dieser vierteiligen Story startet schon sehr vielversprechend, allerdings auch ziemlich brutal. Oprisko und Wood steigen ohne lange Umwege in die Action ein und vergeuden keine Zeit mit eventuellen Einleitungen. Der Überfall auf Shadow Island ist bereits vollzogen und der Auftrag, die Insel zu befreien, ist quasi auch der Startschuss zu einem spannenden Auftaktband, der von einer Actionszene zur nächsten springt. Bisweilen geht es sogar ein wenig zu schnell, denn ab dem Moment, in dem Solid Snake in die Militärbasis eindringt, verliert die Story aufgrund der mehrfachen Kampfhandlungen kurzzeitig den Faden, nimmt ihn aber glücklicherweise rechtzeitig vor dem vorläufigen Ende (sprich dem Abschluss dieses ersten Bands) wieder auf.

Ansonsten sind dieses hohe Tempo und vor allem die rasante Action äußerst begrüßenswert, weil sie so die Atmosphäre der Originalvorgabe sehr authentisch widerspiegeln. Außerdem ist durch diese Geradlinigkeit auch sofort dafür gesorgt, dass erst gar kein Anlass besteht, sich an belanglosen Nebensträngen zu versuchen, die ohnehin nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben. Mit den vielen Comic-Reihen, die später nur noch der Quantität halber weitergeführt werden, scheint „Metal Gear Solid“ auch rein gar nichts gemeinsam zu haben.

Hinsichtlich der Illustrationen ist der Comic allerdings Geschmackssache. Ich habe mich erst später mit den recht düsteren Zeichnungen anfreunden können, muss aber trotzdem gestehen, dass viele Bilder für meinen Geschmack einfach zu verschwommen geraten sind. Scharfe Konturen und viele Details verkneift sich Ashley Wood in dieser Reihe; stattdessen gibt es viele simple Skizzen, grobe Schraffierungen und leider auch weniger Details. Man kann sich damit arrangieren, doch insgeheim wünscht man sich dann doch recht häufig die kantigen Illustrationen der „Spawn“-Reihe.

Die Aufmachung des Comics ist dann aber wieder erste Sahne: Neben der Geschichte gibt es nämlich zum Ende hin noch ausführliche Charakterprofile der beteiligten Figuren, dazu ein tolles Layout und ein sehr angenehmes Format. Mit 10 € ist der Preis letztendlich zwar etwas happig, doch sowohl bezüglich der Handlung als auch im Hinblick auf die äußere Erscheinung ist „Metal Gear Solid“ diesen vergleichsweise hohen Betrag auch wert.

Mittlerweile ist auch schon der zweite Teil mit der Fortsetzung erschienen. Mehr dazu erfahrt ihr mit Sicherheit bald hier bei uns!

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James Ellroy – Ein amerikanischer Albtraum [Underworld U.S.A. 2]

Nachdem 1963 bereits Präsident John F. Kennedy mit Billigung des FBI von der Mafia ermordet wurde, gerät fünf Jahre später sein Bruder Robert – der einen Feldzug gegen das organisierte Verbrechen führt – ins Visier der Verschwörer … – Erschreckend plausibel entwickelt Autor Ellroy im zweiten Band der „Underground U.S.A.“-Trilogie seine alternative, von Korruption und Komplotten gezeichnete ‚alternative‘ Geschichte der USA fort. Während die dichte Handlung erschreckt und fesselt, stört Ellroys offensiver, allzu ‚literarischer‘ Stil, der von kurzen, stakkatohaften Sätzen geprägt bzw. zerrissen wird.
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Funke, Peter – Athen in klassischer Zeit

In dem vorliegenden Buch befasst sich Peter Funke, Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, mit Athen, einer der schillerndsten Städte des Altertums. Seine Betrachtung beginnt im 6. Jahrhundert v. Chr. mit den Reformen Solons und endet 322 v. Chr. mit der athenischen Kapitulation gegenüber dem Makedonenkönig Alexander dem Großen.

In einzelnen Episoden erläutert Funke, wie sich Athen in diesem Zeitraum zu einem der führenden Stadtstaaten der griechischen Welt entwickelte. Den Anfang macht die Zeit Solons, dessen Reformen 594 den Grundstein legten für die spätere folgenreiche Umwälzung der athenischen Gesellschaft. Bevor sich die Demokratie jedoch durch die Reformen des Kleisthenes ab 508 weiter entfalten konnte, verfiel Athen zwischenzeitlich wieder in eine Tyrannei. Den sich daraus ergebenden Kampf zwischen den beiden Staatsformen Tyrannis und Polis beschreibt Funke sehr anschaulich. Zugleich beschreibt er auch die Spannungen zwischen Athen und Sparta, die daraus resultierten, dass beide Städte die Vorherrschaft über Griechenland anstrebten. Eine weitere Macht im Streit um Griechenland stellte das Perserreich dar, welches auf Eroberung aus war und sich zunehmend in der Ägäis auszubreiten suchte. Einen ersten Höhepunkt erreichte der Konflikt mit Persien 490 in der berühmten Schlacht von Marathon. Dort blieben die Athener siegreich und begründeten mit diesem Sieg immer wieder ihren Vormachtanspruch. Der Sieg von Marathon sollte jedoch nur das Fanal einer sehr vorläufigen Hegemonie werden.

Die Rache Persiens ließ nicht lange auf sich warten und auch der Frieden unter den griechischen Städten war niemals von Dauer. Die griechische Geschichte jener Zeit ist von Konflikten geprägt. Dies sind sowohl Konflikte, die von außen nach Griechenland getragen werden, wie z. B. durch Persien, oder es handelt sich um Konflikte unter den Griechen, wobei zu beobachten ist, dass diese vornehmlich dann auftreten, wenn es gerade keine Bedrohung von außen gibt. Diesen Prozess des stetigen Auf und Ab, von Aufstieg und Niedergang, von Konflikten und Bündnissen beschreibt Funke in diesem Buch auf sehr strukturierte und gut nachvollziehbare Weise. Er beleuchtet sowohl die Zeit der Perserkriege als auch die Herrschaft des Perikles und den Peloponnesischen Krieg mit großer fachlicher Kompetenz.

Funkes Geschichte Athens, die sich von den Anfängen der athenischen Blütezeit bis hin zu deren Ende erstreckt, kann man als eine sehr gute Überblickslektüre zum Thema klassisches Athen bezeichnen. Für jeden geschichtsinteressierten Leser ist das Buch damit zwar zu empfehlen, jedoch sollten Leser, die sich bisher noch gar nicht mit der griechischen Geschichte befasst haben, ein Handbuch oder Lexikon des Altertums bereithalten, da so mancher Begriff wahrscheinlich nicht auf Anhieb bekannt oder verständlich sein dürfte. Dabei handelt es sich dann zumeist um Begriffe, die speziell in der griechischen Geschichte verwendet werden und in einem Überblickswerk natürlich nicht auch noch erläutert werden können.

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Walker, Hugh – Magira – Die Macht der Finsternis

Band 1: [„Die Welt des Spielers“ 2141

Das Verschwinden von Daran d’Sorcs Turm hat die Gefährten um Thuon voneinander getrennt.
Thuon, der in eine Figur des ewigen Spiels eingeschlossene Frankari und der Zwerg Thauremach konnten den Turm rechtzeitig verlassen. Bruss und Ilara dagegen wurden mit fortgerissen in eine Welt, die sich ständig verändert. Erst nach und nach wird erkennbar, dass sie auf die Ebene der Waage geraten sind, wo die ewige Schlacht tobt. Doch die Schlacht ist nicht unbedingt ein Problem. Jedenfalls nicht im Vergleich zur Gegenwart Äopes …

Thorich ist inzwischen klar geworden, dass er sich seiner Haut nicht mehr sicher ist, so lange er in Vanada und in Dirians Nähe ist. Am liebsten würde er sich aus dem Staub machen und Thuon suchen. Stattdessen wird er von einer Horde Ishiti entführt und zu Innis gebracht. Innis besteht darauf, dass Thorich ihn nach Ish begleitet. Dort angekommen, erfahren sie, dass ein fremder Mythane namens TrondasKhyn in die Stadt gekommen ist und erneut auf Menschenopfer drängt! Die Geschöpfe, die er aus der Finsternis beschwört, bringen das Grauen über E’lil …

Immerhin gelingt es Thorich, mit heiler Haut davonzukommen. Er weiß aber auch, dass die Geschehnisse in Ish wolsische Truppen auf den Plan rufen werden, und auf Kriegsdienst hat er keine Lust. Also verkrümelt er sich nach Sambun in Kanzanai. Um an ein ordentliches Schwert zu kommen – die kananaischen Krummschwerter liegen ihm nicht – , lässt er sich auf ein gefährliches Abenteuer ein: Er entführt die Tochter eines Kaufmanns aus dem Frauenturm des Palastes! Die Schwester des Fürsten macht sich auch gleich mit aus dem Staub, sie will den Mann nicht heiraten, den der Fürst ihr bestimmt hat. Jetzt hat der Fürst ziemlichen Ärger am Hals, denn der enttäuschte Bräutigam bezichtigt ihn des Verrats. Und zu allem Übel hat ein gewisser TrondasKhyn fest vor, in Sambun erneut zu versuchen, was ihm in Ish missglückt ist …

Der zweite Band des Magira-Zyklus besteht aus zwei Teilen. Während der erste Teil hauptsächlich die Geschehnisse des ersten Bandes zum Abschluss zu bringen scheinen, eröffnet der zweite Teil einen neuen Abschnitt. Die Verbindung zwischen beiden bilden die Gestalt des Mythanen TrondasKhyn sowie die Tatsache, dass wolsische Truppen auf dem Weg nach Norden sind. Diese Ausbreitung der Geschehnisse, ihre Auswirkung auf andere Länder, bildet den roten Faden, an dem sich die Handlung von einem Kontinent zum nächsten ausbreitet wie die Kreise auf der Oberfläche eines Teiches, in den ein Stein geworfen wurde: die Entführung Ilaras. So stellt sich bald heraus, dass nichts von dem, was im ersten Band passierte, abgeschlossen ist! Alles ist eine lange Reihe von Verkettungen.

Neu am zweiten Teil ist: Er spielt in einer anderen Gegend der Welt Magira. Ein anderes Volk taucht auf, mit eigenem Aussehen, eigenen Namen, eigener Kultur und Geschichte. Nicht, dass Hugh Walker darauf übermäßig einginge. Im Grunde wird aus all den Einzelheiten nur eine deutlich herausgehoben, während alle anderen Kleinigkeiten am Rande bleiben: die Angst der Kantussa vor der Wiederkehr der Toten.

Auch die neu auftretenden Charaktere – der Fürst und sein Gegenspieler, die Prinzessin und der Spielmann – sind nur knapp umrissen. Von ihren Gedanken und Gefühlen erfährt der Leser nichts, Hugh Walker definiert seine Protagonisten nach dem, was sie tun und wie sie es tun. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Fürsten von Sambun, der trotz der Knappheit sehr deutlich gezeichnet ist. Der Spielmann und vor allem die Prinzessin werden noch ein Stück fortschreitender Handlung brauchen, um denselben Grad an Lebendigkeit zu erreichen. Aber die Geschehnisse in Kanzania sind ja beleibe noch nicht abgeschlossen.

Der erste Teil setzt ziemlich nahtlos an der Stelle an, an der der letzte Band endete. Er beschreibt Thorichs Weg nach Ish sowie die Geschehnisse dort, und unmittelbar daran angeschlossen die Erlebnisse von Bruss auf der Ebene der Waage. Der Endpunkt von Bruss‘ Odyssee vermittelt den Eindruck, dass beide Stänge irgendwie miteinandern verbunden sind. Wie im ersten Band Ilara, verschiebt auch Bruss das Gewicht auf der Waage zugunsten des Lebens, Ilara hingegen scheint diesmal zugunsten der Finsternis zu wirken. Die Tatsache, dass sie Äopes Ring trägt, der untrennbar mit ihr verbunden ist, verleiht der Göttin Macht über sie.

Wie genau die Ereignisse um Thorich einerseits und Bruss und Ilara andererseits tatsächlich miteinander zusammenhängen, ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Die Ebene der Waage ist, vor allem was die Seite der Finsternis betrifft, ein Reich des absoluten Chaos. Aber auch die Seite des Lebens ist nicht immer leicht zu verstehen, denn die Äbhängigkeiten der beiden von einander sind vielfältig. Dies ist die philosophische Ebene des Buches, die den abstrakten Begriff „Kampf zwischen Gut und Böse“ sozusagen in ein konkretes Gleichnis überträgt. Wider Erwarten wird das Verständnis der Zusammenhänge dadurch nicht einfacher. Generell lässt sich sagen, dass das, was sich auf der Waage abspielt, von allem am schwierigsten zu lesen ist.

Selbst die Ebene der Realität liest sich leichter, obwohl Laudmann mit seinen stetigen Andeutungen auch nicht immer einfach zu verstehen ist. Seiner Aussage nach ist es ihm gelungen, sich von der Figur Frankaris, zu der ihn der Autor innerhalb Magiras gemacht hat, zu trennen. Wie er das gemacht hat, würde mich brennend interessieren, genauso die Frage, wie es einer Romanfigur möglich sein sollte, etwas gegen den Willen des Autors zu bewirken.

Kein Zweifel, die Beziehung zwischen Laudmann, dem Autor und der von ihnen erschaffenen Welt ist eine ganz besondere! Bei Laudmann, dessen Manie ihn oft genug am Rande des Wahnsinns entlang führt, ist das nicht weiter verwunderlich, der Autor selbst kann sich dieser fiebrigen, unerbittlichen Zwanghaftigkeit aber offensichtlich auch nicht ganz entziehen. Offenbar steht er ebenfalls bereits mit einem Bein in seiner eigenen Schöpfung. Es scheint, diese Welt der Fantasy hat ein gewisses Eigenleben entwickelt, und so sehr beide Männer auch glauben mögen, sie könnten die Ereignisse dort kontrollieren, so ist es doch offensichtlich, dass auch die Welt selbst die beiden kontrolliert und beeinflusst, ihre Macht, die so absolut scheint, relativiert! Die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen zusehends!

Manche Schriftsteller packen ihre Geschichten, vor allem Historienromane, in eine zweite Handlung ein, eine Art Rahmen meist wissenschaftlicher Natur, der der eigentlichen Geschichte einen Hauch von Authentizität vermitteln soll, als hätten die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden, und zwar genau so wie dargestellt. Walker geht einen ähnlichen Weg, nur in die entgegengesetzte Richtung: In seiner Rahmenhandlung, den Gesprächen zwischen Laudmann und dem Autor, macht er das Unmögliche wirklich, holt die Fantasie in die Realität und erreicht damit dasselbe wie die anderen, nur viel effektiver! Er holt Magira ins Wohnzimmer des Lesers!

Magira gehört zu denjenigen Büchern, die Geduld erfordern. Seine Faszination braucht Zeit, um sich zu entfalten. Für sich betrachtet, mögen die Charaktere sowie ihre bestandenen Abenteuer ein wenig flach wirken. Allerdings sind die verschiedenen Kulturen Magiras nicht allein auf Walkers Fantasie zurückzuführen, sondern auch auf die seiner Mitspieler, insofern bestehen also auch urheberrechtliche Probleme. Abgesehen davon aber erhält Magira seine Tiefe durch die zusätzlichen Ebenen, vor allem die der Waage. Hier kann man auch nicht einfach drüberlesen. Die Prinzipien, die der Waage zugrunde liegen, sowie Laudmanns Gedankengänge erfordern tatsächlich Konzentration, um sie nachzuvollziehen. Beim nächsten lockeren Abenteuer, sei es Thorichs oder Thuons, kann der Leser sich dann wieder erholen. Magira ist ein wenig wie die Wogen des Meeres, ein ständiges Auf und Ab. Es mag nicht ununterbrochen richtig spannend sein. Aber es wird auch niemals wirklich langweilig.

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Uderzo, Albert – Gallien in Gefahr (Asterix 33)

|Wer kennt das Paar nicht? Der Kleine und der Dicke, alias Asterix und Obelix. In ihrem neuen Abenteuer „Gallien in Gefahr“ teilt Albert Uderzo Seitenhiebe in Richtung des Superhelden-Genres aus. Die charakteristische Eigenständigkeit seiner beiden Helden scheint ihn schon lange nicht mehr zu interessieren.|

Hat man einmal einen gewissen Status an Popularität erreicht, gibt es kein Zurück mehr. Asterix und Obelix bilden da keine Ausnahme. Sie sind Ikonen unserer Zeit. Im ewigen Kampf mit den Römern stehen sie für Herzlichkeit und Lebensfreude, für Eigenständigkeit und Individualität.

Inzwischen schert sich Albert Uderzo nicht mehr um den Charme und die Liebenswürdigkeit seiner beiden gallischen Helden. Seit Szenarist und Miterfinder René Goscinny 1977 gestorben ist, hat der Zeichner auch die inhaltliche Federführung übernommen. Die einst so unterhaltsame und avantgardistische Serie befindet sich auf dem Rückzug und hat dabei im letzten Sommer einen weiteren Tiefpunkt angesteuert.

Während die frankobelgischen Kollegen Spirou und Fantasio immer wieder versuchen, den Spagat zwischen Tradition und Modernisierung zu meistern, haben die Verlagsherren von Asterix und Obelix jeglichen Anspruch aufgegeben. Die traurige Lesewirklichkeit des neuen Bandes sieht so aus: Das berühmte gallische Dorf wird von Außerirdischen heimgesucht. Fliegende Klone im Superhelden-Kostüm schweben über dem so lieb gewonnenen gallischen Dorf. Angeführt wird die Truppe von Tuun, einer außerirdischen Mischung aus Schlumpf und Pumuckl. Er ist auf der Suche nach dem Zaubertrank, um sich gegen eine andere, bösartige Alienspezies zur Wehr zu setzen. Kurzum: Die Ideen sind aus – es lebe die Trotzdem-Veröffentlichung.

Aber nicht so voreiligt. Nehmen wir einmal an, Uderzo hätte wirklich ein Interesse daran, den knubbeligen Lila-Alien Tuun vom Stern Tadsyweni ins Asterix-Universum einzuführen. Was abseits dieser Extravaganz bleibt, ist eine über alle Maßen geistlose Handlung. Eigentlich geht es nur um die Frage, wer wem kräftig auf die Schnauze haut. Nebenbei werden alle signifikanten Markenzeichen der Serie hintereinander abgefrühstückt. Asterix, sonst ein Freund raffinierter Winkelzüge und Tricksereien, benimmt sich wie ein cholerischer Hamster im Laufrad. Denn trotz des Zaubertranks waren Asterix und Obelix niemals Berserker. Schlagdraufundschlus war nicht ohne Grund der Name eines römischen Legionärs.

Das neue Asterix-Abenteuer ist eigentlich gar kein Asterix-Abenteuer. Es hat sich seine Seele nicht verdient und straft seine Titelfiguren hart ab. Ebenso wie den Leser, der einfach nicht vergessen kann, wie die beiden frechen Gallier einst Cäsar die Lorbeeren vom Kopf stahlen.

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Lehtolainen, Leena – Im schwarzen See

Dank Leena Lehtolainen mischt auch Finnland mit, wenn es um die erfolgreichsten skandinavischen Kriminalromane geht. Die Krimis der finnischen Erfolgsautorin sind im eigenen Land bereits erfolgreich verfilmt worden, aber auch in Deutschland erscheint mit „Im schwarzen See“ bereits der achte Fall, in dem Maria Kallio ermittelt. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Lehtolainen ihren ersten Kriminalroman und zählt heute zu den erfolgreichsten und renommiertesten finnischen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie bei Henning Mankell ist es auch bei Lehtolainen die menschliche Seite an ihrer Kriminalkommissarin, die ihren Romanen die besondere Note verleiht und dadurch sicherlich sehr zum Verkaufserfolg ihrer Romane beiträgt.

Im aktuellen Lehtolainen-Krimi ist Maria Kallio nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt und muss dort sogleich einen Mord aufklären. Der Verlagsbesitzer Atro Jääskeläinen meldet seine Frau Annukka Hackman als vermisst, und tatsächlich wird sie bald ermordet im See Humaljärvi aufgefunden. Es scheint, als wäre sie mit ihrer eigenen Waffe erschossen worden, während sie gerade im See schwamm. Annukkas Exfreund Hannu Kervinen arbeitet als Pathologe für die Kriminalpolizei und bricht völlig zusammen, als Annukka, die er immer noch über alles liebt, als Mordopfer auf seinem Untersuchungstisch landet. Doch damit nicht genug, wird Kervinen des Mordes verdächtigt, weil er Annukka auch nach ihrer Hochzeit immer noch nachgestellt hat. Aber auch Atro Jääskeläinen hat für die Tatzeit kein wirklich wasserdichtes Alibi.

Eine dritte vielversprechende Spur führt zur Familie Smeds, da Annukka vor ihrem Tod an einer Biografie über den berühmten Rallyefahrer Sasha Smeds geschrieben hat. Während ihrer Nachforschungen über Sashas Leben muss Annukka auf eine heiße Sensationsgeschichte gestoßen sein, denn sie wollte um alles auf der Welt diese Biografie veröffentlichen, auch wenn sie nicht mehr von Sasha autorisiert werden sollte. Merkwürdigerweise finden sich in Annukkas aktuellem Manuskript keine verdächtigen Geschichten, die einen Mord rechtfertigen würden. Maria Kallio tappt lange Zeit im Dunkeln und muss zusätzlich mit privaten Problemen kämpfen. Seit sie wieder zur Arbeit geht, beschwert sich ihr Mann Antti zunehmend darüber, dass sie sich nicht mehr um ihre Familie kümmert. Er sitzt dagegen arbeitslos in der ungemütlichen Wohnung und versorgt die gemeinsamen Kinder. Als schließlich wichtige Informationen an die Presse gegeben werden, Zwistigkeiten in Maria Kallios Kollegenkreis auftauchen und sie bemerkt, dass ihr Vorgesetzter Jyrki Taskinen vielleicht doch mehr für sie ist als nur ein guter Freund, erhält Maria einen geheimnisvollen Anruf von Hannu Kervinen. Kurz darauf wird eine weitere Leiche gefunden und der Zeitdruck lastet mehr denn je auf den ermittelnden Beamten …

Leena Lehtolainen steigt sofort mit einem Mord in ihre Romanhandlung ein und schafft damit das erste Spannungsmoment, das uns an ihr Buch fesselt. Anschließend lässt sie sich allerdings sehr viel Zeit, um eine glaubwürdige Rahmenhandlung zu entwickeln, die für eine gelungene Atmosphäre sorgt und das Buch mit Leben füllt. Hier passiert nicht gleich ein zweiter Mord, der auf einen psychopathischen Serienkiller hindeuten würde, sondern Lehtolainen stellt uns alle verdächtigen Personen und die handelnden Figuren eingehend vor. Dabei tauchen wir richtiggehend in Maria Kallios Gedankenwelt ein und erleben dadurch all ihre Sorgen und Probleme hautnah mit. Ihr Beruf und ihre Familie wachsen ihr über den Kopf, zusätzlich fühlt sie sich in der engen Wohnung unwohl. Hinzu kommt Anttis Antriebs- und Mutlosigkeit, die ihn sogar überlegen lässt, eine Arbeitsstelle in England anzunehmen. In diese schwierige Situation platzen eine schwere Grippe ihres zweijährigen Sohnes Taneli und ein verdächtiges Paket von einem Gefängnisinsassen für ihre kleine Tochter Iida, außerdem kommen die Ermittlungen kein Stück voran. Maria weiß nicht weiter und muss schließlich mit einem Wechselbad der Gefühle, Zwist und Eifersucht unter ihren Kollegen kämpfen.

Die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Aufklärung des Mordfalls ist also denkbar schlecht; hier finden wir fast die gleiche Trostlosigkeit wie im schwedischen Ystad wieder, nur dass Lehtolainen auf brutale Details und fiese Mordtechniken vollständig verzichtet. Ihr aktueller Kriminalroman ist geprägt von persönlichen Problemen der Kriminalkommissarin Kallio, die uns durch diese privaten Schilderungen sehr sympathisch wird.

Aber auch die anderen Figuren werden uns genauer vorgestellt, da Leena Lehtolainen sich auf einen kleinen Kreis von Verdächtigen beschränkt und diese Personen stattdessen eingehend präsentiert, um uns zum Miträtseln zu animieren. Fast schon wie bei Agatha Christie kommt Lehtolainen mit einer Hand voll verdächtiger Personen aus, von denen im Prinzip allerdings jeder der Mörder sein könnte. Immer wieder tauchen neue Verdachtsmomente auf, und wenn ein Tatverdächtiger schon fast als Mörder feststeht, gibt es eine neue Spur, die auf jemand anderen hindeutet. Hier beweist Lehtolainen wirklich großes Geschick für das punktgenaue Einstreuen neuer Informationen, die ihrer Handlung eine neue Wendung geben. Unterschwellig scheint sich alles auf eine bestimmte Person hinzuentwickeln, aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Leena Lehtolainen am Ende noch einmal?!

Trotz dieser Lobeshymnen kann man „Im schwarzen See“ wohl nicht generell jedem Krimifreund empfehlen, eher würde ich meinen, dass Lehtolainen wie ihre norwegische Kollegin Anne Holt eher „Frauenkrimis“ schreibt, die sich nicht so sehr auf blutige Details stürzen oder wie bei Wallander auf ausgefeilte Mordtechniken, sondern auf die persönliche Seite der handelnden Personen. So müssen wir uns mit zwei Leichen „begnügen“, obwohl das Buch sicherlich vom Umfang her Platz für mehr gelassen hätte, doch dann hätte Lehtolainen ihre Rahmengeschichte nicht so weit ausbauen können, die jedoch einen Großteil des Lesevergnügens ausmacht. Am Ende trauert man mit Maria Kallio, wenn der Täter gefunden und der Fall aufgeklärt ist, denn hier ist es keine Erleichterung, einen fiesen Mörder überführt zu haben; die Autorin präsentiert uns hier vielmehr ein menschliches Schicksal, für das wir Verständnis haben. Seltsamerweise haben wir deswegen am Ende mehr Sympathien für den Täter als für das Opfer.

Etwas unübersichtlich gestalten die zahlreichen finnischen (und daher für den deutschen Leser komplizierten) Namen das Lesen, denn es dauert eine Weile, bis man jedem Namen einen persönlichen Hintergrund zuordnen kann. Doch da im Grunde genommen jede auftauchende Person ihre Berechtigung in diesem Buch hat, gewöhnt man sich schließlich doch an die fremdländischen Namen. Störend empfand ich dagegen die Geschichte, die Leena Lehtolainen um Maria Kallios Kollegin Ursula rankt. Dieser Handlungsstrang bringt die eigentliche Erzählung nicht voran – ganz im Gegenteil, Ursulas Geschichte bremst sie eher noch aus. Leider finden Ursulas Ränkespielchen keinen echten Abschluss in diesem Kriminalroman und kommen mir deswegen etwas unnötig vor.

„Im schwarzen See“ wird wahrscheinlich nicht der Krimi des Jahres werden, dennoch hat die finnische Erfolgsautorin Lehtolainen wieder einmal einen spannenden und überaus interessanten Kriminalfall ihrer Kommissarin Maria Kallio vorgelegt, der seine Leser (besonders die weiblichen) sehr gut zu unterhalten weiß. Der Roman kommt psychologisch ausgefeilt daher und spielt mit den Sympathien der Leser, da wir am Ende mit dem Täter fühlen und nicht um das Opfer trauern. Bei Lehtolainen kauen wir nicht vor Spannung und Ungeduld unsere Fingernägel ab oder lassen nachts das Licht an, weil die Erzählung brutal und fesselnd ist, die Stärken dieser finnischen Kriminalreihe liegen vielmehr in der Figur der Maria Kallio und den glaubwürdigen Figurenzeichnungen; hier werden die persönlichen Schicksale ins Zentrum der Geschichte gerückt. Wer sich auf diese Erzählweise einlässt, wird mit diesem Roman sicherlich ein paar vergnügliche Lesestunden erleben.

Stine, R. L. – Kuss des Vampirs, Der

R. L. Stines Gruselreihe „Gänsehaut“ ist mittlerweile Kult und er damit einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren geworden. Sein neuester Roman „Der Kuss des Vampirs“ orientiert sich an einem etwas älteren Publikum, dem der Teenager.

Die Protagonistin des Buchs ist die sechzehnjährige Destiny Weller, ein ganz normales amerikanisches Mädchen, das zusammen mit seiner Zwillingsschwester Livvy in einem Sommerferiencamp als Betreuerin gearbeitet hat. Sie haben dort jede Menge Spaß gehabt und viele Leute kennen gelernt. Besonders Renz, der Oberbetreuer mit dem charmantem Schlafzimmerblick und dem leichten italienischen Akzent, hat es den beiden angetan. Was sie nicht wissen: Renz ist ein Vampir, der nach dem Tod seiner einzigen und großen Liebe Laura auf der Suche nach einem Ersatz ist. Was für einem Ersatz, ahnen die Weller-Zwillinge erst, als sie sich zu Hause plötzlich eigenartig benehmen. Eines Nachts saugen sie gemeinsam wie von Sinnen einem Kaninchen das Blut aus. Der Schreck sitzt tief, doch die beiden können nichts dagegen tun. Doch sie sind noch keine richtigen Vampire, sondern nur Neophyten, das heißt, beim nächsten Vollmond entscheidet sich ihr Schicksal. Wenn sie an diesem Tag das Blut eines echten Vampirs trinken, wird ihre Verwandlung komplett sein, sollte dies nicht geschehen, werden sie zu wahnsinnigen Untoten.

Währenddessen müssen sie natürlich vor ihren Freunden und Familie verbergen, was mit ihnen los ist, was zu komplizierten Verwicklungen führt, denn ihr Bluthunger ist unkontrollierbar, und dann stellt sich auch noch heraus, dass einige ihrer Freunde Mitglieder der Vampirjäger sind. Destiny hört etwas von einem Restaurator, der sie vor ihrem Schicksal retten könnte. Doch wer ist dieser Restaurator? Ist es etwa der süße Berufsberater aus dem College, der mit den dunklen Locken und dem leichten italienischen Akzent?

In rasantem Tempo erzählt Stine die Geschichte zweier unterschiedlicher Mädchen, die plötzlich durch ihr grausames Schicksal verbunden werden. Spannung kommt vor allem dadurch in die Handlung, dass neben dem persönlichen Schicksal der Schwestern auch der Wohnort der beiden, Dark Springs, angesprochen wird. Hier treiben sich nämlich seit einiger Zeit Wesen herum, die Waldtiere töten und sie blutleer liegen lassen. In den Nachrichten geht man erst von einem Virus aus, dann von einem Geistesgestörten, der unter anderem Livvys Freundin Bree auf dem Gewissen habe. Trotz dieser Tatsachen in den Medien formieren sich im Ort die Vampirjäger, die den Schwestern im Nacken sitzen.

Die Spannungskurve dieses Buches ist enorm, ein richtiger Pageturner, denn neben der angenehmen Tatsache, dass nicht alles glatt läuft und nur auf wenige Klischees zurückgegriffen wird, ist es vor allem der extrem straffe Plot, der wenig Platz zum Atmen lässt und dadurch keinerlei Längen aufweist. Stine setzt auf wenig schmückendes Beiwerk und reduziert Gefühlsäußerungen und Gedanken sowie Beschreibungen auf ein Minimum, so dass die Geschichte an vielen Stellen von Dialogen getragen wird.

Der Schreibstil ist klar, leicht verständlich und ebenso knapp und prägnant wie der Aufbau der Geschichte. Er weist kaum wirkliche Eigenheiten auf, aber das ist nicht weiter schlimm, denn auch das kann ein geschickter Schachzug sein, wie „Der Kuss des Vampirs“ beweist. Zwar wird der Roman durch seine Schnelligkeit etwas oberflächlich, andererseits konzentriert er sich damit hauptsächlich auf die Handlung und verhindert Langatmigkeit.

R. L. Stines Roman ist ein rasantes Bündel Spannung, das mit wenig Worten auskommt, dafür aber auch keinerlei Längen aufweist. Sicherlich keine große Literatur, aber ein wirklich nettes und gruseliges Jugendbuch.

Stewart, Paul & Riddell Chris – Helden von Muddelerde, Die

Eigentlich bin ich immer viel zu faul, um mir nach dem Genuss eines Filmes auch noch das dazugehörige Buch zu besorgen und durchzuarbeiten, schließlich kennt man die gesamte Handlung schon und die Spannung ist quasi komplett verpufft. Und so ähnlich verhält sich dies auch bei Hörbüchern und den entsprechenden Schriftversionen … Daher habe ich mich auch eine Weile dagegen gesträubt, mir die ‚Papier-Variante‘ von „Die Helden von Muddelerde“ zur Brust zu nehmen, schließlich habe ich vor einiger Zeit auch schon die [Audiofassung 1947 zur einmaligen Fantasy-Geschichte von Paul Stewart gehört und für euch rezensiert. Letztlich aber schnappte ich mir am vergangenen Wochenende das 450 Seiten starke Buch, zog mich auf die Couch zurück und verschlang die Geschichte um den zerstreuten Magier Randalf und den Anti-Helden Joe Jefferson an nur einem Nachmittag. Mein vorläufiges Resümee: Ich bin froh, die Buchfassung doch noch gelesen zu haben, denn der Autor hat hier wirklich eine außergewöhnliche Erzählung erschaffen, von der man sich nach dem reibungsfreien Einstieg gar nicht mehr losreißen kann! Und genug bekommen kann man von Paul Stewart, sobald man einmal Blut geleckt hat, sowieso nicht mehr, was in meinem Falle wohl auch am mehrfachen Konsum der bei uns vorgestellten „Klippenland-Chroniken“ liegt. Und deren Niveau erreicht „Die Helden von Muddelerde“ spielerisch …

_Story_

Muddelerde ist in Gefahr und braucht dringend einen Helden – ansonsten wird der grauenhafte Dr. Knuddel sehr bald die Herrschaft an sich reißen. Der ziemlich zerstreute Magier Randalf der Weise sieht sich deswegen in der Pflicht und zaubert einen Helden dabei. So findet sich der ganz normale Schuljunge Joe Jefferson urplötzlich in einer fremden Welt statt in seiner Schuklasse wieder – und seinen Hund Henri hat er auch direkt mitgebracht.

Das Team von der Erde hat jedoch nicht lange Zeit, sich großartig auf die neue Umgebung umzustellen, denn auch wenn Randalf von seinem seltsamen Helden nicht gerade begeistert ist, verlangt er von ihm, dass er als Heldenkrieger „Joe, der Barbar“ das große Zauberbuch beschafft und Dr. Knuddel und seine Besteckarmee von ihren schrecklichen Plänen abhält.

Gemeinsam mit dem Zauberer, dem trotteligen Oger Norbert, dem vorlauten Wellensittich Veronika und seinem Gefährten Henri macht sich Joe schließlich auf den Weg, um die für ihn völlig fremde Welt vor ihrem dunklen Schicksal zu retten …

_Meine Meinung_

Das Buch zu „Die Helden von Muddelerde“ ist ein wenig umfangreicher als das vierteilige Hörbuch und seinem genialen Pendant daher auch absolut ebenbürtig. Zwar vermisst man anfangs etwas die lockere Atmosphäre, die der stimmliche Gestaltenwandler Volker Niederfahrenhorst im gleichnamigen Hörspiel kreiert, doch dies gibt sich eigentlich auch schon wieder ab dem Moment, in dem Joe Jefferson sich plötzlich in der seltsamen Welt Muddelerde wiederfindet.

Einen sehr guter Ersatz für die Erzählstimme bieten allerdings die zahlreichen Skizzen, die Paul Stewarts Compagnon Chris Riddell zu diesem Buch beigetragen hat. Riddel zeichnet die verschiedenen Charaktere in allen möglichen Situationen und zeigt dabei ein besonderes Gespür für simplen, aber effektiven Humor. Die Hauptfigur Joe in improvisierter Ritterrüstung oder Randalf als Sinnbild der totalen Verwirrung sorgen für weitere Lacher einer ohnehin schon ziemlich witzigen Handlung und werten das Buch enorm auf. Gerade das jüngere Publikum, das Stewart mit diesem Buch sehr deutlich anspricht, sollte an den feinen Bildern seine Freude haben, zumal sie ihnen helfen, eine Vorstellung vom äußeren Erscheinungsbild der Figuren zu gewinnen. Nicht jeder kann sich ausmalen, wie der tollpatschige Oger Norbert tatsächlich aussieht, und auch die Beschreibungen vom finsteren Dr. Knuddel sind nicht so eindeutig, als dass man sie direkt verinnerlichen könnte. Alleine deswegen lohnt sich ein genauer Blick auf die Skizzen, die sehr oft in die Seiten der Geschichte eingefügt wurden und somit auch jeweils der Situation entsprechend wiederkehren. Damit soll natürlich nicht suggeriert werden, dass der Autor bei der Charakterisierung seiner Akteure irgendwelche Defizite zeigte, denn dies ist ganz bestimmt nicht der Fall!

Ich fühle mich jetzt immer wieder dazu geneigt, das Buch mit dem Hörspiel zu vergleichen, doch es gibt hier einfach keine wirklichen Unterschiede abseits des Handlungsumfangs. Die Stärken der Audio-Version kann das Buch durch die zeichnerische Veranschaulichung der Hauptpersonen wieder ausgleichen. Und wo das Buch durch seinen größeren Umfang etwas mehr ins Detail gehen kann, kaschiert das Hörbuch dies wieder durch seine ganz besondere Atmosphäre. Lohnenswert sind auf jeden Fall beide Fassungen, und wie ich jetzt selber festgestellt habe, empfiehlt es sich durchaus auch, sich mit beiden Varianten auseinander zu setzen.

„Die Helden von Muddelerde“ ist in erster Linie natürlich ein Jugendbuch, und die Zielgruppe von Stewart und Riddell dürfte auch größtenteils noch die Schulbank drücken. Dafür spricht auch das recht große Schriftbild, bei dem es durchaus möglich ist, in einer Stunde ganze hundert Seiten zu verschlingen. Trotzdem aber sollten sich auch die älteren Jahrgänge mit den lustigen Wesen aus Muddelerde vertraut machen und sich an dem netten Wortwitz und den humorvoll gestalteten Zeichnungen erfreuen. Man sollte allerdings in diesem Buch keinen satirischen Seitenhieb auf „Der Herr der Ringe“ erwarten, denn damit hat „Die Helden von Mudddelerde“ nur bedingt etwas zu tun. Von der Klasse her gemahnt es aber fast schon an diese legendäre Trilogie und löst so natürlich auch die Hoffnung aus, irgendwann einmal fortgesetzt zu werden. Doch so weit sind wir noch nicht; erst einmal gilt es, Joe, seinen Hund, Randalf, Norbert und Veronika auf ihrer Reise durch die Fabelwelt und im Kampf gegen Dr. Knuddel zu erleben, und dabei wünsche ich allen Interessierten viel Spaß – auch denjenigen, die das Hörbuch schon lieben gelernt haben!

Heinen, Heinz – Geschichte des Hellenismus: Von Alexander bis Kleopatra

Bei der „Geschichte des Hellenismus“ handelt es sich um eine kleine und kompakte Einführung in den Themenbereich des Hellenismus. Als Epoche des Hellenismus bezeichnet man gemeinhin jenen Zeitraum der Geschichte, der sich vom Aufstieg Alexanders des Großen (etwa ab 336 v. Chr.) bis hin zum Fall der Stadt Alexandreia und des Todes von Marcus Antonius und Kleopatra (30 v. Chr.) erstreckt. Der Autor Heinz Heinen lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Universität Trier und ist zudem Vorsitzender der Kommission für Geschichte des Altertums.

In seiner Einleitung grenzt Heinen das zu bearbeitende Thema zunächst räumlich und zeitlich ab, um gleich darauf die Voraussetzungen des Hellenismus aufzuzeigen. Hierbei werden vor allem die Verdienste Philipps II., Alexanders Vater und Vorgänger, in den Vordergrund gestellt. Denn ohne Philipps erfolgreiche Expansions- und Außenpolitik wäre es Alexander wohl nicht möglich gewesen, „die ganze damals bekannte Welt“ zu erobern. Somit wäre der Autor auch schon bei Alexanders Regentschaft selbst angelangt. Obwohl die Herrschaft Alexanders nur etwa 15 Seiten des Buches ausmacht, vermittelt Heinen auf diesen wenigen Seiten einen hervorragenden, wenngleich auch sehr gestauchten Überblick über die Lebensstationen und Erfolge des legendären makedonischen Herrschers. Dabei mutet die Geschichte Alexanders, der nicht einmal sein 33. Lebensjahr vollendete, nicht nur informativ, sondern zudem auch spannend an. Dies mag vor allem natürlich an der Geschichte Alexanders selbst liegen, jedoch gelingt es Heinen, im Gegensatz zu vielen seiner Historikerkollegen, diese Spannung nicht durch übertriebenen Einsatz wissenschaftlicher Termini und Formulierungen zu verringern.

Nicht weniger spannend erscheint der Kampf um das Erbe Alexanders des Großen. Mit Alexanders frühem und ungeklärtem Tod setzte 323 eine Zeit der Auseinandersetzungen ein. Alexanders Generäle stritten sich um das Erbe des Makedonen. Das riesige Reich, welches Alexander geschaffen hatte, spaltete sich auf und versank im Krieg. Zwischen den partikularen Interessen der einzelnen Diadochen, Bezeichnung für die selbsternannten „Nachfolger“, ging auch Alexanders Familie zugrunde. Einer nach dem anderen wurde umgebracht, seine Mutter Olympias, sein Halbbruder Arrhidaios, seine Frau Roxanne und auch sein Sohn Alexander IV.! Heinen beschreibt das Hin und Her der Kämpfe zwischen den Diadochen im Folgenden sehr anschaulich und übersichtlich. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Zeit der Diadochenkämpfe aufgrund ihrer Verwicklungen sehr schnell unübersichtlich werden kann. In der Zwischenzeit stieg andernorts jedoch der Stern einer anderen Macht unaufhaltsam empor. Die Zeit Roms brach an. Seit 215 v. Chr. griff Rom zunehmend in die Konflikte der hellenistischen Staaten ein und schaltete einen Gegner nach dem andern aus. Es gelang den Römern auf diese Weise, eine Vorherrschaft über die hellenistische Welt zu etablieren. Diese Vorherrschaft erreichte 30 v. Chr. ihren Höhepunkt, als Rom mit dem Sieg über das ptolemäische Ägypten auch den letzten hellenistischen Großstaat ausschaltete. Die Epoche des Hellenismus wurde somit durch den Aufstieg Roms beendet.

In einem weiteren Kapitel befasst sich Heinen mit den einzelnen Regionen der hellenistischen Welt, wobei er politische, soziale und ökonomische Aspekte in den Vordergrund stellt. Da das Phänomen des Hellenismus in den verschiedenen Regionen unterschiedlichste Ausprägungen haben konnte, erscheint diese Auseinandersetzung sehr wichtig. Zudem lernt man als Leser einzelne Großregionen, über die man bisher vielleicht nicht allzu viel wusste, besser kennen. Hierzu zählen vor allem das Seleukidenreich und der Schwarzmeerraum, die in der Beschäftigung mit dem Hellenismus oftmals ein wenig untergehen. Ebenfalls sehr informativ ist Heinens Auseinandersetzung mit der Kultur und Religion des Hellenismus, die sich dem Kapitel über die hellenistischen Regionen anschließt. Besonders mit diesen grundlegenden Ergänzungen wird das Buch von Heinen zu einer sehr informativen Rundumschau auf den Hellenismus. Das Buch eignet sich somit perfekt als Einstieg in das Thema, wenn man beabsichtigt, sich näher damit zu befassen, oder auch als Überblick, wenn man sich nur oberflächlich mit dem Hellenismus auseinandersetzen möchte.

Aber ganz gleich, warum man sich mit dem Hellenismus befassen möge, es bleibt dennoch die vermutlich packendste Epoche des Altertums. Ganz im Stile einer griechischen Tragödie wechseln sich Verrat, Treue, Intrige, Heldentum, Mord und Versöhnung stetig gegenseitig ab.

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Taylor, Andrew – Schlaf der Toten, Der

London, 1819. Der mittelllose Lehrer Thomas Shield erhält eine Stelle in einem Internat außerhalb der Stadt. Für den jungen Mann, der immer noch unter den traumatischen Folgen seines Kriegseinsatzes leidet, ist diese Arbeit ein großer Glücksfall. Zu seinen Schülern gehören auch die beiden zehnjährigen Jungen Edgar Allan und Charlie Frant, die sich wie Brüder ähneln und vom ersten Tag an die besten Freunde sind. Edgar ist ein kleiner Amerikaner, der von den Allans adoptiert wurde. Charlie ist der Sohn von Henry Frant, einem wohlhabenen Bankier, dem Teilhaber der berühmten Wavenhoe-Bank.

Nachdem Thomas Shield die Jungen einmal auf der Straße vor den Nachstellungen eines verwahrlosten Mannes bewahrte, kommt er in Kontakt mit der Familie Frant. Vor allem zu Charlies Mutter, Sophie Frant, fühlt er sich auf unerklärliche Weise hingezogen, aber auch Charlies Cousine, die kokette Flora Carswell, verwirrt seine Sinne. Hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen, nutzt er bald jede Gelegenheit, um den Frants einen Besuch abzustatten.

Nach dem Tod des Gründers George Wavenhoe gerät die Bank in den Ruin. Als sich herausstellt, dass Henry Frant seine Kunden betrogen hat, steht die Familie Frant vor dem Bankrott. Kurz darauf wird die bis ins Unkenntliche zugerichtete Leiche eines Mannes gefunden, der als Henry Frant identifiziert wird. Die Witwe und der kleine Charlie werden von ihren Verwandten, den Carswells, aufgenommen und ziehen auf ihren Landsitz. Thomas Shield befürchtet, die verehrte Sophie Frant nie wiederzusehen – doch stattdessen engagiert ihn die Familie als Hauslehrer. In der Zeit auf dem Anwesen der Carswells gerät Thomas in ein Netz aus Intrigen und weiß schon bald nicht mehr, wem er trauen darf. Was hat es mit dem geheimnisvollen David Poe auf sich, der behauptet, er sei Edgar Allans Vater? Handelt es sich bei dem Ermordeten wirklich um den verschwundenen Henry Frant? In einer verschneiten Winternacht kommt es schließlich zu einem weiteren mysteriösen Todesfall …

Neblige Nächte, dunkle Gassen, verwinkelte Herrenhäuser und weite Wälder – „Der Schlaf der Toten“ besitzt alle Elemente, die man von einem Schauerkrimi erwartet. In gekonnter Manier zieht Taylor seinen Leser hinein ins viktorianische England, lässt ihn teilhaben an den Aufzeichnungen des jungen Thomas Shield und konfrontiert ihn mit einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die sich immer weiter zu einem undurchdringbaren Geflecht aus Lügen und Intrigen zu verstricken scheinen. Von kleinen Einschränkungen abgesehen, liegt hier ein überzeugender und fesselnder Historienkrimi vor, der nicht zu Unrecht mit dem „Historical Dagger“ ausgezeichnet wurde.

|Überzeugende Charaktere|

Ein großes Verdienst des Romans ist zweifelsohne die Identifizierung des Lesers mit der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler Thomas Shield. Schon zu Beginn wird klar, dass es sich hier um keinen strahlenden Helden handelt, sondern um einen Charakter mit Hang zur Labilität. Aufgewachsen ohne Mutter, verstarb sein Vater vor Beendigung des Studiums, so dass Thomas aus Geldmangel die Universität vorzeitig verlassen musste. Die traumatische Kriegserfahrung erforderte ärztlichen Beistand und ein unbeherrschter Gefühlsausbruch ließ ihn seine Stelle verlieren. Trotz des unerwartet großzügigen Erbes seiner Tante ist Thomas Shield kein Gewinner, sondern ein einsamer und verletzlicher junger Mann, für den man sich gerne ein bisschen Glück erhofft, mit dem man leidet, mit dem man hofft und dessen Schicksal einen spätestens in der zweiten Hälfte des Buches vollends in den Bann zieht.

Längst nicht so intensiv, aber doch als lebendig und anschaulich empfindet man die restlichen Charaktere, allen voran die Mitglieder der Familie Frant und ihr Umfeld: die zarte Sophie, die ihre eigenen Gefühle hinter das Glück ihres Sohnes stellt und deren zurückhaltende, undurchschaubare Art auf den Leser ähnlich faszinierend wirkt wie auf Thomas Shield; der kleine Charlie mit dem sensiblen Gemüt, der sich im Internat zunächst so verloren fühlt und durch die Hilfe seines Freundes Edgar die schwere Zeit übersteht; der undurchsichtige Henry Frant, der noch nach seinem Tod seine Familie ins Verderben reißt; und die reizvolle Miss Carswell, die es liebt, Thomas Shield in Verlegenheit zu bringen und immer wieder neue Verwirrungen provoziert. In dieser Charakterfülle liegt womöglich auch eine kleine Schwäche des Romans, da viele Figuren Erwartungen wecken, die sie unterm Strich nicht unbedingt einhalten können. Von manch einer Person erhofft man sich während der Lektüre noch eine größere Beteiligung an der Handlung oder gar eine Schlüsselrolle, muss am Ende jedoch feststellen, dass es wirklich bei einem Nebencharakter geblieben ist, der für die Handlung keine überraschende Bedeutung mehr beiträgt.

|Hommage an Poe|

Versierte Leser werden bereits bei der Erwähnung des kleinen „Edgar Allan“ aufmerken, offensichtlich wird es spätestens dann, wenn ein gewisser David Poe ins Spiel kommt: Der zehnjährige Schüler von Thomas Shield, dessen Rolle einiges zu den Rätseln im Verlauf der Handlung beiträgt, ist niemand anderes als Edgar Allan Poe, der berühmte Schriftsteller, der später mit seinen detektivischen und unheimlichen Kurzgeschichten in die Weltliteratur eingehen sollte. Im Anhang an den Roman finden sich dementsprechende biographische Anmerkungen des Autors zu Poes Leben und Werk. In behutsamer Manier wird hier versucht, die dunklen Jahre von Poes Schulzeit in Einklang mit der Romanhandlung zu bringen. Hier ist die Ähnlichkeit mit Charlie Frant eine Inspiration für Poes beliebtes Doppelgängermotiv; hier erinnert der Rabe aus dem gleichnamigen Gedicht bewusst an den sprechenden Papagei; und hier galten die Worte auf dem Sterbebett dem ehemaligen Lehrer. – Andrew Taylor kombiniert mit viel Geschick eine fiktive Handlung um das düstere Leben des großen Schriftstellers, ohne dabei je zu weit zu gehen und den Namen Poe als bloßen Aufhänger für seine Geschichte zu benutzen. Erfreulicherweise ist genau das Gegenteil der Fall: Trotz seiner Bedeutung für den Verlauf der Handlung drängt sich Edgar Allans Gestalt nie in den Vordergrund. Die Hauptfigur ist und war, auch trotz des Originaltitels „The American Boy“, Thomas Shield, und dem kleinen Edgar bleibt die Rolle des ungezähmten Schülers, der wie nebenbei durch scheinbare Nebensächlichkeiten den Geschehnissen immer wieder neuen Auftrieb verleiht.

|Zwischen Schauerkrimi und Sittenbild|

Mit knapp 570 Seiten kommt der Roman recht umfassend daher, was vor allem im Vergleich mit der tatsächlich geschilderten Handlung auffällt. Oftmals muss der Leser seine Geduld unter Beweis stellen, wenn es wieder einmal an ausufernde Passagen geht, in denen nicht wirklich viel passiert, sondern das Geschehen ruhig vor sich hin plätschert. Kleidungen und Örtlichkeiten werden ebenso ausführlich beschrieben wie belanglose Gespräche und gesellschaftliche Etikette. Hin und wieder ertappt man sich dabei, dass man geradezu auf das nächste bemerkenswerte Ereignis lauert. Andrew Taylors Schilderungen geraten nie langweilig, so dass man etwa Gefahr liefe, das Buch vorzeitig aus der Hand zu legen – doch er bewegt sich unzweifelhaft hart an der Grenze und reizt die Ausdauer seiner Leser gehörig aus. „Der Schlaf der Toten“ ist kein Thriller im modernen Sinne, der dem Leser atemlose Spannung von der ersten bis zur letzten Seite verspricht und der alle seitenlang mit neuen Enthüllungen aufwartet.

Stattdessen lullen einen die atmosphärischen Beschreibungen ein, ziehen den Leser mit hinein die Welt des Thomas Shield, die nach außen hin so malerisch wirkt und hinter deren Fassade düstere Abgründe lauern. Das Werk ist nicht nur ein Historienkrimi mit Anleihen an den Schauerroman, sondern auch ein Sittengemälde der viktorianischen Zeit. An der Person des mittellosen Thomas Shield, der sich auf dem Parkett der gehobenen Kreise bewegt, wird die Zwiespältigkeit dieser Gesellschaft deutlich. Shield wird nie als ihresgleichen angesehen, obwohl er im Gegenzug über den gewöhnlichen Bediensteten steht. Dem modernen Leser mögen die häufigen Verbeugungen und Ehrerbietungen, die Gedanken über Schicklichkeit und Contenance zunächst befremdlich vorkommen, und doch versetzt man sich rasch hinein in diese Welt der großen Bälle, der Herrenhäuser, der Droschken und der knicksenden Dienstmädchen. Diese Welt, die sich par excellence als Folie für mysteriöse Vorkommnisse eignet, beispielsweise in einer verschneiten Winternacht, in der Thomas über den Landsitz der Carswells irrt und die verschwundenen Jungen sucht, während in der Ferne der Wälder eine tödliche Wilderer-Falle zuschnappt …

So ergibt sich ein faszinierender Schauerkrimi aus dem viktorianischen England, der geschickt eine fiktive Handlung um Todesfälle in der gehobenen Gesellschaft mit der Biographie des Schriftstellers Edgar Allan Poe verbindet. Die ausschmückende Sprache und die detailreichen Schilderungen von Nebensächlichkeiten sorgen für die eine oder andere Länge, doch insgesamt bietet sich ein spannender Roman voller Rätsel und lebensechter Charaktere – allen voran der Ich-Erzähler Thomas Shield -, die ein unterhaltsames und fesselndes Lese-Erlebnis vermitteln.

_Andrew Taylor_ wurde 1951 in England geboren und studierte in Cambridge, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein Spezialgebiet sind Kriminalromane, darunter unter anderem die Lydmouth-Serie und die Roth-Trilogie.

Gay Longworth – Haut und Knochen

Das geschieht:

Detective Inspector Jessie Driver steckt in der Krise: Ihr alter Chef und Mentor wurde pensioniert, mit seiner Nachfolgerin zerstreitet sie sich schon am ersten Arbeitstag. Kollegen kritisieren oder mobben sie. Privat leidet Jessie unter ihrer schwierigen Beziehung zu einem flatterhaften Rocksänger.

Auch der aktuelle Kriminalfall sorgt für Ärger. Die Tochter einer publicitysüchtigen Schauspielerin ist verschwunden. Die Ermittlungen führen u. a. in die Marshall Street Baths, eine alte, längst geschlossene Schwimmhalle, in deren Ruine sich nun Junkies herumdrücken. Die Verschwundene findet sich dort nicht. Dafür entdeckt man in der Aschegrube eines uralten Heizungskessels die vollständig mumifizierte Leiche eines Mannes. Man hat ihn gefesselt in die Grube gestoßen, dort von Ratten anfressen und schließlich ertrinken lassen; ein Mord, dessen Brutalität von Rache kündet.

Jessies Nachforschungen gestalten sich schwierig, doch schließlich wird das Opfer identifiziert – als Krimineller, der vor 14 Jahren spurlos verschwand, nachdem er einer Verurteilung als Kidnapper im letzten Moment hatte entkommen können. Entführt hatte der Mann Nancy Scott-Somers, Tochter einer prominenten und einflussreichen Familie, die sehr auf ihr Privatleben bedacht ist und keinesfalls dulden will, dass Jessie die alte Sache wieder aufleben lässt. Die Scott-Somers üben über Anwälte, hohe Beamte und Jessies Vorgesetzte Druck auf die Polizistin aus, die sich indes nicht abschrecken lässt, zumal sie auf ein sorgsam gehütetes Familiengeheimnis stößt, das die Scott-Somers als Dulder oder sogar Auftraggeber des besagten Rachemordes in Verdacht bringt. Bald wird es eng für Jessie, die immer wieder in die Marshall Street Baths zurückkehren muss, wo mehr als ein Geist umgeht, der Vergeltung fordert und diese mit Gewalt einfordert …

Geist/er des Verbrechens

Würde diese Geschichte in Edinburgh spielen, hätte wahrscheinlich Ian Rankin sie erfunden: Ein vertracktes Rätsel wurzelt in einer Vergangenheit, die längst nicht so tot ist wie die Leichen, die sie produziert hat. In diesem Fall scheinen sie buchstäblich durch die gekachelten Hallen des alten Schwimmbads zu geistern; sogar ein leibhaftiger Exorzist erläutert der ermittelnden Polizistin, wie das Spuken funktioniert.

„Die unruhigen Toten“ lautet der Originaltitel, der wie üblich dem Inhalt gerechter wird als die deutsche ‚Übersetzung‘. (Gay Longworth soll offenbar ins Fahrwasser der gern gekauften Seziersaal-Thriller gelotst werden; mit entsprechenden Wortspielen wird plump vor allem eine angebliche Nähe zur erfolgreichen ‚Kollegin‘ Kathy Reichs suggeriert.) Unruhig sind sie, weil sie ihre Angelegenheiten im Leben nicht regeln konnten oder ihre Angehörigen sie nicht ruhen lassen. Das Ergebnis ist eine ungute Mischung beider Sphären, wobei sich in den Marshall Street Baths ein regelrechter Schnittpunkt zwischen der diesseitigen Welt und dem Jenseits gebildet hat.

Die behutsame Annäherung eines ansonsten lupenreinen Polizeithrillers der britisch soliden Art an einen Schauerroman stört erfreulicherweise selbst den Puristen nicht; auch hier haben Longworth-Vorgänger von John Dickson Carr bis Ian Rankin Maßstäbe gesetzt. Ob es nun wirklich spukt, oder ob es die Zwangsvorstellungen verstörter Hirne sind, welche sich manifestieren, darf jede/r Leser/in selbst entscheiden. Longworth selbst wird jedenfalls nie müde zu beschreiben, dass jedes Kapitalverbrechen über die Folgen körperlicher Gewalt hinaus auch die Psyche nachhaltig beschädigt.

Die Spannung als glitschige Beute

Der eigentliche Krimiplot ist stabil und wird logisch durchgespielt, ist aber alles andere als originell. Wenn man sehr kritisch urteilen möchte, ist das „Spannungshighlight von einer ‚wahren Meisterin des Thrillers‘“ (Werbedonner auf der Umschlagrückseite) ein Patchwork-Krimi im Polizeimilieu, der mit kriminalistischen Sackgassen und Überraschungen (sowie weiteren Leichen) nicht geizt, also mit den Versatzstücken des Genres jongliert.

Freilich rutschen sie der Verfasserin im Finale aus den Händen: Die Auflösung des Plots kann nur als missglückt bezeichnet werden und lässt die bisher durchaus angetanen Leser verärgert zurück. Dazu lässt sich Longworth von der modernen Unsitte des Doppel- oder gar Dreifach-Finales verleiten, viel zu viel literarisches Pulver zu verschießen. Das Ergebnis ist keine Steigerung von Höhepunkten, sondern ein gegenseitiges Außerkraftsetzen.

Abgeschmeckt wird die Handlung mit viel Herzschmerz (s. u.) und selbstverständlich Sozialkritik. Von ersterem gibt es zu viel, letztere wird nicht annähernd so überzeugend vermittelt wie vom bereits mehrfach genannten Ian Rankin. So ist es in erster Linie das handwerkliche Können der Autorin, welches die Leser fesselt. Dazu kommen echte Highlights wie die Szenen in den verrottenden Marshall Street Baths (die es übrigens tatsächlich gibt, wie die Verfasserin im Nachwort anmerkt). Hier kommt echte Schauerstimmung auf, die zusammen mit einem eigenartigen Faible der Autorin für skurrile und splatterige Einschübe für eine angenehme Abwechslung sorgt, wenn zwischendurch wieder etwas zu viele Hände gerungen und Herzen gebrochen werden.

Ellenbogen und Kniekehlen-Schläge

Jessie Driver: eine moderne Frau in einer Männerwelt. Das bedingt jene Mischung aus Krimi und Seifenoper, ohne die heute kein Kriminalroman mehr auszukommen glaubt. Positiv ist in diesem Zusammenhang die Schilderung des Polizeialltags. In ihrem Revier findet Jessie wenig Solidarität. Das schließt ihre männlichen Kollegen ebenso ein wie die weiblichen. Die einen bilden auch im 21. Jahrhundert eine verschworene Gemeinschaft chauvinistisch gestimmter Kerle, die wenig oder gar nichts von Frauen als Gesetzeshüter halten und das heimlich oder offen mit sexistischen ‚Scherzen‘, übler Nachrede oder offenes Mobbing demonstrieren. Da spielt viel Furcht vor der weiblichen ‚Konkurrenz‘ mit, die sich nicht an den ungeschriebenen „For-the-Boys“-Kodex hält, mit dem die Männer seit jeher ihren Dienstalltag regeln und Karriereplanung betreiben.

Paradoxerweise halten sich auch Frauen an dessen Spielregeln. DCI Moore hat es weit gebracht in der Polizeiwelt. Trotzdem ist sie unsicher und stößt Jessie lieber vor den Kopf, als ihr, der Untergebenen, im unfairen Kampf mit den intriganten Kollegen beizustehen. Die daraus erwachsenden Spannungen werden realistisch geschildert und tragen zur Atmosphäre dieses Krimis bei, obwohl sie nur mittelbar mit dem Mordfall zu tun haben. Longworth orientiert sich hier an Vorbildern wie Nigel McCrery mit seiner „Silent Witness“-Reihe um die Gerichtsmedizinerin Samantha Ryan sowie besonders Lynda LaPlante mit ihrer „Prime Suspect“-Serie (dt. „Heißer Verdacht“) um die im kollegialen Dauerstress stehende Jane Tennison.

Das Leben – ein Trauerspiel

Hätte es die Verfasserin bloß dabei belassen! Doch eine taffe weibliche Polizistin benötigt offenbar unbedingt ein publikumsattraktives Privatleben – ein möglichst desolates selbstverständlich. Also gibt es Longworth der armen Jessie knüppeldick: Ihr Lover ist ein nur bedingt treuer Rockstar, der außerdem unter Mordverdacht stand (vgl. „Dead Alone“, dt. „Bleiche Knochen“); die Mutter starb, ohne der seither offensiv trauernden Tochter die Gelegenheit zu einer letzten Aussprache gewährt zu haben; Jessie hadert deshalb mit Gott, der so eine Schweinerei zuließ; der sonst fast aufdringlich patente Bruder Bill lässt sich mit einer schmierigen Sensationsreporterin ein, die prompt Jessies schmutzige Privatwäsche an die Öffentlichkeit zerrt … Nein, es sind ein paar Nackenschläge zuviel, die der Heldin hier verabreicht werden. Sie sorgen für unnötige Längen in der Handlung und fallen in ihrer übertriebenen Dramatik eher lächerlich aus.

Hart an der Grenze zur Karikatur stehen die Scott-Somers, eine dieser schrecklich netten High-Society-Familien, die hinter einer einst glanzvollen Fassade (wie die Marshall Street Baths) völlig verrottet sind und ein Pandämonium finsterer Übeltäter und Psychopathen verbergen. Man belügt und betrügt einander, wobei das reichlich vorhandene Geld hilft, diese Exzesse bis ins Absurde zu steigern. Daneben gibt es noch eine hysterisch alternde Schauspielerin, ihre rollige Tochter, einen psychisch maroden Hausmeister sowie einen kannibalischen Witwer.

Noch gibt es also eine Menge zu feilen, lädt Gay Longworth ihrer Handlung zu viel Ballast auf. Potenzial hat die Jessie-Driver-Reihe zweifellos – und sei es nur deshalb, weil Longworth so geschickt zu liefern versteht, was die Mehrheit der Krimileser/innen wünscht: einen maßvoll unkonventionellen Thriller, der es angenehm gruseln lässt aber weder irritiert noch an Seelensaiten rührt, die man nicht unbedingt zur feierabendlichen Lesestunde in Aufruhr gebracht sehen möchte.

Autorin

Bisher ist über Gay Longworth (geb. 1970) nicht allzu viel bekannt – ein sicheres Indiz dafür, dass sie auf dem Krimimarkt noch nicht etabliert ist. Die üblichen Stützpfeiler einer möglichst werberelevanten Biografie sind bereits gesetzt. Da ist zum einen der lebenslange, intensive Wunsch zu schreiben, verknüpft mit dem langen, schwierigen Weg dorthin, auf dem es einige möglichst seltsame Jobs hinter sich zu bringen galt. In Longworthes Fall war dies u. a. ein Intermezzo in der Ölbranche, gefolgt von einem Einsatz als Animateurin in einem Club Med. 1997 erschien mit „Bimba“ ein erster Roman, dem bis heute drei weitere folgten. Seit 2004 hat Longworth keine Bücher mehr veröffentlicht.

Taschenbuch: 461 Seiten
Originaltitel: The Unquiet Dead (London: HarperCollins 2004)
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
http://www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Shocker, Dan – Parasitengruft, Die (Macabros, Band 22)

Dieser Band beinhaltet die Heftromane Band 47/48 der Serie und erschienen erstmals im Jahre 1977.

_Formicatio – Welt des Unheils_

Ches Morgan beginnt sich langsam aber sicher zu erinnern – an sein Leben als Björn Hellmark. Als der AD-Inspektor und sein Freund und Partner Frankie Lane auf einem ihrer Patrouillenflüge im Weltraum ein Schiffswrack finden, welches mit hunderten von Siedlern vor 150 Jahren spurlos verschwand, trifft Ches im Innern des Wracks auf Asymeda. Björn kennt die Tempeldienerin von seinem Abenteuer auf der Welt Tschinandoah. Asymeda klärt Björn über seine Identität auf und hilft ihm sich zu erinnern, dabei erklärt sie ihm auch, dass er sich in einem Traumgefängnis seines Todfeindes Molochos befindet.

Die gesamte Welt, in der er als Chester Morgan lebt, ist eine erdachte Welt des Dämonenfürsten, die dieser dazu nutzt, Menschen zu quälen und sie ihrer Identität zu berauben. Asymeda nutzt ein magisches Feld, um ihr Gespräch mit Björn vor Molochos zu verbergen, und zieht sich daraufhin zurück. Björn macht sich wieder als Chester daran, das Schiffswrack zu untersuchen, und trifft auf Dr. Herold (siehe Band 21 [„Das Blutsiegel“), 2202 der als unförmiger Fleischberg sein Dasein fristen muss. Doch damit ist das Grauen noch nicht zu Ende. Chester Morgan wird durch ein Dimensionstor auf eine andere, fremde Welt geworfen: Formicatio. In dieser Dimension herrschen Riesenameisen und terrorisieren die verschwundenen Siedler des Raumschiffwracks. Doch die Wahrheit ist noch viel grausamer …

_Die Parasitengruft_

Björn Hellmark trifft auf Formicatio, der Welt der Riesenameisen, unerwartet auf zwei alte Freunde: Camilla Davis, das Medium, und Alan Kennan, einen hellseherisch begabten jungen Mann. Gemeinsam geraten sie in die Gewalt von Insektenmenschen. Die Anführerin, eine berückend schöne, menschliche Frau, nimmt Björn mit in ihren Palast, während Camilla und Alan in Minen schuften müssen, wo ein seltsames, poröses Gestein abgebaut wird. Dieses Gestein dient dazu, die einzige weißmagische Bastion auf Formicatio zu neutralisieren, welche Molochos noch immer an der uneingeschränkten Herrschaft hindert: Die Parasiten-Gruft. Die Herrscherin des Insektenvolkes, Shiane, sieht in Björn eine Gestalt aus ihren Träumen, welche sie zu erlösen vermag, denn sie wurde von Molochos verflucht und ihr Volk muss in den Minen für die Insektenmenschen arbeiten.

Derweil bereitet Molochos auch auf der Erde einen Schlag gegen Hellmark und seine Freunde vor: Frank Holesh, der junge Parapsychologe im Dienste Richard Patricks, wird von dem Dämonenfürsten mit unglaublicher Macht ausgestattet, welche ihm alle Wünsche zu erfüllen vermag. Er lockt ihn in den Keller einer Farm, wo er ihn endgültig zu seinem Diener macht. Nach und nach lockt Frank alle Mitglieder des Forschungskreises um Richard Patrick in den Keller, um sie zu Dienern des Dämonenfürsten zu machen …

Rasant geht Dan Shocker’s Zyklus um das Blutsiegel weiter, und gleichzeitig kehrt der Autor in gewohnter Weise zu seiner Mischung aus Horror und Fantasy zurück. Die Ideen, die er dabei entwickelt, sind so bizarr und fantasiereich, dass man richtig spüren kann, wie viel Spaß es Dan Shocker gemacht haben muss, sich in dieser Serie gedanklich mal so richtig auszutoben. Riesenameisen, die sich Schlachten mit Menschen liefern, eine Traumwelt des Dämonenfürsten und lebende Skelette sind dabei nur die Eckpfeiler der Story, die dem Leser kaum Zeit zum Atmen lässt, so schnell entwickeln sich die Dinge. In einer Nebenhandlung kann man übrigens mitverfolgen, wie Richard Patrick, ein Freund Hellmarks, auf der Erde eine Forschungseinrichtung für Parapsychologie einrichtet und mit zunächst fünf ausgesuchten Wissenschaftlern in Betrieb nimmt. Bei einem ersten Einsatz entpuppt sich die Farm einer von seltsamen Visionen geplagten Witwe als Verbindung zu Molochos’ Blutsiegel.

Der zweite Roman des Buches bildest den Abschluss der kleinen Saga innerhalb des großen Zyklus um Björn Hellmark und ist auch gleich der spannendste und rasanteste Teil. Atmosphärisch und temporeich erzählt Dan Shocker die Geschichte, und besonders Björns maßloser Hass seinem Erzfeind gegenüber wird hervorragend wiedergegeben. Ein wenig Tragik fließt mit dem Schicksal der Herrscherin Shiane in den Roman mit ein, auch wenn der Begriff Lykanthrop für sie nicht der richtige zu sein scheint, denn als Wolf tritt sie ja nicht in Erscheinung. Mit der Storyline um Frank Holesh bindet der Autor ein wenig von der klassischen Faust-Geschichte in die Handlung ein.

Mit diesem Band beendet Dan Shocker Björn Hellmarks Odyssee um das Blutsiegel und Formicatio und zieht dabei noch einmal alle Register seines Könnens. Ganz nebenbei wird schon der Grundstein für neue spannende Abenteuer gelegt, denn mit dem Samen des Molochos entstehen dem Dämonenjäger neue Gegner aus den eigenen Reihen. Der Dämonenfürst selbst hat sogar einen eigenen fulminanten Auftritt als Drache, auch wenn der große Kampf zwischen ihm und Hellmark alias Macabros noch ausbleibt. Darüber hinaus erhält Björn auch sämtliche Waffen und Artefakte zurück, welche er bei seinem Sturz in das Blutsiegel verloren hat.

Gemeinsam mit [Band 21 2202 der liebevoll aufgemachten Buch-Edition von „Macabros“ bildet „Die Parasitengruft“ einen eigenständigen kleinen Zyklus und lässt sich dank des Glossars und der Ausführungen des Autors ohne weiteres unabhängig von den anderen Bänden lesen.

Mit den Innenillustrationen hat sich Pat Hachfeld selbst übertroffen, gehören sie doch zu den überzeugendsten Werken seines Schaffens. Das vielfarbige Titelbild wurde hingegen dem ursprünglichen Heftroman 45 „Das Geheimnis der grauen Riesen“ entliehen, der in dem Band 21 „Das Blutsiegel“ neu aufgelegt wurde. Seitens des Verlags eine nicht unkluge Wahl, denn die Cover der Heftromane 47 und 48 vermögen nicht zu überzeugen.
Dan Shocker präsentiert hier Fantasie vom Feinsten, die sich ihren eigenen Weg ebnet. Dabei verzichtet er auf Orks, Trolle und Elfen und lässt die gängigen Genre-Klischees außen vor.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Keller, Hagen – Ottonen, Die

Was bedeuten uns heute die Ottonen? Das könnte eine der vielen Fragestellungen sein, welche den geschichtsinteressierten Leser zu dem in der Beck’schen Reihe erschienenen Buch von Hagen Keller, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, führen könnten. Zudem ist dies die erste Frage, die sich auch Keller in diesem Buch stellt. Hierbei zeigt er auf, dass sich die Wahrnehmung der Ottonen, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Geschichtsforschung, merklich gewandelt hat. Während das Wissen über die sächsische Dynastie und um ihren Namensgeber Otto den Großen noch vor gut 50 Jahren zur Allgemeinbildung gehörte, sind die Ottonen heute in der allgemeinen Wahrnehmung eher in den Hintergrund getreten. Dies ist ein Phänomen, das man wohl damit begründen kann, dass die Ottonen vom 19. Jahrhundert an bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als nationaler Mythos, als das erste wirklich deutsche Königsgeschlecht gedeutet und proklamiert wurden.

Nachdem sich Keller also einleitend mit der Deutung und Bedeutung der Ottonen befasst, wendet er sich alsdann der Vorgeschichte der Ottonen zu. Dazu beschreibt Keller den Zerfall des einstigen fränkischen Großreiches und auch eine kurze Geschichte des Geschlechts der Liudolfinger, aus welchem wiederum letztlich die Ottonen hervorgingen. Auf diese Weise spannt Keller einen Bogen vom 9. bis ins 10. Jahrhundert, welches zunächst im Zentrum der Betrachtung steht. Keller konzentriert sich folglich auf die Ära Ottos des Großen, was in Anbetracht von dessen historischer Bedeutsamkeit absolut nahe liegend ist. Dabei befasst sich Keller auch mit Ottos Vater und Vorgänger Heinrich I. und vor allem auch mit seinem Sohn Otto II., welcher das ottonische Kaiserreich 973 übernahm. Auch die Lebensgeschichten und Regierungsjahre Ottos III. und Heinrichs II., mit dessen Tode 1024 der letzte Kaiser aus sächsischem Hause verstarb, werden von Keller überblicksartig und bewertend dargestellt. In seiner abschließenden Gesamtschau auf die ottonische Ära fasst er dann Tendenzen, Errungenschaften und Wirkungen des sächsischen Kaisergeschlechts zusammen.

Keller fügt sich mit diesem Buch nahtlos in die lange Reihe von Veröffentlichungen des |Beck|-Verlages ein, die man wohl als ideale Einstiegs- und Überblicksliteratur bezeichnen kann. Wer sich für die Ottonen oder das Hochmittelalter interessiert, der kann mit dem Erwerb dieses Buches nicht viel falsch machen. Es ist flüssig und verständlich geschrieben, zudem verfügt es im Anhang über eine knappe, aber sehr erlesene Auswahl an weiterführender Literatur.

http://lsw.beck.de/

Michael McCollum – Größere Unendlichkeit

Duncan MacElroy hat nicht gerade das Glückslos gezogen: Als einziger Student darf er in den Semesterferien das Wohnheim hüten, alle anderen sind verreist. Zu allem Überfluss findet gerade jetzt auch noch eine Science-Fiction-Convention statt und das Bier geht mitten im Streitgespräch der UFO-Beobachter aus.

Duncan wird kurzerhand zusammen mit der gänzlich unattraktiven Jane Dugway zum Bierholen geschickt!

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Ric Burns/James Sanders/Lisa Ades – New York. Die illustrierte Geschichte von 1609 bis heute

Mammutprojekt für eine Metropole

Es begann als zwölfstündige TV-Dokumentarfilmserie („New York. A Documentary Film“), die Ric Burns, Lisa Ades und der Architekt James Sanders 1999 realisierten. Jahre der vorbereitenden Planung waren dafür erforderlich, Schätze in Form bisher in dieser Breite nie ausgewerteter Archivalien wurden gehoben, gesichtet und präsentiert. Die Fülle des Stoffes schrie förmlich nach einem Begleitband, der New York auch nach der Ausstrahlung der Serie greifbar bleiben ließ.

Die Autoren stellten nicht einfach das Vorhandene zusammen, sondern erfanden das Rad quasi neu. Gemeinsam mit einem Stab kompetenter Berater, Wissenschaftler und Redakteure realisierten sie ein Buch, das sich zwar inhaltlich an der Fernsehvorlage orientiert, jedoch völlig unabhängig davon bestehen kann sowie Maßstäbe setzt: als „Buch zum Film“ und historische Darstellung gleichzeitig. Ric Burns/James Sanders/Lisa Ades – New York. Die illustrierte Geschichte von 1609 bis heute weiterlesen