Archiv der Kategorie: Kinder- und Jugendliteratur

Neil Gaiman – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

Wie gut, dass ich dem im Klappentext abgedruckten Rat von Lemony Snicket nicht gefolgt bin, sonst hätte ich eine wirklich schön schaurige Märchengeschichte verpasst. Lemony Snickets Rat sieht übrigens folgendermaßen aus: |“Wenn Sie nicht in Kürze zitternd vor Angst mit dem Daumen im Mund unter dem Bett kauern wollen, sollten Sie dieses Buch langsam und vorsichtig zurücklegen.“| Gleich vorab bemerkt, ich habe weder mit dem Daumen im Mund unter dem Bett gekauert, noch das Buch brav zurückgelegt. Und mit den Folgen meines wagemutigen Handelns kann ich auch durchaus gut leben. Also, alles gar nicht so schlimm, wie’s auf den ersten Blick erscheinen mag.

Neil Gaimans kleines Büchlein „Coraline“ dreht sich um die wundersamen Erlebnisse des kleinen Mädchens Coraline. Zusammen mit ihren Eltern ist sie in ein neues Haus umgezogen, in dem neben der jungen Familie noch ein verschrobener älterer Herr mit einem Mäusezirkus und zwei etwas beleibte, ehemals schauspielernde, ältere Damen wohnen. Es ist die Zeit der Sommerferien und während Coralines Eltern zu Hause ihrer Arbeit nachgehen, erkundet Coraline das Grundstück, bis ihr ein paar Regentage einen Strich durch die Rechnung machen.

Coraline erkundet also fortan die Wohnung und stößt dabei auf eine vermauerte Tür. Als die Mauer dann eines Nachts plötzlich verschwunden ist, schreitet Coraline hindurch und entdeckt eine Art Parallelwelt. Die Welt hinter der Tür sieht aus wie die Wohnung ihrer Eltern. Selbst Mama und Papa trifft sie dort an, auch wenn sie ein wenig verändert aussehen und statt Augen schwarze Knöpfe tragen. Die andere Mutter umgarnt sie und versucht sie zum Bleiben zu überreden. Coraline wird das alles mit der Zeit aber zu unheimlich und so kehrt sie in die richtige Welt zurück.

Als sie dort ankommt, muss sie feststellen, dass ihre richtigen Eltern verschwunden sind. Als sie zufällig in den Spiegel im Flur blickt, sieht sie dort ihre Eltern, gefangen hinter dem Spiegel, festgehalten von der anderen Mutter. Und so kehrt Coraline zurück in die Welt hinter der vermauerten Tür, um ihre Eltern zu finden. Eine äußerst schwierige Aufgabe steht ihr bevor, denn die andere Mutter will Coraline um jeden Preis für sich behalten. Sie ist hungrig nach Coralines Seele.

Schon der Untertitel des Buches („Gefangen hinter dem Spiegel“) offenbar eine sehr deutliche literarische Parallele. Mit der Figur der Coraline hat Neil Gaiman eine moderne Alice geschaffen. Die Parallelwelt hinter der vermauerten Tür ist Gaimans Pendant zu Lewis Carrolls Welt hinter dem Spiegel, durch den Alice steigt. Auch die dortige Welt scheint zunächst oberflächlich betrachtet mit der realen Welt identisch zu sein und Alice wird nach und nach mit den Unterschieden konfrontiert. Für Coraline ist die Situation ähnlich. Auch ihr erscheint die Welt hinter der Tür zunächst so wie die davor, doch schnell zeigt sich, dass sie nichts anderes als ein der Wirklichkeit nachempfundenes Trugbild ist.

Ähnlich neugierig und scheinbar furchtlos, wie Alice die Welt im Spiegelland erkundet, erforscht auch Coraline ihre neue Umgebung. Sie scheint sich kaum zu fürchten, Neugier und Forscherdrang siegen über die Angst. Ein wenig übermenschlich wirkt sie in ihrer Selbstsicherheit, was sicherlich in der eher oberflächlichen Figurenzeichnung und der Kürze der gerade einmal 175 Seiten langen Erzählung begründet liegt. Natürlich hätte eine etwas ausgefeiltere Skizzierung der Hauptfigur der Geschichte etwas mehr Tiefe verliehen. Würde Coraline etwas menschlicher erscheinen, wäre die Geschichte sicherlich noch einen Tick mitreißender und fesselnder, aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler.

Das eigentlich Faszinierende an Gaimans Roman ist die Welt, die er erschaffen hat. Die Welt, die Coraline hinter der vermauerten Tür entdeckt, ist ein Abbild der Realität, die als nichts anderes als eine Falle fungiert. Die andere Mutter hat es auf Coralines Seele abgesehen. Warum das so ist, wird nicht deutlich und ist eigentlich auch bedeutungslos, aber Coraline ist nicht das erste Kind, das in ihre Falle tappt. Als Coraline in der Parallelwelt gefangen ist, trifft sie auf die seelenlosen Überreste anderer Kinder. Mit der bösen Frau, die kleine Kinder entführt, greift Gaiman zu einem geradezu klassischen Märchenelement und fügt es überzeugend in seine Erzählung ein.

Als die andere Mutter merkt, dass ihr stetiges Umgarnen nicht gerade auf fruchtbaren Boden fällt und Coraline cleverer und misstrauischer ist als erwartet, nimmt auch die von der anderen Mutter erschaffene Welt immer dunklere Züge an. Gaiman inszeniert ein raffiniertes Spiel zwischen der falschen Mutter und Coraline und reichert das Ganze mit einer Prise Horrorelemente an. Da wäre der golemartige Mensch im Keller des Hauses, die küchenschabenessende andere Mutter, eine Wohnung voller fledermausartiger Hunde, die von der Decke hängen. Gaimans Inszenierung ist schon ausgesprochen phantasievoll ausgeschmückt, obwohl sie sich auf den eng begrenzten Raum des Hauses beschränkt, und macht gerade auch wegen dieser Elemente Spaß. „Coraline“ ist letztendlich eine Geschichte, die einen Märchenplot mit Gruselelementen verbindet, und genau das ist Gaiman mit seinem Roman sehr gut gelungen.

Ursprünglich erschien die deutsche Ausgabe von „Coraline“ 2003 im |Arena|-Verlag und wurde dort als Buch für Kinder ab zehn Jahren deklariert. Tatsächlich deutet schon Gaimans Schreibstil an, dass sich „Coraline“ durchaus auch an eine jüngere Leserschaft richtet, ohne sich dem erwachsenen Leser zu verschließen. Die Bildhaftigkeit von Gaimans Sprache dürfte sich auch von Kindern durchaus gut erfassen lassen, macht aber Erwachsenen ebenso Freude.

Ob das Buch aber wirklich unbedingt für Kinder empfehlenswert ist, ist eine Frage, die die Meinungen spalten dürfte. Für Zehnjährige, die Gruselgeschichten gewohnt und entsprechend hart im Nehmen sind, mag das Buch in Ordnung sein, aber für andere Kinder sei da eher zur Vorsicht geraten. „Coraline“ ist eben nicht ganz ohne und wer ein zartes Gemüt hat, der sollte vielleicht wirklich lieber den Rat von Lemony Snicket befolgen und das Buch langsam und vorsichtig wieder zurücklegen.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Coraline“ eine schöne kleine Portion Gruselmärchen für zwischendurch ist. Gaiman stellt einmal mehr sein Talent als phantasiebegabter Erzähler unter Beweis und liefert mit seinem Roman eine moderne Gruselvariante von Lewis Carolls Kinderbuchklassiker „Alice im Spiegelland“. „Coraline“ ist so angelegt, dass sowohl junges als auch älteres Lesepublikum Freude an dem Buch haben dürften. Dass die Figuren eher oberflächlich gezeichnet sind und die Geschichte dadurch vielleicht nicht so mitreißend ist, wie sie eventuell sein könnte, lässt sich in Anbetracht des Märchencharakters und der Kürze der Geschichte durchaus verzeihen.

Taschenbuch: 176 Seiten
Originalausgabe: Coraline, Harper Collins 2002
Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Krutz-Arnold

Anika Krüger – Charlotte & Pauline und die Erpresser

„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.
Ein Freund bleibt immer Freund – und wenn die ganze Welt zusammenfällt.
Drum sei auch nie betrübt, wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt.
Ein Freund, ein guter Freund, das ist der größte Schatz, den´s gibt.“

Dem Thema Freundschaft hat sich die Braunschweiger Autorin Anika Krüger angenommen, die mit „Charlotte & Pauline und die Erpresser“ ihr erstes Kinderbuch vorgelegt hat. Das Buch richtet sich an junge Leser ab neun Jahren, die sich auf einen kurzweiligen Kinderkrimi freuen dürfen.

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Gaiman, Neil – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel

Coraline, ein kleines Mädchen, zieht mit ihren Eltern in ein altes Haus, das nur zur Hälfte bewohnt ist. Die Tür, die auf die andere Seite des Hauses führt, ist zugemauert. Weil ihre Eltern ständig arbeiten, wird der kleinen Coraline langweilig und sie erkundet ihre Umgebung. Die anderen Bewohner des Hauses erweisen sich als liebenswürdig schrullig.

Im Erdgeschoss wohnen zwei ältere Schauspielerinnen und ihre Hunde, und unter dem Dach wohnt ein alter Herr, der erzählt, er trainiere einen Mäusezirkus. Als es dann am nächsten Tag regnet und Coraline nicht nach draußen kann, um ihre Erkundungstour zu beenden, widmet sie sich der zugemauerten Tür. Doch wie sich erweist, ist die Tür auf einmal gar nicht mehr zugemauert und die Neugier treibt die Kleine auf die andere Seite. Sie gelangt in eine Wohnung, die der ihren beinahe gleicht! Dort wohnt ihre „andere Mutter“, die anstelle richtiger Augen Knopfaugen hat. Die „andere Mutter“ umgarnt das Mädchen, indem sie ihr ihre Liebe und andere zuckersüße Sachen verspricht. Doch Coraline findet schnell heraus, dass es die „andere Mutter“ nur nach ihrer und der Seele ihrer Eltern dürstet.

Sie entscheidet sich zu kämpfen und der unheimlichen Gefahr die Stirn zu bieten. Ein ungleiches Ringen um die Seelen beginnt …

Gaiman hat es erneut geschafft, ein relativ kurzes Buch von 175 Seiten mit skurrilem Horror voll zu packen.

Die Hauptfigur Coraline ist ein sympathisches und ausgesprochen intelligentes Mädchen, wenn man bedenkt, dass sie wohl noch zur Grundschule geht. Unter diesen Voraussetzungen bereitet es Freude, das Mädchen bei seinem Weg in die andere Welt zu begleiten und zu sehen, wie es sich den Gefahren und Merkwürdigkeiten stellt und mit ihnen zurecht kommt.

Gaiman versteht es vorzüglich, den Leser zu fesseln und ihn in die Welt hinter dem Spiegel zu ziehen. Dieses Motiv, dass hinter der normalen Welt noch eine andere, merkwürdige und beängstigende Welt lauert, ist schon fast klassisch Gaiman. In allen seinen Romanen findet sich dieses Motiv wieder. Sowohl in „Niemalsland“, in „Sternenwanderer“ und bei „American Gods“ taucht das Motiv einer Welt hinter der Welt, für den normalen Menschen nicht sichtbar, auf.

Das Interessante daran ist, dass man als Leser nie weiß, woran man ist. Gaimans Ideen sind innerhalb des Romans so wandelbar, dass eine ganz eigene Dynamik entsteht, durch die er es immer wieder schafft, den Leser zu erschrecken, zu überraschen und zu verstören. Dieser Kontrast, der aus der merkwürdigen Welt und dem Zusammenspiel mit Coraline entsteht, macht den Horror besonders faszinierend.

Mir bleibt es ein Rätsel, wie Gaiman es schafft, in einen so kurzen Roman so viele Skurrilitäten zu packen, ohne dass der Leser die Bindung zur Thematik verliert. Aber irgendwie ergibt alles einen merkwürdigen Sinn innerhalb der Handlung. Auch das macht einen Teil des faszinierenden Horrors bei „Coraline“ aus. Einerseits wünschte ich, dieses Buch hätte sechshundert Seiten gehabt, andererseits liegt diesmal in der Kürze wirklich die Würze.

„Coraline“ ist perfekt dazu geeignet, sich an einem regnerischen Samstag auf die Couch zu legen, das Buch in einem Rutsch gebannt durchzulesen und es dann völlig verstört am Sonntag gleich noch einmal zu lesen. Also: Wer auf skurrilen Horror in feinster Märchenqualität steht oder denkt, ihn könnte nichts mehr erschrecken, trifft mit „Coraline“ die richtige Wahl.

Neil Gaiman, geboren 1960 in England, erlangte zuerst Bekanntheit durch seine Comic-Serie „Der Sandmann“, eher er auf das Schreiben von Romanen umsattelte. Neben einem Buch zusammen mit Terry Pratchett („Ein gutes Omen“), schrieb er eine Biographie über seinen Freund Douglas Adams („Keine Panik“), den Kultautor von „Per Anhalter durch die Galaxis“. Doch auch mit seinen eigenen Romanen wie „Niemalsland“, „Sternenwanderer“ und „American Gods“ wusste Gaiman die Leserschaft zu überzeugen.

Jordan, Sherryl – Jing-Wei und der letzte Drache

Justin ist ein einfacher Bauernbursch, der zuhause die Schweine hütet. Besonders zufrieden ist er nicht mit seinem Leben. Doch eines Tages kehrt er vom Nachbarort nach Hause zurück und findet das gesamte Dorf in Schutt und Asche vor! Zutiefst verzweifelt, will er am liebsten ebenfalls sterben. Stattdessen nimmt ihn der Anführer einer fahrenden Schaustellertruppe mit. Was Justin letztlich aus seiner Lethargie reißt, ist die Bekanntschaft mit Jing-Wei, einem Chinesenmädchen, das wegen seiner eingebundenen Füße von den Schaustellern als Missgeburt ausgestellt wird. Als der Sohn des Anführers sich an ihr zu vergreifen droht, fliehen die beiden und landen schließlich bei einer alten Frau, die nichts Geringeres von den beiden verlangt als den Drachen zu töten, der Justins Dorf niedergebrannt hat. Schon die Idee erscheint Justin absolut närrisch! Und trotzdem lässt er sich auf dieses Abenteuer ein.

Sherryl Jordan hat ein Buch geschrieben, das sowohl von historischen als auch Fantasy-Elementen geprägt ist. So hat sie die Geschichte nicht in einer erfundenen Welt sondern im England des Jahres 1356 angesiedelt, ihre Charaktere sind keine Magier oder Zauberinnen oder sonst in irgendeiner Weise besonders begabt. Im Gegenteil.

Justin, der Ich-Erzähler, ist ein einfacher Bauernbursche, der weder besonders klug noch besonders geschickt ist. Das Mädchen, für das er schwärmt, belächelt ihn lediglich. Dass er dem Inferno entkommen ist, das seine ganze Familie dahingerafft hat, ist purer Zufall. Und nach der Rolle des Helden drängt es ihn absolut nicht, vielmehr würde er es vorziehen, schleunigst das Weite zu suchen. Er hat entsetzliche Angst vor dem Drachen und gibt das auch ganz freimütig zu. Dass er im Grunde nicht wirklich ein Feigling ist und auch sonst durchaus einige Qualitäten besitzt wie Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft, das ist ihm vor lauter Bescheidenheit noch gar nicht aufgefallen. Justin ist auf eine stille, unaufdringliche Weise Held, ohne strahlende Rüstung und dergleichen.

Auch Jing-Wei ist eigentlich keine Wundertäterin oder etwas in der Art. Ihr Tun wirkt nur so wunderbar auf Justin, weil es ihm so fremd ist. Fast alles von dem Wissen, das Jing-Wei im Kampf gegen den Drachen nutzt, ist im damaligen England noch völlig unbekannt. Justin hat keine Ahnung, wie Schießpulver funktioniert, und noch nie im Leben einen Seidendrachen gesehen. Folglich kommt ihm das alles unglaublich fantastisch vor. Insofern bildet Jing-Wei sozusagen das Bindeglied zwischen Justins „normaler“ Welt und dem phantastischen Wesen des Drachen.

Bemerkenswert an Jordans Buch ist allerdings, dass der Drache kein Ungeheuer ist. In der chinesischen Kultur sind Drachen Schutzwesen, folglich ist für Jing-Wei als Chinesin ein Drache etwas Gutes und Schönes. Diese Ansicht findet Justin außerordentlich verwirrend, er kann sie nicht mit dem Anblick der verkohlten Dörfer in Einklang bringen. Doch schon, als er den Drachen zum ersten Mal aus der Nähe beobachtet, wird deutlich, dass Justin mit sich selbst nicht ganz einig ist. Die ungeheure Schönheit des Drachen hat ihn beeindruckt, und obwohl er immer noch entsetzliche Angst hat, wird aus der Vorstellung vom Ungeheuer allmählich die Erkenntnis, dass der Drache im Grunde nichts weiter ist als ein Tier. Zwar ein besonderes Tier, das Feuer speien kann, das aber weder bösartig noch hinterlistig ist. Eigentlich ist es fast schade und eine Verschwendung, es zu töten, da der Drache jedoch Menschen gefressen hat, kann er nicht am Leben bleiben.

Genauso außergewöhnlich wie die Darstellung des Drachen ist es, dass die Autorin ganz ohne Bösewicht auskommt. Vielmehr sind die Beteiligten alle Kinder ihrer Zeit, die geprägt war von Unwissenheit und Aberglaube. Tybalt, der Anführer der Schausteller, ist nicht wirklich grausam in dem Sinne, dass es ihm Spaß macht, Jing-Wei zu quälen. Eine Exotin ausstellen zu können, ist einfach eine Möglichkeit des Geldverdienens. Immerhin versucht er gleichzeitig, auf rauhe und unbeholfene Art Justin aus seinem Kummer und seiner Lethargie herauszuholen. Sein Sohn Richard ist ein Traumtänzer und sehr mit sich selbst beschäftig, Jing-Weis Schicksal lässt ihn einfach kalt, genau wie das des Bären. Aufmerksam wird er erst, als das Mädchen sich mit Justin anfreundet. Seine Reaktion ist typisch für jemanden, der es nicht verträgt, wenn andere ihm vorgezogen werden.

Die Reaktion der Leute angesichts des Mädchens sind eine Folge dessen, auf welche Weise sie angepriesen wird. Eine Missgeburt oder ein Gruselmonster aus sicherer Entfernung bestaunen zu können, ist so, wie heutzutage vom bequemen Fernsehsessel aus einen Horrorfilm anzusehen. Für die Gaffer waren diese armen Geschöpfe einfach keine Menschen und deshalb nicht bemitleidenswert. Diese Einschätzung zu revidieren, war für die meisten einfach nicht möglich, zu stark waren Aberglauben und Angst vor Teufeln und Dämonen in den Menschen verankert. Kein Wunder also, dass niemand Justin und Jing-Wei helfen will.

Ohne Hilfe von außen andererseits ist der Drache nicht zu bezwingen, denn Justin ist kein Kämpfer, und ohnehin ist selbst das keine Garantie für einen Erfolg. Da die Hilfe aus genannten Gründen nicht von Einheimischen kommen kann, begegnen Justin und Jing-Wei einer alten Chinesin. Wie diese Frau nach England kam, wird nicht erzählt, was wahrscheinlich auch besser ist, denn schon Jing-Weis Weg nach England kam mir ein wenig erstaunlich vor angesichts der Tatsache, dass China sich jahrhundertelang völlig von der Außenwelt abgeriegelt hat, und selbst in offenen Zeiten niemals weiter als bis nach Arabien gesegelt ist! Andererseits handelt es sich hier um ein Jugendbuch, und ich denke, jugendlichen Lesern dürfte dieser Schnitzer wohl kaum auffallen, also sei darüber hinweggesehen.

Von der alten Lan erhalten die beiden die Informationen und Hilfsmittel, die sie für den Kampf gegen den Drachen brauchen, außerdem lernt Jing-Wei durch sie wieder gehen. Das Verhalten der Leute der alten Lan gegenüber wirft erneut einen deutlichen Blick auf Aberglaube und Vorurteile der damaligen Zeit.

Sherryl Jordan schreibt flüssig und in kurzen, schlichten Sätzen. Auf einfache Weise bringt sie Justins Gefühle, vor allem seine Ängste, zum Ausdruck. Die Einleitungen der Kapitel sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da sie außerhalb der Erzählung liegen, enthalten aber gelegentlich auch kleine Nettigkeiten zum Schmunzeln und geben gegen Ende auch einen kleinen Ausblick darauf, wie es mit Justin und Jing-Wei weitergeht, etwas, was der Leser natürlich schon noch wissen will, ehe er das Buch zuklappt.

Mit seinen gut zweihundert Seiten ist das Buch schnell gelesen. Es ist eine nette Geschichte, durchaus nicht seicht, aber einfach gestrickt und von der Masse her gerade mal ein Happen für zwischendurch. Für Jugendliche ab zwölf Jahren stellt es mit Sicherheit eine interessante und spannende Lektüre dar, Erwachsene dagegen dürfte es mit seiner einspurigen Handlung und dem schlichten Aufbau nicht unbedingt reizen.

|Patmos| hat für das Buch ein ansprechendes Cover gestaltet, auch die Karte im Buchdeckel war nett gemacht, wenn auch nicht notwendig. Die Bindung des Buches ist allerdings nicht so toll; obwohl ich Bücher niemals ganz aufschlage, konnte ich die Klebepunkte der einzelnen Seiten sehen. Ob das lang hält …? Das Lektorat war dafür fehlerfrei.

_Sherryl Jordan_ lebt in Neuseeland und hat bereits eine ganze Anzahl Jugendbücher geschrieben, von denen auch einige ausgezeichnet, aber nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. Erschienen sind bei uns unter anderem „Tanith, die Wolfsfrau“, „Der Meister der Zitadelle“ und „Flüsternde Hände“.

http://www.patmos.de

Paolini, Christopher – Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter

Schon im Alter von nur 15 Jahren schrieb Christopher Paolini seinen ersten Roman, nämlich „Eragon“, der zunächst im Verlag seiner Eltern veröffentlicht wurde. Erst eine lange Tour mit Buchlesungen und Signierstunden machte das Buch allgemein bekannt. Inzwischen ist der Autor, der laut Verlagsangaben nie eine öffentliche Schule besuchte, 21 Jahre jung und schreibt in Montana an seinem zweiten Roman, der im Herbst bei uns auf den Markt kommen und die Geschichte um Eragon und Saphira fortsetzen wird.

_Ein Drachenreiter wird geboren_

Bei einem Streifzug durch den gefürchteten Buckel kann der 15-jährige Eragon zwar keine Beute erlegen, die seine Familie als Nahrung dringend benötigt hätte, doch entdeckt er einen großen blauen Stein, dessen Oberfläche vollkommen eben ist. Eragon hofft, den wundersamen Stein in Carvahall gegen Fleisch eintauschen zu können, aber als der Fleischer erfährt, wo der junge Mann den Stein gefunden hat, will er ihn nicht annehmen. Somit ist Eragon auf ein Almosen angewiesen, damit seine Familie überhaupt Nahrung bekommt.

Als aus dem Ei plötzlich ein kleiner blauer Drache schlüpft, wird Eragons Plan, den Stein zu verkaufen, hinfällig. Drachen gehören in Carvahall allerdings nicht zum üblichen Stadtbild, sodass Eragon den Drachen mühsam verstecken muss. In der Stadt lauscht er dem Geschichtenerzähler Brom, der sich offensichtlich mit Drachen auskennt. Ihn fragt er zu dem Thema aus, um nebenbei einen passenden Namen für seinen neuen Freund zu finden. Eragons Drache aber ist eigen, denn kein Name scheint ihm zu gefallen, erst als Eragon auffällt, dass es sich um eine Drachendame handeln muss und ihm der schöne Name Saphira in den Sinn kommt, ist diese zufrieden. Fortan freunden die beiden sich immer besser miteinander an. Kommunizieren können sie dabei ganz einfach durch ihre Gedanken, wenn sie nicht zu weit voneinander entfernt sind.

Aber bald droht Gefahr, denn böse Wesen, die Ra’zac, erkundigen sich in Carvahall nach dem blauen Stein. Leider verraten einige geschwätzige Menschen den Ra’zac, wer den Stein gefunden hat, sodass ihre Spur zur Hütte von Eragons Onkel Garrow führt. Weil sie dort das Drachenei nicht finden können, brennen sie das Haus nieder und ermorden Eragons Onkel. Dieser kann sich gerade noch vor den Ra’zac retten, indem er Carvahall verlässt. Ihm zur Seite stehen Saphira und Brom, der den jungen Mann nicht alleine ziehen lassen will und der Eragon später in der Magie der Drachenreiter unterweist. Zunächst wollen die Drei Rache an den Ra’zac verüben, doch verändern sich auf der gefahrvollen Verfolgungsjagd ihre Pläne, da sie merken, dass der böse König Galbatorix Jagd auf den neuen Drachenreiter macht. Dunkle Mächte haben sich zusammengeschlossen, um die Herrschaft an sich zu reißen …

_Träume nicht dein Leben …_

… sondern schreibe deinen Traum auf. Christopher Paolini hat dieses Buch im Alter von nur 15 Jahren geschrieben und an zahlreichen Stellen vermutet man als Leser, dass er allerlei eigene Kindheitsträume mit in die Geschichte eingebaut hat, denn der Drache Saphira wird in so prächtigen Farben geschildert, dass Paolini viel Mühe darauf verwendet haben muss, diese Figur zu erschaffen. Die Abenteuer um den gerade 15-jährigen Eragon offenbaren eine lebhafte Phantasie des Autors, aber vielleicht auch den Hang zum Träumen und dazu, diese Träume zu Papier zu bringen. Die Beschreibungen der Szenerie und der handelnden Figuren sind größtenteils so detailreich, dass Paolini ein lebhaftes Bild seiner Romanhandlung vor Augen gehabt haben muss, damit er es uns in so schillernden Farben beschreiben kann. Beachtlich finde ich sein durchblitzendes Talent, denn auch wenn er sich natürlich nicht mit dem großen Literaturprofessor J. R. R. Tolkien messen kann – was besonders an der einen Stelle deutlich wird, als Paolini uns ein Gedicht präsentiert – so wird doch deutlich, dass viel Potenzial ihn ihm steckt. Nur an manchen Stellen erscheint uns seine Sprache ein wenig unausgereift, größtenteils erstaunt er aber durch seine treffenden Formulierungen und liebevollen Szeneriebeschreibungen.

S. 405: |“Eine riesige Dünenlandschaft erstreckte sich bis zum Horizont wie ein wogendes Meer. Windböen wirbelten den rötlich goldenen Sand auf. Knorrige Bäume wuchsen auf vereinzelten Inseln mit festem Untergrund – ein Boden, den jeder Bauer als unfruchtbar bezeichnet hätte. In der Ferne ragten mehrere purpurrote Felsklippen zum Himmel empor. Bis auf einen Vogel, der auf den Südwestwinden dahinglitt, war in der allumfassenden Einöde kein einziges Lebewesen zu sehen.“|

Derlei ausführliche und fast schon poetische Darstellungen der Situation finden sich an vielen Stellen des Buches; Paolini versucht immer wieder, seinem Leser genau zu erklären, wo die Protagonisten sich momentan befinden und wodurch die Landschaft sich auszeichnet. Gerade in einem Buch, in welchem man sich in einer Phantasiewelt bewegt, finde ich solche Beschreibungen äußerst wichtig, denn sie erst sorgen für den gewissen Reiz, den Fantasy mit sich bringt. Ich möchte beim Lesen vollständig in die fremde Welt eintauchen, und genau das gelingt bei „Eragon“, weil uns der Autor an die Hand nimmt und in seine Romanwelt entführt. Dies ist es auch, was den Leser über die gesamte Länge des Buches bei Laune hält, denn Spannung wird nur wenig aufgebaut, aber die Welt, die Paolini uns zeigt, ist so faszinierend und interessant, dass man einfach weiterlesen muss.

Trotz der stimmungsvollen Bilder schafft Paolini es leider nicht, seiner Handlung die nötige Spannung zu verleihen, denn obwohl Eragons Reise sehr gefährlich ist, kommt keine düstere und bedrohliche Atmosphäre auf, wie beispielsweise in Tolkiens „Herr der Ringe“, als die neun Gefährten in Richtung Mordor aufbrechen. Das führt beim Leser auch ein wenig zu einer gleichgültigen Haltung, weil man sich sicher ist, dass alles gut ausgeht.

_Drachendamen haben ihren Stolz_

Auf etwa 600 Seiten entfaltet Christopher Paolini eine farbenfrohe und fantastische Welt, in der der junge Eragon zusammen mit seiner stolzen Drachendame und dem alten Brom viele Gefahren zu überstehen hat. Während der langen Reise lernen wir die drei Hauptprotagonisten in ganz unterschiedlichen Situationen und aus verschiedenen Blickwinkeln kennen. Ganz nebenbei setzt sich dadurch ein detailliertes Bild der handelnden Figuren zusammen. Im Mittelpunkt stehen selbstverständlich Eragon und Saphira, die ganz eng zusammengehören, da Saphira Eragon bewusst als neuen Drachenreiter auserwählt hat. Eragon macht dadurch im Laufe der Geschichte eine unglaubliche Entwicklung durch. Zu Beginn des Buches treffen wir ihn noch als rastlosen kleinen Jungen, der sich zwar unbeschadet durch den sagenumwobenen Buckel bewegen kann, der aber ansonsten ein ganz normaler Junge zu sein scheint. Doch dann fällt ihm das blaue Drachenei in die Hände und Saphira kennzeichnet Eragon mit dem silbernen Drachenmal Gedwey Ignasia. Von nun an muss Eragon viele Gefahren bestehen und wichtige Dinge lernen. Er probiert die ersten magischen Sprüche aus und übernimmt sich dabei sehr schnell, außerdem tritt er im Schwertkampf gegen Brom an. Seine Kindheit findet also ein abruptes Ende, bricht aber später immer wieder durch. So erwachsen, wie Eragon in vielen Situationen gezwungenermaßen agieren muss, so kindlich wirkt er besonders in seinen Gesprächen mit Saphira, in denen er oftmals ihren Rat sucht, weil er selbst Unsicherheit verspürt. Gerade durch diese Sorgen, die ihn plagen, wird er zu einem jugendlichen Helden mit Ecken und Kanten und gewinnt wieder an Glaubwürdigkeit, die er leider auch ein wenig einbüßen muss, wenn es ihm gelingt, in einigen wenigen Tagen das Lesen zu erlernen.

Sehr gut gefällt auch die Vorstellung Saphiras als edle und stolze Drachendame, die sich lediglich per Gedankenaustausch mit Eragon unterhalten kann. Sie ist der starke Drache, der sich bei drohender Gefahr immer wieder ins Getümmel stürzt, um Eragon zu helfen. Oft genug geigt sie ihm aber auch deutlich ihre Meinung, wenn er wieder einmal unüberlegt gehandelt hat. So erscheint uns Saphira als mächtiges und auch intelligentes Wesen, das seine Kraft mit jener Eragons verschmelzen kann, um die Macht gemeinsam zu vergrößern. Die beiden bilden eine Einheit und ergänzen sich dabei hervorragend, da der eine Stärken zeigt, wo der andere Schwächen aufweist. Mit Eragon und Saphira präsentiert uns Paolini wirklich zwei überaus sympathische Figuren, die besonders jugendliche Leser begeistern dürften, da diese sich in Eragons Alltagssorgen im Erwachsenwerden gut einfühlen können.

An dritter Stelle ist der alte Brom zu nennen, hinter dem mehr steckt als nur der Geschichtenerzähler. Seine Weisheit ist es, die Eragon aus einigen Schwierigkeiten retten kann und die er seinem jungen Schüler gern weitergeben möchte. Mit seinem Unterricht formt er Eragon zu einem Drachenreiter, der mächtige Magie einzusetzen weiß. Auch Brom überzeugt in seiner Darstellung sehr gut.

_Fremde Anleihen_

Vergleiche mit anderen bekannten Werken der Literatur zaubern einige Ähnlichkeiten hervor, die dem Leser schnell ins Auge springen dürften. Besonders zwei Werke sind es, die hier offensichtlich Pate für einige Ideen gestanden haben. Eines der beiden Werke ist „Star Wars“, denn gerade die Unterrichtsstunden zwischen Eragon und Brom erinnern an den Unterricht, den Yoda Luke Skywalker erteilt hat. Auch Eragon lernt es, mit seinen Gedanken Gegenstände zu bewegen und scheitert an einem Stein, während sein weiser Lehrer mächtigere Dinge zu vollbringen weiß. Auch das Zitat „Mögen eure Klingen scharf bleiben“, welches Paolini verwendet, erinnert an den berühmten Ausspruch aus Star Wars „Möge die Macht mit euch sein“. Darüber hinaus sind weitere Wortanleihen zu erkennen, denn im Zentrum von „Eragon“ steht ebenfalls ein Kampf gegen das Imperium, in dessen Mitte sich Eragon unverhofft wiederfindet und dabei eine ganz entscheidende Rolle zu spielen hat.

Auch aus dem „Herr der Ringe“ scheint Paolini sich einige Ideen abgeschaut zu haben. Vor allem die Namensähnlichkeit zwischen den Monstern aus „Eragon“, den Urgals, und den Orks bzw. Uruk-Hais aus Tolkiens Trilogie fallen auf. So tauchen in „Eragon“ im Übrigen auch übermannsgroße Urgals auf, die ohne Rast tagsüber wie nachts die Verfolgung ihrer Gegner aufnehmen können und erinnern wiederum an die Uruk-Hai. Die Ra’zac übernehmen in „Eragon“ die Rolle der Nazgul, die ausgeschickt werden, um in diesem Fall den Drachen ausfindig zu machen und dabei Schrecken über Land und Leute verbreiten.

Vielleicht muss man Christopher Paolini diese Anleihen aber auch nachsehen, da sich im Grunde genommen jedes Fantasybuch am „Herr der Ringe“ messen muss und unweigerlich immer damit verglichen wird. Erfreulicherweise baut der Autor genug eigene Elemente ein, sodass „Eragon“ überaus lesenswert wird und sich schließlich deutlich von den beiden oben genannten Büchern abzugrenzen versteht.

_Unterm Strich_

„Eragon“ ist ein gelungenes Debütwerk eines noch sehr jungen Autors, der sicherlich noch weitere Bücher veröffentlichen wird, die von den Erlebnissen und Taten des jungen Drachenreiters berichten werden. Besonders die gelungenen Szeneriebeschreibungen und Figurenzeichnungen tragen zur Unterhaltung bei und sorgen dafür, dass der Leser vollkommen in dieser fremden Welt versinken kann. Hier offenbart Paolini ein großes Talent, das er hoffentlich in den kommenden Jahren noch ausbauen wird. Dann wird er sich vielleicht nicht mehr von anderen Werken inspirieren lassen müssen und vielleicht überrascht er uns dann auch mit gelungeneren Gedichten in seinen Romanen; in dieser Hinsicht bleibt durchaus noch genug Spielraum für eine Weiterentwicklung.

Kleine Unstimmigkeiten trüben ein wenig den Lesegenuss. So erscheint mir der Zeitverlauf nicht vollkommen klar, denn wenn man Eragons Weg auf der gezeichneten Karte im Buch verfolgt, so bemerkt man, dass sein Reisetempo sehr stark variieren muss, für manche Streckenabschnitte braucht er nämlich so gut wie gar keine Zeit, für andere umso länger. Auch dürfte Eragon unter Wasser nicht wirklich meterweit schauen können, da das Wasser für eine starke Fehlsichtigkeit sorgt und dies verhindern müsste. Ebenso würde ich heftige Anzeichen von Höhenkrankheit erwarten, wenn Eragon mit Saphira so weit in die Lüfte aufsteigt, dass er aufgrund von Sauerstoffmangel ohnmächtig wird, aber in einem Fantasybuch mag das vielleicht alles möglich sein.

Insgesamt bleibt ein positiver Gesamteindruck zurück, das Buch war leicht und flüssig zu lesen, unterhielt äußerst gut und animiert durchaus dazu, den zweiten Teil von „Eragon“, der im Herbst erscheinen wird, ebenfalls zu lesen, schließlich wollen wir doch wissen, wie Eragons Abenteuer im Kampf gegen Galbatorix weitergehen.

Näheres zum Buch unter http://www.eragon.de.

[Buchwurm.info-Rezension zu „Eragon – Der Auftrag des Ältesten“ 1975

Andreas Eschbach – Die seltene Gabe

Als Science-Fiction-Leser kommt man ja kaum an paranormal begabten Wesen vorbei, seien sie nun als „positive Mutanten“ oder als natürlich begabt beschrieben. Oft trifft man auch auf Außerirdische, die mit Gedankenkraft Dinge bewegen oder Gedanken lesen können. Prominentes und aktuelles Beispiel sind die Yedi und Sith der Star-Wars-Saga, wobei hier diese Fähigkeiten seit Episode I leider etwas entmystifiziert wurden.

In „Die seltene Gabe“ nimmt sich Andreas Eschbach dieses Themas an, indem ein junges Mädchen der heutigen Zeit eine Erfahrung der besonderen Art macht: Sie trifft im urlaubsleeren Haus ihrer Eltern auf einen jugendlichen Einbrecher, der scheinbar von der ganzen Polizei der Stadt gesucht wird. Und dabei ist er ganz normal – bis auf seine unglaubliche Fähigkeit. Er bezeichnet sich als Telekinet, der parawissenschaftliche Ausdruck für jemanden, der Materie kraft seines Willens bewegen kann. Und er ist auf der Flucht vor französischen Militärwissenschaftlern, die ihre Forschungen an ihm betreiben wollen. Ein Fluchtweg bietet sich: Mit Marie als Geisel und mit verändertem Aussehen geht es an den Streifen vorbei, die bisher nach nur einer Person fahnden. Aber um die Ecke steht ein alter Bekannter: ein Telepath, der die Polizei mit seiner Gedankenleserkraft unterstützt!

Informationen zu Andreas Eschbach finden sich auf seiner Seite http://www.andreaseschbach.de/

Man wird langsam an die Probleme, die diese Andersartigkeit hervorruft, herangeführt; Eschbach versucht nicht, in einem kompakten Abschnitt alles zu erklären. So versteht mit uns als Leser auch die Ich-Erzählerin Marie erst durch ihre Erlebnisse, was den Jungen Armand eigentlich zum Außenseiter macht und wie er damit klarkommt. Gleichzeitig hegt das Mädchen geheime Sympathien für ihn, die durch „ihre“ Erzählung auf den Leser übertragen werden – Eschbach bearbeitet so eine Seite des Themas „Xenophobie“, ohne dass die Botschaft, tiefgründig zu verstehen und nicht vorschnell zu urteilen, plakativ ins Bewusstsein gedrängt wird. Vordergründig erzählt er eine spannende Geschichte, eine Verfolgungsjagd aus der Sicht der jugendlichen Verfolgten und von den zwischenmenschlichen Spannungen, die sich aufbauen, eskalieren – und schließlich zusammenschweißen.

Der Erzählton ist sehr überzeugend, hier erzählt eine etwa Siebenzehnjährige von einem unglaublichen Erlebnis, aber die potenziellen Leser sind schon etwas älter als diejenigen des „Marsprojekts“. Die dortigen wirklich sehr leichten Andeutungen zwischengeschlechtlicher Beziehungen beispielsweise beschränken sich auf Begebenheiten wie das Treffen Gleichaltriger; im vorliegenden Roman wird Eschbach schon konkreter, ohne ins Detail zu gehen. Im Endeffekt wird der Leser auch im Unklaren gelassen, ob die beiden nun „was hatten“ oder nicht. Mit Maries Worten: Das geht uns überhaupt nichts an!

Bei einer Verfolgungsjagd darf natürlich nicht nur die Polizei mitspielen, sondern entsprechend der Wichtigkeit und bisherigen Geheimhaltung der „seltenen Gabe“ ziehen die Geheimdienste in Wirklichkeit die Fäden. Erstaunlich ist, dass Marie im Gegensatz zu gängigen Klischees nicht bei Strafandrohung verboten wird, von ihren Erlebnissen zu erzählen, im Gegenteil: Der deutsche Agent meint dazu nur, dass ihr niemand glauben wird. Würde ihr jemand glauben, in unserer beweissüchtigen Gesellschaft? Sicherlich gäbe es ein paar Astrologen und derartige Gruppen, die sich durch so einen Bericht bestätigt sehen würden. Aber Eschbach hat Recht, wenn er behauptet, man würde es als Fantasie abtun oder als Kunststück à la David Copperfield bewundern. Schade, dass nicht mehr Raum bleibt für unbekannte Phänomene.

Zum Schluss

… bleibt noch das Fazit: Ich würde das Buch sogar für den Deutschunterricht vorschlagen, denn Eschbach ist ein Phänomen der heutigen Unterhaltungsliteratur und diese Erzählung bietet zugleich spannende Unterhaltung und Ansatzpunkte für gesellschaftskritische Diskussionen. Aber bezüglich Deutschunterricht habe ich nichts zu sagen, also lege ich das Buch einfach jedem als Lektüre ans Herz.

Andreas Eschbach – Die blauen Türme (Das Marsprojekt 2)

Mit dem superneuen Raumschiff, der BUZZ ALDRIN, kommt Urs Pigrato, der Sohn des unbeliebten Statthalters der Marskolonie, zum Mars. Und ihm zeigt natürlich keiner, wie man die Verschlüsse eines Raumanzugs richtig bedient. Das ist im Weltraum immerhin eine Selbstverständlichkeit, die man im Schlaf beherrschen muss.

Urs erwartet, von den Marskindern gut aufgenommen zu werden, aber Carl hat einen Plan ausgeheckt, wie man den Fremden wieder loswird: Einfach ignorieren! So entsteht zwischen den vier Einheimischen und Urs eine unterkühlte Atmosphäre.

Den Kindern ist momentan der Aufenthalt bei den blauen Türmen verboten, denn viele Wissenschaftler sind nun dort stationiert und versuchen, sie zu erforschen. So müssen sich die Kinder im Alltag der Station langweilen. Dort passiert auch umgehend ein Zwischenfall: Der Reaktortechniker, der an Diabetes leidet, fällt auf einem Ausflug mit dem Rover ins Koma (wegen Unterzucker). Gleichzeitig wird von einem Saboteur die Kom-Anlage zerstört, so dass niemand in der Siedlung um Hilfe gerufen werden kann. Nur Urs, der bei dem Techniker ist, findet eine uralte Notrufeinrichtung, die noch funktioniert, und kann so das Schlimmste verhindern. Jetzt kommen sich die Jugendlichen doch näher, und ihre gemeinsame Frage lautet: Wer sabotiert auf dem Mars und nimmt dabei sogar Tote in Kauf? Keiner der Einheimischen, so viel ist sicher …

Andreas Eschbach lebt mittlerweile in der Bretagne in Frankreich (im Urlaub, wie er es nennt) und schreibt dort an verschiedenen Projekten. Noch 2005 soll ein weiterer Roman zur Perry Rhodan-Serie erscheinen, außerdem ist ein Roman in Arbeit, der mal wieder ganz anders als alle anderen werden soll. Da kann man ja mal gespannt sein. „Das Marsprojekt – Die blauen Türme“ ist der zweite Band seiner Jugendbuchreihe bei Arena.

Im vorliegenden Roman entwickelt Eschbach eine Kriminalgeschichte und versteht es entsprechend, selbst erwachsene Leser aufs Glatteis zu führen – auch wenn man im Nachhinein über seine eigene Leichtgläubigkeit lächeln kann. Eschbach entwirft zwei neue Charaktere, den neuen Sicherheitschef der Kolonie und einen dubiosen Journalisten. Einer von beiden scheint der Saboteur zu sein, man meint sogar, Eschbachs Verschleierungstaktik durchschaut zu haben, doch am Ende wird man überrascht. Toll gemacht und wieder sehr spannend zu lesen.

Im ersten Band spielte die Künstliche Intelligenz AI-20 noch eine zentrale Rolle. Das nimmt Eschbach jetzt etwas zurück und stellt die Charaktere in den Vordergrund, vor allem den „Neuen“ Urs Pigrato und seinen Vater Tom Pigrato, der auf einmal gar nicht so mies zu sein scheint, denn durch die Ansicht über den Sohn erhält er neue Facetten.

Bei den Marskindern bleibt die Entwicklung auch nicht stehen. Ariana, die offensichtlich voll in der Pubertät steckt, sehnt sich nach anderen Gleichaltrigen und plant deshalb die Rückkehr zur Erde. Bei näherem Nachdenken stellt sie aber fest, dass sie ihre Freunde Carl, Elinn und Ronny gar nicht verlassen will. Da bietet sich doch der fünfzehnjährige Urs als Trainingsobjekt an, denn irgendwie wird ihr immer ziemlich mulmig im Bauch, wenn sie ihm begegnet.

Eschbach geht einen Schritt weiter in Richtung „außerirdische Lebensformen“ und hebt die Decke über Elinns Geheimnis ein wenig: Das Leuchten und die Artefakte, die sogar laut Molekularanalyse natürlichen Ursprungs sind, werden zum festen Bestandteil im Leben der Marskinder (zu denen jetzt auch Urs gehört). Wahrscheinlich erwarten uns in diesem Bereich noch einige Überraschungen in den nächsten Bänden, denn die Gefahr der Sabotage konnte fürs Erste gebannt werden, aber die Türme hüten ihre Geheimnisse gut. Da muss unsere Hoffnung auf den Kindern liegen, und Urs spielt dabei keine unwesentliche Rolle! Es macht ihn gleich sympathisch, dass er sich gegen die Spionageversuche seines Vaters sträubt.

Mit dem Marsprojekt entwickelt Eschbach eine spannende, einfach und flüssig zu lesende Geschichte um unseren sagenumwobenen Nachbarplaneten, die sicherlich noch einiges zu bieten hat. Es lohnt sich, das Projekt zu verfolgen, und die Bücher bieten Jugendlichen einen schönen Einstieg in die Geheimnisse unserer Zukunft. Ich warte gespannt auf den nächsten Band.

gebunden, 304 Seiten
Originalausgabe

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Nevis, Ben – Die drei ???: Poisoned E-Mail (Engl. Ausg.)

Die altbekannte Jugendserie macht sich auf zu neuen Ufern. Schon komisch; nicht nur, dass die Gestaltung der Bücher seit Anfang 2005 ohne Konterfei und Namen des mit ihnen assoziierten Gönners Alfred Hitchcock auskommen muss, da die Lizenz ausgelaufen ist. Das eigentlich viel Bemerkenswertere ist vielmehr, dass die Serie nun zum Teil ins Englische übersetzt wird. Früher war es ja genau umgekehrt, doch seit geraumer Zeit führen ausschließlich deutschsprachige Autoren die Geschichten weiter, was am anhaltenden und ungebrochenen Beliebtheitsgrad der drei Detektive hierzulande liegt, während sie in ihrem Ursprungsland wohl schon lange wieder verschwunden sind. Der Grund für die Übertragung ins Englische liegt aber weniger darin, den dortigen Markt zurückzuerobern, sondern vielmehr soll damit den deutschen Jugendlichen ein besseres englisches Sprachgefühl vermittelt werden.

Amerikanisches Englisch, um es präzise zu formulieren. Inklusive einer „Vokabelhilfe“. Anfang April 2005 sind zwei Fälle der drei Junior-Schnüffler in angloamerikanischer Fassung bei FRANCKH-KOSMOS als Hardcover erschienen: „Das Hexen-Handy“ und „Gift per E-Mail“. Deutlich zu erkennen an der „Stars and Stripes“ Flagge auf Buchrücken und Frontcover, nebst dem Hinweis „American English“. Ob noch weitere Geschichten diesen Weg (und vielleicht in andere Sprachen) gehen werden, war bislang nicht zu ermitteln, dies ist aber zu erwarten, wenn das Konzept sich (durch entsprechende Verkaufszahlen gestützt) als erfolgreich erweist. Die beiden Fälle dürfen somit vorerst als Versuchsballons dafür angesehen werden, ob diese Idee auch bei den Lesern ankommt und gewürdigt wird.

_Zur Story_

Meg Baker ist passionierte Taucherin und insbesondere Wracks haben es ihr angetan. Erst kürzlich ist ein kleiner Kutter bei einem Unwetter in den seichten Gewässern vor Rocky Beach abgesoffen. Als sie zusammen mit einer Bekannten einen Tauchgang dorthin unternimmt und versucht, durch ein Leck ins Innere zu gelangen, hat sie eine äußerst unangenehme Begegnung mit einer Riesengruppe ziemlich giftiger Quallen. Eine renitente Spezies mit potenten Nesselkapseln – blöderweise reagiert sie auch noch allergisch auf die Viecher. Ihre Tauchpartnerin kann sie bergen und bewusstlos ans Ufer schaffen. Verständlich, dass Mrs Baker auf die schwabbeligen Tierchen fürderhin nicht gut zu sprechen ist. Das für sich genommen, kann man als unglücklichen aber halbwegs normalen Tauchunfall apostrophieren. Wo ist nun der Fall für die drei Detektive?

Erstens gehören diese Quallen nicht in das Innere eines Wracks und schon gar nicht in dieser Konzentration. Zudem hat Mrs Baker kurz nach dem Zwischenfall eine wenig erbauliche E-Mail erhalten, in deren Anhang sich ein niedlicher, aber nickeliger Virus befindet. Der Payload des elektronischen Plagegeists äußert sich als Ansammlung von virtuellen Quallen, welche sich überall im System bis Oberkante Unterlippe breit machen. Zufällige Ironie des Schicksals, Wahnvorstellung oder doch böse Absicht eines Finsterlings? Letzteres liegt nahe. Das ist auch der Grund, weshalb die angenervte Mrs Baker bei Justus, Peter und Bob in der Zentrale eine dringende Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlässt und um Hilfe bittet. Ein ehemaliger Klient der drei Fragezeichen hat ihr die Jugendschnüffler wärmstens empfohlen. Leider ist die gute Frau nicht grade mit einem dicken Geduldsfaden gesegnet, was ihr Quallen-Problem angeht.

Als Justus etwas später zurückruft, ist Mrs Baker grade im Begriff, sich einem anderen Privatdetektiv zuzuwenden – einem professionellen Erwachsenen aus dem angrenzenden Santa Monica. Der sei schon auf dem Weg. Tief in seiner detektivischen Ehre erschüttert und gekränkt, schafft er es jedoch, es so zu drehen, dass wer als erstes bei ihr erscheint, den Job bekommt. Natürlich rasseln die drei Jungs vor dem Haus der potenziellen Neu-Klientin in ihren Konkurrenten: Dick Perry. Und ebenso natürlich ist der Typ ein widerlicher Schleimbeutel. Ohne sich auf etwaiges Fairplay einzulassen, schnappt er ihnen den Auftrag mit krummen Methoden vor der Nase weg. Unnötig zu erwähnen, dass die Jungs nicht locker lassen und ihrerseits an dem Fall dranbleiben. Inoffiziell. Die Lage spitzt sich zu, als ein Schulkollege der drei im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ermittlungen gekidnappt wird.

_Meinung_

„Gift per E-Mail“ stammt aus der Feder von Ben Nevis (Erstveröffentlichung 2002 in deutscher Sprache) und zählt auch bei den Hörspielen zu den besseren Storys. Und zu den moderneren. Die drei Fragezeichen gebieten zu diesem Zeitpunkt der Serie bereits über Computer und eigene Autos. Trotzdem sind die Fahrräder der Jungs nicht vollständig vom Tisch und die Autos von Bob und Peter werden nur dosiert eingesetzt. Nevis besinnt sich auf traditionelle Elemente, welche die Serie groß gemacht haben. Zum Beispiel ein Rätselreim oder die berühmte Telefon-Lawine kommen zum Einsatz. Jetzt ist es allerdings die E-Mail-Lawine. Man geht mit der Zeit. Realistisch daran ist, dass diese Art der Informationsbeschaffung auf Basis der stillen Post auch ein Bumerang sein kann. Dann nämlich, wenn die E-Mail-Anfrage die falschen Kreise erreicht. Merke: Auch der PC der pfiffigen Schnüffelnasen ist vor Viren nicht gefeit.

Vor allem aber der Aspekt, einen mindestens ebenbürtigen Gegner in Gestalt von Dick Perry vor sich zu haben, macht den Fall sehr interessant. Konkurrenz belebt eben das Geschäft, zudem wurde die ewig alte Leier, die Ermittlungen ohne große Rückschläge ablaufen zu lassen, auch irgendwann mal langweilig. Diesmal müssen die Junioren ein paar Kröten (respektive Quallen) schlucken und sich ganz schön strecken, bis sie beim finalen Showdown dann doch wie gewohnt (und erhofft) triumphieren dürfen. Bis dahin ist es aber ein steiniger und verschlungener Weg, der buchstäblich erst auf den letzten beiden Seiten des Buches die Wendung zum Guten erfährt. Vorher sieht es tatsächlich so aus, als müssten Justus, Peter und Bob zum allerersten Mal eine deftige Niederlage einstecken. Perry ist ihnen stets eine Nasenlänge voraus.

Der ins US-Englische übersetzte Text ist für Leser mit mittleren bis guten Kenntnissen flüssig zu lesen und gut zu verstehen. Amerikanisches Englisch unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom britischen. Das hierzulande in der Schule großteils vermittelte Oxford-Englisch ist dagegen vergleichsweise steif, bildet aber die Basis, über die man verfügen sollte. Das verwendete Amerikanisch ist lockerer, flotter und irgendwie lebendiger. Damit man sich nicht verheddert, sind besonders interessante und/oder ungewöhnliche Vokabeln sowie typische Redewendungen in Fettdruck mitten im Text hervorgehoben. In der Fußnote jeder Seite stehen direkt die Übersetzungen der auf der Seite hervorgehobenen Begriffe und Formulierungen. Dies sind zwischen drei und sechs pro Buchseite. Am Anfang ist dies für den Lesefluss recht störend oder sagen wir besser: ungewohnt, da der permanente Fettdruck einzelner Textelemente doch etwas irritiert.

Man gewöhnt sich aber daran und bemerkt, dass diese Lösung gegenüber einer stupiden Auflistung der betreffenden Vokabeln und Phrasen in einem Appendix durchaus Vorteile hat. Man muss nicht blättern, sondern ein kurzer Blick nach unten genügt. Sofort ist man wieder mitten im Geschehen. Bekannte Ausdrücke überspringt man nach einer Zeit automatisch und pickt sich bei Bedarf nur die wirklich Interessanten heraus. Aufschlussreich sind insbesondere Slang-Ausdrücke, Aphorismen und Metaphern, etwa die amerikanischen Äquivalente für „Leichen im Keller haben“, „Feierabend machen“ oder „Die Hosen voll haben“, um mal ein paar umgangssprachliche Beispiele zu nennen, die vielleicht nicht jedem geläufig sind, sich aber im Alltagsgebrauch als nützlich erweisen können. Manche erläuterten Begriffe kommen leider doppelt vor, wobei sich mir der Sinn dahinter nicht ganz erschließt – ich vermute ein Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung und Auswahl.

_Fazit_

In erster Linie dürften mit einer Veröffentlichung wie dieser Schulen angepeilt sein, die ihren Englisch-Unterricht damit aufwerten können, dass – statt des normalen Stoffs des Lehrplans – bekanntermaßen beliebte Jugendliteratur in einer anderen Sprache gelesen wird. Doch auch für gestandene Fans und alle sprachinteressierten Leseratten bietet sich hier Gelegenheit, eventuell verschüttete Kenntnisse aufzufrischen bzw. -bessern. Das macht schon aufgrund der gut ausgewählten Story von „Poisoned E-Mail“ Spaß. Die Übersetzung ist modern, unkompliziert und recht leicht zu bewältigen, jedoch nicht anspruchslos geraten. Das Konzept mit dem Transfer ins Englische inklusive der Vokabelhilfe ist eine nette Idee. Es wäre wünschenswert, dass das auf mehr der Fälle der drei Fragezeichen (zumindest diejenigen aus „deutscher Produktion“) ausgedehnt wird. Bislang sind es zwei davon, verdient hätten es noch einige andere.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Originaltitel: „Die drei ??? – Gift per E-Mail“
Erzählt von Ben Nevis
basierend auf den Charakteren von Robert Arthur
Erstveröffentlichung: 2005 / Franckh-Kosmos, Stuttgart
Übersetzung ins Amerikanische: Andreas Zantop
Seiten: 144 / Hardcover
ISBN: 3-440-10065-0
ISBN: 3-440-10353-6 (Deutsche Sprachfassung, 2002; aktuelle Auflage Februar 2005)

Robert Arthur – Die drei ??? und das Gespensterschloss (Band 1)

Eigentlich muss man über diese Jugendserie keine Worte mehr verlieren, denn seit über 30 Jahren steht sie vom Bekanntheitsgrad her ungefähr auf gleicher Stufe mit Enid Blytons „5 Freunde“-Reihe. Der unaufhaltsame Erfolg der drei ??? auch in Buchform stellte sich in Deutschland aber erst mit Aufkommen der Hörspiele aus dem Hause EUROPA ein. Das „Gespensterschloss“ ist dabei ein markantes Kuriosum, denn die Buchvorlage ist der erste je veröffentlichte Fall der drei Detektive. In Deutschland jedoch befand man ihn für die jugendliche Hörerschaft Anno 1979 anscheinend als ungeeignet zum Auftakt der Serie. So zog man für die Vorstellung der Hörspielserie – quasi als Versuchsballon – den „Super-Papagei“ vor und das Gespensterschloss rutschte dort auf den undankbaren Platz 11.

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Arthur, Robert / Hitchcock, Alfred – Die drei ??? und die flüsternde Mumie

Während die flüsternde Mumie bei den EUROPA-Hörspielen die Nummer 10 verpasst bekam, ist die Romanvorlage eigentlich der zweite Fall der drei Jung-Detektive aus dem fiktiven Rocky Beach, die sich selbst „Die drei Fragezeichen“ nennen. Die drei Detektive sind die amerikanischen Schuljungen Justus Jonas, Peter Shaw und Robert „Bob“ Andrews, die immer wieder knifflige und mysteriöse Fälle lösen. Dafür stehen auch die Fragezeichen – als Symbol für das Unbekannte und ungelöste Rätsel. Nicht etwa für Selbstzweifel, wie Erwachsene nicht müde werden zu fragen. Für Selbstzweifel gibt es auch gar keinen Grund, denn das Trio ermittelt nunmehr seit über 40 Jahren erfolgreich durch die Jugendliteratur. Ihr Erfinder Robert Arthur schuf einen Evergreen, als er mit dem zugkräftigen Namen Alfred Hitchcock im Titel die Serie 1964 ins Leben rief. Zu uns schwappte die Welle Anfang der Siebziger und sie ebbt bislang nicht ab. Auch wenn hierzulande eher die Hörspiele bekannter (und beliebter) sind als die Romane.

_Zur Story_
Der Brief ihres Mentors Alfred Hitchcock versetzt die drei Detektive in Verzückung. Na ja, bis auf Hasenfuß Peter vielleicht. Ein höchst mysteriöser Fall wird ihnen dort in Aussicht gestellt. Professor Yarborough – ein Freund Hitchcocks – ist Ägyptologe und hat kürzlich die von ihm entdeckte Mumie des Ra-Orkon für sein Privatmuseum erhalten. Doch der olle Lappenträger scheint trotz seines augenscheinlich toten Zustands sehr mitteilungsbedürftig zu sein. Jedoch nur dann, wenn Professor Yarborough alleine im Raum mit dem Sarkophag ist, flüstert der 3000 Jahre alte Knabe unverständliches Zeug in einem alt-arabischen Dialekt. Sobald etwa der abergläubische Butler Wilkins mit im Zimmer ist, herrscht Funkstille. Aus nachvollziehbaren Gründen wendet sich der Professor weder an die Polizei noch an seine Wissenschaftskollegen – beide würden ihn für verrückt erklären. Justus und Bob bieten ihm ihre Dienste an. Peter kümmert sich derweil lieber um eine verschwundene Katze, ihm sind flüsternde Mumien definitiv zu gruselig.

Sie erhalten den Auftrag aber erst nachdem Justus dem Professor glaubhaft versichert hat, dass er an den Fluch des Pharaos und ähnlichen übersinnlichen Humbug nicht glaubt, welcher der Mumie angedichtet wird. Butler Wilkins sieht das ganz anders, wofür er gern und ständig vom Professor gerüffelt wird. Schon bei der ersten Begutachtung des Raumes scheint der dünnhäutige Wilkins aber Recht zu bekommen. Ohne ersichtlichen Grund stürzt eine schwere Anubis-Statue beinahe auf Justus und einige der Masken an der Wand rauschen kurz darauf zu Boden. Ra-Orkon hingegen tut aber, was Tote nun mal so tun: er schweigt beharrlich. In seinem Sarkophag und am Leichnam selbst sind keinerlei technische Einrichtungen zu erkennen, welche darüber Aufschluss geben könnten, dass jemand den Professor zu verulken oder gar zu ängstigen gedenkt. Justus greift zu einem Trick, um Ra-Orkon zum Flüstern, und Licht in die Sache, zu bringen.

Verkleidet als Professor Yarborough betritt er den Raum alleine, bewaffnet mit einem Tonbandgerät. Siehe da. Die Mumie beginnt leise zu flüstern. Lässt sich der Pharao so einfach veräppeln? So scheint es, denn als Justus sich unfreiwillig demaskiert verstummt der alte Ägypter sofort – ein kleines Malheur, jedoch hat Justus das schwache Flüstern immerhin auf Band. Nun können er, Bob und der Professor zu dessen Nachbarn gehen und sich Ra-Orkons Gebrabbel übersetzen lassen. Professor Freeman ist nämlich Experte für Arabisch und zudem ein langjähriger Freund von Yarborough. Er und dessen Vater haben seinerzeit das Grab des Ra-Orkon gemeinsam entdeckt – Freeman senior kam kurz darauf um, was allgemeinhin dem Fluch angelastet wird. Doch während Butler Wilkins alleine das Haus hütet, taucht plötzlich Schakalgott Anubis höchstpersönlich auf und entwendet die Mumie. Der grade eingetroffene Peter, der von alledem nichts ahnt, hat derweil eine unheimliche Begegnung der dritten Art: mit Ra-Orkons vermeintlichem Lieblingskater und erzürnten Nachfahren des Pharaos.

_Meinung_
Man merkt, dass dieser Fall der direkte Anschluss an das Debüt „… und das Gespensterschloss“ ist, und man gewinnt den Eindruck, beide Romane wurden in einem Rutsch von Robert Arthur verfasst. Die flüsternde Mumie stammt aber aus dem Jahr 1965. Wie wir im Auftaktroman erfahren, hat Bob ein Gipsbein, welches ihn auch noch im vorliegenden Buch leicht behindert. Bei genauerer, chronologischer Betrachtung können zwischen den beiden Geschichten keine 30 Tage liegen, denn die drei Schnüffler haben immer noch (beschränkten) Zugriff auf den Rolls-Royce, samt Chauffeur Morton. Dessen Benutzung hat Justus bei einem Preisausschreiben einer Autovermietung für exakt diesen Zeitraum gewonnen. Erst später, als sie einem jungen Mann mit Namen August August aus der Patsche helfen, sorgt dieser dafür, dass das Trio ohne zeitliche Begrenzung auf den Rolls zurückgreifen kann, wann immer er benötigt wird. Das passiert aber erst bei „… und der Fluch des Rubins“ und soll hier nur dazu dienen, die Handlung zeitlich ungefähr einordnen zu können.

Zudem wird zwischendrin immer wieder nur das Gespensterschloss als Referenz angegeben. Vor allem, was den Bezug der drei Fragezeichen zu Altmeister Hitchcock betrifft. Freilich hat dieser mit der Serie nur insofern zu tun, als dass er vom Autor für seine Reihe verwurstet wird. Mit dessen Einverständnis (und gegen Lizenzgebühr) natürlich. Eine Lizenz, die nun am Anfang 2005 endgültig auslief und nicht erneuert wurde. Für altgediente Fans etwas bedauerlich, aber sicher kein Weltuntergang. Mit Voranschreiten der Serie verschwanden Vorwort und Zwischenkommentare des angeblichen Mentors sowieso mehr und mehr aus den Büchern. Irgendwo um Band 50 herum taucht diese Besonderheit der alten Geschichten gar nicht mehr auf. Keine augenzwinkernden Tipps mehr für unaufmerksame Leser. Hier gibt’s sie selbstverständlich noch und liefern den einen oder anderen humorvollen Fingerzeig in Richtung Auflösung.

Die Flüsternde Mumie ist auch anderweitig eine wichtige Wegmarke. Erstmals finden hier die inzwischen berühmt gewordenen Ausrüstungsgegenstände, wie die Walkie-Talkies und das als Ofenrohr getarnte Periskop in der Zentrale auf dem Schrottplatz, Erwähnung und Verwendung. Das heißt, es wird nicht nur beschrieben, wie Justus die genannten Teile zusammenbastelt, sie erweisen sich als wichtige Elemente in dieser Geschichte und sind auch im weiteren Verlauf der Reihe immer wieder gern verwendete Utensilien der drei Fragezeichen. Die Story ist der erste Versuch Arthurs, einen two-in-one-Fall zu etablieren. Einerseits Peter auf der Suche nach einer verschwundenen Katze, andererseits Just und Bob beim „Hauptfall“. Man kann sich bereits denken, dass beide Stränge irgendwann zusammenlaufen – das geschieht tatsächlich sogar sehr schnell.

Flott geschriebene und leicht zu lesende 142 bzw. 176 (dtv) Seiten mit relativ großem Schriftbild machen die flüsternde Mumie zu einem recht kurzen Vergnügen. Zu kurz und hastig für meinen Geschmack, man hätte den Leser ruhig noch etwas mehr zappeln lassen können. Aus dem Mystery-Element der Mumie – samt dem sie umwabernden Fluch – und Peters Parallelaktionen wäre noch mehr heraus zu holen gewesen, stattdessen geriert der Plot alsbald als wilde Hatz nach der gemopsten Leiche und ihrem Sarkophag quer durch Los Angeles. Trotz der gelegentlichen Fingerzeige „Hitchcocks“ kommt man auf die endgültige Lösung wohl kaum selbst, dazu enthält Robert Arthur der Leserschaft zu viele wichtige Informationen vor. Die letzten Puzzlesteinchen des Warum fallen erst beim obligatorischen Finale an ihren Platz – hauptsächlich durch ein (zu) rasches, umfassendes Geständnis und weniger durch detektivische Kombinationsgabe.

_Fazit_
War das Erzähltempo durchweg von einer gewissen Hektik geprägt, kommt der Schluss ziemlich abrupt. Logisch nachvollziehbar ist die Story aber, wenn auch der Grund für das Flüstern etwas arg konstruiert wirkt. Der sonst so schätzenswerte, subtile Pädagogik-Faktor innerhalb der Serie kommt hier ebenfalls ungewöhnlich kurz. Verschenktes Potenzial zugunsten von mehr Action. Dabei hätte die interessante Thematik bestimmt mehr hergegeben als verzweifelte Verfolgungsjagden, was ihr einen Touch Unausgewogenheit verleiht. Somit zählt die flüsternde Mumie unterm Strich, trotz ihres sicher nicht gänzlich unverdienten Klassiker-Status, nicht unbedingt zu meinen persönlichen Top-Favoriten. Weder als Roman, noch als Hörspiel. Nichtsdestoweniger ist die solide Geschichte auch kein Totalausfall, sondern reiht sich im durchaus akzeptablen Mittelfeld ein. Wie alle „alten“ Fälle eignet sich auch dieses Buch uneingeschränkt für (Quer-)Einsteiger.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „Alfred Hitchcock and the Three Investigators in the Mystery of the Whispering Mummy“
Erzählt von Robert Arthur
Erstveröffentlichung: 1965 / Random House, NY
Deutsche Ausgabe: 1970 / Franckh-Kosmos, Stuttgart
Übersetzung: Leonore Puschert
Seiten: 142 / 176
Von verschiedenen Verlagen in unterschiedlichen Bindungen erhältlich
ISBN: 3-423-07022-6 (dtv-TB)
ISBN: 3-440-05207-9 (Originalausgabe)

Arthur, Robert / Hitchcock, Alfred – Die drei ??? und der Super-Papagei

Der Super-Papagei hat in Deutschland einen Sonderstatus innerhalb der Serie, denn mit ihm begann der Siegeszug. Das bedarf einer kurzen Erklärung. Einem breiteren Publikum bekannt wurden die Fragezeichen erst 1979 über die Hörspiele aus den EUROPA-Studios, die ersten Bücher erschienen bereits Anfang der Siebziger und fristeten bis dahin ein ziemliches Schattendasein. Bei EUROPA wurde der eigentlich erste Roman „… und das Gespensterschloss“ von 1964 zurückgestellt und dafür „… und der Super-Papagei“ (aus dem gleichen Jahr) stattdessen als Pilot vertont. Das Gespensterschloss rutschte auf Platz 11 und fürderhin galt der Papagei – nach dem durchschlagenden Erfolg der Hörspielserie – auch bei den Büchern als Auftaktgeschichte. Zumindest in Deutschland. Wenngleich es chronologisch falsch ist, hält sich diese Annahme bei manchen bis heute. Ebenso wie die Autorenschaft von Hitchcock, tatsächlich wurde die Serie von Robert Arthur ins Leben gerufen, der sich auch noch für den Super-Papagei verantwortlich zeigt.

Alfred Hitchcock hat eigentlich nichts weiter mit den „Three Investigators“ (so der amerikanische Originaltitel der Reihe) zu tun. Er stiftete unter Lizenz lediglich seinen zugkräftigen Namen und tritt als Moderator in den alten Geschichten auf, später ließ aber auch das nach. Die drei Fragezeichen sind ein flügger Selbstläufer geworden, man brauchte das markttechnische Tuning nicht mehr. Jene Lizenz ist nun Anfang des Jahres 2005 pünktlich zum 25. Jubiläum der Serie in Deutschland sowieso endgültig ausgelaufen. Fürderhin werden Printausgaben und Hörspiele ohne sein Konterfei und Namen im Titel erscheinen. Das Nostalgikerherz blutet ein wenig, doch im Grunde genommen ist dies kein wirklicher Verlust oder gar Rückschlag. Man hatte sich als Fan nur daran gewöhnt, Altmeister Hitchcock mit der Serie in Verbindung zu bringen. Nicht mehr, nicht weniger.

Doch wer sind die drei Detektive? Die amerikanischen Schuljungs Justus, Peter und Bob lösen ihre kniffligen und mysteriösen Fälle zumeist von ihrer Zentrale – einem alten, versteckten Campingwagen – auf dem Schrottplatz von Justus‘ Onkel Titus aus. Auch und gerade solche, welche der Polizei manchmal zu banal erscheinen. Hier und da stößt die Jugenddetektei auch durch puren Zufall auf Rätsel und Abenteuer, falls sie nicht von ihrem Impressario Hitchcock oder einem anderen potenziellen Klienten an sie herangetragen werden. „Wir übernehmen jeden Fall“ ist das Credo der drei Schnüffelnasen, das neben dem ???-Logo auf der berühmten Visitenkarte der drei prangt. Die Fragezeichen – ein verschiedenfarbiges für jeden – stehen nicht etwa für Selbstzweifel, sondern für ungelöste Geheimnisse und Rätsel aller Art. Diesen Umstand müssen sie, als Running Gag, mindestens einmal pro Fall den oft skeptischen Erwachsenen erklären.

Sollte die Visitenkarte nicht den gewünschten Effekt bringen, das Gegenüber zu überzeugen, dass die Drei es faustdick hinter den Löffeln haben, verfügen sie noch über einen Ausweis der Polizeidirektion von Rocky Beach, der sie zu „offiziellen, ehrenamtlichen Junior-Mitarbeitern“ erhebt. Diesen haben sie aufgrund ihrer zurückliegenden, oft erfolgreichen, Zusammenarbeit mit den Cops von der Behörde erhalten. Den Ausweis drücken sie gerne jedem in die Hand, der ihre Fähigkeiten wegen ihres Alters in Zweifel zieht. Nicht selten münden die Ermittlungen der Jungs nämlich darin, dass der ihnen wohlgesonnene Hauptkommissar Reynolds tätig werden muss, weil sich ein anfangs harmlos anmutender Fall dann doch als „richtiges“ Verbrechen erweist. Morde sind aber nie aufzuklären, man beschränkt sich darauf, die Jugendserie „sauber“ zu halten und auf weniger kapitale Verbrechen, z. B. Diebstahl, Fälschung, Entführung, Betrug etc. als maximum crime zu setzen.

_Zur Story_
Mr. Malcolm Fentriss ist sein Papagei Lucullus abhanden gekommen, den er erst kürzlich von einem mexikanischen Hausierer erstanden hat. Da sich die Polizei wenig kooperativ zeigt und davon ausgeht, dass sein gefiederter Hausgenosse ganz einfach entflogen ist, wendet sich Mr. Fentriss an seinen Freund Alfred Hitchcock, ob dieser nicht eine gute Detektei empfehlen könne. Kann er. Natürlich schickt Hitchcock die drei Fragezeichen auf die Fährte des ausgesprochen sprachbegabten Flatterviehs. Doch zunächst müssen Just und Peter das Haus des neuen Klienten besuchen, um näheres zu erfahren. Ein Hilferuf daraus alarmiert die Jungs, als sie sich dem Gebäude nähern. Ein unfreundlicher, dicker Mann in Fentriss‘ Haus, der sich als der Eigentümer ausgibt, behauptet, das wäre der wiedergekehrte Papagei gewesen. Es gäbe keinen Fall zu lösen. Vielen Dank und Tschüss!

Natürlich war das nicht Mr. Fentriss, den finden Justus und Peter kurz darauf gefesselt in seinem Haus, nachdem sie misstrauisch geworden waren und noch einmal zurückkehrten. Der Befreite erzählt ihnen die ganze Geschichte und auch, dass der Papagei keinesfalls ausgebüxt sein kann. Einleuchtend, denn kein Papagei würde gleich seinen Käfig mitnehmen. Doch vor allem was „Lucky“ so auszeichnete, klingt für Justus hochinteressant. Er hat einen sehr höchst rätselhaften Spruch auf der Pfanne. Damit ist Lucullus nicht der Einzige. Mrs. Waggoner – eine Nachbarin von Mr. Fentriss – hat vom gleichen Hausierer einen gelbköpfigen Papagei gekauft. „Schneewittchen“ gibt auch seltsam Verdrehtes zum Besten – und ebenso wie schon Lucullus ist Schneewitchen gestohlen worden, wie Justus und Peter wenig später durch Zufall erfahren. Und wieder wurden der dicke Mann und sein markantes Auto in der Nähe des Tatorts gesehen.

Als wären zwei solcher schrägen und geheimnisvollen Vögel nicht schon genug, stellt sich heraus, dass es insgesamt sieben davon gibt, hinter denen nicht nur der undurchsichtige Mr. Claudius (so heißt der Dicke), sondern auch der spätere Erzrivale der Satzzeichen – Victor Hugenay – her sind wie der Teufel hinter armen Seelen. Vor allem Monsieur Hugenay, der Gentleman-Kunstdieb aus Frankreich, ist eine verdammt harte und clevere Nuss. Doch wie passt er ins Bild? Skinny Norris, der Dauergegenspieler der drei Detektive, schmeißt ihnen auch noch Steine in den Weg, was die wilde Jagd nach dem Federviechern zum Kippen zu bringen droht. Wem wird es zuerst gelingen die Papageien zu finden und die Rätselsprüche von Lucullus, Schneewittchen, Robin Hood, Blackbeard, Käpt’n Kidd, Sherlock Holmes und Al Capone zu knacken? Besonders der unscheinbare Blackbeard scheint der unverzichtbare Schlüssel zum kniffligen Fall zu werden. Obwohl er optisch nicht viel hermacht, ist er nämlich: der Super-Papagei.

_Meinung_
Die Entscheidung, den Roman „… und der Super-Papagei“ als Auftakt zur Hörspielserie zu verwenden, war eine sehr gute von EUROPA. Und eine mit Spätfolgen. Man hatte sich eine Vorlage herausgepickt, die voller Stammfiguren steckt, mit welchen die drei Detektive auch später immer wieder zu tun bekommen werden. Der verhasste Erzrivale Skinny Norris, Superschurke Hugenay (gesprochen: „Üschänee“) oder Chauffeur Norton, der den (gelegentlich zur Verfügung gestellten) Rolls Royce der drei Fragezeichen lenkt. Alles ziemlich feste Größen im späteren Verlauf der Reihe. Nicht zu vergessen Blackbeard – genannt „Blacky“ -, der ab dieser Story dauerhaft in Justus‘, Peters und Bobs Zentrale einzieht. Als ihr gefiedertes Maskottchen. Kein Wunder also, dass auch der Buchtitel fälschlicherweise gemeinhin als „Teil 1“ gilt.

Besonders attraktiv für Jugendliche ist sicher das Konzept, dass drei Schuljungs in der Erwachsenenwelt bestehen und diese von ihren detektivischen Fähigkeiten überzeugen können. Wer hätte sich als Kind bzw. Teenie nicht gewünscht, wenigstens etwas mehr Gehör zu finden? Oder auch geheimnisvolle Rätsel zu lösen vermocht? Die drei Fragezeichen bestehen solche Abenteuer und dabei symbolisieren sie, dass frisches Denken und gute Bildung im Verbund mit Teamwork zum Erfolg führen. Teamwork ist ein gutes Stichwort. Fallen viele der Fälle in „the one and only Justus-Superstar“-Manier aus, dienen Peter und Bob endlich mal wieder nicht nur als reine Statisten, sondern liefern der Leserschaft äußerst wichtige Informationen, die selbst das unumstrittene Mastermind der Fragezeichen nicht kennt. Bei der Lösung des Falles ist zudem diesmal eine große Portion Glück mit im Spiel und nicht nur fleißige Detektivarbeit.

Der Superpapagei ist auch wieder eine Geschichte, bei der man eine Menge nebenher lernen kann. Nicht nur den Gebrauch des eigenen Verstandes, um des Rätsels Lösung auf eigene Faust zu knacken, wie es bei jedem Fall der drei Detektive stets gedacht und erwünscht ist. Gemeint sind vielmehr die Papageien (wie man ihren Namen bereits ersehen kann), die dem Autor als Transportmittel dazu dienen, durch ihre verbogenen Zitate auch andere berühmte Gestalten der Literatur und aus realen Geschichte dem Leser etwas näher zu bringen. Diesen vielleicht sogar neugierig zu machen, über die einzelnen Figuren, welche die Papageien verkörpern, selbst etwas mehr zu lesen. Ein geschickter Schachzug, ein paar pädagogisch und didaktisch wertvolle Informationen in Punkto Allgemeinwissen derart einzuflechten.

Besonders angetan hat es Robert Arthur offensichtlich Robert Louis Stevenson und seine „Schatzinsel“. Leider ist Übersetzerin Leonore Puschert das wohl nicht ganz aufgegangen, als sie „Long John Silver“ (ein feststehender Eigenname) mit „dem langen John Silver“ übersetzte. Dies ist aber die einzige Übersetzungsmacke, die auffällig wurde und soweit ich weiß, ist sie in späteren Auflagen ausgebügelt worden. Sieht man von der Änderung des Titels an sich mal ab, denn eigentlich müsste das Buch „… und der stammelnde Papagei“ heißen. Okay, „Super-Papagei“ klingt zweifellos interessanter und ist so falsch nun nicht. Der Schreibstil ist locker, mutet aber in seiner Wortwahl ein wenig antiquiert an. Das tut der Geschichte aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Irgendwie gehört diese Schreibweise zu den drei Fragezeichen.

Geübte Leseratten rauschen in knapp zweieinhalb bis drei Stunden durch die fast 200 Seiten. Somit ist das Buch eines der längeren der Serie. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass die Figuren schärfer konturiert sind als bei manch anderem Vertreter der Reihe. Fehlen darf selbstverständlich nicht, dass „Alfred Hitchcock“ mit seinen gelegentlichen, augenzwinkernden Zwischenkommentaren, die vielleicht nicht ganz so akribisch mitdenkenden Leser immer wieder in die richtige Bahn lenkt und Denkanstöße liefert. Aber auch das hilft nicht, den Fall selbst klären zu können, geschweige denn das verzwickte Rätsel zu lösen. Arthur gibt als „Hitchcock“ zwar subtile Hinweise, der Showdown gerät dann doch sehr unerwartet und spannend bis zur letzten Seite. Außerdem dürfen die Protagonisten am Ende noch beweisen, dass sie das Herz auf den rechten Fleck haben. Warum? Das sei hier aufgrund des Spannungserhalts nicht verraten.

_Fazit_
Es wäre ganz bestimmt ein würdiges Buch zur Vorstellung der Serie gewesen, keine Frage. Es verkörpert wie kaum ein zweites das Flair und die Tugenden, welche Leser – ob jung oder alt – seit Jahrzehnten so sehr schätzen. Es ist alles da, was eine gute Abenteuergeschichte ausmacht: Ein „richtiges“ Verbrechen, ein exzellent durchdachtes und logisch aufgebautes Rätsel, eine Portion Mystery und zu guter Letzt ein Friedhof im Nebel mit abschließendem Happy-End. Lesefaulen sei an dieser Stelle das Hörspiel in der 2004er-Neuauflage ans Herz gelegt, welches schon ziemlich nah an die Vorlage herankommt. Im Gegensatz zur „alten“ Version von 1979 jedenfalls, auch wenn einige wichtige Nebenhandlungen auch hier fehlen bzw. stark angepasst wurden. Alles in allem ist dieser Fall ganz besonders für Neueinsteiger dringend zu empfehlen, auch wenn das „Gespensterschloss“ der allererste Fall der drei Fragezeichen ist.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_
Originaltitel: „Alfred Hitchcock and the Three Investigators in the Mystery of the Stuttering Parrot“
Erzählt von Robert Arthur
Erstveröffentlichung: 1964 / Random House, NY
Deutsche Ausgabe: 1972 / Franckh-Kosmos, Stuttgart
Zugrunde liegende Ausgabe: Taschenbuchausgabe 1978 / dtv
Übersetzung: Leonore Puschert
Seiten: 186
Von verschiedenen Verlagen in unterschiedlichen Bindungen erhältlich
ISBN: 3-423-07316-0 (TB / dtv)

Die drei ??? und der sprechende Totenkopf (Band 5)

Schon seit meinen Kindertagen bin ich ein großer Fan der drei Fragezeichen, die 1964 – von Robert Arthur erfunden – ihren ersten Fall lösten. Seither sind die drei Juniordetektive aus dem fiktiven kalifornischen Nest namens Rocky Beach (irgendwo zwischen Los Angeles und Santa Barbara gelegen) aus der Jugendliteratur nicht mehr wegzudenken. Bekannter sind hierzulande jedoch die EUROPA-Hörspiele, welche 1979 – zunächst zaghaft – ihren famosen Siegeszug antraten. Seither werden immer neue Fälle gestrickt und natürlich längst nicht mehr von Robert Arthur, sondern vielen Autoren. Darunter neuerdings auch deutsche, denn vor allem die Hörspielserie wird hierzulande mit besonderem Elan erfolgreich weitergeführt. Was logischerweise auch dazugehörige Buchvorlagen voraussetzt. Dabei hat sich das besonders treue Klientel von den ehemaligen Teenies zu Thirtysomethings gewandelt. Wie in meinem Fall.

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Andreas Eschbach – Das Marsprojekt

Carl und Elinn Faggan, Ronald Penderton und Ariana DeJones sind die einzigen Kinder der Marssiedlung. Sie sind ein eingespieltes Team, wenn es darum geht, der künstlichen Intelligenz AI-20 kleine Streiche zu spielen oder ihre Geheimnisse vor den Erwachsenen zu bewahren. Die kleine Siedlung von gut zweihundert Mitgliedern ist annähernd unabhängig von der Erde, nur gewisse Impfstoffe und Medikamente müssen regelmäßig eingeflogen werden. Die „Marskinder“ gelten auf der Erde als Berühmtheiten, auf dem Mars sind sie normale Kinder, die den Verwaltern von der Erde tierisch auf die Nerven gehen. Aber das ist nicht der Grund, warum die Siedlung geschlossen und damit die Erforschung des Mars beendet werden soll. Der Verwalter will unbedingt auf die Erde zurück, und dazu ist ihm jedes Mittel recht – auch wenn es so drastische Maßnahmen wie die Schließung der Siedlung sind. Er benutzt eine mächtige politische Strömung der Erde für seinen Antrag und argumentiert mit den laufenden Kosten der Siedlung. Nach einer Milchmädchenrechnung würde die Erdregierung fünf Milliarden Verrechnungspunkte sparen, und das ist in der momentanen Situation Grund genug, dem Antrag zu entsprechen.

Die Nachricht schlägt unter den Siedlern ein wie eine Bombe, doch die Kinder trifft es am härtesten. Sie haben die Erde nie erlebt, der Mars ist ihre Heimat. Und das Schlimmste: Unter der niedrigen Schwerkraft des Mars hat ein unbehandelter Geburtsdefekt an Elinns Lunge zu einer neuen Entwicklung geführt, wonach das Mädchen auf der Erde nicht mehr lebensfähig ist. Trotzdem soll die Schließung der Siedlung mit allen Mitteln durchgesetzt werden, und nur den Marskindern bietet sich eine winzige Chance, die Sache noch umzubiegen. Außerdem sind da noch die merkwürdigen Artefakte, bisher nur von Elinn gefunden, die daher fest an Marsianer glaubt …

Andreas Eschbach wurde 1959 in Ulm geboren, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, arbeitete als Softwareentwickler und gründete eine kleine EDV-Firma, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. 2001 erschien im Arena-Verlag mit „Das Marsprojekt“ sein erstes Jugendbuch. Durch Bestseller wie „Das Jesus-Video“, „Quest“ oder „Eine Billion Dollar“ bekannt geworden, erhielt er nun die Gelegenheit, zum Marsprojekt Fortsetzungen zu schreiben. Im März 2005 erschien mit „Das Marsprojekt – Die blauen Türme“ der zweite Band der Reihe.

Offensichtlich kann Eschbach auch Jugendromane schreiben, denn dass „Das Marsprojekt“ einer ist, erkennt man auf den ersten Seiten, als Elinn in Todesgefahr gerät und die künstliche Intelligenz des Stützpunkts „AI-20“ als erstes ihren Bruder verständigt, ehe sie auf seine Anweisung richtig Alarm schlägt. Die Kinder stehen im Vordergrund, werden im Zweifelsfall von der KI unterstützt und gegen die Erwachsenen verteidigt – was Eschbach so erklärt, dass eine künstliche Intelligenz durch ihre Lernfähigkeit einige Eigenarten entwickeln kann, wenn man sie nicht regelmäßig neu kalibriert. Und das wurde bei AI-20 seit der Installation nicht getan. Uns fällt natürlich sofort die Bezeichnung „AI“ für eine KI auf – Artificial Intelligence. Ob sich hinter der 20 mehr verbirgt, bleibt ungewiss.

Die Kinder sind so charakterisiert, dass sich junge Leser schnell mit ihnen identifizieren können, jedes hat eigene Fähigkeiten und Eigenarten. Der jüngste von ihnen, Ronny, scheint ständig mit Flugsimulatoren zu spielen und meint, fast jedes fliegende Objekt der Menschheit steuern zu können. Später stellt sich heraus, dass diese Simulatoren jene Programme sind, mit denen auch die Astronauten der Erde trainieren. Ronny ist also trotz seiner Jugend ein wahrer Flugkünstler. Elinn ist ein ruhiges, etwas träumerisches Mädchen, das von seinem verstorbenen Vater oft lange Geschichten über die Marsianer gehört hat und nun von ihrer Existenz überzeugt ist. Sie ist die einzige, die diese seltsamen Artefakte aus „verunreinigtem Silizium“ findet, denn sie sieht oft ein seltsames Leuchten, mit dem sie ihrer Meinung nach die Marsianer auf sich aufmerksam machen wollen. An dem Ursprung des Leuchtens liegt immer ein kleines Stück des anscheinend vulkanischen Stoffes, der aber merkwürdigerweise sonst nicht zu finden ist. Aber auf ein Kind hört man ja nicht.

Ariana ist die Tochter des Siedlungsarztes und etwas zickig. Sie redet immer davon, wie wenig los auf dem Mars doch ist und wie gern sie zurück zur Erde will, um endlich |Jungs| kennen zu lernen. Sie ist eine Art von Gegenpart zu Carl, der als Ältester oft mit Vorschlägen aufwartet, die durch ihr Misstrauen hinausgezögert und durchdacht werden. Carl ist für einen Marsgeborenen sehr fit und kräftig, denn er will auf der Erde studieren und bei der Erforschung des Sonnensystems mitwirken, und dazu braucht man eine Muskulatur, um unter Erdschwerkraft leben zu können. Trotzdem trifft es ihn nicht weniger hart, als die Siedlung geschlossen werden soll, denn der Mars ist für ihn die wahre Heimat und er macht sich natürlich Sorgen um seine Schwester Elinn, die in ihre Idee von den Marsianern vernarrt ist und wegen des Defekts an der Lunge den Mars nicht verlassen kann.

Carl ist es auch, der die wohlprogrammierte KI zu irrationalen Handlungen bringt. Es ist eine philosophische Frage, die er ihr vorsetzt: Wenn die Siedlung geschlossen wird, wird auch AI-20 abgeschaltet. Was wäre, wenn es ein Aus für immer ist? Was bedeutet das für eine eigensinnige KI?

Der Roman ist auch für Erwachsene sehr schön zu lesen, gerade die sozialkritischen und philosophischen Fragen sind eher an sie gerichtet als an den jugendlichen Leser, für den diese Fragen aber eine Aufforderung zum Denken und Sich-Gedanken-Machen sind. Hintergründig und zurückhaltend, nicht mit moralisch erhobenem Zeigefinger, was ein Aspekt von Eschbachs Qualität ist: Er vermittelt seine Ansichten nicht plakativ, sondern versucht sie tröpfchenweise in das Bewusstsein des Lesers einzubringen.

An ein paar Stellen hat man das Gefühl, dass hier gekürzt werden musste; so wirken manchmal die Charakterisierungen der Kinder wie copy&paste-Übernahmen aus einem Datenblatt, oder die am Ende gedrängte Erzählung um die Aktivierung der „Blauen Türme“ … Vielleicht hat Eschbach hier aber auch schon auf einen Nachfolgeroman abgezielt. Und für die Marskinder hat er noch eine schockierende Überraschung parat: Der Sohn des irdischen Statthalters (ihres Gegenspielers) kommt zum Mars!
Insgesamt macht die Lektüre Spaß und Lust auf den zweiten Teil.

Taschenbuch, 304 Seiten

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

 

Sedgwick, Marcus – Buch der toten Tage, Das

Boy, der Waisenjunge ohne Namen, assistiert seit vielen Jahren dem übellaunigen Illusionisten Valerian, in dessen Anwesen er eine winzige Kammer bewohnt und für den er auch außerhalb der Theaterarbeit rund um die Uhr im Dienst ist. Dessen missmutiges Temperament wird in letzter Zeit nur noch von seiner gedanklichen Abwesenheit und Unlust an der Bühnenarbeit übertroffen. Etwas bereitet dem alten Trickkünstler deutliche Sorgen, und da sein Herr eher jemand ist, der zum Frühstück rostige Eisennägel verspeisen könnte, muss der Quell dieses Übels etwas wahrhaft Schreckliches sein, mutmaßt Boy.

Als Valerian seinen vierzehnjährigen Leibsklaven – anders lässt es sich kaum betrachten – zwecks Informationsbeschaffung zu einem Agenten entsendet, dieser jedoch vor Boys Augen auf recht unheimliche Weise ermordet wird, beginnt einige wilde Aufregung in das triste und regengraue Dasein des Jungen Einzug zu halten oder besser gesagt über ihn hinwegzurollen. Auch der Theaterdirektor wird in der gleichen Nacht ums Leben gebracht und von Willow gefunden, einem Mädchen in Boys Alter, das des Jungen Schicksal in ähnlicher Weise als Bedienstete der exzentrischen Sängerin Madame Beauchance teilt. Willow und Boy geraten unter Mordverdacht und stante pede ins Gefängnis. Valerian befreit die beiden, verwendet dabei allerdings einen „Trick“, der in Boy den Verdacht aufkeimen lässt, dass die Magie des Alten wohl doch nicht nur aus Taschenspielereien besteht, sondern mehr dahinter steckt. Zudem: Warum sollte sein unangenehmer Herr und Meister ihn aus dieser misslichen Lage befreien, wo er sich doch sonst kein Deut um den Jungen scherrt? Etwas ist wohl faul im Staate Dänemark. Was sich da zusammenbraut, beunruhigt Valerian und damit Boy zutiefst, hat etwas mit dem Näherrücken der Silvesternacht zu tun, mit einem lang zurückliegenden dämonischen Pakt und mit dem mysteriösen „Buch der toten Tage“, hinter dem der Bühnenmagier ohne Rücksicht auf Verluste her ist.

So sind die vier Tage vor dem Jahreswechsel angefüllt mit einer wilden, atem- und schlaflosen Jagd nach diesem Buch. Friedhöfe, Verliese, Stadtwächter, ein verrückter Präparator, ein genialer Wissenschaftler und obskure Erfindungen, eine alte Kirche, vergessene Kanäle unter der Stadt und vielerlei Absonderliches mehr erwarten unsere Helden wider Willen in dem nun folgenden Abenteuer.

_Die Zeit der toten Tage_

Wintersonnenwende, Mittwinter, das Julfest, die Weihnachtszeit, Jahreswechsel – dieser Jahresabschnitt war in unserem Kulturraum bereits seit „heidnischen“ Zeiten von Tagen des Friedens, der Ruhe und der Familie geprägt. Alles fließt langsamer und befindet sich in einer Art von Zwischenstadium, von einem erwartungsvollen Zwielicht durchwirkt. Marcus Sedgwick beschreibt „die sonderbar stille Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr“ als „tote Tage – Tage, an denen die Türen zwischen unserer Welt und jener unsichtbaren, die gleich darunter liegt, geöffnet sind.“

Diese Stimmung und durchaus düstere Bilder waren für den früheren Buchhändler und Lektor, der nun seit 1994 Jugendromane verfasst und in England zu den Großen seiner Zunft zählt, der Ausgangspunkt für die gar abenteuerliche und gotisch-düstere Erzählung, die uns nun der |Hanser|-Verlag in deutscher Übersetzung angedeihen lässt. Inspiriert von Orten wie den Pariser und Krakauer Friedhöfen, Katakomben und Bolognas geheimnisvoller Kanalisation, entwirft Segwick das stimmungsvolle Bild einer fiktiven, organisch wirkenden Metropole, die zeitlich in einem Übergang zwischen Aberglaube und Magie auf der einen Seite und ersten Wissenschaften und Experimenten auf der anderen angesiedelt ist. Damit greift die gewählte Epoche die Ausgangsidee der toten Tage auch bildhaft auf. Alles bewegt sich in einem Zwischenraum, einem Übergang, ist zeitlos und schwer greifbar.

_Tage ohne Atempause_

In dieser Umgebung lässt der Autor ein wahres Gewitter an Ereignissen auf den jungen (oder jung gebliebenen) Leser einprasseln, dass dieser aus dem Staunen nicht mehr herauskommen mag. Die Kapiteleinteilung ist kurz und knackig, die Szenenwechsel erfolgen rasch. Verschnaufpausen gibt es kaum; die Geschichte nimmt uns in sich auf und entlässt uns erst wieder in die Wirklichkeit, wenn das letzte Rätsel gelüftet und die finalen Gefahren überstanden sind. Segwick ist dabei keineswegs zimperlich – für einen jugendlichen Leser mag so manche Situation und Begebenheit für wahrhaft schlaflose Nächte sorgen. So ist auch die Erzählweise ernsthaft und unheimlich genug, den erwachsenen Leser ausreichend zu fesseln. Humorige Elemente sucht man dagegen vergebens.

_Was dabei auf der Strecke bleibt_

Angesichts des Erzähltempos und der handlungsorientierten Geschichte bleibt allerdings einiges auf der Strecke. Zunächst hält der Autor sich sehr zurück, was atmosphärische Beschreibungen und Eindrücke der Umgebung angeht. Das rechte Bild will sich nur aufbauen, wenn man mit Lokalitäten, wie sie oben erwähnt wurden, durch eigene oder filmische Erfahrungen etwas vertraut ist. Ob man so viel stimmungsvolle Kopfarbeit von einem jugendlichen Leserkreis bereits freiweg erwarten kann, ist vielleicht bezweifelbar. Auch die Charakterausarbeitungen beschränken sich auf ein Minimum. Genauere Vorstellungen bekommt man nur von Valerian und Boy, aber auch sie bleiben schablonenhaft; ziemlich im luftleeren Raum existiert dagegen bereits Willow, deren Wesenszüge und Motivationen weitgehend unklar bleiben. Irgendwann kommt es beispielsweise zu wohl kaum vermeidbaren romantischen Aufwallungen gegenüber Boy, aber warum das so ist, wird nicht nachvollziehbar. Willow liebt Boy mit einem Schlage über alles und würde ihr Leben für ihn geben, und das müssen wir so hinnehmen, scheint’s. In dieser Art gäbe es noch einiges bei Randfiguren zu erwähnen, doch will ich es hierbei belassen.

Bei der Gelegenheit sei auch noch ein Wort zur Übersetzung verloren. Diese wirkt stellenweise recht unbeholfen und lässt sprachliches Feingefühl vermissen. Ein vergleichender Blick ins Original gibt seitenweise Anlass, sich zu wundern. Regional gefärbte Wendungen irritieren zusätzlich. Zwei Beispiele dazu, herausgegriffen von Seite 108: „Es kam sie alle hart an.“, „Willow war es fast schlecht geworden …“. Unsicherheiten bei den neuen Rechtschreibregelungen kommen hinzu. (Bleiben wir auf Seite 108: „zurück führen“ wird auch nach der Reform „zurückführen“ geschrieben.) In der Summe wird der Lesegenuss durch diese Schwachpunkte durchaus spürbar getrübt.

_… und was vom Tage übrig blieb_

Detail- und Feinarbeiten darf man letztlich im „Buch der toten Tage“ nicht erwarten, dafür aber eine spannende und dramaturgisch geschickt aufgebaute Abenteuergeschichte mit unheimlicher und düsterer Grundstimmung. Das, was man in schöner Aufmachung zwischen den Buchdeckeln präsentiert bekommt, weiß bis auf die deutsche Bearbeitung zu gefallen, aber zu einem wirklich erinnerungswürdigen Leseerlebnis fehlen noch einige handwerkliche Ingredienzien, wie eine glaubhafte Charakterzeichnung oder stimmungsvoll ausgearbeitete Bilder, die nicht zu viel der Fantasiearbeit des Lesers überlassen. Dennoch: Das Reinschmökern in verregneter und frostiger Witterungslage lohnt allemal und verspricht ein kurzweiliges Lesevergnügen, wenn man die literarische Erwartungshaltung nicht zu hoch ansetzt.

Hennig von Lange, Alexa – Erste Liebe

Alexa Hennig von Lange legt mit „Erste Liebe“ die Fortsetzung ihres Erfolgsromans [„Ich habe einfach Glück“ 987 aus dem Jahr 2002 vor. Die 1973 geborene Hannoveranerin zählt seit der Veröffentlichung ihres Debüts „Relax“ (1997) zu den erfolgreichsten Autorinnen ihrer Generation.
Desweiteren erschienen „Ich bin’s“, „Mai 3D“, [„Woher ich komme“ 962 und ihr aktuelles Kinder- und Jugendbuch „Mira reichts“.
Für „Ich habe einfach Glück“ erhielt sie den Jugendliteraturpreis 2002. „Erste Liebe“ erschien im September 2004.

Irgendwann in den 90ern trifft man Lelle und ihre chaotische Familie aus „Ich habe einfach Glück“ wieder. Inzwischen hat sich einiges getan, zwei Jahre sind vergangen, Lelle ist jetzt 17 und auf Rat ihrer Therapeutin von zu Hause weggezogen. Jetzt lebt sie in einem kleinen Zimmer, das sich an das Büro des Vaters anschließt.
Ihr erster Freund Arthur ist weg, der baut jetzt in Simbabwe Lehmhäuser und lächelt als groß kopiertes Foto von der Wand auf Lelle herab. Natürlich macht sie das etwas wehmütig, doch Lelle ist tapfer, so gibt sie sich zumindest, obwohl die Tränen des Öfteren mal hervorschießen. Aber es ist Besserung in Sicht: Auf der Party ihrer sonst langweiligen Freundin Tessi lernt sie den Rocker Marcel kennen und verliebt sich augenblicklich in ihn.

In ihrer Familie ist noch alles beim Alten, die ältere Schwester Gotsch ist eifersüchtig auf Lelle, weil die das Zimmer bekommen hat und nicht sie. Sie wechselt auch immer noch ihre Liebschaften wie ihre Unterwäsche und mit Selbstmord droht sie auch noch, wenn sie sich wie so oft ungerecht behandelt und ungeliebt fühlt. Der Vater geht Konfrontationen nach wie vor aus dem Weg und wenn sich das nicht verhindern lässt, bekommt er einen cholerischen Anfall. Die Mutter versucht vergeblich, das Ganze zusammenzuhalten, scheint sich in der Zukunft aber schon ohne ihren Berni zu sehen. Die Konfrontation scheint sie anders als in „Ich habe einfach Glück“ jedenfalls nicht mehr zu scheuen.

„Erste Liebe“ ist ein Buch, das zu Beginn vor allem von zwei Dingen lebt: Zum einen die Soap-Frage: Wie ging es nach „Ich habe einfach Glück“ weiter?, und zum anderen durch die gewohnt flüssige, leichte und authentische Jugendsprache, mit der die Autorin ihren Charakteren Leben einhaucht. Die sind dem Leser auch inzwischen ans Herz gewachsen, da „Erste Liebe“ die Trilogie („Lelle“, „Ich habe einfach Glück“) um Lelle vorerst abschließt. Demzufolge kennt der Leser die Protagonistin schon sehr gut, was bei der Entwicklung der Story natürlich viel Zeit spart. Trotzdem macht Hennig von Lange den Einstieg für Leser, die die ersten beiden Teile nicht kennen, leicht: Lelle gewährt ab und an Einblicke in ihre Vergangenheit, indem sie von einschneidenden Erlebnissen ihrer Jugend berichtet oder Beispiele für das Fehlverhalten ihrer Familie anführt. Für den mit dem Stoff vertrauten Leser kommen diese Punkte alles andere als ungelegen, frischen sie die Erinnerung doch noch mal auf und nehmen dabei kaum Platz weg.

Trotzdem hat der Roman auch seine Schwächen, die vor allem in der Handlung liegen, in der Lelle den Leser, den sie in ihrer lockeren Art mit „Leute“ auch anspricht, hineinzuziehen versucht. Die Familienproblematik ist aus den vorhergehenden Romanen schon bestens bekannt und gibt nicht mehr so viel Neues her. Zur Geschichte kommen lediglich zwei neue Aspekte hinzu: Zum einen das langsame Abnabeln von der immer präsenten Familie, der Anfang vom Abschied der Kindheit. Da Lelle nun aber doch noch täglich von ihren Eltern umgeben ist und sie mit 17 noch gar nicht so alt ist, kommen diese Aspekte etwas zu kurz. Aber da ist ja noch die „Erste Liebe“ oder vielmehr die zweite, Marcel. Der bringt einen völlig neuen Punkt mit in Lelles Leben: Den ersten Sex und den daraus folgenden inneren Konflikt, da sie ja eigentlich noch mit Arthur zusammen ist.

Leider hält sich Alexa Hennig von Lange mit diesen Dingen ebenfalls nicht lange auf und so ist nach drei Tagen Erzählzeit der Roman nach 158 Seiten beendet und wirkt dadurch viel zu flüchtig, was durch die lockere Erzählsprache nur begünstigt wird. Trotzdem bleibt „Erste Liebe“ ein sehr unterhaltsamer Roman, der den Zauber der Jugend für kurze Zeit aufleben lässt.

Hennig von Lange, Alexa – Ich habe einfach Glück

Alexa ist Hannoveranin, im Jahre 1973 geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1997, die Rede ist vom Bestseller „Relax“. Danach folgten die mehr oder weniger guten Romane „Mai 3D“ und „Ich bin’s“. „Ich habe einfach Glück“ erschien 2002 und wurde mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Wir kennen Alexa aber auch aus dem TV. So moderierte sie eine lange Zeit die Kindersendung „Bim Bam Bino“ und tauchte schon einige Male bei Harald Schmidt auf. Wer diese Auftritte gesehen hat, wird Alexa kennen, da es mit ihr doch sehr lustig und skandalös zuging.
Mittlerweile ist Alexa übrigens mit Autor Joachim Bessing verheiratet und Mutter zweier Kinder.

_Über Magersucht, Sexentzug und Neurosen_

Alexa Hennig von Lange nimmt uns in „Ich habe einfach Glück“ mit in eine deutsche Vorstadtidylle. Wir lernen eine nach außen hin völlig normale und intakte Familie kennen. Protagonistin und Ich- Erzählerin ist die 15 Jahre junge Lelle. Ihre Schwester ist Gotsch, steht nach Aussage ihrer kleinen Schwester „auf rumbumsen“ und grenzt sich weitgehend aus der Familie aus. Sie fühlt sich ungeliebt, zertrümmert gerne mal ihre Geige und droht der Familie mit Selbstmord. Außerdem hasst sie ihren Vater, der sich geschickt aus allem raushält und nach der Arbeit schnell im Keller verschwindet, um Schuhe zu putzen. Die Mutter macht in dieser neurotischen Familie keine Ausnahme. Sie hat panische Angst vor Bakterien, zwingt ihre Kinder sich umzuziehen, wenn sie von draußen ins Haus kommen, da die Kleidung von Bakterien verseucht sein könnte. Auch sonst hat sie größtenteils Angst. Angst, dass sich Gotsch umbringt oder einfach abhaut, was sie schön öfters getan hat, oder sie verfolgt Lelle bis an die Klotür aus Angst, deren Magersucht könnte zur Brechsucht werden. Seit Kurzem verspürt sie auch immer ein Stechen in der linken Brust, in der Hoffnung, die Kinder würden weniger anstrengend sein, wenn sie mit Herzinfarkt droht.
Einen Handlungsstrang in diesem Minenfeld zu kreieren, ist nicht schwer, und so bringt Hennig von Lange den von den von Eltern als „Stricher“ bezeichneten jugendlichen Nachbarn Arthur mit ins Spiel und lässt Gotsch ohne Nachricht verschwinden. Lelle nimmt die Suche gemeinsam mit ihrem Schwarm Arthur auf.

_Macht das Lesen dieses Buches glücklich?_

Alexa Hennig von Lange schildert hier eine eigentlich brisante Situation aus den Augen eines 15-jährigen Mädchens. Natürlich passiert das in der Sprache der Jugend, völlig unverblümt und zum Teil auch unreflektiert. Deshalb könnte dem einen oder anderen der Sinn des Romans abhanden kommen und dieser einfach als Unterhaltungslektüre abgetan werden. Hinter dem Ganzen verbirgt sich natürlich ein tieferer Sinn. So verhindert Lelle durch ihre Essstörung das Frauwerden, abgemagert ist sie, der körperliche Reifeprozess verzögert. Zudem äußert sie öfters den Wunsch, so dünn zu werden, dass sie einfach verschwindet. Sicherlich um dem Kontrollzwang der überführsorglichen Mutter zu entkommen. Die läuft dem Kind ständig hinterher und liegt ihm mit den Worten „Iss was, sonst fällst du noch tot um!“ ständig in den Ohren. Sie setzt sich mit dem Kind nicht normal auseinander, sucht kein richtiges Gespräch. Der Vater bekommt davon natürlich nichts mit, wenn er nach der Arbeit gleich in den Keller flüchtet, „Mama“ beschwert sich darüber natürlich: „Papa will nicht mehr mit mir Kuscheln“. Man macht sich Gedanken, was die anderen aus der Nachbarschaft über sie denken, der Schein muss gewahrt werden. So ist es geradezu ironisch, dass der Schwarm von Lelle, Arthur, als Asi und Chaot abgetan wird. Sind es doch die Verhältnisse in der eigenen Familie, die chaotisch sind. Völlig zerstört ist da Verhältnis zwischen Gotsch, die sich schon völlig von der Familie entfremdet hat und in Wutausbrüchen auch gerne mal was kaputtschlägt. Mit ihrem Vater hat sie gar nichts am Hut. In einem Brief wollte sie ihm die Meinung sagen, der hat den Brief ungeöffnet weggeschmissen. Dies ist bezeichnend, es finden keine anständigen Gespräche statt, immer nur sehr oberflächlich. Mit dem Vater gibt es keine Kommunikation, die Mutter nervt die Kinder mit ihren Neurosen und den Bemühungen, nach außen hin als heile Familie zu wirken.
Eigentlich ist das alles doch ziemlich tragisch, trotzdem ist die Komik allgegenwärtig, und so ist die Lektüre von „Ich habe einfach Glück“ herrlich unterhaltsam, lustig, aber auch spannend. Seinen Zweck erfüllt der Roman, wenn man am Ende feststellt, dass alle Familien ihren ganz eigenen Knall haben und alles gut ist, solange sich alle lieb haben.

Stroud, Jonathan – Bartimäus – Das Amulett von Samarkand

In einer Welt, in der Zauberer die Regierung bilden und ein zwei Klassensystem regelt, wer zu der privilegierten magischen Schicht gehört, wächst der junge Nathanael auf und wird – wie es sich gehört – von einem Magier als Lehrling aufgenommen. Bald merkt der Junge, dass sein Talent weitaus größer ist als sein altbackener vorsichtiger Lehrmeister vermutet, ja sogar, dass er in jungen Jahren schon seinem Meister voraus ist. Heimlich studiert er die verbotenen Werke und alle Versuche des Meisters, ihn durch Angst und Drohungen einzuschüchtern, scheitern kläglich. Der spießige und kleinbürgerliche Zaubermeister ist ein Beamter von niedrigem Stand, der sich bei den hohen Tieren der Regierung einschmeicheln will und mehr durch Gefälligkeiten und Kriecherei Karriere macht als durch magisches Talent. Das wird dem Jungen spätestens klar, als ein besonders fieser hochrangiger Besucher sich über ihn lustig macht. Blind vor Wut und Enttäuschung will er sich rächen, beschwört ein paar nervige Kleinstdämonen, doch die sind keine Gegner für den fiesen Magier. Der wiederum ist extrem sauer und fährt mit dem Kind Schlitten, während sein Meister zuschaut. Nun ist der Hass in dem Zauberlehrling geboren und der Racheplan steht schnell fest. Doch dazu braucht es einen etwas mächtigeren Dämon. Flugs macht Nathanael sich daran und beschwört den Dschinn Bartimäus.

Bartimäus hätte natürlich vieles lieber getan als einem rotznäsigen Lümmel von Zauberlehrling zu Diensten zu sein. Mit allen Mitteln versucht er sich der Beschwörung zu erwehren, doch zwecklos. Er muss gehorchen. Dabei ist die Aufgabe alles andere als einfach. Doch Bartimäus ist zwar nicht der mächtigste Dämon, dafür einer der listigsten. Und so gelingt es ihm auch, den Plan des Jungen auszuführen. Aber wenn der Dämon glaubt, damit hätte es sich auch, dann irrt er sich. Denn ohne es zu wissen, hat sein Beschwörer einen Plan der finstersten Sorte aufgedeckt und die mächtigen Magier, die dahinter stehen, sind ziemlich sauer. Und so stecken Bartimäus und Nathanael in echten Schwierigkeiten.

Der Roman gehört zu einer kleinen Reihe von Büchern, die als Debüt des Schriftstellers Jonathan Stroud in den Staaten Furore gemacht haben. Bereits kurz nach dem Erscheinen wurde das erste Buch für 20 Länder lizenziert. Dabei ist jedoch die Nähe zu einer anderen Erfolgsserie wohl eher von Bedeutung als eine ungeheure schriftstellerische Leistung, die ich hier nur bedingt feststellen kann.

Üblicherweise verzichtet ein Kritiker auf einen Vergleich. Doch da der Vertrieb des Buches sich daran orientiert und zugleich eine Menge tatsächlicher Parallelen existieren, muss man den Roman in Bezug zu der Reihe „Harry Potter“ sehen. Vertrieblich ist „Bartimäus“ sicherlich das Buch, welches überhaupt als Nachfolger des Fantasy-Jugend-Bestsellers gesehen werden kann. Wir haben England als Lokation, einen jungen Zauberlehrling und fiese Magier als Gegner. Das war es allerdings auch. Einem Vertrieb mag das reichen, doch einem Kritiker nicht.

„Bartimäus“ ist ein rundum eigenständiges Buch, das nicht nur besser geschrieben, sondern auch tiefgehender als der erste |Harry Potter|-Band ist. In dem Buch findet man alles, was ein spannendes Werk ausmacht und zudem noch eine Menge Gesellschaftskritik und Nachdenkenswertes. Der Autor nutzt die Außensicht des Dämons auf die Welt der Menschen, um kritisches Gedankengut zu verbreiten. Während die „Muggles“ bei Roawling als Menschen zweiter Klasse liebevoll akzeptiert werden, bricht der Dämon Bartimäus eine Lanze für die magisch Unbegabten. Nathanael argumentiert wie ein kleiner Rassist für das faschistische Regime der Magier über die Menschheit. Durchgehend schildert der Roman aus zwei abwechselnden Perspektiven nicht nur das Abenteuer, sondern auch die alternative Welt. So wird dem Leser nicht nur die Sicht des überzeugten Zauberlehrlings beigebracht, man erhält zusätzlich noch die fast wortwörtliche Vogelperspektive des Dämons.

Faszinierend ist dabei noch der schriftstellerische Kniff, in zwei unterschiedlichen Zeitebenen zu beginnen, die sich passend zum Spannungshöhepunkt treffen. Ab dieser Eskalationsstufe nimmt der Roman dermaßen an Fahrt auf, dass ein Weglegen des Buches zur Qual wird.

„Bartimäus“ ist sicherlich kein literarisch wertvolles Vollkornbrötchen, sondern eher ein luftig leichtes Weißbrot; schnell konsumiert mit mangelndem Sättigungsgefühl. Dementsprechend bekommt man Hunger nach mehr und glücklicherweise liefern Autor und Verlag noch weiteres Lesefutter. Wer sich nicht vor der Sucht nach spannenden Büchern fürchtet, der sollte hier zugreifen.

_Jens Peter Kleinau (jpk)_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung von [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht, dem großen deutschsprachigen Onlinemagazin für Fantasy, Science-Fiction, Horror und Rollenspiele.|

Schwindt, Peter – Justin Time – Zeitsprung

Die Eltern von Justin Time verschwanden vor einigen Jahren bei einem Zeitreiseexperiment spurlos, als Justin noch klein war. Als der Junge in den Sommerferien des Jahres 2385 im Internat die Einladung seines Onkels erhält, ihn zu besuchen, ist Justin sehr froh, denn bis dato hatte sein Onkel ihn nie eingeladen und die Ferien allein im Internat waren immer langweilig gewesen.

Doch bei seinem Onkel angekommen, stellt Justin fest, dass dieser ihn scheinbar gar nicht eingeladen hat. Im Gegenteil ist der Onkel damit beschäftigt, eine eigene Zeitreiseagentur aufzubauen. Gerade hat er den ersten Reisenden in die Vergangenheit geschickt, als alles schief zu gehen scheint. Der Reisende kommt in der falschen Zeit und am falschen Ort an, verursacht dort zudem noch einen verhängnisvollen Unfall, der Charles Darwin, den Entdecker der Evolutionstheorie, töten würde, bevor dieser seine Schriften veröffentlichen konnte.

Leider reicht die Energie nur dazu aus, eine leichtgewichtige und schmächtige Person in die Vergangenheit zu schicken, um den Fehler zu korrigieren. Da Justin als einziger diese Kriterien erfüllt, reist er zurück in die Zeit, um die Abweichung zu beheben …

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das vorliegende Buch ist der größte Schwachsinn, der dem Rezensenten in den letzten Jahren unter die Augen gekommen ist (was bei meinem hohen jährlichen „Leseaufkommen“ wirklich etwas heißen will!).

Die Geschichte wimmelt vor Peinlichkeiten, Löchern und Unmöglichkeiten. Am Ende der Geschichte bedankt sich Autor Peter Schwindt bei allen Leuten, die sich durch die verschiedenen Manuskriptfassungen gekämpft hatten. Leider scheint niemand mit auch nur leidlicher Kompetenz unter den Lektoren gewesen zu sein und der Leser fragt sich händeringend, wie dem renommierten Loewe-Verlag ein dermaßen missratenes Machwerk unterkommen konnte.

Dabei hat der Verlag sich offensichtlich Mühe gegeben, hat dem Buch für die Presse noch ein kleines Extramäppchen beigefügt, in der, zwar wenig umfassend, aber doch leidlich kenntnisreich, über Zeitreisetheorien oder literarische bzw. filmische Vorlagen referiert wird.

Dies verschlimmert die unsägliche Tat der Veröffentlichung eines dermaßen unausgegorenen Werkes aber nur noch, kann man entschuldigend für den Verlag deshalb nicht anführen, man habe von der Zeitreisethematik nie irgendwelche Ahnung gehabt.

„Justin Time – Zeitsprung“ zeigt dagegen auf, dass oberflächlicher Konsum einiger Fernsehserien (der Autor ist Jahrgang 1964 und berichtet, durch „Star Trek“, „The Avengers“ und ähnliche Fernsehserien sozialisiert worden zu sein) nicht reicht, um sich auch nur ansatzweise kompetent zu zeigen bei einem dermaßen komplexen Thema, wie es Zeitparadoxa darstellen.

Der Verdruß beginnt schon mit der Ausgangslage von Justins erstem Zeitabenteuer. Dass der Autor hier eine fadenscheinige Begründung heranzieht, warum ausgerechnet der Junge reisen muss, mag man dem unbedarften Peter Schwindt noch nachsehen. Auch die blödsinnigen Namen der Protagonisten (heißt doch der Held und seine Familie ausgerechnet „Zeit“ mit Nachnamen, der Name selbst ist ein Wortspielchen zu „just in time“ und der Assistent hört auf den sinnreichen Namen Rupert Bontempi!) sind wohl eher Geschmackssache.

Absoluter und eindeutiger Unfug ist dagegen die Entsendung eines grenzdebilen Touristen in die Vergangenheit, ohne die Methode vorher ausreichend getestet zu haben und ohne Absicherungen gegen Manipulationen in der Zeitlinie getroffen zu haben. Zum Schreien dämlich wird es dann jedoch, als der trottelige Tourist Charles Darwin durch eine unbedachte Tat tötet. Dies wird auf völlig unerklärliche Weise in der Zukunft registriert, woraufhin man sofort korrigierend eingreifen kann. Wie soll dies funktionieren, Herr Schwindt? Wenn jemand in der Vergangenheit etwas Gravierendes verändert, würden alle Protagonisten mit dieser veränderten Vergangenheit aufwachsen, ohne diese Abweichung auch nur entfernt registrieren zu können! Genau dies schildert z. B. der SF-Autor R. A. Lafferty in seiner genialen Kurzgeschichte „Thus we frustrate Charlemagne“ (dt. „So frustrieren wir Karl den Großen“), in der mehrfach Änderungen der Zeitlinie vorgenommen werden, die Protagonisten aber immer wieder von Neuem der festen Überzeugung sind, sie seien die ersten, die diesen Versuch unternähmen.

In dem SF-TV-Film „Zeitreise in die Katastrophe“ bedient man sich deshalb eines Zeitabschirmfeldes, welches zumindest scheinbar einige Leute in einem zukünftigen Bunker sich an die ursprüngliche Vergangenheit erinnern lässt, so dass man bei Abweichungen in der Zeitlinie rekorrigierend in der Vergangenheit eingreifen kann. In diesem Film (der inhaltlich verdammt an das vorliegende Buch erinnert, jedoch eindeutig niveauvoller ausfällt!) ist es eine kriminelle Organisation in der Zukunft, die illegal Zeitreisen zu berühmten Katastrophenvorfällen anbietet und die durch ihr Einwirken die Zeitlinie schließlich irreparabel beschädigt.

Doch was hat sich der Autor Peter Schwindt in seiner dürftigen Hervorbringung zurechtgebastelt: Ein unerprobter, aber staatlich genehmigter Zeittourist der völlig unbedarften Art, der in der Vergangenheit wütet wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, ohne dass die Änderungen sofort wirksam werden.

Welch merkwürdige surreale Zeittheorie mag im Kopf des Autors dabei herumspuken? Herr Schwindt, geben Sie es zu, Sie haben keine Ahnung! Denn der frühe Tod Charles Darwins würde alle Protagonisten mit dem Wissen aufwachsen lassen, dass ein anderer zu einem späteren Zeitpunkt die Evolutionstheorie begründet hat! Der Name Charles Darwin wäre einfach aus den Gechichtsbüchern getilgt gewesen, weil er nämlich nie drin war, und niemand würde sich mehr an ihn erinnern, vor allem nicht Ihr schlauer Protagonist und seine Helfer!

Auch über die Eigenschaft der Zeitmaschine, die Zeitreisenden nicht nur zeitlich, sondern offensichtlich auch örtlich zu versetzen (landen der Tourist und Justin doch irgendwo im Atlantik auf einem Expeditionsschiff, der Touri dabei sensationell viele Meter über dem Boden im Krähennest, einfach so!), verliert der Autor weder eine Silbe noch einen einzigen Gedanken.

Nebenbei führt der Autor zudem die Motivation der Protagonisten aus, sich an Zeitreisen zu beteiligen. Dabei ist dann Folgendes zu lesen (S. 54 unten): „Wenn er ehrlich war, konnte er verstehen, warum seine Eltern an diesem Projekt gearbeitet hatten. Die Welt des Jahres 2385 war alles andere als ein spannender Ort. Die Luft war sauber und roch nach Veilchen. Naturkatastrophen hatte die Wissenschaft seit der Erfindung des Terraforming einfach abgeschafft. Innerhalb weniger Minuten konnte man an jeden Ort der Welt reisen. Die Meere waren restlos erforscht, der Weltraum erobert. (sic!) Kurz: Es gab keine Überraschungen mehr, die die Menschen aus ihrer betulichen Ruhe reißen konnten …“

Wie, Herr Schwindt? Der Weltraum ist erobert? Vollständig? All die Milliarden und Abermilliarden Sonnensysteme, welche alleine in unserer Milchstraße zu finden sind, und zudem alle Abermilliarden von fremden Galaxien auch? Haben Sie überhaupt auch nur annähernd eine Vorstellung davon, wie groß das Universum wirklich ist (was natürlich kein Mensch je wirklich begreifen kann!)? Keine Überraschungen mehr? In welcher hohlen Luftblase seines Kopfes lebt der Autor eigentlich? Peinlicher geht es aber wirklich gar nicht mehr!!!

Abgesehen von diesen gravierenden, völlig irreparablen und katastrophalen formalen Fehlern überzeugt das Buch auch bezüglich der Charakterisierungen nicht. Die Figur des Justin Time ist so flach wie eine Briefmarke, nicht einmal sein Alter teilt der Autor dem Leser einigermaßen nachvollziehbar mit (man erfährt nur, er sei seit sieben Jahren im gymnasialen Internat; ist er damit in der siebten Klasse oder in der elften nach vier Jahren Grundschule?).

Auch sonst bleiben die Protagonisten und deren Umgebung blass.

Justin, obwohl als Sohn zweier berühmter Forscher und als Gymnasiast doch hoffentlich wenigstens durchschnittlich intelligent, entblödet sich zudem nicht, kaum bei Charles Darwin angekommen, mit diesem dessen berühmte Theorie zu diskutieren. Was wenn dieser die Evolutionstheorie noch gar nicht richtig entwickelt gehabt hätte zu dieser Zeit? Oder weiß Justin aus dem Kopf genau, wann dies der Fall war? Was wenn Justins Eingriff erst die berühmte Theorie erschaffen würde? Wer wäre dann deren wahrer Schöpfer gewesen? Wer hätte den genialen Gedanken dann wirklich zuerst gehabt?

Weder Justin noch sein Schöpfer verschwenden auch nur einen Gedanken daran. Kann man da von zumindest durchschnittlicher Intelligenz beim Protagonisten sprechen? Doch sicherlich nicht!

Der Auftakt einer neuen Serie soll das vorliegende Buch sein, doch leider ist nichts als grober Unfug daraus geworden, hanebüchener Quatsch.

Und dies, obwohl gerade der Loewe-Verlag in den letzten Jahren durch hervorragende Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Phantastik auf sich aufmerksam gemacht hat (z. B. zwei tolle Trilogien von Kai Meyer und Nancy Farmers hervorragenden SF-Roman „Das Skorpionenhaus“).

Wie konnte den Lektoren dort nur dieser Lapsus unterlaufen? Man wünscht dem Verlag den Mut, diesen Rohrkrepierer möglichst schnell wieder vom Markt zu nehmen und einzustampfen, die restlichen Folgen der Serie unter beschämtem Schweigen zu begraben, um sich damit nicht vollständig der Lächerlichkeit preiszugeben und sich auf Werke zu konzentrieren, die nicht komplett alogisch, an den Haaren herbeigezogen und unreflektiert sind, wie dies leider bei „Justin Time – Zeitsprung“ der Fall ist.

_Gunther Barnewald_ ©2004

Buchholz, Tonny Vos-Dahmen von – Vom Rentierjäger zum Raubritter

„Vom Rentierjäger zum Raubritter“ beschäftigt sich mit dem Teil der menschlichen Geschichte, die sich von 9000 vor bis 1600 nach Christus abgespielt hat. Also, wie der Titel schon sagt, von der Zeit der Rentierjäger bis zu der der Raubritter. Dabei handelt es sich aber keineswegs um ein trockenes Geschichtsbuch, in dem man keine zwei Seiten am Stück lesen kann, sondern um 15 spannende Geschichten.

Diese Erzählungen orientieren sich meistens an Funden aus der jeweiligen Epoche. So lässt die Autorin Tonny Vos-Dahmen von Buchholz die mögliche Vergangenheit eines Steins, in den ein tanzendes Mädchen eingraviert wurde, wieder lebendig werden, indem sie eine Menge Fantasie und Spannung hinzugibt: Vor den Augen des Lesers lässt sie die vergangene Landschaft wieder auferstehen, in der einst die Rentierjäger lebten und arbeiteten. Sie berichtet von einem Jäger namens Orf, der in ein Mädchen von einer anderen Horde verliebt ist. Aber leider ist es für die beiden nicht so einfach, ein Paar zu werden, denn der Vater von Ena möchte aber lieber Rangi, das erfolgreiche Oberhaupt des Nachbarstammes, als seinen Schwiegersohn sehen. Eines Abends treffen sich Orf und Ena heimlich im Wald, wo sie einander die Treue versprechen und Orf als Zeichen dafür ein Bildnis von Ena in seinen Druckstein ritzt. Als Ena erfährt, dass sie von ihrem Vater an Rangi versprochen worden ist, beschließt sie, sich zu verstecken und zu warten, bis ihre Horde nach der Rentierjagd, die fast ein halbes Jahr dauert, wieder zurückkehren würde. Sie muss nun alleine versuchen zu überleben, damit sie ihr Versprechen an Orf halten kann. Denn Rangi würde bestimmt nicht so lange warten, wenn er nicht einmal wüsste, ob sie noch am Leben ist, sondern sich eine andere zur Frau nehmen. Ena schaffte es auch tatsächlich, den Winter zu überstehen und kann endlich mit ihrem geliebten Orf zusammen sein.

Doch hier liegt auch leider schon der Haken, der ansonsten gelungenen Geschichte: Wenn man am Ende angelangt ist verspürt man immer noch diesen innerlicher Drang weiterzulesen, was aber nicht möglich ist, weil da nichts weiter über Orf, Ena und die anderen Mitglieder der Rentierjägerhorden steht.
Dieses Problem zieht sich durch das ganze Buch, da eigentlich jede der Geschichten zu schnell aufhört. Sei es die Geschichte vom Eichengott, von den heiligen Beilen oder dem Altar für die Göttin Nehalennia – jede einzelne hätte locker ein ganzes Buch füllen können und wäre immer noch spannend gewesen. Als nützlich, aber leider noch weiter spannungshemmend, erweisen sich die historischen Quellenangaben und Museumsempfehlungen, die nach jeder einzelnen Geschichte folgen. Hier wird immer darauf verwiesen, welcher historische Fund der jeweiligen Erzählung zu Grunde liegt und wo man diesen oder ähnliche Dinge finden kann. Dennoch eignet sich dieses Buch eher zur Unterhaltung als zur historischen Bildung, da ja nur wenige Ausschnitte aus der Geschichte angesprochen werden. Außerdem geht es in den Erzählungen mehr um die Lebensweisen des ‚kleinen Mannes‘ und der ‚kleinen Frau‘, weshalb die sonst in der Geschichte relevanten Könige und Jahreszahlen – glücklicherweise – ausgespart werden.

Zu erwähnen ist noch, dass „Vom Rentierjäger zum Raubritter“ den niederländischen Jugendliteraturpreis „Silberner Griffel“ erhalten hat, was aber nicht bedeutet, dass das Buch nur von Jugendlichen gelesen werden kann. Die Sprache ist zwar so gewählt, dass sie auch für die Jüngeren verständlich ist, artet aber noch lange nicht in naives Kindergeplapper aus, weshalb das Buch auch noch für ‚große‘ Abenteurer geeignet ist.

Fazit also: Ein gutes, spannendes und einfach geschriebenes Buch, aus dem aber noch viel mehr hätte werden können.