Interview mit Pat Hachfeld

Pat(rick) Hachfeld, 1969 in Wolfsburg geboren, ist Illustrator und bebildert unter anderem die Serien „Larry Brent“, „Macabros“ und „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ für den |BLITZ|-Verlag. Florian Hilleberg hat sich mit dem Künstler unterhalten:

_Florian Hilleberg:_
Hallo Pat, wie bist du eigentlich zum Zeichnen gekommen?

_Pat(rick) Hachfeld:_
Also, ich bin hundertprozentig überzeugt, dass mein Onkel dafür die Verantwortung trägt! Er hat früher immer echt geile Comicfiguren gezeichnet; Silver Surfer, Spiderman, Hulk usw. Und da dachte ich mir als Fünfjähriger: Hey, was der große Mann da kann (er war 17 Jahre), das musst du auch versuchen. Tja, und so kam der erste Kontakt mit diesen „langen dünnen Dingern“ zustande. Ich malte und malte … und irgendwann, nach gefühlten 80 Jahren, sind dann die ersten erkennbaren Figuren entstanden.

_Florian Hilleberg:_
Ist das Zeichnen dein Hauptberuf?

_Pat Hachfeld:_
Mh, wenn man das, was ich mache, als Beruf bezeichnet (Beruf klingt fast immer nach ungeliebter Arbeit), kann ich sagen: „Ja“. Wobei ich das Zeichnen – ob Illustration, Portrait, Wunschportrait, oder private Auftragszeichnungen – |nicht| als Arbeit bezeichnen möchte. Dafür hat es für mich eine viel zu persönliche Bedeutung, und ich verdanke dem Zeichnen sehr, sehr viel!

_Florian Hilleberg:_
Orientierst du dich beim Zeichnen an bestimmten Stilrichtungen, hast du Vorbilder?

_Pat Hachfeld:_
Als ich die Comicfiguren „im Sack“ hatte, bekam ich die erste LP von |IRON MAIDEN| zwischen meine Finger. Ich war circa 11 Jahre „alt“, und das Cover fand ich einfach so |hammergeil| – es war der gute alte „Eddi“ – dass ich |den| auch zeichnen wollte.
Also begann ich damit und raffte alles zusammen, was diese für mich damals |härteste| Heavy-Band der Welt so hatte. Und so entdeckte ich für mich, dass mir das Zeichnen von etwas düsteren und morbiden Bildern viel mehr Spaß machte als die „schöne heile Welt“.
Später wurde ich sicherlich von H. R. Giger und Paul Booth (Tattoowierer aus den USA) inspiriert.

_Florian Hilleberg:_
Mittlerweile bist du wohl der produktivste Künstler, der für den [BLITZ-Verlag]http://www.BLITZ-Verlag.de arbeitet. Wie kam der Kontakt zustande?

_Pat Hachfeld:_
Das war eigentlich kein großes Ding. Ich habe den Suchbegriff „Fantasie und Autoren“ eingegeben, und das Suchergebnis war dann Bernd Rothe (für Bernd habe ich auch die Fantasy-Anthologie „Rattenfänger“ illustriert, sie erschien ebenfalls im BLITZ-Verlag). Ich habe seine HP angeklickt und ihm eine E-Mail mit drei meiner Zeichnungen geschickt.
Bernd hat dann Alisha Bionda angeschrieben, ob sie noch einen Illustrator sucht. Alisha schaute sich dann auf meiner HP um, und so bin ich zu meiner ersten Buchillustration „Der ewig dunkle Traum“, Band 1 von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ gekommen, die Alisha Bionda zusammen mit Michael Borlik herausgegeben hat.

_Florian Hilleberg:_
Woher nimmst du deine Inspirationen?

_Pat Hachfeld:_
Wenn ich Bilder für meine [DUNKELKUNST]http://www.dunkelkunst.de zeichne – diese Motive werden bald im Shop als T-Shirts erhältlich sein -, kommen die Ideen ganz von selbst und aus meinem tiefen Inneren. Da die Bilder sehr „finster“, „morbid“ und „detailverliebt“ sind, und wegen der steigenden Anzahl der Aufträge, kommt es vor, dass ein Bild schon mal bis zu seiner Vollendung an die sechs Monaten braucht. Aber, wie gesagt, bedingt durch die Auftragsarbeiten habe ich |für mich| das letzte Mal vor circa zwei Jahren gezeichnet.

_Florian Hilleberg:_
Kennst du eigentlich die Romane, die du illustrierst, oder gibt dir der Verlag Vorgaben, nach denen du die Motive zeichnest?

_Pat Hachfeld:_
Das ist unterschiedlich. Bei den Anthologien, z. B. „Der ewig dunkle Traum“, „Rattenfänger“, „Wellensang“ (herausgegeben von Alisha Bionda und Michael Borlik, erschienen im |Schreiblust|-Verlag) oder aktuell eine Katzenanthologie (Hrsg. Frank W. Haubold & Alisha Bionda), bekomme ich die gesamten Geschichten zugeschickt. Ich picke mir dann eine Story raus, mache mir beim Lesen kleine Notizen, und meistens bilden sich dann schon die ersten Illus in meinem Kopf.
Bei den Dan-Shocker-Serien „Macabros“ und „Larry Brent“ oder der Fortsetzung von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ im |BLITZ|-Verlag bekomme ich von Alisha Bionda grobe Illustrationswünsche, die ich dann versuche umzusetzen. Und damit fahren wir eigentlich sehr gut.

_Florian Hilleberg:_
Wie weit lässt dir der Verlag in der Interpretation Freiraum?

_Pat Hachfeld:_
Der Freiraum, den mir der Verlag (den ich aber auch brauche) lässt, ist nahezu grenzenlos! Ich habe festgestellt – durch die vielen Illustrationen, die ich bisher für den |BLITZ|-Verlag erstellt habe -, dass ich mit Alisha, bezogen auf die Bilder, geschmacklich sehr nahe beieinander liege. Sie muss mich manchmal sogar etwas zügeln, weil ich sehr detailverliebt bin, und hier und dort noch eine Kleinigkeit hinzeichnen möchte.

_Florian Hilleberg:_
Wie auf deiner Homepage zu lesen ist, zeichnest du auch Portraits und nimmst Auftragsarbeiten an. Dagegen wirken die Illustrationen zu „Larry Brent“ und „Macabros“ recht surreal. Welche Motive zeichnest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
|Das| ist das Faszinierende an Kunst! Man kann „düster“, „morbid“ und „hart“ zeichnen, je nach Vorlage der Geschichte oder der Serien, und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wobei es mir sehr, sehr wichtig ist, dass die Illustrationen |nicht| „billig“ und „flach“ wirken. Ich versuche also immer, „noch einen Hauch“ Ästhetik mit einfließen zu lassen.
Und dazu steht dann das Portraitzeichnen im krassen Gegensatz – alles sehr feine Linien und sehr weiche Übergänge.
In mir ist die Frage aufgetaucht, ob ich nicht meinen Stil, also das „Düstere“, in die Weichheit des Portraitzeichnens einfließen lassen kann.
Und dadurch bin ich auf die Idee des „Wunschportraits“ gekommen.
Das heißt, wenn beispielsweise jemand Fan, egal ob Weiblein oder Männlein, des Fantasiespiels „Warhammer“ ist, und so wie eine Figur aus dem Spiel gezeichnet werden möchte, dann zeichne ich den Auftraggeber so. Aber auch als verführerische Hexe, oder als Zombie. Entscheidend dabei ist allerdings, dass der, der sich portraitieren lassen möchte, seiner Phantasie freien Lauf lässt! Da bin ich dann sogar etwas abhängig von der Vorstellungskraft meines Auftraggebers!
Daher: Ich bin immer bestrebt, mich zeichnerisch weiterzuentwickeln, so dass ich |nicht| sagen kann, welche Motive ich am liebsten zeichne.

_Florian Hilleberg:_
In welchem Umfeld arbeitest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
Am liebsten zu Hause. Ich habe mir im Dachgeschoss unserer Maisonettewohnung einen kleinen Platz geschaffen, wo alles in meiner Nähe ist, was mir wichtig ist – meine Verlobte Angie, unser grüner Leguan Jabba, die Musikanlage (ohne Musik geht echt nix!, ich liebe |System of a Down|, |Slipknot|, |Rammstein| usw.) und natürlich Fernseher.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es bestimmte Tageszeiten, zu denen du besonders kreativ und produktiv bist?

_Pat Hachfeld:_
Ich muss sagen, dass ich am produktivsten in den frühen Morgenstunden bin. Soll heißen, dass ich gegen sechs Uhr aufstehe, nach oben gehe, mir meinen frischen Guten-Morgen-Kaffee schnappe, ins Wohnzimmer wanke, mir eine Zigarette drehe (Kaffee und Zigarette gehören zusammen), den Fernseher anschalte, um Nachrichten (Euro News) zu sehen, und beginne so gegen 6 Uhr 30 mit dem Zeichnen, was ich dann zwei bis drei Stunden am Stück mache.

_Florian Hilleberg:_
Was für Projekte hast du für deine nähere Zukunft geplant?

_Pat Hachfeld:_
Neben dem Wunschportrait, was sehr gut angenommen wird, arbeite ich (hier allerdings reines Portraitzeichnen) neuerdings mit Schauspielern aus einer TV-Serie, die auf RTL im Vorabendprogramm ausgestrahlt wird, zusammen. Sie schicken mir ihre Fotos zu, welche ich dann auf DIN A3 zeichne. Bis jetzt ist das ziemlich interessant und aufregend für mich, weil es absolutes Neuland ist, bezogen auf das Zeichnen von Schauspielern aus dem TV.
Dann illustriere ich die Horroranthologie „Blutmond“ (wo ich auch Mit-Herausgeber bin) für Bernd Rothe. Die Katzenanthologie „Fenster der Seele“ mit Alisha Bionda läuft auch noch zeitgleich. Die beiden Serien „Larry Brent“ & „Macabros“ für den BLITZ-Verlag. Hier und da private Auftragszeichnungen (vor kurzen einen japanischen Drachen auf DIN A3 für ein Geburtstagsgeschenk) oder ein schönes Familienportrait. Und bald starten auch die Illustrationen für die nächsten „Schattenchronik“-Bände.

_Florian Hilleberg:_
Lebst du vom Zeichnen oder hast du noch einen Brotjob?

_Pat Hachfeld:_
Ich denke, ich kann sagen: „Ja, ich lebe davon“; zwar noch sehr wacklig, aber es geht. Es müssen halt mehrere „Zahnräder“ ineinander greifen: Portrait, Wunschportrait, Buch und Romanillustrationen, Auftragszeichnungen – z. B. Tattooflashs – entwerfen.

_Florian Hilleberg:_
Da du durch die enge Zusammenarbeit mit Alisha Bionda und dem BLITZ-Verlag ja überwiegend literarische Projekte illustrierst, drängt sich die Frage auf: Was liest du? Welche Autoren bevorzugst du?

_Pat Hachfeld:_
Also, ich lese sehr gerne John Grisham und Brad Meltzer und mag ihre Schreibweise. Ich finde es sehr gut, dass bei John Grisham ein überschaubarer Personenkreis mitwirkt und dass die Personen leicht verständliche Namen erhalten, so dass man nicht ständig sieben bis zehn Seiten zurückblättern muss, um nachzulesen, was oder wer „Mister X“ war, bzw. so gemacht hat. Ich mag sehr gerne Thriller oder Geschichten, die vor Gericht spielen („Die Jury“).
Außerdem lese ich sehr gerne historische Romane. Aktuell lese ich „Die Rächer“ von Aaron J. Klein über das Attentat auf die Israelis während der Olympischen Spiele 1972 in München. Ab und zu ziehe ich mir auch mal den guten alten |Larry Brent| rein.

_Florian Hilleberg:_
Was gibt es noch über den |Menschen| Patrick Hachfeld zu sagen? Was ist dir wichtig? Welche Wertigkeiten hast du? Welche Menschen sind dir, neben deinem direkten privaten Umfeld, über das du ja schon gesprochen hast, wichtig?

_Pat Hachfeld:_
Mh, was gibt es über mich zu sagen? Mir ist Ehrlichkeit sehr, sehr wichtig! Dass ich sehr viel Wert darauf lege, Freundschaften zu pflegen, und sei es auch nur ein kurzes Telefongespräch. Mit der Zeit hat sich auch eine freundschaftliche Beziehung mit Alisha Bionda und Bernd Rothe entwickelt, und mit Bernd habe ich mich auch schon drei-, viermal privat getroffen. Er lebt ja nun mal in meiner Lieblingsstadt Hameln, die ich schon von meinen früheren Besuchen auf der „Hameln-Tattooconvention“ her kenne und deren Ruhe und Altstadt ich sehr zu schätzen gelernt habe.

_Florian Hilleberg:_
Welche Projekte würdest du gerne noch machen? Was würdest du gerne selbst initiieren?

_Pat Hachfeld:_
Ich möchte mich noch stärker, bezogen auf das Wunschportraitzeichnen, in die Gothic-Szene einbinden lassen. So kann ich meinen Stil mit dem Portraitzeichnen verbinden. Außerdem möchte ich mit meinen Illustrationen aus der DUNKELKUNST wieder verstärkt an Ausstellungen teilnehmen. Zwar nicht hier in Wolfsburg, sondern mehr die Richtung Ruhrpott, Gelsenkirchen, Essen usw.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es dabei Menschen/Kollegen/Verlage, mit denen du bevorzugt arbeiten würdest? Oder zählt für dich nur die „Auftragslage“?

_Pat Hachfeld:_
Abgesehen von dem BLITZ-Verlag, wo ich mich sehr wohl fühle, ist es mir eigentlich (fast) egal, mit welchen Verlagen oder Menschen ich zusammenarbeite. Ich versuche einfach, jeden Auftrag so umzusetzen, dass nach Erledigung der Zeichnung die Leute oder der Verlag sagen: „Ja, war eine prima Zusammenarbeit, hat echt Spaß gemacht“. Und so baut man(n) sich gleichzeitig wieder neue Brücken.

_Florian Hilleberg:_
Vielen Dank für das Interview.

_Pat Hachfeld:_
Ich habe zu danken für die interessanten Fragen. Ich hoffe, ich habe nicht zu umfassend geantwortet. Hat mir echt großen Spaß gemacht, und wenn jemand Interesse an einem Portrait, Wunschportrait oder Ähnlichem hat, so kann er ganz zwanglos und locker mit mir Kontakt aufnehmen. Ich freue mich sehr!
In diesem Sinne, „mit einem Segen auf den Lippen“ – alles Gute und danke!

Bye, Pat
http://www.dunkelkunst.de/

Jordan, Robert – Suche nach dem Auge der Welt, Die (Das Rad der Zeit 1 – Das Original)

„Das Rad der Zeit“ ist die wohl umfangreichste und aus diesem Grunde auch oft am heftigsten kritisierte Fantasy-Serieauf dem gesamten weltweiten Buchmarkt. Knapp 30 Bände zählt Robert Jordans englischsprachige Originalausgabe bereits, und nach aktuellem Stand ist auch noch immer nicht ganz klar, wann das Rad seine Rotation beenden wird. Aus diesem Grunde sollte man sich schon sehr gut überlegen, ob man die Geduld und vor allem die Zeit hat, um sich dieser Zerreißprobe auszuliefern, und dabei auch die gelegentliche Kritik nicht außer Acht lassen. 10.000 Seiten und mehr sind nun mal kein Pappenstiel, und mittendrin aufzuhören, ist ja auch nicht das erklärte Ziel des Fantasy-Lesers. Nachdem ich nun den ersten Band der Serie in der Originalzusammenstellung ziemlich rasch verschlungen habe, plädiere ich aber definitiv dafür, Zeit und Umwelt sich selbst zu überlassen und dem Riesenprojekt zu folgen. Warum? Nun, bitte weiterlesen:

_Story_

Jedes Jahr wieder feiern die Bewohner des Dörfchens Emondsfeld das traditionsreiche Frühlingsfest Bel Tine. Auch Rand al’Thor und sein Vater Iam sehen den bald anstehenden Festlichkeiten mit großer Vorfreude entgegen und nehmen rege an der Vorbereitung der üppigen Feier teil. Bevor es jedoch losgehen kann, ereignen sich seltsame Dinge in und um Emondsfeld. Seltsame schwarze Reiter werden gesichtet und verbreiten unter manchen Bewohnern des Ortes Unruhe. Und auch der gerne gesehene Händler Padan Fain zeugt nicht gerade von Optimismus, als er seinen Freunden von den düsteren Geschehnissen aus der Ferne berichtet. Padan Fain weiß von einem bevorstehenden Krieg und berichtet auch von einem versteckten Drachen, der in wahrer Gestalt die einzige Person sein soll, die die befürchtete Herrschaft des aus der Gefangenschaft entflohenen Dunklen Königs aufhalten kann. Als dann auch noch Lady Moiraine Damodred und ihr Leibwächter Lan Mandragoran in Emondsfeld auftauchen, ist der Gemeinderat zutiefst verunsichert. Die Lady ist zwar ein willkommener Gast, doch meist verbirgt sich hinter ihrer Ankunft auch ein besonderer Zweck. Und der scheint nach den jüngsten Begebenheiten kein erfreulicher zu sein …

Auf dem Weg zurück zur Hütte der Familie al’Thor lässt Rand die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren und erinnert sich dabei vor allem an die mehrfach gesichteten schwarzen Ritter. Und seine Sorge soll sich alsbald auch als berechtigt herausstellen, denn sein Vater und er werden in der Dunkelheit von den mysteriösen Trollocs überfallen, seltsamen Hybridwesen, die dem Jungen bisher nur aus Sagen bekannt waren. Iam wird dabei schwer verletzt und bedarf dringender Hilfe, die ihm nur noch die Magierin Moiraine gewähren kann. Diese hat nämlich den gleichzeitig gestarteten Angriff auf das Dorf mit der Kraft ihrer magischen Formeln – sie gehört der verachteten Gruppe der Aes Sedai an – gerade noch abwenden und die völlige Zerstörung verhindern können und besitzt als Einzige die Möglichkeit, Rands Vater zu heilen. Doch der Preis ist hoch: Moiraine fordert von Rand, dass er sie in die Stadt Tar Valon begleitet, und verspricht, dass sie dort Hilfe finden werden. Sie eröffnet ihm, dass er eine der drei jungen Personen ist, die vom Dunklen Herrscher und dessen Mächten gesucht werden. Die übrigen sind Rand ebenfalls nicht unbekannt; es sind seine beiden besten Freunde Perrin und Mat, die sich der neu geformten Gemeinschaft widerstandslos anschließen und gemeinsam mit Egwene al’Vere, der Tochter des Dorfvorstehers, dem komischen Barden Thom Merrlin und der Seherin Nynaeve al’Meara die lange Reise antreten.

Geplagt von den schrecklichen Zuständen in Emondsfeld geht die Gruppe ihren Weg, wird dabei allerdings von weiteren Rückschlägen heimgesucht. Rand muss sich damit auseinander setzen, dass der zurückgebliebene Iam nicht sein wahrer Vater ist und wird zudem von Alpträumen und Visionen geplagt. Doch eine nähere Auseinandersetzung ist vorerst nicht möglich, denn auf ihrer Flucht in die scheinbare Sicherheit sind ihnen die Trollocs und ihre Befehlshaber, die Myrdraal, dicht auf den Fersen. Mit der List der Aes Sedai und ihrer neuen Gehilfin Egwene gelingt es dem Trupp mehrfach, den feindlichen Attacken zu trotzen, bis sie dann in den Ruinen von Shagar Logoth in einen weiteren Hinterhalt geraten und schließlich getrennt werden. Geführt von Rand, der Aes Sedai und Egwene suchen die Kleingruppen ihren eigenen Weg nach Tar Valon, bestehen dabei gefährliche Abenteuer und finden wieder zusammen. Denn nur gemeinsam können sie den Dunklen Herrscher davon abhalten, das Auge der Welt zu blenden. Und wäre dies nicht schon Last genug, muss sich Rand auch noch seinem eigenen Schicksal stellen …

_Meine Meinung_

Es ist schon der helle Wahnsinn. Da schreibt man schon eine ellenlange Inhaltsangabe und deckt damit trotzdem nur gut die Hälfte der tatsächlichen Erzählung in diesem ersten Band ab. Robert Jordans Welt um die bemerkenswerten Helden Rand, Mat und Perrin ist bereits hier so umfassend eingeleitet worden, dass man schon erahnen kann, welche Dimensionen das „Rad der Zeit“ eines Tages annehmen würde. Natürlich nutzt Jorden den Umfang der Geschichte aber auch dazu, seine Charaktere sehr eingehend vorzustellen. Wirklich jede Person unterliegt einer sehr genauen Betrachtung, und obwohl man in den vielen Dialogen unheimlich viel über die Hauptpersonen erfährt, wird das Wissen auch in späteren Passagen immer noch durch sehr wichtige Nuancen ergänzt. Und dennoch hat man den Eindruck, als stünde man gerade erst am Anfang damit, die einzelnen Personen kennen zu lernen.

Die Kunst dabei ist zweifelsohne, den Plot nicht mit den großzügigen Darstellungen zu ersticken, und diesbezüglich scheint Jordan ein absoluter Meister seines Faches zu sein. Der Autor nimmt sich Zeit, viel Zeit, baut das Ganze aber so geschickt auf, dass er den Leser nicht mit zu vielen Informationen erdrückt. Die Mischung aus Action, Hintergrundinformationen, Zwischenmenschlichem und handlungstechnischer Weiterentwicklung ist exzellent ausgewogen und hält den Leser durchgehend bei der Stange. Selbst nach der überlangen Einleitung, die an manch anderer Stelle schon dazu geführt hätte, dass man das Buch auf Nimmerwiedersehen beiseite gelegt hätte, ist die Neugier nach dem Fortschritt der Geschichte unheimlich groß und kann trotz der Masse an Inhalt kaum befriedigt werden. Man fühlt sich geradezu überwältigt von der Legende des Drachen und dem fortwährenden Kampf gegen den Dunklen Herrscher, und selbst wenn dieser erste Band (bei sage und schreibe knapp 900 Seiten!) mehr oder weniger nur die Einleitung zu einem gewaltigen Epos ist, findet man sich schon sehr schnell in der großen Welt um das Rad der Zeit (bzw. hier um das Auge der Welt) zurecht. Bis zum Ende hält die Neugier an, und selbst die schon bald zu erahnende Ernüchterung über die vielen offen bleibenden Handlungsabschnitte, die in irgendeinem Folgeband wieder aufgegriffen werden müssen, stört nicht.

Den Autor gilt es schließlich auch noch deswegen zu loben, weil er bei all den Möglichkeiten dennoch nicht auf ziellose Komplexität setzt. Der Plot ist zielstrebig geschrieben, allerdings nur sehr umfangreich ausgeschmückt worden. Wer also hier den Faden verlieren sollte, hat entweder nur halbherzig die Geschichte verfolgt oder ist der Fantasy-Welt Jordans nicht würdig.

So, tief durchatmen, denn bei aller Genialität des ersten Buches (wir sprechen bei „Die Suche nach dem Auge der Welt“ übrigens über einen neu veröffentlichten Sammelband in Originalumfang, in dem die beiden vorherigen deutschen Ausgaben „Drohende Schatten“ und „Das Auge der Welt“ zusammengefasst wurden), darf man aber auch nicht über die Kehrseite hinwegsehen. Und an der werden sich vor allem die Geister der Tolkien-Anhänger scheiden. Bei wohl keinem anderen Fantasy-Zyklus – gut, ich spreche hier vom eröffnenden Buch – sind die Parallelen zum Vaterwerk „Der Herr der Ringe“ so deutlich wie hier. Sowohl bei den verschiedenen Hauptfiguren als auch im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Story findet man so viele Ähnlichkeiten, dass sich der Autor wohl kaum den Vorwürfen des Ideenklaus widersetzen können wird. Auch hier tritt eine zunächst aussichtslose Ansammlung von stillen Helden eine lange Reise an, wird zwischendurch getrennt, von furchtbaren schwarzen Reitern getrennt, durch eine Magierin beschützt und in den Kampf gegen den Dunklen Herrscher getrieben. In diesem Sinne hätte Jordan seine Charaktere auch Gandalf, Frodo und Sauron, die Reiter Nazgul und die Welt Mittelerde nennen können. Aber lassen wir das.

Festzuhalten bleiben enorm starke Übereinstimmungen, an denen man sich aber nur dann stoßen wird, wenn man sich nicht wirklich auf den Plot einlassen möchte. Ich wage nämlich einfach mal zu behaupten, dass einen die Erzählung bei neutraler Herangehensweise mit sofortiger Wirkung beeindrucken wird und man sich mit solchen Stolpersteinen schließlich auch nicht mehr aufhalten wird. Penible Gemüter, und nur diese, sollten daher die Finger von diesem Monster-Zyklus lassen! Alle anderen, sollten sie die erforderlichen Wochen und Monate aufbringen und investieren können, dürfen indes nicht am „Rad der Zeit“ vorbeisehen – was ja schließlich auch kaum möglich ist, wenn man mal bedenkt, wie viel Platz die Serie mittlerweile in den Regalen der Händler einnimt. Mein erster Eindruck ist jedenfalls durch und durch positiv, und dies bezieht sich auf wirklich alles, was in „Die Suche nach dem Auge der Welt“ geschieht. Gott, was freue ich mich auf die Fortsetzung!

http://www.piper.de

Jackson, Lisa – Ewig sollst du schlafen

|Um sie herum herrscht tiefe Dunkelheit. Ein süßlicher, unangenehmer Geruch nimmt ihr fast den Atem, als die junge Frau aus tiefer Bewusstlosigkeit erwacht. Gedämpft hört sie das Prasseln von Erde und ein grausames Lachen – und erkennt in plötzlicher Panik, dass sie lebendig begraben wird. Sie wird nicht das letzte Opfer des sadistischen Killers bleiben.

Dessen verstörende Taten sind für die Journalistin Nikki Gillette zunächst nichts weiter als neuer Stoff für die Titelseiten. Sie ahnt noch nicht, dass der Mörder einen kranken Plan verfolgt, in dem sie eine Schlüsselrolle spielt … |

_Die Autorin_

Lisa Jackson arbeitete nach ihrem Studium zunächst einige Jahre im Banken- und Versicherungswesen, bevor sie das Schreiben für sich entdeckte. Mittlerweile zählt Jackson zu den amerikanischen Top-Autorinnen, deren Romane regelmäßig die Bestsellerlisten der „New York Times“, der „USA Today“ und der „Publishers Weekly“ erobern. Lisa Jackson lebt in Oregon.

_Rezension_

Pierce Reed – attraktiver Detective bei der Polizei von Savannah, mit Augen, denen nicht viel entgeht, und dessen Archillesferse Frauen sind – und die Reporterin Nikki Gillette werden in perverse Mordfälle verwickelt, deren roter Faden ein Prozess zu sein scheint, an dem sie vor zwölf Jahren beteiligt waren.
Verurteilt wurde damals LeRoy Chevalier, der im Verdacht stand, seine Lebensgefährtin und zwei ihrer drei Kinder getötet zu haben, nachdem er sie vorher missbraucht und gezwungen hatte, miteinander zu schlafen. Jetzt, zwölf Jahre später, ist er wegen eines Verfahrensfehlers wieder auf freiem Fuß.
Und just da beginnt die Verbrechensserie.

Das besonders Perfide: der Mörder begräbt seine Opfer lebendig, nackt, zusammen mit einem bereits Bestatteten, dessen Sarg er wieder ausgräbt und für seine Zwecke nutzt, versieht die Begrabenen mit Mikros und hört ihnen beim Sterben zu, was ihn sexuell erregt. Erstes Opfer ist Barbara Jean Marx, die ein Verhältnis mit Reed hatte und – wie die Obduktion ergibt – von ihm schwanger war.

Aufgrund ihrer Affäre wird Reed wegen Befangenheit von dem Fall abgezogen, den seine platinblonde, viermal geschiedene Partnerin und Mutter zweier Kinder Sylvie Morrisettes mit einem neuem Partner weiterführen soll. Cliff Siebert, der ebenfalls bei der Polizei von Savannah seinen Dienst versieht, zu Highschoolzeiten der beste Freund von Nikkis verstorbenem Bruder war und die Reporterin aus ehemaliger Verliebtheit mit Insiderinformationen versorgt, wirkt sonderbar verschlossen.

Nikki Gillette, ehrgeizig, mit einer Faszination für Verbrechen und Tochter des Richters Ronald |Big Ron| Gillette, arbeitet für den |Savannah Sentinel| und will durch den Fall endlich die Exklusivstory landen! Von da ab wird es turbulent in ihrem Leben, in dem zeitgleich auch ihr gut aussehender, draufgängerischer Ex-Freund Sean Hawke auftaucht. Doch da sie nicht an die Wiederbelebung einer Beziehung glaubt, ist sie nicht erpicht darauf, Sean wiederzusehen. Viel zu sehr ist sie mit dem Fall des „Grabräubers“, wie sie den Mörder bezeichnet, beschäftigt.

Der Grabräuber, der sich selbst |der Überlebende| nennt, nimmt sowohl zu Reed als auch zu Nikki Kontakt auf und schickt ihnen seltsame Botschaften. Der Sonderling besitzt eine Sammlung aus Hunderten von Filmen über Helden, die es geschafft hatten, trotz allen möglichen Härten des Lebens zu überstehen, und die selbst für Gerechtigkeit sorgten.

In dem Keller eines Hauses, dessen Besitzerin nicht weiß, dass er über einen Schlüssel zu dem abgelegen Teil des alten Gebäudes verfügt, hält er unter anderem sein „Heiligtum“, eine alte Kommode, versteckt, deren obere Schublade er niemals öffnen will, weil sie intim und unantastbar ist. In den anderen Laden bewahrt er die Dessous seiner Opfer, an denen er sich aufgeilt und befriedigt, ebenso wie an dem Grauen und Sterben der lebendig Begrabenen, deren Todeskampf er aufzeichnet und mitanhört.
Dann fühlt er sich mächtig.
Stark.

Nikki versucht an Reed, der Reporter – besonders aber Nikki Gillette – wie der Teufel das Weihwasser meidet, heranzukommen und stellt fest, dass das ungefähr so einfach ist wie mit einem Stachelschwein zu schmusen. Für Nikki ist Reed halsstarrig, mürrisch und grob, und für ihn ist sie wiederum genau die unheilvolle Kombination, um die er sonst einen Boden macht: attraktiv und intelligent. Doch die Mordfälle führen sie unweigerlich zusammen, weil der Täter zu ihnen beiden Kontakt aufgenommen hat und sie sich Informationen vom anderen erhoffen.

Als der Grabräuber sogar in Nikkis Wohnung einsteigt, spitzt sich die Situation zu und Nikki erfährt zum ersten Mal, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen: von den Medien gejagt und benutzt zu werden, und sie fühlt, wie ihre kämpferische Selbstsicherheit immer mehr bröckelt. Das gegenseitige Misstrauen zwischen ihr und Reed schwindet durch die zuerst widerwillig eingegangene Zusammenarbeit, und die beiden kommen sich immer näher.

Dann verschwindet Simone Everly, Nikkis beste Freundin und die Frau, die Nikkis verstorbener Bruder heiraten wollte. Schnell wird allen bewusst, dass auch sie in die Fänge des Grabräubers geraten sein muss.

Wird es Nikki Gillette und Pierce Reed gelingen, Simone Everly zu befreien? Und vermögen sie es, sich nicht weiter in dem Netz des Überlebenden zu verfangen, das dieser immer enger um sie herum spinnt?
Denn der Überlebende ist bereit für den |coup de gráce|!

_Fazit:_Ein kurzweiliger, flott geschriebener Krimi, der auf stolzen 600 Seiten erstaunlich wenig „Längen“ aufweist und der |die| Prise Sex & Crime beinhaltet, die ein gutes Unterhaltungsbuch dieses Genres bieten sollte. Sehr schnell meint man sich auf der richtigen Fährte, und ist am Ende doch überrascht, dass es alles ein wenig anders ist, als man dachte! Wer sich gut unterhalten will, ist hier an der richtigen Adresse!

|Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Hartmann|
http://www.knaur.de

Kastner, Jörg – Engelsfürst

Mit „Engelsfürst“ legt der deutsche Autor Jörg Kastner bereits seinen dritten Vatikanthriller rund um den ehemaligen Schweizer Gardisten Alexander Rosin und die engagierte Vatikanjournalistin Elena Vida vor. In den beiden Vorgängerromanen „Engelspapst“ und [„Engelsfluch“ 808 standen sowohl der reformerische Papst Custos als auch der Geheimorden Totus Tuus im Zentrum der Erzählung. Über zwei Jahre ist es her, seit Alexanders geliebter Onkel ermordet wurde und Papst Custos an die Macht kam, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt und daher unter dem Namen Engelspapst bekannt wurde. Aber auch der Gegenpapst Lucius, der sich in „Engelsfluch“ einen Namen gemacht hat, besitzt heilende Fähigkeiten und stammt von einem bekannten Engel ab. Im Engelsfürsten nun regieren beide Päpste in trauter Zweisamkeit, bis das Übel seinen Lauf nimmt …

Zu Beginn des vorliegenden Buches begibt Elena Vida sich zu später Stunde an einen abgelegenen Treffpunkt, um sich dort mit dem stellvertretenden Direktor der Vatikanbank, Monsignore Picardi, zu treffen, der am Telefon nervös klang und offensichtlich geheime Informationen für Elena hat. Doch am vereinbarten Treffpunkt wartet nicht Picardi auf Elena, sondern zwei gefährliche Männer, die Elena bewusstlos schlagen. Kurz darauf findet Elena Vida sich in Polizeigewahrsam wieder, da sie neben der Leiche Picardis gefunden wurde und nun des Mordes verdächtigt wird.

Alexander Rosin dagegen wird in den Vatikan gerufen, um dort ebenfalls unglaubliche Neuigkeiten zu hören. Kardinal Mandume nämlich ist nicht, wie offiziell bekannt gegeben, an einem Herzschlag gestorben, sondern er ist durch die so genannte Selbstverbrennung gestorben, bei der innerhalb von Sekunden oder wenigen Minuten von einem Menschen nur noch ein Häuflein Asche übrig bleibt. Als Alexander dann auch noch erfahren muss, dass Elena, von der er inzwischen getrennt lebt, nur knapp einem Anschlag entkommen konnte und nun selbst des Mordes verdächtigt wird, befindet sich auch Rosin mitten in der Geschichte.

In einem zweiten Handlungsstrang treffen wir auf Enrico, den Sohn des zweiten Papstes Lucius, der sich in einem Kloster in San Gervasio aufhält und von merkwürdigen Träumen heimgesucht wird. Der Abt des Klosters bietet Enrico an, eine Rückführung zu versuchen, damit Enrico seine Träume besser deuten kann und vielleicht herausfindet, ob es sich dabei nicht vielmehr um eigene Erinnerungen aus einem früheren Leben handelt. Bei seinen Sitzungen mit dem Abt muss Enrico schließlich feststellen, dass er vor 2000 Jahren tatsächlich bereits unter dem Namen Vel gelebt hat und er aus diesem Leben schreckliche Erinnerungen ans Tageslicht holen wird …

In zwei parallelen Handlungssträngen erzählt Jörg Kastner temporeich die Geschichte des Engelsfürsten. Während recht schnell Elenas Unschuld bewiesen ist und Alexander Rosin ebenfalls nur knapp einem Mordanschlag entkommen kann, versuchen Stelvio Donati und Alexander zusammen herauszufinden, welche Zusammenhänge es zwischen den beiden toten Kirchenmännern Picardi und Mandume gibt. Umrahmt wird die Erzählung durch die tragische Liebesgeschichte zwischen Alexander und Elena, die ein Ende fand, als Alexander aus Neid vor Elenas journalistischen Erfolgen eine Affäre begann. Doch damit nicht genug, erfährt Alexander nun auch noch, dass Elena ein Kind von ihm erwartet. Die Beziehung der beiden ist somit gespickt von Streit, Zwistigkeiten und Eifersucht. Elena kann Alexander seine Untreue einfach nicht verzeihen, obwohl dieser seinen Fehler gerne ungeschehen machen würde. Aber für viel Liebesgeplänkel ist glücklicherweise nicht viel Zeit, da sich im Kloster von San Gervasio etwas Schreckliches zusammenbraut.

Nach gleichem Strickmuster schon wie in „Engelsfluch“ lässt Kastner den besiegt geglaubten Geheimorden Totus Tuus wieder auferstehen, der mächtige Männer auf den Plan treten lässt, die ähnlich prominente Ahnen haben wie Papst Lucius und sein Sohn Enrico, die vom Engel Uriel abstammen und daher als Engelssöhne bezeichnet werden.

Schnell wird klar, dass das so genannte Engelsfeuer entfacht werden soll, um den Engelsfürsten auferstehen zu lassen, doch mit welchen Mitteln dies geschehen soll und worum es sich dabei genau handelt, das enthält Jörg Kastner uns über weite Strecken des Buches vor. Doch wer sich noch an den Vorgängerband erinnern kann, wird einige Parallelen entdecken, die ziemlich offensichtlich sind. Insbesondere beim Showdown erwartet den Leser ein unangenehmes Déjà-vu – man meint, fast genau die gleiche Szene bereits zu kennen.

Nun ja, ein paar neue Komponenten sind durchaus enthalten und es fehlen auch nicht die atemberaubenden Verfolgsjagden und Mordanschläge, die immer wieder die Spannung steigen lassen und das Tempo anziehen, obwohl Jörg Kastner durch die steten Schauplatzwechsel von vornherein ein ziemlich hohes Erzähltempo anschlägt. So bleibt dem Leser wenig Zeit zum Durchatmen und glücklicherweise oft auch wenig Zeit zur Reflektion über das gerade Gelesene, was dem Roman sicher zugute kommt.

Insbesondere die personellen Schwächen sind schnell aufgedeckt, denn wir treffen wieder auf unsere alten Bekannten, den ehemaligen Gardisten Alexander Rosin und seine nunmehr Exfreundin Elena Vida, die beide unerschrocken zu Werke gehen und sich von keinem Killer den Mut nehmen lassen. Immer wieder stürzen sie sich in gefährliche Situationen und treffen daher mehrfach auf die beiden unbekannten Mörder. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch permanent Elenas Sorge um den ungeborenen Sohn anhören. Natürlich vergisst Kastner es auch nicht, immer wieder Alexanders Schuldgefühle auszubreiten, von denen er aufgrund seiner Untreue heimgesucht wird, aber wer hätte es nicht geahnt? Am Ende – so viel sei verraten, ohne zu viel preiszugeben – erwartet unsere beiden Helden natürlich ein schmalztriefendes Happyend, das ebenso gut aus der Feder einer Rosamunde Pilcher hätte stammen können.

Doch bleiben wir beim Inhalt – und da hat Jörg Kastner leider wenig Neues zu bieten; es treten kaum Charaktere auf, die wir nicht bereits aus den Vorgängerbänden kennen, auch ist der Roman nach exakt dem gleichen Schema konstruiert wie sein Vorgänger und dadurch zu leicht durchschaubar. Thematisch entfernt Kastner sich rein gar nicht von seinem eingeschlagenen Pfad, sondern geht gerade mal ein, zwei Schritte weiter, um einige winzige neue Aspekte ins Spiel zu bringen, die aber wenig Sensationelles zu bieten haben. Als dann schließlich die Söhne verschiedener Engel im großen Finale aufeinander treffen, hoffen wir eigentlich nur noch eins: und zwar, dass Totus Tuus nun endlich ausgerottet sein möge, damit kein weiteres Feuer entfacht werden kann.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Kastner mit „Engelspapst“ ein überzeugender Start in seine Vatikanreihe gelungen ist, die er leider mit dem zweiten Band nicht völlig gelungen fortgesetzt hat, „Engelsfürst“ ist nun nur noch ein müder Abklatsch von „Engelsfluch“ und damit der schwächste der drei bisher erschienenen Bände. Natürlich ist das Buch rasant geschrieben, nett zu lesen und auch ganz unterhaltsam, aber man sollte schon einen Hang zum Mystischen haben, um diesem Buch etwas abgewinnen zu können; logische Gedanken und der Wunsch zur Realitätsnähe sind hier fehl am Platze.

http://www.knaur.de

Tokarczuk, Olga – Letzte Geschichten

Drei Geschichten erzählt Olga Tokarzuk in ihrem neuen Roman. Drei letzte Geschichten – Geschichten vom Tod, vom Sterben, vom davor, danach und währenddessen. Mit ihrer einfühlsamen Sprache lässt sie den Tod zurück in unser Leben; einen Exilanten, der so gern tabuisiert oder schlicht verdrängt wird.

Im ersten Teil des Romans, „Das reine Land“, kommt die Reiseführerin Ida vom rechten Weg ab. Sie ist auf dem Weg zum Haus ihrer Kindheit. Jahre zuvor hatte sie es nach dem Tod ihrer Eltern verkauft, doch nun ist sie in der Nähe und verspürt plötzlich so etwas wie Neugier, Nostalgie, Heimweh gar. Der geliehene Wagen kommt jedoch im Schneegestöber von der Straße ab und verwandelt sich in einen Haufen teuren Schrott. Ida bleibt unverletzt und sucht bei einem Rentnerehepaar Unterschlupf, bis sie die Polizei und die Besitzerin des Wagens informieren kann.

Doch etwas hält sie bei dem gastfreundlichen Ehepaar. Die Tage verstreichen, ohne dass sie die nötigen Telefonanrufe getätigt hätte. Wie in einer Luftblase lebt sie plötzlich dahin, neben der Zeit schwebend, während ihr Leben innehält und abwartet. Statt sich fortzubewegen, weiterzumachen, verfällt Ida in Stillstand. Oder ist das vielleicht nur ein Irrglaube?

Denn auch wenn das alte Ehepaar scheinbar von den Wirren der äußeren Realität unberührt bleibt, so helfen sie doch bedüftigen Kreaturen auf den Weg. Sie sind Reiseführer anderer Art, nehmen todkranke Haustiere bei sich auf und lassen sie sterben: in ihrem eigenen Tempo. Die beiden Alten stehen an der Tür zwischen Leben und Tod, sie bereiten dem Sterben einen Ort und eine Zeit. Und Ida, die Großstädterin, nimmt für ein paar Tage teil an diesem Prozess.

Im zweiten Teil, „Parka“, ist es Idas Mutter, deren Umgang mit dem Tod wir beobachten. Wir befinden uns in einem einsamen Haus in den Bergen. Im Sommer kommt unter Umständen mal die Post und regelmäßig wird auf Vorrat eingekauft. Doch im Winter ist das alte Ehepaar eingeschneit – selbst der Fernseher zeigt nur Schneeflocken. Petro, über 90, stirbt in diesem Winter, und da seine Frau keine Möglichkeit hat, das Dorf zu verständigen, schiebt sie Petros Bett (mitsamt Petro selbstverständlich) schließlich auf die Veranda. Das Leben geht weiter wie bisher. Sie fragt Petro um Rat, beschwert sich über sein Schweigen, rasiert seine Bartstoppeln und schneidet die Fingernägel. Sie lebt mit der Leiche, und schlussendlich scheint es kaum einen Unterschied zu machen, ob Petro nun tot oder lebendig ist. Der tote Ehemann auf der Veranda ist ein Anlass zur Reflektion und Erinnerung und wir erfahren von dem tiefen Keil, den die Repatriierung zwischen die beiden getrieben hat. Aus der Ukraine sind sie gekommen, damals nach dem Zweiten Weltkrieg. Paraskewia kann in Polen keine Wurzeln schlagen, doch die ehemalige Heimat in der Ukraine bleibt ihr ebenfalls verschlossen. Tokarczuk beschreibt hier ein herausgerissenes Leben, einen abgesägten Baum.

Und dann ist da im letzten Teil „Der Magier“ Maja, Idas Tochter. Mit ihrem Sohn bereist sie eine asiatische Insel. Sie arbeitet, sagt sie. Maja schreibt nämlich Reiseführer. In der tropischen Hitze liegt sie da, während Insekten sie plagen und die Geräusche des Dschungels ihr den Schlaf rauben. Ein Buch aus der Heimat verschafft ihr Linderung, es beschreibt die Stadt im Norden, mit ihrer balsamischen Kühle und all den bekannten kleinen Dingen, die einem sagen, man ist zu Haus.

Und doch ist Maja losgelöst, eine treibende Seele in dieser globalisierten Welt. Sie ist überall, doch nirgends zu Hause. Während Maja in der Schwermut versinkt, die Tokarczuk so liebevoll über ihr Südseeparadies legt, freundet sich ihr Sohn mit einem todkranken Magier an. Der bringt dem Jungen ein paar Taschenspielertricks bei (darunter die klassische zersägte Jungfrau) und vollführt am Ende das größte magische Kunststück überhaupt: Er stirbt.

In einem Interview sagte Tokarczuk einmal, sie schreibe in Bildern. Als Autorin übersetze sie Bilder in Wörter. Diese sensible Herangehensweise an Sprache und die damit verbundene Verknüpfung von innerer mit äußerer Welt machen Tokarzcuks Erzählungen so lesenswert. Ob sie einen schreienden Affen an Majas Fenster beschreibt oder Paraskewias Umsiedlung nach Polen: Als Leser wird man nie das Gefühl los, dass selbst der kleinste Nebensatz, das nebensächlichste Bild noch auf größere Zusammenhänge verweisen kann. Träume sind für Tokarzcuk eine wichtige Inspiration, und wie im Traum kann auch in ihren Geschichten jede Kleinigkeit eine tiefere Bedeutung haben. Vor allem aber wirken diese kraftvollen und doch so leisen Bilder intuitiv auf den Leser. Ihre suggestive Sprache bohrt sich geradezu in die Erinnerung, setzt sich fest und erstrahlt irgendwann zu voller Blüte. Selbst wenn die Handlung stagniert (eigentlich „passiert“ kaum etwas in „Letzte Geschichten“), treibt die Sprache selbst den Leser immer weiter voran, tiefer in das Herz der Finsternis, hinein in die Erinnerungen, Ängste und enttäuschten Hoffnungen seiner Protagonisten.

Wie immer zeichnet Esther Kinsky für die Übersetzung verantwortlich, die seit Jahren Tokarczuk meisterlich ins Deutsche überträgt. Man muss nicht unbedingt ein Fan polnischer Literatur sein, um Tokarczuk zu mögen. Was sie beschreibt, ist universell. Es sind immer Menschen, die zwar lose in der polnischen Geschichte verankert sind. Doch letztendlich ist ihre Welt die unsere. Ihre Probleme sind die unsrigen.

Wer auf sprachliche Meisterschaft Wert legt und statt eines Glases Wein lieber einmal einen sorgfätig komponierten Roman genießen möchte, der ist bei Olga Tokarczuk immer gut aufgehoben. „Letzte Geschichten“ macht da keine Ausnahme.

http://www.dva.de/

Sullivan, Mark T. – Geistertanz

Lawton in den Green Mountains im US-Bundesstaat Vermont, im Frühjahr 1998: Der Dokumentar-Filmer Patrick Gallagher besucht den kleinen, abgelegenen Ort, um für ein neues Projekt zu recherchieren. Um die Jahrhundertwende hat der Gemeinde-Pfarrer Pater Victor D’Angelo in Lawton angeblich zahlreiche Dorfbewohner durch das Auflegen seiner Hände vor dem sicheren Tod bewahrt. War D’Angelo ein Heiliger? Pater McColl, der heute die Gemeinde Lawton leitet, hat das komplizierte kirchliche Verfahren in Gang gesetzt, durch das D’Angelo selig oder sogar heilig gesprochen werden könnte. Über diesen Mann und seine Geschichte will Gallagher einen Film drehen.

In Lawton werden Fremde mit Misstrauen bedacht – besonders, wenn sie womöglich die Kür eines eigenen Ortsheiligen gefährden könnten! Das stellt Gallagher rasch fest, als er sich um eine Unterkunft bemüht. Erst Andromeda „Andie“ Nightingale, die als Sergeant für die Kriminalpolizei des Ortes arbeitet, ist bereit, ihm eine Hütte zu vermieten. Sobald Gallagher sich eingerichtet hat, drängt es den passionierten Angler zum Bluekill River. Nach kurzer Zeit geht ihm ein wahrhaft kapitalen Brocken an den Haken: die Leiche des brutal ermordeten Zahnarztes Hank Potter.

Andie Nightingale findet unter den Hinterlassenschaften Potters eine seltsame Zeichnung, die laut Gallagher Charun darstellt, den mythologischen Fährmann der Seelen in das Reich der Toten. So viel humanistische Bildung lässt den Filmmann für Chief Mike Kerris und Lieutenant Brigid Bowman, Nightingales Kollegen bei der Polizei, umgehend zum Hauptverdächtigen aufsteigen. Der Druck auf Gallagher wächst, als weitere Morde „Charuns“, wie der Killer bald genannt wird, Lawton in Unruhe versetzen. Dennoch kann Gallagher Nightingales Vertrauen gewinnen und sie bei ihren Ermittlungen unterstützen. Sie finden heraus, dass Charun es auf die Besitzer eines mysteriösen Tagebuchs abgesehen hat, das die junge Indianerfrau Sarah Many Horses – eine Nichte Sitting Bulls – vor mehr als einem Jahrhundert niedergeschrieben hat und das nach ihrem Tode aufgeteilt wurde. Die Aufzeichnungen werfen ein äußerst unvorteilhaftes Licht auf die damals wie heute die Geschicke Lawtons bestimmenden Familien. Schlimmer noch: Many Horses starb unter grotesken Umständen, die auch Pater D’Angelo in den Kreis der Verdächtigen ziehen. Will Charun die Spuren dieser alten Kollektiv-Schuld tilgen?

„Geistertanz“ ist ein Roman, dessen Handlung von falschen Fährten, mutwillig angelegten Sackgassen und mehrdeutigen Anspielungen bestimmt wird. Das beginnt bereits mit dem Titel, der auf ein reales historisches Phänomen anspielt: den pseudo-religiösen Kult der Geistertanz-Bewegung, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter den Indianerstämmen des US-amerikanischen Westens aufkam. Von den weißen Siedlern, den Soldaten und der Regierung immer stärker bedrängt, entlud sich der äußere und innere Druck der Ureinwohner in einem an sich wahnwitzigen Irrglauben, in dem eigene Mythen sich mit Elementen des Christentums mischten. Der „Geistertanz“ sollte eine Brücke zwischen den zahllosen toten und den wenigen überlebenden Kriegern schlagen, die dann gemeinsam gegen den verhassten weißen Feind vorgehen zu können glaubten. Außerdem waren die Anhänger des Kultes überzeugt, von nun an unverwundbar zu sein. Der US-Regierung machte weniger die Sorge um die Realität dieser aus Verzweiflung geborenen Bewegung zu schaffen als die plötzliche Einigkeit zwischen eigentlich verfeindeten Stämmen, die sich zu einem gefährlichen, weil sehr realen Gegner entwickeln konnten. So wurden Truppen ausgeschickt, die den Geistertanz-Glauben niederhalten sollten. Erwartungsgemäß kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die im Winter 1891 in South Dakota in einem Massaker am Wounded Knee gipfelten, bei dem die Armee „vorsichtshalber“ viele hundert Männer, Frauen und Kinder niedermetzelte – eines der bekannteren Gräuel der modernen Geschichte.

Sullivans fiktive Sioux-Frau Many Horses ist eine Überlebende von Wounded Knee und eine der Letzten, die das Geistertanz-Ritual kennt. Mehr als dieses lokalkoloritische Element trägt sie nicht zum Roman bei. Die Geschichte, wie Many Horses nach Lawton kam, um dort einer bizarren örtlichen Sekte buchstäblich zum Opfer zu fallen, ist sehr interessant zu lesen und wird vom Autor auch sehr spannend nach und nach enthüllt, doch sie trägt angesichts des Raumes, die Sullivan ihr zugesteht, zur eigentlichen Geschichte zu wenig bei. Fakt ist, dass Many Horses‘ Tod bzw. der weiter bestehende Aberglaube um ihre wundertätigen Kräfte zwar die Ursache für die Morde von Lawton ist. Doch das ist nicht das Thema der von Sullivan ausgewalzten Vorgeschichte zur Mordserie von 1998.

Wie ist es überhaupt um die angebliche Wunderkraft bestellt? Sullivan spielt ständig mit übernatürlichen Elementen, nur um sie im Finale sämtlich „logisch“ aufzulösen. Es gibt in Lawton keine indianischen Rachegeister, und es gab sie nie. Dann fragt man sich als Leser natürlich, wieso Sullivan seinen Roman mit einem Kapitel einleitet, das im Jahre 1918 spielt und den angeblichen Heiligen Pater D’Angelo eindeutig als Wunderheiler beschreibt. Die Erklärung ist ebenso einfach wie ärgerlich: Sullivan bedient sich eines simplen Tricks, um das Interesse seines Publikums zu erregen. Als er am Schluss seiner Geschichte eher beiläufig das Thema noch einmal aufgreift, versucht er sich mit der Binsenweisheit, dass Glaube Berge versetze, aus der Affäre zu ziehen – eine sehr unbefriedigende „Lösung“, die zudem suggeriert, der Leser müsse halt selbst entscheiden, wie „geisterhaft“ die Ereignisse der verstrichenen Seiten nun zu werten sind.

Solche faulen Tricks hätte der Roman gar nicht nötig. „Geistertanz“ ist ein solide konstruiertes und kompetent (wenn auch ein wenig hausbacken) geschriebenes Buch. Die Fakten sind sauber recherchiert, was kaum verwunderlich ist, wenn man sich vor Augen führt, dass Mark T. Sullivan, der als Wirtschaftskorrespondent für die Agentur Reuters in Chicago arbeitet, bereits zweimal für den renommierten Pulitzer-Preis nominiert wurde und sein journalistisches Handwerk nachweislich beherrscht. Die einfach gestrickte und altmodische, aber in zahllosen Romanen und Filmen bereits bewährte Geschichte vom düsteren Geheimnis in einem kleinen, abgegrenzten, nur scheinbar idyllischen Ort bringt er gut über die Runden. Schade nur, dass er im Finale auf den obligatorischen Killer mit erheblichem Dachschaden zurückgreift; typisch dann aber wieder, dass er plötzlich noch einen zweiten, den „richtigen“ Bösewicht aus dem Hut zaubert.

Mit seinen beiden Hauptfiguren Gallagher und Nightingale hat sich Sullivan beinahe schon zu viel Mühe gegeben. Er möchte imaginären Figuren echtes Leben einhauchen, was an sich nur zu begrüßen ist. Doch er geht in seinem Eifer oft zu weit, wenn er Seite um Seite tragische Ereignisse aus der Vergangenheit Gallaghers und Nightingales (harte Kindheit, persönliche Enttäuschungen, Alkoholismus, Schuldgefühle usw. usf.) nacherzählt, die mit der eigentlichen Handlung nicht das Geringste zu tun haben. „Geistertanz“ ist somit ein durchschnittlicher, gut lesbarer und bis auf das enttäuschende Finale spannender Roman, der sich indes ein wenig wichtiger nimmt, als ihm zukommt.

MacLeod, Ian R. – Aether

In einer an das viktorianische England angelehnten Welt wächst Robert Burrows auf, ein ganz normaler und unbedeutender Junge aus einer Arbeiterfamilie. Eigentlich soll Robert Werkzeugmacher werden wie sein Vater, aber das Schicksal meint es nicht gut mit ihm:

Die Arbeit mit dem Aether hat seine Mutter in einen Wechselbalg verwandelt und sie eines grausamen Todes sterben lassen. Dasselbe magische fünfte Element, das für den unglaublichen Aufstieg der englischen Industrie verantwortlich ist. Aether treibt die Maschinen der reichen Gilden an, gleichzeitig sind sie abhängig vom Aether. Andere Energiequellen können nicht an die Kraft und Flexibilität des Aethers heranreichen, den man in Bergwerken aus der Erde fördert. Darum vernachlässigt man die Erforschung alternativer Energiequellen.

Doch der Aether ist ein zweischneidiges Schwert: Immer wieder kommt es zu Unfällen, wer zu lange mit dem Aether arbeitet, wird krank und stirbt oder verwandelt sich gar in einen Wechselbalg, Troll oder Kartoffelmann. Während die reichen Gildenmeister ein Leben im Überfluss führen, riskieren rangniedere Gildenmitglieder ihre Gesundheit, gildenlose Menschen leben in Slums und stellen die unterste Schicht der Gesellschaft dar.

Robert Burrows will fort von der grausamen Industrie seiner Heimat und zieht nach London. Doch sein Traum von Freiheit vom Aether verwandelt sich in einen Alptraum. Hart arbeitend geht er zwielichtigen Beschäftigungen nach, hat nur wenige Freunde und nur seinen eisernen Willen als Kapital.

„Aether“ ist die Geschichte von Robert Burrows, der in den Rang eines Gildengroßmeisters aufsteigen und seine große Liebe finden wird. Sein Glück und Leid gleichermaßen verdankt er dem Aether …

Der in den Midlands um Birmingham aufgewachsene Ian R. MacLeod schreibt in seinem Roman „Aether / The Light Ages“ über sehr englische Themen. Die viktorianische Epoche und die Thematik erinnern an Charles Dickens, während seine Sozialkritik eher mit der eines China Miéville zu vergleichen ist. Allerdings ist MacLeod vornehmlich ein distanzierter Beobachter, der sich mit Wertungen oder Kritik viel mehr zurückhält als Miéville.

Seine Hauptfigur Robert Burrows ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Trotz des Fokus auf Robert behält MacLeod stets eine gewisse Distanz vom Geschehen, was es leicht macht, die Handlung kritisch zu reflektieren. Dabei kommen emotionale Momente nicht zu kurz. Wird der Tod der Mutter sehr nüchtern geschildert, ist die sich im zweiten Teil des Buches anbahnende Liebesgeschichte ergreifend. Dennoch werden einfühlsamere Szenen ebenso wie Schilderungen der sozialen Missstände durch diese Erzählweise ihrer Intensität beraubt. Die unkommentierte und oft langatmige Schilderung des quasi-viktorianischen Englands verliert schließlich ihren Reiz, das Buch beginnt stark und fällt dann drastisch ab, bis MacLeod endlich zur Sache kommt; er redet zu lange um den heißen Brei herum: die Aether-Problematik.

Aether erinnert bewusst an Uran; die Mutationen, die er auslöst, sind Folgen einer Verstrahlung. Trotzdem setzt man beharrlich auf den Aether – nicht einmal die Elektrizität hat man erfunden, per Aether ins unermessliche verstärkte Dampfmaschinen sind das Nonplusultra. Erst mit dem unerwarteten Erlöschen des Aethers, was eher an Erdöl denn Kernkraft erinnert, beginnt man mit der Suche nach alternativen Energiequellen.

„Aether“ gefällt mit vielen Bezügen zur Realität in einer verfremdeten und doch sehr bekannten viktorianischen Parallelwelt. Sprachlich ist MacLeod ein sehr visueller Schriftsteller, er lässt den Blick des Lesers of schweifen. Die Übersetzerin Barbara Slawig hat exzellente Arbeit geleistet, auch die Aufmachung und Qualität des Buchs können auf ganzer Linie überzeugen.

Bei so vielen brisanten und aktuellen Themen verwundert jedoch, wie distanziert MacLeod beobachtet. Auch wenn diese Sachlichkeit durchaus angenehm ist, fehlt einfach ein Standpunkt, der rechte Biss bisweilen. Der Wandel der Gesellschaft und der Aufstieg Roberts werden hier nicht aggressiv durch einen Klassenkampf erreicht, sondern sind die Folge des Versiegens des Aethers. Robert ist ein getriebener, passiver Charakter. So dümpelt die Story bisweilen dahin, denn die Faszination des quasi-viktorianischen Englands erlischt schnell; diese Epoche und ihre Probleme sind trotz aller moderner Bezüge dem Leser einfach zu bekannt.

Etwas mehr Dramatik, Pep und Biss anstelle der distanzierten Beobachterperspektive hätten dem Roman gut getan; trotz dieser Schwächen ist er jedoch ansprechend und intelligent. Gerade der Verzicht auf derbe Plastizität und vorgekaute Schlussfolgerungen oder Kommentare könnte die Lebensgeschichte Robert Burrows für viele Leser interessant machen.

http://www.klett-cotta.de

Nix, Garth – Sabriel (Das alte Königreich 1)

Sabriel ist gerade erst mit der Schule fertig. Eigentlich freut sie sich darauf, ihren Vater wiederzusehen, aber er kommt nicht. Nur ein Sendling von hinter der Grenze des Todes taucht auf und bringt Sabriel Schwert und Glocken ihres Vaters. Sie weiß nun, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Noch in derselben Nacht packt sie ihre Sachen und macht sich auf zur großen Mauer, die Ancelstierre vom alten Königreich trennt. Kaum hat sie das alte Königreich betreten, gerät sie in eine extreme Gefahr, welche sie mit tödlichem Hass durch das gesamte Land verfolgt …

|Charaktere|

Garth Nix‘ Heldin ist noch jung und unerfahren. Da sie in Ancelstierre aufgewachsen ist, weiß sie fast nichts über ihre Heimat, das alte Königreich. Ihr Durchsetzungsvermögen und ihr Wagemut basieren nicht zuletzt darauf, dass sie so wenig Ahnung von den Verhältnissen auf der anderen Seite der Mauer hat. Sie handelt aus dem Bauch heraus und tut manches Mal nur instinktiv das Richtige, nicht, weil sie die Situation beherrscht. In eine Rolle gedrängt, die ihr zu groß scheint, legt sie nur umso größeren Wert darauf, sie selbst zu sein. Das macht sie sympatisch.

Mogget, die weiße Katze, ist ziemlich gut getroffen. Sie hat viel Kätzisches an sich, obwohl sie eigentlich gar keine Katze ist, sondern ein gebundener Geist freier Magie. Mit ihrer Herablassung geht sie Sabriel manches Mal gehörig auf die Nerven, ist aber auch ein guter Ratgeber, ein verlässlicher Wächter und ein machtvoller Verbündeter.

Touchstone ist dagegen zunächst ein ziemlicher Jammerlappen. Er muss offenbar erst einmal richtig aufwachen, ehe er nützlich werden kann. Das bezieht sich weniger auf seine Erinnerungen, die nach seiner Rettung aus dem Totenreich nur langsam zurückkehren, als vielmehr auf sein Verhalten. Ansonsten ist er der typische Adlige: edelmütig, tapfer und mächtiger als erwartet.

Der Bösewicht ist Kerrigor, ein so genannter Großer Toter. Wer sich hinter dieser schattenhaften Bedrohung wirklich verbirgt, erfährt der Leser erst gegen Ende, da Kerrigor zunächst nur seine Handlanger in den Kampf schickt. Feststeht jedoch, dass es sich bei ihm um die größte Gefahr handelt, die das Totenreich zu bieten hat: einen ehemaligen Adepten der freien Magie.

Die Charakterzeichnung ist deutlich, geht aber nicht über das Minimum hinaus. Lediglich Sabriel ist etwas genauer ausgeführt, sie hat Gedanken und Gefühle. Über die anderen erfährt man kaum etwas: nichts über die Motive Kerrigors, fast nichts über Moggets wahres Wesen und über Touchstone nur das, was man zum Verständnis der Handlung wissen muss.

|Anceltierre und das alte Königreich|

Das gilt auch für andere Teile des Buches. Zum Beispiel für den Entwurf Ancelstierres und des alten Königreiches.

Ancelstierre wirkt ein wenig wie ein europäisches Land in den Endzwanzigern des letzten Jahrhunderts. Es gibt bereits Autos und Flugzeuge, aber die meisten Leute fahren offenbar noch mit dem Pferdefuhrwerk. Es gibt elektrisches Licht und Telefon, es gibt Läden mit Schaufenstern, Kinos und wahrscheinlich auch Tanzbars und Ähnliches. Andererseits wird am College noch Etikette unterrichtet, und es gilt als höchst unanständig, wenn ein junges Mädchen allein mit einem jungen Mann unterwegs ist.

Da Ancelstierre offenbar eine Nation aufstrebender Technik ist, hält die Regierung nicht viel von Zauberei. Dennoch wird am College auch Magie unterrichtet. Denn so mancher Bedrohung an der Grenze kann man einfach nicht anders als mit Magie begegnen.

Im alten Königreich dagegen hat Magie ihren festen Platz. Sie tritt in zwei Formen auf. Einerseits als Chartermagie, wobei Charter die Bezeichnung für die guten Elemente der Magie ist, wenngleich eine genaue Definition nicht gegeben wird. Sichtbare Zeichen dieser Magie sind die Chartersteine, die das Land beschützen, sowie Moggets Halsband und der dazugehörige Ring. Auf der anderen Seite gibt es die freie Magie, die in der Regel zerstörerisch wirkt und daher als böse gilt. Mit ihr werden Chartersteine zerstört, sie schützt Kerrigors Sarkophag.

|Nekromantie und der Tod|

Detaillierter ausgebaut ist nur der zentrale Punkt der Handlung, die Nekromantie.

Nekromantie wird eigentlich definiert als Totenbeschwörung in dem Sinne, dass Tote aufgeweckt werden, zu welchem Zweck auch immer. Garth Nix hat die Bedeutung ein wenig aufgeweitet, denn auch Sabriels Vater wird als Nekromant bezeichnet, obwohl seine Aufgabe darin besteht, die Toten zu binden, also dort zurückzuhalten, wo sie sein sollten. Dazu wird auch Chartermagie benutzt, ein weiteres Zeichen dafür, dass Nekromatie nicht zwangsläufig böse ist. In der Hauptsache ist sie aber auch hier negativ behaftet. Um die Aufgabe der Totenbindung von den Nekromanten der freien Magie abzugrenzen, trägt der entsprechende Magier den Titel Abhorsen.

Auch ist es hier bei der Totenbeschwörung nicht damit getan, dass im Schein brennender Kerzen und im Rauch irgendwelcher Käuter Blut vergossen und zusammen mit den entsprechenden Gesten Formeln gemurmelt werden müssen. Hier gehören zum Handwerk eines Nekromanten lediglich eine magische Formel, gepaart mit Gestik, und diverse Glöckchen, welche die Toten auf verschiedene Weise beeinflussen. Wer allerdings Kontakt mit den Toten aufnehmen will, muss zunächst einmal selbst die Grenze zum Tod überschreiten, je nachdem, zu welchem Zweck, mehr oder weniger weit. Dass das nicht ungefährlich ist, versteht sich von selbst.

Die massive Konfrontation mit dem Tod macht dieses Buch zu einer recht düsteren, bedrohlichen Lektüre, zumal Kerrigor ein Adept der freien Magie war. Das verleiht ihm Macht nicht nur über geringere Tote, sondern auch über die Lebenden! Abgesehen davon hat er die unterschiedlichsten Helfer, von lebensaugenden Parasiten bis hin zu feurigen Schöpfungen aus Sumpferde, Menschenblut und freier Magie, die Garth Nix alle sehr anschaulich beschreibt.

Zusätzlich droht er ständig mit Demontage, damit, die Sicherheit eines Ortes als trügerisch zu entlarven. Das gilt für das Haus von Sabriels Vater ebenso wie für Heiligenhall. Je weiter der Leser kommt, desto größer wird die Bedrohung, als sich herausstellt, dass nicht einmal mehr der Sonnenschein oder fließendes Wasser eine Garantie dafür sind, dass die Protagonisten vor der ständigen Verfolgung durch den Tod geschützt sind. Die Aussicht, dass der Tod nicht das Schlimmste ist, was ihnen widerfahren wird, tut ein Übriges.

|Leseerlebnis|

Seit Clemens‘ |Hexenzyklus| habe ich nichts mehr gelesen, das so spannend gewesen wäre! Noch dazu, weil Sabriel genau den Fehler macht, den alle Helden ständig machen: sie trödelt! Immer wieder! Sie weiß doch, dass sie verfolgt wird, und trotzdem steht sie draußen am Tor herum und wartet auf den Nebel, oder sie steht an der Haustür des College und beobachtet den Kampf gegen die einfachen Untoten. Warum zum Henker kümmert sie sich nicht endlich um den Sarkophag?! Ich hätte sie schütteln mögen! Und prompt war es dann zu spät!

Natürlich ist das Autorentaktik. Es steigert nicht nur die Spannung, sondern lässt auch überraschende Wendungen zu, eine Lösung des Problems, die von der ursprünglichen Planung abweicht. Trotzdem kann der Leser nicht anders, als dem Autor zu folgen, wider besseres Wissen, und er kaut sich dabei die Fingernägel ab. Trotz Nix‘ zügiger Erzählweise ist man gelegentlich versucht, ihn anzutreiben, aber genau dann lässt er sich natürlich Zeit. Eine Grenze aber, die Clemens nicht im geringsten gekümmert hat, hat Nix nicht überschritten: Er hat keinen seiner drei Hauptprotagonisten vernichtet. Zumindest jetzt noch nicht …

|Der Autor|

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr|, dessen erster Band „Sabriel“ ist, stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur Clayr und Seventh Tower.

Curley, Marianne – Hüter der Zeit, Die

Die Australierin Marianne Curley verbindet auch in ihrem zweiten Buch der „Zeithüter“-Reihe Geschichtliches mit der Gegenwart, doch stellt sie dem jungen Ethan diesmal eine Mitstreiterin an die Seite.

Ethan wirkt nach außen vielleicht wie ein ganz normaler Junge, doch auf seinen Schultern lastet eine schwere Aufgabe. Er ist ein Zeithüter, das bedeutet, er ist mit magischen Kräften ausgestattet, die es ihm erlauben, zurück in die Zeit zu reißen und dort einzugreifen. Die Gegenspieler der Zeithüter, die Göttin Chaos und ihr Gefolge, versuchen nämlich, Verderben in die Welt zu bringen, indem sie bestimmte historische Ereignisse ändern. Die Auswirkungen auf die Gegenwart wären in jedem Fall enorm, deshalb müssen Ethan und seine Wachen immer auf der Hut sein.

Dieses Jahr wird Ethan eine große Ehre zuteil. In seiner Karriere als Wächter erklimmt er die nächste Stufe und bekommt eine Schülerin an seine Seite gestellt. Erschrocken stellt er fest, dass es sich dabei um Isabel handelt, die Schwester seines einst besten Freundes Matt, der sie wie ein Augapfel hütet. Damals hat ein Mädchen die beiden Freunde auseinander gebracht und natürlich ist es Matt nicht besonders recht, als Ethan plötzlich jeden Tag mit Isabel an einem „Geschichtsprojekt“ arbeitet.

Trotzdem schafft er es, das kluge Mädchen zu einer Heilerin auszubilden und sie auf die Missionen, also die Zeitreisen, vorzubereiten. Am Anfang sind es harmlose, kleine Aufträge, doch plötzlich kommt der Riese Marduke ins Spiel, der vor über zehn Jahren Ethans große Schwester umgebracht hat. Er träumt, wie Marduke Isabel in seine Gewalt bringt, doch Marduke erweist sich als ausgesprochen reale Bedrohung und plötzlich ahnt Ethan, dass es mit dem veränderten Verhalten seines Vaters seit dem Tod seiner Tochter etwas ganz anderes auf sich haben könnte. Schließlich kommt es zur all entscheidenden Schlacht …

„Bildgewaltige Verquickung von Fantasy und Geschichte […]“, behaupten die Westfälischen Nachrichten auf dem Buchumschlag, doch davon ist nicht wirklich viel zu spüren. Aufgrund der spartanischen Beschreibungen von Situationen und Orten verkommt die Geschichte mehr als Mittel zum Zweck und ist zu wenig ausgebaut, um als eigenständige Komponente durchzugehen.

Möglicherweise ist das aber nicht zum Schaden des Buches, denn das Weglassen von Nebenhandlungen und großartigen Ausführungen lässt „Die Hüter der Zeit“ zu einem geradlinigen, spannenden Jugendfantasybuch ohne viel Handlungstiefe werden. Der Verzicht auf kompliziert aufgebaute und durchkomponierte Welten kann zur Abwechslung mal sehr entspannend sein. Abgesehen von einigen Längen am Anfang und dem Fehlen eines wirklichen Höhepunkts, der stattdessen durch nhaltende Spannung auf hohem Niveau ersetzt wird, lassen sich die knapp 400 Seiten flüssig lesen und erfreuen durch Kurzweil.

Ein kleines Manko ist jedoch die Uneigenständigkeit von Curleys Literatur. Sie schreibt zwar auf hohem Niveau, doch ein wirklich eigener Stil möchte sich nicht einstellen. Der fehlende Handlungstiefgang lässt das Buch stellenweise sehr an der Oberfläche schwimmen, obwohl die Autorin anhand der beiden Ich-Erzähler-Perspektiven das Gegenteil bewirken möchte. Der knappe, schön schildernde Erzählstil legt viel Wert auf Gedanken und Gefühle von Isabel und Ethan. Schülerin und Ausbilder für diese Perspektiven zu benutzen, ist sicherlich ein geschickter Schachzug, doch leider fehlt es den beiden an Individualität in Bezug auf Persönlichkeit und Stil. Das ist stellenweise sehr verwirrend und manchmal fällt der Übergang von einer zur anderen Ich-Perspektive schwer.

Die massenhaft benutzte rhetorische Frage zur Auflockerung und Darstellung von extremen Gefühlen nutzt sich schnell ab und stört das Lesevergnügen an einigen Stellen empfindlich. Gleiches gilt für die Dialoge, die seltsam hölzern, manchmal geradezu gekünstelt wirken. Das mag eventuell auch an der Übersetzung liegen, aber sie schwächen das eigentlich positive Gesamtbild.

Doch es gibt nicht nur Negatives zu sagen. In der Summe ist „Die Hüter der Zeit“ ein gutes, aber nicht herausragendes Buch, dessen Handlung sich sehen lassen kann. Die fehlende Eigenständigkeit ist ärgerlich, doch für ein leichtes Lesevergnügen ist das Buch durchaus geeignet. Und zwar nicht nur für Jugendliche.

http://www.dtv.de

Shocker, Dan – Höllentor, Das (Larry Brent, Band 28)

_Das Tor zur Hölle_

Die Suche nach Larry Brent geht weiter! Diesmal ist der Hauptprotagonist Iwan Kunaritschew, und sein Weg führt ihn nach London. Chiefinspektor Edward Higgins von Scotland Yard hat die PSA informiert, dass eine Frau namens Ellen Mummert den Phantom-Mörder, einen gesuchten Serientäter, gesehen haben will. Erstaunlicherweise hatte das Antlitz des Unheimlichen große Ähnlichkeit mit dem verschwundenen X-RAY-3, wobei die Gestalt vielmehr einem schemenhaften Geisterwesen glich, welches unmittelbar am Landhaus eines gewissen Lord Bramhill verschwand.

Iwan und Higgins nehmen den Lord genauer unter die Lupe und werden Zeugen einiger unfassbarer Ereignisse. In der Tat scheinen sich in dem herrschaftlichen Landsitz mehrere Geister zu manifestieren, und alle diese Personen standen zu ihren Lebzeiten wohlmöglich in irgendeinem Kontakt mit Bramhill. Der Lord hatte unter anderem von dem so genannten |Tor zur Hölle| erfahren, welches sich in Machu Picchu in einer verborgenen Höhle befinden und als Schlüsselort zur Rückkehr der Dämonengöttin Rha-Ta-N’my dienen soll. Seine letzte Forschungsreise wurde schließlich auch von Erfolg gekrönt, mit der Konsequenz, dass sein ständiger Begleiter Steven Arlidge anscheinend das Zeitliche segnete und Bramhills Gattin Lady Elisabeth von dem schrecklichen Teufelsmal befallen wurde (wie wir es schon aus dem vorangegangenen Band kennen). Auf dieser schicksalhaften Reise muss er auch mit Larry Brent zusammengetroffen sein, der den Dienern der Dämonengöttin entkommen konnte, um kurz darauf in diesem Höllentor zu verschwinden.

Was Iwan fast zu spät herausfindet, ist, dass der Lord noch so einiges anderes auf dem Kerbholz hat: in seinem Keller verbirgt sich ein langer Altar, der als |Bett Gorhos| bezeichnet wird – eigentlich ein Opfertisch, den Bramhill auch pfleglich nutzt, um das Erscheinen des Schwarzen Dieners der Rha-Ta-N’my zu provozieren.

X-RAY-7 kann das Schlimmste vorläufig abwenden, dennoch führt ihn das unklare Schicksal seines Freundes Larry zusammen mit James Turnwood alias X-RAY-8 direkt nach Machu Picchu. Der dort lebende Indio Martino wurde ihnen von Bramhill als Kontaktperson und Eingeweihter empfohlen. Tatsächlich kann dieser sie zu dem Höllentor führen, aber auch direkt in ihr schreckliches Schicksal hinein …

Was in [„Corrida der Dämonen“ 2423 seinen Anfang nahm, wird hier weitergeführt: Larry Brents ungeklärtes Verschwinden und die schleichende Rückkehr der Dämonengöttin Rha-Ta-N’my. In dieser Geschichte fokussiert man sich mehr auf deren Schwarzen Diener Gorho, der aber selbst noch nicht leibhaftig auftritt – was sich im Hinblick auf den nachfolgenden Titel schnell ändern dürfte.

Dies ist aber nur der erste Teil; von einem Spuk in einem rustikalen englischen Herrenhaus werden wir zu einer vergessen Kultur in Peru entführt; einige Ereignisse aus der vorangegangenen Geschichte werden hier noch einmal aufgegriffen bzw. auch weitergeführt; wie z. B. das Schicksal des Indio Quarmo Lipiades, der Morna einige wichtige Hinweise über die Sekte in Mexico-City geben konnte. Ebenso findet der Autor Janosz Bracziskowsky aus [„Im Labyrinth des Ghuls“ 2284 seine kurze Erwähnung, da damals die PSA ebenfalls eine Konfrontation mit der Macht der Dämonengöttin erleben musste.

Insgesamt ein umfassender Zyklus um eine abenteuerliche Thematik, die uns auch am Ende dieser Story immer noch auf die Folter spannt, was mit Larry Brent tatsächlich geschehen ist …

_Monster-Bestie Gorho_

In Peru wird Iwan Kunaritschew durch das „Tor zur Hölle“ gestoßen, doch am Ende wartet eine große Überraschung auf ihn. In einer Mulde dahinter trifft er neben dem totgeglaubten Steven Arlidge und der Reporterin Pascuala de la Bailar auf seinen verschollenen Kumpanen Larry Brent. Alle drei sind zwar ausgezehrt, aber ansonsten wohlauf. Das einzige Problem besteht nun darin, irgendwie aus dem Inneren des Berges zu kommen.

Die Gruppe findet Hinweise darauf, dass vor Urzeiten zwei Wesensformen an dieser Stelle miteinander konfrontiert wurden. Einer dieser Rassen dürfte auch die dämonische Rha-Ta-N’my entstammen. Ebenso entdecken sie in der Mulde einige altarähnliche Gebilde, die Verbindungen zu ausgewählten Orten erstellen, welche zur Rückkehr der Diener der Dämonengöttin dienen könnten – einer der Orte war u. a. das Landhaus Lord Bramhills –; Larrys geisterhafte Erscheinung in London kam dadurch zustande, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe des Altars aufgehalten hatte. Dieser wirkt wie eine Art Projektor.

Nach einigen Mühen entdecken die Vier schließlich einen Geheimgang, der sie aus ihrem Gefängnis geleitet. Die schwarze Seite hat aber bereits eine neue Lokalität auserkoren, um das Erscheinen Gorhos, des Dieners Rha-Ta-N’mys, zu gewährleisten. In dem heruntergekommenen Haus des wohlhabenden Arabers Achmed Khaa-Shazaam kann die Monster-Bestie letztendlich auch ihren grausamen Taten fröhnen. Der arabische Herzensbrecher Achmed lockt in Lima einige hübsche Mädels in sein Heim und serviert sie dem Dämonen in seinem Kellerversteck. Von den Opfern bleiben nur noch die blanken Skelette übrig, die das Wesen nach Belieben mit einem neuen Körper versehen kann.

Gorhos Auftauchen bleibt aber nicht lange unbemerkt, denn die beiden Einbrecher Nicolas und Rafael haben sich nichts ahnend das unheimliche Haus als neues Objekt ausgesucht. Nicolas fällt dem schwarzen Monster zum Opfer, während Rafael knapp entkommen kann. Nur ist seine einzige Diebesbeute, eine seltsame Skulptur, zu allem Überfluss mit einem grausamen Fluch belegt: Wer sie berührt, wird wahnsinnig und begeht umgehend Suizid.

Die PSA bekommt schnell Wind von dieser Angelegenheit und setzt den Nachrichtenmann Franco de Calvados und die einigermaßen wiederhergestelle Morna Ulbrandson auf Khaa-Shazaam an. Auch Larry hat sich von den Strapazen in Machu Picchu halbwegs erholt und begibt sich nach Lima. Im Keller von Achmeds Haus kommt es zum dramatischen Showdown mit der unfassbaren Monster-Bestie Gorho …

Nach Mexico-City und London haben wir hier in Peru also das aufreibende Finale, die direkte Konfrontation mit der leibhaftigen Bestie Gorho. Das Treiben dieser schleimigen Wesensart kann man schon als brutal bezeichnen, wenn z. B. von der ansehnlichen Schauspielerin Britta Karguson nur ein abgenagtes Skelett übrig bleibt oder Rafael hilflos zusehen muss, wie sein Bruder Nicolas verdaut wird.
Blutig kommt es auch, als sich zwei Besessene mit einer Machete selbst richten – Dan Shocker fährt in diesem Fall schon einige harte Kaliber auf.

Im Gegenzug geht die Tendenz fast schon ins Utopisch-Philosophische, als wir einen umfassenden Abriss über die unbekannte Wesensordnung in fernster Vergangenheit zu lesen bekommen. Eine ganz eigene Dimension wird hier von Dan Shocker zusammengebastelt, die für meinen Geschmack an manchen Stellen vielleicht etwas zu fantastisch für einen Larry-Brent-Roman rüberkommt. Aber auf diesen Faktor bin ich ja schon bei „Corrida der Dämonen“ eingegangen.

Ein wenig schmunzeln musste ich auch, als bei der Bekanntschaft mit der Schauspielerin Karguson eine Kurzbeschreibung zu ihrem geplanten Film abgeliefert wird. Die Handlung über eine leicht bekleidete Blondine, die sich mit den Sexpraktiken eines verschollenen Eingeborenenstamms auseinander setzt, erinnert doch ziemlich an die unzähligen Schmuddelstreifen aus den frühen 70ern, die man noch gelegentlich auf den Privatsendern bewundern kann.

Jedenfalls findet der abenteuerliche Zyklus um die Wirren der Dämonengöttin und ihren monströsen Diener Gorho in diesem Band einen gebührenden vorläufigen Abschluss …

Dieser Band mit dem Lonati-Originaltitelbild von „Das Tor zur Hölle“ vereint den Zweiteiler um den aufreibenden Kampf gegen die Monster-Bestie Gorho und die drohende Rückkehr der Dämonengöttin Rha-Ta-N’my, die immer wahrscheinlicher wird.

Was in Band 27 in der Geschichte ‚Corrida der Dämonen‘ seinen Anfang genommen hat, baut sich hier zu einem actiongeladenen und abenteuerlichen Gruselthriller aus. Die Suche nach dem verschwundenen Larry Brent, Iwans Alleingang in dem unheimlichen Landhaus in London, die verborgene Felsenhöhle in Machu Picchu, welche an die legendären Indiana-Jones-Abenteuer erinnert, und schließlich der finale Showdown in dem beklemmenden Kellergewölbe in Lima machen diesen Band zu einem ganz speziellen Larry-Brent-Lesevergnügen.

Pat Hachfelds Illustration für die erste Geschichte kann man schon als symbolisch bezeichnen, Satan selbst gibt sich hier die Ehre. Beim zweiten Teil blicken wir hingegen auf das verwirrende Antlitz Gorhos als universale Bestie mit seinen verschlungenen Gliedern und Augäpfeln. Die beiden Darstellungen geben diesem Werk den letzten Schliff; da kann sich derjenige in der Tat glücklich schätzen, der den Zweiteiler als Komplettgeschichte in diesem einzigen schönen Band vorliegen hat …

http://www.blitz-verlag.de/

Hiaasen, Carl – Unter die Haut

Er ist nicht der Mann, mit dem man sich unbedingt anlegen sollte: Mike Stranahan war ehemals Soldat in Vietnam (1) und wurde später Ermittler für die Staatsanwaltschaft von Dade County im US-Staat Florida. Nachdem er im Dienst und in Notwehr drei Menschen und zuletzt einen korrupten Richter erschossen hat, beschloss die Behörde, ihn lieber mit einer guten Pension nach Hause zu schicken. Gerade vierzig Jahre alt geworden, bewohnt Stranahan seitdem im „Stelzendorf“ an der Biscayne Bay und damit direkt am Wasser ein altes Haus auf hohen Pfählen und lebt nach seiner fünften Scheidung recht vergnügt in den Tag hinein, als die Vergangenheit ausgerechnet in der Gestalt von ‚Dr.‘ Rudy Graveline wieder auflebt. Der ebenso geldgierige wie unfähige Schönheitschirurg hat bereits eine blutige Spur durch einige Bundesstaaten gezogen. Im Norden ist ihm der Boden zu heiß geworden, aber in Florida ist er endlich auf jenes Umfeld aus Bestechlichkeit, Dummheit und Eitelkeit gestoßen, das es ihm ermöglichte, nicht nur sein unheilvolles medizinisches Werk fortzusetzen, sondern sogar eine eigene, äußerst gut gehende Privatklinik namens „Whispering Palms“ zu gründen, in der sich die Reichen und Berühmten von echten oder eingebildeten Schönheitsfehlern befreien lassen können.

Nur noch selten greift Graveline selbst zu Skalpell und Fettabsauger. Er ist vorsichtig geworden, seit er vor vier Jahren einen Routine-Eingriff verpfuscht hat und ihm die junge Vicky Barletta auf dem Operationstisch gestorben ist. Mit Hilfe einflussreicher Freunde hat Graveline dies vertuscht und die Leiche verschwinden lassen. Doch jetzt droht alles wieder ans Licht zu kommen: Der eingebildete TV-‚Reporter‘ Reynaldo Flemm ist auf den Barletta-Fall aufmerksam geworden und will ihn in seiner primitiven, aber bei der Proleten-Fraktion des Publikums sehr beliebten Krawallshow präsentieren. Noch schlimmer: Die Mordkommission könnte die Untersuchung wieder aufnehmen! Zwar zeigt die Staatsmacht wie üblich wenig Neigungen in dieser Richtung, doch Graveline weiß, dass einen der damaligen Ermittler der ungelöste Fall noch heute wie ein Stachel im Fleisch schmerzt. Sein Name: Mike Stranahan!

Graveline gerät in Panik und heuert einen Killer an. „Tony der Aal“, eine freundliche Leihgabe der örtlichen Mafia, geht allerdings seinen Job mit mehr Elan als Intelligenz an und wird von Stranahan unter Zuhilfenahme eines ausgestopften Schwertfisches ins Jenseits befördert. Der nächste Gegner ist von anderem Kaliber: Blondell Tatum, genannt „Chemo“, dessen Gefühlskälte eindrucksvoll durch seine Physiognomie widergespiegelt wird, die der des Frankenstein-Monsters gleicht.

Dass immer neue Mordanschläge auf ihn verübt werden, reißt Stranahan aus seiner Frührentner-Lethargie. Er nimmt als Privatmann die Ermittlungen auf, was ihn der Verpflichtung enthebt, dabei den Buchstaben des Gesetzes Folge zu leisten. Rasch entspinnt sich an der sonnigen Küste Südfloridas eine blutige Komödie der Irrungen und Wirrungen, in der auch Stranahans ‚Haustier‘ – ein mannsgroßer Barrakuda – kräftig mitmischt …

Die Welt ist schlecht: Selten ist dieser Stoßseufzer so überzeugend in Worte gegossen worden wie in „Unter die Haut“, einer weiteren Runde im Kampf Carl Hiaasens gegen die allgegenwärtige Dreifaltigkeit der modernen menschlichen Zivilisation – Dummheit, Gier und Ignoranz. In Florida scheinen sich diese wenig erfreulichen Wesenszüge besonders prächtig zu entwickeln. Vielleicht kann Hiaasen aber auch einfach seinen Heimvorteil ausspielen: Er kennt diesen Teil der Vereinigten Staaten wie seine Westentasche, und das schließt die von der Tropensonne kaum beschienenen Bereiche ausdrücklich mit ein.

Carl Hiaasen wurde 1953 in Florida geboren; er ging hier zu Schule, studierte hier (bis 1974) Journalistik und ging anschließend zum „Miami Herald“. Bei dieser Zeitung ist er noch heute und schreibt Kolumnen und Berichte, in denen er jene Sünden anprangert, mit denen wir auch in seinen Romanen immer wieder konfrontiert werden. Zu schaffen macht Hiaasen besonders der unentwirrbare Filz aus Politik, Wirtschaft und Verbrechen, der Florida in Sachen Korruption und Umweltzerstörung einen traurigen Spitzenplatz in den USA garantiert.

Da Hiaasen die Erfahrung machen musste, dass seine wütenden Attacken im täglichen Mediengewitter mehr oder weniger untergingen, begann er ab 1981 Romane zu schreiben, die in spannender Thrillerform und scheinbar fiktiv die genannten Missstände auch jenem Publikum nahe zu bringen verstehen, die gemeinhin nur den Sportteil einer Zeitung zur Kenntnis nehmen. Zunächst ‚übte‘ Hiaasen und schrieb die ersten drei Romane mit seinem Journalisten-Kollegen William D. Montalbano, bevor er sich mit „Tourist Season“ (dt. „Miami Terror“) 1986 quasi selbstständig machte. Schon früh begann er damit, die bittere Medizin, die er verabreichen wollte, zu versüßen, indem er dazu überging, immer groteskere Plots für seine ohnehin actionbetonten Geschichten zu entwerfen. Ironie und Sarkasmus, die jederzeit in blanken Zynismus umschlagen können, versuchen die Welt, wie Hiaasen sie in Florida vorzufinden glaubt, als Tollhaus zu demaskieren.

Die Rechnung ging auf: Weil Hiaasen sein Talent, wirklich krude Geschichten mit knochentrockenem und dadurch um so wirksamerem Witz zu entwerfen, rasch zur Perfektion entwickelte, fand er sein Publikum. Den Ritterschlag als echter Bestseller-Autor erhielt Hiaasen, als Mitte der 90er Jahre Hollywood auf ihn aufmerksam wurde. Zwar entwickelte sich „Striptease“ nicht zuletzt dank seiner Hauptdarstellerin, der unsäglichen Demi (no) Moore, zu einem üblen Kassengift, aber immerhin konnte Hiaasen (übrigens auch hierzulande) einen Popularitätsschub verzeichnen.

„Unter die Haut“ zeigt Carl Hiaasen jedenfalls auf der Höhe seines Könnens. Mit unnachahmlicher Eleganz, die in der deutschen Übersetzung erfreulich gut erhalten blieb, breitet der Autor ein Panorama ruchloser Menschen aus, die ausnahmslos mehr oder weniger Dreck am Stecken haben. Sie alle erhalten entweder ihre Strafe, die in der Regel ziemlich grauslich, aber immer unerwartet ausfällt, oder werden vom Schicksal auf eine Weise belohnt, die dieses in jedem Fall als recht hinterlistig outet … Nicht so recht ins wüste Bild will sich nur die Figur der Produzentin Christina Marks fügen, die Hiaasen ein wenig zu ’normal‘ angelegt hat, so dass sie manches Mal wie eine Spielverderberin dasteht.

Das ändert jedoch überhaupt nichts am Lesespaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte: Carl Hiaasen ist in diesem unseren Lande weiterhin ein Geheimtipp, was primär bedeutet, dass seine Werke zwar veröffentlicht, aber selten neu aufgelegt werden. Während jeder schimmelige Schinken aus der Anne-Perry- oder Elizabeth-George-Kammer für Junkfood-Leser zig-fach aufgewärmt wird, müssen echte Feinschmecker leider darben. Sogar „Striptease“ ist heute vergriffen, und auf ein Wiedersehen mit „A Death in China“, „Tourist Season“ oder „Double Whammy“ (1987, dt. “Miami Morde”) darf wohl erst recht nicht gehofft werden!

Anmerkung:
(1) Unsere Geschichte spielt im Jahre 1989!

Dark, Jason – John Sinclair – Damona, Dienerin des Satans (Folge 4)

Ernest de Lorca ist wie ausgewechselt; er glaubt erfahren zu haben, dass seine Frau Lucille, mit der er jahrelang glücklich verheiratet war, ihn aus unerfindlichen Gründen umbringen möchte. Um ihr zuvorzukommen, schleicht er sich eines Nachts an sie heran und bedroht sie mit einer Waffe. Lucille hingegen streitet entsetzt alles ab und bekommt auf den ersten Schock Hilfe von ihrer Tochter Damona. Wenige Sekunden später bekommt Ernest zu spüren, dass seine Vermutung richtig war …

Kurze Zeit später wird auch der Cousin von Polizeichef Powell tot aufgefunden; er kam bei einem seltsamen Verkehrsunfall ums Leben, in den anscheinend seine Frau involviert war. Einen Tag vorher konnte er Powell noch darüber informieren, dass seine Frau der mysteriösen Damona-Sekte beigetreten ist und sich seitdem völlig verändert habe.

Sir Powell, gleichermaßen Vorgesetzter von John Sinclair, setzt zwei seiner besten Leute auf den Fall an. Neben Sinclair stellt auch dessen Kollegin Jane Collins erste Ermittlungen an und bekommt kurze Zeit später den Auftrag, die erste Spur näher zu ergründen und sich bei der Sekte einzuschleusen. Als ihr dies zu ihrer eigenen Überraschung sehr schnell gelingt, stellt sie jedoch fest, dass sie der telekinetischen Kraft Damonas nicht gewachsen ist. Hypnotisiert von ihrer Aura lässt sie sich von der Führerin des neuen Kults komplett vereinnahmen, muss aber zum endgültigen Einstieg erst noch eine Reifeprüfung ablegen. Und in der geht es darum, sich einer ganz bestimmten Person zu entledigen: John Sinclair!

_Meine Meinung_

„Damona, Dienerin des Satans“ ist ganz klar eine der stärksten bisher gehörten Sinclair-Folgen, selbst wenn die Hintergründe nicht wirklich neu sind und Jason Dark auch wieder reichlich mit Klischees gearbeitet hat. Namen wie Lucille und Damona sprechen schließlich für sich. Doch ehrlich gesagt, ist mir dies im hier besprochenen Beispiel eigentlich nur recht, denn von den beiden erwähnten Personen wird tatsächlich das echte Böse verkörpert, kompromisslos und infernalisch, und da passen diese Namen wie die Faust aufs Auge.

Doch ich möchte hier nicht über Namen, sondern vielmehr über eine erneut superb aufgebaute Story sprechen, in der die bekannten Sprecher mal wieder eine phänomenale Leistung abgeben. Diesmal sehr stark: Franziska Pigulla (besser bekannt als Synchronstimme von „Akte X“-Agentin Dana Scully) in der Rolle der Jane Collins, die vor allem nach der dämonischen Beschwörung durch Damona de Lorca auftrumpfen kann. Ihre Wandlung hin zum Sektenkult kauft man ihr sofort ab, und überhaupt scheint ihr die Rolle des kurzzeitigen Gegners sehr gut zu liegen.

Jane Collins‘ Entwicklung sagt auch sehr viel über die stetige Wandlung des Plots aus. Bereits am Anfang vermutet man im besessenen Ernest de Lorca den wahren Schurken, doch man hat sich offensichtlich getäuscht und von den widrigen Umständen verwirren lassen. Später dann ist die Rolle der Agentin Collins ungewiss. Ist sie tatsächlich der Sekte verfallen oder spielt sie nur? Außerdem stellt sich während der gesamten Erzählung die Frage, welchen Part Damonas Schwester Teresa nun einnimmt. Bei ihrer Rückkehr erwischt sie ihre verbliebene Familie beim Begraben ihres Vaters und wird anschließend gezwungen, der Frauenpower-Sekte ebenfalls beizutreten. Dies tut sie nicht mit Überzeugung, aber sie steigt ein und wird schließlich zu einer entscheidenden Figur für das Finale.

Während im Vordergrund die Geschichte um Damona und ihre Widersacher steht, erfährt der Hörer gleichzeitig einiges über die Hintergründe und Ideale der Sekte. Bloß für die Macht des weiblichen Geschlechts einzutreten, scheint bei den Handlungsabläufen ein bisschen wenig zu sein, um die bösartige Motivation der de-Lorca-Familie zu rechtfertigen. Es muss mehr dahinterstecken, aber was? Dies alles gilt es im Laufe der knappen Stunde, die „Damona, Dienerin des Satans“ andauert, zu ergründen.

Die vierte Hörspiel-Episode ist gleichzeitig auch das vierte Heftabenteuer um den Geisterjäger und erschien im Original bereits im Jahre 1978. Staub angesetzt hat die Handlung seitdem nicht, wobei man schon sagen muss, dass die erzählte CD-Fassung merklich von den vielen tollen Soundeffekten profitiert, die die Spannung immer wieder ordentlich vorantreiben, dabei aber nicht von der Geschichte ablenken. Und so gibt es schließlich auch in „Damona, Dienerin des Satans“ allerbeste Unterhaltung auf typisch hohem Sinclair-Niveau, und dies einmal mehr mit exzellenten Sprechern. Fans werden das Teil wahrscheinlich schon besitzen, alle anderen sollten die vierte Folge dringend antesten!

Mehr Infos zu dieser Episode gibt’s [hier.]http://www.sinclairhoerspiele.de/hoerspiele.php?hsp=4

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Cross, Wilbur – Tragödie am Pol

Die Fakten: Im Frühjahr des Jahres 1928 macht sich das Luftschiff „Italia“ unter dem Kommando des Generals Umberto Nobile auf den Weg zum Nordpol, den es zum Nutzen der Wissenschaft sowie zum Ruhme Italiens und des faschistischen Mussolini-Regimes anfliegen soll, um dort womöglich sogar zu landen. Allen technischen Problemen zum Trotz gelingt immerhin Ersteres, doch das auch im polaren „Frühling“ unberechenbare Wetter bringt auf dem Rückflug die Katastrophe: In einem schweren Sturm stürzt die „Italia“ am 25. Mai 1928 im Niemandsland der Treibeiszone nördlich von Spitzbergen ab. Die Hälfte der Besatzung kommt um, Nobile wird schwer verletzt. Fast ohne Ausrüstung und Verpflegung sehen die Überlebenden im „Roten Zelt“ einem schrecklichen Ende entgegen, wenn es nicht gelingt, über das wundersam gerettete Funkgerät Hilfe herbei zu rufen. Der Versuch, das Festland zu Fuß zu erreichen, endet für drei Männer der Expedition in einem grausigen Desaster. Nach qualvollen Wochen werden Nobile und seine Gefährten endlich gefunden. Zahlreiche Rettungsversuche zu Wasser, zu Lande und durch die Luft scheitern oder fordern sogar neue Opfer, zu denen auch Roald Amundsen, der legendäre Bezwinger des Südpols, gehört; nur ein Flugzeug kommt durch, das den geschwächten Nobile ausfliegt. Die übrigen Männer können nach weiteren Wochen der Angst und Ungewissheit vom russischen Eisbrecher „Krassin“ geborgen werden.

Der Mythos: Umberto Nobile war ein von Stolz und Ehrgeiz zerfressener Mann, der es nicht ertrug, den Ruhm einer früheren, von Zank und Hader bestimmten, aber immerhin geglückten Luftschiff-Expedition zum Nordpol (deren Leiter ironischerweise Roald Amundsen war) teilen zu müssen. Er erzwang eine Wiederholung, dieses Mal unter eigenem Kommando, überschätzte sein Schiff und seine Fähigkeiten, brachte Tod und Verderben über seine unglücklichen Begleiter, gab im Notlager auf dem Polareis eine denkbar unglückliche Figur ab und ließ sich dort bei der ersten Gelegenheit in Sicherheit bringen, während er seine Freunde feige ihrem Schicksal überließ, vor dem sie erst ein Wunder in Gestalt der gar nicht so satanischen Sowjets retten konnte.

Die Wahrheit: Selten ist ein Mann nach Ansicht von Wilbur Cross so erfolgreich das Opfer politischer Intrigen geworden wie Umberto Nobile. Der angebliche Feigling war tatsächlich ein Mann von beträchtlichem Mut und Durchsetzungsvermögen, der nicht nur einer der fähigsten Luftschiff-Konstrukteure der Welt war, sondern dem auch das Kunststück gelang, als ausgewiesener Pazifist ein hohes militärisches Amt zu bekleiden, und sich nach 1922 – dem Jahr, in dem die Faschisten in Italien die Macht ergriffen – als ausgesprochen unbequemer Zeitgenosse erwies, der das „Italia“-Unternehmen quasi gegen den Willen Mussolinis und seiner Vasallen realisierte. Das Scheitern der „Italia“ war vor allem Pech, Nobiles Rettung eine notwendige, mit seinen Gefährten abgesprochene Aktion, die später von den Gegnern des Generals publizistisch ausgeschlachtet wurde, um diesen endgültig kaltzustellen.

Die Höllenfahrt der „Italia“ gehört zu den berühmtesten Episoden der an Sensationen nicht gerade armen Geschichte der Nordpol-Entdeckung. Der war zwar schon zwanzig Jahre zuvor über das Eis und ganz klassisch per Hundeschlitten erreicht worden, aber die Nobile-Tragödie schuf einen gar zu schönen Epilog. Ebenso klar waren die Rollen in diesem Drama verteilt: Nobile = Feigling, Amundsen = tragischer Held, Nobiles Männer = Hintergrundchor der Tapferen und Irregeleiteten, Besatzung der „Krassin“ = Personifikation des Völkerverständnisses, das sogar im freien Westen gewürdigt werden durfte, ohne dass man Gefahr lief, als Kommunisten-Knecht angeprangert zu werden.

Dabei sagen die Fakten ganz anderes aus, und sie liegen schon lange offen; tatsächlich war es niemals gelungen, sie wirklich zu unterdrücken, obwohl es Mussolinis Schwarzhemden mit aller Macht versucht hatten. In gewisser Weise sind sie erfolgreich geblieben: Die Mär vom feigen Nobile hat sich bis auf den heutigen Tag gehalten (falls sich überhaupt noch jemand an die Geschichte der „Italia“ erinnert). Eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit liegt freilich in der Tatsache, dass dies auch so ziemlich der einzige Triumph blieb, den die italienischen Faschisten feiern konnten.

Immerhin war dasselbe Schicksal, das ihn so viele Jahre in die Schurkenrolle drängte, gnädig genug, Nobile durch eine bemerkenswerte Lebensspanne zu entschädigen: Er starb erst 1978 im Alter von 93 Jahren, überlebte alle Feinde und erlebte noch die Genugtuung, weitgehend rehabilitiert zu werden, wobei das Pendel jedoch nicht vollständig zurückschlug oder zurückschlagen konnte: Unzweifelhaft ist – dies stellt auch Cross deutlich heraus – Nobiles Führungsschwäche, sein Beharren darauf, auch in Krisensituationen Entscheidungen zur Diskussion zu stellen, statt sie zu treffen, an sich ein liebenswerter Wesenszug, der Nobile jedoch den Weg in die Entdecker-Elite versperrte: Wahre Helden kennen keine Zweifel oder zeigen sie nicht, und sie achten vor allem sorgfältig darauf, dass sich niemand zwischen sie und die Geschichtsbücher drängt. Nobiles Konkurrent Amundsen kannte und beherzigte diese Faustregeln.

Vor allem aber stand Umberto Nobile noch der modernen Geschichtsschreibung als Zeuge zur Verfügung. Auch Wilbur Cross, der das hier vorgestellte „Italia“-Buch verfasst hat, konnte aus dieser Quelle schöpfen. Nach eigener Auskunft hat er viele Jahre recherchiert, bevor er es im Jahre 2000 endlich schrieb, und dabei nicht nur Nobile, sondern auch die meisten anderen Überlebenden des Absturzes befragt.

Wenn dies so geschehen ist, dann wundert man sich bei der Lektüre allerdings etwas darüber, dass „Tragödie am Pol“ als Sachbuch nicht wirklich eine Offenbarung ist. Echte Überraschungen bleiben aus; im Grunde wird längst Bekanntes noch einmal aufbereitet. Einzige Ausnahme scheint die Geschichte von Nobiles Niedergang als Folge faschistischer Intrigen zu sein, während auf dem Eis die historischen Korrekturen marginal bleiben. Sehr viel hat Cross wirklich nicht gemacht aus seinem Privileg, Zugang zu den Zeitzeugen und den Primärquellen erhalten zu haben.

In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass Cross ein Profi des historischen Sachbuchs ist: Fast fünfzig hat er davon in den letzten Jahrzehnten geschrieben, was ihm nicht übermäßig viel Zeit für die Pro-Band-Recherche lässt. Das schlägt sich im Endprodukt durchaus nieder. Knapp 300 recht großzügig bedruckte Seiten sind nicht gerade üppig. Echte Schnitzer unterstreichen den Eindruck des mit der recht heißen Nadel gestrickten Werkes. So bricht Roald Amundsen Ende August 1928 zur Suche nach Nobile auf – und verschwindet nicht nur aus der Geschichte, sondern auch aus diesem Buch. Als Cross dann später beschreibt, wie Nobile und seine Gefährten nach ihrer Rettung in Skandinavien von der um ihren Helden Amundsen trauernden Bevölkerung geschnitten und beschimpft werden, ist man verwirrt: Dass Amundsen inzwischen tot und wie es dazu gekommen ist, hat Cross mit keiner Silbe erwähnt!

Deshalb ist „Tragödie am Pol“ eine zwar spannende, aber keineswegs tiefgründige Lektüre. Die deutsche Ausgabe ist angenehm lesbar übersetzt, der Mittelteil birgt eine Strecke historischer Fotos, die indes bis auf die zwar schon oft gezeigten, aber immer wieder sehenswerten Bilder aus dem „Roten Zelt“ recht beliebig wirken.

Radford, Irene – verbotene Zauber, Der (Der Drachen-Nimbus 2)

Bereits im ersten Teil des „Drachen-Nimbus“ hegte ich einige Zweifel am qualitativen Output von Irene Radford. Die Dame zeigte nämlich bei der Einführung von Charakteren, Schauplätzen und der grundlegenden Problematik zwei elementare Schwächen, die sich in ihrer Erscheinung eigentlich widersprechen. Zum einen nämlich brauchte die Autorin unheimlich lange, um mit der Schilderung der Lage um die vom Aussterben bedrohten Drachen mal auf den Punkt zu kommen, und zum anderen nahm sie vielen Handlungseinheiten schon vorweg die Spannung, weil ihre geheimnisvollen Umschreibungen viel zu leicht durchschaubar waren. Man sollte meinen, dass Radford aus ihren Fehlern gelernt hat, und dennoch tritt sie auch in der Fortsetzung zu [„Der Glasdrache“ 1755 von einem Fettnäpfchen in das nächste …

_Story_

Die Lage um Coronnan ist weiterhin prikär. Der einst verschollene Prinz Darville ist durch die bedrohliche Magie weiterhin gefährdet, im Körper des Wolfes weiterzuleben und vorerst ohnmächtig in seiner Handlungsfähigkeit. Diese Schwäche nutzt der verräterrische Vetter des Prinzen, Krej, um weitere finstere Intrigen zu spinnen. Während er den Fürsten des Rates von Coronnan glaubhaft seine Treue versichert, plant er im Hintergrund die endgültige Machtergreifung, die er momentan nur vorübergehend bis zur Rückkehr von Darville innehat. Falls dieser überhaupt wieder dazu befähigt wird, seinen Thron einzunehmen.

Währenddessen wird die Gefahr durch die feindlichen SeLenicca immer größer; eine Invasion droht, und damit das Ende der Krone von Coronnan. Um dem hinterhältigen Treiben ein Ende zu bereiten, entschließt sich Darville zu einer Hochzeit mit der fremdrassigen Prinzessin Rossemikka, die im Gegenzug zum Treuebund eine Armee zur Verfügung stellt, um Coronnan zu verteidigen. Doch auch ihre Hilfe wird immer zweifelhafter, denn nach ihrer Ankunft verhält sich die zweckgebundene Gattin immer merkwürdiger und scheint nicht das zu sein, wofür Darville sie anfangs gehalten hat.

Währenddessen plagen Jaylor ganz andere Probleme; er ist nicht mehr dazu in der Lage, magische Sprüche zu wirken und somit auch ungeschützt vor feindlichen Übergriffen. Sein Verhältnis zu Brevelan ist indes sehr viel inniger geworden, so dass die beiden sich kurzerhand vermählen und ihr erstes gemeinsames Kind erwarten. Statt harmonischer Zweisamkeit erwartet die beiden jedoch eine allzu brutale Realität. Brevelan und das Kind geraten in große Gefahr, und aufgrund seiner neuerlichen magischen Starre ist Jaylor auf fremde Hilfe angewiesen. Ausgerechnet Krej soll als mächtiger Verbündeter aushelfen …

Wird Darville trotz allem auf den Thron zurückkehren können? Ist Krej wirklich so vertrauenswürdig, wie Jaylor es sich erhofft? Und welche Rolle spielt eigentlich die mysteriöse Katze Mica, die sich unablässig in der Nähe Darvilles aufhält?

_Meine Meinung_

Der zweite Band der Trilogie beginnt recht gefällig und nimmt den Faden aus „Der Glasdrache“ ohne Umschweife wieder auf, so dass man sich trotz längerer Pause relativ zügig wieder in den Machtspielchen um Coronnan zurechtfindet. Und im Gegensatz zum vorangegangenen Buch geht Irene Radford auch ein ganzes Stück gradliniger vor und hält sich (zunächst) nicht an nebensächlichen Randschauplätzen auf. Dann aber gerät die Geschichte zunehmend ins Stocken; die Autorin eröffnet noch einige und meiner Meinung nach zu viele neue Handlungseinheiten, um die Story ein wenig komplexer zu gestalten, was aber absolut nicht vonnöten gewesen wäre. Und dennoch verwendet sie dabei die schon durchgekauten Elemente des ersten Buches, so zum Beispiel hinsichtlich der ach so rätselhaften Katze, die als Darvilles ständiger Wegbegleiter ein fester Bestandteil des Buches ist und um die Radford ein großes Mysterium machen möchte. Dabei hat man bereits seit geraumer Zeit eine Vorahnung über den wahren Hintergrund Micas, der zu einem späteren Zeitpunkt dann – und das ähnlich wie damals bei Darville – mit einem Schlag und völlig unspektakulär aufgelöst wird. Hier offenbart sich die eingangs erwähnte Unlogik ein weiteres Mal: Erst wird eine Sache ellenlang durch die Story getragen, um dann später ganz abrupt und plötzlich aus dem Fokus genommen zu werden. Das nervt und zeugt nicht gerade von der Klasse der Autorin!

Doch noch mal zurück zur Erweiterung der Rahmenhandlung: Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn Radford neue Alternativen zur Fortgestaltung des eigentlichen Plots heranschafft, doch dann sollte sie diese auch konsequent ausführen. Immer wieder treten Ungereimtheiten infolge zu schwammiger Abarbeitungen auf, sei es nun beim seltsamen Zusammenschluss von Krej und Jaylor oder aber beim Auftreten der Prinzessin Rossemikka, die einem schon merkwürdig vorkommt, bevor sie in Erscheinung tritt. Hier lässt die Autorin die Hauptfigur Darville in ihrem Handeln recht unlogisch auftreten, denn eigentlich sollte er schon vorab wissen, dass an der Prinzessin und der dürftigen Zukunftsplanung etwas faul ist bzw. ihre Heirat als letzter Rettungsanker für seinen Thronanspruch und die Rettung Coronnans als Lösung eher zweifelhaft erscheint. Wären diese Gedankengänge von Radford (und gleichermaßen auch in der dürftigen Übersetzung) besser durchdacht und logischer umgesetzt worden, hätten sie das Salz in der Suppe sein können. Nun aber stellen sie lediglich Anteilscheine an einer komisch überfrachteten Fantasy-Aktie dar, die durch das unnötig schwächelnde „Der verbotene Zauber“ in den Keller zu sinken droht.

Zu viele Köche verderben den Brei; diese alte Phrase hätte sich die Urheberin des „Drachen-Nimbus“ mal besser zu Herzen nehmen sollen. Nach gutem Beginn weicht Radford immer mehr von ihrer willkommen stringenten Erzählform ab und verliert die ursprüngliche Hauptthematik meines Erachtens zu oft aus den Augen. Zu selten ist vom Vermächtnis der Drachen die Rede, und zu häufig stören Kleinigkeiten den Erzählfluss. Dazu bleiben viele wichtige Fragen unbeantwortet, was manchmal eine recht große Tragweite nach sich zieht. Ich frage mich, wie Irene Radford all die ungeklärten Ereignisse im letzten Buch der Trilogie noch logisch auflösen will. Weitere radikale Schnitte scheinen mir der letzte, wenngleich alles andere als wünschenswerte Ausweg. Doch da Autorin auf diesem Gebiet ja in den ersten beiden Büchern schon massig Erfahrungswerte gesammelt hat, wird dies, einhergehend mit der zunehmenden Abnahme der Spannung, die einzige Lösung sein. Schade um viele gute Ideen, schade um die gar nicht mal schlecht umschriebenen Charaktere, die sich leider nicht entsprechend weiterentwickeln können.

Wer „Der Glasdrache“ bereits gelesen hat, kann sich ja dennoch mal an „Der verbotene Zauber“ versuchen. Neueinsteigern hingegen möchte ich schon fast von dieser mageren Fantasy-Kost abraten.

Joger, Ulrich / Kamcke, Claudia (Hgg.) – Mammut. Elefanten der Eiszeit

Vom 1. Dezember 2005 bis 18. April 2006 fand im Staatlichen Naturhistorischen Museum Braunschweig die Sonderausstellung „Mammut – Elefanten der Eiszeit“ statt, zu der das vorliegende Werk den Begleitband darstellt. Es gliedert sich in sieben Großkapitel:

1. Eine kurze Geschichte der Mammutfunde (S. 9-24): Gewaltige Knochen findet man seit jeher überall dort, wo einst die mächtigen Urzeit-Elefanten lebten. In Deutschland taten sie dies beispielsweise im Harz oder im Braunschweiger Land, wo sich seit dem 17. Jh. die moderne Wissenschaft mit ihnen beschäftigt. Sah man sie zunächst als Überreste von Unglücksrüsslern, die von der biblischen Sintflut verschlungen wurden, erkannte man sie dann als Relikte eiszeitlicher Elefanten. Seit 1800 wurden im Eis der sibirischen Dauerfrostböden immer wieder gefrorene und vollständig erhaltene Mammuts entdeckt, die es der Wissenschaft ermöglichten, über diese Wesen so viel in Erfahrung zu bringen wie über manche heutige Tierart.

2. Die Evolution des Mammuts (S. 24-32): Mammut ist längst nicht gleich Mammut. Es gab dieses Tier nicht nur langhaarig, sondern in mehreren Arten, die ihren jeweiligen Ökosystemen perfekt angepasst waren. Aufgrund der zahlreichen Funde existiert ein Elefanten-Stammbaum, der Aufschluss über die Entwicklung dieser Arten gibt.

3. Das Wollhaarmammut – ein Elefant der Eiszeit (S. 33-44): Die Untersuchungen der Knochen und Kadaver sowie der Böden, in denen sie liegen, ermöglichen es heute das Leben der Mammuts bis in Details zu rekonstruieren. Dazu gehören sogar Einblicke in das Sozialleben der gesellig lebenden Riesentiere.

4. Das Eiszeitalter – nicht nur Eis und Kälte (S. 45-56): Das Eiszeitalter stellt sich der heutigen Forschung längst nicht mehr als Folge von Gletschervorstößen und -rückzügen, sondern als komplexe Serie kurzer und rasch aufeinander folgender Kalt- und Warmzeiten dar. Nicht selten gab es in diesem Eiszeitalter Phasen, in denen das Eis sich weit zurückzog und die Durchschnittstemperaturen sogar höher als heute lagen. In diesem Kapitel werden die komplexen wissenschaftlichen Messmethoden vorgestellt, mit denen es gelang, dies festzustellen, sowie Rückschlüsse auf die zeitgenössischen Umwelt/en gezogen.

5. Die „Mammutsteppe“ – ein untergegangenes Ökosystem (S. 57-68): Die trockenen Kältesteppen, durch die das Wollhaarmammut zog, sind keineswegs identisch mit der arktischen Tundra der Jetztzeit. Stattdessen bot die „Mammutsteppe“ nicht nur den großen Pelzelefanten, sondern einer Vielzahl anderer Tiere (Nashörner, Riesenhirsche, Löwen, Hyänen usw.) eine Heimat, die sie, selbst wenn sie nicht ausgestorben wären, heute nicht mehr vorfänden.

6. Mammutjäger – Mensch und Kultur im jüngeren Eiszeitalter Europas (S. 69-92): Mensch und Mammut waren Zeitgenossen. Wie sah das Verhältnis zwischen den beiden Lebewesen dar, die auf ihre Weise den gemeinsamen Lebensraum dominierten? Der Mensch jagte das Mammut, aber wie intensiv tat er es? Ist er sogar (mit-)verantwortlich für das Aussterben dieser Elefanten? In diesem Kapitel werden neue Erkenntnisse vorgestellt, die überraschen.

7. Das Mammut in der Kunst der Eiszeitjäger (S. 93-112): Obwohl der Mensch der Eiszeit des Schreibens nicht mächtig war, gibt es Zeugnisse, die darüber informieren, wie er das Mammut sah. Er schnitzte es in Elfenbein, die Wände zahlreicher Höhlen zeigen Bilder, welche sich sogar chronologisch ordnen lassen: Das Verhältnis zwischen Mensch und Mammut unterlag zeitlichen Wandlungen, deren Kenntnis das Bild vom eiszeitlichen Leben ergänzt.

Ein Glossar (S. 113-115) informiert über die wichtigsten Fachbegriffe, ein Autorenverzeichnis (S. 116) über die am Buch beteiligten Verfasser.

Knapp und präzise informiert dieser Begleitband zu einer Braunschweiger Ausstellung rund um das Thema „Mammut“. Hier und da macht sich die Beschränkung auf eine möglichst geringe Seitenzahl – der Katalog sollte offensichtlich möglichst erschwinglich bleiben – negativ bemerkbar – dies nicht unbedingt, weil wichtige Informationen fehlen, sondern weil man als Leser mehr erfahren möchte. (An Literaturangaben herrscht indes kein Mangel, so dass dies mit ein wenig Laufarbeit möglich ist.) Diese Reaktion zeigt, dass dem Mammut in der Gunst des Menschen eine ähnliche Rolle zukommt wie den Dinosauriern: Die großen Elefanten sind zwar ausgestorben, aber wir bedauern es und möchten mehr über sie erfahren. Die Sehnsucht ist sogar so stark, dass ernsthaft über die Möglichkeit spekuliert wird, Mammuts „auferstehen“ zu lassen.

Der Mensch schätzt also das Mammut, das er im Gegensatz zu den Sauriern noch selbst kennen gelernt hat. Es ist faszinierend, wie gut sich dies dokumentieren lässt: In der Kunst des Eiszeitmenschen spielte das Mammut eine große Rolle. Er hat sich immer wieder mit diesem Tier beschäftigt, auch wenn die jeweiligen Zusammenhänge nur vermutet werden können. Noch besser: Der Mensch ist offenbar nicht verantwortlich für sein Aussterben; konkrete Untersuchungen bekannter Tierschlachtplätze widerlegen das Bild vom Speer schwingenden Eiszeitkiller, der die Mammuts herdenweise über steile Klippen in den Tod jagt.

Mit vielen Mammutmythen räumt dieses Buch wie nebenbei auf. So ist es ganz und gar nicht so, dass in Sibirien riesige Eiswürfel auf ihre Entdeckung warten, die in ihrem Inneren so perfekt konservierte Rüsseltiere bergen, dass diese quasi aufgetaut und ins Leben zurückgerufen werden können – dies zumindest über den Umweg des Klonens. Tatsächlich sehen gefrorene Mammuts keineswegs stattlich aus. Die Kadaver enthalten keine DNS, die nach heutigem Forschungsstand fürs Elefantenbasteln taugen. Außerdem unterscheiden sich Mammuts genetisch so stark von heutigen Elefanten, dass deren weibliche Exemplare als „Leihmütter“ nicht in Frage kämen. Aus der Traum vom „Pleistocene Park“ …

Die Erforschung des Mammuts ist auch als Spiegel der menschlichen Entwicklung von großer Bedeutung. Funde in unmittelbarer oder weiterer Entfernung von Mammutkadavern schließen nicht selten schmerzhafte Wissenslücken. Viele urzeitliche Artefakte sind nur deshalb bekannt geworden, weil sie der Mensch zur Jagd und zum Zerlegen der großen Elefanten eingesetzt hat. Ein Mammut speiste eine Menschengruppe über viele Wochen und lieferte Rohmaterial für Kleidung, Werkzeuge, Jagdwaffen, Schmuck. Diese Funde liefern wiederum Informationen über ihre Besitzer. So greift im Idealfall ein Zahnrad ins andere und vermittelt das Bild einer lebendigen Vergangenheit.

„Mammut“ wartet deshalb auch mit interessanten neuen Erkenntnissen über den Neandertaler auf. Schon länger wird vermutet, dass es sich bei diesem keineswegs um einen ungehobelten Steinzeitklotz handelte. Der Neandertaler war eine zweite Menschenart, die sich von seinem jüngeren Zeitgenossen, dem heute allein überlebenden Cro-Magnon-Menschen, anatomisch und genetisch recht deutlich unterschied, ohne deshalb jedoch „primitiver“ oder „dümmer“ gewesen zu sein. Neandertaler konnten offenbar sehr wohl sprechen und sie existierten deutlich länger als bisher gedacht, ohne sich mit den „moderneren“ Nachbarn zu bekriegen.

So muss ein Buch aussehen, das neugierig macht auf Wissen – und noch mehr Wissen! Deshalb lässt sich das recht biedere Layout – beispielsweise sehen manche Karten wie mit dem Buntstift gezeichnet aus – leicht verschmerzen. Hier übertrifft der Inhalt die Verpackung – eine angenehme Abwechslung zumal in einer Sachbuchwelt, die sich heute gar zu gern der „Galileo: Halbwissen spannend gemacht“-Schule des Privatfernsehens anpasst.

Mirrlees, Hope – Flucht ins Feenland

„Flucht ins Feenland“, erschienen 1926, war ein Fantasy-Roman der ersten Stunde, hat allerdings einen halben Dornröschenschlaf hinter sich. Erst in den Siebzigern wurde er wiederentdeckt und gilt seither als Kult. Es dauerte aber noch bis ins neue Jahrtausend, ehe das Buch endlich auch auf Deutsch erschien.

Es ist ein Skandal! Der Sohn des Bürgermeisters von Lud-in-den-Nebeln hat Feenfrüchte gegessen. Und das, obwohl per Gesetz weder die Feen noch ihre Früchte existieren! Aber das ist nicht die einzige Ungeheuerlichkeit: Die Mädchen auf der höheren Töchterschule sind alle ausgeflippt und davongelaufen!

So ungern der Bürgermeister sich aus seiner Bequemlichkeit aufrafft, aber dem muss ein Riegel vorgeschoben werden, bevor das Land im Chaos versinkt!

Zunächst wird also Sohn Ranulph aus der Stadt aufs Land gebracht. Sodann macht sich der Bürgermeister daran, den Schmuggel von Feenfrüchten, die es offiziell gar nicht gibt, zu bekämpfen. Zunächst ist er damit genauso erfolglos wie seine Vorgänger schon seit Jahrhunderten. Erst eine Entdeckung seiner Frau und ein altes Gerichtsprotokoll bringen ihn auf die richtige Spur. Aber da scheint es schon zu spät! Kurz darauf wird er abgesetzt, und als er den Bauernhof aufsucht, wo sein Sohn den Sommer verbracht hat, muss er feststellen, dass er den übergeschnappten Mädchen gefolgt und davongerannt ist, ins Feenland, aus dem es keine Wiederkehr gibt.

Trotz dieser entmutigenden Erkenntnis ist Bürgermeister Hahnenkamm nicht bereit, sich geschlagen zu geben …

Bürgermeister Nathan Hahnenkamm, der Held dieses Buches, ist zumindest oberflächlich gesehen ein typischer Dorimaraner: rundlich, rotwangig, fröhlich, praktisch, vernünftig, gemütlich. Wobei er zugegebenermaßen gelegentlich doch auch ein wenig wunderlich wirkt. So hat er einen massiven Widerwillen gegen Worte wie zum Beispiel Fluch, und dem Leser wird mit der Zeit klar, dass Herr Hahnenkamm durchaus nicht so prosaisch und trocken veranlagt ist, wie er gerne möchte, dass man es von ihm glaubt. Tatsächlich wird der gute Mann seit seiner Kindheit gelegentlich von einem unbestimmbaren Gefühl drohenden Unheils heimgesucht, das er nicht deuten kann, und vor dem er sich am liebsten verkriechen möchte. Als es dann schließlich ernst wird, widersteht er jedoch der Versuchung, den Kopf in den Sand zu stecken, rafft sich auf und wächst schließlich sogar über sich hinaus.

Die übrigen Honoratioren der Stadt sehen das zunächst natürlich nicht so. Sie sind zwar auch praktisch und vernünftig, aber nur, soweit ihre Weltanschauung dadurch nicht betroffen ist. Ansonsten sind sie eher verbohrt, engstirnig, herablassend und bequem. Nur Nathans alter Freund Ambrosius Geißblatt hält zu ihm, selbst als sein Verstand gezwungen wird, sich mit Dingen zu befassen, die es dem Gesetz nach eigentlich nicht gibt.

Dem Gegenspieler des Bürgermeisters ist das nur recht. Dieser Mensch ist ein so geschickter Intrigant, dass er fast eine Frau sein könnte. Er lässt hier ein Wort fallen, macht dort eine beiläufige Äußerung, und sein guter Ruf tut das Übrige. Bald hat er den Bürgermeister so isoliert, dass dieser schließlich seines Amtes enthoben wird. Er will diesen Hahnenkamm unbedingt loswerden. Denn der ist eine Gefahr für ihn …

Dieses Buch zu lesen, ist wie bei schönem Sommerwetter durch einen lichten Laubwald zu spazieren. Der Reiz der Geschichte erwächst aus dem Zusammenspiel von Licht und Schatten, von Schönem und Schauerlichem, die sich durch ihren Widerspruch gegenseitig hervorheben. Die Feen in diesem Roman sind noch nicht zu reinen Lichtgestalten idealisiert oder zu romantischen Kindgestalten gewandelt. Eher scheinen sie den Anderweltgeschöpfen der englischen Sagen ähnlich: Musikanten und Dichter, verträumt, überschwänglich, gefühlvoll, aber auch boshaft und hinterlistig. Ferdie Fetz, der dauernd auftaucht, Unfug anstellt und wieder verschwindet, würde sich in Shakespeares Sommernachtstraum sicherlich recht wohl fühlen. Ein zweischneidiges Schwert …

Kein Wunder, dass dies den Kaufleuten von Lud-in-den-Nebeln höchst suspekt ist. Wer mit Waagen und Gewichten oder mit Rechnungsbüchern zu tun hat, hat nicht viel übrig für Überschwang und Träume. So wurden die Feenfrüchte unter anderem für die Abgedrehtheit des letzten Herzogs und seiner Adligen verantwortlich gemacht, weshalb nach der Revolution und der Vertreibung des Herzogs alles Feengut für tabu erklärt wurde. Mit der Zeit wurde selbst die Existenz des Feenreiches schlicht geleugnet. Allein etwas zu erwähnen, das mit den Feen in Zusammenhang stand, galt als obszön. Das ging so weit, dass im Gesetz der Stadt keine Strafe für den Schmuggel von offiziell nicht existierendem Obst vorgesehen war!

Spätestens an dieser Stelle entlarvt sich die neu errichtete Ordnung der Vernunft und Tüchtigkeit als ebenso illusorisch, wie das Feenreich angesehen wurde, das Leben in dieser Gesellschaftsordung als stumpfes, verknöchertes Dahindümpeln, dem jegliche Lebendigkeit, jegliches Gefühl und jeglicher Bezug zur Welt fehlt.

Wer jetzt glaubt, es handle sich bei diesem Roman um Gesellschaftskritik, der ist wahrscheinlich auf dem Holzweg. Es soll sogar Leute gegeben haben, die das Buch für eine Parabel auf den Klassenkampf hielten! Ein Beweis dafür, dass es möglich ist, jeden Text auf jede beliebige Weise zu interpretieren, wenn man die Worte darin nur mit genügend Ausdauer immer wieder dreht und wendet.
Eine viel einfachere Deutung lässt sich aus dem Gegensatz zwischen Dorimare und Feenland ableiten. Auf der einen Seite das Vernunftbetonte, das sich an den Tatsachen festklammert, die es jedoch durchaus in seinem Sinne zu verbiegen bereit ist, falls es seinen Zwecken dient, und dem jegliche Gefühle und Träume nur Überspanntheit und Spinnerei sind. Auf der anderen Seite das Träumerische, Bunte, Verrückte, das alles auf den Kopf stellt, überall Verwirrung stiftet, aber auch Farbe und Abwechslung, Leben bedeutet. Beide für sich genommen sind nicht praktikabel!

Vernunft allein ist grau und trist, Träume allein führen zum Wahnsinn. Nur gemeinsam ergeben sie eine lebenswerte und liebenswerte Welt! Und ob wir glücklich sind, hängt davon ab, ob es uns gelingt, die richtige Balance zwischen beiden zu finden.

Dieser Widerspruch, die Spannung zwischen Realität und Fantastik, war es, was Hope Mirrlees‘ gesamtes Schaffen prägte. Ihre ersten beiden Anläufe, dies zu Papier zu bringen, waren von wenig Erfolg gekrönt. Erst durch den Kontakt mit Alexej Remisov, einen russischen Schriftsteller, erhielt sie offenbar den entscheidenden Impuls. Der Humor fand Einzug in ihre Arbeit und führte letztlich zu dem beschriebenen Licht-und-Schatten-Effekt, wo das Lustige das Düstere betont, und das Gruslige das Lächerliche offenbart. So fühlte ich mich stellenweise nicht nur an Shakespeares Sommernachtstraum, sondern auch an die Sieben Schwaben erinnert. Die Fahndung nach den Schmugglern und das Aufdecken eines alten Mordkomplotts sorgen letztlich dafür, dass der Roman sich erfolgreich jeglicher Zuordnung zu einem bestimmten Genre entzieht.

Hope Mirrlees hat sich auch in anderer Hinsicht widersetzt. Im Zeitalter des literarischen Realismus bedeutet ihr Roman einen Kontrapunkt. Sogar sprachlich ist sie ausgebrochen, hat sich dem Bemühen um eine straffere, zügigere Sprache verweigert und schreibt in langen, verschlungenen Sätzen, ihr Stil ist blumig, duftig, ausdrucksstark.

Mit anderen Worten: Sie macht es ihren Lesern nicht leicht. Aber wer sich darauf einlässt, kommt in den Genuss eines kleinen Juwels, das es in dieser Form kein zweites Mal gibt, das verwirrt, beunruhigt, aber auch amüsiert. Prädikat: sehr wertvoll.

Hope Mirrlees wuchs teilweise in England und Südafrika auf. Sie war eine der ersten Frauen, die an einer Universität studierten, sprach eine ganze Latte mehr oder weniger exotischer Sprachen fließend, darunter Zulu, Arabisch und Russisch, war viel auf Reisen und gehörte neben Virginia Woolfe u.a. zur Bloomsbury-Gruppe, einem Literatenzirkel. Ihr erstes Werk, das Aufmerksamkeit erregte, war das Gedicht „Paris“, das recht erfolgreich war, doch mit „Flucht ins Feenland“ wurde sie berühmt. Nicht lange nach der Veröffentlichung dieses Romans aber starb ihre langjährige Freundin und Vertraute Jane Harrison. Offenbar hat dieser Verlust ihren inneren Antrieb zur Schriftstellerei vollständig zum Erliegen gebracht, denn außer einigen unbedeutenden Gedichten und einer unvollständigen Biographie hat Hope Mirrlees nichts mehr zu Papier gebracht. Sie starb am 01. August 1978.

Crossley-Holland, Kevin – Artus – Im Schatten des Kreuzes (Band 3)

Band 1: [„Der magische Spiegel“ 2420
Band 2: [„Zwischen den Welten“ 2431

_Story_

Artus ist am Ziel seiner Träume angelangt. Auf einer Insel vor Venedig stationiert, bereitet er sich auf den Zug in die Heilige Stadt vor und wird in einem feierlichen Akt zum Ritter geschlagen. Doch schon bald merkt er, dass seine neue Position nicht nur mit Ruhm und Glorie verbunden ist. Die Motive der Kreuzzüge scheinen nämlich weitaus unehrenhafter zu sein, als Artus sich dies in seinen Träumen ausgemalt hatte. Innerhalb der eigenen Reihen kommt es zu Streitigkeiten und Rivalitäten, und statt gemeinsam gegen den Feind vorzugehen, stürzen sich die gekränkten Christen auf ihre eigenen Leidensgenossen.

Artus hingegen sitzt mit seiner Flotte in einer Seeenge bei San Nicola fest und muss darauf hoffen, dass die Verhandlungen mit dem Dogen der Stadt Venedig sich nicht allzu lange hinziehen. Doch immer mehr schwindet Artus‘ Hoffnung, als glanzvoller, prächtiger Ritter in Jerusalem einzumarschieren, denn die Verstrickungen in den eigenen Reihen nehmen langsam aber sicher überhand und die Zukunft des Kreuzzuges wird immer ungewisser. Und als die riesige Armee dann ein weiteres Mal erschüttert wird, rückt die Heilige Stadt für Artus de Caldicot in immer weitere Ferne …

Dem König Artus von Camelot ergeht es ähnlich wie seinem Namensvetter zu See. Er ist in einem Stein gefangen und nimmt alles andere als die edelmütige Haltung eines Ritters ein. Artus de Caldicot fühlt sich mit ihm verbunden, versteht aber immer noch nicht die direkten Zusammenhänge zwischen dem Lebensweg des Königs von Camelot und seinem eigenen Schicksal als einfacher Ritter im Namen des Kreuzes. Dann trifft er aber noch ein letztes Mal auf seinen alten Freund, den Zauberer Merlin, und plötzlich lernt der mit 16 Jahren immer noch sehr junge Held die gesamte Wahrheit, die sich unter der Oberfläche des Obsidians verbirgt, kennen.

_Meine Meinung_

Welch toller Abschluss dieser bezaubernden Jugendbuchreihe! Würdevoll wie die Entwicklung des Artus de Caldicot beschreibt Kevin Crossley-Holland die letzten Schritte zur Ritterehre des einstigen Knappen und die daraus resultierende Euphorie. Und ebenso feinfühlig bremst er den Hochmut dann auch wieder aus, indem er sein umfangreiches Hintergrundwissen zu den Kreuzzügen in die Handlung einbringt und dem Leser die zweifelhaften Ideale der Kreuzzüge nahe bringt; dies jedoch weitestgehend in reduzierter Form, die erst gar keine Diskussionen zu diesem Thema aufkommen lassen. Der Autor stellt nämlich keine Thesen oder Vermutungen auf, sondern verbindet die ernüchternde Realität sehr harmonisch mit der recht zügig voranschreitenden Heldensaga um den Jüngling de Caldicot, und dies funktioniert wie auch schon in den beiden Vorgängerbänden sehr, sehr gut.

Was man (wie im Übrigen auch schon bei „Zwischen den Welten“) kritisieren kann, ist die manchmal doch recht einfache Erzählsprache, mit der Artus die Geschehnisse in einer Art Tagebuch aus seiner eigenen Perspektive berichtet. Er erzählt von der niederträchtigen Stimmung innerhalb der Flotte, beschreibt, wie er langsam aber sicher selber den Mut verliert, und wie sich die Atmosphäre generell mit seiner Vorstellung des Ritterlebens vereinbaren lässt, bedient sich dabei aber stets eines eingeschränkten Wortschatzes, der letztendlich auch die klare Trennlinie zwischen Jugendbuch und Erwachsenenliteratur zeichnet. Was allerdings nicht bedeuten soll – ich erwähnte es schon in den vorangegangenen Rezensionen – dass „Im Schatten des Kreuzes“ für ältere Jahrgänge nicht geeignet ist. Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall!

Was im letzten Band doch ein wenig auffällt, ist, dass das Augenmerk der Geschichte vorrangig auf den jugendlichen Artus gelegt wird, was zur Folge hat, dass der gedanklich Verbündete aus Camelot und dessen Legende nicht mehr ganz so ausführlich beleuchtet werden. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, in dem die lange erahnten Zusammenhänge endlich auch vom Autor bestätigt werden. Doch dies muss der Leser selber herausfinden, nachdem er sich durch diese durchweg überzeugende Trilogie mit all ihren verschiedenen Teilepisoden gekämpft hat.

„Im Schatten des Kreuzes“ entführt den Leser ein letztes Mal in eine Welt zwischen den Welten und zeigt aller Skepsis zum Trotze, dass man der viel zitierten Artus-Sage tatsächlich noch etwas Neues abgewinnen kann – sofern man nur die richtigen, in diesem Fall sehr lebendigen Ideen hat. Und dass die Trilogie alles in allem ziemlich leichte Kost ist, macht die Sache irgendwie noch charmanter, schließlich haben sich schon zu viele Autoren und andere Künstler zu verkopft an die Heldensaga herangemacht. Kevin Crossley-Holland indes hat den perfekten Mittelweg zwischen historischem Jugendbuch und unterhaltsamem Ritterepos gefunden und damit eine überaus symapthische Romanreihe erschaffen. Unbedingt empfehlenswert!

http://www.dtv.de

Englisch, Andreas – Habemus Papam – Von Johannes Paul II. zu Benedikt XVI

„Habemus Papam“ heißt es am 13. April 2005 um 17.43 Uhr auf dem Petersplatz. Die Welt hält den Atem an – und aus Kardinal Joseph Ratzinger wird Benedikt XVI., Nachfolger des am 2. April verstorbenen Johannes Paul II.

Für den Journalisten Andreas Englisch ist diese Wahl von besonderer Bedeutung. Mehr als fünfzehn Jahre lang war er regelmäßiger Begleiter von Johannes Paul II. und kam ihm so nah wie kaum ein anderer Reporter zuvor. So wie er stellen sich Millionen anderer Menschen gleichermaßen die Frage: Was wird sich unter dem neuen Papst alles ändern? Welchen Kurs wird Benedikt XVI einschlagen, was bedeutet seine Wahl für die Kirche und die Gläubigen?

In 39 Kapiteln zeichnet Englisch einen kurzen, übersichtlichen Abriss über die letzten Tage im Leben des alten Papstes, über seinen Tod und die Zeit des Konklave bis hin zur Erwählung Benedikt XVI. und einem Ausblick auf die neue Ära.

Andreas Englisch erinnert sich an seine ersten Begegnungen mit Johannes Paul II. und an die ersten gemeinsamen Reisen und Interviews. Er zieht Vergleiche zwischen dem robusten Karol Wojtyla und dem kranken, alten Mann, der die letzten Jahre vor seinem Tod nur mit Mühe sein Amt ausfüllen konnte. Der Leser erfährt Hintergründe über das System der katholischen Kirche im Allgemeinen und die Arbeit der Päpste im Besonderen. Es werden sowohl herausragende Erfolge von Johannes Paul II. als auch Schattenseiten des Vatikans (Opus Dei) angesprochen.

Dazwischen kommen immer wieder Querverweise zum neuen Papst Benedikt XVI. Andreas Englisch berichtet von seinen Eindrücken zu Kardinal Ratzinger, zu dessen Verhältnis zu Johannes Paul II. und spekuliert darüber, was er von seinem Vorgänger übernehmen und was er eventuell ändern wird. Ergänzend hinzu kommen noch Informationen zu anderen wichtigen Gestalten der katholischen Kirche, etwa andere deutsche Kardinäle, Favoriten für das Papstamt, markante Persönlichkeiten aus früheren Zeiten und das engste Umfeld des Papstes. Im Anhang befindet sich eine Zeittafel, auf der parallel zueinander die wichtigsten Daten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufgelistet werden.

Neben allen fachlichen Informationen nehmen auch viele persönliche Anekdoten ihren Raum ein. Andreas Englisch gewährt dem Leser Einblick in das Leben eines Vatikan-Reporters und berichtet von den schönen und traurigen, den frustrierenden und aufregenden Momenten im Leben eines Journalisten, der dem Oberhaupt der katholischen Kirche so nah kam wie kaum ein anderer Mensch.

Schnell musste es gehen, nach dem 19. April. Schließlich durfte man die Öffentlichkeit nicht lange warten lassen auf Informationen über den neuen Papst. „Wir sind Papst“ titelte BILD, die Hauszeitschrift des Autors Andreas Englisch, voller Begeisterung. Aber wenn wir Papst sind, wer sind wir dann? – Kein Wunder also, dass die Bücher über Joseph Ratzinger bzw Benedikt XVI. so rasch wie möglich in die Auslagen der Buchhandlungen gelangen mussten.

Leider kommt man nicht umhin, diesen Zeitdruck auch inhaltlich zu bemerken. „Habemus Papam“ bietet einen kurzen Einblick in das Leben im Vatikan und einen übersichtlichen Abriss des Wirkens von Johannes Paul II. Als Einstieg in Hintergrundlektüre über die katholische Kirche und zur groben Beurteilung ist das Werk gut geeignet. Wer sich jedoch detallierte Informationen erhofft, wird vermutlich eher enttäuscht sein. Ebenso wenig bildet es ein Ersatz für richtige Biographien über die beiden Päpste. Stattdessen ist es als Reaktion auf ein Zeitgeschehen zu verstehen, das viele Menschen auf der ganzen Welt interessiert und bewegt hat, als komprimierte Reflektion einer vergangenen und einer anbrechenen Epoche.

|Päpstlicher Humor|

Ein Buch über den Papst und die Kirche muss nicht zwangsläufig in feierlichem Ernst gehalten sein. Stattdessen lässt Andreas Englisch immer wieder amüsante Anekdoten einfließen, die ihm in seiner Karriere als Vatikankorrespondent unterliefen.

Am witzigsten ist ein missverständlicher Ausdruck, der zu regelmäßigen Zwistigkeiten zwischen ihm und Redaktionskollegen führte: Die auserwählten Journalisten, die bei päpstlichen Veranstaltungen anwesend sein dürfen, werden als „Pool“ bezeichnet. Da währenddessen die Handys abgeschaltet sein müssen, meldete Englisch sich zuvor bei der Redaktion mit den Worten „Ich hab keine Zeit, ich muss gleich zum Pool“ ab – mit verheerenden Folgen: „Zum Pool?“ entgegnete manch ein entgeisterter Kollege und schimpfte wutentbrannt darüber, dass sich Englisch offenbar in die Sonne legt, während in der Redaktion schwitzend seine Layouts vorbereitet werden.

Aber auch in den direkten Begegnungen mit Johannes Paul II. gibt es Erlebnisse, die im Nachhinein ein Lächeln auf die Lippen zaubern: An einem Abend im Jahr 1999 stand ein Rückflug mit dem Helikopter von Zamosc nach Warschau auf dem Programm. Für den Papst stand ein weißer, für Englisch und einen befreundeten Fotographen-Kollegen ein dunkler Helikopter bereit. Am Himmel tobte jedoch ein so starkes Unwetter, dass der Pilot sich zunächst weigerte, zu fliegen. Der eilige Papst lässt aber keine Widerrede gelten. Während des abenteuerlichen Fluges klammern sich die beiden Journalisten aneinander, beten ein Ave Maria nach dem anderen und fürchten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, ehe sie endlich wider Erwarten wohlbehalten in Warschau landen. Mit wackligen Knien entsteigen sie dem Helikopter und ein fröhlich lachender Johannes Paul II. fährt aufmunternd winkend an ihnen vorbei – ganz im Sinne eines Gottesmannes, der weder Tod noch Teufel fürchtet.

|Der Marathon-Papst|

Die soeben erwähnte Szene ist eine von vielen, die verdeutlicht, wie Johannes Paul II. zu seinem internen Spitznamen kam. Wer nur die letzten Jahre seines Lebens verfolgt hat, kennt vermutlich nur das Bild eines schwerkranken Mannes, den nur sein eiserner Wille am Leben gehalten zu haben schien. Als Karol Wojtyla jedoch 1978 zum Papst gewählt wurde, war er erst 58 Jahre alt, ein vor Kraft strotzender Mann, dem es nie schnell genug gehen konnte und der schon mal im Spaß die leicht angetrunkenen Reporter, die auf einem Rückflug übermütig „Take off the cross, boss“ sagen, mit einem Augenzwinkern zurechtwies. Wenn man Englischs Erlebnisse mit diesem agilen Papst liest, dämmert es einem, was für eine zusätzlich psychische Qual die letzten Jahre im Leben Johannes Paul II. gewesen sein mussten.

|Licht und Schatten im Vatikan|

Kaum jemand ist so naiv zu glauben, im Vatikan seien die heiligsten und frommsten aller Menschen versammelt. Und so erzählt Andreas Englisch auch kaum etwas Neues, wenn er sagt, dass es selbst im engsten Gefolge eines Papstes stets von Intriganten und Missgünstlingen wimmelt. Trotzdem ist es immer wieder interessant, aus versierter Quelle Details zu den Macht- und Ränkespielen hinter den heiligen Mauern zu erhalten. Unter anderem erfährt man, wer unter den Vatikanleuten zu den engsten Freunden des verstorbenen Papstes gehörte und wer sich schon lange zuvor nach einem Nachfolger sehnte.

Als einer von mehreren Belegen für die Scheinheiligkeit vieler hoher Kirchenleute dient das Beispiel eines anonymen Schreibens, das im August 2003 bei der Redaktion der Jesuitenzeitschrift „Jesus“ eintraf. In dem Brief steckte ein kircheninternes Diskussionspapier, das nahezu alle Errungenschaften Johannes Pauls II. in Frage stellte und reformieren wollte. Aus dem Schreiben ging hervor, dass die Verfasser engste Vatikanvertraute sein mussten. Doch trotz aller Nachforschungen konnten die Urheber nie eindeutig identifiziert werden – was bleibt, ist einer von vielen Beweisen, dass Missgunst und Machtspiele auch oder gerade vor Kirchenmauern keinen Halt machen.

|Der Nachfolger|

Insgesamt nehmen die Kapitel zum Leben und Wirken von Johannes Paul II. einen deutlich größeren Rahmen ein als der Text über Benedikt XVI. bzw Kardinal Ratzinger. Englisch schildert eine kurze Zusammenfassung seiner biographischen Daten und stellt ihn als einen der getreuesten Freunde des verstorbenen Papstes vor. Gleichzeitig geht er auf die Unterschiede ein. War Johannes Paul II. ein Mann der Gesten, so erscheint Benedikt XVI. als Mann der Worte. Während sein Vorgänger sich medial zu zelebrieren wusste, gilt er als zurückhaltend. Seine ersten Auftritte sind für seine Verhältnisse überraschend volksnah und gespannt warten Gläubige und Medienleute in aller Welt, ob sein Pontifikat auch zukünftig an diesen Stil anknüpfen kann. Englisch ist davon überzeugt, dass kein anderer Papst jemals zuvor so viel geleistet hat wie Johannes Paul II. Er hinterlässt zahlreiche Anknüpfungspunkte in Themenfragen wie Verhütung, Armut und Ökumene, mit denen sich sein Nachfolger auseinander setzen muss. Interessant ist dabei vor allem, dass trotz der jahrelangen engsten Zusammenarbeit von Kardinal Ratzinger und Johannes Paul II. diese beiden großen Kirchenmänner längst nicht auf allen Gebieten einer Meinung waren. Davon zeugt unter anderem eine Zugfahrt mit dem Papst und Vertretern anderer Religionen, die im Zeichen der Aussöhnung der verschiedenen Glaubensrichtungen stand. Als Englisch Ratzinger nach seiner Meinung dazu befragte, erhielt er die symbolträchtige Antwort: „Sie sehen ja: Ich fahre mit. Aber ich sitze entgegen der Fahrtrichtung.“

|Einführung – ja, tiefgehende Analyse – nein|

Zum Abschluss stellt sich die Frage, an wen sich das Buch vorwiegend wendet: Überzeugte Katholiken, Heiden, Agnostiker, Atheisten? Ich selber bin einerseits zwar katholisch, hatte ein Jahr lang Privat-Unterricht bei einem mit Kardinal Ratzinger gut bekannten Monsignore und habe Katholische Religion als viertes Abiturfach mit Bestnote abgeschlossen. Auf der anderen Seite stehe ich der Insititution Kirche bereits seit fast zehn Jahren kritisch gegenüber und besuche keine Messe mehr, wiewohl mein Glaube mir über all die Zeit wichtig war und ist – heute vielleicht noch mehr als früher. Für mich als distanzierter Christin bietet die Lektüre einen interessanten, manchmal desillusionerenden und manchmal überraschenden Blick hinter die Kulissen des Vatikans. Je weiter ich gelesen habe, desto größer wurde aber meine Überzeugung, dass ein Kirchengegner in dem Werk wenig ansprechende Worte findet. Zwar scheut sich Englisch nicht, einzelne Personen und Taten der katholischen Kirche negativ zu beurteilen, doch unterm Strich ist es in erster Linie ein massentaugliches Werk und die Kritik bleibt verhalten. Delikate Themen wie die radikale Vereinigung Opus Dei werden nur oberflächlich behandelt. Sehr schade ist außerdem, dass das Buch kein einziges Foto enthält.

Eine Stärke des Buches, die persönliche Beziehung des Autors zu Johannes Paul II., ist gleichzeitig auch eine Schwäche. Andreas Englisch macht keinen Hehl daraus, dass er – nach anfänglicher Skepsis bis hin zur Ablehnung – ein Bewunderer des verstorbenen Papstes ist und seine Reisen mit ihm mehr als nur seinen Lebensverdienst bedeuteten. Bereits mit seiner 2003 erschienenen Biographie setzte er Johannes Paul II. ein Denkmal und entschuldigte sich gleichsam für seine frühere Kritik, als er, nach eigener Ansicht, den Papst noch falsch einschätzte. Wie nah er sich dem Verstorbenen fühlt, wird deutlich, als er unmittelbar nach der Todesnachricht einem israelischen Kollegen in die Arme fällt mit den Worten: „Wir beide wussten vielleicht besser als irgendwer sonst, was dieser Papst geleistet hatte“. An anderer Stelle bekennt Englisch, dass er das Medienspektakel kurz vor und nach dem Ableben von Johannes Paul II. verabscheut: „… und ich würde lügen, wenn ich von mir behauptete, dieses Spiel nicht selbst manchmal mitzuspielen, aber an diesem Abend kotzte es mich an.“

Überhaupt finden sich zusätzlich viele persönliche Anekdoten, die nicht konkret mit dem Vatikan zu tun haben. Das bringt dem Leser den Autoren Andreas Englisch näher, macht ihn sympathisch und zu einer greifbaren Gestalt. Auf der anderen Seite aber bestätigt es das Gefühl, einen alten Vertrauten von Johannes Paul II. vor sich zu haben, der, erst Recht nach dessen Tod, mit seinem Buch keine Wunden aufreißen, sondern eine versöhnliche Basis schaffen will. Für Kirchenkritiker ist dieses Anliegen vielleicht nicht genug und wird dieses Buch daher nicht recht befriedigen. Andererseits ist eine „versöhnliche Basis“ ein guter und solider Ausgangspunkt. Der katholischen Kirche und dem Pontifikat von Benedikt XVI. ist zu wünschen, dass sie genau daran anknüpfen.

_Unterm Strich_ bietet „Habemus Papam“ eine kompakte Zusammenfassung über das Pontifikat von Johannes Paul II., zu seinem Tod und der Wahl des Nachfolgers Benedikt XVI. Der Autor legt eine besondere Gewichtung auf persönliche Anekdoten aus seiner fast zwanzig Jahre lang währenden Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Papst. Nicht zuletzt wegen dieser engen Bindung fällt das Werk insgesamt unkritisch aus und bietet keine tiefer gehende Analyse. Daher ist es vor allem als grober Einstieg für Vatikan-Interessierte zu empfehlen.

_Der Autor_ Andreas Englisch wurde 1963 geboren. Er studierte Literaturwissenschaften und Journalistik und arbeitet seit 1987 in Rom, wo er unter anderem das italienische Korrespondenzbüro des Axel-Springer-Verlages leitete. Seit 1995 begleitete er Papst Johannes Paul II. auf allen Auslandsreisen. Bis heute gilt er als einer der Journalisten, die dem vorherigen Papst am nächsten kamen. Weitere Werke sind „Johannes Paul II.“, „Der stille Gott der Wölfe“ und „Die Petrus-Akte“.

Thomas Kohlschmidt – BLIND

Thomas Kohlschmidt, in der Phantastikszene bekannt durch zahlreiche veröffentlichte Artikel und Kurzgeschichten, legt jetzt mit dem Phantastikthriller „BLIND“ sein Romandebüt vor.

Professor Keller sitzt in einer Hamburger Psychiatrie gefangen, da er ein Buch über eine merkwürdige Dunkelheit veröffentlichte, die die Erde zu beherrschen drohe. Mit diesen esoterischen Thesen kam er einem Kollegen in die Quere, der seinen gesamten Einfluss geltend machte, um Keller aus dem Verkehr zu ziehen.

Gerade diese beschworene und verlachte Dunkelheit ist nun im Begriff, sich auf die Erde herabzusenken, und Keller wird von einer amerikanischen Sturmtruppe aus der Psychiatrie befreit. Außerdem sind die Russen, die UNO und andere Mächte plötzlich an ihm interessiert, so dass er als Spielball von einem zum anderen wechselt, bis ihn eine Söldnertruppe nach Kalkutta, dem Ort seiner Forschungen und einzig mögliche Ausgangsbasis zur Lösung des Problems, bringt.

Seine Anhänger haben ihm im Verlauf der Gefangenschaftsjahre ein Labor ganz nach seinen Wünschen eingerichtet und in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt, von dem aus er nun auf die andere Seite, in die „Nicht-Licht-Welt“, vorzudringen gedenkt, um der Gefahr zu begegnen. Für die Außenstehenden wird seine krankhafte Fantasie von Nicht-Licht-Wesen plötzlich zur alles betreffenden Gefahr; die Weltbevölkerung bricht in Panik aus und jede Macht will Keller für die nationale Sicherheit benutzen, ohne zu akzeptieren, dass er das Übel an seiner Wurzel in Kalkutta packen muss, wo er vor Jahren das Tor zur anderen Seite öffnete, das schon die Magier und Schamanen vergangener Zeiten zu hüten und zu verschließen bemüht waren. Was aber in der Nicht-Licht-Welt vorgeht, ist auch Keller noch unbekannt …

In einem Artikel auf WARP-online nimmt Kohlschmidt Stellung zu seiner Arbeit an diesem Roman und verdeutlicht seine Vorgehensweise bei der Recherche, die eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung gespielt hat, da er seine Geschichte an bekannten Orten mit verschiedensten Nationalitäten und Umgangsformen und realen Techniken erzählt. Dabei schafft er es sehr gut, die gefundenen Informationen zu bearbeiten und in einem gesunden, knappen Maß in seine Geschichte einfließen zu lassen, so dass man an keiner Stelle das Gefühl hat, er wolle möglichst alles, was er an Arbeit mit der Recherche hatte, auf Biegen und Brechen in dem Roman verarbeiten. Diese Fähigkeit muss man hervorheben, tun sich doch sehr viele gestandene Schriftsteller damit schwer und spicken ihre Erzählungen mit seitenlangen Abhandlungen. Kohlschmidt schafft diesen Balanceakt mit Auszeichnung, strafft so die Handlung und rückt das Wesentliche in den Mittelpunkt.

Dagegen erschweren die vielen unterschiedlichen Erzählebenen ein wenig den Lesefluss und behindern die Entwicklung der wichtigen Charaktere. An sich ist gegen die schlaglichtartige Darstellung der Situation nichts einzuwenden, wird so doch der große erdumfassende Zusammenhang sehr deutlich herausgestellt. Damit erhält jedoch jede einzelne Nebenfigur das gleiche Gewicht wie die wirklichen Handlungsträger, um deren Ausarbeitung etwas mehr hätte gegeben werden können.

Die Handlung steht auf etwas tönernen Füßen. Tragende Wichtigkeit kommt der Tatsache zu, dass die Anhänger von Kellers Theorie eine Organisation aufgebaut haben, die keinerlei finanzielle Probleme hat und außerdem die größten Könner aus jedem Gebiet rekrutieren konnte. Das erhebt alles in ein überirdisches Licht und enthebt Keller der Schwierigkeit, seiner (durch seinen Aufenthalt in der Klappsmühle nicht eben im Ansehen gesteigerten) phantastischen Theorie die Mittel und die Anerkennung zu erkämpfen, die es benötigt, um der Gefahr rechtzeitig entgegentreten zu können. So erscheinen die Protagonisten über jede weltliche Schwierigkeit erhaben, was durchaus der Glaubwürdigkeit der Geschichte abträglich ist.

Die Auflösung ist interessant und verknüpft die Mythologien eigentlich sämtlicher frühzeitlicher Völker auf einer neuen Ebene. Und natürlich muss der tragische Tod einer sympathischen Person die emotionale Bindung zum Leser gerade am Ende noch einmal richtig festigen.

Fazit: Kohlschmidts Romanerstling lässt sich locker, flüssig und spannend lesen und bietet kurzweilige Unterhaltung, hat aber einige Schwächen bei der Ausarbeitung der Charaktere und durch ein paar klischeehafte Wendungen. Ausbaufähig, aber ein Roman, der hohes Potenzial erkennen lässt.

Preußler, Otfried – Krabat

Die Geschichte spielt in der Gegend um Hoyerswerda in Schlesien, Ende des 17. Jahrunderts: Der vierzehnjährige Krabat ist ein Waisenknabe. Gemeinsam mit zwei anderen Jungen zieht er nach Neujahr als Dreikönig durch die Gegend. Sie kehren auf Höfen ein, singen ihre Lieder und verdienen sich damit ihr Essen. Eines Nachts hat Krabat einen seltsamen Traum von elf Raben und einer heiseren Stimme, die ihn beschwört, zur Mühle in Schwarzkolm zu kommen. Krabat ignoriert den Traum zunächst, doch nachdem er sich in den folgenden Nächten wiederholt, folgt er dem Ruf. Obwohl ihm unterwegs geraten wird, die Mühle zu meiden, lässt er sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.

In der abgeschiedenen Mühle empfängt ihn der Meister, ein schwarz gekleideter Mann mit Augenklappe und unheimlicher Ausstrahlung. Krabat wird als Lehrjunge aufgenommen. Außer ihm leben und arbeiten noch elf andere Jungen dort. Zum ernsten und vernünftigen Altgesell Tonda fasst Krabat rasch Vertrauen. Umso misstrauischer steht er dagegen dem dürren Lyschko gegenüber, der jede Heimlichkeit dem Meister zuträgt. Außerdem gibt es da noch die beiden starken und gutmütigen Vettern Michal und Merten, den Spaßvogel Andrusch, den kräftigen Hanzo, den handwerklich geschickten Petar, den wieselflinken Staschko, den ewig mies gelaunten Kito, den schweigsamen Kubo und den scheinbar dummen Juro.

Nach dem Ende seiner Probezeit wird Krabat vom Lehrjungen zum Schüler befördert. Nun darf auch er am Unterricht der Schwarzen Künste teilnehmen. Krabat ist stolz auf sein neues Können – doch er spürt auch, dass über der Mühle und dem Meister ein bedrohlicher Schatten liegt. Was hat es mit den Knochensplittern auf sich, die er eines Morgens in einem Mühlgang findet? Wer ist die schwarze Gestalt mit der Kutsche, die in Neumondnächten vorfährt und die selbst der Meister fürchtet? Krabat ahnt, dass sein Lehrherr einen dunklen Pakt abgeschlossen hat, der ihrer aller Leben in Gefahr bringt. Nur die Liebe einer Frau kann Krabat aus seiner Not erlösen …

Die Macht der Liebe gegen dunkle Mächte, der Kampf zwischen Gut und Böse – das sind die bewährten Grundthemen dieses Romans, die in einen unheimlichen und märchenhaften Rahmen eingebettet werden, der für Jugendliche wie für Erwachsene reizvoll ist.

|Sorbischer Sagenschatz|

Die Grundlage des Krabat-Stoffes reicht in seinen Wurzeln über Jahrhunderte hinweg bis ins alte Indien zurück. Es ist die uralte Geschichte vom Kampf eines Zauberlehrlings gegen seinen Meister. Aber nicht nur das Grundthema, sondern auch die Gestalt des Lehrjungen und Zauberschülers Krabat besitzt eine lange Tradition. Der Autor Otfried Preußler begegnete Krabat das erste Mal in einem Sagenbuch mit sorbischen Volkserzählungen. Krabat ist in dieser Gegend als guter und hilfreicher Zaubermeister bekannt, um den sich viele Erzählungen ranken. Der historische Kern dieser Figur liegt in einem kroatischen Oberst, der dem Kurfürst Friedrich August I. – auch bekannt als „August der Starke“ – treue Dienste leistete und wegen seiner fremden Herkunft und seiner Eigenheiten als Zauberer angesehen wurde.

|Tradition statt Innovation|

Die Themen sind nicht wirklich neu, aber wie so oft bei Sagen- und Märchenstoffen ist es nicht Innovation, sondern Tradition, die den Reiz ausmacht. Statt ausgefeilter Handlungsstränge beschränkt sich die Erzählung auf das Wesentliche, auf die großen alten Themen wie Liebe, das Böse, der Wert der Freundschaft und der mutige Versuch eines Jungen, sich und seine Freunde aus Fängen der dunklen Mächten zu befreien. Dabei verzichtet der Autor bewusst auf blumige Ausschmückungen, sowohl was den Stil als auch was die Handlung betrifft. „Krabat“ ist kein Harry Potter, dessen Stärken im Phantasiereichtum liegen und dadurch allerdings auch stärker polarisieren. Preußlers Roman greift auf alte Sagen zurück und bewahrt ihren einfachen, für jeden zugänglichen Stil. Diese Reduziertheit überträgt sich auch auf die Geschichte, die in sehr konzentrierter Form dargeboten wird. Es erfolgen keine ausführlichen Beschreibungen, weder der Orte noch der Figuren. Die eher auf Knappheit beschränkten Informationen lassen viel Raum für eigene Phantasie. Die Figuren und die Umgebung werden in der Vorstellung des Lesers lebendig. Bereits nach wenigen Seiten ist man gefangen in der rauhen Welt und der dichten Atmosphäre der Mühle und dem Leben ihrer Bewohner. Voller Spannung begleitet man Krabat über die Jahre hinweg auf seinem Weg vom einfachen Bettelknaben zu einem respektablen Zauberlehrling, der sich auf einen Kampf auf Leben und Tod einlässt, um sich aus den Klauen des Bösen zu befreien.

Trotz vieler märchenhafter Elemente wie dem sich wiederholenden Jahresablauf, die Alltagszaubereien, die magischen Gegenstände und die Erlösung durch die Liebe ist der Roman insgesamt weitaus differenzierter als ein gewöhnliches Märchen. Krabat ist kein austauschbarer Held, sondern eine Entwicklungsfigur, die im Verlauf dazulernt. Vor allem aber herrscht hier kein simples Schwarz-Weiß-Schema vor, das eine exakte Einteilung ermöglicht.

|Keine Schwarz-Weiß-Charaktere|

Mit Krabat ist dem Autor eine Titelfigur gelungen, die sich jedem Leser sofort als Identifikationsfigur anbietet. Preußler verliert nicht viele Worte, um seinen jungen Protagonisten vorzustellen. Es ist ein Junge wie jeder andere, vorbehaltlos, neugierig und gerne bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Jeder Leser kann nachvollziehen, warum der mittellose Betteljunge dem Ruf zur Schwarzen Mühle folgt. Ebenso verständlich ist seine Neugierde, als er herausfindet, dass an diesem Ort nicht nur das Müllern, sondern auch mysteriöse andere Künste gelehrt werden. An keiner Stelle des Buches gerät man in Gefahr, den Bezug zu Krabat zu verlieren. Stattdessen hofft, fürchtet, leidet und freut man sich mit dem Jungen, der nie einen unrealistischen Helden abgibt. Krabat vereint dankenswerterweise nicht nur positive Eigenschaften in sich, sondern tritt zuweilen auch naiv oder unvernünftig auf. Die anderen Lehrjungen sind ein bunt zusammengewürfelter Burschen aller möglichen Charaktere. Dabei stechen vor allem der ruhige Tonda, sein Altgesell-Nachfolger Michal und der dumme Juro hervor, der letztlich gar nicht so dumm ist, wie es scheint. Eine weitere positive Figur ist der Pumphutt, ein freier Müllersbursche, der den Meister in einem Zauberduell besiegt und dafür Sorge trägt, dass die Burschen gut behandelt werden. Er steht im direkten Gegensatz zum Meister, der seine Macht in der Mühle auslebt, während der Pumphutt umherzieht und seine Kräfte dafür einsetzt, um den Bedürftigen zu helfen.

Mindestens ebenso interessant wie die „guten“ Charaktere sind die „bösen“ unter ihnen, allen voran der Müllermeister und der Herr Gevatter. Preußler vermeidet eine reine Schwarz-Weiß-Malerei und trägt dadurch erheblich zum Spannungscharakter der Erzählung bei. Der Meister ist ohne Frage ein finsterer Mensch, der den Jungen Unheil bringt. Doch er kennt auch menschliche Züge wie Lob, Großzügigkeit und sogar Angst. So herrisch er in seiner Mühle gegenüber den Schülern auftritt, so duckmäuserisch verhält er sich wiederum gegenüber dem Herrn Gevatter, vor dem er echte Furcht empfindet. Der Herr Gevatter, auch „der mit der Hahnenfeder“ genannt, wird durch die Unaussprechlichkeit seines wahren Namens zu einer noch mysteriöseren Gestalt stilisiert. Ist es der Teufel, ist es der Tod? In jedem Fall geht von ihm eine unheimliche Macht aus, der sich selbst der Meister nicht zu widersetzen vermag. Auch er ist nicht einfach das personifizierte Böse, wie sich zeigt, als er den Meister für die Misshandlung eines der Lehrjungen tüchtig bestraft. Gerade diese Undurchsichtigkeit ist es, die bei seinem Auftauchen für den wohligen Grusel sorgt.

|Finstere Handlung|

Am Ende dieses spannenden Leseabenteuers warten der märchenhaft gute Ausgang und die ersehnte Erlösung durch die Allmacht der Liebe, der der böse Zauber des Meisters hoffnungslos unterlegen ist. Doch bis dahin geschehen allerleih finstere Dinge, die in einem Kinderbuch keine Berechtigung haben. Spätestens mit Tondas Tod wird offensichtlich, dass „Krabat“ tatsächlich ein Jugend- und Erwachsenenroman ist. Tonda ist eine melancholische, verlässliche und kluge Gestalt, zu der sowohl der Leser als auch Krabat rasch Vertrauen fassen. Sein gewaltsames Ableben hinterlässt Spuren bei Krabat, der sich ohne seinen bewunderten Freund einsamer denn je fühlt. Tonda ist nicht der letzte Tote in der Mühle, Krabat wird im späteren Verlauf noch einen weiteren Freund verlieren. Der Teufelspakt des Meisters und die jährlichen Opferungen der Jungen sind erschreckende Elemente, die allzu junge Leser überfordern und ängstigen.

Unterm Strich ist „Krabat“ ein düsterer und über weite Strecken trauriger Roman. Der einfache Stil mag zwar bereits für Grundschulkinder zu bewältigen sein, doch die Thematik ist erst für Jugendliche ab etwa zwölf Jahren zu empfehlen. Durch die vielen interpretatorischen Ansätze und Diskussionspunkte über die Charaktere, über die Symbolik und den sagenhaft-historischen Hintergrund eignet sich der Roman hervorragend als Schullektüre und wird als solche auch gerne verwendet.

_Fazit:_ „Krabat“ ein leicht geschrieber märchenhafter Roman über den alten Kampf zwischen Gut und Böse und die Erlösung durch die wunderbare Macht der Liebe. Trotz des einfachen Stils ist das Werk aufgrund der düsteren Thematik nicht für Kinder unter zwölf Jahren geeignet. Auf Jugendliche und Erwachsene dagegen wartet ein wunderbares Leseabenteuer, das besonders in die kalte Jahreszeit passt und zu Recht bereits zu Lebzeiten des Autos ein Klassiker geworden ist.

_Otfried Preußler_ zählt zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Deutschlands. Er wurde 1923 in Böhmen geboren. Später zog er nach Oberbayern, wo er noch heute zuhause ist. Bis 1970 arbeitete er als Volkschullehrer, ehe er sich dem Schreiben widmete. „Der kleine Wassermann“ war sein erstes Kinderbuch. Es folgten zahlreiche weitere Werke, die allesamt erfolgreich wurden, u.a.: „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“, „Der Räuber Hotzenplotz“, „Hörbe mit dem großen Hut“ und „Die Abenteuer des starken Wanja“.
Für den „kleinen Wassermann“ erhielt Preussler den Deutschen Kinderbuchpreis. Es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen, u.a. der Deutsche sowie der Europäische Jugendbuchpreis („Krabat“), Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, Eichendorff-Literaturpreis, Konrad-Adenauer-Preis für Literatur der Deutschland-Stiftung e.V.
Viele seiner Werke wurden erfolgreich vertont bzw verfilmt.

Mehr über den Autoren erfährt man auf seiner Homepage: http://www.preussler.de.