Archiv der Kategorie: Hörspiele / Hörbücher

Merlau, Günter – Vril (Die Schwarze Sonne 4)

Folge 1: [„Das Schloss der Schlange“ 2317
Folge 2: [„Böses Erwachen“ 4022
Folge 3: [„Weißes Gold“ 4023

_Story_

1886: Nathaniel de Salis und sein inoffizieller Ziehsohn Adam Salton reisen von Bombay in die Bergregionen Tibets, wo sie sich Antworten auf einige drängende Fragen erhoffen. Durch ein gefährliches Bergmassiv gelangen sie endlich in die Nähe des heiligen Berges Kailash. Unterdessen haben sich zwei verbündete Missionare der Expedition angeschlossen und begleiten Adam und Nathaniel durch die unwegsame Landschaft. Durch Sturm und Kälte quält sich vor allem der stark angeschlagene, fast todkranke de Salis, dessen merkwürdige Ambitionen Salton immer mehr zweifeln lassen. Selbst in größter Gefahr fasst er kein Vertrauen und scheint seinem Unglück geradezu in die Arme zu laufen.

1938, Wewelsburg, Deutschland. Die obersten Gestalten des Nazi-Regimes stehen kurz vor dem Abschluss eines gewaltigen Forschungsexperiments. Himmler und dem mysteriöse Gefolgsmann Weisthor gelingt es tatsächlich, eine allzu scheußliche Kreatur zum Leben zu erwecken. Mit Hilfe des sagenumwobenen Speer des Longinus wollen sie das Wesen zum Avatar ihrer rassistischen Ideologie aufsteigen lassen – doch ein Unbekannter stellt sich ihnen in den Weg; ein Mann aus vergangenen Zeiten, der sich mit ganzer Kraft gegen den Wahnsinn aufbäumt …

Unterdessen wird Major Berger seit geraumer Zeit vermisst. Nach dem Flugzeugabsturz hat er seinen Lebensodem fast ausgehaucht und wird von seinen einstigen Auftraggebern sogar gejagt, um ein weiteres Experiment durchführen zu können. Berger bleibt keine Chance, aber dennoch gelingt ihm die Flucht – ins Jenseits?

_Persönlicher Eindruck_

Im vierten Teil der fantastischen Mystery-Saga ist nicht nur äußerste Konzentration, sondern auch eine ganze Menge Geduld gefragt. Die Story nimmt hinsichtlich ihrer Komplexität nämlich Formen an, die allen herkömmlichen Strukturen widersprechen und somit auch mit gewöhnlicher Logik kaum noch zu durchschauen sind. Günter Merlau erlaubt sich in „Vril“, gleich drei Stränge parallel zu forcieren und den Hörer mit rasanten Sprüngen durch die Zeit zu jagen, bis dieser irgendwann droht, völlig den Überblick zu verlieren, weil die Unterschiede zwischen Jetztzeit und Vergangenheit aufgrund des hohen Action- und Spannungsanteils kaum noch zu differenzieren sind. Zwar ist diesmal ein klarer Fokus auf die Machenschaften zu Zeiten des Dritten Reiches zu erkennen, die Merlau auch tatsächlich mit einigen eigenwilligen Theorien adäquat in die Historie einordnet, doch sind die permanenten Wechsel teilweise derart überraschend und anspruchsvoll, dass selbst deutliche Definitionen und Einteilungen zu weiten Teilen nicht mehr ziehen. Wider den Mainstream, wider die Massenware – nicht nur Theorie, sondern hier wundervoll zelebrierte Realität!

Aufmerksamen Hörern wird dabei von Beginn an klar, dass man ohne Hintergrundwissen nicht nur Verständnisprobleme haben, sondern insgesamt wahrscheinlich völlig überfordert sein wird. Die Handlung wird mit Zitaten aus Vergangenheit und Zukunft durchsetzt, die unterschiedlichen Entwicklungen werden teils herb durcheinander gemischt, dazu ein gewisses historisches Wissen vorausgesetzt und als Letztes auch noch knallhart eingefordert, dass man die Motivation der einzelnen Protagonisten begreift, da andernfalls die gesamte Story auf wackligen Beinen steht. Hörspiel-Action mit höchstem Anspruch also, diesbezüglich aber auch durchweg feine Kost mit garantierter dynamischer Entwicklung und fantastisch ausgeprägten Charakteren.

Immer mehr Figuren werden in die Handlung eingebaut, somit auch die Last der Geschichte auf Dutzende Schultern verteilt. Natürlich sind es noch immer Salton und de Salis, an denen das Hauptpaket des Plots haftet, jedoch inszeniert Merlau anderweitig eine Brisanz, infolge derer sich die inhaltlichen Highlights in kurzen Schüben aneinanderreihen, um schließlich den Zuhörer regelrecht zu überrollen. Die Fülle der Details ist enorm, die differenzierte Umsetzung indes eine Kunst, für die den Beteiligten größter Respekt zusteht. Die Sprecher leben die Story, die klanglichen Effekte sorgen einmal mehr für eine absolut stimmige Inszenierung, das inhaltliche Geschehen verlangt dem Hörer alles ab, darf letztendlich aber auch als eine echte Belohnung betrachte werden – schließlich mischt sich sphärisch und erzähltechnisch die Genialität des Cthulhu-Mythos mit der Kraft und Poesie von Meistern wie Lovecraft, Stoker und dem einst noch |in personae| eingeflochtenen Jules Verne.

Und worum geht es in „Vril“ nun konkret? Tja, dies auf den Punkt zu bringen, hieße, all die bisherigen Ungereimtheiten aufzulösen und Ausblicke zu geben, die jegliche Spannung zunichte machen würden. Das Produktionsteam hat sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt, in Sachen Esoterik und Spiritualität in seinem Metier neue Grenzen definiert und Inhalte verknüpft, die auf den ersten Blick einer homogenen Struktur entbehren, in all ihrer Komplexität aber gerade durch diese kuriose Mixtur erst so lebendig erscheinen. Insofern sollte es wohl niemanden verwundern, dass man nach unzähligen Enthüllungen nach wie vor den Eindruck nicht loswird, man stehe erst am Anfang eines kaum durchschaubaren, gewaltigen Gedankenkonstrukts, dessen innere Tiefe und besonderer Geist in gewisser Weise zu Höherem berufen sind. Feststeht bis dato jedenfalls, dass „Die Schwarze Sonne“ sich Folge für Folge zum wohl besten phantastischen Independent-Titel einer ganzen Dekade mausert. „Die Schwarze Sonne“ ist Abenteuer, Erlebnis und Herausforderung zugleich und derzeit das wohl am ambitionierteste Projekte der modernen deutschen Hörspielgeschichte. Und was dies für das gesamte Genre bedeutet, muss sicher nicht mehr näher erläutert werden …

http://www.die-schwarze-sonne.de/
http://www.merlausch.de

Auf der Website zur Serie gibt es übrigens Hintergrundinformationen und ein noch im Aufbau befindliches Lexikon, um den Überblick besser wahren zu können.

McGraup, Per / Gruppe, Marc – Hexenfluch, Der (Gruselkabinett 21)

Der Hexenjäger Junker Harper verbrennt im Jahre 1662 die angeblich der Hexerei überführte Katrina van Kampen öffentlich auf einem Scheiterhaufen. Vor ihrem grausigen Tod stößt sie einen schrecklichen Fluch aus. Am Abend vor Allerheiligen würde sie zurückkehren und Rache an ihrem Peiniger nehmen, ebenso wie an seinen Nachkommen.

300 Jahre später jährt sich abermals die Halloween-Nacht. Mittlerweile sind nur noch zwei Nachkommen Junker Harpers am Leben, die Schwestern Emily und Abigail Harper. Während sich Erstere wie jedes Jahr zu Tode fürchtet, ist die Letztgenannte von der Geschichte eher amüsiert und von der albernen Furcht ihrer Schwester schon ziemlich genervt.

Dieses Jahr spielen beide wie so oft die Babysitter für Charlotte Andrews, während die Eltern eine Party besuchen. Da klingelt das Telefon und eine Stimme verkündet Emily Harper den Tod …

Die 21. |Gruselkabinett|-Folge kommt mit einer fast schon trivialen Story daher. Die Geschichte vom Hexenfluch ist beinahe so alt wie das Gruselgenre selbst. Klassischer als dieses Hörspiel kann eine solche Handlung nicht beginnen und Klaus-Dieter Klebsch ist ein idealer Erzähler, der es mit seiner sonoren, kräftigen Stimme schafft, dem Hörer die Szenerie plastisch vor Augen zu rufen. Bekannt ist der Sprecher beispielsweise als Stimme von Alec Baldwin, Gabriel Byrne oder „Dr. House“.

Im Laufe der Geschichte betritt das Hörspiel regelrecht Neuland, was die Reihe „Gruselkabinett“ betrifft, denn bislang spielten die ersten 20 Hörspiele weit in der Vergangenheit, im 17., 18. oder 19. Jahrhundert. „Der Hexenfluch“ von Per McGraup beginnt zwar im Jahr 1662, der Großteil der Handlung aber spielt 1962, gerade mal 45 Jahre vor unserer Zeit und die böse Hexe kann sich sogar eines Telefons bedienen. Neben dem Zweiteiler [„Spuk in Hill House“ 1866 ist dies auch die einzige Folge, in der Autos eine Rolle spielen. Die beiden alten Damen erinnern zunächst frappant an die skurrilen Hauptdarstellerinnen des Hörspiels „Tödliche Begegnung mit dem Werwolf“ aus |Europas| legendärer Gruselserie von H. G. Francis. Bei näherer Betrachtung hinkt der Vergleich allerdings gewaltig. Die beiden Damen im vorliegenden Hörspiel sind zwar ebenfalls Schwestern, aber während die eine fest an den Fluch glaubt, tut die andere ihn als Spinnerei ab und setzt ihn sogar für eigenen Zwecke ein.

Gesprochen werden die beiden Protagonistinnen übrigens von Marianne Wischmann und Edith Schneider. Erstere ist mit ihrer markanten Stimme in erster Linie den Comedy-Fans ein Begriff. In der Kultserie „ALF“ lieh sie ihre Stimme der tratschenden Nachbarin Rachel Ochmonek. Edith Schneider hat unter anderem Doris Day synchronisiert. Beide Sprecherinnen waren im „Gruselkabinett“ zuerst in [„Dracula“ 3489 mit dabei. Die Hexe Katrina van Kampen wird sehr leidenschaftlich und dämonisch von Cathlen Gawlich dargestellt, so dass man ein wenig betrübt darüber ist, dass sie relativ wenig Text bekommen hat.

Effekte und Musik sind wieder erstklassig, wenn auch nicht überragend. Vor allem der Soundtrack wurde dem Zeitgeist angepasst und gerade die Musik zu Beginn des dritten Tracks erinnert stark an die ersten |John Sinclair|-Hörspiele aus dem Tonstudio Braun.

Die Illustration, erneut von Firuz Askin, ist von gewohnt hoher Qualität, auch wenn die Hexenjäger im Hintergrund schon recht grob aussehen, fast wie einem Comic entliehen.

Fazit: Das Gruselkabinett wartet in der 21. Folge mit einer etwas anderen Story auf, deren Plot aber schon so alt wie die Inquisition selbst ist. Die Handlung erinnert ein wenig an einen Gruselheftroman, vermag einen regnerischen Oktoberabend aber dennoch gekonnt zu versüßen. Die Besetzungsliste strotzt vor lauter neuen Namen, so dass die Folge auch in sprachlicher Hinsicht frisch und unverbraucht klingt.

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http://www.luebbe-audio.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

_Florian Hilleberg_

alte Volkssage – Klaus Störtebeker (Europa Originale 36)

_Besetzung_

Erzähler – Horst Stark
Klaus Störtebeker – Claus Wilcke
Radlev – Hans Meinhardt
Wulf – Konrad Halver
Magister Wigbald – Helmut Lange
Baldwin – Michael Hinz
Nachtwächter von Stralsund – Michael Poelchau
Güdecke Michaeel – Hans Paetsch
Bürgermeister von Wisby – Rudolf Fenner
Margarete, Königin von Dänemark -Gisela Trowe
Bürgermeister von Bergen – Lothar Zibell
Tetta, Störtebekers Frau – Ingrid Andree
Keno tom Broke – Hans Clarin
Simon von Utrecht – Konrad Mayerhoff

Regie: Konrad Halver

_Story_

Störtebeker und die Mannschaft seines ‚Haifischs‘ gehören zu den am meisten gefürchteten Freibeutern in der Nord- und Ostsee. Von Tag zu Tag wächst der Respekt der Seefahrer, denn jedem ist bewusst, dass mit dem unberechenbaren Piraten nicht zu spaßen ist. Auch Güdecke Michaeel, ebenfalls im räuberischen Metier unterwegs, schätzt Störtebeker für seine Kompromisslosigkeit, weiß jedoch auch um den verdienten Ruhm seines Kollegen. Dennoch ist er zunächst skeptisch, als der ‚Haifisch‘ die Segel gen Stockholm setzt, um den verbliebenen Teil Schwedens gegen die dänische Krone zu verteidigen. Wie durch ein Wunder ist er vor der östlichen Küste erfolgreich, will nun aber endgültig Norwegens hinterhältige Monarchie in die Knie zwingen – bis ihm schließlich bewusst wird, dass er auf den Rat des erfahrenen Güdecke Michaeel hätte hören sollen.

_Persönlicher Eindruck_

Die Sage um den tatsächlich im Norden Europas aktiven Seefahrer Störtebeker gehört mitunter zu den größten klassischen Inszenierungen der deutschen Literatur und wird auch immer wieder gerne bemüht, wenn es darum geht, ein eher eigenwilliges Heldenepos aus hiesigen Landen zu erzählen. Im Gegensatz zu den meisten Piratengeschichten folgt der Werdegang von Klaus Störtebeker nämlich keinesfalls typischen Schemen, sondern steckt stattdessen voller Überraschungen und Unwegsamkeiten, aufgrund derer der gute Mann ständig mit den härtesten Fronten aufeinandergeprallt ist, ohne dabei auch immer erfolgreich zu sein. Als Robin Hood der Meere stach der Kapitän des ‚Haifischs‘ einst in See, ließ sich jedoch bezogen auf seine Motive nie so recht in die Karten schauen. Diese stete Unberechenbarkeit dokumentiert in der berüchtigten Erzählung um den so mythenträchtig enthaupteten Seefahrer schließlich auch den Spannungsanteil, da man in der Tat wirklich nie wirklich weiß, welche Ideen Störtebeker demnächst zu realisieren versucht.

Leider ist dieses Hauptelement in der Hörspielfassung aus dem Jahre 1969 kaum berücksichtigt worden. Die Story wird zumeist in Berichtform abgeliefert und gleicht einer Aneinanderreihung von Fakten und Tatsachen, ohne dabei eine dynamische Entwicklung zuzulassen. Mit Horst Stark scheint die Rolle des führenden Sprechers dabei auch noch relativ unglücklich besetzt, steht doch mit dem ebenfalls deplatzierten Hans Paetsch die naheliegende und durchaus bessere Variante schon bereit, den eher drögen Monolog mit Leben zu füllen.

Die Geschichte wird ergo über weite Strecken ziemlich ruckartig erzählt, unternimmt zwar kleine Schlenker in der Interaktion zwischen Störtebeker, Güdecke Michaeel und der Königin Dänemarks, macht aber in ihrer Darbietung einen eher unmotivierten, wenig ambitionierten Eindruck. Hektische Übergänge, wenig Leben in den Dialogen und einige nicht ganz auf dem Höhepunkt befindliche Sprecher beschreiben die Misere schließlich ziemlich passend und fassen die krampfige Hörspiel-Variante dieser grundsätzlich schönen Abenteuergeschichte zusammen.
Natürlich muss man den Re-Release des Hörspiels auch im Rahmen der Entstehungszeit sehen und zumindest diesbezüglich die Perspektive ein klein wenig modifizieren. Doch wie einige weitere Hörspiele dieser Reihe ganz klar aufzeigen, war es auch vor vier Dekaden schon möglich, ein lebhaftes, kommunikatives Szenario zu gestalten. Somit blicke ich schlussendlich mit gemischten Gefühlen auf den 36. Part der „Europa-Originale“ zurück. Der Inhalt ist potenziell stark, die Umsetzung hingegen in vielerlei Hinsicht äußerst dürftig. Wer also nachempfinden möchte, was Klaus Störtebeker zu Lebzeiten angestellt hat, greift besser auf eines der vielen Bücher zu diesem Thema zurück.

http://www.natuerlichvoneuropa.de

Dumas, Alexandre / Gruppe, Marc – Werwolf, Der (Gruselkabinett 20)

Frankreich 1779. Der junge Holzschuhmacher Thibaut, vom Baron Jean de Vez gegängelt und zu arm, um die schöne Agnelette zu ehelichen, will endlich reich und mächtig sein. Eines Nachts rettet er einem großen Wolf das Leben, der sich in seinem Stall in einen Menschen verwandelt. Dieser macht dem jungen Mann ein verlockendes Angebot: Er kann sich jeden Wunsch erfüllen. Doch bei seinem ersten Wunsch würde ihm ein neues Haar wachsen, beim zweiten Wunsch ein zweites und beim dritten vier Haare. Anschließend würde sich bei jedem Wunsch die Zahl der Haare verdoppeln. Eigentlich ein geringer Preis für eine derartige Macht, aber schon bald muss Thibaut erkennen, welch teuflische Absicht hinter diesem Plan steckt …

Nach der fulminanten [Hörspiel-Adaption 3489 des Romans „Dracula“ liefert |Titania Medien| dieses Mal die Vertonung einer Kurzgeschichte des französischen Schriftstellers Alexandre Dumas ab, der vor allem durch seine Musketier-Romane bekannt wurde.

Mit „Der Werwolf“ hält nun neben dem Vampir eine weitere klassische Gruselgestalt Einzug in das Gruselkabinett. Allerdings gestaltet sich die Story eher wie die klassische Faust-Geschichte denn als ein typisches Werwolf-Märchen, aber das kann man von einer Novelle des 18. Jahrhunderts auch nicht erwarten. Daher ist der Plot auch nicht unähnlich jenem aus dem Gruselkabinett-Hörspiel 15 [„Der Freischütz“, 3038 worin der Teufel in anderer Gestalt seine Gunst an einen unglücklich Verliebten vergibt. Dennoch gestaltet sich der Verlauf der Handlung natürlich gänzlich anders, dafür sind die beiden Hauptfiguren zu verschieden charakterisiert. Thibaut ist viel abgeklärter und egozentrischer als der Amtschreiber Wilhelm aus Apels „Freischütz“.

Dargestellt wird der Holzschuhmacher von Thomas Nero Wolff, der in jüngster Zeit vor allem als Synchronstimme von Hugh Jackman zu hören war. Als Hörspielmime ist er aber nicht minder talentiert. Seine Stimme ist angenehm und ausdrucksstark und kann die Emotionen Thibauts hervorragend wiedergeben. Die weibliche Hauptrolle hat dieses Mal Uschi Hugo, die sonst für Neve Campbell hinter dem Mikro steht und ebenfalls eine so ausgeprägte Fantasie besitzt, dass sie auch ohne die bewegten Bilder leidenschaftlich zu sprechen versteht.

Als Neuzugang bei |Titania Medien| verkörpert Lutz Riedel den großen Wolf. Bekannt ist der erfahrene Sprecher nicht nur als Synchronstimme von Richard Gere und vielen anderen oder als Sprecher zahlreicher Dokumentationen, sondern auch als Kommissar Will Mallmann in der Hörspielserie „John Sinclair“ von |WortArt|. Auch in dieser Produktion macht Riedel eine mehr als gute Figur. Erwähnt werde sollte an dieser Stelle noch Marco Kröger als Baron de Vez, der die Hinterhältigkeit und Skrupellosigkeit des Charakters sehr lebensecht zu spielen vermag.

Am eindrucksvollsten ist aber mit Abstand die Musik, die den Hörer die ganzen 78 Minuten Spielzeit begleitet, und zwar in einer Qualität, wie sie nur äußerst selten in einem Hörspiel zu bewundern ist. Klassisch, dramatisch und immer genau der gerade dargestellten Situation angemessen. Wieder einmal ein Soundtrack, der sich hinter keiner Komposition für einen Hollywood-Streifen zu verstecken braucht.

Die oben erwähnte Dauer dieser Vertonung reizt das Medium CD bis zur Gänze aus und bietet dem Hörer Ohrkino fast in Spielfilmlänge, wo allenfalls die Trackanzahl stört. Hier sollte das Label ruhig einmal von seinen obligatorischen 13 Kapiteln abweichen.

Das Cover von Firuz Askin ist schlichtweg genial. Klassischer und eindringlicher könnte man eine derartige Szene nicht festhalten. Eines der besten Cover, die auf einem Hörspiel zu finden sind.

_Fazit:_ |Titania Medien| hält weiterhin in Sachen Qualität die Stange hoch. „Der Werwolf“ wartet nicht nur mit einer grandiosen Besetzungsliste auf, angeführt von Thomas Nero Wolff, sondern hat auch einen pompösen, erstklassigen Soundtrack zu bieten. Eine ideale Literatur-Vertonung für den Hörspiel-Herbst 2007.

Home – Atmosphärische Hörspiele

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

_Florian Hilleberg_

Steer, Dugald A. / Bette, Christoph – magische Drachenauge, Das (Die Drachenchroniken 1)

_Abenteuer in der Schule der geheimen Drachenschützer_

Dunkle Höhlen, feuerspeiende Geschöpfe und wertvolle Schätze – das ist die Welt der Drachenforscher. Der Autor schickt die Geschwister Daniel und Beatrice zusammen mit dem exzentrischen Dr. Drake auf eine abenteuerliche Reise, denn das Drachenauge, das unglaubliche Macht verleiht, ist in Gefahr.

Für Kinder vom Verlag empfohlen ab acht Jahren, besser aber erst ab zehn.

_Der Autor_

Der englische Schriftsteller Dugald A. Steer hat im Verlag |Templar Publishing| bereits die ersten Abenteuer von „Ernest Drake: Expedition in die geheime Welt der Drachen“ sowie „Das geheime Buch der Magie – Die Zauberkunst Merlins“ veröffentlicht. Dr. Drake tritt auch in „Das Drachenauge“ wieder auf.

[„Das geheime Buch der Magie – Die Zauberkunst Merlins“ 3890
[„Expedition in die geheime Welt der Drachen“ 3045

_Die Sprecher_

Timmo Niesner ist die deutsche Synchronstimme von Elijah Wood, beispielsweise als Frodo Beutlin in Peter Jacksons Verfilmung des „Herrn der Ringe“. Der zweite Sprecher ist Richard Hucke.

Die beiden Sprecher lesen eine von Christoph Bette bearbeitete Fassung vor. Bette führte auch Regie, nahm in den Mango Studios, Köln, auf und besorgte den Schnitt.

_Handlung_

Die ganze Angelegenheit beginnt um 6:15 Uhr am Freitagmorgen, den 7. Juli 1882 in London. Eine Kutsche lädt wenig später eine ominöse Kiste vor einem Laden im Wyvern Way ab und fährt dann weiter. Ein etwa sechzigjähriger Mann schaut aus dem Fenster des Ladens. Aus der Kiste steigt eine Rauchfahne auf … Die Kutsche des Lieferanten fährt weiter ins Regierungsviertel und hält vor dem Haus des Ministers Shillingford. Doch draußen bleibt eine Dame in der dunklen Kutsche sitzen und harrt der Dinge, die da kommen sollen.

|Ein Laden für Drachenbedarf|

Daniel Cooke wartet am Bahnhof vergeblich auf das Eintreffen seiner Eltern aus Indien. Nur seine Schwester Beatrice ist schon da. Sie gibt ihm einen Brief: Die Eltern seien verhindert und müssten noch länger in Indien bleiben. Statt ihres Onkels Algernon sollen sie diesmal zu ihrem Freund Dr. Ernest Drake in Sussex fahren, um dort den Sommer zu verbringen. Dessen Laden befinde sich im Wyvern Way. Als sie davor stehen, lesen sie das Ladenschild: „Dr. Drakes Drachenbedarf“. Oh je, Onkel Algernon hatte Beatrice gewarnt. Dieser Drake sei ein Träumer – und rede immerzu nur von einem: von Drachen. Bea hat eine sehr geringe Meinung von Drachologen. Aber das soll sich ändern.

Im Drachenladen herrscht große Unordnung, aber es ist niemand zu sehen. Daniel folgt allein den Stimmen von streitenden Männern und stößt in einer Kammer auf ein flatterndes Wesen, das Schwefelgeruch verbreitet. Gerade noch rechtzeitig, bevor der kleine Drache Daniel angreifen kann, schließt Dr. Drake die Tür zu dieser Kammer. Als Daniel seiner Schwester berichtet, da unten im Keller sei ein Drache, glaubt ihm die ernste junge Dame kein einziges Wort. Doch als sie auf einem Bild von anno 1868 ihre Eltern neben Dr. Drake stehen sieht, weiß sie wenigstens, dass sie hier an der richtigen Adresse sind. Allerdings dauert es noch Stunden, bis alles abfahrbereit ist.

|Die Schule für Drachologen|

In Sussex führt Dr. Drake eine kleine Schule für angehende Drachologen auf seiner Burg. In einer Woche beginne sein neuer Ferienkurs. Schnell werden er und Beatrice Freunde, was Daniel nicht wenig erstaunt. Am vierten Tag tauchen weitere Kursteilnehmer auf und bringen eine Kiste mit, die sie im Schuppen verstauen. Sorgfältig verschließen sie den Schuppen wieder. Was mag wohl darin sein, fragt sich Daniel. Er schaut heimlich nach und entdeckt das Drachenjunge, das er schon in Drakes Laden gesehen hat. Diesmal versucht es nicht, ihn anzugreifen. Stattdessen will es ihn hypnotisieren!

Dr. Drake unterbricht noch rechtzeitig den Bann des Drachen, füttert das Jungtier und beruhigt es durch Gesang. Er habe den Auftrag, es von einer Krankheit zu heilen, erzählt er. Daniels Ausrutscher bestraft er nicht, brummt ihm aber entsprechende Arbeiten auf. Außerdem soll er ein Protokollbuch führen. Auf einem morgendlichen Ausflug in den dichten Wald beobachtet er mit Drake einen weiblichen Drachen bei der Jagd auf Kaninchen.

Der Unterricht wird in der Burg fortgesetzt, wo inzwischen alle Kursteilnehmer eingetroffen sind, auch die zwei Kinder des Ministers Shillingford. Endlich erfährt Daniel auch von der Existenz der Geheimen Alten Gesellschaft der Drachologen, kurz GAGD, in der auch seine Eltern Mitglieder sind. Sie hat sich seit 750 Jahren dem Schutz der Drachen weltweit verschrieben. In Indien kümmern sich die Cooks um die krank gewordenen Nagas, erzählt Drake. Da die Gesellschaft über zwölf wertvolle Schätze verfüge, dürfen aber nur Eingeweihte von ihrer Existenz erfahren. Zurzeit gebe es keinen Drachenmeister, der den Kontakt zu den Drachen unterhalte, aber er, Dr. Drake, hoffe, bald von den Oberdrachen, d. h. von der Hüterin und ihren Freunden, dazu gewählt zu werden.

|Das Unheil beginnt|

Dazu kommt es allerdings nicht. Nach einem Ausflug finden die Kursteilnehmer die Burg verwüstet vor, der Jungdrache wurde ebenso gestohlen wie Drakes Tagebuch und einer der Schätze. Oh je, Drake schwant nichts Gutes. Der Räuber hat einen Brief hinterlassen. Er nennt sich Ignatius Crook, sei der Sohn des vormaligen Drachenmeisters. Er hat das Horn des hl. Gilbert gestohlen, und wenn er nun noch Drachenstaub findet und das magische Drachenauge, könnte Crook der neue Drachenmeister werden. Nicht auszudenken, welches Unheil über die Welt hereinbräche, wenn solch ein skrupelloser Schurke über die Drachen der Welt geböte!

Dr. Drake bittet die Kinder, ihm dabei zu helfen, dieses Unheil von der Welt abzuwenden und Ignatius Crook das Handwerk zu legen. Die Kinder, Daniel als erstes, stimmen zu, begeistert, aber auch ein wenig beklommen. Wer weiß schon, womit sie es jetzt zu tun bekommen?

Das Abenteuer beginnt.

_Mein Eindruck_

Die ersten beiden Kapitel wirken, als habe sie der Autor seinen beiden ersten Büchern über a) Drachologie und b) über Merlin nachgebildet. Da ist der weise alte Mann, der über streng gehütetes Wissen verfügt, und da sind die Kinder, die (stellvertretend für die Leser und Hörer) auf sehr vor- und umsichtige Weise in eben dieses Wissen eingeführt werden. Ein Teil dieses Wissens wird – zumindest im gekürzten Hörbuch – bereits vorausgesetzt, so etwa die Arten der Drachen, wie etwa Knucker und Europäische Drachen. Die Reise nach Cornwall kennen wir teilweise schon aus dem „Merlin“-Buch.

Doch diesmal kommen mehrere Faktoren hinzu, die diese Geschichte sehr viel spannender machen als all die erzählenden Lehrbücher davor: ein Bösewicht. Ach was! Zwei Bösewichte sowie ihre drakologischen Helfershelfer wie etwa der kleine fiese Flitz. Wie sich herausstellt, hat Ignatius Crook, dem man das Erbe seines Drachenmeistervaters verwehrt hat, eine feine Intrige gesponnen, die dazu führt, dass sich Dr. Drake um den Erhalt des magischen Drachenauges zu sorgen beginnt. Die vor Drakes Laden abgesetzte Kiste ist der Anfang einer langen Kette von fiesen Tricks, mit denen Crook – der Name spricht Bände – Drake zusetzt.

Drake muss befürchten, dass Ignatius das Drachenauge in die gierigen Finger bekommt, und reist nach Schottland. Dort geht dann die Post richtig gut ab. Erst ereignet sich ein prächtiger Drachenkampf, dann gehen die Drake-Getreuen in den Untergrund. Wie schon aus den Tolkien-Romanen „The Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ zu erfahren, spaziert man nicht einfach so in einen Drachenhort hinein. Todesfallen warten auf den ahnungslosen Wanderer und magische Sprüche sind allenthalben vonnöten, um allerlei Ungemach abzuwenden. Man denke nur an die Westpforte von Moria und die dort auszusprechende Losung („Freund“ bzw. „mellon“).

|VORSICHT, SPOILER!|

Der Höhepunkt der Handlung ist ganz schön actionreich. Der Sieg scheint mal auf der Seite Ignatius‘ zu liegen, dann auf der von Alexandra, schließlich aber bei Dr. Drake. Würde man diese lange Szene verfilmen, müsste man alles aufbieten, was für einen Film gut und teuer ist – ungefähr wie in der Verfilmung von „Eragon“. Sie hat nur ein Manko, abgesehen von den wechselnden Seiten: Daniel und die Kinder kommen nur sehr am Rande darin vor.

|SPOILER ENDE|

Ich fand die Handlung jedenfalls zu keiner Zeit langweilig. Sicher, manchmal wird ein wenig zu stark doziert, wenn Dr. Drake in seiner Schule lehrt. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Und dass Daniel vom Drachen hypnotisiert wird, ist eher lustig als langweilig. Auch der Kampf gegen die Seeräuber und deren Ende durch eine gewaltige Seeschlange fällt in die Kategorie „gute Unterhaltung für Kids“. Am besten finde ich die ökologische Botschaft der Geschichte: Drachen sind gefährdet und müssen geschützt werden.

Um die Geschichte aufzulockern und die häufig hervorgehobene Bedeutung von Protokollbüchern zu belegen, sind in den erzählenden Text Zitate aus Dr. Drakes Drachentagebuch eingestreut. Diese Einzeiler haben mehr den Charakter von Warnungen und freundlichen Ratschläge – sozusagen die Stimme der Weisheit. Sie bilden ein weiteres Element sehr feiner Ironie.

_Die Sprecher_

Es ist schon bemerkenswert und etwas seltsam, aber ich konnte die beiden Sprecher überhaupt nicht auseinanderhalten. Das bedeutet hoffentlich nicht, dass ich einen Hörschaden habe, sondern nur, dass sich ihre Stimmen und Stimmlagen auf unglaubliche Weise ähneln. Im Folgenden spreche ich daher von den Sprechern in Personalunion.

Der Sprecher zischt und flüstert, äußert sich ärgerlich, herablassend oder spöttisch. Dadurch charakterisiert er nicht nur die Figuren, wie etwa Ignatius und Alexandra, sondern bringt auch die in der jeweiligen Situation angebrachte Emotion zum Ausdruck. Das Bemerkenswerte daran: Dies betrifft nicht nur menschliche Figuren, sondern auch Drachen.

Während der Jungdrache nichts zu melden hat, gewinnen die beiden weiblichen Oberdrachen umso mehr an Bedeutung. Der Jungdrache ist der Sohn der Drachin Scrammasax, die den Schlüssel zu den Schätzen hütet. Es ist insbesondere ihre Kollegin, die uralte Hüterin der Drachenschätze, die eindrucksvoll gestaltet ist. Sie spricht voll Würde, Autorität und Weisheit in einer recht tiefen Tonlage.

Auch länderspezifische Akzente spielen eine charakterisierende Rolle. Drakes Köchin beispielsweise ist eine Französin, sein Assistent Emory Cloth ist Amerikaner und rollt das R fast ebenso schlimm wie die Russin Alexandra Gorenitschka. Am Schluss tritt Onkel Algernon Cook doch noch auf. Mit seinem nervösen britischen Akzent kann man ihn sich sehr gut als verfeinerten Viktorianer vorstellen.

Das Hörbuch weist weder Musik noch Geräusch auf, daher brauche ich darüber keine Worte zu verlieren. Auch ohne diese Zutaten sollte der Text für Kinder ab zehn Jahren gut verständlich sein. Die Action, die im Drachenhort stattfindet, und die dabei entfaltete Gewalt empfehlen die Geschichte nicht für jüngere Kinder.

Den CDs liegt ein Tattoo-Sticker bei. Damit kann man in der Schule sicher gut renommieren.

_Unterm Strich_

Mir hat die Geschichte ausnehmend gut gefallen. Sie ist lehrreich, unterhaltsam, nicht leicht zu durchschauen und deshalb immer wieder überraschend und somit spannend bis zum Schluss. Über den ausgedehnten Actionhöhepunkt war ich ziemlich erstaunt, denn so etwas hätte ich mehr von einem Roman des „Eragon“-Kalibers erwartet als von einem Kinderbuch über fast ausgestorbene Drachen in Britannien.

Drachen spielen hier also eine ganz andere Rolle als in „Eragon“, im „Hobbit“ oder in Naomi Noviks Bestsellerzyklus über die Feuerreiter seiner Majestät, in dem die ganze Welt von Drachen erfüllt ist. Bei Steer sind Drachen eine bedrohte Spezies, die sich gut versteckt, und dementsprechend geheim ist auch die Gesellschaft der Drachenschützer. Wer sich mit diesem Geheimbund identifiziert, darf sich richtig exklusiv fühlen – und vielleicht trifft dies ja auch auf die Grünen im heutigen Großbritannien zu.

Die zwei Sprecher erledigen einen richtig guten Job, ohne dabei aber die Sprachakrobatik von Rufus Beck an den Tag zu legen. Sie charakterisieren die wichtigsten Figuren und präsentieren Emotionen je nach Erfordernis einer Szene – das ist das Minimum an Leistung, das man verlangen kann. Es gibt weder Geräusche noch Musik, die sie in diesem Bemühen unterstützen würden. Aber an keiner Stelle drängen sich die Sprecher in den Vordergrund oder stören durch Patzer. Insofern kann man mit ihrer Lesung durchaus zufrieden sein.

|Originaltitel: The Dragon’s Eye – Dragonology Chronicles Vol. 1, 2006
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothee Haentjes-Holländer und Stefanie Mierswa
198 Minuten auf 3 CDs|

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May, Karl – Schatz im Silbersee II, Der (Europa-Originale 32)

[Teil I 4250

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Old Firehand – Benno Gellenbeck
Tante Droll – Horst Beck
Winnetou – Konrad Halver
Humply Bill – Horst Stark
Old Shatterhand – Michael Poelchau
Missouri-Blenter – Rudolf Fenner
Großer Wolf – Josef Dahmen
Alter Häuptling – Albert Johannes
Patterson – Walter Petersen
Großer Bär – Curt Timm
Langes Ohr – Rolf Jahncke

_Story_

Auf der Weiterreise zum Silbersee werden Old Firehand und seine Gefährten ein weiteres Mal zurückgeworfen. Der Stamm der Utahs stellt sich ihnen entgegen und behauptet, Winnetou, Firehand und ihre Begleiter hätten ein Dorf ihres Stammes niedergebrannt. Erst nachdem Old Shatterhand in einem Kampf auf Leben und Tod deren Häuptling besiegen und überzeugen konnte, dass in Wirklichkeit der rote Colonel hinter dem Verbrechen steht, kann das Gespann die Reise zum Silbersee fortsetzen. Doch eine erneute Geiselnahme hemmt den Trupp erneut und treibt Winnetou und Co. zur Verzweiflung. Es folgen überraschende Enthüllungen, ausgegrabene Kriegsbeile und das ständige Bemühen, die verschiedenen Rothäute zusammenzubringen. Doch dies scheint selbst beim Erreichen des Silbersees nicht gelungen – und so droht der Schatz auf ewig verloren …

_Persönlicher Eindruck_

Im zweiten Teil der Hörspielreihe um den Schatz im Silbersee machen sich leider die begrenzten Möglichkeiten eines Hörspiels bemerkbar, gerade was den Umfang der ursprünglichen Vinyl-Version aus dem Jahre 1968 betrifft. Bedingt durch das limitierte Fassungsvermögen und die Splittung in lediglich zwei Episoden musste Regisseur Konrad Halver nämlich einige wichtige Inhalte aus der Story entfernen und hatte dementsprechend auch Probleme bei der Überleitung zwischen den beiden Silberlingen. Galt die Aufmerksamkeit des ersten Parts noch vornehmlich Old Firehand und dessen Kontrahenten Brinkley, bleiben diese weitestgehend außen vor. Brinkley selber wird abgesehen von einigen Andeutungen des Sprechers sogar gänzlich ausgeblendet und für die weitere Geschichte als irrelevant dargestellt, obwohl er in der literarischen Fassung bis zu seinem Ende eine tragende Figur bleibt.

In diesem Sinne wird selbst der Ursprung der Story ein wenig zurechtgeschnitten, um den neuen Bedingungen gerecht zu werden. Es sind nicht die Banditen, denen der finale Showdown am Silberssee gewidmet ist, sondern die intriganten Indianer, die sich letztendlich doch noch gegenseitig bekriegen und den gesamten Plot mit einem überraschenden Ende beschließen. Bis es jedoch so weit ist, wird der Hörer erneut Zeuge eines permanenten offenen Schlagabtausches, geprägt von Geiselnahmen, Missverständnissen, kriegerischen Akten und wagemutigen Heldentaten der populären Protagonisten Old Shatterhand und Winnetou, die mittlerweile das Zepter fest in der Hand halten. Auch dies scheint im Bezug auf die Prioritätenverteilung bei den Charakteren aus dem ersten Teil ein wenig seltsam, schließlich gebührte diesen beiden Figuren bislang kein Sprecherpart, wohingegen sie hier die Handlung bestimmen und ihren Verlauf dominieren. Eine etwas deutlicher ausgewogene Vermischung ihrer Parts auf beide Episoden wäre eine durchaus konsequentere Lösung gewesen, zumal Autor Karl May diesen Weg auch in seinem berüchtigten Roman begeht. Allerdings muss man Halver zugestehen, aus den limitierten Möglichkeiten immer noch das Beste gemacht zu haben, wenngleich einem der fehlende Übergang bis zum Schluss nicht aus dem Kopf geht.

Aus diesem Grund empfiehlt es sich letztendlich, die beiden Folgen dieses Zweiteilers unabhängig voneinander zu betrachten, denn für sich gesehen bieten sie beide einen richtig starken, individuellen, wenn auch nicht gänzlich abgeschlossenen Inhalt, welcher der Buchvorlage lediglich in der fehlenden Detailverliebtheit etwas nachsteht, dafür aber mit einigen sehr gelungenen Improvisationen aufwarten kann. In diesem Sinne ist auch dieser zweite Part durchaus gelungen und im Rahmen der May-Festspiele von |Europa| einer der würdigsten, weil spannendsten Vertreter, wenn auch ein wenig schwächer einzuschätzen als die Nr. 31 der „Europa-Originale“. Doch wer die alten Hörspiele liebt und vor allem auf die Beiträge von Karl May schwört, sollte sich hiervon nicht beeindrucken lassen und kann „Der Schatz im Silbersee II“ auch bedenkenlos abgreifen.

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Hoffmann, Heinrich / Busch, Wilhelm – Struwwelpeter, Der & Max und Moritz (Europa-Originale 34)

_Inhalt_

|“Max und Moritz“|

In sieben Streichen treiben Max und Moritz ihre Umwelt in den Wahnsinn. Das verwegene Lausbubenpaar hat es dabei besonders auf die Witwe Bolte abgesehen, deren geliebtes Federvieh sie erhängen und auch noch ungesehen verzehren. Der tapfere Schneider Böck stürzt nach einer List in den Bach, Lehrer Lämpel raucht statt Pfeifenkraut Schießpulver und ihr Onkel Fritz wird des Nachts von Maikäfern geplagt, die Max und Moritz ihm in eine Tüte gepackt haben. Beim Meister Bäcker blicken die beiden schließlich ihrem Ende entgegen; listig haben sie sich durch den Kamin in die Backstube geschlichen und landen im Kuchenteig. Der Bäcker versucht, sie im Ofen zu rösten, doch Max und Moritz können so gerade entkommen. Bauer Mecke ist allerdings weniger liebevoll; er steckt sie in einen Sack und lässt sie in der Mühle mahlen, bevor sie dann von zwei Enten endgültig vertilgt werden.

|“Der Struwwelpeter“|

Wer nicht hören will, der muss fühlen. Dies müssen einige Kinder schmerzlich erfahren, als sie sich mit unflätigem Verhalten in den Mittelpunkt stellten. Der böse Friedrich wird vom Hund gebissen, nachdem er diesen fies gequält hatte. Paulinchen verbrennt indes, weil sie mit Feuer gespielt hatte. Noch schlimmer erwischt’s den Daumenlutscher Konrad, dem vom Schneider beide Daumen entfernt werden, damit er nicht mehr in Versuchung kommt. Und Robert missachtet das Gebot seiner Eltern, sich beim Sturm nicht vor die Tür zu begeben, und wird samt seines Regenschirms hinfortgetragen …

_Persönlicher Eindruck_

In der 34. Episode der „Europa-Originale“ wurden zwei der berühmtesten Kindergeschichten der deutschen Literatur auf einem Silberling zusammengefasst. Es handelt sich dabei um die „Lausbubengeschichten in sieben Streichen“ von Wilhelm Busch und Heinrich Hoffmanns viel zitierten „Struwwelpeter“, einer prinzipiell recht grausamen Geschichte, in der erzählt wird, was Kindern widerfährt, die nicht brav sind bzw. nicht hören wollen.

Die Mischung der beiden Kurzgeschichten passt dabei insofern recht gut, weil sie beide mit moralischen Gedanken aufwarten und darüber hinaus genau zeigen, was denen geschehen kann, die sich über Recht und Ordnung hinwegsetzen. Max und Moritz haben diesbezüglich häufig genug Glück. Die hilflose Witwe Bolte kann sich ihrer nicht erwehren, und auch der Schneider ist machtlos, als er über die brüchige Brücke des schelmischen Brüderpaars in den Fluss stürzt. Ständig kommen sie ungeschoren davon, bis sie schließlich auf einen Bauern stoßen, der ihnen gewachsen ist und sie für all die Missetaten bestraft – und zwar mit dem Tod.

Ähnliche Inhalte bevorzugte einst auch Hoffmann bei seiner episodischen Kurzgeschichtensammlung in „Der Struwwelpeter“. Er berichtet von ungehorsamen Kindern, die sich aus Neugierde Gefahren aussetzen, die sie nicht einschätzen können, und für ihren Leichtsinn bestraft werden. Gleich mit Buschs Werk ist ihm dabei die unverhältnismäßige Härte seiner Geschichten. Daumen werden entfernt, ein Kind von zu Hause fortgetragen, und in der Handlung um den Suppenkasper verhungert sogar ein Kind, weil es sich weigert, die aufgetischte Speise zu sich zu nehmen. Abseits davon sind einige Erzählungen jedoch auch betont witzig, wie etwa die Geschichte vom Hans-guck-in-die-Luft und die vom Zappelphilipp, in denen sich Hoffmann mit einem geliebten Thema, der Hyperaktivität und konträr dazu der Verträumtheit der Heranwachsenden auseinandersetzt und auf überspitzte Weise die Folgen darstellt. Doch bei all diesem vordergründigen Humor soll in keinem der beiden Titel die grundlegende Ernsthaftigkeit übersehen werden, die zu großen Stücken die Ausgangsmotivation der beiden berühmten Dichter gewesen war. Sowohl in „Max und Moritz“ als auch im „Struwwelpeter“ finden sich zwischen lustig anmutenden Szenarien moralische und erzieherische Grundlagen, die über diesen Umweg ins Bewusstsein gerufen werden sollen – und das ist beiden Männern, man beachte schließlich den Status der beiden literarischen Klassiker, wirklich einprägsam gelungen.

Die Hörspielvariante aus dem Hause |Europa| ist zudem eine der schönsten Adaptionen der Episodengeschichten. Sprecher Hans Paetsch, sowieso Meister seines Faches, hat sich bei der Gestaltung der beiden Stücke mächtig ins Zeug gelegt, die Dramaturgie sehr schön eingefangen, aber auch den Wortwitz von Wilhelm Busch wunderschön mit seiner Stimme unterlegt. Definitiv hätte es für diesen Posten niemand Besseren geben können! Übrigens wird das kleine Sammelwerk zum Schluss noch um eine gesungene Fassung von „10 kleine Negerlein“ erweitert, einem Text, der sich mit vergleichbaren Inhalten beschäftigt und in den frühen 90ern auch noch einmal für den Pop-Bereich adaptiert wurde, bevor eine Düsseldorfer Rockband das Stück zugunsten eines beliebten Getränks umwandelte. Unter anderem auch aufgrund der Quantität ist die 34. Episode der „Europa-Originale“ eine wirklich lohnenswerte Investition, zumal damit die meines Erachtens beste Version von „Max und Moritz“ publiziert wird. Hier spricht wirklich nichts gegen eine Anschaffung des klassischen Stoffs!

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May, Karl – Schatz im Silbersee I, Der (Europa-Originale 31)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Brinkley – Peter Folken
Großer Bär – Curt Timm
Venuti – Rolf Jahncke
Old Firehand – Benno Gellenbeck
Kleiner Bär – Hans König
Tante Droll – Horst Beck
Missouri-Blenter – Rudolf Fenner
Woodward – Michael Weckler
Humply Bill – Horst Stark
Gute Sonne – Albert Johannes
Mrs. Butler – Helga Panzer

Regie: Konrad Halver

_Story_

Großes Aufsehen im Wilden Westen: Der kompromisslose Schurke Colonel Brinkley und seine Bande von Tramps rauben in steter Regelmäßigkeit Städte und Züge aus und scheuen selbst nicht davor zurück, kleine Farmen zu plündern. Brandschatzend ziehen sie durch die Lande, bis Brinkley, der aufgrund seiner Haarfarbe auch der rote Colonel genannt wird, von einem großen Schatz im Silbersee erfährt. Umgehend machen die Schurken sich auf den Weg und folgen Brinkleys Schatzkarte, die ebenfalls seinem Diebesgut angehört, in bester Hoffnung, bald über große Reichtümer zu verfügen.

Unterdessen hat Old Firehand eine alte Silbermine am Silbersee entdeckt und kehrt nun in die Stadt zurück, um gemeinsam mit dem Ingenieur Patterson nach Wegen zu suchen, die Silberader auszubeuten. Sobald er von den Machenschaften Brinkleys erfährt, schließt er sich mit der schrillen Tante Droll, einem verkleideten Detektiv, zusammen, um dem roten Colonel das Handwerk zu legen. Doch Brinkley zieht ungehindert seines Weges und brennt dabei eine weitere Farm nieder. Dies soll ihm jedoch zum Verhängnis werden, denn die nunmehr obdachlosen Holzfäller schließen sich Old Firehands Gefolgschaft an, im festen Willen, Rache zu üben und zu verhindern, dass die Verbrecher am Silbersee Erfolg haben …

_Persönlicher Eindruck_

„Der Schatz im Silbersee“ ist für einen recht großen Teil der Karl-May-Anhängerschaft die schönste Geschichte des weltberühmten Autors und sticht als solche selbst die Romane um Winnetou und Old Shatterhand (die im späteren Verlauf noch einige Gastauftritte haben sollen) aus. Selbst in Hörspiel-Kreisen sind nicht wenige der Meinung, dass der legendäre Zweiteiler das Meisterstück der auditiven May-Festspiele ist, weshalb eine neue Aufarbeitung mittlerweile längst überfällig ist.

Im Rahmen der „Europa-Originale“ ist die wunderschöne Adaption aus dem Jahre 1968 nun endlich auch im CD-Format veröffentlicht worden, dies allerdings auf zwei unabhängigen Silberlingen. Im ersten Teil werden dabei die gesamte Vorgeschichte beleuchtet und die Charaktere näher eingeführt. Man erfährt von Brinkleys Machenschaften auf dem Flussdampfer |Dogfish|, wird Zeuge einer grausamen Tat eines schwarzen Panthers und folgt schließlich einem der gelungensten Charaktere des populären Autors, nämlich Old Firehand, auf seine Jagd nach den gemeinen Schurken und seiner Hatz nach dem ungeborgenen Silberschatz. Kritisch ist bei dieser Episode allerdings anzumerken, dass relativ viel Zeit damit verbracht wird, die Geschehnisse um den schwarzen Panther zu schildern. Dass dabei der Kopf des Dompteurs ein unschönes Ende nimmt, raubt der Sache ein wenig von der ansonsten durchweg kinderfreundlichen Ausstrahlung und wird für kurze Zeit das Hauptereignis der Handlung, bevor dann der eigentliche Plot um die beiden Kontrahenten Brinkley und Firehand erst seinen Lauf nimmt. Von dort an entwickelt sich das Hörspiel jedoch wirklich manierlich und nimmt in Sachen Spannung gewaltig Fahrt auf. In raschen Szenenwechseln beobachtet man das Geschehen auf Seiten Old Firehands, erfährt unterdessen von den jüngsten Raubzügen des roten Colonels und wird unterdessen mit einigen recht merkwürdigen, bisweilen aber auch äußerst witzigen Gestalten konfrontiert. Allen voran die komische Tante Droll sorgt hierbei für einige Lachmuskelbeanspruchungen, die sich zwischen den einzelnen Action-Sequenzen wirklich sehr gut machen.

Indes ist dem Hörer durchaus bewusst, dass die Höhepunkte der Geschichte erst bevorstehen, sobald weitere bekannte Figuren in die Erzählung eingreifen. Mit dem ersten Teil ist jedoch der Nährboden für eine richtig spannende und durchweg unterhaltsame Wildwest-Story ausgelegt, in der Halver bereits in frühen Tagen sein ganzes Geschick und Können als Regisseur unter Beweis stellen konnte. Aufgrund der durchweg tollen Inszenierung erscheint das Finale in der zweiten Episode nur noch Formsache, doch dazu an anderer Stelle mehr. Festzuhalten gilt bis dato, dass auch das Hörspiel bzw. diese fantastische Neuauflage keinen Beweis schuldig bleibt, dass „Der Schatz im Silbersee“ berechtigterweise nicht nur in Insiderkreisen als der Favorit im Schaffen Mays gehandelt wird.

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May, Karl – Durch das Land der Skipetaren (Europa-Originale 33)

_Besetzung_

Kara Ben Nemsi – Hellmut Lange
Tschurak – Marcel Winter
Mübarek – Joachim Rake
Hadschi Halef Omar – Bernd Kreibich
Osko – Otto Löwe
Omar Ben Sadek – Christian Rode
Tschuraks Bruder – Siegmar Schneider
Barud el Amasat – Herbert Tiede
Manach el Barscha – Horst Beck
Suef – Jürgen Lier
Anka – Dagmar von Kurmin
Murad Habulam – Herbert A. E. Böhme
Humun – Malte Petzel
Janik – Herbert Tennigkeit
Bauführer – Rudolf H. Herget

Regie: Dagmar von Kurmin

_Story_

Nach den Abenteuern in den Schluchten des Balkan begeben sich Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar auf die Suche nach dem Mann, den alle nur den Schut nennen. Sie stoßen dabei auf die Spur Tschuraks, eines engen Verbündeten des Schuts, und versuchen, ihn unter Vortäuschung falscher Tatsachen zu überlisten. Allerdings ist sich Tschuraks des versuchten Betrugs bewusst und lockt die beiden in die Schluchthütte, wo er sie mit Hilfe des Mübareks gefangen nimmt. In einer verwegenen Befreiungsaktion tötet Kara Ben Nemsi Tschurak und hinterlässt den Mübarek schwer verwundet. Dies ruft den Bruder des Verstorbenen auf den Plan, der Blutrache schwört und die Fährte der beiden Flüchtigen aufnimmt. Doch auch er wird von Kara Ben Nemsi zur Strecke gebracht, behält aber sein Leben und übergibt seinem Feind als Zeichen der ruhenden Blutrache seine Streitaxt.

Unterdessen ruhen die Häscher des Schuts nicht und locken Omar und seinen Gefährten bereits in die nächste Falle. Unbeeindruckt ziehen die beiden jedoch ihres Weges und kommen dem Schut so nahe wie nie zuvor.

_Persönlicher Eindruck_

Mit „Durch das Land der Skipetaren“ wird nun die von [„In den Schluchten des Balkan“ 3421 begonnene Hörspiel-Trilogie um den orientalischen Old Shatterhand Kara Ben Nemsi fortgeführt. Das Original geht zurück auf das Jahr 1972 und ist in sich Teil einer sechsteiligen Buchreihe, die von |Europa| jedoch seinerzeit nur partiell adaptiert wurde, wobei insgesamt der Fokus auf die spannendsten und besten Episoden der Gesamtgeschichte gerichtet wurde.

Allerdings sind die Hörspiele, wie auch in diesem Fall „Durch das Land der Skipetaren“, inhaltlich stark gekürzt, soll heißen wesentliche Elemente der literarischen Vorlage wurden entweder gar nicht übernommen oder in kurzen Dialogen abgehandelt. Im Falle der 33. Episode der „Europa-Originale“ stellt sich dies insofern als problematisch dar, als eine treffende Überleitung zwischen dem offiziellen Vorgänger-Hörspiel und diesem zweiten Teil gänzlich fehlt. So erfährt man zum Beispiel nicht, auf welchem Wege sich die Verbrecher, darunter der hier erneut auftrumpfende Mübarek, seinerzeit aus ihrer misslichen Lage winden konnten.

Nichtsdestotrotz gelingt es Regisseurin Dagmar von Kurmin, den Faden der Story alsbald wieder aufzunehmen und unterdessen auch die Action-Handlung ein wenig aufzuwerten. Teil zwei der Trilogie ist gezeichnet von ständigen Konfrontationen und Verfolgungsjagden, ohne dass dabei der grundlegende Inhalt in irgendeiner Form ausgeblendet würde. Dementsprechend wurde auch das rasche Erzähltempo gewählt, welches schließlich auch Garant für einen konstanten Schlagabtausch und rasante Wendungen ist.

Indes bringt Karl May einige bekannte Motive wieder zum Vorschein. Während das Setting ähnlich abenteuerlich beschrieben wird, findet man altbekannte Themen wie die Blutrache bzw. die stets betonte Bruderliebe wieder, in diesem Fall demonstriert im ersuchten Racheakt von Tschuraks Bruder, welcher einen entscheidenden Eckpunkt der Geschichte markiert. Allerdings arten solche Wiederholungen keinesfalls zu langatmigen Klischees aus, sondern vermögen auch diese Story zu bereichern und lebendig zu halten.

‚Lebendig‘ ist schließlich auch das passende Stichwort für ein treffliches Resümee zu diesem Hörspiel: Eine durch und durch lebhafte Inszenierung bildet das Gerüst für die Steigerung zum ebenfalls schon gelobten „In den Schluchten des Balkan“ und eröffnet dem Abschluss der Serie, namentlich „Der Schut“, alle Möglichkeiten für ein grandioses Finale. Ob bzw. wann diese letzte Episode innerhalb der Reihe veröffentlicht wird, bleibt jedoch abzuwarten. Allerdings sollte man die Fans nicht zu lange auf die Folter spannen, denn die Spannung ist am Ende von „Durch das Land der Skipetaren“ bereits am Siedepunkt!

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Sassenberg, Volker – Gabriel Burns – Zwielicht (Folge 27)

Bisher hat man sich darauf einstellen können, dass jedes Quartal zwei neue Folgen von |Gabriel Burns| erscheinen und die Geschichte um die zehn fahlen Orte kontinuierlich fortgeführt wird. Mit der Episode „Zwiespalt“ ist dieser Rhythmus jedoch unterbrochen worden, denn die mittlerweile 27. Folge ist die letzte Neuerscheinung der Reihe für 2007. Der angekündigte 28. Teil „Im Kreis des Vertrauens“ ist auf nächstes Jahr verschoben worden, denn durch einige fiktive Ereignisse in rumänischen Waisenhäusern innerhalb der Serie, die nun tatsächlichen Zwischenfälle drastisch ähneln, hat sich |Universal| gezwungen gesehen, eine Überarbeitung zu erwirken.

Während also die fortlaufende Handlung entschärft und überarbeitet wird, muss sich der Hörer so lange mit der Episode „Zwiespalt“, die in Vancouver und Mexiko spielt, die Zeit vertreiben. Das gelingt jedoch ausgesprochen gut, denn als Beigabe, gewissermaßen als kleine Entschuldigung für die Fans, wird auf einer zweiten Scheibe ein neuer Soundtrack mitgeliefert. Hierbei handelt es sich um die zweite Soundtrack-CD, denn Folge zwölf lag in einer limitierten Auflage ebenfalls ein Soundtrack bei. Mittlerweile sind aber viele neue Stücke dazugekommen, die nun zum ersten Mal ohne Stimmeneinblendungen und in voller Länge zu hören sind. Im Zentrum steht aber die Episode selbst, die sich nach langer Zeit wieder ganz um die Hauptperson Steven Burns dreht.

_Vorgeschichte: Folgen 1 bis 26_

Vancouver: Steven Burns, erfolgloser Schriftsteller, hält sich mehr schlecht als recht als Taxifahrer über Wasser. Sein Leben ändert sich jedoch schlagartig, als er an den geheimnisvollen Bakerman gerät – oder treffender: als Bakerman Steven kontaktiert, um ihn in ein mysteriöses Projekt einzuweihen, das sich unheimlicher Phänomene angenommen hat. Warum Bakerman, der dieses Projekt leitet, gerade Steven für seine Pläne auserkoren hat, wird dem Schriftsteller in dem Moment klar, als er an seinen Bruder Daniel zurückdenkt. Dieser verschwand nämlich im Alter von vier Jahren auf seinem Geburtstag, als Steven ihn bat, in eine Kiste zu steigen und einen Zaubertrick über sich ergehen zu lassen. Doch das Resultat war kein harmloses Kinderspiel, denn Daniel war plötzlich wie weggezaubert und blieb spurlos verschwunden.

Obwohl Bakerman auf die Geschehnisse von Stevens geheimnisvoller Zaubergabe anspielt, bleibt er ihm die Antworten schuldig. Und wenn er etwas herausrückt, dann nur sehr spärlich und darauf bedacht, die wahren Hintergründe im Dunkeln zu lassen. Denn Bakerman möchte Stevens Fähigkeiten erst einmal testen und eine Vertrauensbasis aufbauen. So schickt er ihn über den gesamten Globus; immer dorthin, wo auf eigenartige Weise Menschen verschwinden, von gefährlichen Experimente berichtet wird oder scheinbare Naturphänomene ans Tageslicht treten.

Steven Burns zur Seite stehen Joyce Kramer und Larry Newman, die das Viererteam um Bakerman komplettieren. Joyce ist bereits seit vielen Jahren ein treuer Verbündeter Bakermans und stellt seine Pläne nicht in Frage. Larry hingegen ist erst kurze Zeit nach Steven zur Mannschaft gestoßen, als sich der frühere Forstbeamte in den Wäldern von Yukon widernatürlichen Phänomenen ausgesetzt sieht und daraufhin beschließt, das Böse zu bekämpfen. Die zehn fahlen Orte sind es, die Steven Burns, Bakerman, Joyce und Larry in Atem halten. Orte, an denen das Böse zum Vorschein kommt und Tore in eine andere Welt geöffnet werden, um die Menschheit durch Kreaturen aus der Hölle zu vernichten.

Steven weiß nun, wer er ist, oder vielmehr, was er ist. Jetzt liegt es an ihm, dieses Wissen für sich zu nutzen und den Kampf aufzunehmen. Die Zeit rennt. Doch welche Rolle spielt er in diesem Spiel? Er ist auf sich allein gestellt, denn Bakerman ist untergetaucht und Joyce, so denkt es zumindest alle Welt, tot. Steven muss zu sich selbst finden, und das ohne die Hilfe seiner Gefährten …

_Inhalt_

„Zwiespalt“ konzentriert sich ganz auf Steven Burns. Da Bakerman untergetaucht ist, steht Steven ziemlich hilflos dar. Sein Auftraggeber ist gewissermaßen verschwunden, seine Jobs, die des Taxifahrers und Journalisten, hat er schon vor Monaten an den Nagel gehangen. Recht schnell fällt ihm die Decke auf den Kopf, sein Erspartes schwindet und die einzige Beschäftigung sieht er darin, sich in einer Bar mit billigem Alkohol vollzudröhnen. Als er zwei Tage später in seiner Wohnung aufwacht, weiß er nicht mehr, ob er durchgeschlafen oder andere Aktivitäten ausgeübt hat. Er begnügt sich zunächst damit, Kartons zusammenzupacken, denn sein Apartment ist ohne ein geregeltes Einkommen auf Dauer zu teuer. Doch irgendetwas stimmt nicht mit ihm, und es ist nicht ausschließlich das Selbstmitleid, in das er zu sinken droht.

Er kann sich glücklich schätzen, dass in diesem Moment sein früher Verleger Sunny Heseltine an der Haustür klingelt. Er hätte ihn angerufen und um einen Job gebeten, teilt dieser ihm mit, doch Steven kann sich beim besten Willen nicht erinnern. Ein Blick in den Telefonspeicher bestätigt dies, doch Steven ist sich sicher, dass er das Gespräch nicht geführt hat. Was ist bloß los mit ihm? Während Steven seinem Gast einen Kaffee aufsetzt, entdeckt Sunny in einem der Kartons eine alte Puppe. Steven hat sie einst einem Bühnenmagier namens Charlie abgenommen, wenig später ist dieser verschwunden. Eher aus Neugier spielt Steven ein Videoband ab, das neben der Puppe liegt, das er sich jedoch noch nie angesehen hat. Obwohl nur graues Flimmern auf dem Bildschirm erscheint, mein Steven die Konturen Charlies zu erkennen, und die einer Postkarte. Sowohl Charlie als auch die Karte sind jedoch erschreckend weiß, regelrecht ausgeblichen – wie aus dem Totenreich. Steven stürzt sich sofort in Nachforschungen, doch Sunny kann diesen Eifer nicht nachvollziehen, schließlich hat er außer dem Flimmern nichts gesehen. Daher bietet er Steven an, mit ihm übers Wochenende zu verreisen, in entspannter Umgebung über neue Aufträge zu sprechen und diesen ganzen Unfug über Hinweise und Verschwörungen zu vergessen.

Steven lässt sich auf das Angebot ein, doch seine Absicht, nach Mexiko zu fliegen, ist eine andere. Genau dorthin führen nämlich die Spuren des Bühnenmagiers Charlie, wie Steven mittlerweile nach einigen Erkundungen in Erfahrung gebracht hat. Sämtliche Postkarten Charlies, die Steven durch Hilfe eines Freundes in dessen Hinterlassenschaften findet, zeigen nämlich das gleiche Motiv: Mexiko Ende Oktober, zu den Feierlichkeiten des Volksfestes Día de los Muertos, übersetzt der ‚Tag der Toten‘.

Die Reise verläuft zunächst wie geplant. Sunny, Steven und Larry, der ebenfalls mitreist, kommen bei einer freundlichen Señora unter. Doch obwohl ganz Mexiko angesichts des Volksfestes in Feierlaune ist, wechselt Stevens Stimmung von einem auf den anderen Augenblick. Alles läuft zusammen, Stevens merkwürdige Gedächtnisaussetzer, die eigenartigen Hinweise eines verschwundenen Magiers samt seiner Puppe und das Fest der Toten. Es ist fast zu spät, als Steven realisiert, dass sein zweites Ich die Oberhand gewinnt. Denn er ist Gabriel, und er dient dem großen Plan.

_Bewertung_

Obwohl „Zwiespalt“ handlungstechnisch nicht viel Neues bietet, ist sie für den Hauptplot durchaus zentral. Die Veränderungen Stevens, die sich in den letzten Episoden bereits angekündigt haben, spitzen sich zu und laufen allmählich aus dem Ruder. So haben Volker Sassenberg und sein Team gut daran getan, sich viel Zeit mit dem inneren Konflikt Steven Burns zu nehmen und die Ereignisse in Mexiko klar der Charakterentwicklung unterzuordnen. Dass einige ältere Figuren wie Sunny oder Charlie wieder auftauchen, mag vor allem die Fans der ersten Folgen freuen, allerdings wirkt die Geschichte um ihr erneutes Auftauchen etwas zu konstruiert. Vor allem das Videoband, das Steven in seinen Umzugskartons findet und schließlich als Auslöser dient, nach Mexiko zu reisen, vermittelt den Eindruck, dass die Nebenfiguren unbedingt auftauchen sollten und krampfhaft eine Verbindung hergestellt werden musste. Schließlich war das Band schon länger in Stevens Besitz, und so wundert es doch ein wenig, dass aufgrund einer veralteten Nachricht die weitere Handlung vorangetrieben wird.

Der Schauplatz in Mexiko während des Tages der Toten macht aber durchaus etwas her und bringt die zwei Seiten Stevens gut zum Vorschein. Denn ebenso wie der Hauptdarsteller, der sich mit einem zweiten Ich herumplagen muss, besitzt auch das Volksfest zwei Ebenen, die miteinander verknüpft werden: die Toten bzw. abstrakter der Tod, der für viele nur Ängste hervorruft, wird hier in Form eines großen Festes gefeiert. Die Lebenden verehren die Verstorbenen, hell und dunkel, Steven und Gabriel. Obwohl die Folge offenlässt, ob Steven seine Gabe in Zukunft besser kontrollieren kann oder tatsächlich nur eine Marionette im Spiel der Mächte bleiben wird, ist „Zwiespalt“ weitgehend abgeschlossen und auch in sich als Einzelepisode stimmig. Das macht Lust auf mehr, auch wenn die Folge 28 etwas länger auf sich warten lässt.

http://www.gabrielburns.de/

Siehe ergänzend dazu auch unsere Besprechungen zu den aktuellen Buchveröffentlichungen

[„Gabriel Burns: Die Grauen Engel“ 3892
[„Gabriel Burns: Verehrung“ 3960

Peter Folken – Ivanhoe (Europa-Originale 35)

Besetzung

Erzähler – Hans Paetsch
Brian de Bois Guilbert – Horst Stark
Ivanhoe – Claus Wilcke
Prinz Johann – Hans Clarin
Rowena – Heike Kintzel
Sir Cedrik – Rudolf Fenner
De Bracy – Michael Hinz
Fritzurse – Michael Weckler
Rebekka – Ingrid Andree
Locksley – Michael Poelchau
Der schwarze Ritter – Hellmut Lange
Lukas Beaumanoir – Konrad Mayerhoff
Wamba – Konrad Halver
Albert Malvoisin – Lothar Zibell

Regie: Konrad Halver

Peter Folken – Ivanhoe (Europa-Originale 35) weiterlesen

Dickens, Charles – Oliver Twist (Europa-Originale 39)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Oliver Twist – Oliver Röhricht
Ein Waisenkind – Sieglind Bruhn
Mrs. Mann – Ingeborg Kalweit
Jack Dawkins – Ingo Eggers
Fagin – Horst Beck
Nancy – Sabine Titze
Mr. Brownslow – Werner Hinz
Mrs. Bedwin – Heike Kintzel
Sikes – Rudolf Fenner
Rosa Maylie – Reinhilt Schneider
Brittles – Ernst G. Schiffner
Giles – Marco Fehrs
Mrs. Maylie – Katharina Brauren
Dr. Losberne – Claus Wagener
Henry Maylie – Konrad Halver
Monks – Michael Poelchau

_Story_

Der arme Waisenjunge Oliver Twist wächst in einem Waisenhaus auf, wird dort jedoch nie richtig glücklich. Als ihm schließlich auch noch eine Ausbildung bei einem Leichenbestatter aufs Auge gedrückt wird, nimmt der junge Kerl Reißaus, läuft dabei aber direkt einer Verbrecherbande in die Arme. Der hinterhältige Ganove Fagin nimmt sich seiner an und integriert ihn in seine Bande von jugendlichen Kleinkriminellen.

Gegen seinen Willen arbeitet Twist schließlich für Fagin und wird somit ein Teil eines groß angelegten Hehlergeschäftes. Doch immerhin kann Oliver sich mit diesen Verbrechen das Überleben sichern und findet darüber hinaus seine erste echte Familie. Als er jedoch eines Tages bei einem Einbruch in eine Villa erwischt wird, gerät Oliver in die Enge. Ein Rechtsvorsteher fordert die Inhaftierung, wohingegen seine Fürsprecher ihn wegen seiner schweren Kindheit schützen wollen. Als dann auch noch Fagin sein Geld einfordert und plant, Twist umzubringen, scheinen die wenigen glücklichen Tage des Jungen endgültig gezählt.

_Persönlicher Eindruck_

Charles Dickens‘ tragische Geschichte um den kleinen Waisenjungen Oliver Twist gehört zweifelsohne zu den größten Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Die Geschichte diente nicht nur vielen Schriftstellern als Inspiration, sondern wurde auch gerne für Regiearbeiten in TV und Kino aufgegriffen und entsprechend adaptiert, zuletzt noch 2005 von Roman Polanski. Auch auf dem Hörspielmarkt gibt es diverse Fassungen der Erzählung, unter anderem auch ein Original von |Europa|, das bereits 1970 aufgenommen und 2002 neu veröffentlicht wurde. Im Rahmen der „Europa-Originale“ kommt die Geschichte nun ein weiteres Mal auf den Markt, sicherlich zum Unmut der Besitzer der ersten Neuauflage, insgesamt aber sicher auch zum Verdruss der Liebhaber dieses Stückes, welches hier nur sehr mäßig wiedergegeben wird.

Die größte Merkwürdigkeit besteht dabei in der Tatsache, dass der Hauptdarsteller und Titelgeber hier auffällig klein gehalten wird. Lediglich in den ersten Szenen tritt Oliver Röhricht alias Oliver Twist aktiv in Szene; anschließend taucht er nur noch in Berichten des Erzählers und Dialogen der anderen Darsteller wieder auf. Eine unverständliche Herangehensweise, zumal der Protagonist über die gesamte Dauer des Hörspiels präsent und in aller Munde ist, jedoch keinen Sprechpart mehr zugeteilt bekommt.

Dieser Umstand schlägt sich natürlich auch deutlich auf die generelle Entwicklung des Hörspiels nieder, welches bei der Aufbereitung der Emotionen zwar keine Mängel aufweist, jedoch inhaltlich mehr und mehr erzwungen wirkt. Dieser Eindruck entsteht letztendlich auch durch die Gleichberechtigung vieler Charaktere, was dazu führt, dass selbst die Entscheidungsträger einen ähnlichen Stellenwert einnehmen wie die Nebenfiguren. Die grundlegende Struktur des Originals wird dadurch nun nicht verändert, aber eine fokussierte Behandlung des Themas wäre definitiv zuträglicher gewesen.

Bezogen auf den allgemeinen Aufbau, ist „Oliver Twist“ allerdings dennoch ein recht ansprechendes Hörspiel mit schönem Spannungsaufbau und transparenter Handlung. Jedoch ließe sich aus derlei Voraussetzungen mit ein bisschen mehr Liebe zum Detail noch so einiges mehr herausschlagen, was von Regisseur Konrad Halver – eigentlich ein Meister seines Faches – nicht wirklich berücksichtigt wurde. Demzufolge bleibt die vorletzte Episode der vierten Staffel nur solides Mittelmaß im Kontext der „Europa-Originale“ – sicherlich ein nettes Hörspiel, aber in Sachen Produktion und Umsetzung keine gänzlich würdige Adaption des berühmten Originalwerkes von Charles Dickens.

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Sassenberg, Volker – Abseits der Wege. Kapitel 2: Stromabwärts

Der Auftakt war episch, geheimnisvoll und der Beginn eines fantastischen Abenteuers. Acht Monate sind seit der Veröffentlichung von [„Kapitel 1: Unweit“ 3269 des Hörspiels „Abseits der Wege“ vergangen. Ein für eine fortlaufende Hörspielreihe ungewöhnlich langer Zeitraum. In Internetforen wurde bereits hitzig über die neue Serie diskutiert. Zwar war man sich über die technische Qualität einig; die komplexe Handlung, die bereits nach den ersten 80 Minuten mehr Fragen offen ließ als manch andere Serie nach 20 Folgen, wurde jedoch sowohl begeistert aufgenommen als auch bis ins kleinste Detail kritisiert. Häufig genannt: Produzent Volker Sassenberg („Point Whitmark“, „Gabriel Burns“) hätte sich ein wenig von seinen Wurzeln lösen und nicht schon wieder so viele mysteriöse Verwicklungen einbauen sollen, schließlich war sein ureigener Anspruch der einer klassischen Fantasy-Geschichte. Als lange Zeit kein zweiter Teil in Sicht kam, wurden bereits erste Vermutungen laut, die Serie würde nicht fortgeführt werden, vielleicht sogar aufgrund der vielen negativen Äußerungen. Allen Befürchtungen zum Trotz tauchten dann jedoch die ersten Informationen über eine Fortsetzung auf. Und nun, wenige Woche später, geht mit „Kapitel 2: Stromabwärts“ das Abenteuer weiter. Denn ob nun positiv oder negativ, die Erwartungshaltung ist enorm. Und als wäre der lange Zeitraum genutzt worden, um sich einige der Kritiken zu Herzen zu nehmen, ist der zweite Teil von „Abseits der Wege“ linearer und klarer geworden, fällt aber gerade dadurch im Vergleich zu seinem Vorgänger ab.

_Inhalt_

Eingerahmt wird „Kapitel 2“ von einem langen, orchestralen Musikpart, der in die Geschichte einführt und den Hörer schnell in die Fantasywelt eintauchen lässt. Das Dorffest ist vorüber, und schon seit einigen Tagen steht die Gaststätte Tebald Glücks leer, abgesehen von der geheimnisvollen Myrell und dem Purpurnen Prüfer, die nach Tiefenhag gekommen sind, um nach dem Welkenwerk zu suchen. Der Prüfer ist bei der Suche von Faiyen verletzt worden und kämpft um sein Leben. Myrell kann seine Blutungen stoppen, doch damit der Prüfer wieder ganz genesen kann, muss sie ihn zu einem Heiler in eine Stadt bringen. Per Floß über den Silbersee verlassen die beiden das Dorf, doch Tebald, der sie am Steg verabschiedet, weiß, dass zumindest Myrell nicht lange fortbleiben wird. Sie hat nämlich sein Geheimnis gelüftet, dass er zu einer Verbindung gesuchter Männer gehört, die sich verbotener Magie bedienen und möglicherweise für das Welkenwerk verantwortlich sind – zu eben jenen Männern also, die eigentlich der Purpurne Prüfer ausfindig machen wollte. Doch Myrell will dem Prüfer nichts verraten, wenn Tebald sie gänzlich mit seinen Geheimnissen vertraut macht. Während Tebald am Steg dem kleiner werdenden Floß hinterhersieht, wägt er hin- und hergerissen seine Alternativen ab, als er über einen Fischboten eine neue Botschaft zugespielt bekommt. Schnell überfliegt er sie sie und ist sich sicher: Alle Alternativen sind soeben zu einer einzigen zusammengeschmolzen. Überhastet bricht er auf, stromabwärts.

Gaston Glück, einziger Sohn Tebalds, schwelgt währenddessen unweit vom Dorf entfernt in Gedanken, als der Unliche Lyssandrer in Erscheinung tritt. Gaston will Reißaus nehmen, ist der Unliche doch ein Zeichen dafür, dass das Welkenwerk seinen Lauf nimmt. Doch Lyssandrer kann Gaston zum Zuhören bewegen. Der Unliche berichtet ihm, dass sein Vater verschwunden sei und er sich sofort auf den Weg machen solle, um ihn zu verfolgen, nur so könne das Geheimnis, das Vater mit sich trägt, gewahrt werden. Gaston zweifelt an den Worten des Unlichen, macht sich aber sofort zurück zum Dorf auf. Als er in der Gaststube nur einen hastig verfassten Zettel findet, auf dem sein Vater die Worte „Bin nach Flusskreuz“ geschrieben hat, muss Gaston die Wahrheit der Worte Lyssandrers anerkennen. Zusammen mit seinen Freunden Dunring und Halmir und dem Knorpelgnom Po macht er sich auf, um das auf Holzpalisaden erbaute Städtchen an der großen Flussmündung rechtzeitig zu erreichen.

In der Dunkelheit kommen die Freunde endlich in Flusskreuz an. So weit von ihrem Dorf Tiefenhag haben sie sich noch nie entfernt, und so sind sie vom Anblick regelrecht überwältigt. Doch die Stadt scheint in Aufruhr, denn obwohl die Straßen voller Leben sind, ist kein Boot an den Stegen vertäut, als ob niemand den Ort verlassen dürfte. Ohne entdeckt zu werden, legen die vier Gefährten an und durchkreuzen dabei einen Ring aus Laternen, der um die ganze Stadt gezogen ist. Der Knorpelgnom Po, dem die Licht erzeugenden Funkelfliegen zuwider sind, reißt zwei Laternen nieder. Gaston ist zwar verärgert und lässt den Gnom zurück im Boot, während er und seine Freunde die Stadt nach seinem Vater Tebald absuchen, misst aber der Handlung keine Bedeutung bei. So bleibt zunächst unbemerkt, dass Po den Schutzkreis, den diese Laternen dargestellt haben, eingerissen hat und den Weg für das Welkenwerk ebnet, das in Form von Laub nun ungehindert in die Stadt wehen kann.

Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Gaston kann seinen Vater, der den Adressaten der ihm übermittelten Botschaft gefunden und von diesem ein wichtiges Dokument erhalten hat, finden, doch der Hauptmann des Königs, der das ganze Land auf der Suche nach den letzten, im verborgenen arbeitenden Nebelchronisten durchstreift, ist ebenfalls in der Stadt und sucht nach Tebald Glück. Als Gaston mit seinem Vater vor dem Hauptmann fliehen will, manifestiert sich das eingedrungene Laub zu einem Efeu-Lichen, ein Herbststurm, der die Umrisse eines Ungeheuers bildet und Flusskreuz in Schrecken und Chaos versetzt. Der Hauptmann ist nun das deutlich geringere Übel.

_Umsetzung_

Wie schon der erste Teil überzeugt auch „Kapitel 2: Stromabwärts“ technisch auf ganzer Linie. Die Produktion ist auf höchstem Niveau und hat, obwohl das visuelle Element fehlt, Kinoqualität. Die orchestrale Musik umrahmt die Folge und wird mehrere Minuten ausgespielt, ohne hastig ausgeblendet zu werden. Zwischendurch dient sie dann zur Untermalung, drängt sich er aber nie in den Vordergrund, sondern verstärkt vielmehr die einzelnen Szenen. In gleicher Weise verhält es sich mit den Soundeffekten, die nicht übermäßig stark eingesetzt werden, nur dann, wenn es der Stimmung zuträglich ist. Das leise Plätschern des Wassers, das Knarren des Holzes und das Pfeifen des Windes lassen durch die Boxen hindurch das Bild der Landschaft und der auf Palisaden errichten Flussstadt entstehen. Die Sprecher gehören allesamt der ersten Liga an und schaffen es, ihre Stimmen gekonnt einzusetzen, so dass man sich die Figuren plastisch und mit ihren Ecken und Kanten vorstellen kann. Jürgen Kluckert als Tebald Glück, der mehr verbirgt, als er offenbart, Timmo Niesner als Gaston, der überzeugend den jugendlichen, ins Abenteuer hineingeschlitterten Helden spielt (ein Vergleich zu Frodo, den er ebenfalls im Deutschen spricht, ist aber stets unumgänglich) und Knorpelgnom Po, den Volker Sassenberg persönlich gibt und dabei hörbar Spaß hat, sind nur einige Beispiele. Heinz Ostermann, der mit seiner Stimme kraftvoll durch das Hörspiel führt und aufgrund seiner vieler Passagen als außenstehender Erzähler die Geschichte mit der nötigen epischen Distanz herüberbringt, so als handle es sich um die wahre Erzählung einer lange zurückliegenden Geschichte, hält schließlich „Abseits der Wege“ gekonnt zusammen.

_Bewertung_

Auch das zweite Kapitel von „Abseits der Wege“ ist ein gelungenes Fantasy-Hörspiel geworden. Im Gegensatz zum ersten Teil ist die Handlung deutlich weniger komplex und spielt sich weitgehend in der Stadt Flusskreuz ab. Dadurch verliert der mystische Hauch, den die Serie am Anfang umgeben hat, etwas an Kraft, denn gerade das Geheimnisvolle hat den Reiz ausgemacht. Die Kritik, der Auftakt wäre viel zu verworren gewesen, mag berechtigt sein, doch im Vergleich zu „Stromabwärts“, wo vieles klarer wirkt und bereits erste Geheimnisse hinsichtlich der Bedeutung der Nebelchronisten oder auch des Welkenwerks offenbart werden, hat die Geschichte deutlich stärker begonnen. Was nicht heißt, dass „Stromabwärts“ nicht mehr überzeugen könne, denn weiterhin bleibt noch vieles im Verborgenen; vor allem die Rolle Gastons, der im Debüt in Berührung mit einem Splitter vom Welkenwerk gekommen ist, wird sich erst in den kommenden Folgen festigen. Der Pfad, der von den Gefährten eingeschlagen werden muss (und den Volker Sassenberg und sein Team für ihre Geschichte wählen), erscheint jedoch nun etwas klarer.

Unterm Strich weiß „Abseits der Wege“ zu gefallen, und das nicht nur durch seine technische Qualität. Die Handlung ist logisch gestrickt und fast alle zu Beginn eingeführten Figuren werden konsequent weiterentwickelt. Zudem laufen keine Elfen, Zwerge und zauberschleudernden Magier durch die Welt, von denen man wahrhaftig genug gehört, gelesen und gesehen hat. Stattdessen stehen Menschen und ihre Verschwörungen im Zentrum, mit den Unlichen und Faiyen haben aber auch fantastische Geschöpfe ihren Platz. Es bleibt also interessant und spannend, und obwohl schon auf hohem Niveau, ist das Potenzial der Serie noch längst nicht ausgereizt. Immerhin sollen noch zehn weitere Episoden folgen, bis „Abseits der Wege“ abgeschlossen ist.

_Die Sprecher_

Heinz Ostermann
Timmo Niesner
Stefan Krause
Hannes Maurer
Jürgen Kluckert
Martina Treger
Volker Carsten Sassenberg
Engelbert von Nordhausen
Bernd Vollbrecht
Heinz-Werner Krähkamp
Tim Moeseritz
Mario von Jaschroff
Helga Uthmann

http://www.abseitsderwege.info
http://www.abseits-der-wege.net
http://www.dg-literatur.de
http://www.karussell.de

[„Kapitel 3: Wehrlos“ 5389

anonym – Till Eulenspiegel (Europa-Originale 37)

_Besetzung_

Till – Sven H. Mahler
Sein Pate – Herbert A.E. Böhme
1. Dieb – Rudolf Ferner
2. Dieb – Rudolf Oeser
Tills Mutter – Heike Kintzel
Bäckergeselle – Herman Lenschau
Schneidergeselle – Eggert Jlgner
Pfarrer – Hans Meinhardt
Bäckermeister – Herbert A.E. Böhme
Wirt – Jürgen Hering-Lunau
Ausrufer – Hans Meinhardt
Schneidermeister – Benno Gellenbeck
König Kasimir – Hermann Lenschau
Koch – Hans Meinhardt
Herzog – Jürgen Hering-Lunau

Regie: Claudius Brac

_Story_

Till Eulenspiegel hatte als Jugendlicher stets den Schalk im Nacken. Er überlistete einige Bienendiebe, die ihn unwissend entführen wollten, tanzt über der Saale auf einem Seil und erleichtert einen wohlhabenden Bürger wortgewandt um ein ganzes Säcklein Taler. Doch nicht überall waren seine Streiche gerne gesehen. Als er in Berlin einen Schneidermeister um seinen Brotlaib betrog, war dieser eben so erbost wie die Menge in Braunschweig, die Till beim Sturz vom Rathaus zusehen wollte. Aber immer wieder entkommt der junge Eulenspiegel mit einem blauen Auge, entwischt Scharfrichter und Galgen und schafft es sogar, dem König Kasimir einen Kranichschenkel abzuluchsen. Denn immer derjenige, der zuletzt lacht, lacht am besten – und dies war in all seinen lustigen Abenteuern stets Till Eulenspiegel.

_Persönlicher Eindruck_

Till Eulenspiegel gehörte in meiner frühen Kindheit zu meinen absoluten Helden. Ich erinnere mich noch an mein erstes Märchenbuch, welches für jeden Tag eine Gute-Nacht-Geschichte bereithielt, die ausgerechnet den bunten Schelm zur Zeit meines Geburtstags wählte. Und selbst zur Faschingszeit, eigentlich das Hochfest des geliebten Narren, kleidete ich mich traditionell in ein grün-rotes Gewand, um meine Identifikation mit dem listigen Halunken auszudrücken.

Dementsprechend freudig habe ich nun die Neuauflage des Hörspielklassikers um die berüchtigte Fabelfigur in Empfang genommen und mich einmal mehr an den schönen Streichen des Eulenspiegels ergötzt. Die 37. Folge der |Europa|-Originale enthält dabei zwar nicht alle bekannten Geschichten, die die Sagenfigur im Laufe ihrer literarischen Karriere durchstreift hat, bietet aber einen wirklich repräsentativen Überblick über die Gaunereien und Listen, mit denen Eulenspiegel noch jedes Mal sein Publikum begeisterte. Darunter fallen auch die Betrügereien im Pfarrhaus zu Buddenstedt, als Till den Geistlichen um seinen Lohn bringt, oder die Intrige gegen die beiden Bienendiebe, die Till gegeneinander aufbringt, um sich selber aus dem Versteck des Bienenstocks zu befreien.

Ähnlich wie bei der Hörspiel-Fassung zu den Abenteuern von Sindbad dem Seefahrer werden auch hier kurz und bündig wesentliche Kapitel des Titelhelden wiedergegeben, dies jedoch gottlob ohne jegliche Hektik und Unruhe. Sven H. Mahler, der in der Rolle des Eulenspiegels unter anderem auch die Erzählerposition bekleidet, führt die Hörerschaft vorzüglich durch die Possensammlung und verbreitet auf unterhaltsamste Art und Weise den steten Witz, der den Protagonisten umgibt. Zwar bemüht er dabei häufig die immergleichen Ausdrücke, wenn es darum geht, die wütenden Reaktionen von Eulenspiegels Kontrahenten darzustellen, doch andererseits sind diese Running Gags mit wachsender Spieldauer zunehmend köstlicher und entwickeln sich zum markantesten Punkt der ganzen Handlung. Wie oft hört man nicht Schmähungen wie „Du elender Halunke, Possenreißer, Spitzbube, etc.“ – und stets rufen sie ein breites Grinsen auf den Lippen des Zuhörers hervor.

Innerhalb der sympathischen Dreiviertelstunde wird man schließlich genügend Gelegenheit zum Lachen bekommen, weil dieser Knabe wirklich einiges auf dem Kerbholz hat. Alleine deswegen hat „Till Eulenspiegel“ auch schon den Status des bislang witzigsten Hörspiels dieser nunmehr schon 50 Titel umfassenden Sammlung inne. Und genau darum sollte „Till Eulenspiegel“ auch als eines der wichtigsten Hörspiele der diesjährigen Saison auf dem Einkaufszettel stehen. Denn wenn eines feststeht, dann, dass diese kauzige Sagenfigur über all die Jahrzehnte keinen Deut ihrer umwerfenden Ausstrahlung verloren hat – weder in der literarischen Geschichtensammlung noch in diesem Hörspiel!

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traditionell / Halver, Konrad – Sindbad der Seefahrer (Europa-Originale 40)

_Story_

Während seiner Seefahrten erlebte Sindbad wahrlich großartige Abenteuer. Er entdeckte die geheimnisvolle Insel, die in Wahrheit ein großer Fischrücken war, rettete den Hengst mit den magischen Kräften und wurde zur Belohnung am Hofe des Maharadjas verwöhnt. Bereits wenige Wochen später stach er wieder in See und musste sein Leben am Affenberg und in der Burg des Riesen verteidigen. Doch die Reichtümer, die er im Ei des Riesenvogels Roch zur Belohnung nach Hause tragen durfte, entschädigten ihn für all die Strapazen und ermutigten ihn zu einer weiteren Reise. Mit einer List überwand er den Magnetberg, bewahrte seine Gefährten einmal mehr vor der Gier im Inneren der Schatzkammer und heilte den lebensmüden König von Sarandib. Seine letzte Seereise wäre ihm jedoch beinahe zum Verhängnis geworden; er unterliegt in einer mörderischen Schlacht und wird auf dem Sklavenmarkt für tausend Goldstücke verkauft. Doch der erfahrene Seefahrer wusste sich auch in dieser prekären Lage zu helfen.

_Persönlicher Eindruck_

Die 40. Folge der mittlerweile längst etablierten |Europa|-Originale beschäftigt sich mit den vielen Abenteuern des legendären Sindbad und greift wirklich alle bekannten Sagen um den Helden aus Tausendundeiner Nacht auf. Aus diesem Grunde war zunächst auch zu befürchten, dass der Overkill verschiedener Geschichten der Story von Anfang an die Luft rauben würde, zumal es immerhin rund zwanzig Abenteuer sind, von denen Erzähler und Sindbad-Sprecher Benno Gellenbeck hier berichtet. Dennoch ist es Regisseur Konrad Halver sehr gut gelungen, die separaten Inhalte fließend miteinander zu knüpfen und das große Gesamtabenteuer sehr stimmig und dennoch detailliert zusammenzufassen. Etwaigen Vermutungen, einzelne Nebenstränge würden nicht gebührend zur Geltung kommen, kann also sofort der Wind aus den Segeln genommen werden.

Dementsprechend schreitet die Erzählung jedoch rasant voran und gibt dem Zuhörer keine Pause zum Durchatmen, wobei man allerdings nie das Gefühl bekommt, die Fülle an Geschichten würde einen über kurz oder lang erschlagen. Dies hat man vorwiegend dem fantastisch aufgelegten, für diese Rolle geradezu prädestinierten Gellenbeck zu verdanken, der sich von Beginn an prächtig in seinen Part einfügt und auch die nötige Überzeugungskraft aufbringt, um den sympathischen, weisen Seemann zu verkörpern. Davon abgesehen hat Halver einige nette Running Gags in die Story eingefügt. So wird Sindbad auf allen Reisen von einem Schwarzmaler begleitet, der in jeder Gefahr bereits den nahenden Tod sieht und bereits mit großem Jammer zur Tat schreitet, bevor sein Auftraggeber dann wieder alles zu Guten wendet. Der Titelheld tritt indes ständig sehr überzeugend auf und erfüllt seinen Part mit Würde. Ob er nun seine Mannschaft vor der Kollision mit dem Magnetberg bewahrt, mit Listigkeit und Tücke die reichen Könige und Kalifen um ein Vermögen bringt oder aber liebreizend seine Befreiung aus der Sklaverei erwirkt – der Sindbad, wie er in dieser Geschichte dargestellt ist, besteht in der Tat aus dem Stoff, aus dem Helden gemacht sind.

Insofern ist „Sindbad der Seefahrer“ zweifellos eines der schönsten Hörspiele aus dieser nach wie vor wachsenden Serie: inhaltlich aufgrund der grundlegenden Basis sowieso überzeugend, dazu dynamisch aufgebaut und mit durchweg guten, spürbar ambitionierten Sprechern ausgestattet. Man muss sicherlich nicht jedes einzelne der |Europa|-Originale entführen; die Abenteuer des Sindbad sind jedoch unter denjenigen, die man sich als Fan solch klassischer Hörspiele dringend anschaffen sollte.

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Rohrbeck, Oliver / Wilhelm, Andrea – Trek nach Westen, Der. Sammelbox Teil 1 – 3

_Westernparodie: wilde Knutschereien und Verfolgungsjagden_

Ein klassischer Western in 3 Teilen: Als der Westen noch wild ist, schließt sich ein junger Ire einem Treck mit dem Ziel Kalifornien an, um sich eine neue Zukunft aufzubauen: Bill Buffalo (sehr irischer Name). Auf dem Ritt lernt er die schöne Helen kennen und heimlich lieben. Aber das gefällt ihrem Vater Taylor Hackford, dem ehrgeizigen Anführers des Trecks, gar nicht. Gemeinsam mit seinem Freund Joe Jackson flieht Bill Buffalo vor Hackfords Rache bis in die Wüste von Mexiko. Können die beiden den wütenden Verfolgern entkommen?

_Die Macher_

Die Aufnahmen des Hörspiels fanden während der Live-Aufführungen der |LauscherLounge| im Jahr 2005 statt. Die Mitwirkenden sind die bekannten Sprecher von Hollywood-Stars wie Richard Gere, Leonardo DiCaprio, Reese Witherspoon (Ranja Bonalana), Ben Stiller (Regisseur Rohrbeck), Jackie Chan, George Clooney (Detlef Bierstedt), Jamie Foxx und „Colt Seavers“, um nur einige zu nennen.

Buch und Konzeption gehen auf das Konto von Andrea Wilhelm und Oliver Rohrbeck, die Geräusche erzeugten Jörg und Peter Klinkenberg, die Musik komponierte Dirk Wilhelm. Für Livemix und Aufnahmen war Stefan Lohr verantwortlich. Regie führte Rohrbeck. Mehr Informationen zum Studio und dessen Angeboten: http://www.lauscherlounge.de.

_Handlung_

Durch das Death Valley in Nevada galoppieren zwei Reiter. Es sind Joe Jackson und Bill Buffalo. Was hat sie nur in diese gottverlassene Gegend verschlagen? Es kann nur an ihren Verfolgern liegen, die von Taylor Hackford angeführt werden, dessen Tochter Helen Bill angeblich verführt hat …

Doch von Anfang an. Alles begann in Little Rock, Arkansas, wo der Landarbeiter Bill Buffalo im Saloon von Taylor Hackford angesprochen wird. Hackford, ein Selfmademan, braucht noch Leute, die seinen Treck nach Westen gegen die Indianer beschützen. Es soll nach Kalifornien gehen, wo der Krösus bereits eine eigene Stadt errichtet hat. Bill ist nicht abgeneigt, aber er braucht in Kalifornien ein wenig Kapital für die Existenzgründung. Null problemo! Wozu ist Hackford nicht auch der Besitzer der Bank von Hackfordville?

Wenig später überlistet Hackford am Pokertisch auch Joe Jackson, einen Cowboy, der seinen Colt schneller zieht als sein Schatten. Leider hat er stets Pech im Spiel, und da er bei Hackford Schulden hat, soll er sie beim Beschützen des Trecks abarbeiten (abzüglich Kost und Logis, versteht sich).

Eine Woche später lernen sie beim Start des Wagenzuges die ausnehmend hübsche und freundliche Helen kennen, und Bill hat keinerlei Skrupel, ihr seine Aufwartung zu machen. Sie hat nur einen Fehler: einen höchst eifersüchtigen Vater mit dem Namen Taylor Hackford! Dieser droht Bill alle Qualen der Hölle an, sollte er seine Finger nicht von seinem Goldschatz lassen. Dabei will der Goldschatz eigentlich gar nicht ins ferne Kalifornien, durchs Gebiet garstiger Indianer. Bill bringt sie schnell auf andere Gedanken …

Bill und Jackson müssen rasch verduften, denn Bill hat Helen Küsse geraubt und Joe Hackford dessen prall gefüllte Portokasse! Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, die unsere beiden Superhelden nicht nur durch Indianergebiet, Wüste und wüste Saloons führen wird, sondern auch ins Banditengebiet von Tucson … Ob Bill wohl seine Angebetete jemals wiedersehen wird?

_Die Inszenierung_

Da die Handlung nur so von Klischees aus sämtlichen Western strotzt, lohnt es sich meines Erachtens nicht, ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Alle Figuren sind überzeichnet, wie es sich für eine Western-Parodie gehört. Um unterhalten zu können, muss der Western daher entsprechend amüsant und spannend präsentiert werden. Und dies gelingt dem Live-Hörspiel überraschenderweise sehr gut!

Die schon tausendmal gehörten Sätze, die die Sprecher dennoch immer noch mit Gusto – oder wenigstens halbwegs ernsthaft – vortragen, sind nicht gegen Fehler gefeit, und das macht den besonderen Charme der Live-Aufführung aus: Fast jeder Sprecher macht mal Fehler, jeder wird mal korrigiert, beschwert sich über seltsame Satzkonstruktionen und sogar über einen Druckfehler. Aber das bleibt die Ausnahme, denn dies ist eine Aufführung von Profis in ihrem Fach.

|Musik|

Eine weiterer wesentlicher Beitrag sind Musik und Geräusche. Es war eigentlich zu erwarten, aber als wirklich Ennio Morricones Titelmusik zu „Für eine Handvoll Dollar“ (Teil 1 der Trilogie) aufgeführt wird, breitet sich richtig gutes Western-Feeling aus. „Hey, hey-ho!“ Die obligate Westerngitarre und das Honkytonk-Piano im Saloon ergänzen das musikalische Ensemble, zwischendurch erklingen sogar eine gezupfte Ukulele, ein geblasener Kamm (Kazoo) und – du ahnst es nicht – eine Maultrommel! Aber wenigstens wird nicht gesungen. So kann ordentlich Stimmung aufkommen, mal Richtung Action, mal Richtung Romantik.

|Geräusche und Soundeffekte|

Eine Live-Aufführung eines Western ohne Geräusche wäre wie ein Shakespearestück ohne Dialoge, daher werden die Geräusche massiv eingesetzt. Es gehört einfach zur Untermalung der akustischen Westernkulisse, dass Pferde schnauben und galoppieren (in Stereo!), Schüsse fallen und jede Menge Faustschläge ausgeteilt werden. Dieses spezielle Element setzt die Tonregie (Klinkenberg, s. o.) allerdings derartig inflationär ein, dass es schon wieder entwertet wird.

Nicht zu unterschlagen ist übrigens die „wilde Knutscherei“, der sich Bill und Helen mit Wonne hingeben. Ob dies wieder nur ein Sample oder doch „echt“ ist, lässt sich schwer beurteilen. Es ist jedenfalls Bills und Helens Lieblingszeitvertreib. Es sei denn, ein Baby schreit. Dann heißt es wieder mal à la John Wayne: „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.“ Und das ist in diesem Fall das Windelnwechseln.

Zu den Toneffekten gehören auch Filter. Des Öfteren reiten unsere Helden durch Höhlen und Canyons, so dass sich hervorragend der Hall-Effekt einsetzen lässt. Vor dem Einsatz des Echos ist der Regisseur jedoch zurückgeschreckt.

Sehr lustig ist auch das Verzerren von menschlichen Stimmen. Es ist zwar nicht gerade Micky Maus, der da erklingt, aber Polly, Molly und Nelly sind nicht weit davon entfernt, in entsprechenden Stimmlagen zu kieksen. Wer genau auf die im Booklet abgedruckte Sprecherliste schaut, wird entdecken, dass der Regisseur Oliver Rohrbeck vier Rollen spricht und seine „Polly“ ist definitiv weiblich!

Außerdem tritt er als Erzähler auf, um die einzelnen Szenen miteinander zu verbinden. Da das gesamte Hörspiel in drei Akte aufgeteilt ist, ist es zudem seine Aufgabe, am Beginn eines jeden Aktes die Rückblende vorzutragen. In Teil 2 ist sie neun Minuten lang, in Teil 3 schon zehn Minuten. Dadurch wird die reine Spielzeit von rund 68-69 Minuten entsprechend verlängert. Zwischen den drei Akten soll man sich wegen dieser Länge eine gehörige Verschnaufpause gönnen. Besonders im dritten Akt erwartet den Hörer ein verzwickter Handlungsverlauf mit häufigen Szenenwechseln, der hohe Aufmerksamkeit fordert.

Ich könnte jetzt anfangen, noch einzelne Sprecher und Sprecherinnen sowie ihre „stimmsynchronen“ Pendants aus Hollywood (Clooney, Witherspoon, DiCaprio) hervorzuheben, aber das wäre unfair gegenüber den nicht erwähnten Sprechern. Das gesamte Ensemble legt sich unheimlich ins Zeug, um die beste Wirkung zu entfalten. Und wenn mal wieder alle Faustschläge ausgeteilt sind und die „wilde Knutscherei“ die Gemüter erhitzt hat, ist dem Gesamtensemble und nicht bloß Einzeldarstellern der rauschende Applaus sicher – das ist ebenfalls zu hören.

Die Aufnahmequalität der Aufführung ist durchaus annehmbar, und wie gesagt, gibt es auch Stereoeffekte. Man muss sich das Ganze aber als Liveaufführung vorstellen und gegenüber einer Studioaufnahme entsprechende Ansprüche zurückschrauben.

_Unterm Strich_

Mir haben der erste und der zweite Teil am meisten Spaß gemacht. Ich beging den Fehler, vor Teil 3 keine Verschnaufpause einzulegen und verlor zwischendurch ein wenig den Überblick über die durch viele Szenenwechsel relativ verzwickte Handlung. Der Epilog ließ aber an Einfachheit und Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wer schon immer mal George Clooney, Reese Witherspoon und Leonardo DiCaprio in einem Western hören wollte, kommt hier voll auf seine Kosten.

Dies ist eine Westernparodie und folglich nicht ernst zu nehmen, aber man kann trotzdem seinen Spaß daran haben, wie das Beispiel „Der Schuh des Manitu“ gezeigt hat. Im Gegensatz zu Bullys Film werden hier aber keinerlei Indianer veräppelt, sondern ganz im Gegenteil tritt ein Medizinmann als Heiler auf, um unseren Lieblingshelden Bill Buffalo wieder auf die Beine zu bringen. Dieser Aspekt hat mir sehr gut gefallen. Vielleicht hätte sich sogar Pierre Brice darüber gefreut, dem bekanntlich Abahatschi als Winnetou-Karikatur völlig gegen den Strich ging.

Im Gegensatz zu den sonst so erhältlichen Hörspielen zeichnet sich diese Aufnahme durch die lebhafte Live-Atmosphäre aus. Dazu gehören aber auch, dass Fehler auftreten und sich die Sprecher manchmal wiederholen oder über Druckfehler im Skript beschweren. Aber Toneffekte und Musik sind vom Feinsten, so dass eine gute Westernstimmung aufkommt. Wer solche humorvollen Hörspiele ebenso wie Live-Aufführungen mag, der sollte hier zuschlagen.

|228 Minuten auf 3 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

lauscher news

Xiaolong, Qiu – Tod einer roten Heldin

Inzwischen gibt es bereits vier Romane um Qiu Xiaolongs poetisch veranlagten Krimihelden Kommissar Chen. „Tod einer roten Heldin“ war seinerzeit Xiaolongs Debütroman, der nun im |DAV| als Hörspiel vorliegt.

Xiaolongs Romane spielen in Shanghai, in Zeiten des Umbruchs, die geprägt sind von veralteten Kaderstrukturen und Traditionen und einer zunehmenden Öffnung für den Fortschritt der modernen Welt. Zwischen diesen Gegensätze ermittelt Kommissar Chen, nebenberuflich Dichter, im Fall Guan Hongying, die ermordet aus einem Shanghaier Kanal gefischt wurde.

Anfangs ahnt Chen noch nichts von der politischen Tragweite des Falls und auch als sich herausstellt, dass Guan Hongying eine nationale Modellarbeiterin und damit ein Vorbild der chinesischen Gesellschaft war, will er noch nicht an einen politischen Hintergrund glauben, wie es seine Vorgesetzten tun.

Als sich dann aber herausstellt, dass Guan Hongying bis kurz vor ihrem Tod eine geheime Affäre mit dem Fotografen Wu hatte, der brisanterweise der Sohn des einflussreichen Kaders Wu Bing ist, bekommt Chen die politische Tragweite des Falls am eigenen Leib zu spüren. Wu ist Chens Hauptverdächtiger, was seinen Vorgesetzten gar nicht passt. Chens Mentor, Parteisekretär Li, ist schnell zur Stelle, um Chen zurückzupfeifen und auf einen Posten wegzuloben, auf dem er keinen Schaden anrichten kann. Doch Chen ist fest entschlossen, den Fall zu lösen …

Der Reiz von Qiu Xiaolongs Krimis liegt weniger im Krimiplot an sich als vielmehr in Zeit und Ort der Handlung begründet. Der Fall selbst ist recht klassisch konzipiert, und dennoch ist Qiu Xiaolong mit „Tod einer roten Heldin“ ein insgesamt sehr ungewöhnlicher und eigenwilliger Krimi geglückt.

Da wäre zum einen die Hauptfigur des Kommissar Chen. Ein studierter Literat im Polizeidienst ist für sich schon ungewöhnlich. Chen übersetzt neben seiner Polizeiarbeit mit einigem Erfolg westliche Kriminalromane und veröffentlich hier und da Gedichte. Das hat ihm in der Shanghaier Gesellschaft eine vergleichsweise privilegierte Stellung und den Luxus verschafft, als Junggeselle alleine eine Ein-Zimmer-Wohnung bewohnen zu dürfen.

Chen ist eine Figur mit Tiefgang, deren Gedanken oft um literarische Themen kreisen. Er fasst Ideen und Beobachtungen gerne in Verse und beschwört damit eine sehr persönliche und intensive Charakterzeichnung herauf. Chen ist einerseits eine sehr sympathische Figur, ist aber gleichsam stets darauf bedacht, politisch korrekt zu handeln, um in den starren alten Kaderstrukturen nicht unnötig anzuecken.

Es ist daher auch gerade der stetige kritische Blick auf die politische und gesellschaftliche Situation Chinas allgemein und Shanghais im Speziellen, der den Reiz der Geschichte ausmacht. Der Leser/Hörer erfährt ganz nebenbei unheimlich viel darüber, wie das Leben dort aussieht. Die anhaltende politische und gesellschaftliche Einflussnahme der alten Kader, die eklatante Wohnungssituation, in der jeder Einwohner es in Schnitt auf neun Quadratmeter Wohnfläche bringt, und die Omnipräsenz der Partei, die die Menschen dazu zwingt, stets auf der Hut zu sein, in ihrem Handeln und Denken. Gerade auch durch die lebhafte Inszenierung von Xiaolongs Roman wird die Atmosphäre Shanghais für den Hörer zum Greifen nah.

Und so ist das eigentlich Spannende an „Tod einer roten Heldin“ auch weniger die Lösung des Falls an sich (die auch recht einfach gestrickt ist) als vielmehr die Art und Weise, wie Kommissar Chen es trotz der Steine, die ihm in den Weg gelegt werden, schafft, seine von politischen Kreisen unerwünschten Ermittlungen voranzutreiben. Es sind genau diese politisch brisanten Zutaten, mit denen Xiaolong seinen Roman würzt, die ihn besonders schmackhaft machen.

Für die Hörspielfassung wurde der über 450-seitige Roman um einiges zusammengerafft und auf 107 Hörspielminuten gekürzt. In der Vergangenheit hatte ich bei ähnlich gelagerten Kriminalhörspielen im |DAV| mit einem ähnlich komplexen gesellschaftspolitischen Hintergrund oft das Gefühl, dass die Handlung zu stark komprimiert wurde (z. B. bei Yasmina Khadras Algerien-Krimi „Morituri“). Hier kann man trotz der Straffung der Geschichte aber noch ohne Probleme folgen und verliert auch im Hin und Her der vielen chinesischen Namen nicht gleich den Faden.

Die Hörspielinszenierung kann man nur als hochkarätig loben. Die Sprecher leisten durch die Bank weg überzeugende Arbeit, allen voran Erzähler Peter Fricke und Andreas Fröhlich in der Rolle des Kommissar Chen. Auch die gesamte Inszenierung, das Zusammenspiel von Musik, Geräuschen und Stimmen ist wunderbar stimmig inszeniert worden. So entsteht eine dichte Atmosphäre, in die man gerne gleich ein zweites Mal eintauchen möchte. „Tod einer roten Heldin“ ist in der Tat die Art Hörspiel, die man nicht nur einmal hört.

Bleibt unterm Strich also ein positiver Eindruck zurück. Qiu Xiaolong hat mit „Tod einer roten Heldin“ einen Roman abgeliefert, der rein als Krimi betrachtet solide ist, sich in seinem gesellschaftlichen und politischen Kontext aber als kleine Perle in der Weite der Krimilandschaft hervortut. Gerade auch die Hörspielfassung des |DAV| kann man nur loben. Sie schafft den Balanceakt zwischen einer konsequenten Komprimierung der Handlung und einer dennoch intensiven und dichten Atmosphäre, die vor allem durch die Riege hochkarätiger Sprecher und die wohltuend stimmige Inszenierung zu gefallen weiß.

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Sassenberg, Volker – Gabriel Burns – R. (Folge 26)

Victor Zeysen ist tot. Viele Jahre schon. Doch wenn für die Hörspielreihe |Gabriel Burns| etwas zutrifft, dann die Tatsache, dass Totgeglaubte gerne weiterleben. Dies wird in Folge 26 mit dem mysteriösen Titel „R.“ ( der Name klärt sich im Laufe der Episode auf) umso deutlicher. Und Dr. Victor Zeysen, einstiger Leiter von Ravenstone, einer Anstalt für gestörte Kinder, ist nicht der Einzige, der tot scheint, es aber in Wirklichkeit nicht ist. So beginnt die Folge zwar mit einem regelrechten Paukenschlag und dem Tod einer der Hauptfiguren, doch sie wartet am Ende mit einer noch viel größeren Überraschung und einem Cliffhanger auf, der das Warten auf die Fortsetzung fast unerträglich macht.

_Vorgeschichte: Folgen 1 bis 25_

Vancouver: Steven Burns, erfolgloser Schriftsteller, hält sich mehr schlecht als recht als Taxifahrer über Wasser. Sein Leben ändert sich jedoch schlagartig, als er an den geheimnisvollen Bakerman gerät – oder treffender: als Bakerman Steven kontaktiert, um ihn in ein mysteriöses Projekt einzuweihen, das sich unheimlicher Phänomene angenommen hat. Warum Bakerman, der dieses Projekt leitet, gerade Steven für seine Pläne auserkoren hat, wird dem Schriftsteller in dem Moment klar, als er an seinen Bruder Daniel zurückdenkt. Dieser verschwand nämlich im Alter von vier Jahren auf seinem Geburtstag, als Steven ihn bat, in eine Kiste zu steigen und einen Zaubertrick über sich ergehen zu lassen. Doch das Resultat war kein harmloses Kinderspiel, denn Daniel war plötzlich wie weggezaubert und blieb spurlos verschwunden.

Obwohl Bakerman auf die Geschehnisse von Stevens geheimnisvoller Zaubergabe anspielt, bleibt er ihm die Antworten schuldig. Und wenn er etwas herausrückt, dann nur sehr spärlich und darauf bedacht, die wahren Hintergründe im Dunkeln zu lassen. Denn Bakerman möchte Stevens Fähigkeiten erst einmal testen und eine Vertrauensbasis aufbauen. So schickt er ihn über den gesamten Globus; immer dort hin, wo auf eigenartige Weise Menschen verschwinden, von gefährlichen Experimente berichtet wird oder scheinbare Naturphänomene ans Tageslicht treten.

Steven Burns zur Seite stehen Joyce Kramer und Larry Newman, die das Viererteam um Bakerman komplettieren. Joyce ist bereits seit vielen Jahren ein treuer Verbündeter Bakermans und stellt seine Pläne nicht in Frage. Larry hingegen ist erst kurze Zeit nach Steven zur Mannschaft gestoßen, als sich der frühere Forstbeamte in den Wäldern von Yukon widernatürlichen Phänomenen ausgesetzt sieht und daraufhin beschließt, das Böse zu bekämpfen. Die zehn fahlen Orte sind es, die Steven Burns, Bakerman, Joyce und Larry in Atem halten. Orte, an denen das Böse zum Vorschein kommt und Tore in eine andere Welt geöffnet werden, um die Menschheit durch Kreaturen aus der Hölle zu vernichten.

Steven weiß nun, wer er ist, oder vielmehr, was er ist. Jetzt liegt es an ihm, dieses Wissen für sich zu nutzen und den Kampf aufzunehmen. Die Zeit rennt. Bevor sich Steven seinen Gegnern im offenen Kampf stellen kann, gilt es jedoch, seinen Freunden zu helfen. Bakerman liegt im Sterben, und auch das beschaffte Unsterblichkeitselixier hat seinen Zustand noch nicht verbessert.

_Inhalt_

Während sich Steven und Larry nach den ereignisreichen Stunden, die sie mit der Suche nach Ila al Khalf verbracht haben, eine Pause gönnen wollen, bekommen sie einen Anruf. Sie vermuten Joyce am anderen Ende der Leitung mit einer Nachricht über Bakermans Zustand, da sie an seinem Bett wachen wollte. Stattdessen ist jedoch Julien Cardieux dran, der Bakerman auf dessen Wunsch hin in einen Hypnose-Zustand versetzt hat, um die Unsterblichkeitsessenz, das Ila al Khal, zu finden. Julien hat schlechte Nachrichten, sehr schlechte. Bakerman geht es nämlich immer noch nicht besser, da er das Elixier nicht getrunken hat. Joyce, die ihm dieses einflößen sollte, schlug Julien nieder und verschwand mit dem Trank.

Steven und Larry sind fassungslos, schließlich ist Joyce stets eine enge Vertraute gewesen und hat nie Anzeichen gegeben, das Team zu hintergehen. Steckt vielleicht jemand anderer dahinter, der Joyce nur für seine Zwecke missbraucht?

Steven und Larry bleibt nicht viel Zeit, und so machen sie sich in ihre Wohnung auf, um nach Hinweisen zu suchen, wo sie sich zurzeit aufhalten könnte. Tatsächlich finden sie eine Nachricht, die sie nach Ravenstone führt, jener Anstalt, in der auch Joyce als Kind untergebracht war. Kurz bevor sie aufbrechen wollen, werden sie von einem vermummten Einbrecher überrascht. Er schlägt sie nieder, noch bevor sie seine Identität klären können. Aber was immer er hier gesucht hat, Ila al Khalf ist ein Mittel, für das viele über Leichen gehen würden, nur um es in die Hände zu kriegen.

Als die Steven und Burns schließlich in Ravenstone eintreffen, wirkt alles verlassen. Aber sie sind auf der Hut, denn der Schein hat sie schon oft getrogen. Sie geben sich als Regierungsmitarbeiter aus, als sie die derzeitige Leiterin, eine Lucia Moreno, in den Hallen antreffen, wie sie gerade einen Patienten ruhigstellen will. Moreno hat kaum Hoffnung, dass die Anstalt noch lange betrieben wird. Zu viel ist in letzter Zeit vorgefallen. Von einer Joyce Kramer weiß sie allerdings nichts. So bleibt Steven und Larry nichts anderes übrig, als selbst Nachforschungen anzustellen. Sie bemerken nicht, dass Joyce ihr Kommen längst beobachtet hat. Geistig kontrolliert von Dr. Victor Zeysen, der sich im Kellergewölbe der Anstalt verschanzt hat, händigt Joyce Zeysen das Ila al Khalf aus und führt dann die weiteren Befehle aus: Larry ausschalten. Sie lockt ihn durch einen Anruf nach unten und richtet die Waffe auf ihn, während Bakerman alte Akten durchwühlt und auf Spuren von Zeysen stößt. Doch es ist bereits zu spät, denn der Doktor ist mit dem Trank längst davon und Joyce, wenn auch unter inneren Kämpfen leidend, hat Larry in ihrer Gewalt. Sie drückt zitternd ab und verpasst ihm glücklicherweise nur ein Streifschuss. Larry weiß, wenn er jetzt nicht handelt und seine Kollegin zur Strecke bringt, wird das seinen Tod bedeuten.

_Bewertung_

„R.“ setzt endlich die Haupthandlung fort und stellt Dr. Victor Zeysen, der in früheren Episoden bereits einige Auftritte gehabt hat, zu einem neuen, und sehr gefährlichen Widersacher in den Mittelpunkt. Dennoch greift die Folge 26 die in der vorigen Folge noch nicht abgeschlossenen Handlungsstränge auf und integriert sie mit dem Metaplot. Auf geschickte Weise gewinnt die Geschichte so wieder an Fahrt und treibt die Entwicklung der Charaktere voran. Zudem erfährt der Hörer, nachdem in „… dem Winter folgte der Herbst“ Bakerman seinen großen Auftritt hinlegen durfte, einiges über Joyces Vergangenheit und ihre Zeit in der Kinderklinik Ravenstone.

Emotional liegt „R.“ deutlich vor allen anderen Episoden, in denen nur einmal mehr ein „Monster der Woche“ bekämpft werden musste. Hier geht es um den Kampf mit sich selbst, um die Konflikte, die innerhalb der Gruppenkonstellation des Burns-Teams entstehen und dadurch das Gefüge zum Wanken bringen. Spannung wird nicht durch schleimiges Getier erreicht, sondern durch den Verrat, den Joyce begeht – und sei es auch durch fremde Kontrolle eines im Hintergrund agierenden Schurken. Der Tod steht im Zentrum, ist allgegenwärtig und bringt das Team am Ende sogar unverhofft in eine aussichtsreiche Position. Doch nur die Totgeglaubten wissen um ihren Vorteil, denn alle anderen gehen davon aus, dass sie wirklich gestorben sind.

Über die technische Qualität muss man kein Wort verlieren. Die Sprecher gehören zur ersten Garde, die Soundeffekte sind, wenn auch durch die Thematik der Folge nicht ganz so ausgereizt wie sonst, auf höchstem Niveau. Im Zusammenhang mit der rasanten Handlung und der geschickten Erzählweise reiht sich „R.“ in die |Gabriel Burns|-Reihe ein und lässt auf noch viele weitere Episoden dieser Machart hoffen.

http://www.gabrielburns.de/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere Besprechungen zu den aktuellen Buchveröffentlichungen|

[„Gabriel Burns: Die Grauen Engel“ 3892
[„Gabriel Burns: Verehrung“ 3960

Rademacher, Cay – Geheimsache Estonia (Lesung)

Warum am 27. September 1994 die Fähre |Estonia| auf halbem Weg zwischen Tallinn und Stockholm in der Ostsee versank, ist bis heute noch nicht restlos geklärt. Während der offizielle Untersuchungsbericht behauptet, dass die Unglücksursache die im schweren Sturm abgerissene Bugklappe des Autodecks sei, wollen die kritischen Stimmen, die behaupten, dass diese These widerlegende Beweise außer Acht gelassen und bestimmte Zeugenaussagen ignoriert wurden, nicht verstummen.

Bis heute gibt es keine zweifelsfreie offizielle Erklärung, warum die |Estonia| versank, und so wird es auch um die Verschwörungstheorien zum Untergang nicht ruhiger. Fakt ist, dass der Untergang der |Estonia| das schwerste Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte ist. 852 Passagiere starben in den kalten Fluten der Ostsee.

Cay Rademacher, der seit 1990 als Journalist der |Geo| arbeitet, hat sich dieses Stoffes angenommen und aus Fakten und Theorien einen Thriller geschrieben. Die Theorien, die sich um den Untergang ranken, muten teilweise so an, als wären sie einem Politthriller entsprungen – ideale Voraussetzungen für einen spannenden Plot.

Rademacher lässt seinen exzentrischen Protagonisten Claudius Graf Stackelberg bei einem Segelturn mit seiner Luxusyacht auf der Ostsee einen Attachékoffer aus der |Estonia|-Katastrophe finden. Stackelbergs Neugier ist geweckt und er fängt an, mit seinem Freund Wolf Jacobson erste Nachforschungen anzustellen. Als sie auf die ersten Widersprüche in den offiziellen Erklärungen zum Unglückshergang stoßen, ist ihr Ehrgeiz angestachelt. Stackelberg und Jacobson reisen nach Tallinn, um ihre Nachforschungen zu intensivieren.

Schon wenig später müssen sie die irritierende Erfahrungen machen, dass jeder, der etwas Genaueres über die Unglücksnacht auf der Ostsee sagen könnte, entweder schon tot ist oder wenig später unter verdächtigen Umständen stirbt. Und dann stellen Stackelberg und Jacobson auch noch fest, dass sich irgendjemand an ihre Fersen geheftet hat und alle ihre Schritte verfolgt. Doch in Tallinn finden sie auch Verbündete, die ihnen bei ihren Nachforschungen helfen.

Da wäre zum einen eine estnische Tänzerin, die an Bord der |Estonia| gearbeitet hat und nicht glauben will, dass ihre Schwester bei dem Unglück umgekommen ist. Dann wäre da noch ein ehemaliges Mitglied der schwedischen Untersuchungskommission, der nun auf eigene Faust die Unglücksursache lüften will, bevor der Lungenkrebs ihn endgültig dahin gerafft hat. Und dann wäre da noch ein schwedischer Wracktaucher, der nach dem Unglück zur |Estonia| hinuntergetaucht und sich sicher ist, dass für ihn dabei des Rätsels Lösung beinahe schon zum Greifen nahe war …

Rademacher lässt den Leser/Hörer zunächst einmal den Untergang der |Estonia| hautnah miterleben. Er schildert, wie die Passagiere an Bord in Panik darum kämpfen, der Katastrophe zu entrinnen. Nur wenige schaffen es bis in die Rettungsinseln und werden von den Rettungskräften geborgen. Rademacher schildert die letzten Minuten an Bord der untergehenden |Estonia| sehr eindringlich und sorgt so für einen intensiven und gleichermaßen beklemmenden Einstieg in das Buch.

Nach einem Zeitsprung setzt die eigentliche Handlung dann einige Jahre später ein, als Claudius Graf Stackelberg über die Ostsee schippert und, noch ahnungslos ob der Dinge, die er noch erleben wird, den Attachékoffer aus der Ostsee fischt. Stackelberg ist eine rundum exzentrische Hauptfigur: ein schwerreicher Millionenerbe, der gleich vom ersten Augenblick an so ziemlich jedes Klischee widerlegt, das man in ihm vermuten möchte. Er ist dick, Haribo-süchtig, schwul und universell gebildet. Ein Protagonist, der in keine Schublade passen will.

Sein (Hetero-)Freund Wolf Jacobson ist von nicht weniger sperriger Figurenskizzierung: ein langstreckenlaufender, erotisch gehemmter Epileptiker, der sich am liebsten hinter Büchern verkriecht. Gerade Jacobson ist eine Figur, die sich innerhalb der Handlung weiterentwickelt und sich damit zur heimlichen Hauptfigur mausert. Während man dem dicken Graf Stackelberg seine Abenteuerlust nicht immer so ganz abkaufen mag, entwickelt Jacobson einen intensiveren Bezug zur |Estonia|-Katastrophe und muss sich dabei seinen persönlichen Ängsten stellen. Auch wenn Rademacher das zum Ende hin ein wenig zu sehr auf die Spitze treibt, wirkt Jacobson insgesamt glaubwürdiger und authentischer.

Als die Handlung sich verdichtet, wirkt Stackelbergs mitunter saloppe Art irgendwie etwas deplatziert. Stackelberg wirkt nun wirklich nicht wie der Typ, der im Angesicht des Feindes noch witzige Sprüche reißt. Jemand, der bei einem Kampf nicht mehr in die Waagschale werfen kann als seine massige Leibesfülle, dürfte in Momenten körperlicher Bedrohung wohl kaum so sehr Herr der Lage sein, dass er noch Zeit für einen flotten Spruch hat. Das klingt dann doch eher nach Spider-Man.

Was den Plot betrifft, so mischt Rademacher munter Fakten und Fiktion. Er lässt die offiziellen Untersuchungsergebnisse ebenso einfließen wie den in Russland kursierenden so genannten „Felix-Report“, der ein anderes Bild der Katastrophe zeichnet. Anhand der Gedanken und Aussagen seiner Protagonisten exerziert er verschiedene Szenarien durch, die zum Untergang geführt haben könnten.

Die Theorien, die er vermutlich selbst als fiktionale Elemente einstreut, überzeugen mal mehr, mal weniger. Vor allem die Varianten, die im Verlauf der Handlung von verschiedenen Figuren zur Sprache gebracht werden, wirken doch eher haarsträubend als vorstellbar. Teilweise verknüpfen sie krampfhaft die |Estonia|-Katastrophe mit anderen Verschwörungstheorien und stehen damit als wirkliche Option eigentlich in keinem Augenblick zur Debatte. Vielmehr lassen sie die Figuren, die hinter diesen Theorien stehen, in einem etwas unglaubwürdigen Licht erscheinen.

Das finale Szenario, das Rademacher dem Leser ganz am Ende offenbart, kommt da sicherlich schon näher an die Realität. Keine schillernde Verschwörungstheorie mit unübersichtlichen, komplexen Verästelungen, sondern irgendwie fast ein bisschen banal. Aber so scheint sie immerhin schon eher im Bereich des Möglichen zu liegen, da sie sich obendrein mit einigen der offenen Fragen zum Untergang plausibel verknüpfen lässt, ohne die sonst für Verschwörungstheorien oft so gern bemühte verquere Logik.

Das wirklich Interessante an „Geheimsache Estonia“ dürfte aber die Verschmelzung von Fakten und Thrillerplot sein. Rademacher verschafft dem Leser einen schönen Überblick über das Unglück, die offizielle Version dazu und die fragwürdigen Punkte des offiziellen Untersuchungsberichtes. Hier hält sich Rademacher wirklich eng an die Tatsachen sowie Romanplot und Faktenschilderung in einer ausgewogenen Balance.

Stimmig fügt er Thrillerelemente ein, frisiert die realen Ereignisse und verhilft so der Geschichte zu ihren Spannungsmomenten. Das Ganze gipfelt in einem Finale, das erfrischend frei von übertriebenem Heldenpathos ist (wenn man mal von dem kleinen Ausrutscher Wolf Jacobsons absieht). Das Finale, das Rademacher inszeniert, wirkt durchaus glaubwürdig und hebt sich wohltuend von anderen ähnlich gelagerten Romanen ab. Rademacher scheint als Journalist eben eher einen Hang zum Realismus zu haben, und so ist das Finale geradezu bodenständig und unpathetisch.

Bleibt als schwerwiegendster Kritikpunkt eigentlich die Hörbuchproduktion von |Radioropa Hörbuch| festzuhalten. Mit Franziska Stawitz als Sprecherin wurde leider keine ganz so glückliche Wahl getroffen. Ihre Stimme klingt etwas farblos und stumpf und bringt nur wenig Variation für die verschiedenen Figuren auf. So ist der Vortrag an sich leider nicht sonderlich fesselnd, sondern eher eintönig und man wird eher durch die Spannung der Geschichte an sich bei der Stange gehalten als durch die Art und Weise der Lesung.

Es verbleibt unterm Strich ein positiver Eindruck mit vereinzelten Schönheitsfehlern. Rademacher mischt auf unterhaltsame Art Fakten und Fiktion. Seine Figuren sind interessante Antihelden, wenngleich die Figurenzeichnung des Graf Stackelberg schon ein wenig überspitzt wirkt. Umso ausgewogener und realistischer inszeniert Rademacher dafür das Ende. Ein solider Thriller, der vor allem diejenigen erfreuen dürfte, die sich für die Theorien zum Untergang der |Estonia| interessieren. Schade nur, dass die Hörbuchproduktion (gerade auch im Vergleich zu der Masse qualitativ so gut gemachter Lesungen, wie es sie derzeit am Markt gibt) den Genuss etwas schmälert.

http://www.hoerbuchnetz.de/

David Safier – Mieses Karma

Kim Lange strebt dem Höhepunkt ihrer Karriere entgegen, während ihre Ehe mit Alex ihren Zenit schon längst überschritten hat. So lässt die gefeierte Polit-Talkmasterin ihre Familie wieder einmal im Stich, als Tochter Lilly ihren fünften Geburtstag feiert. Kim hat schließlich Wichtigeres zu tun, als mit kleinen Kindern Topfschlagen zu spielen, und so nimmt sie noch am gleichen Tag stolz den Deutschen Fernsehpreis entgegen. So richtig genießen kann Kim ihren Triumph allerdings nicht mehr, da sie noch am gleichen Abend von den Überresten einer russischen Raumstation erschlagen wird. Aus und vorbei.

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