Interview mit Jens Schumacher

_Interview mit Jens Schumacher, 50 Prozent des Autorenduos des „Elbenschlächter“ und des „Orksammler“, auf der Frankfurter Buchmesse 2010_

Jens Lossau (durch Krankheit leider verhindert – Schande über dich, Virus!) und Jens Schumacher haben zusammen eine Welt erdacht, die man definitiv mal kennenlernen sollte. Dass die beiden Autoren das zu zweit tun konnten und trotzdem etwas Homogenes dabei herauskam, liegt wohl vor allem daran, dass sie sich seit Sandkastentagen kennen und über lange Zeiträume hinweg dasselbe gelesen haben: Denkweise, Assoziationen und Humor ähneln sich so, dass das Endprodukt ihrer Bemühungen wie aus einem Guss wirk, während es gleichzeitig vom unterschiedlichen Talentschwerpunkt der Erschaffer profitiert.

Mehr zu diesen Themen in früheren Interviews (als Links schön zusammengefasst hier: http://lossaunews.blogspot.com/2010__04__01__archive.html und hier: http://lossaunews.blogspot.com/2010__05__01__archive.html ), jetzt gibt es ein paar neue Fragen – und zwar an Jens Schumacher. Auf die Behauptung hin, er und sein Kollege Lossau seien der Punk der Fantasy, hatte er einmal entgegnet, sie seien wohl eher der Heavy Metal der Fantasy. Äußerlich kommt das schon mal hin: von Kopf bis Fuß in Schwarz, bezopft und bärtig, mit Ringen an Ohr und Händen, hebt der Autor sich erfrischend von den ganzen Schlipsen ringsum ab. Man darf gespannt sein.

|Ihr erwähntet mehrfach, dass ihr gefragt wurdet, ob eure Bücher eine Art Schlag ins Gesicht der bisherigen deutschen Fantasy bedeuten sollen. Aus welcher Richtung kamen diese Fragen? Eher von Journalisten, oder hat sich tatsächlich mal ein empörter Autor gemeldet?|

Das waren witzigerweise eher Journalisten. Die Leser gehen eigentlich sehr cool damit um: Da kam bisher weder auf Veranstaltungen noch bei Leserrezensionen im Internet etwas Pikiertes zurück. Zwar gibt es auch ab und zu mal, etwa im Rahmen von Leserunden im Internet, Leute, denen nicht gefällt, was wir machen. Aber es kam niemand auf die Idee, das Buch sei eine Art Abrechnung mit der Fantasy. Von Autorenseite sogar noch weniger – da hatte ich eher den Eindruck (und wir stehen in Kontakt mit relativ vielen Autoren, Lossau und ich), dass diese zum Teil ein bisschen neidisch waren, weil wir einfach gemacht haben, worauf wir Lust hatten. Viele Autoren, gerade in der Fantasy, hätten durchaus ebenfalls mal Lust auf etwas wildere Stoffe, aber zuweilen muss man auf diesem Sektor eben gewisse Konventionen des Marktes bedienen oder bekommt vom Verlag gesagt: „Jetzt mach mal was mit Engeln“. Darauf pfeifen wir mit unseren IAIT-Romanen völlig. Einen Crossover aus Krimi und Fantasy gab es bisher nicht, das heißt, niemand konnte uns befehlen: „Jetzt macht mal so was!“ Und dass bei uns ab und zu ein paar Zähne fliegen oder Körperflüssigkeiten ausgetauscht werden, ist ja auch eher unüblich in diesem Genre. Doch: Die Autoren, mit denen wir bisher gesprochen haben, fanden unseren Ansatz cool. Aber wer weiß, vielleicht fällt unsere Kompromisslosigkeit auch irgendwann mal negativ auf uns zurück – beispielsweise, wenn die Reihe eingestellt wird, weil sie überhaupt nicht läuft! Ich denke, insgesamt waren das eher hypothetische Fragen, wirklich unterstellt hat man uns das nicht.

|Dass ihr zusammen schreibt, und das schon lange, ist klar. Was passiert, wenn ihr euch nicht einig seid, wenn einer eine Idee hat, die ihn begeistert, und der andere legt sein Veto ein? Müsst ihr beide allem hundertprozentig zustimmen, oder macht ihr Zugeständnisse?|

Wir einigen uns. Wir kennen uns mittlerweile über dreißig Jahre, und es gibt gewisse Bereiche, bei denen jedem klar ist, dass der andere mehr Ahnung davon hat. Lossau ist oft für das zuständig, was die Personen charakterlich ausmacht. Gerade bei Jorge merkt man einfach, dass da viel mehr Persönlichkeit drinsteckt als in Hippolit, der ein eher kontrollierterer Typ ist. Wenn ich auf die Idee käme, ein charakterisierendes Element zu kritisieren oder wenn ich einen Dialog, der den Charakter einer Person besonders transportieren soll, rausstreichen wollte, dann würden wir darüber diskutieren, und Lossau hätte wahrscheinlich das letzte Wort. Bei strukturellen Sachen dagegen, zum Beispiel, wenn ich sage: „Wir müssen hieraus zwei Kapitel machen und noch etwas dazwischenschneiden, sonst ist es zu lang, das will keiner lesen“, behalte tendenziell eher ich Recht, einfach, weil ich vierzig Bücher mehr geschrieben habe und mich ein bisschen mit so was auskenne. Hinzu kommt, dass wir unsere Bücher ja weit im Vorhinein konzipieren und dadurch Konflikten beim Schreiben aus dem Weg gehen können. Sobald wir am Ausarbeiten sind, gibt es ganz, ganz selten noch krasse Schwarz-Weiß-Entscheidungen zu treffen.

|Jetzt hast du es gerade schon angesprochen, dass Lossau eher am Feintuning der Charaktere feilt. Das ging aus bisherigen Interviews nicht klar hervor: Habt ihr die beiden Protagonisten zusammen erdacht, oder habt ihr sie aufgeteilt?|

Wir haben die Hauptfiguren tatsächlich beide zu gleichen Teilen konzipiert. Wie gesagt, bei Jorge ist in der Ausarbeitung dadurch, wie die Figur angelegt ist, noch mehr passiert, wo Lossau sich mit dem einbringen konnte, worin er besonders gut ist: Figuren memorabler zu machen und auch sympathischer – Jorge ist ja in all seiner Krudheit eigentlich eine sehr sympathische Figur, während Hippolit eher ein straighter Typ mit einem klar ausdefinierten Manko ist und gleichzeitig der Garant dafür, dass die Detektionshandlung vorankommt, damit es nicht nur Blödsinns- und Kneipenkapitel gibt.

Wir haben beide Hauptfiguren quasi auf dem Reißbrett entworfen und in der Ausarbeitung dann jeder schwerpunktmäßig eine davon übernommen. Lossaus Figuren haben meistens eine andere Art des Eigenlebens als meine. Das wäre auch, glaube ich, das Einzige, woran du, wenn du noch zehn Jorge-und-Hippolit-Romane gelesen hättest (die es momentan nicht gibt), auseinanderdividieren könntest, welche Passagen ursprünglich von wem stammen. Stilistisch gibt es ansonsten keine Unterscheidungsmerkmale mehr.

Als wir noch Kurzgeschichtensammlungen zusammen herausgebracht haben, kennzeichneten wir die einzelnen Geschichten nicht namentlich. Prompt gab es ein paar ganz Schlaue, die zuzuordnen versuchten, welche Story von wem stammte – und das war in allen Fällen falsch! Seitdem haben wir weiter an uns gearbeitet, und unsere Arbeitsweise bei einem gemeinsamen Roman ist selbstverständlich auch anders, als wenn wir allein schreiben. Ich habe in anderen Interviews schon gesagt, dass wir am Ende manchmal selbst nicht mehr wissen, was von wem stammt, weil wir so oft gemeinsam drübergegangen sind.

|Der erste Roman spielte in der Hauptstadt Nophelet, der zweite in der Totenstadt Torrlem, und wir haben zumindest schon von zwei Staaten erfahren, die an das Reich Sdoom angrenzen. Ist schon klar, wie groß das Ganze noch werden soll? Entwerft ihr eine komplette Welt?|

Wie ebenfalls schon verschiedentlich gesagt, bin ich kein großer Fan von Landkarten. Oder anders gesagt: Schon, schließlich lese ich Landkarten-Fantasy seit über dreißig Jahren. Aber ich bin der Ansicht, dass auf diesem Gebiet einfach alles gemacht wurde, was machenswert war. Hier wäre es aus meiner Sicht einfach sauschwer – und ich habe das im Jugendbuchbereich schon probiert, in einer Trilogie, wo es einen Großteil der Zeit um Questen und Rumgereise geht -, noch etwas richtig Originelles, Neues zu schaffen. Deswegen enthalten unsere Bücher keine Landkarten, deswegen ist die Geographie unserer Welt, auch wenn sie ab und an mal vorkommt, eher irrelevant für die Fälle an sich, um die es gerade geht.

|Dafür arbeitet ihr aber mit sehr ausdifferenzierten Beschreibungen.|

Ja, wir kennen unsere Welt auch sehr gut. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es vielleicht irgendwo Skizzen von Lorgonia gibt, aber tatsächlich wächst sie in den Details während der Handlung. Aber es ist bei uns definitiv nicht so, dass vorher DIN-A1-große Karten gemalt werden und man dann überlegt: Wo könnten sie jetzt noch hin? Nur einzelne Punkte standen von Beginn an fest, etwa, dass es irgendwo einen Stadtstaat geben sollte, in dem Zwerge wohnen, die ein sehr ausgechecktes Bankensystem errichtet haben und natürlich auch schürfen und irgendwelche Sachen unter Tage abbauen. Und dass dort irgendwann mal ein Roman spielen soll. Im kommenden dritten Band – denn erst dort wird er relevant für die aktuelle Geschichte – wird dieser Stadtstaat lokalisiert und seine Interaktion mit dem Rest des Königreichs dargestellt.

|Ihr habt ja beide häufig mit Coverillustratoren zusammengearbeitet. Und ihr habt eine sehr eindrucksvolle Tierwelt erschaffen – in den Romanen wuselt ja so einiges herum, dem man nicht nachts begegnen möchte, was aber sehr deutliche Bilder in den Kopf zaubert. Habt ihr mal drüber nachgedacht, einen Zeichner darauf anzusetzen?|

Eine Webseite mit lexikalischen Einträgen zu historischen Persönlichkeiten, Orten und eben Kreaturen wäre toll, ich hatte das damals schon zu meiner Fantasytrilogie „Ambigua“ angedacht. Leider gab und gibt es bei unseren Verlagen dafür momentan keinen Etat. Und selbst wenn man seine Illustratoren gut kennt, so wie wir, kann man nicht erwarten, dass jemand unentgeltlich aktiv wird. Schön wäre das natürlich schon, wenn es irgendwann mal so ein kleines Bestiarium gäbe – mit Matisrauden, Harschtipplern, Vulvatten und natürlich vor allem Krügerschweinen. Wie viele Anfragen haben wir schon bekommen nach Rezepten für gegrillte Krügerschweine!

|Du hast es gerade selber angesprochen mit der fiktiven Website und den Informationen zu den Romanen – ein paar Mal wurde bei Rezensenten der Wunsch nach einem Glossar laut, weil ihr ja doch so einige Worte habt, die keiner kennt, und die sind dann auch noch kursiv gedruckt. Habt ihr mit dem Gedanken gespielt?|

Da steh ich nicht so drauf. Was ich noch weniger mag, sind Personenlisten. Das kannst du bei Kinderbüchern machen, damit sich die Leser merken können, wer welche Figur ist. Ich finde es aber viel spannender, wenn sich die meisten ungewöhnlichen Bezeichnungen – bei uns zum Beispiel die Wochentage oder was die |Versiertheit| ist – dem Leser erst während der Lektüre des ersten Bandes nach und nach erschließen. Das Leseerlebnis in einer völlig neuen Welt ist spannender, wenn man kopfüber hineingeworfen wird: Die Dinge sind einfach, wie sie sind, ich muss selber dahintersteigen. Ich glaube indes nicht, dass wir mit unseren IAIT-Büchern diesbezüglich im oberen Drittel der Komplexität rangieren; der typische Fantasy- und SF-Leser ist doch ganz anderes gewöhnt. Und nach dem ersten Band („Der Elbenschlächter“) ist der zweite („Der Orksammler“) bereits viel leichter zugänglich. Das war der Plan: Wir zeigen die Welt aus der Sicht von Leuten, die darin aufgewachsen sind. Klar, dass Jorge nicht explizit denkt: „Born – der dritte Tag in einem zehntätigen Zyklus, der Zenit genannt wird; ein Zyklus umfasst 3333 Jahre“, sobald beispielsweise vom Blutigen Born im Jahre soundso des dritten Zyklus die Rede ist. Wen es interessiert, der stößt später ohnehin wieder darauf und kann sich allmählich zusammenreimen, was es damit auf sich hat.

Sicher hätte man zu einigen Ausdrücken ein Glossar anlegen können. Aber das hätte der lorgonischen Terminologie zu viel Relevanz eingeräumt – im Grunde ist das alles nur Beiwerk, das unsere Welt homogener machen soll. Ich glaube, das funktioniert auch ohne Verzeichnisse und Namenslisten.

Im Endeffekt sind unsere IAIT-Bücher dafür ja auch viel zu dünn. Wir haben extra eine typische Krimilänge gewählt und nicht das, was der unberufene deutsche Fantasy-Autor gern „episch“ nennt, wenn er mal wieder die Tinte nicht halten kann und 700 Seiten vollseiert mit etwas, das ebenso gut auf 350 gepasst hätte. Ich denke, am Ende vom „Elbenschlächter“ verstehst du auch so schon ziemlich viel von dem, was in Lorgonia abgeht.

|Magst du zum nächsten Band etwas sagen?|

Der dritte Band wird aller Voraussicht nach „Der Schädelbrecher“ heißen und im Zwergenmilieu spielen – und wie es bei uns mittlerweile üblich ist, werden wir dem Archetyp des Zwergs einige Facetten hinzuaddieren, die man so noch nicht kannte, sowohl physiognomisch als auch, was seine politische Gesinnung angeht oder wie er sich seine Zeit vertreibt. Der Roman wird erneut nicht in Nophelet spielen, auch wenn unsere beiden Ermittler am Anfang von dort aufbrechen, sondern in einem tief unter der Erde gelegenen Stadtstaat. Er wird der Krimi-lastigste der bisherigen drei Bände sein und sich nur um einen einzigen Mord drehen – allerdings einen Mord in einem von innen hermetisch verschlossenen Raum. Das bedeutet, wir streifen einen in der Kriminalliteratur sehr beliebten Topos, nämlich das Locked-Room-Mystery, und heben es in die Fantasywelt. Das Buch wird wieder ein gutes Stück anders werden als die vorigen, so wie das zweite etwas anders als das erste war. „Der Orksammler“ war beispielsweise viel fantasymäßiger, als es „Der Schädelbrecher“ werden wird: Da ging es um ein Monster, es wurde durch irgendwelche Wüsteneien geritten, es gab Heere und all solche Sachen. Das ist im „Schädelbrecher“ nicht der Fall. Es wird eher alles noch kleiner und noch komischer, es gibt noch mehr sonderbare Figuren – und ein Rätsel, das gelöst werden muss!

|Danke für das Gespräch.|

http://www.jensschumacher.eu
http://www.jenslossau.de
http://www.egmont-lyx.de

_Jens Schumacher/Jens Lossau auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Elbenschlächter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6361
[„Der Orksammler“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6615
[„Das Mahnkopff-Prinzip“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1957

Chattam, Maxime – Alterra: Im Reich der Königin (Band 2)

_Die |Alterra|-Romane:_

Band 1: [„Die Gemeinschaft der Drei“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5929
Band 2: _“Im Reich der Königin“_
Band 3: „Le Coeur de la Terre“ (noch ohne dt. Titel)

Nun liegt sie also endlich vor, die Fortsetzung von Maxime Chattams Roman „Alterra“. Es war schon recht überraschend, wie sich „Alterra“ im Laufe der Lektüre als unvermuteter Mehrteiler entpuppte und so abrupt man vor einem Jahr aus der Handlung herausgerissen wurde, so leicht und schnell ist man am Beginn des Nachfolgebandes „Alterra: Im Reich der Königin“ wieder in die Handlung eingestiegen. Chattams düstere Endzeitvision geht damit in die nächste Runde und entwickelt sich dabei sogar noch ein Stück düsterer und ganz bestimmt nicht weniger fantasievoll als im ersten Teil der Reihe.

_Doch zunächst ein paar Worte zum Inhalt._ Matt, Amber und Tobias – die Gemeinschaft der Drei – haben die Carmichael-Insel und damit die Gemeinschaft der Pans schon vor einer Weile hinter sich gelassen. Sie sind auf dem Weg nach Süden, einerseits, um Gefahr für die anderer Pans auf der Insel abzuwenden, zum anderen um herauszufinden, warum der Torvaderon Jagd auf Matt macht. Warum suchen die Zyniks überall nach ihm? Matt will es selbst herausfinden und begibt sich dafür auf eine lange und beschwerliche Reise gen Süden, in das Reich der Königin.

Seine beiden Freunde Tobias und Amber stehen ihm dabei zur Seite. Auf dem Weg durch die Wildnis lauern viele Gefahren. Der Torvaderon ist immer noch hinter Matt her und Matt und seine Freunde geraten dadurch mehr als einmal in brenzlige Situationen. Doch das ist nicht das einzige Mal, dass der Mut der Drei auf eine harte Probe gestellt wird. Auf ihrer Reise stehen sie plötzlich vor dem undurchdringlichen Blinden Wald. Bevölkert von riesigen, unheimlichen Tieren und bewachsen mit schier endlos in die Höhe ragenden Bäumen, die den Grund des Waldes in Dunkelheit tauchen, muss die Gemeinschaft der Drei hier all ihren Mut zusammen nehmen, um nicht umzukehren.

Kaum dass sie den Wald betreten haben, scheint die Reise auch schon ein jähes Ende zu nehmen: Wie aus dem Nichts werden Matt, Amber und Tobias vom Waldboden in die Höhe gerissen und auf ein seltsames Luftschiff entführt, das von ameisenartigen Wesen gesteuert wird und auf dem sie wie Gefangene gehalten werden. Ist dies das Ende ihrer Reise?

_Chattam knüpft mit dem zweiten Teil_ seiner Reihe mehr oder weniger nahtlos an den ersten Teil an. Auch wenn seit der Lektüre des ersten Teils schon einige Zeit ins Land gezogen ist, fällt der Wiedereinstieg in die Geschichte leicht. Man taucht sofort wieder in die Welt von „Alterra“ ein und hat die drei Freunde Matt, Amber und Tobias lebhaft vor Augen.

Die Spannungskurve strebt von Anfang an stetig aufwärts. Immer wieder geraten die drei Freunde in brenzlige Situationen. An jeder Ecke lauern Gefahren, und obwohl sich diese Dauerspannung natürlich im Laufe der Zeit auch ein wenig abnutzt – zumal man sich mit der Zeit immer sicherer ist, dass die Drei die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, schon irgendwie meistern, bleibt die Geschichte auf einem spannenden Niveau.

Die drei Freunde schaffen es, so ziemlich jede brenzlige Situation zu meistern, was mit der Zeit einen kleinen Kratzer an der Glaubwürdigkeit der Figurenskizzierung hinterlässt – Stärke und Mut lassen sich eben dann doch nicht immer befriedigend durch die Alteration, die speziellen Fähigkeiten, die die Pans in der neuen Welt entwickelt haben, erklären. Man glaubt irgendwann nicht mehr so hundertprozentig, dass sie jemals in wirkliche Gefahr geraten können. Irgendwie kommen sie schon aus jeder Situation heraus.

Und so muss Chattam stets neue unlösbare Probleme aus dem Hut zaubern, damit die Spannungskurve nicht abfällt. Das gelingt ihm im Großen und Ganzen wirklich gut, und obwohl er kurz davor zu stehen scheint, schafft er es, den Bogen nicht zu überspannen. Mit „Alterra“ hat der Autor eine ungemein vielfältige Welt geschaffen, in der er seine Fantasie austoben kann. Und so gibt es für den Leser reichlich Stoff zum Staunen: die Welt des Blinden Waldes mit den ameisenartigen Kreaturen in ihren Luftschiffen, z. B. oder die Stadt in der Höhle mit dem riesigen Wasserfall. Chattam skizziert eine fantastische Welt, teilweise bis ins Detail und beweist dabei einen wunderbaren Einfallsreichtum.

Vor diesem Hintergrund wird man ihm auch wohl verzeihen müssen, dass die Figurenskizzierung der drei Helden nicht sonderlich vertieft wird. Die Figuren bleiben bei all dem Einfallsreichtum und all den fantastischen Spielereien ein wenig blass. In Anbetracht der Tatsache, dass „Alterra“ auf eine jugendliche Leserschaft zugeschnitten ist, sicherlich ein verzeihliches Manko.

Der Aufbau der Geschichte ist wie schon im ersten Teil so angelegt, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag. Auch wenn sich der Spannungsbogen aus den oben genannten Gründen mit der Zeit ein wenig abnutzt, bringt Chattam immer wieder neue Entwicklungen ins Spiel und splittet die Handlung in einzelne Stränge auf, zwischen denen er hin und her springt, so dass er die Spannung im Großen und Ganzen bis zum Ende gut halten kann.

_Bleibt unterm Strich_ also ein positiver Gesamteindruck. Zwar offenbart Chattam einzelne Schwächen in der Figurenskizzierung und er steht hier und da mal kurz davor, den Bogen ein wenig zu überspannen, kratzt aber dann doch noch die Kurve und bringt den Roman gut zu Ende. Zwar warte zumindest ich nach dem zweiten Teil nicht so sehnsüchtig auf den dritten Band, wie ich seinerzeit auf den zweiten gewartet habe, aber gespannt darauf, wie es weitergeht, bin ich dennoch. „Alterra“ ist und bleibt eine düstere, außerordentlich fantasievoll erzählte und spannende Geschichte, die nach allem was sich andeutet, in einem nicht minder düsteren und spannenden dritten Teil gipfeln dürfte.

|Hardcover: 400 Seiten
Originaltitel: Autre Monde: Malronce (2009)
ISBN-13: 978-3426283066|
[www.pan-verlag.de]http://www.pan-verlag.de
[www.maximechattam.com]http://www.maximechattam.com

Sprunk, Jon – Schattenschwert (Shadow Saga 1)

_Die |Shadow Saga|:_

Band 1: _“Schattenschwert“_
Band 2: „Shadows’s Lure“ (2011, noch ohne dt. Titel)
Band 3: „Shadow’s Master“ (2012, noch ohne dt. Titel)

_Caim ist ein Auftragskiller._ Der Beste in der ganzen Stadt. Zumindest bis zu dem Tag, an dem er den Mann, den er töten soll, bereits ermordet vorfindet und kurz darauf Soldaten auftauchen, um ihm festzunehmen. Caim kann entkommen, doch auf der Suche nach demjenigen, der ihm die Falle gestellt hat, sticht er in ein gefährliches Wespennest …

_Caim entspricht größtenteils_ dem derzeit so beliebten Typus der gnadenlosen, im Grunde aber edlen und gerechten Tötungsmaschine. Ein wenig Persönlichkeit erhält er durch die Erinnerungen an einen blutigen Überfall auf sein Zuhause, den er selbst nach sechzehn Jahren nicht verwunden hat. Die Schatten, mit denen er irgendwie verbunden scheint, machen ihn außerdem auch ein wenig geheimnisvoll.

Noch geheimnisvoller ist Kit, eine körperlose Wesenheit, schön, übermütig und ein wenig unberechenbar. Sie ist zwar Caims Freundin, was genau sie ist, weiß er aber nicht, und der Leser erfährt es deshalb auch nicht.

Dann wäre da noch Josephine, eine junge Adlige, die zunächst nichts als Heiraten im Kopf hat. Als sie ihren Vater, ihr Zuhause und fast auch ihr Leben verliert, ändern sich ihre Interessen allerdings schlagartig.

Der Bösewichte sind es diesmal gleich zwei: Ral entspricht dem Typus Killer, dem das Töten Spaß macht, und gleichzeitig dem Typus Bösewicht, der der Ansicht ist, alle Macht und Annehmlichkeit der Welt stünde ihm von Rechtswegen zu, und zwar ausschließlich ihm. Levictus ist da ein wenig interessanter geraten. Der Mann hat seine Familie an die Inquisition verloren und der Kirche dafür Rache geschworen. Um sein Ziel zu erreichen, ist er sogar bereit, sich mit finsteren Mächten zu verschwören.

Wirklich berauschend fand ich die Charakterzeichnung nicht. Caim und Ral sind zu sehr in Stereotypen verhaftet, und Josephines Entwicklung von naiver, verzogener Oberflächlichkeit zur verantwortungsbewussten Führungsperson ging mir etwas zu schnell. Kit war zwar charmant, allerdings erfährt der Leser so wenig über sie, dass es zu echter Tiefe nicht gereicht hat. Bleibt Levictus, aber selbst ihm fehlt trotz seines finsteren Gehabes und seines Rachedurstes das gewisse Etwas. Zwar ist sein Hass auf die Kirche nachvollziehbar, aber nicht nachfühlbar. Vielleicht hätten auch ihm ein paar echte Erinnerungen, wie Caim sie hatte, gutgetan.

Auch die Erzählung holpert etwas. Manche Ungereimtheiten könnte man vielleicht dem jeweiligen Protagonisten anlasten. Zum Beispiel ist Josephine dabei, als Markus, Soldat der Kirche und Verlobter ihrer besten Freundin, den Befehl gibt, Josephine zu töten. Trotzdem wirft sie kurze Zeit später Caim an den Kopf, Markus hätte ihr nie etwas angetan. Eigentlich fragt man sich, ob jemand so dumm überhaupt sein kann, aber gut.

Einiges dagegen ist einfach schlampig formuliert. Caim springt ins Wasser, die Wellen schlagen über ihm zusammen, er erreicht ein Kanalrohr und holt Luft. Nirgendwo steht, dass Caim inzwischen wieder aufgetaucht wäre. Die Worte, dass er seinen tiefen Atemzug bereut, bezog ich daher zunächst darauf, dass Caim wohl Wasser geschluckt haben muss, und wunderte mich, warum er das tut, wo er doch noch unter Wasser ist. Erst im weiteren Verlauf wird klar, dass das Kanalrohr oberhalb der Wasserlinie mündet.

Und wieder anderes war schlicht unlogisch. Josephine verwendet ihren Unterrock als Verbandsstoff, weil der unter dem Nachthemd nahezu trocken geblieben ist. He, das Mädel ist gerade kopfüber vom Steg gerissen, mehrere Meter durchs Wasser geschleppt worden und hat danach noch einige Zeit bewusstlos halb auf dem Trocknen und halb im Wasser gelegen. Den Unterrock möchte ich sehen, der da noch trocken ist! Und überhaupt: Welche Frau trägt einen Unterrock unter ihrem Nachthemd? Um die Sache zu krönen, freut Caim sich, dass ein Pfeil, der zwischen seiner ersten und zweiten Rippe steckt, nicht tiefer eingedrungen ist, denn sonst hätte er womöglich die Nieren verletzt! Ich kenne allerdings niemanden, bei dem die Nieren hinter den Rippen sitzen.

Dabei fand ich die Idee und den eigentlichen Handlungsverlauf gar nicht so schlecht. Die zunehmende Verstrickung Caims in das politische Komplott, seine wachsende Bedrängnis und die immer größeren Schwierigkeiten, in die Josephine gerät, sind im Großen und Ganzen gut gemacht. Der Plot ist sauber aufgebaut, und der Spannungsbogen strafft sich durchaus spürbar im Laufe der Handlung.

Was allerdings eine Menge Flair gekostet hat, waren die vielen losen Fäden. So erfährt der Leser zwar, dass das Komplott noch weit größer und umfangreicher angelegt war, als den Beteiligten bekannt war. Wie groß genau, wird nicht verraten. Ähnlich Kit: sie sagt, Caims Mutter habe sie gerufen, deshalb sei sie bei ihm. Wie und warum Caims Mutter das gemacht hat, sagt sie nicht, auch nicht, woher sie kommt und wer genau sie ist. Und dann die Schatten: Sie scheinen durchaus nichts Einheitliches zu sein. Einerseits helfen sie Caim, unsichtbar zu werden, andererseits wird er mehrmals von ihnen angegriffen. Und die Wesen aus der Schattenwelt, mit denen Levictus in Kontakt tritt, benutzen ihn zwar als Werkzeug, welchen Zweck sie allerdings verfolgen, bleibt im Dunkeln. So wirkt das Buch am Ende abgehackt und unvollständig, selbst für den ersten Band eines Zyklus.

_Insgesamt gesehen hätte_ das Buch durchaus eine Menge Potential gehabt. Ein etwas genaueres Eingehen auf die Charaktere – zum Beispiel Markus‘ Motivation, bei der ganzen Sache mitzumachen – hätte ein wenig über den schablonenhaften Entwurf von Caim und Ral hinweggetröstet. Und durch eine detailliertere Ausarbeitung des historischen Hintergrunds, der immer nur in Bruchstücken erwähnt wurde, hätten manche Entdeckungen Caims weniger bemüht gewirkt. Bei knapp vierhundert Seiten wäre dafür schon noch Platz gewesen.

Vielleicht werden ja wenigstens in der Fortsetzung all die losen Fäden noch weitergeführt und ausgebaut. Ich hoffe nur, dass keine Schnitzer wie die mit dem Pfeil und dem Unterrock mehr passieren. Einem aufmerksamen Lektor sollte so was eigentlich auffallen, auch in den USA. Ein Lob dagegen an Heyne für das fehlerfreie Lektorat und das gelungene Cover.

_Jon Sprunk entdeckte_ seine Passion fürs Schreiben während seines Literaturstudiums. Seither hat er mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht. „Schattenschwert“ ist sein erster Roman.

|Taschenbuch: 395 Seiten
ISBN-13: 978-3453527218
Originaltitel: Shadow’s Son
Deutsch von Ronald Gutberlet|
[www.jonsprunk.com]http://www.jonsprunk.com

de Vigan, Delphine – Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin

Mit [„No und Ich“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5680 hat sich die französische Autorin Delphine de Vigan in die Herzen ihrer Leser geschrieben. Mit „Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin“ will sie an diesen Erfolg anknüpfen.

_Im Mittelpunkt der_ Geschichte steht Mathilde. Nachdem sie früh Witwe geworden ist, zieht sie ihre drei Söhne alleine auf und arbeitet Vollzeit in der Marketingabteilung eines Nahrungsmittelkonzerns. Sie opfert sich auf, macht viele Überstunden und schafft es, die rechte Hand ihres Vorgesetzten Jacques zu werden. Doch ein kleines, unwichtiges Ereignis auf der Arbeit setzt einen Prozess in Gang, an dessen Ende Mathilde beinahe vernichtet wird.

Bei dem Vortrag eines Kunden widerspricht sie ihrem Chef, was dieser persönlich nimmt. Doch statt ein offenes Gespräch mit ihr zu suchen, beginnt er, Mathilde leise und heimlich zuzusetzen. Er lässt ihr Besprechungstermine nicht zukommen, nimmt ihr allmählich ihre Verantwortungsbereiche ab, bis sie letztendlich mehr oder weniger arbeitslos in einem kleinen Büro sitzt und an ihrer Situation verzweifelt.

Zur gleichen Zeit fährt der mobile Hausarzt Thibault durch Paris, versorgt seine Patienten und hängt in Gedanken seiner Geliebten Lila nach, mit der er am Morgen endgültig Schluss gemacht hat. Während er rastlos seinen Gedanken nachhängt, schöpft Mathilde am schlimmsten Tag ihres Lebens nur aus einer Sache Hoffnung: eine Wahrsagerin hat ihr für genau diesen Tag eine besondere Begegnung voraus gesagt …

_“Ich hatte vergessen_, dass ich verwundbar bin“ ist ein minimalistisches, nicht besonders langes Buch, das schnell gelesen ist, dabei aber nie oberflächlich wird. Im Gegenteil ist es unglaublich atmosphärisch und erschafft mit Hilfe einer leicht zu lesenden, sehr lebendigen, beinahe poetischen Sprache einen ganz eigenen Erzählkosmos.

In dessen Mittelpunkt stehen zwei Personen: Mathilde und Thibault. Die Autorin hält dabei lange offen, ob die beiden sich treffen und ob sie überhaupt die besondere Begegnung sind, von der die Wahrsagerin gesprochen hat. Spannung erhält die Geschichte zum Einen aus diesem Handlungsstrang, sie besticht aber auch durch die atmosphärische Schilderung der Leben der Protagonisten sowie ihres Alltags. Begierig folgt man den Figuren in Vergangenheit und Gegenwart, um mehr über sie zu erfahren.

De Vigan schafft es nämlich, ihre Charaktere unglaublich mitreißend zu gestalten. Mathilde und Thibault erzählten beide aus der dritten Person, doch als Leser erhält man einen tiefen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Nach der Lektüre hat man das Gefühl, die beiden tatsächlich kennen gelernt zu haben – und kann sich möglicherweise sogar mit ihnen identifizieren. Während die eine mit Mobbing am Arbeitsplatz zu kämpfen hat, hadert Thibault mit der Liebe. Beide Situationen dürften den einen oder anderen Leser ansprechen. Da de Vigans Figuren keine Übermenschen sind, sondern im Gegenteil sehr alltäglich wirken, fällt es leicht, sich in sie hinein zu versetzen. Thibault und Mathilde wirken auf den ersten Blick zwar nicht unbedingt originell, aber dafür werden sie umso eingehender und intensiver beschrieben und dargestellt.

Dies alles wird durch de Vigans Schreibstil zusammen gehalten, der bereits in „No und ich“ sehr viel zur Qualität beigetragen hat. Einfach und schnörkellos, in einer leicht verständlichen Sprache, gleichzeitig aber auch sehr tiefsinnig und poetisch erzählt die Autorin. Die traurige Grundstimmung passt zu den Protagonisten, es ergibt sich ein rundherum stimmiges Bild.

_“Ich hatte vergessen_, dass ich verwundbar bin“ ist ein würdiger Nachfolger von „No und ich“. Die Handlung hat zwar etwas weniger Substanz und besteht zu einem großen Teil aus Erinnerungen, doch das Gefühl, das beim Lesen aufkommt, die Sprache und die leicht zugänglichen Protagonisten lassen diesen Makel vergessen. De Vigans Roman ist ein kleines belletristisches Kleinod, das zum Nachdenken anregt und den Leser lange nicht loslässt.

|Gebunden: 251 Seiten
Originaltitel: |Les heures souterraines|
Deutsch von Doris Heinemann
ISBN-13: 978-3426198865|
http://www.droemer.de

Perplies, Bernd – Für die Krone (Magierdämmerung 1)

_Die |Magierdämmerung|-Reihe:_

01 _“Für die Krone“_
02 „Gegen die Zeit“ (Februar 2011)
03 – nur angekündigt –

Weit draußen im Meer, am mittelatlantischen Rücken, ist ein Tauchboot unterwegs. Es ist auf der Suche nach dem versunkenen Atlantis. Der „Professor“, der das Unterseeboot quasi gemietet hat, verfolgt allerdings ein gänzlich anderes Ziel als nur profane Forschung. Er sucht nach etwas, das die gesamte Welt verändern wird … und wird fündig!

Der junge Journalist Jonathan Kentham dagegen hat vorerst ganz andere Probleme. Er zerbricht sich gerade den Kopf darüber, ob er den mächtigen Abgeordneten Holbrook wohl irgendwie davon überzeugen kann, dass er, Jonathan, ein passender Schwiegersohn wäre. Bis er auf dem Heimweg vom Theater das Opfer eines Mordanschlages „findet“. Plötzlich ist er neuer Besitzer eines silbernen Ringes … und damit mächtiger Magie!

Zur gleichen Zeit sieht sich ein junges Mädchen namens Kendra durch eine Verkettung ungünstiger Umstände gezwungen, ihr bisheriges Zuhause in den schottischen Highlands zu verlassen. In Begleitung ihres Großvaters macht sie sich auf den Weg nach London. Doch schon bald stellt sich die Reise als äußerst schwierig heraus.

_Der Akteure gibt es viele:_

Da wäre zunächst einmal Jonathan zu nennen, grundanständig, ein wenig schüchtern und nahezu frei von Abenteuerlust. Aber neugierig ist er, wenn auch nicht gerade mit übermäßigem, detektivischem Spürsinn gesegnet. Und nachdem er erst einmal in diese Sache hineingestolpert ist, stellt er sich auch als durchaus mutig heraus.

Kendra ist ein burschikoser Wildfang, der seine Zeit am liebsten damit verbringt, durch die Wildnis zu schweifen, was im Hinblick auf die restliche Dorfbevölkerung nicht allzu verwunderlich ist. Der einzige Mensch, mit dem sie etwas verbindet, ist ihr Großvater, doch der mag sie offenbar nicht. Aber Kendra ist auch ein Dickkopf, was bedeutet, dass sie sich von dem brummigen Alten nicht einfach abweisen läßt.

Der alte Giles wiederum ist weit mehr als nur brummig. Er ist gewitzt, zäh und vor allem stark. Und er scheint eine ganze Menge mehr zu wissen als die meisten anderen.

Der schillerndste Charakter aber ist ein Magier. Ein lebhafter Mann von sprühender Intelligenz mit einer ausgeprägten poetischen Ader, allerdings dem Alkohol und den Drogen ein wenig zu sehr zugeneigt, launisch, überspannt, exzentrisch. Das Einzige, was bisher fehlt, sind die Depressionen. Vielleicht kommen die noch. Sein Name ist Holmes. Jupiter Holmes.

Der Bösewicht der Geschichte wirkt dagegen ein wenig blssß. Der distinguierte, elegante ältere Herr namens Wellington ist Lordmagier des Ordens des silbernen Kreises und seit Langem erbitterter Gegner des Ersten Lordmagiers Dunholm. Wellington ist mit der Rolle der Magier in der Welt nicht zufrieden. Und auch nicht mit ihrem magischen Potential. Ob er allerdings die Gründe, die er für sein Vorgehen nennt, tatsächlich selber glaubt, ist eher zweifelhaft. Der Mann will einfach so viel Macht, wie er nur irgend bekommen kann.

Einen unerwarteten Hauch von Farbe erhält die Seite der Antagonisten durch einen Killer, den alle nur „Franzose“ nennen. Das Einzige, was für den nahezu gesichtslosen, weil ziemlich vermummten Magier zählt, ist die Erledigung seines Auftrages. Mehr erfährt der Leser nicht über diesen Mann, sodass die Gegner zumindest ein Geheimnis zu bieten haben.

Alles in allem fand ich die Charakterzeichnung abwechslungsreich und ziemlich gelungen. Abgesehen von Wellington, der gern noch ein wenig mehr Charisma entwickeln darf, als er bisher zeigte, waren alle Personen, auch die Nebenfiguren, sehr lebendig geraten. Vor allem Jonathan ist in seiner zutiefst britischen Art sehr gut getroffen, und der alte Giles dürfte noch für eine Menge Überraschungen gut sein. Am besten aber gefiel mir Holmes.

Der Grund dafür liegt nicht allein in der literarischen Vorlage. Die Art und Weise, in der Bernd Perplies Doyles berühmte Figur für sein eigenes Buch sozusagen entliehen hat, kommt mit einem gewissen Augenzwinkern daher, so zum Beispiel in der Erklärung, wo Holmes stets so überraschend all die Informationen über Leute herhat, denen er nie zuvor begegnet ist. Und wenn Holmes selbst erklärt, dass er keineswegs dem berühmtesten Detektiv der Weltliteratur nacheifere, sondern im Gegenteil für die besagte Figur Pate gestanden habe, und gleichzeitig zugesteht, dass sein alter Freund Doyle ihn tatsächlich sehr gut getroffen habe, dann zeugt das von so viel charmanter Dreistigkeit, dass man dem Autor einfach nicht böse sein kann. Zumal Perplies‘ Holmes letztlich vor allem eines ist: eine Hommage an den Erfinder des Meisterdetektivs, Sir Arthur Conan Doyle. Gleiches gilt auch für die |Nautilus|.

Im Übrigen finden sich über das Buch verteilt immer wieder kleine Anspielungen auf andere Werke, zum Beispiel die „Schatzinsel“ oder Poes „The Raven“. Perplies spielt ganz offen mit diesen kleinen literarischen Details, da er sie aber großteils als Bestandteil seiner Geschichte einbaut, verleiht er ihnen damit gewissermaßen Realität und seinem Buch dadurch eine gewisse Note.

Aber auch ohne diese Würze der besonderen Art ist dem Autor die Darstellung seines Hintergrundes hervorragend gelungen. Frei von epischer Weitschweifigkeit, beinahe nebenbei, hat er das Leben in London kurz vor der Jahrhundertwende ausgesprochen treffend skizziert: Theaterbesuche, der Empfang des französischen Botschafters, Spaziergänge auf der Promenade, die Mischung aus Kutschen und frühen Automobilen gehören ebenso dazu wie dunkle Gassen, Schlachthöfe, Kneipen und Schlupflöcher von Verbrechern in verrufenen Vierteln.

Selbst den phantastischen Aspekt hat er passenderweise in einer Geheimloge angesiedelt. Die Magie wird als leuchtende Fäden beschrieben, die alles – je nach Lebenskraft unterschiedlich stark – miteinander verbinden. Man kann sie bündeln, umlenken, voneinander lösen oder miteinander verknüpfen, je nach Bedarf. Eine recht praktische und leicht nachvollziehbare Art und Weise, Dinge ohne sichtbare Beeinflussung zu bewerkstelligen, und wunderbar geeignet für alle möglichen Arten von magischen Duellen.

Dieser Umstand wird auch ausgiebig genutzt. Gleich dreimal, den Showdown nicht eingerechnet, kommt es im Laufe der Handlung zu magischen Handgreiflichkeiten. Und wenn gerade mal nicht gekämpft wird, wird Detektivarbeit geleistet. Beide Aspekte sind nahtlos und fließend miteinander verbunden, und im Falle der Detektivarbeit auch höchst vergnüglich erzählt. Details über das Wesen der Magie und ihre Auswirkungen finden sich in den Gesprächen zwischen Kendra und ihrem Großvater sowie in dem dünnen Handlungsfaden, der im Prolog seinen Ausgang nimmt und dann erst zum Showdown wieder an Bedeutung gewinnt. Im Gegensatz zu diesem feinen Nebenstrang sind die Ereignisse um Kendra ebenfalls mit den Ereignissen in London verknüpft, und auch hier sind die Nahtstellen sauber und glatt gestaltet.

So wirkt die Handlung insgesamt abwechslungsreich und lebhaft, sie ist frei von Längen, Durchhängern oder logischen Brüchen. Gegen Ende nimmt das Erzähltempo noch zusätzlich Fahrt auf, auch der Spannungsbogen wird an dieser Stelle spürbar straffer. Der Showdown schließlich würfelt die Personenkonstellation einmal gehörig durcheinander und schafft eine interessante neue Ausgangssituation für den nächsten Band.

_Um es endlich auf den Punkt zu bringen:_

Dieses Buch war durchweg ein gelungener Wurf. Die Charaktere sind glaubhaft und fast ausnahmslos jenseits des Klischees, die Beschreibung des Hintergrundes lebendig und facettenreich, die Handlung eine spritzige Mischung aus Krimi und Fantasy. Das Ganze gewürzt mit einer Prise Weltliteratur sowie einem Schuss Ironie, und fertig ist der unterhaltsame Lesegenuss. Da stört es auch nicht, dass Jonathan und seine Begleiter auf dem Weg vom Drury Lane Theater zum Trafalgar Square einmal in die falsche Richtung abgebogen sind. Das konnte ich, die ich noch nie in London war, überhaupt nur anhand der sehr gut lesbaren Karte im hinteren Buchdeckel feststellen.

Bernd Perplies studierte Germanistik und Filmwissenschaften und arbeitet seither als Redakteur für filmportal.de sowie als Übersetzer. Bereits mit seiner |Tarean|-Trilogie hatte er großen Erfolg. Die Fortsetzung zu seinem neuen Zyklus |Magierdämmerung| unter dem Titel „Gegen die Zeit“ soll im Februar nächsten Jahres erscheinen.

|Taschenbuch: 439 Seiten
ISBN-13: 978-3802582646|
[www.bernd-perplies.de]http://www.bernd-perplies.de

_Bernd Perplies bei |Buchwurm.info|:_
[„Tarean – Sohn des Fluchbringers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=5678 (Tarean Band 1)

Hammer, Agnes – Dorfbeben

Wegen seines überempfindlichen Gehörs lebt der neunzehnjährige Mattes nicht mehr in der Großstadt Köln, sondern bei seiner Oma und seiner jungen unkonventionellen Tante Lena auf dem Dorf. Nach einem Klinikaufenthalt findet er hier im ländlichen Auroth die nötige Ruhe. Nebenbei spielt er in seiner Band Keyboard, schwärmt für die Bassistin Vane, schreibt melancholische Lieder und verdient sich etwas Geld beim Orgel spielen.

In diesem dörflichen Alltag geschieht plötzlich ein Mord. Mitten auf dem Gemeindeausflug wird während einer Chorprobe Mattes Nachbar, der angesehene Jakob Bähner, erstochen aufgefunden. Verdächtigt wird zunächst der jähzornige Busfahrer Bruno, der Jakob gefunden hat, aber ein klares Motiv gibt es nicht; die Ermittlungen laufen schleppend an, denn die Dorfbewohner verschließen sich gegenüber der Polizei.

Wenig später entdeckt Mattes auf dem Probenmitschnitt Stimmen, die auf den Mörder hinzuweisen scheinen. Zusammen mit der ebenfalls hörbegabten Lena, die bereits als forensische Sprachanalytikerin für die Polizei arbeitete, kommt er der Aufklärung immer näher. Die beiden stoßen auf jahrzehntealte Geheimnisse hinter der Dorfidylle und geraten bei ihren Nachforschungen in Lebensgefahr …

_Ein Mord in der biederen Dorfidylle_ und dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart ihre Schatten werfen, sind althergebrachte Zutaten für einen Krimi. Dass sich Agnes Hammers „Dorfbeben“ trotz dieses konventionellen Settings als mehr als souveräner Kriminalroman erweist, liegt vor allem den originellen Protagonisten, allen voran das Gespann Mattes und Lena.

Mattes ist ein ungewöhnlicher Neunzehnjähriger, der nach seinem Zusammenbruch Ruhe braucht und dem sein übersensibles Gehör ständig Streiche spielt. Seit ein paar Jahren lebt er auf dem Dorf, ohne rechte Zukunftsperspektive, verdient sich ein Taschengeld mit der Musik und fühlt sich meist als Versager. Die nur wenige Jahre ältere Lena bildet eine gelungene Ergänzung: Ihren Job bei der Polizei verlor sie, nachdem sich herausstellte, dass ihre Analysen fast ausschließlich auf ihrem Gehör statt auf nachweisbarem Computermaterial beruhten. Während ihre Mutter sich um ihre Zukunft sorgt, präsentiert sich Lena als unbekümmerte, spontane junge Frau, die gerne unkonventionelle Wege einschlägt. Trotz ihrer gegensätzlichen Art verstehen sich Mattes und Lena wunderbar, nicht nur das akustische Talent eint sie. Auf unterschiedliche Arten sind sie beide Außenseiter, misstrauisch beäugt von manchen, ruhelos mit einem ungeraden Lebensweg. Andere wichtige Personen in Mattes‘ Umfeld sind vor allem die ruhige Bassistin Vane, für die er insgeheim alle Liebeslieder schreibt und der gutmütige Priester Achim, dem er sein Wissen über Musik verdankt. Die weiteren Dorfbewohner sind eine reizvolle Mischung aus verschrobenen und eigenbrötlerischen Charakteren – der trunksüchtige Bruno, die Klatschtanten Elli und Martha, die gouvernantenhafte Irmgard. Die Autorin zeichnet ein in vielen Szenen amüsantes Bild von der Dorfgemeinschaft, das nach dem Mord auch bedrohliche Züge einer verschlossenen Gemeinschaft erhält.

Sind die Dorfbewohner anfangs noch vor allem liebenswert und amüsant, kristallisiert sich bald heraus, dass einer für einen Mord verantwortlich sein muss. Die Polizei stößt auf Schweigen, ausgerechnet der jähzornige Bruno, den man sich am ehesten als Täter vorstellen kann, scheint unschuldig zu sein. Sowohl Mattes als auch Lena fühlen sich gedrängt, zur Aufklärung beizutragen. Der Mitschnitt der Chorprobe zur Zeit des Mordes enthüllt Wortfetzen, die möglicherweise einen Schlüssel zu den Hintergründen bieten. Es ist nur ein Strohhalm, an den sich Mattes und Lena klammern, doch sie verfolgen ihre Spur beharrlich weiter. Drohbriefe und eine tote Katze lassen sie nicht davon abbringen, sondern ermutigen sie nur in ihren Nachforschungen. Sie stoßen dabei auf gut gehütete Geheimnisse, auf einen mysteriösen Todesfall und eine Vergangenheit mancher Dorfbewohner, die bis ins Dritte Reich und die Zeit der Konzentrationslager zurückführt. Der Leser erhält zusätzlichen Aufschluss durch kurze Rückblenden, die schlaglichtartig einzelne Szenen aus der Vergangenheit erhellen. Was anfangs noch zusammenhanglos zu Gegenwart wirkt, ergibt allmählich einen immer deutlicheren Sinn.

Zu kritisieren gibt es an diesem Roman wenig; die Bezeichnung „Thriller“ auf dem Cover lässt vielleicht andere Erwartungen zu: Über weite Strecken bewegt sich die Handlung in gemächlichen Gefilden, erst gegen Schluss überstürzten sich die Ereignisse und hält thrillertypische Dramatik Einzug. Es dominieren vorwiegend die leisen Töne, wer sich ständig neue Wendungen erhofft, wird unter Umständen enttäuscht. Das Ende kommt vielleicht ein bisschen zu kurz und an manche Informationen gerät Mattes ein bisschen zu zufällig, aber insgesamt gibt es kaum nennenswerte Kritikpunkte.

_Als Fazit_ bleibt ein leiser Dorfthriller mit interessanten Hauptfiguren, der durchweg gut unterhält und sich leicht lesen lässt. Die Atmosphäre wird gut eingefangen und wer ruhige Romane schätzt, ist bei kaum nennenswerten Kritikpunkten mit diesem Werk gut beraten.

_Die Autorin_ Agnes Hammer, Jahrgang 1970, wuchs im Westerwald auf und studierte anschließend Germanistik und Philosophie. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin arbeitete sie in einer Einrichtung für sozial benachteiligte Jugendliche. Weitere Werke sind „Herz, klopf“ und „Bewegliche Ziele“.

|Taschenbuch: 277 Seiten
ISBN-13: 978-3839001196|
[www.script5.de]http://www.script5.de

Fink, Torsten – Renegat (Der Sohn des Sehers 3)

_Die „Der Sohn des Sehers“-Trilogie:_

Band 1: [„Nomade“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6314
Band 2: [„Lichtträger“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6496
Band 3: _“Renegat“_

Dank Merege ist die Gefahr durch die zornige Wüstengöttin Xlifara Slahan gebannt. Doch Mereges Seele hat ihren Körper verlassen, ohne zurückzukehren, und dann hat Eri auch noch den Heolin gestohlen. Bald darauf erfährt Awin, dass er sich zum Tiudhan, zum obersten Oberhaupt über alle Hakul hat erheben lassen. Doch erst Isparra, die plötzlich vor den Toren Pursus auftaucht, öffnet Awin die Augen über Eris wahre Absichten …

_Awin entwickelt sich_ allmählich zu einer echten Führernatur. Er kann sich durchsetzen und hat gelernt, andere zu überzeugen. Seine Art, in anderen zunächst immer das Gute zu sehen, hat sich dadurch aber nicht verändert, und sein Bemühen um Verständigung und friedliche Einigung ist die Voraussetzung dafür, dass er auf seinem Weg überhaupt vom Fleck kommt.

Der wesentlich interessantere Charakter war diesmal Isparra. Wie schon bei seiner Figur des Tasil in der Trilogie |Tochter des Magiers| ist Torsten Fink auch bei der Windskrole konsequent geblieben. Isparra hilft Awin gelegentlich, wenn sie keine andere Wahl hat, weil sie ihrerseits auf ihn angewiesen ist, aber sie macht keinen Finger mehr krumm als unbedingt nötig, und gelegentlich nutzt sie ihn auch gehörig aus. Ihr Hochmut scheint trotz ihres Machtverlusts kein bisschen gelitten zu haben.

Die übrigen Charaktere weisen keine weitere Entwicklung auf, und die neuen Charaktere kommen nicht über Randfiguren hinaus. Selbst die Darstellung Mahuks, der in diesem Band doch recht wichtig geworden ist, wurde nicht wirklich vertieft. Eine echte Steigerung im Vergleich zum Vorgängerband kann man der Charakterzeichnung daher nicht bescheinigen.

Dasselbe gilt für den Hintergrund. Auch hier hat sich der Autor nicht die Mühe gemacht, noch ein wenig mehr ins Detail zu gehen. Zugegeben, die Handlung ließ dafür nicht allzu viel Raum. Sie mutet ein wenig wie ein Hindernisrennen an. Awin muss Eri zumindest ein-, besser noch überholen, um dessen Absichten zu vereiteln. Doch trotz aller Anstrengungen, die Awins Gruppe unternimmt, hat Eri stets die Nase ein Stück vorn. Dazu kommt, dass Awin ständig irgendwelche Hindernisse überwinden muss, sei es nun ungünstiges Gelände, feindliche Bewohner der Gegend oder höhere Mächte. Einige dieser Hindernisse nimmt Awin erstaunlich leicht, andere nicht ganz so leicht.

Die verschiedenen Schwierigkeiten sind durchaus abwechslungsreich dargestellt, dennoch kommt so etwas wie Spannung nicht so recht auf. Irgendwie zog der Trick mit dem Zeitdruck hier nicht richtig, vielleicht, weil von vornherein klar war, dass Awin Eri einholen muss, damit es überhaupt zum Endkampf kommen kann. Aber selbst gegen Ende, als sich die Lage auf den Showdown zuspitzte, empfand ich eher Ungeduld denn Anspannung. Möglicherweise lag es daran, dass durch Awins Sehergabe schon einige Details des Showdowns vorweggenommen waren; oder auch daran, dass der Oberste der Wächter vor Hochmut so verblendet war, dass es schon unglaubwürdig wirkte. Jedenfalls zog sich die Aufstellung für den Endkampf ein wenig zäh dahin. Das Endergebnis war dann letztlich wenig überraschend.

So war der dritte Band zwar abwechslungsreich, kam gleichzeitig aber nicht so recht in Gang. Zu viele Episoden wirkten lose und ohne echte Auswirkung auf den Handlungsverlauf, so zum Beispiel Awins Besuch beim Orakel der weißen Stuten. Es fehlte der innere Zusammenhang, der dem Geschehen Dynamik verliehen hätte. Stattdessen hakt Awin ein Problem nach dem anderen ab wie Perlen auf einer Schnur. Am Schluss blieben dann sogar Details offen, wie zum Beispiel Awins Verfolgung durch Uqib. Die Trilogie ist zu Ende, wirkt aber dennoch nicht wirklich in sich abgeschlossen. Bei der |Tochter des Magiers| ging es mir ähnlich, allerdings nicht in so starkem Maße wie jetzt beim |Sohn des Sehers|. Und entgegen meiner Hoffnung tauchte Maru in diesem Zyklus nicht mehr auf.

_Bleibt zu sagen_, dass die Trilogie mit vielen Ideen aufwarten konnte, die Ausarbeitung aber eher bescheiden ausfiel. Den Spannungsbogen spürbar zu straffen, ist nicht immer gelungen. Da die Gewichtung zulasten von Charakteren und Hintergrund so stark auf der Handlung liegt, ist das ein echtes Manko. Fazit: nette Unterhaltung, aber nichts, was man unbedingt gelesen haben muss.

Torsten Fink war Journalist und Texter, unter anderem für literarisches Kabarett, ehe er 2008 sein erstes Buch „Die Insel der Dämonen“ veröffentlichte. |Die Tochter des Magiers| war sein erster Mehrteiler, an den |Der Sohn des Sehers| anknüpft.

|Taschenbuch: 574 Seiten
ISBN-13: 978-3442266937|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet

_Torsten Fink bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Diebin“ (Die Tochter des Magiers 1) 5775
[„Die Gefährtin“ (Die Tochter des Magiers 2) 5950
[„Die Erwählte“ (Die Tochter des Magiers 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5951

von Michalewsky, Nikolai (als Mark Brandis) – Mark Brandis: Vorstoß zum Uranus (Weltraumpartisanen – Band 5)

_Mark Brandis:_

Band 1: [Bordbuch Delta VII]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6535
Band 2: [Verrat auf der Venus]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6539
Band 3: [Unternehmen Delphin]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6536
Band 4: [Aufstand der Roboter]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6618

Band 5: _Vorstoß zum Uranus_

Als der Herder-Verlag Anfang der Siebziger eine kleine Jugend-SciFi-Reihe von drei bis vier Bänden bei Nikolai von Michalewsky (1931 – 2000) in Auftrag gab, war der Erfolg keineswegs absehbar. Dieser brachte unter seinem Pseudonym „Mark Brandis“ bis 1987 insgesamt 31 Bände der Weltraum-Abenteuerserie mit dem gleichnamigen Helden unters begeisterte Volk. Lange Zeit war es danach still um die deutsche Kult-Serie geworden. |Bertelsmann| machte sich zwischenzeitlich zwar immer wieder an einen Aufguss mit Doppelbänden, welche teils über den hauseigenen Buchclub vertrieben wurden, stellte die Versuche aber im Jahr 2000 endgültig ein. 2008 nahm sich der |Wurdack|-Verlag des Kleinods mit dem gebührenden Ernst an und präsentiert seither jedes Quartal je zwei Bände als broschierte Sammlerausgabe mit frischer Aufmachung.

_Zur Story_

Normalität ist seit der Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit in der EAAU (Europa-Amerika-Afrika-Union) halbwegs wieder eingekehrt. John Harris hat nach dem unsäglichen, durch den texanischen General Smith angezettelten Bürgerkrieg (vgl. Band 1 – 4) sein Amt als Interimspräsident niedergelegt und die Leitung der Venus-Erde Gesellschaft für Astronautik (VEGA) übernommen. Die VEGA ist nun endlich wieder eine zivile Institution und kümmert sich um ihr Kerngeschäft: Die Erprobung neuer Raumschiffe und die gleichzeitige Erforschung des Weltraums. Die „Delta VII“, welche unter Commander Mark Brandis im Partisanenkampf gegen den Diktator Smith eine entscheidende Rolle spielte, ist inzwischen außer Dienst gestellt. Längst wurde diese Baureihe zur Delta IX weiter entwickelt – und genau da drückt der Schuh.

Brandis kommandiert derweil den neuesten Prototyp der EAAU: Die „Hermes“. Das erste Schiff mit revolutionärem Protonenantrieb, welcher Geschwindigkeiten im prozentualen Bereich der Lichtgeschwindigkeit ermöglicht. Seine mittlerweile erweiterte Crew und er werden ausgesandt, um die auf dem weit entfernten Uranus gestrandete „Delta IX“ unter Commander Scott entweder zu reparieren oder zu vernichten, damit dieser Technologieträger den VOR (den Vereinigten Orientalischen Republiken) nicht in die Hände fällt – diese haben Geheimdienstberichten zu Folge nämlich bereits Wind von der Havarie bekommen und ein kampfstarkes Schiff in Marsch gesetzt. Der Funkkontakt zur Delta IX ist zu allem Übel abgebrochen. Die „Hermes“ ist noch nicht vollkommen erprobt. Zudem ist ein bislang ungeklärtes Problem mit einer Art spontanen Teleportation gegeben.

Dennoch ist die „Hermes“ der einzige Raumer, welcher den Uranus rechtzeitig erreichen kann. Zumal, wenn der Commander Brandis heißt. Scott hingegen ist ein richtiger Kotzbrocken und ehemaliger Rivale um die Gunst seiner Verlobten. Die beiden können sich dementsprechend nicht sonderlich riechen, was seine Begeisterung für diese „freiwillige“, nicht ganz ungefährliche Rettungsmission in überschaubaren Grenzen hält. Der Uranus ist bisher unerforschtes und unwirtliches Neuland, für die meisten konventionellen Schiffe sogar unerreichbar. Commander Scott und seine Crew haben dies nach ihrer Bruchlandung schmerzlich erfahren müssen. Zwei Besatzungsmitglieder versuchen unter Einsatz ihres Lebens die Funkverbindung zur Heimat wieder herzustellen, während an Bord ein lebenserhaltenes Aggregat nach dem anderen den Geist aufgibt.

_Eindrücke_

Nach dem Partisanenkrieg der ersten vier Bände ist Band 5 ein geradezu klassischer Fall eines SAR-Kommandos. Natürlich gibt es als zusätzliches Bonbon einen Wettlauf mit der Zeit – genau genommen sogar mehrere, um die Spannung für den Leser aufrecht zu halten. Außerdem erfüllt die Geschichte die Aufgabe, die runderneuerte und personell aufgestockte Crew um Commander Brandis vorzustellen und einzuführen, welche ihn zum Teil auch die nächsten Bände hindurch auf seinen Flügen in unterschiedlichen Raumschiffen treu zur Seite stehen und begleiten wird. Lediglich Navigator Iwan Stroganow ist von der alten Garnitur noch übrig. Wie üblich ist auch diese Mannschaft wieder bunt zusammen gewürfelt, was die ethnische Herkunft bzw. Nationalität angeht und somit beinahe unweigerlich zu kleinen Reibereien an Bord führt.

Wenn es also – wie bei Brandis/Michalewsky eigentlich üblich – eine sozialkritische Komponente in der Geschichte gibt, so sind es hier sicher Rassenkonflikte und Altruismus. Der neue Bordingenieur Xuma ist ein schwarzer Südafrikaner, der Pilot van Kerk gehört zum weißen Teil der Bevölkerung aus der gleichen Gegend. Er betrachtet und bezeichnet den Farbigen als minderwertigen Nigger. Doch auch der darob höchst empörte Commander Brandis hat indes Grund, sich an die eigene Nase zu fassen und seine eigenen Vorurteile abzubauen: Die zur Unterstützung mitreisende Astrophysikerin stört, entgegen seiner Befürchtungen, das Bordleben überhaupt nicht – auch wenn eine chauvinistische Raumfahrer-Grundregel besagt, dass Frauen an Bord stets Ärger bringen.

Man sieht schon, dass es in dieser Search-and-Rescue-Mission zwar turbolent aber doch etwas gemächlicher zugeht als in den voran gegangenen vier Bänden. Die Serie gönnt ihrem Publikum eine kurze Verschnaufpause und gibt ihm die Möglichkeit, die Figuren sacken zu lassen, technische Neuerungen zu verdauen und die VOR wieder ein Stück mehr zu entdämonisieren. Gleichzeitig wird Brandis Dank seiner urdeutschen Tugenden wie Disziplin und Pflichtbewusstsein um eine weitere Stufe erhöht, gerade im Vergleich zum selbstherrlichen Ekelpaket Scott. Brandis ist der Geschichte nach – ebenso wie sein geistiger Vater und Über-Ich Nikolai von Michalewsky – nämlich in der Mark Brandenburg geboren, was unter Anderem zur Namensgebung der Figur führte, die durchaus nicht wenige autobiographische Züge aufweist.

Er ist in seinem bewegten Leben einer Menge zum Teil recht ungewöhnlicher Tätigkeiten nachgegangen, diese immense Lebenserfahrung liest man deutlich heraus. Allerdings – und das hat er von sich selbst behauptet – sah er sich nie als „richtiger“ SciFi-Autor. Diesen Umstand merkt man leider oft. Die angebotene Erklärung für die sporadischen Teleportationen der „Hermes“ passt physikalisch entweder auf ein Schwarzes oder besser noch auf ein Wurmloch, jedoch nicht auf einen Pulsar. Wenig Science, viel Fiction also. Haarspalterei? Vielleicht. Auf jeden Fall ein Zeichen für mangelnde Recherche, eventuell weil in der (Jugend-)SciFi damals ja fast alles möglich schien. Auch, dass die beiden Crewmitglieder einen Rucksack mit Verpflegung auf den atmosphärenlosen Uranus mitnehmen – wie sollen sie diese zu sich nehmen, ohne die Raumanzüge zu öffnen?

Solche nicht immer ganz fertig durchdachten Elemente würde man anderen Serien sicherlich in Bausch und Bogen ankreiden oder umständlich hochtechnisiert zu erklären versuchen. Bei Perry Rhodan, Star Trek und Co. wären solche Nachlässigkeiten nahezu undenkbar. Zudem darf man nicht vergessen, dass etwa bei Rhodan (welcher ja um die gleiche Zeit herum entstand – sogar sieben Jahre früher) sich unter Anderem (Atom-)Physiker als Autoren tummelten. Deren Anspruch an ein wissenschaftlich wasserdichtes und plausibles Setup ist sicher ein anderer, doch bei Mark Brandis tritt der ganze Technik-Kladderadatsch sowieso eher in den Hintergrund und ist nur futuristische Kulisse. Es ist die Geschichte, welche hier zählt – alles andere hat sich ihr unter zu ordnen. Und tatsächlich überliest man solche kleineren Stolpersteine in der Logik irgendwann ebenso, wie die häufig in der Serie verwendeten Standardphrasen von Michalewsky.

_Fazit_

Der „Vorstoß zum Uranus“ ist nach den turbulenten politischen Ereignissen der ersten vier Bände eine kleine Erholungsphase für die Leserschaft – und auch ein Neustart. Nämlich: neues Schiff, (teils) neue Crew und neue Rahmenbedingungen. Das Tempo ist dennoch flott, die Geschichte mit der Rettungsmission an sich jedoch nichts weltbewegend Neues. Trotzdem wird auch hier wieder an einigen Stellschrauben für den späteren Serienverlauf gedreht. Und das betrifft nicht nur die neu zusammen gesetzte Mannschaft, sondern beispielsweise auch den Umgang mit den VOR. Alles in Allem ein kurzweiliges Brandis-Abenteuer, welches erstmals auch für Quereinsteiger geeignet ist.

|ISBN: 978-3-938065-50-1
190 Seiten, Broschur|

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Allende, Isabel – Insel unter dem Meer, Die

_Isabel Allende ist Spezialistin_ für Romane über starke Frauen. Da kommt es auch vor, dass ihre starken Frauen dermaßen unabhängig, freiheitsliebend und übergroß sind, dass der Leser sie für überzeichnet halten könnte, wüsste er nicht, dass Allende selbst diese unglaubliche Stärke und den unbändigen Lebenswillen mit ihrer eigenen Vita immer und immer wieder bewiesen hat. Dass sie, durchaus vom Leben gebeutelt, letztendlich doch immer das Positive in einem Schicksalsschlag sehen kann und nach vorne schaut, ist beeindruckend. Dass sie diese lebensbejahende Stärke mit immer wieder neuen Melodien in ihren Romanen besingt, ist keineswegs langweilige Wiederholung. Es ist Beweis dafür, dass hier eine Autorin ihr Thema gefunden hat – ein Thema, das sich immer wieder auf neue und überraschende Weise interpretieren lässt.

In Isabel Allendes neuem Roman, „Die Insel unter dem Meer“ (ein Euphemismus für das Jenseits), heißt diese starke Frau Zarité. Gleich im ersten Kapitel lernen wir sie als gestandene Frau mittleren Alters kennen, die geliebt und gelitten hat, und uns wird ihre Geschichte versprochen. Doch dann geht es eine ganze Weile erst mal gar nicht um Zarité, denn Isabel Allende hat sich mit „Die Insel unter dem Meer“ ein groß angelegtes Panorama vorgenommen, einen Historienroman allererster Güte.

Die Bühne bietet Saint-Domingue, Ende des 18. Jahrhunderts. Saint-Domingue, das heutige Haiti, war damals französische Kolonie und Exporteur von Zucker. Die zahlreichen Zuckerplantagen, von französischen Kolonialisten geführt, wurden von zahllosen Sklaven bewirtschaftet, die so schlecht behandelt wurden, dass sie in der Regel nach einigen Monaten „verschlissen“ waren und ersetzt werden mussten. In dieses Land, das irgendwo zwischen französischer Hochkultur und gesetzloser Barbarei schwankt, verschlägt es den jungen Toulouse Valmorain. Dessen Vater führte bisher die familieneigene Zuckerplantage, damit die Familie in Frankreich gut leben konnte. Doch nun liegt er im Sterben und Valmorain muss notgedrungen das Zepter übernehmen. Schnell stellt er fest, dass seine aufgeklärten Ansichten, von den aktuellen französischen Philosophen beeinflusst, ihm hier kaum weiterhelfen. Und so akzeptiert er bald ohne jede geistige Gegenwehr die Sklaverei als gottgegeben und unausweichlich, überlässt jedoch die wirklich brutalen Züchtigungen seinem Aufseher und beruhigt sich damit, dass Neger ohnehin weniger Schmerzempfinden haben als Weiße.

Als er auf Kuba seine Frau Eugenia kennenlernt und diese schließlich mit auf die Plantage bringt, kauft er für sie die neunjährige Zarité, damit diese der Herrin zur Hand geht. Bald stellt sich heraus, dass Eugenias Psyche der neuen Umgebung nicht standhält und so sorgt sich Zarité nicht nur um den Haushalt und um den neugeborenen Stammhalter Maurice, sondern auch um Eugenia, die immer mehr dem Wahnsinn verfällt und schließlich stirbt. Währenddessen befiehlt Valmorain Zarité des nächtens in sein Bett, vergewaltigt sie wiederholt und zeugt mit ihr zwei Kinder. Es sind die Kinder, ihre eigenen und auch Maurice, die sie von nun an an Valmorain binden. Selbst als sie die Möglichkeit zur Flucht hat, bleibt sie. Und als der Sklavenaufstand Valmorains Plantage zu überrennen droht, rettet sie ihn – wieder um der Kinder willen. Es verschlägt die beiden nach New Orleans, wo Zarité schließlich ihre Freiheit erzwingt und Valmorain ein zweites Mal heiratet.

_“Die Insel unter dem Meer“_ ist einer dieser historischen Romanen, in denen man sich wunderbar verlieren kann. Das Setting ist exotisch und schon darum ist man fasziniert von all den unbekannten Farben, Lauten, Landschaften und Menschen, die Isabel Allende im Verlauf des Romans zu einem riesigen Wandgemälde fügt. Selbst, als die Handlung nach New Orleans wechselt und die Charaktere die grüne, ungebändigte Hölle des Dschungels gegen die anspruchsvolle und vergnügungssüchtige kreolische Gesellschaft eintauschen, bleibt der Roman voller Sinneseindrücke. Tatsächlich gelingt ihr die Beschreibung New Orleans‘ besser als die der haitischen Plantagen, denn Isabel Allende ist eine Frau der Genüsse und derer bieten sich in dieser großstädtischen Gesellschaft einfach mehr: Da wird geschlemmt und geliebt, gestorben und duelliert, dass es eine Freude ist.

Schade daran ist einzig, dass die Protagonistin des Romans einer der uninteressantesten Charaktere ist. Auch Isabel Allendes Versuch, Zarité durch einzelne, in Ich-Form erzählte Kapitel, erfahrbarer zu machen, scheitert auf ganzer Linie. So unterbricht sie den Fluss der Handlung immer wieder, um Zarité selbst ihre Sicht der Dinge erzählen zu lassen. Doch diese Passagen bleiben blass und wirken seltsam fern. Stattdessen hat man den Eindruck, Zarité wäre der roten Faden, der alle anderen Charaktere dieses Romans verbindet. Und derer gibt es viele. Da wäre natürlich zunächst Valmorain zu nennen, dessen Ansichten über die Sklaverei im Allgemeinen und den Neger im Besonderen große Teile der Erzählung einnehmen. Die Widersprüchlichkeiten in seiner Argumentation sind dabei ein Reiz der Figur. Dass Freiheit offensichtlich ein Gut ist, dass für sich selbst Wert hat, will ihm nicht in den Kopf. Schließlich hat Zarité doch bei ihm alles, was sie braucht. Er sorgt gut für sie, meint er zumindest. Wozu sie also ständig auf ihre Freilassung drängt und diese schlussendlich sogar erpresst, will ihm nicht in den Kopf. Er fühlt sich gar von ihr verraten, als wäre er es, dem hier Unrecht getan wurde. Diese widersprüchliche Argumentationskette lässt vermuten, dass Valmorains gebildeter Verstand anders kaum mit den Gegebenheiten umgehen könnte. Denn im Gegensatz zu seinem Sohn, der zu seinen Überzeugungen steht und gegen die Sklaverei kämpft, ist Valmorain eigentlich zu feige und zu bequem, um an den Zuständen etwas ändern zu wollen. Er arbeitet lieber innerhalb des Systems und baut außerhalb von New Orleans die modernste und menschenfreundlichste Plantage auf. So als wären eine wasserdichte Hütte, regelmäßige Mahlzeiten und eine notdürftige medizinische Versorgung genug Bezahlung für die erzwungene Unfreiheit der Sklaven.

Dann wäre da noch Violette, die freie Mulattin, die als Konkubine große Erfolge feiert und schließlich durch die Heirat mit einem Franzosen in der Gesellschaft aufsteigt. Oder Tante Rose, die Voodoo-Priesterin, die mit Kräutern allerlei Krankheiten heilen kann und sich einen so guten Ruf erarbeitet hat, dass sogar ein französischer Arzt ihre Bekanntschaft sucht, um von ihr zu lernen. Oder Zacharie, der Sklave, der mit seinem herrschaftlichen Benehmen Ärger heraufbeschwört und dafür mit seinem schönen Gesicht bezahlen muss.

_Es gibt also viel_ zu entdecken in Isabel Allendes Roman. Dass da einiges zu bunt und zu überzeichnet gerät, ist fast verzeihlich. So lässt sie es sich nicht nehmen, gegen Ende auch noch eine Inzestbeziehung einführen zu müssen, deren Brisanz fast gänzlich unter den Teppich gekehrt wird, da der viel größere Tabubruch offensichtlich die Gemischtrassigkeit der Eheleute ist. Dass Zarité nach vielen Schicksalsschlägen dann doch Frieden mit der Welt schließt und bei sich selbst ankommt, erwartet man von Isabel Allende. Und sie enttäuscht nicht. Im Großen und Ganzen ist „Die Insel unter dem Meer“ nämlich eine runde Sache.

|Hardcover: 557 Seiten
Originaltitel: La isla bajo el mar
ISBN-13: 978-3518421383|
[www.suhrkamp.de]http://www.suhrkamp.de

_Isabel Allende auf |Buchwurm.info|:_
[„Im Bann der Masken“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=605
[„Die Stadt der wilden Götter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1431
[„Im Reich des goldenen Drachen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1432
[„Zorro“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1754
[„Inés meines Herzens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4229
[„Das Siegel der Tage“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5269
[„Mein erfundenes Land“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2979

Calder, J. M. – Wer keine Gnade kennt

_Das geschieht:_

Wie es sich gehört, sind Lieutenant Solomon „Solly“ Glass von der Mordkommission und Staatsanwältin Tuesday Reed damit beschäftigt, die Straßen von New York vom Abschaum zu säubern. Aktuell grämt sie sich, weil es ihr misslang, den Drecksack Mallick möglichst lange hinter Gittern zu bringen; er hatte bei einem Überfall dem braven Studenten Nick Stevens hohnlachend einen Schraubenzieher ins Genick gejagt und ihn dadurch vom Kopf abwärts gelähmt; ein weichlicher Richter brummte Mallick nur fünf Jahre auf. Cop Glass ermittelt im Fall des Mafia-Schlägers Benny Salsone, der mit Kugeln förmlich gespickt wurde, obwohl weder ein Gangsterkrieg tobt noch bevorzustehen scheint. Auch Malone, Glass‘ junger Partner, ist gut beschäftigt mit dem Mord am Kinderschänder und Ex-Sträfling Gordon Jacobs, den auf einem Parkplatz mehrere tödliche Kugeln trafen.

Die Arbeit fällt doppelt schwer, weil a) Tuesday sich in ihrem Job aufreibt und von ihrem nichtsnutzigen Gatten betrogen wird, b) Solly mit seinen Gefühlen ringt, die er der schönen Staatsanwältin heimlich entgegenbringt (was schlechten Gewissens – Tuesday ist ein gutes Mädchen! – erwidert wird) und c) Malone ein Dummkopf ist.

Wenigstens arbeitet das Polizeilabor zufriedenstellend. Es stellt fest, dass Jacobs und Salsone durch Kugeln fielen, die aus derselben Waffe abgefeuert wurden. Während längst der dümmste Leser weiß, was dies bedeutet, grübelt Glass noch manche Seite, bis auch er erkennt: Vigilanten gehen um und üben Selbstjustiz! Da es nur Pack trifft, das den Tod verdient hat, müssen noch einige Strolche ins Gras beißen, bis der unbestechliche Glass und der trottelige Malone einem organisierten Kopf-ab-Zirkel auf die Spur kommen, der im Namen der Gerechtigkeit zu korrigieren versucht, was verblendete Gutmenschen angerichtet haben …

_Verbrechen kann so langweilig sein!_

Klingt die oben einleitende Einführung in den Handlungsinhalt ein wenig gallig? Gut, denn sie spiegelt damit wider, was der Rezensent während jener Plackerei empfand, zu der seine Lektüre dieses Mal ausartete. Selbst der Vielleser trifft nicht oft auf einen Roman wie diesen, dessen Verfasser wahrlich keine Gnade kennt und sein Publikum mit einem Machwerk traktiert, das nur aus Klischees, Geschwafel und Psycho-Gebrabbel besteht. Es liegt nicht am eingefädelten Verbrechen. Selbstjustiz geht als Thema völlig in Ordnung. Erst in der Umsetzung trennt sich die Spreu vom Weizen. J. M. Calder drischt – um im Bild zu bleiben – nur leeres Stroh. Selten liest man einen Thriller, der in Handlung, Figurenzeichnung und Stimmung so deutlich abpaust, was fähigere Autoren mit echtem Leben füllen konnten.

Natürlich liegt es nahe, die selbst dem deutschen Leser auffällige Unkenntnis des US-amerikanischen Polizei- und Justizalltags der Herkunft des Verfassers anzulasten, der im fernen Australien lebt und arbeitet. Indes zeigen Autoren wie Lee Childs, dass es durchaus möglich ist, trotz ausländischer Herkunft überzeugende Thriller zu kreieren, die in den Vereinigten Staaten spielen. Dies ist nicht nur eine Frage der Recherche, sondern auch des Talents sowie der Entscheidung, was man eigentlich schreiben möchte: einen Krimi, eine Liebesgeschichte oder eine Klage über das Diktat des Bösen in einer vor ihm kapitulierenden, hoffnungslos dysfunktionalen Gesellschaft.

|Papiertiger & Pappkameraden|

Der Leser muss sich durch endlose Passagen kämpfen, in denen Calder die Biografien seiner Protagonisten aufrollt. Diese haben mit dem Geschehen wenig oder gar nichts zu tun und sind vor allem blasse Kopien jener einschlägigen Jammergeschichten, die wir aus tausend TV-Krimis kennen – und zwar aus den schlechten ihrer Art. Ohne Sinn für Verhältnismäßigkeit begräbt Calder die Figuren förmlich unter Klischees. Solly hat nicht nur einen Hang zur klassischen Literatur, die er gern selbstgefällig zitiert, um seine Kollegen wie Deppen dastehen zu lassen, sondern er ist 1) Jude und muss sich u. a. von fiesen Mafia-Paten rassistisch beschimpfen lassen, hat 2) seine über alles geliebte Gattin tragisch verloren, ist 3) darüber zeitweise verrückt geworden, vegetiert 4) als notorischer Sauertopf in selbst gewählter Einsamkeit, obwohl ihn sogar deutlich jüngere Kolleginnen anhimmeln, wird 5) von seiner Mutter unter Druck gesetzt, endlich wieder zu heiraten und eine Familie zu gründen, und muss 6) die infantilen Witze seines dümmlichen Bruders ertragen, ohne dabei in Gelächter auszubrechen (was aufgrund der Bartlänge dieser Scherze keine grundsätzliche Herausforderung darstellen sollte). Die Liste ist keineswegs vollständig; der Verfasser addiert immer neue Plagen dazu.

Ähnlich ergeht es der armen Tuesday Reed, die nicht nur betrogen wird und heimlich liebt, sondern Tag und Nacht arbeitet, deshalb die Familie vernachlässigt, darüber ein schlechtes Gewissen bekommt, obwohl sie dem Gatten dennoch eine bereitwillige Liebhaberin sowie dem Töchterlein eine gute Mutter ist und trotzdem die knappe Freizeit aufwendet, um den Opfer des Justizsystems tröstend zur Seite zu stehen. Auch hier folgen weitere Misslichkeiten, die Calder seinem Publikum ganz wichtig im pseudo-dramatischen Tonfall und vor allem ausführlich darbietet.

Wenn dem Verfasser überhaupt etwas gelingt, so ist es die Zeichnung zweier Figuren, die unsympathischer kaum sein könnten. Weniger Aufwand treibt Calder mit den Nebenfiguren. Malone ist und bleibt ein Handlanger, der mit offenem Mund die genialischen Einfälle seines Meisters registriert und dessen illegalen Eigentouren deckt. Besonders lächerlich misslingt die Figur des Paten Caselli, den Calder wohl in einer Mafia-Geisterbahn – sollte es so etwas geben – aufgetan hat. Darüber hinaus dürfen Pechvögel, die von Gangstern gepiesackt wurden, Leidensgeschichten hart am Rande der absoluten Lächerlichkeit erzählen.

|Strolche tilgen & damit durchkommen|

Der Selbstjustiz-Thematik unserer Geschichte verdanken wir nicht nur ein dickes Bündel weiterer Klischees, sondern auch einen schamlos aus dem Hut gezogenen Schlusstwist, den kein Leser erwarten kann oder möchte, weil er absolut logikfrei ist sowie hässliche Ausfälle gegen eine Justiz reitet, die Lustmörder, Vergewaltiger und andere Tiere nicht wegsperrt, sondern ihnen nach viel zu wenigen Haftjahren eine neue Chance gibt, während ihre vergessenen Opfer ein durch Angst und Wut zerfressenes Dasein fristen müssen.

Die ‚logische‘ Konsequenz ist nach Calder klar und folgt nicht nur Volkes Stimme: „Gabriel-Gesellschaft“ nennt er die Gruppe der Rächer, die ihr alttestamentarisches Gerechtigkeitsempfinden zum Einsatz bringen, „wenn Gott schläft“. Selbstjustiz ist folglich ein Vorgriff auf himmlische Vergeltung und geht damit in Ordnung. Ein sträflich langweiliger und umständlich in die Länge gezogener Law-and-Order-Thriller erhält auf diese Weise doch seine eigene Stimme: Ihr Klang ist hässlich, und ihre Botschaft wäre niederträchtig, ginge der Autor nicht gar so hölzern vor.

_Autor/en_

J. M. Calder ist ein Pseudonym, das sich die Autoren John Clanchy und Mark Henshaw vermutlich nicht gaben, um die Verantwortung für ihre unterdurchschnittlichen Thriller zu verschleiern, obwohl dieser Gedanke sich jenen aufdrängt, die ihre Werke kennen. John Clanchy wurde in Melbourne geboren, ist aber seit 1975 in Australiens Hauptstadt Canberra ansässig. Er arbeitete einige Jahre in der Studentenbetreuung der Australian National University und wechselte später in die Graduiertenförderung. Daneben schrieb Clanchy Romane und Kurzgeschichten, für die er diverse Literaturpreise einheimste.

Mark Henshaw wurde in Canberra geboren. Er arbeitete zunächst als Übersetzer und hielt sich lange in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ausländern auf. „Out of the Line of Fire“ (dt. „Im Schatten des Feuers“), sein Romanerstling, erschien 1989. Dieses Buch und weitere Werke wurden ebenfalls mit Preisen ausgezeichnet,

Mitte der 1990er Jahre beschlossen Clanchy und Henshaw unglücklicherweise, sich gemeinsam an einem Thriller zu versuchen. „If God Sleeps“ (dt. „Wer keine Gnade kennt“) wurde 1997 veröffentlicht, 2006 erschien „And Hope to Die“ (dt. „Ich töte, was du liebst“), ein ähnlich langatmiger und gefühlsduseliger zweiter Krimi um Solomon Glass.

|Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: If God Sleeps (Ringwood/Victoria : Signet/Penguin Books 1997)
Übersetzung: Anja Schünemann
ISBN-13: 978-3-499-24827-6

Als eBook: Juni 2010 (Rowohlt Digitalbook)
ISBN-13: 978-3-644-42651-1|

[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

Harris, Charlaine – Vampirgeflüster (Sookie Stackhouse 9)

_Die „Sookie Stackhouse“-Serie:_

01 [„Vorübergehend tot“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=788
02 [„Untot in Dallas“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=939
03 [„Club Dead“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1238
04 [„Der Vampir, der mich liebte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2033
05 [„Vampire bevorzugt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3157
06 [„Ball der Vampire“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4870
07 [„Vampire schlafen fest“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5450
08 [„Ein Vampir für alle Fälle“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6161
09 _“Vampirgeflüster“_
10 „Dead in the Family“ – noch kein dt. Titel –
11 „Dead Reckoning“ (im Original: 26. Mai 2011)

_Vampire, Wergeschöpfe, Hexen_, Elfen und allerlei andere interessante Wesen sind fester Bestandteil von Charlaine Harris‘ Serie um die gedankenlesende Kellnerin Sookie Stackhouse. Der mittlerweile neunte Band, „Vampirgeflüster“, ist nun auch auf Deutsch erschienen und es ist logisch, dass sich in so vielen Romanen ein ziemlich umfangreiches Universum aufbauen lässt. Vor allem auch, weil Harris sich nie mit dem einmal erreichten Stand zufriedengibt. Anstatt beim Leser eine gewisse Gewöhnung zu riskieren, führt sie einfach eine neue Gattung Geschöpfe ein. Im letzten Band, [„Ein Vampir für alle Fälle“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6161 waren das Elfen gewesen. Und natürlich nutzt Charlaine Harris den neuen Roman nun, um etwas mehr mit ihren neuen literarischen Spielzeugen anzufangen.

Doch von Anfang an: Vor Jahren schon waren die Vampire in einem medialen Rundumschlag an die Öffentlichkeit getreten, um ihre Existenz kundzutun. Im Großen und Ganzen hat dieser Schritt den Vampiren nur Vorteile gebracht – nur ganz wenige Bürgerrechte sind ihnen noch verwehrt. Die Wergeschöpfe wagen zu Beginn von „Vampirgeflüster“ nun auch endlich diesen Schritt. Auf allen TV-Stationen gleichzeitig präsentieren sie sich der Welt. Sicherlich, man rechnet mit Zwischenfällen (aus diesem Grund hat sich auch Bill im Merlotte’s postiert – um im Notfall eingreifen zu können), doch zunächst scheint es so, als würde die große Nachricht gut aufgenommen.

Doch schon bald wandelt sich der Eindruck. Jasons untreue (und schwangere) Ehefrau Chrystal wird nämlich bald darauf tot vor dem Merlotte’s aufgefunden – halb verwandelt und an ein großes Holzkreuz genagelt. Der Verdacht liegt also nahe, dass hier jemand aus Hass auf die Wergeschöpfe gehandelt hat. Verdächtige wollen sich jedoch nicht einfinden und weder kann Sookie etwas in den Gedanken der Leute lesen, noch können Chrystals Verwandte eine Fährte erschnuppern. Somit verliert sich das Verbrechen zunächst in einer Sackgasse.

Sookie hat ohnehin bald andere Probleme. Ihr Urgroßvater Niall steckt nämlich in Schwierigkeiten. Meist halten sich die Elfen in einer Art Parallelwelt auf und so gibt es zwischen Menschen und Elfen kaum Berührungspunkte. Doch Niall hat einen Narren an Sookie gefressen und das merken bald auch seine Feinde, die wollen, dass die beiden Welten endgültig voneinander abgetrennt werden. Es kommt zum Krieg zwischen den rivalisierenden Gruppen und natürlich befindet sich Sookie mitten in der Schusslinie. Den ersten Attentäter kann sie noch – mehr zufällig als tatsächlich vorsätzlich – mit einem Spaten niederstrecken (Eisen wirkt auf Elfen tödlich), doch dann wird sie gefangen genommen …

_Das Positive zuerst:_ Im Gegensatz zum Vorgänger, „Ein Vampir für alle Fälle“, gibt es in „Vampirgeflüster“ tatsächlich wieder eine nachvollziehbare Handlung – diesmal sogar bestehend aus einem A- und einem B-Plot. Eine ganz klassisch erzählte Geschichte also. Zwar ist es ein bisschen schade, dass die große und lang angekündigte Enthüllung der Wergeschöpfe dann doch nicht der zentrale Konflikt des Romans ist, sondern sich eher als eine Art Red Herring für die Mordgeschichte herausstellt. Trotzdem, dass die Wergeschöpfe nun auch endlich ihre Existenz ihre publik gemacht haben, verändert Harris‘ Welt grundlegend und man darf gespannt sein, welche Langzeitfolgen sie in zukünftigen Bänden noch aus dem Hut zaubert.

Auch gibt es endlich wieder mehr Vampirsichtungen zu vermelden. Nachdem Eric ja im letzten Band kaum Interessantes zur Handlung beitrug und man von Bill schon seit Längerem nichts Konstruktives mehr erwartete, hat Charlaine Harris sich nun endlich entschieden, beiden wieder etwas mehr Platz einzuräumen. Das wurde aber auch Zeit! In einem Eric-typischen Schachzug, bringt dieser Sookie dazu, mit ihm den Bund der Vampirehe einzugehen, ehe sie noch weiß, wie ihr geschieht. In der Vampirgesellschaft gelten sie nun also als verheiratet (ein Schritt, den Eric natürlich nur unternommen hat, um Sookies Sicherheit zu gewähren) und die Arme verbringt den Rest des Romans damit, herausfinden zu wollen, was genau das nun eigentlich bedeutet. Zumindest führt es schon mal dazu, dass die beiden sich wieder näherkommen. Und auf derartige Szenen hat die geneigte Leserin wahrlich lange genug gewartet! Doch auch Bill bekommt diesmal seine kleine Szene im Rampenlicht und diese ist so wirkungsvoll platziert, dass man sich fragt, ob Harris plant, Sookies Beziehungsdurcheinander etwa noch einmal auf den Kopf zu stellen. Man darf gespannt sein!

Und dann wären da natürlich noch die Elfen, die Harris gleichermaßen faszinierend und mysteriös gestaltet. Zwar nimmt ihr Krieg einen großen Teil des Romans ein, doch wird man aus ihnen trotzdem nicht wirklich schlau. Da geht es dem Leser wie Sookie selbst, die von Niall zwar nach wie vor hingerissen ist, die aber auch weiß, dass Elfen – im Gegensatz zu all den anderen Supras in ihrer Umgebung – wirklich in eine andere Sphäre gehören. Mit Niall wird sie nie ein normales Familienleben genießen können und dieser Tatsache ist sie sich immer bewusst. Zwar kämpfen beide für ihre wachsende Zuneigung zueinander, doch wissen sie immer, dass diese eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Eine traurige Sache …

_Allerdings hat man_ als Leser immer noch das Gefühl, Charlaine Harris tanze in ihren Romanen einfach auf zu vielen Hochzeiten. Es haben sich derartig viele Charaktere und Charakterbeziehungen angehäuft, dass es einfach unmöglich ist, allen ausreichend Raum zu geben. Harris versucht es trotzdem und ist zum Scheitern verurteilt. Anstatt sich tatsächlich auf die Hauptelemente ihrer Handlung zu konzentrieren (der Mord an Chrystal und der Elfenkrieg) lässt sie sich ständig hinreißen, Umwege zu nehmen. Immer wieder lässt sie sich von Nebensächlichkeiten ablenken (so zwingt sie dem armen Leser eine groß angelegte Szene auf, in der Sookie nichts anderes tut als Unkraut zupfen – da hätte definitiv ein Lektor eingreifen müssen). Das führt wieder nur dazu, dass der Roman zerfasert und eben nicht wie aus einem Guss wirkt – zum Glück ist dieser Makel in „Vampirgeflüster“ nicht so offensichtlich wie im Vorgängerband.

Trotzdem. Alles in allem hat Charlaine Harris mit „Vampirgeflüster“ endlich wieder einen spannenden Teil ihrer „Southern Vampire Series“ auf die lesenden Massen losgelassen. Er mäandert nicht ganz so ziellos umher wie der Vorgänger. Harris hält die Zügel etwas fester in der Hand und so hat auch der Leser mehr Spaß bei der Lektüre.

|Taschenbuch: 352 Seiten
Originaltitel: Dead and Gone
ISBN-13: 978-3423212229|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

_Charlaine Harris bei |Buchwurm.info|:_
[„Grabesstimmen“ (Harper Connelly 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4704
[„Falsches Grab“ (Harper Connelly 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5608
[„Ein eiskaltes Grab“ (Harper Connelly 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6318

McDermid, Val – Ein kalter Strom

_Rauhe Sitten in Berlin & eine verhängnisvolle Lüge_

Deutschland. Ein Psychopath, der als Kind von seinem Großvater schwer misshandelt wurde, quält aus Rache seine Opfer und ertränkt sie anschließend. Mit Vorliebe bestraft er Psychologen dafür, dass sie in anderer Leuten Seele herumpfuschen. Der Profiler Tony Hill soll den Wahnsinnigen aufspüren und gerät selbst ins Visier des Serienmörders. Zur gleichen Zeit ist Kommissarin Carol Jordan, Tonys Freundin, einem internationalen Drogenring mit Sitz in Berlin auf den Fersen. Das Ermittlerduo stößt bei seinen Nachforschungen auf Grausamkeit und Gewalt. Durch eine tragische Verkettung von Umständen bringt Tony Carol in Lebensgefahr …

_Die Autorin_

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association.

„Tony Hill & Carol Jordan“-Reihe:
1) [„Das Lied der Sirenen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1498
2) „Schlussblende“
3) „Ein kalter Strom“
4) „Tödliche Worte“

Weitere Romane:

5) [„Echo einer Winternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=703
6) [„Die Erfinder des Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2602
7) [„Das Moor des Vergessens“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6607
8) „Ein Ort für die Ewigkeit“
9) [„Nacht unter Tag“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6201

„Kate Brannigan“-Fälle (in chronologischer Reihenfolge):
1) „Abgeblasen“ (1992)
2) „Skrupellos“ (1994)
3) „Das Kuckucksei“ (1996)
4) „Clean Break“ (1997)
5) „Das Gesetz der Serie“ (1998)
6) „Luftgärten“ (1999)

_Handlung_

Kommissarin Carol Jordan bewirbt sich bei Europol und gerät an Morrigan. Der will jedoch keine gewöhnliche Polizistin, sondern eine Geheimagentin, die undercover ermittelt. Carol ist einverstanden, als Eignungstest an einem Rollenspiel mitzumachen. Allerdings könnte sie ein wenig psychologische Beratung gut gebrauchen, findet sie und wendet sich an ihren Exfreund Tony Hill, den sie zuletzt vor zwei Jahren sah.

|Schottland|

Tony Hill hat seine Impotenz an der Seite der netten Lehrerin Frances in St. Andrews überwinden. Deshalb trifft er sich mit ihr in der Kneipe, um ihre Befehle von Morrigan zu lesen. Sie soll sich in eine andere Person hineinversetzen. Das musste sie bislang noch nie tun. Aber Tony ist sicher, dass sie das draufhat. Dann begeht er einen schweren Fehler: Er stellt sie Frances vor. Die Lehrerin checkt sofort, dass sie eine alte Flamme Tonys vor sich hat. Schon nach wenigen Tagen, als Carol erneut auftaucht, wirft sie Tony hochkant hinaus, bevor er noch „Moment mal!“ sagen kann.

|London|

Carol hat den Test bestanden, jetzt geht wirds ernst. Morrigan legt ihr das Foto eines Drogenringleiters vor: Tadeusz Radecki, Pole aus altem Adel, aber weltgewandt und westeuropäisch orientiert, lebt in Berlin. Zusammen mit dem Serben Darko Krasic organisiert er den Schmuggel von Drogen, Waffen und illegalen Migranten in ganz Europa. Hochlukratives Geschäft, aber wie wickelt er es ab? Jetzt der Clou: Radeckis Geliebte Katharina Basler starb vor wenigen Wochen, aber Carol sieht aus wie deren Zwillingsschwester! Wenn sich also Carol an den Typen ranmacht, um einen Deal einzufädeln, soll er sich in sie verlieben und so eine Blöße geben, die die Cops ausnützen können. Das Risiko für Carol: maximal. Aber das sagt ihr Morrigan natürlich nicht ins Gesicht.

Tony besucht Carol in ihrer Londoner Wohnung, bevor sie nach Berlin abreist. Sie skizziert ihm ihren Plan, als Menschenschmugglerin bei Radecki aufzutreten. Obwohl Tony sie vor der Belastung warnt, ist sie bereit, das Risiko einzugehen. Sie stärken einander emotional, und wer weiß – vielleicht wird sogar mehr draus.

|Den Haag, Europol-Hauptquartier|

Petra Becker ist die deutsche Europol-Kontaktfrau aus Berlin und besucht Carol vor dem Einsatz, um tagelang alles mit ihr vorzubereiten. Petra outet sich als Lesbe, womit Carol kein Problem hat, und kennt eine andere Lesbe: die niederländische Kommissarin Marijke van Hasselt. Die habe einen ähnlichen Mann wie Tony Hill tot in Rotterdam aufgefunden: Den experimentellen Psychologen Pieter de Groot. Petra ist die Parallele zu einem anderen Mord aufgefallen, der in Bremen an Margarethe Schiller begangen wurde, eine Psychologin an der dortigen Uni. Könnte es sich um den Beginn einer Serie handeln? Carol gibt ihr den Tipp, sich an Tony zu wenden, um ein Täterprofil zu erstellen.

Wie sich herausstellt, hat Tony die Ermordete in Bremen gekannt und kommt selbst an den Tatort. Sofort schaut er sich Beckers Unterlagen über die zwei Morde an und erfährt wenige Tage später, dass es einen dritten Mord in Köln gegeben hat. Dieser Täter kommt ganz schön was rum, und immer trifft es Kollegen aus seiner eigenen Zunft. Das macht ihn besorgt. Denn nun ist diese Sache persönlich. Doch in Köln hat sich der Killer einen Ausrutscher erlaubt: Aus Wut hat er das Opfer vergewaltigt.

|Berlin|

Unterdessen hat Carol den großen Boss kennengelernt, doch Radecki gibt sich keine Blöße: Er spielt den unschuldigen, ahnungslosen Videothekenbetreiber, der er auch noch ist. Natürlich lässt er inzwischen Krasic den Hintergrund dieser angeblichen „Catherine Jackson“ überprüfen, die seiner toten Geliebten wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Im Laufe der Wochen lernen sich Carol und Tadeusz immer besser kennen und bauen Vertrauen auf. Carol spielt mit dem Feuer, während sie ihn aushorcht. Er schmuggelt Drogen, Waffen und Menschen mit einem unauffälligen Verkehrsmittel: Mit Binnenschiffen, die auf Europas weitverzweigtem Kanalnetz überallhin gelangen – und kaum kontrolliert werden. Verdammt clever, findet Carol. Aber wann kommen wir endlich ins Geschäft?

|Den Haag|

Petra Becker informiert Tony, dass der Täter zwar vielleicht etwas mit der finsteren Stasi-Vergangenheit zu tun haben könnte, dass aber die Verbindung zu den psychologischen Experimenten noch viel tiefer reichen könnte: Zu den Nazis. Es dürfte wohl bekannt sein, dass die braunen Schweine alle möglichen Experimente mit Menschen aller Gruppen anstellten, von Dr. Mengele bis zu ganz speziellen Instituten. Alle Unterlagen darüber lagern auf Schloss Hohenstein, das selbst Stätte solcher Rassenversuche war. Die Opfer erzählten und wiederholten das, was man ihnen angetan hatte. Vielleicht rächt sich der Killer nun an allen Angehörigen der Folterergruppen, nämlich den Psychologen? Aber dann müsste sein Großvater eines der Opfer der Versuche gewesen sein.

|Köln|

Auf Schloss Hohenstein darf Tony die Listen der Kinder kopieren und sie mit Verdächtigen abgleichen, die unter den Binnenschiffern in Europa zu finden sind. Denn alle Taten wurden in Städten an Flüssen oder an der Küste begangen. Der Täter ist also offenbar ein Seemann. Doch als er den Gesuchten endlich findet, gerät er in Kontakt mit der Organisation, die Tadeusz Radecki leitet. Und der sieht einen solchen Schnüffler gar nicht gern. Besonders dann nicht, wenn dieser seine Nase auch noch in das Berliner Hotelzimmer einer gewissen „Catherine Jackson“ gesteckt hat …

_Mein Eindruck_

Ein erstaunlicher Wechsel des Schauplatzes überrascht den Leser als Erstes: Es geht nach Deutschland. In jenes finstere Reich, wo einst Stasi und Nazis schalteten und walteten und dabei bekanntlich ein schreckliches Erbe hinterließen, das jedes Jahr aufs Neue ins Gedächtnis gerufen wird, egal ob durch Prozesse oder Skandale. Nun reckt diese Hydra erneut einen ihrer Köpfe: den Serienmörder, der es auf experimentelle Psychologen abgesehen hat.

Das ist natürlich das Stichwort für einen Fachmann wie Tony Hill, der unter seinen Kollegen natürlich auch engere Bekannte hat, so etwa Dr. Margarethe Schiller in Bremen. Es ist also ein nachvollziehbares persönliches Interesse, das ihn nach Deutschland bringt. Aber auch Petra Becker und natürlich Carol Jordan gilt sein teils berufliches, teils privates Interesse. Nur wegen dieser Verquickung seiner Interessensebenen kann es dazu kommen, dass seine Schnüffelei überhaupt die Interessen von Tadeusz Radecki tangiert und diesem verdächtig und bedrohlich erscheint: Was will dieser Typ auf seinen Schiffen, wenn nicht die Ladung untersuchen? Ironischerweise liegt Tony nichts ferner als das.

Durch diese Kontingenz geraten sowohl Tony Hill als auch Carole Jordan in Lebensgefahr. Tadeusz will die Probe aufs Exempel machen und schließt mit dem gefangengesetzten Tony quasi eine Wette ab. Wenn Tonys Lüge stimmt, dann wird Carol mit Tadeusz schlafen. Wenn sie aber ablehnt, dann ist sie ebenfalls eine Schnüfflerin und Tony muss, weil er gelogen hat, sterben. Das kann man doch verstehen, oder? Es kommt zu einem ziemlich spannenden Abend, bei dem Carols Verhalten über Tonys Lüge entscheidet.

VORSICHT, SPOILER!

Zartbesaitete Gemüter seien eindringlich vor der Brutalität gewisser Szenen gewarnt, die nach Carols und Tonys Enttarnung folgen. Eine Autorin wie Val McDermid, die in der englischen Krimiszene eine bedeutende Schlüsselstellung innehat, gibt sich nicht mit Scheinheiligkeiten und Kinkerlitzchen ab. Vielmehr setzt sie auf eine realistische, geradezu detailgetreue Darstellung der Polizeiarbeit, zeigt aber auch das gewalttätige Verhalten der Gegenseite.

In Carols Fall gehört dazu die mehrfache Vergewaltigung, die uns aber LIVE erspart bleibt. Nicht so hingegen die Folter an Tony: Die spannende Frage, ob Carol wie Tony liquidiert wird, bleibt bis zum Höhepunkt offen. Doch danach gilt es noch, den Serienmörder zu fassen. Oder soll er etwa davonkommen? Und obendrein hat Carol noch eine Rechnung mit Morrigan offen – er hat sie reingelegt.

Am Schluss steht die Frage, welche Folgen die Gewalt, die man ihren Körpern angetan hat, haben wird. Werden sie aussteigen und sich zur Ruhe setzen, um Lachse zu züchten? Wohl kaum, denn dazu liegt ihnen Recht und Ordnung viel zu sehr am Herzen. Aber als Geheimagentin werden wir Carol Jordan wohl nicht so bald wieder sehen. Und wir sind froh zu erfahren, dass Tony wieder als Profiler arbeiten will.

_Unterm Strich_

Jeder Fall von Tony Hill und Carol Jordan stellt die Autorin vor die Herausforderung, wie sie es schaffen soll, dass sie die beiden Welten, in denen sich die beiden Ermittler unabhängig voneinander bewegen, sich einander berühren lässt. Diesmal ist der Kontakt dieser Welten derart tragisch und verhängnisvoll, dass beide Ermittler in Lebensgefahr geraten. Ist es Ironie des Schicksals oder grandiose Blödheit zu nennen, dass Tony Hill den Gangster in die Quere kommt, gegen die Carol in Berlin ermittelt? Alles hängt vom Wissensstand ab, über den Tony verfügte. Und der war nun mal denkbar gering.

In ihrer ungewohnten Opferrolle laufen jedoch Tony und Carol zu großem Format auf: Sie decken einander, ertragen übelste Gewalt, stehen dennoch zueinander – von Helden kann man nicht mehr verlangen, höchstens noch die Opferung des Lebens. Aber da sie beide keine Soldaten sind, kommt das nicht infrage. Und so geht die Aufarbeitung der Nazi-Altlasten doch noch weiter.

|Taschenbuch: 624 Seiten
Originaltitel: The Last Tempatation (2002)
Aus dem Englischen übersetzt von Doris Styron
ISBN-13: 978-3426502495|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de

James, Peter – Und morgen bist du tot

_Die „Roy Grace“-Serie:_

01 [„Stirb ewig“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3268
02 [„Stirb schön“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3154
03 [„Nicht tot genug“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5969
04 [„So gut wie tot“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6003
05 _“Und morgen bist du tot“_
06 „Dead like you“ – noch ohne dt. Titel –

Ein Mann, der zum letzten Mal sein Motorrad besteigt. Seine Frau, die im sechsten Monat schwanger ist. Ein junges Mädchen, das dringend eine Spenderleber braucht. Ihre Mutter, die alles dafür tun würde, ihrer Tochter eine solche zu beschaffen. Ihr Vater, der auf einem Baggerschiff arbeitet, das eine Leiche aus einem Abbaugebiet fischt. Ein Unfall, der zu einem endlosen Stau im morgendlichen Berufsverkehr führt. Ein junges rumänisches Mädchen, das auf der Straße lebt und nachts an einem Heizungsrohr schläft. Und Detective Superintendent Roy Grace, der einen gewaltigen Kater hat und fürchten muss, dass seine Freundin Cleo ihm eine Hiobsbotschaft zu überbringen hat. Dies sind die einzelnen Zutaten für den fünften „Roy Grace“-Fall, den ich bereits mit Spannung erwartet hatte.

_Im Mittelpunkt der_ Geschichte steht die schwerkranke Caitlin, die dringend eine neue Leber braucht. Sie ist ein rebellischer Teenager, der seine Mutter oftmals zur Verzweiflung bringt, dennoch würde Lynn Beckett alles für ihre todkranke Tochter tun. Als sie erfahren muss, dass Caitlin dringend eine Leber braucht, um das diesjährige Weihnachtsfest, das bereits kurz bevorsteht, noch zu erleben, bricht für Lynn eine Welt zusammen. Doch dann erhält sie schnell die frohe Botschaft, dass Caitlin einen Teil einer Spenderleber bekommen kann. Sie begleitet ihre Tochter ins Krankenhaus, nur um dort zu erfahren, dass die Leber leider nicht für zwei Spenden reicht und Caitlin das Nachsehen hat. Die Zeit rennt, denn Caitlin geht es immer schlechter und schlechter. Da kommt ihr Freund Luke auf die Idee, sich im Internet nach Transplantationsfirmen umzusehen, über die man ein Organ kaufen kann.

Zur gleichen Zeit arbeitet Caitlins Vater Malcolm auf einem Baggerschiff, das die Leiche eines jungen Mannes zu Tage fördert. Roy Grace wird mit dem Fall beauftragt und erfährt bald, dass dem jungen Mann lebenswichtige Organe entnommen wurden. Handelt es sich um eine Seebestattung, bei der der Leichnam abgetrieben ist? Mysteriös erscheint aber, dass der junge Mann nur wenige Stunden vor seinem Tod noch eine Mahlzeit zu sich genommen hat. Das spricht gegen eine Organspende, da oftmals viele Stunden vergehen, bis die Transplantationsteams vor Ort sind, um die Organe zu entnehmen. Was also ist dem jungen Mann passiert? Als an derselben Stelle kurz darauf zwei weitere Leichen gefunden werden, denen lebenswichtige Organe fehlen, deutet alles auf Organhandel hin. Und da führt die Spur nach Rumänien. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn dort haben die Menschenhändler bereits ihre nächsten Opfer im Visier …

_Wertlose Menschen?_

Wieder einmal schlägt Peter James von Beginn an ein hohes Erzähltempo an. Jedes Kapitel widmet er einem anderen Handlungsstrang und meistens endet ein Kapitel mit einem Cliffhanger, der es in sich hat. Somit fliegt man anfangs über die Seiten, zumal erst spät klar wird, worauf Peter James hinaus will – nämlich auf den Menschenhandel und die Organspende. Er macht klar, wie viele Menschen in Großbritannien sterben müssen, weil nicht rechtzeitig ein passendes Spenderorgan für sie gefunden wurde. In anderen Ländern wie Spanien dagegen muss man der Organspende aktiv widersprechen. Da aber in Großbritannien ein steter Mangel an Spenderorganen besteht, blüht dort der Organhandel. Für zig tausend Pfund können sich verzweifelte Menschen das passende Organ kaufen, das sich die illegalen Transplantationsfirmen von jungen Menschen holen, die sie in Rumänien auf der Straße aufgesammelt und nach England geschleust haben. Liest man über derlei Praktiken, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Ganz neu ist dieses Thema natürlich nicht, doch Peter James schafft eine neue Sicht darauf, indem er uns auf der einen Seite die kranke Caitlin und ihre völlig verzweifelte Mutter vorstellt und auf der anderen Seite die junge Simona, die auf den Straßen Bukarests lebt und nicht mehr viel Hoffnung hat – bis sie eine gut gekleidete deutsche Frau kennen lernt, die ihr eine Zukunft in England verspricht und sie außer Landes bringt. Beide jungen Frauen stellt uns Peter James so vor, dass wir sie beide ins Herz schließen und dadurch in den Zwiespalt kommen, dass wir beiden eine gesunde Zukunft wünschen.

Peter James macht daraus einen Wettlauf mit der Zeit: Caitlin geht es immer schlechter, eine mögliche Transplantation scheitert, weil das Organ doch nicht gut genug ist, um es zu teilen. Stattdessen beschließt Caitlins Mutter Lynn, Kontakt mit einer Transplantationszentrale in Deutschland aufzunehmen und eine Leber zu kaufen – in dem Glauben, dass sie von einem Unfallopfer stamme. Der Leser weiß es aber besser, da er ja bereits Bekanntschaft mit Simona gemacht hat. Diese beginnt von einer Zukunft in England zu träumen – vielleicht als Barkeeperin in einer Cocktailbar? Sie malt sich ihre Zukunft mit ihrem Freund Romeo in England aus und vertraut der deutschen Frau vollkommen, ohne zu ahnen, dass diese nur an Simonas Organen interessiert ist.

Etwas schade fand ich, dass der Spannungsbogen trotz des wichtigen Themas und der dramatischen Geschichte etwas abflacht, da man als Leser ohnehin nicht weiß, ob man mit Caitlin oder mit Simona mitfiebern soll. Beide Mädchen sind einem sympathisch. So versucht die Polizei zwar verzweifelt, Simona zu retten, aber als Leser fiebert man nicht mehr so recht mit, da einem bewusst ist, dass damit Caitlins Hoffnung sterben würde.

_Eine neue Zukunft_

Auch für Detective Superintendent Roy Grace geht es um seine Zukunft: Hat er in den anderen Bänden immer noch intensiv nach seiner Frau Sandy gesucht, die vor etlichen Jahren spurlos verschwunden ist, so beginnt er in diesem Buch, sich von seiner Frau zu lösen. Cleo eröffnet ihm, dass sie ein Kind von ihm erwartet und Grace beschließt, seine Frau nun endlich für tot erklären zu lassen. Doch dann kommt es in München zu einer unerwarteten Begegnung …

Mir gefiel, dass Roy Grace jetzt endlich beginnt, in die Zukunft zu schauen und mit der Vergangenheit abzuschließen. Das Kind, das Cleo und er erwarten, ist endlich der Anstoß, sich von Sandy zu lösen. Dennoch hoffe ich nach wie vor, dass Roy Grace eines Tages erfährt, was mit Sandy geschehen ist, nachdem der Leser nun bereits einen kleinen Einblick in Sandys neues Leben erhalten hat. Doch nach wie vor tappt man weitestgehend im Dunkeln, da Peter James uns bislang nicht verraten hat, aus welchem Grund Sandy damals spurlos verschwunden ist.

In diesem Buch gewinnt auch der unbeliebte Kollege Norman Potting eine sympathische Seite, indem er ehrlich mit Roy Grace über seine unglückliche Ehe spricht und sich tatkräftig in die Ermittlungen stürzt und sehr wichtige Beiträge dazu liefert. Nur Glenn Branson ist nach wie vor der unglückliche Mann, der noch nicht mit seiner gescheiterten Ehe abgeschlossen hat – auch wenn seine Frau nun offensichtlich einen neuen Freund hat.

_Und morgen kommt ein neuer Fall_

Unter dem Strich konnte mich das vorliegende Buch leider nicht ganz überzeugen. Peter James lese ich ausgesprochen gerne, weil er unglaublich packende Bücher schreibt, die oftmals ein ganz neues Licht auf ein Thema werfen bzw. etwas völlig Neues im Thriller-Genre darstellen. Mit dem fünften Fall rund um Detective Superintendent Roy Grace hat James allerdings erstmals nicht viel Innovatives zu bieten. Das Thema Menschenhandel ist zwar sehr brisant, dennoch hat Peter James hier nicht so viel Ideenreichtum bewiesen wie in seinen anderen Roy-Grace-Romanen. Interessant fand ich, dass man in diesem Buch mit beiden Seiten mitfiebert, nur leider führte das auch dazu, dass der Spannungsbogen abflachte, weil man Caitlin durchaus die (illegale) Spenderleber gönnen würde. Ein weiteres Manko des Buches ist, dass man recht schnell die Zusammenhänge ahnt und somit nur noch die Frage im Raum steht, ob Simona und/oder Caitlin gerettet werden können. Große Überraschungen erwarten einen am Ende also nicht mehr. Ich hoffe, dass Peter James in seinem nächsten „Roy Grace“-Fall wieder eine Schippe mehr auflegt, denn, obwohl „Und morgen bist du tot“ durchaus spannend und unterhaltsam war, bin ich doch von Peter James Besseres gewöhnt.

|Hardcover: 528 Seiten
Originaltitel: |Dead Tomorrow|
ISBN-13: 978-3502101970|
http://www.fischerverlage.de/page/scherz

_Peter James bei |Buchwurm.info|:_
[„Mein bis in den Tod“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2493
[„Stirb schön“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=3680
[„So gut wie tot“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5711

Friedman, Celia – Seelenzauberin, Die (Magister-Trilogie 2)

Die Magister-Trilogie:

Band 1: „Die Seelenjägerin“
Band 2: „Die Seelenzauberin“
Band 3: „Legacy of Kings“ (im Original: Mai 2011)

Kamala hatte Glück im Unglück. Obwohl sie mitten im Kampf mit dem Ikata von der Tanslatio überrascht wurde, hat sie überlebt. Ein Nordländer hat die Bestie getötet und Kamala konnte verschwinden. Jetzt will sie Antworten auf ihre Fragen haben. Und so hängt sie sich in der Gestalt eines Habichts an die Fersen jenes Nordländers, der den Ikata getötet hat …

Rhys, der Bruder der Großkönigin Gwynofar, wurde nach seinem Sieg über den Ikata nach Norden geschickt, um einen Blick auf die Speere im Gebiet der Alkalier zu werfen, denn von dort sind seit Monaten keine Berichte mehr eingetroffen. Doch nichts und niemand hätte ihn auf das vorbereiten können, was er in Alkal schließlich vorfindet!

Gwynofar hat unterdessen ihren zweitältesten Sohn Salvator aus dem Kloster zurück gerufen, damit er seinem Vater auf den Thron folgt. Aber kann ein Mann mit den Überzeugungen und dem Lebenswandel der Büßermönche überhaupt ein guter König sein?

Siderea, die Hexenkönigin von Sankara, jedenfalls beabsichtigt, genau diese mönchischen Eigenschaften zu fördern. Ihr unbändiger Lebenswille hat die Frau mit dem erlöschenden Athra dazu gebracht, ein Bündnis mit einem geheimnisvollen Fremden einzugehen, ohne zu versuchen, seine wahren Absichten zu ergründen, oder sich die Mühe zu machen, Erkundigungen über ihn einzuziehen.

Im Großen und Ganzen agieren in diesem zweiten Band des Zyklus‘ noch nahezu dieselben Charaktere wie im ersten Band. Allerdings hat sich das Augenmerk ein wenig verschoben:

Statt Gwynofar steht nun Rhys mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Der mutige Mann ist der Bastardsohn des Erzprotektors von Kierdwyn und damit ein Halb-Lyr. Besonders glücklich ist er über keinen der beiden Umstände, scheint doch die Tatsache, dass er als Halb-Lyr besondere Fähigkeiten im Kampf mit den Ikati besitzt, seinen Sieg über das Ungeheuer zu schmälern. Außerdem fürchtet er – völlig ohne Grund – stets die Ablehnung seiner Stiefmutter. Halt scheint ihm nur sein Glaube an seine Götter und die alten Mythen zu geben. Als er auch diesen verliert, ist er ein gebrochener Mann.

Am anderen Ende der Welt hat sich die Gewichtung von Colivar hin zu Siderea verschoben. Sidereas Verzweiflung angesichts ihres erlöschenden Athras ist so groß, dass sie in der Überzeugung, nichts zu verlieren zu haben, jegliche Vorsicht über Bord wirft. Gleichzeitig entwickelt sie einen ungeheuren Hass auf die Magister, von denen sie sich im Stich gelassen fühlt. Am Ende des Bandes ist diese Frau einer der gefährlichsten Charaktere des gesamten Buches.

Der einzige wichtige Neuzugang, Nyuku, bleibt dagegen fast ein wenig blass. Aus seinem Werdegang werden lediglich einige kurze Ausschnitte erzählt, die aber außer einer wilden Entschlossenheit und einem rücksichtslosen Drang nach Wärme und Licht keine weiteren Eigenschaften verraten. Zumindest vorerst …

Ich fand diese neue Gewichtung innerhalb der Charakterzeichnung sehr gelungen. Es hat bereits interessante Charaktere noch weiter vertieft, ohne dabei die bisherigen zu vernachlässigen. Der einzige, der in dieser Beziehung bisher ausgespart wurde, ist Colivar, was allerdings kein Manko ist, denn schließlich ist seine Figur eines der zentralen Rätsel des Plots.

Der Plot wurde in diesem Band zusätzlich zu den lokalen Handlungssträngen noch um einen zeitlichen erweitert. Nyukus Geschichte wird in Rückblenden erzählt, was sich allerdings erst im Laufe des Buches bemerkbar macht. Eine zusätzliche Kapriole in diesem Strang wurde dann zum endgültigen Stolperstrick: Eine kurze Szene aus der Sicht eines hochrangigen Alkaliers, der sonst nur in der chronologischen Abfolge auftaucht, wird ebenfalls rückblickend erzählt, und der Leser muss erst einmal überlegen, in welchen Zusammenhang dieser Abschnitt gehört.

Ansonsten aber hat die Autorin ihren zweiten Band mit wesentlich mehr Tempo erzählt als den ersten. Das Ende des ersten Bandes wurde ohne überflüssige Weitschweifigkeit noch einmal in den Anfang eingebaut, sodass der Leser sofort wieder direkt im Geschehen ist, ohne sich erst ganze Passagen langweiliger Wiederholungen zu Gemüte führen zu müssen. Und die Spannungskurve wirkt wie eine Börsennotierung: Sie steigt und fällt, verläuft insgesamt aber stetig aufwärts, bis der Leser auf den letzten fünfzig Seiten nicht mehr weiß, woran er seine feuchten Hände noch trocken wischen soll.

Dazu kommen einige beiläufige Anmerkungen, die den aufmerksamen Leser interessiert aufhorchen lassen – zum Beispiel fällt das Wort „Konjunkt“ in diesem Band auch noch in einem ganz anderen Zusammenhang als bisher -, und überraschende Wendungen wie die im Zusammenhang mit der jungen Adligen Petrana, die selbst in den ruhigeren Passagen das Interesse des Lesers jederzeit wach und gespannt halten.

Die Karte, die in der Originalausgabe enthalten ist, hat Piper leider weggelassen.

Um es kurz zu machen: „Die Seelenzauberin“ hat mir, trotz der kleinen Stolperfalle innerhalb des rückblickenden Handlungsstrangs, noch besser gefallen als ihr Vorgänger. Das zügigere Erzähltempo ging weder auf Kosten der Charaktere noch auf die des Weltentwurfs, der Handlungsverlauf war abwechslungsreich und kaum vorhersehbar, die Erweiterung der Grundidee um den Rückblick bot eine weitere Perspektive. Und die kleinen Andeutungen von Colivar versprechen ausgesprochen interessante Aussichten für den Schluss der Trilogie. Die kommt aber leider erst im Mai nächsten Jahres unter dem Titel „Legacy of Kings“ in die amerikanischen Buchläden, da Celia Friedman während der letzten Monate an einem weiteren Band zu ihrer Coldfire-Trilogie saß.

Celia Friedman hat lange als Kostümbildnerin gearbeitet, ehe sie sich gänzlich dem Schreiben zuwandte. Zunächst schrieb sie Science Fiction, später auch Fantasy, allerdings wurden nicht alle ihre Bücher ins Deutsche übersetzt.

Taschenbuch: 504 Seiten
Originaltitel: Wings of Wrath
Deutsch von Irene Holicki
ISBN-13: 978-3492267823

//www.csfriedman.com
http://www.piper-verlag.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

García-Clairac, Santiago – unsichtbare Buch, Das

_Kein Märchen: das Entstehen des Buches beim Lesen_

Der zehnjährige César ist schlecht gelaunt – schon wieder hat er mit seiner Familie umziehen müssen. Bloß weil sein Vater Kinderbuchautor ist und nicht zwei Bücher in einer Stadt schreiben kann. In der neuen Schule setzt sich ausgerechnet Lucía neben ihn, die selbst Schriftstellerin werden will. Schlimmer hätte es ja wohl nicht kommen können, oder? Doch Lucía entpuppt sich als mutige Helferin, als César vom Schulrowdy Lorenzo getriezt und verprügelt wird.

Zum Dank gibt er Seiten von Papas neuestem Manuskript, das den Titel „Das unsichtbare Buch“ trägt und noch gar nicht gezeigt werden darf – niemandem! Lucía ist davon überaus begeistert. Und im Verlauf dieser verwickelten Diebstahl-und-Lese-Aktion beginnt sich Césars ablehnende Haltung gegen Bücher allmählich zu ändern – mit ungeahnten Folgen …

_Der Autor_

Vom spanischen Autor Santiago García-Clairac erschienen im Baumhaus-Verlag:

1) Die Schwarze Armee: „Das Reich der Träume“
2) Die Schwarze Armee: „Das Reich der Dunkelheit“
3) Die Schwarze Armee: „Das Reich des Lichts“

_Handlung_

Von der neuen Schule erwartet César Durango auch nichts Gutes. Er ist gerade mal eine Woche mit seiner Familie in der Stadt und kennt niemanden – und niemand kennt ihn. Es stinkt ihm inzwischen gewaltig, dass sein Vater, der Kinderbuchautor, sofort in eine andere Stadt umzieht, sobald er ein Buch fertiggestellt und veröffentlicht hat. Das brauche er für seine Inspiration, behauptet Papa. Und keiner in der vierköpfigen Familie wagt dagegen aufzumucken. Nur dass César dabei jedes Mal seine Freunde verliert. Er fühlt sich entwurzelt, wie ein Stück Treibholz. Inzwischen hasst César Bücher und alles, was damit zu tun hat. Aber das soll sich radikal ändern.

Da setzt sich eine neue Mitschülerin neben ihn, und mein Gott, ist die hässlich! Die riesige Brille auf ihrer Nase wirkt wie eine Maske, hinter der sie sich versteckt. Aber sie kriegt den Mund nicht zu, fragt ihm Löcher in den Bauch und stellt sich sogar selbst vor. Sie nennt sich Lucía und will Schriftstellerin werden. Ausgerechnet! Nach einer Weile seines mürrischen Schweigens merkt selbst diese Quasselstrippe, dass sie gefälligst verduften soll.

In der Pause geht César raus auf den Schulhof, um seine Ruhe zu haben. Doch die bleibt ihm verwehrt, denn der Schulrowdy Lorenzo hat es mit seinen Kumpanen auf den Neuen abgesehen. Wird der Neue aufmucken oder sich unterbuttern lassen und ihnen sein Taschengeld überlassen? Aber zu einem Kampf kommt es gar nicht, denn auf einmal stellt sich Lucía vor den friedfertigen César und keift die Rowdies an, bis diese Leine ziehen. Auf ein andermal, drohen sie. Der ältere Javier bringt César nach Hause; auch er hat sich geprügelt.

Um sich erkenntlich zu zeigen, bringt César die ersten Seiten von Papas neuem Manuskript mit und gibt sie Lucía zu lesen. Er hat ihr verraten, dass sein Vater Bücher schreibt. Und als er in einem unbeobachteten Moment den Drucker das Manuskript ausspucken sah, hat er einfach zugegriffen. Lucía ist hingerissen, denn die Geschichte handelt von einer Prinzessin Hanna, die ein unsichtbares Buch findet. Sie will unbedingt herausfinden, was in dem Buch steht und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um den Ort zu finden, wo das geht: Dieser Ort, so stellt sich heraus, hat sehr viel Ähnlichkeit mit der Hölle …

Lucía will unbedingt erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Doch Lorenzo macht ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Sie mögen sich selbst in den Heizungskeller der Schule zurückziehen – was streng verboten ist – er findet sie dennoch und verpetzt sie. Eine ernste Verwarnung vom Direx ist die Folge, der von der Geschichte kein Wort versteht. Was soll sie denn bedeuten, um Himmels willen? Hat man so etwas schon gehört? Ein Buch, das unsichtbar ist – welchen Sinn hat es denn?

Auch César war bisher der Meinung, dass nur Dinge, die man sehen kann, existieren. Aber Javier und Lucía belehren ihn eines Besseren. Denn Luciás Mut und ihre Neugier sind unübersehbar. Und deshalb will auch er jetzt den Rest der Geschichte erfahren. Bis sein Vater sie beide vor seinem Computer ertappt, wie sie sein Manuskript lesen …

_Mein Eindruck_

Der junge Leser mag sich fragen, ob Senor Durango wirklich Märchen erzählt. Unsichtbare Bücher – wie kann es die denn geben? Doch der Leser wird unerwartet mit einer tiefen Einsicht überrascht: Unsichtbare Bücher gibt es wirklich – überall! Und warum? Ganz einfach, weil ihr Inhalt erst dann sichtbar wird, wenn sie gelesen werden. Erst dann erwacht ein Buch quasi zum Leben: im Geist des Lesers.

Das sieht sogar ein Materialist wie César ein. Bis er zu dieser Erkenntnis gelangt, muss er allerdings einen weiten Weg der inneren Reifung zurücklegen. Denn am Anfang seines Weges sind Bücher ja seine Feinde, und er tut alles, um ihnen fernzubleiben. Als Lucía sagt, sie wolle Bücher schreiben, ist sie deshalb sofort bei ihm unten durch.

Doch Lucías Begeisterung wendet das Blatt ebenso wie ihr Mut im Kampf gegen Lorenzo. Nach einigem hin und her nimmt sie ihn mit auf das Abenteuer, das jedes Buch bereithält: die Entdeckungsreise. Und da Vaters Buch erst im Entstehen ist, gestaltet sich die Entdeckung mindestens so abenteuerlich und spannend wie jene Reise, auf die sich Prinzessin Hanna mit ihrem getreuen Sigfrido begibt. Wie Hanna wollen auch César und Lucía ein Geheimnis entdecken. Und dass das Spicken in ein Buch, das erst geschrieben wird, streng VERBOTEN ist, macht die ganze Sache des Entdeckens umso reizvoller.

Lucías Auftauchen in Césars Familie ändert vieles. Nicht nur César erscheint nicht mehr als Störenfried, sondern sie hat auch einen Draht zu seinem Vater – Schriftsteller quasi unter sich. Deshalb ist sie diejenige, die die Haltung von Senor Durango ändert, als er ihre „Untat“ entdeckt. Wie kann er ihnen böse sein, wenn sie neugierig auf den Schluss seines Buches sein? Na, bitte. Und (ganz) vielleicht wird Senor Durango fortan nicht mehr wegziehen, wenn er ein neues Buch schreiben will. Hoffen darf man ja. Aber dann ist da ja noch Lorenzo …

|Die Illustrationen|

Die Schrift ist so groß gedruckt (etwa 12 Punkt), dass sie sich selbst für Omas bestens zum Vorlesen eignet. Auch die Illustrationen, die Katherina Lindenblatt beigesteuert hat, sind kindgerecht: sehr einfache Motive, stets mit einem Kind oder zweien darauf. So ist die Zeichnung auf das Wesentliche reduziert, und es kann zu keinen Missverständnissen kommen. Das Niveau ist insgesamt selbst für Acht- oder Neunjährige kein Problem.

_Unterm Strich_

Das schmale Büchlein mit der großen Schrift nimmt den jungen Leser ab neun oder zehn Jahren mit auf das, was man beim Lesen am liebsten unternimmt: auf eine Entdeckungsreise. Die Reise setzt sowohl für die Figuren der Binnengeschichte als auch für die beiden Leser und Entdecker César und Lucía eine Entwicklung in Gang, die zur Reifung führt – und zu einer wichtigen Einsicht über die wahre Natur eines Buches: Es ist solange unsichtbar, wie es sich nicht im Geist eines Lesers befindet.

Das leuchtet mir völlig ein. Denn man kann nicht aufrichtig über ein Buch sprechen, solange man es nicht gelesen und erlebt hat. Erst dann erwacht es zum Leben. Ganz nebenbei erzählt der Autor eine Geschichte über das Verhältnis des Unsichtbaren zum Sichtbaren in der Welt und unserem Leben – und was für uns eigentlich wichtiger ist.

Solch ein lehrreiches Büchlein sollte man auch mehr Menschen in die Hand drücken. Oder es einfach zu Weihnachten an die Lieben verschenken. Oder solche, die es noch werden sollen.

|Taschenbuch: 143 Seiten
Originaltitel: El libro invisibile (1999)
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Iillustriert von Katherina Lindenblatt
ISBN-13: 978-3833935985|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Ken Follett – Sturz der Titanen (Die Jahrhundert-Saga 1)

Die Handlung:

Europa, 1914: Eine deutsch-österreichische Aristokratenfamilie, die durch politische Spannungen zerrissen wird. Eine Familie aus England zwischen Arbeiterschicht und Adel. Und zwei Brüder aus Russland, die in den Strudel der Revolution geraten und sich auf verschiedenen Seiten gegenüber stehen. Ken Folletts neue Trilogie spielt zwischen 1914 und 1989 und erzählt von drei Familien aus drei Ländern, deren Schicksale auf dramatische Weise miteinander verknüpft sind – und wird Geschichte schreiben! (Verlagsinfo)

Meine Meinung:

Mit diesem Buch startet Follett seine neue Trilogie mit dem Titel „The Century“. In dieser Reihe beschreibt der Autor das 20. Jahrhundert aus der Sicht unterschiedlicher Familien aus Amerika, Deutschland, Russland, England und Wales, die wichtige und bekannte geschichtliche Ereignisse durchleben. Im Speziellen sind das im ersten Band der Erste Weltkrieg, die Russische Revolution und der Kampf der Frauen um das eigene Wahlrecht in Großbritannien.

Wie schon beim letzten Roman „Die Tore der Welt“ erwartet den Hörer eine gekürzte Lesung, die allerdings auch wieder auf 12 CDs erscheint, was fast die doppelte Menge von dem ist, mit dem andere Verlage bei ihren Hörbuchumsetzungen aufwarten. Eine ungekürzte Lesung mit ca. 40 Stunden Spieldauer, die von Philipp Schepmann gelesen wird, erscheint voraussichtlich im November. Und ich kann mir gut vorstellen, dass auch bei diesem Buch eine Hörspiel-Umsetzung folgen wird, wie es schon nach dem Erfolg von „Die Tore der Welt“ der Fall war.

„Sturz der Titanen“ beginnt im Juni 1911 und endet im Januar 1924, wobei ein großer Anteil der Geschichten sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs abspielen. Hier schafft es Follett perfekt, die Schicksale der vielen Charaktere und Familien, die aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Ländern stammen, miteinander zu verknüpfen. So trifft der Grubenjunge Billy aus Wales auf den Russen Lev, der eigentlich von Russland nach Amerika auswandern wollte, aber betrogen wurde und in Wales gestrandet ist. Und Lady Maud Fitzherbert verliebt sich in den Deutschen Walter von Ulrich.

Viele interessante Charaktere, viele interessante Geschichten, alle irgendwie und irgendwo miteinander verbunden und keine davon auch nur eine Spur langweilig. Jeder Mann und jede Frau ist nicht einfach nur gut oder böse gezeichnet, Follett zeigt dem Hörer auch, warum sie so handeln und denken, wie sie es tun. Die gesellschaftliche Stellung und die Herkunft der Charaktere hat eine Menge damit zu tun, wie sie miteinander interagieren.

Einzig die mir persönlich zu detailliert geschilderten und zu häufig auftretenden Sex-Szenen bremsen die Handlung immer mal wieder ab. Aber auch nicht wirklich lange, denn während sich die einen ausruhen, erleben die anderen wieder etwas Interessantes.

Mein Hör-Eindruck:

Ken Follett persönlich begrüßt den Hörer als Einleitung der ersten CD auf Englisch. Er wünscht eine gute Unterhaltung und spricht am Ende seines Einleitungssatzes den Titel des Romans auch auf Deutsch aus. Dann folgt ruhige Ambientmusik, während eine Frauenstimme den männlichen Sprecher vorstellt. Nach ein wenig mehr Musik beginnt Johannes Steck mit seiner Arbeit, während die Musik ganz langsam ausgeblendet wird. Das schafft eine angenehme Stimmung und nimmt den Hörer ganz vorsichtig mit in die Story.

Und wenn Steck dann beginnt, vom Grubenjungen Billy zu erzählen, fällt dem Hörer gar nicht auf, dass im Hintergrund schon gar keine Untermalung mehr zu hören ist. So schnell schafft es Follett, den Hörer in seinen Bann zu ziehen – oder ist es Steck? Es ist bestimmt die Kombination aus beiden.

Nie aufdringlich oder nervend bearbeitet er die vielen unterschiedlichen Charaktere. Der jeweiligen Gesellschaftsstellung angemessen spricht er aristokratisch oder vulgär und gewöhnlich. Auch mit der Lautstärke seiner Stimme spielt Steck gekonnt. So deutet er nicht nur ein Brüllen an, er brüllt auch, allerdings entfernt er sich dafür vom Mikrofon, was den Effekt aber nicht schmälert. Jedem Charakter wird seine eigene individuelle Note verliehen, die einen hohen Wiedererkennungswert hat.

Steck ist dabei immer klar und deutlich zu verstehen und erzählt mit seiner angenehmen Stimmfarbe eine spannende und überaus interessante Geschichte.

Die Übersetzung

Normalerweise gehe ich nie gesondert auf die Übersetzung ein, besonders nicht bei einem Hörbuch, aber hier ist mir doch etwas äußerst unangenehm aufgefallen. Wie der Übersetzer auf die Idee kommt, dass Wörter wie „giggle“ (kichern) und „pal“ (Kumpel, Kamerad) als Anglizismus Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Kinder oder Näherinnen also „giggeln“, dann klingt es nicht nur unnatürlich, das ist es auch, denn im Gegensatz zum Wort „googeln“ gibt es dieses Wort im deutschen Sprachgebrauch nicht.

Des Weiteren schafft der Übersetzer es auch den derben Witz einer Näherin so seltsam und unlustig zu übersetzen, dass ich im Original nachschlagen musste, weil ich mir nicht erklären konnte, was an dieser Stelle denn nun so witzig sein sollte. Es stellte sich heraus, dass hier „itchy finger“ (juckender Finger) mit „Intimbereich“ übersetzt wurde, was den Witz komplett zerstört.

Und das sind nur die Stellen, die mir direkt aufgefallen sind. Es gibt bestimmt noch weitere, die nicht das wiedergeben, was der Autor beabsichtig hat.

Die Aufmachung

Die Aufmachung dieser Lesung ist wirklich ansprechend gemacht. Komplett auf Plastik verzichtend, kommt das Hörbuch in einem Pappschuber daher, in dem zwei Pappeinschübe stecken, die jeweils sechs CDs enthalten.

Bei den Einschüben hat man sich eine intelligente Aufbewahrungsart einfallen lassen. So stecken die einzelnen CDs jeweils bis zur Hälfte in einer Art Einschubtasche. Sie sind zwar leicht zu entnehmen, sitzen aber fest genug, um nicht herauszufallen. Hinter den CDs und auf den Einschubtaschen sind weitere Informationen zum Buch, Bilder von Autor und Sprecher, Auszüge aus „Sturz der Titanen“, eine Aufstellung der beschriebenen Charaktere, und das sind eine Menge Personen, Schwarz/Weiß-Zeichnungen und bei CD 7 – 12 Werbung für weitere Ken-Follett-Lesungen aufgedruckt. So stört es nicht weiter, dass es kein Booklet gibt.

Was allerdings stört, ist ein starker Geruch nach Chemie, der sich sofort verbreitet, nachdem die Box von der Plastikfolie befreit wurde. Nach ein paar Tagen war dieser Geruch allerdings verflogen.

Die Fortsetzungen

In den nächsten beiden Bänden der Reihe wird Follett den kommenden Generationen der bekannten Familien folgen, die sich mit weiteren geschichtlichen Großereignissen auseinandersetzen müssen. Und Nachwuchs gibt es so viel, wie es in „Sturz der Titanen“ Sex gibt.

Der Sprecher

Johannes Steck, Jahrgang 1966, ist Schauspieler und Sprecher. Nach einer Ausbildung zum Theatermaler am Staatstheater Braunschweig studierte er an der Schauspielschule Prof. Krauss in Wien. Verschiedene Engagement an deutschen Bühnen folgten, zum Beispiel am Schauspielhaus Chemnitz, am Stadttheater Würzburg und am Staatstheater Darmstadt. Danach zog es ihn verstärkt zum Fernsehen. Er war über vier Jahre in einer Hauptrolle in der ARD-Fernsehserie „In aller Freundschaft“ zu sehen, spielte aber auch in „Forsthaus Falkenau“, „Soko Leipzig“ und „Die Wache“. Seit 2004 widmet sich Johannes Steck verstärkt seiner Leidenschaft – den Hörbüchern. (Verlagsinfo)

Mein Fazit:

Ein tolles Hörbuch und ein toller Sprecher. Eine sehr gut recherchierte und ebenso spannende Geschichte mit vielen unterschiedlichen Charakteren, die in einer interessanten Zeit leben. Kein Sturz für den Titan Ken Follett.

12 Audio-CDs mit 15:30 Stunden Spieldauer, aufgeteilt auf 157 Tracks
Originaltitel: Fall of the Giants
Gesprochen von Johannes Steck
ISBN-13: 978-3785744000
www.luebbe-audio.de
Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

von Michalewsky, Nikolai (als Mark Brandis) – Mark Brandis: Aufstand der Roboter (Weltraumpartisanen – Band 4)

_Mark Brandis:_

Band 1: [Bordbuch Delta VII]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6535
Band 2: [Verrat auf der Venus]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6539
Band 3: [Unternehmen Delphin]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6536
Band 4: _Aufstand der Roboter_

Mit dem Namen Nikolai von Michalewsky (1931 – 2000) kann kaum ein Uneingeweihter etwas anfangen, bei dessen Pseudonym „Mark Brandis“ klingelts bei einigen dann doch. Zumindest wenn sie dereinst Science-Fiction-Infizierte waren. Zwischen 1970 und 1987 verfasste er 31 Bände Weltraumabenteuer mit der gleichnamigen Titelfigur. „Mark Brandis“ gilt damit neben dem Mammutprojekt „Perry Rhodan“ als eine der erfolgreichsten deutschen SciFi-Serien. Leider waren die |Herder|-Bücher lange Zeit nur noch im Antiquariat aufzutreiben, und von einem letzten halbherzigen Versuch bei |Bertelsmann| im Jahr 2000 einmal abgesehen geriet die Serie in Vergessenheit. Bis der |Wurdack|-Verlag 2008 begann, den Schleier ernsthaft zu lichten und diese Klassiker Stück für Stück wieder zu veröffentlichen: Derzeit erscheinen zwei Bände pro Quartal in neuem Glanz.

_Zur Story_

Das Weltall im Jahr 2072 – Bereits ein Jahr sind Commander Mark Brandis und seine Crew mit der „Delta VII“ auf der Flucht vor den Schergen der „Reinigenden Flamme“, jener faschistoiden Bewegung, welche unter Führung des texanischen Generals Gordon B. Smith die freiheitlich-demokratische Union der Kontinente Europa, Amerika und Afrika (kurz: EAAU) in eine grausige Militär-Diktatur stürzte. Das war 2069. Seither haben Widerstandsgruppen sogar unter Mitwirkung des ehemaligen Erzfeindes VOR (der Vereinigten Orientalischen Republiken) ihm immer wieder empfindliche Schlappen beibringen und seine totale Herrschaft über das gesamte Sonnensystem vereiteln können. Bisher jedenfalls. Doch Smith bastelt mit Vehemenz weiter an seiner Allmacht.

Welche neue Teufelei er ausgeheckt hat, erfährt die Besatzung der „Delta VII“ zufällig und aus einer Notlage heraus. Das Schiff hat es Dank seiner überragenden Geschwindigkeit stets geschafft, seinen Häschern und somit der sicheren Vernichtung zu entgehen, doch ein viel banaleres Problem könnte sie zur Strecke bringen: Hunger. Der Proviant ist aufgebraucht, die tapfere Mannschaft mittlerweile vollkommen entkräftet und Lieutenant Ibaka leidet plötzlich am gefürchteten Raumfieber. Für einen halb Verhungerten ist diese ansonsten eigentlich nie tödliche Krankheit ein Todesurteil. Pilot Captain Monnier hat eine verzweifelte Idee. Eine schwache Hoffnung ist aber besser, als spätestens in einigen Tagen sang- und klanglos zu verrecken.

Der Strohhalm ist eine kleine aufgegebene Raumstation, welche offiziell längst als verglüht gilt. Aus seinen Zeiten bei der Strategischen Raumflotte weiß er aber um das Gerücht, dass die alte „ASTROSTAT“ sehr wohl noch einsam und fast vergessen ihre Bahn durchs Sonnensystem zieht. Da sie recht hastig verlassen wurde, dürften dort die nahezu unendlich haltbaren Verpflegungsrationen vorhanden sein. Tatsächlich findet die Delta VII den ehemaligen Außenposten, der sich sogar in verdächtig gutem Zustand präsentiert. Die Aussicht auf etwas zu Essen macht blind für die lauernde Gefahr. Brandis und seine Kameraden sehen sich auf der Station plötzlich einer „Homo Faktus“-Einheit des Generals gegenüber – Soldaten aus der Retorte.

_Eindrücke_

Showtime. Das Thema: Genmanipulation bzw. Eugenik – in diesem Fall die Zucht des perfekten, gewissenlosen und loyalen Kriegers. Dabei dient Michalewsky das Ideal des seinerzeit von der NSDAP propagierten Ariers als Vorlage. Blond, blauäugig und muskulös sind die Klone, welche – sachlich nicht korrekt – mitunter als (menschliche) Roboter bezeichnet werden, wovon sich auch der Titel ableitet. Dieser verrät eigentlich schon, was passieren wird und auch das Wie kristallisiert sich recht rasch heraus, wenn man auch nur gering fantasiebegabt ist. Fantasie ist übrigens ein Stichwort. Diese braucht man nämlich reichlich, wenn man sich den Plot physikalisch-technisch einmal genauer ansieht. Gerade „Aufstand der Roboter“ hält, bei aller Spannung und Pace, auch so manche Unglaubwürdigkeit parat.

Eine davon kommt beinahe in allen Brandis-Büchern vor: Das Überlisten des Gegners durch Anflug mit der Sonne im Rücken. Die Taktik mag bei Kampffliegern im 2. Weltkrieg gute Dienste geleistet haben, ist jedoch bereits mit real existierenden Radarsystemen im Entstehungsjahr der Serie 1970 ziemlich witzlos und im fiktiven 2072 dann wohl erst recht. Richtig strapaziert wird des Lesers Sinn für Realismus allerdings, wenn den Retortenmenschen mittels einer Art zermahlenem Hirnpulvers die Erfahrungen anderer Individuen injiziert werden. Michalewsky behauptete stets von sich, kein SciFi-Autor zu sein. Obwohl die Serie durchaus etwas anderes beweist, ist man bei derart weit hergeholten Ideen gelegentlich geneigt, dem zuzustimmen.

Doch um Technik und futuristische Elemente zum Selbstzweck geht es ja bei Brandis grundsätzlich auch nie. Man kann über die unbestreitbar vorhandenen kleinen – aber sympathischen – Schrullen hinweg sehen und sie unter „Charakter“ verbuchen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr immer die Menschen, allen voran Brandis als Alter-Ego des Autors, der sich mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt bzw. oft genug bis zur Schirmmütze im Schlamassel sitzt. Dabei spart er nicht mit Selbstkritik und -zweifeln, ob das, was er sich und seinen Untergebenen im Namen der Freiheit abverlangt, auch wirklich richtig ist. Die dafür gewählte Ich-Form tut ihr Übriges, das Identifikationspotenzial mit der Figur vollkommen auszureizen. Und weil das so gut klappt, wird innerhalb der Reihe auch nur ganz selten mal von dieser Erzählstruktur abgewichen.

_Fazit_

Die Guerillazeiten der „Delta VII“ sind vorbei. Band 4 schließt den „General-Smith-Zyklus“ mit Friede, Freude, (geklonten) Eierköppen und im Finale vielleicht etwas dick aufgetragenem Pathos ab. Es hätte das Ende sein können. Tatsächlich hatte der Herder-Verlag damals lediglich eine kleine Jugend-SciFi-Serie bei Nikolai von Michalewsky in Auftrag gegeben, welche aus drei bis vier Bänden bestehen sollte. Doch Mark Brandis sprach (und spricht) mit seinen sozialkritischen Themen alle Altersklassen dermaßen an, dass auf Grund des großen Erfolges dann noch 27 weitere Bücher folgten. Den Beinamen „Weltraumpartisanen“ hat man beibehalten, wiewohl dieser sich auf die ersten vier Bände bezog. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass die untrennbar miteinander verbunden und somit einzeln für Quereinsteiger ungeeignet sind.

|ISBN: 9-783-93806-548-8
190 Seiten, Broschur|

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Stiefvater, Maggie – Nach dem Sommer

_|The Wolves of Mercy Falls|:_

01 _“Nach dem Sommer“_
02 „Ruht das Licht“ (2011)
03 „In deinen Augen“ (nur angekündigt)

_Die 17-jährige Grace_ wurde als 11-Jährige im Winter von Wölfen von ihrer Schaukel gezerrt, in den Wald verschleppt und blutig gebissen. Ein Wolf mit goldenen Augen hat sie damals gerettet. Seit diesem Winter wartet Grace jedes Jahr ab dem Herbst auf ihren Wolf und freut sich, wenn dieser wieder am Waldrand auftaucht und sie ihn beobachten kann.

Die Sommer über vermisst sie ihn, und erst wenn es kühler wird, kann sie ihn weiter beobachten. Was sie nicht weiß, dieser Wolf ist ihr auch im Sommer nah, in dieser Zeit allerdings in Gestalt eines Jungen, Sam. Erst wenn es kälter wird, verwandelt er sich wieder in einen Wolf.

Als in Mercy Falls im September ein Schulkamerad von Grace, Jack, von den Wölfen getötet wird, beginnt eine Jagd auf die Wölfe. Grace, die davon erfährt, versucht die Jäger zu stoppen und sucht ihren Wolf im Wald, um ihn zu retten. Nachdem sie viele Schüsse gehört hat und ihren Wolf nicht finden kann, geht sie völlig verzweifelt nach Hause und findet auf der Veranda einen Jungen, der aus einer Wunde am Hals blutet. Panisch bringt sie ihn ins Haus, um ihn zu versorgen. Als der Junge sie dann aus goldenen Augen anschaut, kann sie es kaum fassen, sollte dies ihr Wolf sein?

Sie bringt Sam in ein Krankenhaus, wo seine Wunde versorgt wird und weicht ihm nicht von der Seite. Als er aus seiner Narkose erwacht, ist von seiner Wunde schon nicht mehr viel zu sehen. Da er ein Werwolf ist, heilen Wunden sehr viel schneller als normal und um nicht aufzufallen, fliehen Sam und Grace aus dem Krankenhaus.

Grace nimmt Sam mit zu sich nach Hause und beide spüren eine tiefe Zuneigung füreinander. Sam erzählt Grace von seinem Leben, und da er instinktiv spürt, dass die letzten Tage seines Menschseins angebrochen sind, erzählt er ihr auch davon, dass er sich nach diesem Winter vermutlich nie wider in einen Menschen verwandeln wird. Grace verzweifelt daran fast und will versuchen ein Heilmittel zu finden. Die Beziehung zwischen Sam und Grace festigt sich schnell und beide kämpfen gegen die Kälte, die Sam seine Menschlichkeit rauben wird an.

_Kritik_

Mit |Nach dem Sommer| hat Maggie Stiefvater den Auftakt zu einer wunderbar romantischen, bewegenden und geheimnisvollen Trilogie rund um Sam, Grace und die Wölfe von Mercy Falls geschrieben.

Mit einem detailreichen und sehr lebendigen und ausdrucksstarken Schreibstil, fesselt die Autorin den Leser direkt an das Geschehen. Der Spannungsbogen ist ab der ersten Seite vorhanden und zieht sich dabei, zu der Geschichte passend, gleichmäßig durch den Roman. Die Umgebung und besonders der Wald, wurde bildreich und ausdrucksvoll beschrieben, sodass der Leser in der Lage ist, die Umgebung sehr bildlich wahrzunehmen.

Einzigartig ist die Idee, die Wandlung der Wölfe Jahreszeiten abhängig zu gestalten und ihr letztendlich auch etwas endgültiges zu geben, da jedem infizierten Menschen nur begrenzte Zeit bleibt, bevor die Wandlung vollständig wird. Glaubwürdig wurde auch der Wandel selber beschieben, der sich als äußerst schmerzhaft und keineswegs romantisch verklärt dargestellt wird.

Kleinere Unstimmigkeiten, die allerdings kaum zu benennen sind und sich in den weiteren Romanen aufklären können, fallen kaum ins Gewicht und beeinträchtigen den Plot im Ganzen kaum. Maggie Stiefvater hat die Geschichte in den verschiedenen Kapiteln mal aus der Perspektive von Grace und mal aus der Sicht von Sam erzählt, was dem Leser beide Charaktere sehr nahe bringt. Viel Gefühl ist in beiden Perspektiven untergebracht, sodass man sie einzeln fast zu spüren vermag und auf jeden Fall berührt wird.

Der Erzählstil ist überzeugend jugendlich, aber mit einer besonderen Tiefe, die besonders in Sams Kapiteln zum Tragen kommt. Die Protagonisten sind jeder für sich glaubwürdig und sehr reell konzipiert. Die eher nüchterne und sachliche Grace, bekommt mit Sam einen gefühlvollen und poetischen Charakter an die Seite gestellt und so entsteht ein sich perfekt ergänzendes Paar. Beide sind lebendig und authentisch dargestellt, wobei Sams Charakter der eindruckvollste ist. Mit seiner Leidenschaft zur Musik, die besonders durch in seinen Gedanken entstehenden Songtexten dargestellt wird, sowie der Liebe zur Literatur, zeigt dieser Charakter, dass es nicht nur düstere Geheimnisse und stattliche Muskeln braucht, um im Leben bestehen zu können. Gerade seine feinfühlige Art macht ihn zu etwas Besonderem und Liebenswertem. Beide, Sam und Grace, wirken einerseits sehr verletzlich, aber dabei auch stark genug, um es mit ihrem Schicksal aufzunehmen.
Auch die übrigen Charaktere sind keinesfalls eindimensional, sondern haben ebenfalls eine Fülle an Charaktereigenschaften vorzuweisen. Jeder hat eine eigene Kraft, die ihn vorwärts treibt.

Die Gestaltung des Covers wirkt nachhaltig und sanft schimmernd. In hellen Farben wird dort mit herbstlichen Tönen gearbeitet und dies passt sich dem Titel „Nach dem Sommer“ somit perfekt an. Die Titel der Trilogie ergeben nacheinander gelesen |’Nach dem Sommer ruht das Licht in deinen Augen’| was direkt zum Träumen einlädt.

_Fazit_

Mit |Nach dem Sommer| hat Maggie Stiefvater den Beginn einer einzigartigen Trilogie geschafften, die durch viel Gefühl besticht. Mit ihren einzigartigen Charakteren und dem außergewöhnlichen und intensiven Plot, hat die Autorin eine Geschichte geschaffen, die zum Träumen einlädt und Lust auf mehr macht.

Ich freue mich schon auf |Ruht das Licht| den zweiten Teil der Trilogie der Trilogie rund um Sam und Grace.

_Autorin_

Maggie Stiefvater, geboren im November 1981 in Virginia, verlebte eine nach eigenen Worten sehr chaotische, aber sehr kreative und musisch geprägte Kindheit und Jugend. Nach dem College versuchte sie u. a. als Kellnerin, Zeichenlehrerin beruflich Fuß zu fassen. Doch sehr bald schon meldeten sich ihre kreativen Talente und verlangten, ausgelebt zu werden – zunächst als Musikerin und Songwriterin, dann zunehmend als bildende Künstlerin.

Für ihre künstlerischen Arbeiten wurde sie inzwischen mit einigen wichtigen Preisen ausgezeichnet. Seit 2007 hat sich Stiefvater aufs Schreiben konzentriert und zählt inzwischen zu den erfolgreichsten Autorinnen der Dark-Fantasy.

Ihr aktueller Roman, „Nach dem Sommer“, steht seit seinem Erscheinen ununterbrochen unter den besten Zehn der New-York-Times-Bestseller (Jugendbuch). Wenige Wochen nach Veröffentlichung wurden die Filmrechte an die Produzenten von „Der Herr der Ringe“ und „Der goldene Kompass“ verkauft. „Nach dem Sommer“ wird als „the next big thing“ nach Stephenie Meyer gehandelt.

|Gebundene Ausgabe: 423 Seiten
Originaltitel: Shiver (2009)
ISBN-13: 978-3839001080|
[www.script5.de]http://www.script5.de
[www.maggiestiefvater.de]http://www.maggiestiefvater.de

_Nadine Warnke_

Urbanski, Silke – Störtebekers Henker

_Klaus Störtebekers Legende_ lebt noch 700 Jahre nach seiner Hinrichtung in Hamburg und beschäftigt Autoren oder Regisseure. Das Leben des berühmt-berüchtigten Seeräubers, der zudem noch ein Anführer der Vitalienbrüder gewesen sein soll, wird in vielen Romanen heroisiert. Lange Jahre kämpfte Störtebeker mit Gödeke Michels an seiner Seite gegen die hanseatischen Pfeffersäcke.

In Nord- und Ostsee wurden die Vitalienbrüder schnell zu einer Gefahr für die hanseatischen Städte wie Hamburg und Lübeck. Der gesamte Handel mit Waren aus England und Holland war im Begriff zugrunde zu gehen, so angespannt war die Situation um das Jahr 1400. Am 22. April 1401 wurde Störtebeker in einer Seeschlacht bei Helgoland von der hanseatischen Flotte unter der Führung von Simon von Utrecht gestellt und nach einem heftigen Kampf gefangen genommen. Der 20. Oktober 1401 sollte dann zum Todestag des Seeräubers werden. Zusammen mit 30 Gefährten wurde Störtebeker auf dem Grasbrook in Hamburg enthauptet. Die Köpfe der Enthaupteten wurden entlang des Hafens zur Warnung an der Elbe aufgestellt – ein deutliches Symbol der Abschreckung für alle Seeräuber und Halunken der Meere.

Um seinen Tod, genau wie um seine historische Person, ranken sich zahlreiche Legenden, und in manchen Liedern und Überlieferungen wird Störtebeker als eine Art Freiheitsheld dargestellt. Seine Beute, die er den reichen hanseatischen Kaufleuten abgenommen hat, soll er an die Armen und Bedürftigen verteilt haben. Weiterhin soll er über immense Körperkräfte verfügt und einen Stiefel Bier mit einem Zug leeren gekonnt haben.

Was für eine Mensch war Klaus Störtebeker? Ein brutaler Seeräuber, ein Volksheld oder einfach ein willkommenes Opfer für die Politik der Hansestädte?

Silke Urbanksi, selbst in Hamburg geboren, ist promovierte Mittelalterhistorikerin mit den Schwerpunkten Kloster, Hanse- und Wirtschaftsgeschichte und hat in ihrem Roman „Störtebekers Henker“ den Mythos um den Seeräuber zum Thema gemacht.

_Inhalt_

Richard von Hardin, ein Ritter des Deutschen Ordens, ist das Töten für Gott und den Fürsten leid. Noch immer verfolgt ihn das Blutvergießen in seinen Träumen, die Sünden und die Taten seines ganzen Lebens. Über viele Umwege auf der Suche nach „Arbeit“ wird der ehemalige Deutschordensritter zur persönlichen Eskorte eines Viehtriebes in die Hansestadt Hamburg. Doch das Unglück reist mit dem armen Ritter, und so wird er aufgrund einiger Unstimmigkeiten von seinem Auftraggeber durch das Schnellgericht der Hansestadt angeklagt und am Pranger zum Gespött der Bürger.

Noch verzweifelter als zuvor, schier ohne Perspektive wird ihm ein Auftrag der Stadt angeboten. Der Hanse ist es nach Jahren gelungen, des berüchtigten Vitalienbruder Klaus Störtebeker vor Helgoland habhaft zu werden. Zusammen mit seiner Mannschaft wartet der Seeräuber auf seine nicht mehr vermeidbare Hinrichtung. In Gefangenschaft werden die Gefährten um Störtebeker durch Folter geständig, doch viele sterben lieber als Zugeständnisse zu machen. In der Stadt macht sich schnell Unruhe breit, denn viele sehen in Störtebeker einen Mythos, einen ehrenhaften Mann und würden die Vitalienbrüder lieber frei sehen.

In dieser angespannten Situation halten es die Räte der Stadt für wichtig, die Hinrichtungen nicht lange aufzuschieben. Doch leider ist das Geschick mit dem Richtschwert des amtierenden Henkers nicht wirklich zufriedenstellend. Also sieht man in dem armen, aber sicheren Schwertkämpfer Richard von Hardin angemessen Ersatz …

_Kritik_

„Störtebekers Henker“ von Silke Urbanski ist eine facettenreiche und inhaltlich spannende Geschichte aus der glorreichen Hansezeit. Besonders gut gelungen sind ihre detaillierten Schilderungen der gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge in der Stadt Hamburg und der Hanse überhaupt.

Hauptplot des Romanes ist eine Intrige, die der ehemalige Ritter und jetzige Henker zusammen mit einer heilkundigen Begine aufdeckt. „Störtebekers Henker“ ist also ein historischer Krimi, und ein recht guter dazu.

Silke Urbanski, die studierte Historikerin und deren Schwerpunkt die Hansezeit ist, begeistert und überzeugt mit einer spannenden Geschichte und gut ausgearbeiteten Charakteren. Vielseitig und abwechslungsreich erzählt sie den Mythos um den berüchtigten Störtebeker und entwirft ein kritisches Bild um die damaligen Patrizier und ihre korrupte Machtstellung.

Fakten und Fiktion kombiniert die hanseatische Expertin Silke Urbanski gekonnt und stilistisch einwandfrei. Phasenweise erkennt man allerdings die tiefe historische Verwurzelung, und die Autorin driftet manches Mal zu sehr ab in die sozialen und gesellschaftlichen Gruppen, sodass der Leser manchen Leerlauf in der Handlung über sich ergehen lassen muss.

Die Protagonisten sind überschaubar und absolut gekonnt in die Handlung eingewoben, sodass der Leser sich auch hier nicht von vielen Nebenhandlungen und weiteren Personen verwirren lassen muss. Im Anhang befinden sich neben der Danksagung und dem Nachwort ein Personenregister und ein sehr gutes Glossar, das neben den Personen auch Begrifflichkeiten aus dem Mittelalter und der Hansezeit anschaulich erklärt.

_Fazit_

„Störtekers Henker“ von Silke Urbanski aus dem |Emons|-Verlag wird dem Leser von historischen Romanen und Krimis lange in Erinnerung bleiben. Fabelhaft recherchiert, überzeugt die Geschichte mit viel Hintergrundwissen und einer spannenden Handlung.

|Taschenbuch: 382 Seiten
ISBN-13: 978-3897056701|
[www.emons-verlag.de]http://www.emons-verlag.de

Agus, Milena – Flügel meines Vaters, Die

_Inhalt_

Auf Sardinien gibt es ein paar traumhaft hübsche nebeneinander gelegene Grundstücke, von denen eines ans Meer grenzt. Die Bauherren der Gegend träumen von diesen Grundstücken und täten vieles, um sie in die Hände zu bekommen und ein paar praktische Bungalows darauf zu stellen, aber da macht ihnen Madame einen Strich durch die Rechnung. Madame ist keineswegs Französin, wie ihr Spitzname vermuten lässt, aber sie schwärmt für Frankreich und würde schrecklich gern einmal nach Paris reisen. Einstweilen aber begnügt sie sich damit, auf ihrem unendlich wertvollen Grundstück ein bescheidenes Hotel zu führen und Obst und Gemüse anzubauen, das tatsächlich nach etwas anderem als Wasser schmeckt.

Neben Madame lebt die Familie der Erzählerin – sie ist vierzehn und denkt sich gern Geschichten aus, die schöner sind als die Wahrheit. Sie kommt mit Madame gut zurecht, denn auch Madame versucht die Wahrheit zu beeinflussen, und zwar durch weiße Magie. Zur Familie gehören der Großvater, der einen besonderen Blick auf die Welt hat und meist das Gute sieht, und die Mutter, die nach dem Verschwinden des Vaters, der vor seinen Spielschulden geflohen ist, bettlägerig ist.

Der Mikrokosmos wird ergänzt durch eine weitere Familie mit nicht unproblematischen Mitgliedern und diverse Gäste bzw. Menschen, von denen Madame denkt, dass sie sie liebt. Sie hat ein großes Herz und jede Menge Liebe zu verschenken, aber es gibt so gut wie niemanden, der damit umgehen kann. Das übliche Auf und Ab im Leben, herzergreifend in all seiner Banalität und Wehmut, wird für die halbwüchsige Erzählerin überwacht von den Flügeln ihres Vaters – er ist tot, hat sie gehört, und seitdem kommt er manchmal spätabends ins Zimmer geflogen und bauscht die Vorhänge, bis sie die Decke berühren und wie seine Flügel wirken. Kleine Wunder geschehen in ihrer Nähe, und Beruhigung geht von ihnen aus. Ob sie auch helfen können, wenn ein Unglück geschieht und die kleine Oase in der unberührten Natur in Gefahr gerät?

_Meinung_

„Die Flügel meines Vaters“ kombiniert mit einem guten Schuss Zärtlichkeit Charaktere, die nicht besonders gut zusammenpassen. Manch einer leidet stumm unter seinem Nächsten, aber die räumliche Nähe lässt ein Ende dieses Leidens nicht zu. Träume und Ansichten reiben sich aneinander auf, und wäre da nicht die stille Toleranz im großen Herzen jener, die alles überblicken, wäre der kleine Ort am Meer ein viel hässlicherer Ort. Es ist anrührend, wie die Erzählerin sich ihre eigene kleine Welt zurechtsinnt und darin unauffällig vom Großvater unterstützt wird, der hinter die Fassaden zu schauen im Stande ist.

Die kurzen Kapitel des schmalen Bandes schildern unaufgeregt alles, von Alltäglichkeiten bis zum Abstoßenden, Absurdes mischt sich mit totaler Normalität, Leidenschaft mit Kälte, Zartheit mit Härte. Und über allem schwebt die Sehnsucht nach Liebe; sie durchsetzt die Atmosphäre des Buchs wie der Geruch von Lavendel die Luft über diesem Teil Sardiniens.
Trotz aller Schlichtheit und obwohl es so sachte formuliert, ist „Die Flügel meines Vaters“ ein Buch von Wucht; es bezirzt und umstrickt und weckt Fernweh. Die Kürze des Bändchens, der kleine Ausschnitt aus diesen verschiedenen Leben, der einige Erzählstränge zu Ende führt, viel mehr aber noch nur anreißt, andeutet und schließlich offen lässt, verführt den Leser dazu, nach dem Ende selbsttätig weiterzuträumen. Es ist ein spannendes kleines Werk voller lebensnaher Beschreibungen, ein Werk über Hoffnungen, Träume und menschliche Größe, über Ausbrechen, Fortgehen, Grollen, Heimkehren, übers Nachdenken und übers Verzeihen, über Prinzipien und über das, was das Herz bewegt.

_Fazit_

Milena Agus hat ein wunderschönes Buch geschrieben, das mit sanften Farbtönen ein realistisches und doch versöhnliches Bild von den Menschen malt. Da das kleine Werk nur hundertsechzig Seiten umfasst, kann man es jederzeit benutzen, um einen miserablen Tag zu retten oder sich kurz gedanklich an die Sonne und an den Strand Sardiniens zu versetzen, den Duft italienischer Kräuter einzuatmen und sich durch Madames Magie das Leben etwas schöner zaubern zu lassen. „Die Flügel meines Vaters“ ist hinreißend und rundherum empfehlenswert.

|Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Ali di Babbo
Aaus dem Italienischen von Monika Köpfer
ISBN-13: 9783423139120|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de
[Wikipedia – Milena Agus]http://de.wikipedia.org/wiki/Milena__Agus