Katzenbach, John – Patient, Der

In den USA ist John Katzenbach schon seit Jahren ein Name, der für spannende Thrillerlektüre steht. Bereits zehn Romane sind von ihm erschienen, von denen es viele in die Bestsellerlisten schafften. Zweimal brachte er es obendrein auf eine Nominierung zum Edgar Award. In Deutschland war John Katzenbach dagegen bis vor kurzem noch ziemlich unbekannt. Erst durch seinen Psychothriller [„Die Anstalt“ 2688 wurde er populär. Nun schiebt der |Knaur Taschenbuch Verlag| mit „Der Patient“ den nächsten Katzenbach hinterher.

Thematisch bewegen sich beide Bücher auf etwa gleichem Terrain. Während „Die Anstalt“ sich um die sonderbaren Vorkommnisse in einer Nervenheilanstalt dreht, in deren Zentrum die Patienten stehen, dreht sich „Der Patient“ um einen Psychoanalytiker.

Dr. Frederick Starks begeht seinen 53. Geburtstag – in der Gleichförmigkeit von Starks tristem Alltagsleben ein Tag wieder jeder andere auch. Dennoch krempelt dieser Tag Starks Leben völlig um, als ihn die Glückwünsche eines sehr sonderbaren Gratulanten erreichen. |“Herzlichen Glückwunsch zum 53sten Geburtstag, Herr Doktor. Willkommen am ersten Tag Ihres Todes.“| Mit diesen Worten leitet der unbekannte Absender seinen Brief ein.

Der Unbekannte, der sich selbst Rumpelstilzchen nennt, lädt Starks zu einem Spiel ein. Starks soll innerhalb von 15 Tagen herausfinden, wer er ist. Findet er die Lösung, hat er gewonnen. Findet er sie nicht, so muss er am Ende dieser 15 Tage entweder Selbstmord begehen oder Rumpelstilzchen wird einen beliebigen Menschen aus Starks Verwandtschaft umbringen.

Rumpelstilzchen behauptet, irgendwo in Starks Vergangenheit zu existieren. Starks hat angeblich sein Leben zerstört und dafür will er nun Rache nehmen, die er anhand seines perfiden Spiels vollzieht. Und während Starks sich mangels Alternativen daran macht, seine Vergangenheit auf der Suche nach der Identität des Unbekannten zu durchforsten, nimmt das Spiel seinen Lauf. Doch schon bald muss Starks erkennen, dass Rumpelstilzchen ihm stets einen Schritt voraus ist …

Hat er eine Chance, in 15 Tagen Rumpelstilzchens Identität zu lüften? Wird Frederick Starks in 15 Tagen noch am Leben sein? Ist in Rumpelstilzchens Spiel überhaupt vorgesehen, dass Starks überlebt?

Was John Katzenbach auf den 668 Seiten seines Romans inszeniert, ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das es wirklich in sich hat. Raffiniert zieht er die Geschichte auf und lässt sich dabei nicht in die Karten gucken. Rumpelstilzchens „Spiel“ ist bis ins letzte Detail durchgeplant. Starks beschaulichem, eintönigem Leben haftet auch eine gewisse Durchschaubarkeit seines Verhaltens an, das sich der Täter zunutze macht.

Mit jedem Tag, der im Laufes der gesetzten Frist verstreicht, arbeitet Rumpelstilzchen darauf hin, Starks keine andere Möglichkeit zu lassen, als am Ende den Freitod zu wählen. Man staunt, mit welcher Leichtigkeit das Leben eines Menschen aus den Angeln gehoben wird und wie gering die Chancen für Dr. Starks sind, sich dem Unvermeidlichen zu entziehen.

Doch würde alles so laufen, wie Starks Kontrahent es vorgesehen hat, bräuchte der Roman wohl kaum über 600 Seiten, um in einem finalen Selbstmord zu enden. Katzenbach baut diverse Wendungen in die Geschichte ein, die stets aufs Neue die Spannungsschraube anziehen. Doch um nicht zu viel zu verraten und dem potenziell interessierten Leser die Spannung vorwegzunehmen, verkneife ich mir hier weitere Details. Es reicht zu wissen, dass Katzenbach die Geschichte wesentlich komplexer ausbaut. Die Handlung macht so manche Wendung mit, die die Geschehnisse in anderem Licht erscheinen lässt.

Und so reicht es, an dieser Stelle zu sagen, dass die meisten der vollzogenen Wendungen durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar sind – und oft sind sie auch wirklich überraschend. Katzchenbach packt die Erzählperspektive durchaus spannungssteigernd an. Oft lässt er den Leser selbst über Dr. Starks Pläne im Dunkeln. Er lässt ihn Starks Aktivitäten beobachten und seine eigenen Schlüsse ziehen. Erst im weiteren Verlauf der Ereignisse sieht der Leser dann, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Das macht den Roman zu einem wahren „Page-Turner“.

Für mich persönlichen gab es nur einen einzigen konkreten Fall, in dem ich wirklich Schwierigkeiten hatte, die Glaubwürdigkeit der Handlung beziehungsweise die Motivation einer Figur nachzuvollziehen. Das hinterlässt im Gesamteindruck einen kleinen Makel, kann den Lesegenuss aber nur geringfügig schmälern.

Insgesamt sind der Romanaufbau, die Erzählweise und der Spannungsbogen immer noch so gut durchdacht ausgearbeitet, dass die Lektüre durchweg fesselnd ist. Katzenbach zieht den Leser schnell in seinen Bann und lässt ihn bis ganz zum Ende nicht mehr los, denn zu jeder Zeit gibt er dem Leser ein Dutzend Fragen an die Hand, die ihn auf Trab halten, so dass man das Buch kaum beiseite legen mag.

Beachtlich ist auch, wie wenig Gewalt und Brutalität Katzenbach braucht, um einen spannungsgeladenen Plot aufzubauen. Der beste Teil der Spannung spielt sich komplett auf der Ebene der Psyche ab, im Hin und Her zwischen den Figuren, im Vorausahnen der Aktivitäten des Gegners und im gedanklichen Konstruieren der Person, die sich hinter dem Namen Rumpelstilzchen verbirgt. Zwar geht auch „Der Patient“ nicht ganz ohne Gewaltanwendung über die Bühne, aber der Schwerpunkt ist eindeutig anders gesetzt. Sprachlich ist das Ganze so formuliert, dass sich das Buch ganz flott runterlesen lässt. Katzchenbachs Stil ist recht einfach und eingängig, aber dennoch nicht ganz so simpel gestrickt, wie es bei Thrillern von der Stange oftmals der Fall ist.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Der Patient“ spannungsgeladene Lektüre ist, die den Leser zu fesseln weiß. Katzchenbach inszeniert einen verzwickten und raffinierten Plot, den der Leser nicht so leicht durchschaut. Sieht man von der Glaubwürdigkeit einer einzelnen Nebenfigur ab, ist „Der Patient“ durchaus nachvollziehbar konstruiert. Fazit: Spannend, raffiniert und voller interessanter Wendungen. Wer ausgeklügelte Psychothriller mag, der kommt hier voll auf seine Kosten.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.knaur.de

Ross, Alex & Krueger, Jim (Autoren) / Ross, Alex & Braithwaite Doug (Zeichner) – Justice (2 von 6)

Story

Der Traum der Superhelden hat weiterhin Bestand; die Erde wird von mehreren parallel eingetretenen Katastrophen heimgesucht, und die Mitglieder der Justice League stehen dem Geschehen ohnmächtig gegenüber. Doch was Superman, Batman und Co. noch viel stutziger macht, ist das seltsame Vorgehen der Schurken, die sich plötzlich als Weltretter aufspielen und die Bevölkerung im Glauben lassen, dass sie ihre Vorgänger nun ablösen werden. Im Hintergrund schmiedet Lex Luthor allerdings wieder einige hinterlistige Pläne; er versammelt die ‚ehemaligen‘ Schurken um sich, sorgt dafür, dass die alten Verfechter der Gerechtigkeit endgültig ausgeschaltet werden und scheut dabei auch nicht davor zurück, bei manchen von ihnen das endgültige Ende anzustreben. Doch wird es ihm auch gelingen, den bösen Traum in die Realität zu transferieren?

Meine Meinung

Nachdem ich vom ersten Teil der neuen „Justice“-Reihe noch recht angetan war, hat mich die Fortsetzung des zweiten derzeit laufenden DC-Crossovers ein wenig verwirt. Im Groben ist zwar klar, wie es um den Inhalt bestellt ist, doch irgendwie hat sich Autor Alex Ross ein wenig zu sehr in die Komplexität seiner Handlung hineingesteigert und dabei manchmal einzelne Schritte übersprungen, die das Gesamtkonstrukt „Justice“ etwas klarer darstellen würden. Weiterhin bemüht sich Ross darum, möglichst viele Helden und Bösewichte in seiner Geschichte unterzubringen, vergisst dabei aber zwischenzeitlich, dass die Story davon nicht dringend profitieren muss. Und das tut sie in diesem Fall nun wirklich nicht. Die Geschichte wird definitiv von den überladenen Gedankensprüngen beeinträchtigt und kommt nicht richtig voran, was jedoch leider ignoriert wird. Ross zieht nämlich stringent sein Ding durch, kümmert sich nicht um eventuell aufkeimende Fragen und denkt dabei meines Erachtens ein wenig zu sehr an seine persönlichen Vorlieben. Was ich sagen will: Der Mann hat klare Vorstellungen davon, was alles in die Story mit hineingehört, beachtet aber nicht, dass dies nicht alles auf so kleinem Raum unterzubringen ist. Luthors Pläne, seine Fehde mit dem Joker, Supermans hoffnungsloser Kampf, Aquamans Schwierigkeiten in der Unterwasserwelt, die Misere des Martian Manhunters, Flashs vergeblicher Einsatz, und, und, und … Irgendwann ist das Heft voll, ohne dass die Story die erforderlichen Fortschritte erzielt hat, zumindest keine nennenswerten.

Andererseits sind die Ideen des Autors sicher nicht schlecht und können sich von außen betrachtet ganz klar mit denen der „Infinite Crisis“ messen. „Justice“ ist reich an Action, hat ein reichhaltiges Repertoire an bekannten Persönlichkeiten, hat aber die Schwierigkeit, dass es sich bezüglich der Umsetzung nicht ganz mit dem großen Bruder messen kann, bei dem die vielen Elemente einfach ausgewogener verteilt sind. Beim zweiten Teil von „Justice“ hingegen fühlt man sich ein wenig erschlagen von den vielen Subplots, was sicherlich damit zu tun hat, dass die einzelnen Einheiten hier noch nicht zusammengefügt werden (können). Aber ich möchte die Serie jetzt nicht zu schnell aburteilen, denn immerhin ist sie gerade erst zu einem Drittel fortgeschritten und hat auf jeden Fall noch Gelegenheit, sich zu bewähren. Bis hierhin bin ich allerdings ein wenig enttäuscht, dass die gute Basis des Debüts nicht aufrechterhalten wurde. Machen wie es also kurz und schmerzlos: In „Justice 2“ hat Alex Ross nicht sein ganzes Potenzial abgerufen und die komplexe Handlung nicht wirklich vorangebracht. Ergo werden die Erwartungen erst einmal gedämpft – hoffentlich nur bis zur Fortsetzung!

Comic : 68 Seiten
http://www.paninicomics.de

Shocker, Dan – Blutregen (Macabros, Band 5)

Der Band enthält die Nachdrucke der Heftromane „Blutregen“ und „Duell mit den Höllengeistern“ aus dem Jahr 1974.

In „Blutregen“ wird durch eine Geisterbeschwörung in einem verlassenen Haus in England der Geist eines Ursen, eines fischköpfigen Dämons, befreit. Björn Hellmark erhält von seinem geistigen Führer Al Nafuur den Hinweis auf die Ereignisse und macht sich auf den Weg nach England. Dort angekommen, erfährt er, dass das Medium Camilla Davies verschwunden ist. Björn forscht im Keller des Hauses nach und wird hinterrücks niedergeschlagen. Der Geist des Ursen hat einen Teilnehmer der Beschwörung übernommen und beginnt nun damit, die Zeugen für seine Befreiung nach und nach zu beseitigen …

In „Duell mit den Höllengeistern“ bläst Molochos zum Angriff auf Björn und seine Freunde. Durch einen hinterhältigen Trick und die Hörigkeit zweier Frauen gelingt es den dunklen Mächten, Björn seiner mächtigsten Waffe zu berauben, der Dämonenmaske. Nun können die Höllengeister zuschlagen. Als dämonische Doppelgänger von Carminia Brado und Rani Mahay versuchen sie, Björn Hellmark zu vernichten …

Der erste Roman beginnt noch recht „normal“ mit einer Geisterbeschwörung in einem verfluchten Gemäuer, bevor die Handlung in gewohnter Dan-Shocker-Manier umschlägt in einen abstrusen Albtraum, in dem fischköpfige Dämonen auf Riesenfischen ein thailändisches Dorf attackieren. Hinter allem steckt natürlich Björn Hellmarks Todfeind Molochos. Die Auflösung der Story ist so überraschend wie originell und beweist, dass der Schriftsteller nie Fließbandprodukte abgeliefert hat, sondern sich intensiv mit seinen Romanen auseinandersetzte.

In diesem Buch hat Camilla Davies ihren ersten Auftritt, ein Medium, welches im späteren Verlauf der Serie öfter mitspielen wird. Ebenso wie die Ursen, die echsengestaltigen Dämonen, die sich vom Blut der Menschen ernähren, indem sie es gleich absorbieren. Mit diesem Band zeigt der Schriftsteller, dass er es nicht nötig hatte, Klischees zu bedienen oder Trends zu befolgen. Und obwohl die Geschichten schon älter sind als 30 Jahre, haben sie nichts von ihrer Faszination und ihrem Charme eingebüßt.

Im zweiten Roman bekommt es der Held mit Doppelgängern zu tun. Ein Thema, das in der fantastischen Literatur oft bemüht wird. Allerdings begnügt sich der Autor nicht damit, dieses Motiv zum Alleingegenstand seines Romans zu machen. Darüber hinaus findet auch die alte Geschichte vom Satanspakt Eingang in die Geschichte. Zwei Frauen, die für Reichtum und Schönheit nicht nur bereit sind, ihre Seelen zu verkaufen, sondern auch kaltblütig einen Mord zu begehen.

Zu guter Letzt gibt es in einer dritten Handlungsebene noch eine Expedition von Forschern, die auf einem abgelegenen Eiland auf Feuerdämonen treffen; jene Höllengeister, die später in der Gestalt von Björns Freunden diesem das Leben zur Hölle machen. Die Ereignisse auf der Insel wirken oft zusammenhanglos und unmotiviert, da sie die Handlung an sich nicht entscheidend beeinflussen. Dafür wurde der Überlebenskampf der kleinen Forschergruppe dramatisch beschrieben. Die Charaktere sind allesamt lebensecht und realitätsnah beschrieben worden, die Dialoge sind natürlich und lassen auch den Humor nicht vermissen.

Die Illustrationen sind eine hervorragende Ergänzung zu den Romanen. Insbesondere das Bild zu „Blutregen“ ist ein kleiner künstlerischer Geniestreich und erinnert sehr an die optischen Illusionen, bei denen sich durch eine Änderung des Blickwinkels das Bild verändert. Das Motiv spiegelt das Groteske des Romans perfekt wieder, ebenso wie die Teufelsfratzen der zweiten Illustration, die wie Karikaturen anmuten.

In beiden Romanen zog Dan Shocker alle Register seines Könnens und schuf zwei zeitlose und spannende Romane, mit einer fantastischen Welt, voller bizarrer Einfälle.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Feige, Marcel – Inferno – Schwester der Toten

Band 1: [„Ruf der Toten“ 2112

„Manchmal bedeutet Dunkelheit Gnade.“ Dieser großartige Satz bringt die Lage des Fotografen Philip präzise auf den Punkt. Innerhalb weniger Tage ist sein ohnehin nur in Grundzügen geregeltes Leben inklusive diverser Ecstasy-Abstürze völlig aus den Fugen geraten und droht nun, komplett den Bach runterzugehen. Er steht unter Mordverdacht, befindet sich auf der Flucht vor der Polizei, weil er aus der Untersuchungshaft geflohen ist, wird von Visionen geplagt, in denen er schreckliche Verbrechen geschehen sieht, und scheint plötzlich für kurze Zeit in die Vergangenheit reisen zu können. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als all das auszublenden, den Kopf frei zu bekommen, abzuschalten. Stattdessen werden immer neue Fragen aufgeworfen. Fragen, die er nicht versteht, und Fragen, deren Antworten er nicht kennt. Nur eins wird ihm immer bewusster: Sein bisheriges Leben ist eine große Lüge gewesen.

Beatrice muss ähnliche Erfahrungen machen, allerdings sind die Vorzeichen genau umgekehrt. Seitdem die Londoner Studentin ohne Erinnerung in einer dreckigen Seitenstraße aufgewacht ist, möchte sie der Dunkelheit entfliehen. Wer ist sie? Wie hat ihr Leben ausgesehen? Auf der Suche nach ihrer Vergangenheit wird sie von ähnlichen Erscheinungen heimgesucht wie Philip. Die Toten sind in Aufruhr, möchten ihr etwas mitteilen. Irgendwas braut sich zusammen, und sie scheint in dem großen Ganzen eine gewichtige Rolle zu spielen.

_Beurteilung:_

Im zweiten Teil der „Inferno“-Trilogie werden die Daumenschrauben weiter angezogen. Bestach bereits „Ruf der Toten“ durch zügiges Tempo, so geht es diesmal noch etwas rasanter zur Sache. Noch immer alternieren die Schauplätze Berlin und London bzw. in diesem Band auch Lindisfarne, eine Insel im Norden Englands, und Autor Marcel Feige bereitet es insbesondere in der zweiten Hälfte des Buchs große Freude, dem Leser am Ende jedes Kapitels ein Wort oder einen Satz vorzusetzen, die es enorm erschweren, den Schmöker aus der Hand zu legen. Allerdings merkt man sehr schnell, dass es tatsächlich erst im abschließenden Teil Auflösungen geben wird. Auch mit „Schwester der Toten“ verweigert Feige konsequent die Beantwortung der Frage „Worum geht es eigentlich wirklich?“.

Das Augenmerk liegt erneut voll und ganz auf der Vorantreibung der verschiedenen Handlungsstränge, die zum Teil zusammengeführt werden; eine detaillierte Charakterzeichnung findet nicht statt. Die Figuren werden genau wie im ersten Teil wie auf einem Schachbrett verschoben, bleiben dabei zwar nicht vollständig anonym, aber man erfährt nur so viel über sie, dass es die Geschichte voranbringt und gleichzeitig ein Grundinteresse an ihrem Schicksal geweckt wird. Und so weiß der Leser genauso viel über die Hauptcharaktere wie diese über sich selbst: nichts. Es dominieren einzig Gefühle wie Angst, Verzweiflung und Ungewissheit, die elementar wichtige Bestandteile der Story sind und nicht unerheblich zur Spannungssteigerung beitragen.

Dass die Figuren der „Inferno“-Romanwelt ohne Probleme auf der für sie angemessenen Seite des Gut-Böse-Schemas eingeordnet werden können, tut dem Lesespaß keinen Abbruch. Auch wenn der herrlich verschlagene (und natürlich narbengesichtige) Vatikanhäscher Lacie von Anfang an als Person eingeführt wurde, mit der man sich besser nicht anlegt und die selbst ihren Auftraggebern suspekt ist, und man somit nicht von seinen Taten überrascht wird, sind seine Auftritte kleine Höhepunkte der ohnehin ereignisreichen Handlung. Wenn Marcel Feige ihn das „Nur über meine Leiche“ eines seiner Opfer mit einem „Endlich ein vernünftiger Vorschlag“ kontern lässt, hat das zynischen Stil, der perfekt zur Weltuntergangsstimmung der Geschichte passt.

_Fazit:_

Am Ende von „Schwester der Toten“ hat man (fast) denselben Wissensstand wie nach dem Abschluss des Vorgängers, und dennoch hat man das Gefühl, jede Menge neuer Erkenntnisse gewonnen zu haben, die im dritten Teil noch sehr wertvoll sein können. So und nicht anders muss eine Trilogie aufgebaut sein. Was genau passieren wird, ist immer noch nicht vorherzusehen; dass etwas passieren wird, ist gesichert. Die Apokalypse steht unmittelbar bevor, und bei „Inferno“ sitzt man in der ersten Reihe.

http://www.festa-verlag.de/
http://www.dasinferno.de/

Sandfuchs, Ralf – Plüsch, Power & Plunder

|Es wird Zeit, seinen alten „Zimmergenossen“ aus der Kiste zu kramen und ihn zum Helden einer eigenen Welt zu machen. Wer kennt sie nicht, die Vorstellung, dass der liebste Teddy ein eigenes Leben führt. Hier könnt ihr es selber erleben.|

_von Sebastian Thies_
Mit freundlicher Unterstützung unseres Partnermagazins [Ringbote.de.]http://www.ringbote.de/

Ein jeder dürfte ihn in seinen jungen Jahren gehabt haben: einen Freund und Gefährten, der in den dunklen Stunden beim Einschlafen an der Seite lag und mit seinem kuscheligem Fell die Sicherheit gab, dass einem die Monster, die unter dem Bett warteten, nichts anhaben konnten. Mit der Veröffentlichung von „Plüsch, Power & Plunder“ können nun auch jene, die es beim ersten Erscheinen verpasst hatten, ihrem alten Freund Leben einhauchen und ihn auf wahnwitzige Abenteuer schicken.

Während der Vorläufer noch ziemlich schlicht in der Aufmachung daherkam, hat das neue Regelwerk grafisch ziemlich aufgeholt. Das Softcover ist in Vollfarbe gehalten und die Zeichnungen bringen Leben ins Spiel(system). Die Bilder passen stimmig zum Thema und geben dem Buch den maximal zu erreichenden Knuddelwert. Mit 76 Seiten ist das Regelwerk zwar ziemlich dünn, enthält aber alles, um ein schnelles und auf die Geschichte konzentriertes Spiel zu leiten. Die Regeln haben sich zum Vorgänger nicht geändert (nach Ansicht des Autors, der leider sein altes Regelwerk nicht mehr vorrätig hat – man sollte halt niemals jemandem ein Buch leihen, der als Charakter einen Teddy spielt, der aussieht wie die Kreuzung aus einer Spinne und einer Schlange), aber die Texte sind komplett neu überarbeitet und sprühen vor Witz. Man merkt, dass hier Autor Ralf Sandfuchs seinen Spaß beim Schreiben hatte.

Für jene, die noch überhaupt nichts von diesem System gehört haben (und ich dachte immer, das „PP&P“ sich schon in der ganzen Rollenspielergemeinde herumgesprochen habe), hier noch ein paar Informationen zum System. Ja, man spielt hier wirklich einen Teddybär (und besonders viel Spaß macht es, wenn man dann noch das Exemplar, das man gerade im Spiel verkörpert, vor sich auf dem Tisch sitzen hat, da es der eigene Teddy aus jungen Jahren ist). Für diejenigen, die eine Erklärung benötigen, warum denn ihrem Teddy Leben eingehaucht worden ist und er nun die Fähigkeit hat, seinen eigenen Weg zu gehen, wird diese auch im Regelwerk gegeben. Es sei nur so viel dazu erwähnt: Es geht dabei um einen Planeten, der die Form eines Cheeseburgers hat und den Namen Woolworth trägt sowie um einige seiner Bewohner, die der Erde einen Besuch abstatteten.

Als Würfel benötigt man W6 und W% für das Spiel. Die Proben auf die vier Eigenschaften und die Fertigkeiten (hier gibt es solche grandiosen Dinge wie Ballen, Loses Auge und Türklinken runterdrücken, aber auch essenzielle Fähigkeiten wie Hacken oder Chemie) werden mit dem W% durchgeführt. Es ist alles ziemlich simpel gehalten, um einen schnellen Spielfluss, aber auch eine schnelle Charaktererschaffung zu erlauben.

In der Welt der Plüschtiere gibt es aber auch den Kampf. Hier kann sich der Teddy mit den verschiedensten Mitteln seiner Holzwolle erwehren. So kann er auf ein tödliches Arsenal von Schaschlikspießen, Tee-Eiern oder Kochlöffeln zurückgreifen. Ebenfalls besitzt er die Möglichkeit, gemeine Schusswaffen zu verwenden und den Gegner mit Zahnpasta, Senf oder Backofenreiniger zu beschießen. Wem dies aber zu barbarisch ist, kann auf die Teddy-eigene Kampfkunst Whum-Uä zurückgreifen. Wer einmal einen zünftigen „Partyzonen-Kick“ erleben musste, wird mit Ehrfurcht einen großen Bogen um die Meister des Nahkampfes machen.

Auch die Magie ist nichts Unbekanntes für Teddys. Hierbei liegt aber viel Verantwortung bei dem Spielleiter und dem Spieler selber, da sie die Zauber selber generieren müssen. Die Zauber werden durch Zaubersteine gewirkt, die miteinander kombiniert werden müssen, damit sie ihre Wirkung entfalten können, dies ist aber ziemlich vage gehalten, was den Vorteil hat, dass man schon mit einer kleinen Anzahl an Steinen ein großes Spektrum an Zaubern abdecken kann, wenn es denn der Meister zulässt.

_Fazit:_ „PP&P“ ist ein Spiel, bei dem man einfach mal auf die Schnelle ein bisschen Spaß haben kann. Ob es Gruppen gibt, die hier große Kampagnen spielen, sei mal dahingestellt, aber das dürfte auch nicht das Ziel der Entwickler gewesen sein. Für eine kleine Runde zwischendurch eignet es sich allemal und wird wohl jedem Spaß machen. Wer über den Preis von 23 Euro bei gerade mal knapp 80 Seiten meckert, sollte sich mal überlegen, wie viel Geld er für so manch anderes Quellenbuch ausgegeben hat, dass er so gut wie nie benutzt. Alleine das Lesen oder auch nur das Durchblättern erfreut. Die Investition dürfte sich für jeden Vielspieler, der mal zwischendurch etwas Auflockerung vom humorlosen Fantasy-Alltag braucht, lohnen.

http://www.games-in.de/PPP.htm

Heitz, Markus – Mächte des Feuers, Die

|“Siegfried bekämpfte sie.
Beowulf starb durch sie.

Der heilige Georg tötete einen. Einen von vielen. Es gab sie schon immer, zu allen Zeiten, in allen Kulturen der Völker der Welt. Babylonische Könige, antike Helden, römische Gelehrte, christliche Streiter standen ihnen gegenüber. Unzählige Schriften, vom Gilgamesch-Epos bis zur Bibel, zeugen davon. Die Schrecklichsten unter ihnen trugen Namen wie Leviathan, Tiamat, Hydra, Python, Jörmungand, Grendel, Tarasque oder Fafnir – einst als Ungeheuer gefürchtet, dann von Helden nahezu ausgerottet. Nahezu …

Noch immer kriechen oder fliegen ihre vielgestaltigen Nachkommen aus ihren Verstecken, verbreiten Schrecken unter uns Menschen, bis wackere Kämpfer erscheinen, um sie zu bezwingen, wie es Generationen von Kämpfern vor ihnen taten.

Bis heute.

Bis 1924.

Wir wollen ihnen ein Denkmal aus Worten und Bildern bauen.“|

(Vorwort zur Serie „Drachentöterinnen und Drachentöter im Verlauf der Jahrhunderte“ und aus „Die Mächte des Feuers“)

_Handlung_

„Die Mächte des Feuers“ spielt in einer Welt, die unserer Welt der goldenen 20er fast bis aufs Haar genau gleicht. Der einzige wirkliche Unterschied ist, dass es Drachen gibt und die Menschen auch davon wissen, mit allen daraus erfolgenden Konsequenzen.

Die Hauptperson Silena ist ein Nachfahre des heiligen Georgs, des biblischen Drachentöters. Ihre Linie und auch die Linien anderer Drachenheiliger jagen für einen Orden namens Officium Draconis, welcher der Kirche untersteht, die geschuppten Ungeheuer.

Sie hat sich der Jagd in der Luft verschrieben, und erlegt ihre Gegner im Zweikampf in der Luft mit dem Flugzeug. Ihre Brüder sind ebenfalls Großmeister des Officums. Doch diese kommen bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben, so dass Silena nunmehr der letzte Nachkomme des heiligen Georgs ist. Silena entdeckt Kratzspuren am Flugzeugwrack ihrer Brüder. Dies bestätigt sie in der Annahme, dass diese Opfer eines Anschlages der Drachen geworden sind. Silena sinnt auf Rache. Doch da sie die Letzte ihrer Linie ist, befiehlt ihr der Erzbischof, den Kampf einzustellen und erst einmal für den Erhalt der Linie zu sorgen. Sprich: sich einen netten Mann zu suchen und Kinder zu bekommen. Doch nach einigen merkwürdigen Diebstählen und Morden an Drachentötern wird Silena nach London geschickt.

Dort trifft sie nicht nur einen furchterregenden, schwarzen Drachen mit sechs Köpfen, sondern sie bekommt auch Hilfe von einem russischen Hellseher, einem französischen Medium und einem englischen Versicherungsdetektiv. Doch auch die Mächte des Feuers, eine Vereinigung aus uralten Drachen, welche die Geschicke der Menschheit schon seit Jahrtausenden leiten, haben bereits ein Auge auf die Großmeisterin geworfen.

_Der Autor_

Markus Heitz, Jahrgang 1971 lebt zusammen mit seiner Frau in Zweibrücken. Mit seiner Romanreihe um [„Die Zwerge“, 2941 für deren dritten Teil er mit dem „Deutschen Phantastikpreis“ ausgezeichnet wurde, und seinem „Ulldart“-Zyklus gehört er zu den erfolgreichsten deutschen Fantasy-Autoren. „Die Mächte des Feuers“ führen ihn nun zu neuen phantastischen Ufern.

Wenn er nicht schreibt, schenkt er in seinem irischen Pub „Killarney“ Guiness und andere Köstlichkeiten aus.

_Mein Eindruck_

Markus Heitz hat es schon mit „Ritus“ und [„Sanctum“ 2875 geschafft, sich von der reinen Fantasy wegzubewegen und Realgeschehen mit Fantasy zu kombinieren. Bei „Die Mächte des Feuers“ erreicht diese Kombination nun ihre Renaissance, indem er die wohl klassischsten Fantasygeschöpfe schlechthin, nämlich Drachen, in unser 20. Jahrundert katapultiert. Genauer gesagt in die goldenen 20er desselben.

Dabei bezieht er auch reale Personen passiv mit in die Handlung ein, und erzeugt so eine gefühlte Autentizität beim Leser. So hat die Hauptfigur Silena etwa ihre Flugkünste bei keinem Geringeren als bei Manfred von Richthofen („Der Rote Baron“) erworben. Auch treibt er seine Späßchen damit, dass ein „aus Österreich stammender Nationalist bei einem Putschversuch in München zu Tode kam“. Allerdings bleiben die Realpersonen durchgehend im Hintergrund und werden eigentlich nur in Gesprächen der verschiedenen Personen erwähnt, ohne in die Handlung einzugreifen.

Wo wir gerade beim Thema sind, kommen wir zu den Charakteren des Buches. Die Charaktere sind eigentlich sehr gut gelungen, auch wenn speziell Silena einige Male etwas sehr merkwürdig, beinahe kindhaft reagiert, wie etwa bei der Szene im Nachtclub. Trotzdem ist der Charakter der Silena als starke Frau in einer Gesellschaft, die solche doch noch sehr mit Misstrauen bedachte, durchaus positiv und interessant; wie übrigens auch die anderen Figuren, beispielsweise der Hellseher Fürst Zadornov, das Medium Madame Satra oder auch der vermeintliche Versicherungsdetektiv Onslow Skelton, wobei mir der Fürst zugegebenermaßen am besten gefällt.

Ebenso hat sich Heitz auch bei den Drachen etwas einfallen lassen, denn es scheint sie in mannigfaltigen Variationen zu geben: von klein bis groß, äußerst intelligent bis tierhaft, flugfähig oder flugunfähig, mit einem, zwei, drei, vier, bis zu sieben Köpfen und in verschiedenen Farben, die jeweils etwas über den Drachen aussagen.

Aus diesen ganzen Teilen erschafft Heitz ein dichtes Netz aus Thriller, Fantasy und Action, das den Leser zwar die meiste Zeit im Dunkeln tappen lässt, aber dadurch nicht weniger fesselt, und dem damit, dass eigentlich die Drachen hinter den Entscheidungen von Regierungen und Völkern stehen, die sprichwörtliche Krone aufgesetzt wird. Der Plot mag zwar verwirrend sein, doch ist er gut durchdacht und führt so den Leser ein ums andere Mal an der Nase herum. So beginnt er, ähnlich wie bei „Die Zwerge“, mit einer Szene, bei welcher der Leser denkt, es handle sich bei der dort vorkommenden Figur um den Protagonisten, nur um eben diesen ziemlich schnell und ziemlich blutig zu Tode kommen zu lassen. Hier bleibt sich der Autor übrigens treu, denn bei „Die Mächte des Feuers“ ist die Todesrate relativ hoch. Hier sind vor allem die Szenen in Edinburgh oder im Hinterland der Stadt (See und schwarzer Drache) besonders blutrünstig, wobei Letztere wirklich richtig cool ist.

Immer wieder verblüfft mich die Kreativität von Heitz. So ziert etwa jedes neue Kapitel ein fiktiver Artikel, der sich mit den Drachentötern befasst. Hier werden dann auch verschiedene Drachentöterlinien und deren „Arbeitsmethoden“ erläutert. Hier auch wieder besonders komisch: Die Linie etwa des heiligen Ferdinand III. ist ausgestorben, weil dessen Nachfahren ihn fälschlicherweise für einen Drachentöter hielten. Andere Drachentöter etwa lassen sich verschlucken, um sich dann … na ja, denn Rest kann man sich ja denken.

Zu kritisieren gibt es ob dieser mannigfaltigen tollen Ideen eigentlich relativ wenig, auch wenn mir die Darstellung der goldenen 20er zu statisch rüberkommt. Der Flair dieser Zeit überträgt sich mir einfach nicht intensiv genug auf den Leser. Da dies aber so ziemlich der einzige Kritikpunkt an diesem Werk und die ganze Aufmachung ebenfalls sehr ansprechend ist, bleibt nur ein sehr positives Fazit.

_Fazit:_ „Die Mächte des Feuers“ ist ein rasanter Fantasy-Thriller, den ich regelrecht verschlungen habe. Heitz setzt sich hier selber neue Maßstäbe. Mal sehen, wie er diesen Roman zu toppen gedenkt.

http://www.die-maechte-des-feuers.de/

|Markus Heitz auf Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[„Ritus“ 2351 (Buch)
[„Ritus“ 3245 (Hörbuch)
[„Sanctum“ 2875 (Buch)
[„Sanctum“ 4143 (Hörbuch)
[„Die Mächte des Feuers“ 2997
[„Kinder des Judas“ 4306
[„Die Zwerge“ 2823
[„Die Zwerge“ 2941 (Hörbuch)
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Der Krieg der Zwerge“ 3074
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die dritte Expedition“ 2098

Soininvaara, Taavi – Finnisches Quartett

Auch mit seinem dritten Kriminalroman beweist der finnische Bestsellerautor Taavi Soininvaara erneut, dass in seinen Krimis mehr steckt als „nur“ Spannung, Morde und polizeiliche Ermittlungen. Immer wieder pickt sich Soininvaara einen politischen Konflikt heraus, um den herum er seine Romanhandlung strickt, sodass er seine Leser nicht nur fesseln, sondern auch zum Nachdenken anregen kann. In seinem aktuellen Krimi „Finnisches Quartett“ geht es um Ökoterroristen und regenerative Energiequellen, aber auch um Energiekonzerne, welche die Forschung an Kernfusion verhindern wollen …

Am Maifeiertag brechen drei Ökoterroristen der Gruppierung „Final Action“ bei Dutch Oil ein – einem Unternehmen, das die Umwelt der Entwicklungsländer zerstört und die natürlichen Ressourcen der Ureinwohner ausbeutet. Die drei Öko-Aktivisten wollen die EDV-Anlage zerstören und können Dutch Oil einen beträchtlichen Schaden zufügen, als plötzlich auf den Computermonitoren ein geheimes Treffen eingeblendet wird, bei dem nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Dutch Oil, Jaap van der Waal, dabei ist, sondern auch verschiedene Führungskräfte von internationalen Ölkonzernen, die sich über die geplante Liquidierung eines bekannten Fusionsphysikers namens Elvas durch den Engel des Zorns unterhalten. Die drei Mitglieder von Final Action riechen die Gefahr und versuchen zu flüchten, doch plötzlich gehen die Sirenen los und auf dem Gelände von Dutch Oil werden sie von Sicherheitskräften gejagt, die sie sicherlich nicht nur der Polizei ausliefern wollen. Jorge Oliveira wird schwer verletzt und von den Verfolgern ermordet, während Ulrike Berger und Lasse Nordman zunächst fliehen können. Doch wissen sie, dass sie immer noch von den Sicherheitskräften von Dutch Oil gesucht werden. Zur gleichen Zeit ärgert sich Arto Ratamo von der finnischen Sicherheitspolizei über den Lärm seiner Nachbarn, bis er sich nicht anders zu helfen weiß, als die Polizei zu rufen.

Die Ereignisse überschlagen sich, denn vor seiner Ermordung kann Jorge Oliveira noch eine SMS absetzen, in der er vom geplanten Mord am Physiker Elvas berichtet. Lasse Nordman, der Sohn der finnischen Verteidigungsministerin, lässt sich absichtlich schnappen, damit seine Freundin Ulrike die Möglichkeit zur Flucht bekommt. Auch muss die Polizei feststellen, dass der Physiker Elvas tatsächlich ermordet wird und auch die vergangenen Morde an verschiedenen namhaften Physikern wohl doch keine Unfälle waren, sondern geschickt durchgeführte Morde. Doch noch tappt die Polizei im Dunkeln und hat keine Spur, die zum Engel des Zorns führen könnte.

Der Leser hat diesen, der sich auch Ezrael nennt, allerdings bereits kennen gelernt. Ezrael hat in seiner Kindheit Schlimmes durchgestanden und handelt nun auf Befehl seiner Schwester Mary Cash, die ihn als Werkzeug benutzt. Ezrael denkt, dass er Verräter ermordet, doch seine Schwester weiß ganz genau, welchem Zweck die Ermordung der Physiker wirklich dient, auch der Leser erfährt es bald. Lasse Nordman und Ulrike Berger stehen ebenfalls bald auf Ezraels Exekutionsliste, weil sie zu viel wissen von der geheimen Verschwörung.

Taavi Soininvaara hält sich wieder einmal nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern wirft seine Leser direkt mitten in die Geschichte. Gleich auf den ersten Seiten begleiten wir die drei Ökoterroristen auf ihrem Feldzug gegen Dutch Oil und erleben mit, wie die Drei Mitwisser einer Verschwörung werden und danach auf die Abschlussliste geraten. Direkt im Anschluss lernen wir den Engel des Zorns kennen und erleben mit, wie er Jagd macht auf einen Physiker, der noch nichts von der Gefahr ahnt, die sein Leben bedroht. Während all dies geschieht, ist unser Romanheld Arto Ratamo noch damit beschäftigt, einen Kleinkrieg gegen Studenten in seiner Nachbarschaft anzuzetteln. Taavi Soinunvaara macht uns somit gleich mit allen wichtigen Romanfiguren bekannt und beginnt mit einem Paukenschlag. Danach dauert es auch nicht lange, bis der Leser erahnen kann, welchen Grund die Anschläge auf die Physiker haben. Doch enthält uns Soininvaara lange vor, was wirklich hinter all dem steckt, denn natürlich passiert viel mehr unter der Oberfläche.

Der Spannungsbogen setzt also gleich zu Beginn des Buches ein und fesselt den Leser an die Geschichte. Später bricht die Spannung allerdings leider etwas ein, obwohl ständig Menschenleben bedroht werden und mindestens ein verrückter Killer sein Unwesen treibt, der zwischenzeitlich eine uns gut bekannte Geisel nehmen kann. Doch unglücklicherweise hegt man für die meisten handelnden Figuren wenig Sympathien, sodass man ihrem Ableben auch recht gleichgültig entgegensehen kann. Taavi Soininvaara begeht den Fehler, dass er seinen früheren Romanhelden Arto Ratamo, den man in den beiden Vorgängerkrimis kennen und schätzen gelernt hat, zu sehr in den Hintergrund treten lässt. Ratamo ist zwar überall vor Ort, aber er wird selbst nicht gejagt und steht auch nie im Zentrum der Geschehnisse, sodass er sich in diesem Buch leider mit einer kleineren Nebenrolle begnügen muss.

Darüber hinaus bremsen zwei weitere Faktoren die Spannung: Nachdem der Engel des Zorns eine Geisel genommen hat, die er für den „Engel der Offenbarung“ hält und von dem er sich einen neuen Auftrag erhofft, begleiten wir ihn längere Zeit bei seinen Handlungen und lernen ihn, sein Wesen und seine Vergangenheit besser kennen. Sein fanatisches Gerede vom Engel der Offenbarung strapaziert auf Dauer leider sehr die Geduld des Lesers. Man ist es bei einem Kriminalroman ja schon gewöhnt, dass man auf verrückte Romanfiguren trifft, aber so tief wollte ich dann doch nicht in die Gedanken des Killers eintauchen, denn mir erschien er zu unglaubwürdig. Auch die seitenlangen historischen Exkurse Jaap van der Waals bringen weder die Handlung noch die Spannung voran, sodass ich gut auf sie hätte verzichten können.

Zwei weitere Dinge sind es, die den eigentlich durchaus positiven Gesamteindruck etwas trüben. Zum einen übertreibt Taavi Soininvaara es etwas mit seinem Lokalkolorit. Wenn seine handelnden Figuren durch die Straßen Helsinkis oder auch Amsterdams spazieren, erfahren wir alle möglichen Straßennamen oder markanten Orte, die der Durchschnittsleser noch nie im Leben gehört hat. Für jemanden, der diese vielfältigen Schauplätze bereits besucht hat, ist diese überschwängliche Verwendung fremd klingender Straßennamen natürlich äußerst spannend, wenn man aber permanent über diese Bezeichnungen stolpert, stört dies ein wenig den Lesefluss. Zum anderen fand ich es etwas unglaubwürdig, dass niemand bemerkt haben soll, dass die Morde an den jeweils führenden Fusionsphysikern kein Zufall sein können. Zwar hatte der Engel des Zorns seine Morde jeweils gut als Unfall getarnt, aber wenn immer wieder der zurzeit beste Fusionsphysiker sein Leben lassen muss, sollte eigentlich jedem klar sein, dass dies nicht nur ein Zufall sein kann.

Dem entgegen steht Taavi Soininvaaras stetes Bemühen, seinen Romanen einen spannenden politischen Hintergrund zu verpassen. In „Finnisches Quartett“ befasst er sich mit umweltfreundlichen Energien, Ökoterroristen und zwielichtigen Managern, die auf Kosten der Umwelt ihren eigenen Profit suchen. Diese Konstellation birgt viel Potenzial, das Soininvaara auch gekonnt ausnutzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen amerikanischen „Umweltpolitik“, offenbart auch Soininvaara eine „unbequeme Wahrheit“, denn man könnte sich durchaus vorstellen, dass die geschilderten Ereignisse gar nicht so weit hergeholt sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In einer Nation, die bekanntlich der größte Umweltverschmutzer auf der ganzen Welt ist und bezeichnenderweise auch keine Bemühungen erkennen lässt, daran etwas zu ändern, könnten vielleicht tatsächlich Mächte am Werke sein, wie Soininvaara sie im finnischen Quartett aufdeckt. Eins hat Soininvaara also definitiv geschafft: Sein Buch wird nicht einfach durchgelesen, zugeklappt und aus dem Gedächtnis gelöscht – nein, man beginnt sich zu fragen, ob solche Verschwörungen in unserer Welt nicht wirklich passieren könnten …

Trotz kleiner „handwerklicher“ Schwächen hinterlässt „Finnisches Quartett“ einen positiven Gesamteindruck. Taavi Soininvaara beweist erneut, dass er ähnlich wie Henning Mankell nicht einfach nur leicht vergängliche Spannungsliteratur schreibt, sondern Kriminalromane, die zum Nachdenken anregen und Konflikte aufdecken wollen, die vielleicht tatsächlich so passieren könnten. Für den vierten Soininvaara-Krimi würde ich mir allerdings wünschen, dass der sympathische Arto Ratamo wieder mehr ins Zentrum der Geschichte rückt!

Barrett, Andrea – Jenseits des Nordmeers

An einem Maitag des Jahres 1855 verlässt der ehemalige Walfänger „Narwhal“ den Hafen der Südstaaten-Metropole Virginia. Mit hehren Zielen ist man gen Arktis in See gestochen, will der seit acht Jahren verschollenen Expedition des Entdecker-Helden Sir John Franklin auf die Spur kommen, die polarnahe Natur erforschen und womöglich die lange gesuchte Nordwestpassage finden, die es angeblich ermöglicht, den nordamerikanischen Kontinent per Schiff im Norden zu umrunden. Ja, Zecheriah Vorhees, der charismatische, erst 26-jährige Kommandant der „Narwhal“, versteht es außerordentlich, für sich und seine Sache die Werbetrommel zu rühren!

Aus ganz anderem Holz geschnitzt ist sein väterlicher Freund und zukünftiger Schwager Erasmus Darwin Wells. Mit seinen 40 Jahren sieht er sich selbst als im Leben Gescheiterter. Einst schien die Welt dem begabten und belesenen Naturforscher offen zu stehen. Doch er wurde um die Forschungsergebnisse jener Weltreise geprellt, die ihm den Weg in eine wissenschaftliche Karriere ebnen sollte. Von diesem Schlag hat sich Wells nie erholt. Als kurze Zeit darauf auch noch seine Braut starb, versank Erasmus in Lethargie, ließ sich treiben und hat sich in einen verbitterten Eigenbrötler voller Ängste und Frustrationen verwandelt. Vorhees’ Einladung, an Bord der „Narwhal“ auf eine neue Reise zu gehen, sieht er als letzte Gelegenheit, seinem Leben wieder einen Sinn zu geben.

Doch die Expedition steht unter keinem guten Stern. Vorhees zeigt sich seinem Amt nur bedingt gewachsen. Die für die Wissenschaft so wichtige Dokumentation langweilt ihn. Er will Entdeckungen machen, um berühmt zu werden! Seinen Visionen haben sich Besatzung und Passagiere gefälligst unterzuordnen. Während Letztere ihrem Kommandanten lange hilflos gegenüberstehen, wächst unter Ersterer der Widerstand, so dass die „Narwhal“ schließlich nicht nur hart am Rande des bedrohlichen Packeises, sondern auch einer Meuterei steht, während sie vom zusehends größenwahnsinnigen Vorhees immer weiter in den Norden getrieben wird, bereit, den Weg seines Vorbildes Franklin bis zum bitteren Ende zu gehen.

Die Fahrt der „Narwhal“ endet in einer Katastrophe. Das Schiff, von Vorhees wider alle Vernunft zu lange an der Rückfahrt gehindert, wird vom Eis eingeschlossen. Mannschaft und Passagiere erleben einen fürchterlichen Kälte- und Hungerwinter, den nicht alle überleben. Dessen ungeachtet drängt Vorhees auf weitere Erkundungen. Als sich seine Begleiter weigern, zieht er allein in die Polarwüste und verschwindet spurlos. Erasmus soll die wenigen Überlebenden dorthin führen, wo Rettung zu erwarten ist. Diese Flucht über das Eis entwickelt sich zum tödlichen Albtraum, der Erasmus und die wenigen Überlebenden schrecklich zeichnet. Zudem waren alle Qualen umsonst: Nach der Rückkehr stellt sich heraus, dass Vorhees die „Narwhal“ in ein Gebiet lenken ließ, das längst erforscht wurde … Statt gefeiert zu werden, muss sich Erasmus als Versager und Feigling beschimpfen lassen. Doch sein Leidensweg hat nicht einmal begonnen, denn eines Tages kehrt Zeke Vorhees aus dem Eis zurück – ein ruhmreicher Held, beladen mit den Ergebnissen eigener Forschungen, von denen Erasmus genau weiß, dass sie zu schön sind, um wahr zu sein. Doch ihm fehlen die Beweise, und so muss er ohnmächtig mit ansehen, wie der betrügerische Vorhees sich skrupellos seinen Platz in der Geschichte verschafft …

„Jenseits des Nordmeers“ gehört wohl eindeutig zu den wenigen historischen Abenteuerromanen, die in den letzten zehn Jahren das meiste Kritikerlob und (was gleichzeitig normalerweise unmöglich ist) die ungeteilte Aufmerksamkeit des lesenden (und denkenden) Publikums auf sich lenken konnten. Nur wenige Seiten Lektüre geben deutlich Aufschluss über den Grund: „Jenseits des Nordmeers“ ist schlicht und ergreifend ein in Inhalt und Form verdammt gutes Buch!

Der Kraftausdruck sei im Positiven Ihrem Rezensenten gestattet, der sonst an dieser Stelle mit Zorn, Frustration und Resignation die meisten der so genannten „historischen“ Romane geißelt, für die guter Wald abgeholzt wird, statt der Sauerstofferzeugung vorbehalten zu bleiben. Geschichte auf TV-Seifenopern-Niveau ist es, die meist im (fadenscheinigen) Gewand des Krimis auf die Leser losgelassen wird. Das Gespür für vergangene Zeiten erschöpft sich gar zu oft darin, die Figuren in ulkige Gewänder zu stecken oder eine feurige Prä-Feministin gegen klotzköpfige Kirchenfürsten antreten zu lassen.

Ganz anders dagegen Andrea Barrett. Ihr ist nicht nur eine spannende Geschichte eingefallen, was an sich bereits eine anerkennenswerte Leistung und die halbe Autorenmiete ist: Sie wird auch noch so mitreißend erzählt, dass selbst einem alten Lesekämpen wie Ihrem Rezensenten mehr als 400 Seiten wie im Fluge vergehen; eine leider Gottes seltene Erfahrung, wenn der Buchberg eines Leserlebens Himalaja-Höhen erreicht hat.

Die Grundkonstellation ist denkbar einfach, aber viel erprobt und immer noch funktionstüchtig, wenn man die Gebrauchsanweisung kennt: Versammle einige Personen möglichst unterschiedlichen Charakters an einem Ort, von dem sie nicht fliehen können (hier das gute Schiff „Narwhal“), schicke sie dann auf eine gefährliche Reise und warte ab, was geschieht! Geht es jetzt mit einem recht primitiven Gefährt hinauf in das eisige Oberstübchen unseres Globus‘, ist das abenteuerliche Element schon einmal sichergestellt!

Jetzt zu den Hauptpersonen unseres Dramas. Treffen wir an Bord der „Narwhal“ die sprichwörtlichen dreizehn Mann auf des toten Mannes Kiste (mit ’ner Buddel voll Rum), d. h. gesichtslose und austauschbare Gestalten, die dem einzigen Zwecke dienen, neben dem eigentlichen Helden vom Mast zu stürzen, sich die Pest einzufangen oder in einen Haifisch-Rachen zu stürzen? Oh nein, echte Individuen hat Barrett mit Sachkenntnis und Liebe zum Detail in ihre Romanwelt gestellt. Helden gibt es übrigens auch nicht, sondern nur Menschen. An ihrer Spitze steht Erasmus Darwin Wells, eine traurige Gestalt, die aus einer gescheiterten Existenz hinaus auf die See flüchtet, um dort die Erfahrung zu machen, dass ungelöste Probleme mit ihren unglücklichen Besitzern zu reisen pflegen. Mit dieser Erkenntnis und den Folgen bleibt Erasmus nicht allein; mit seltenem Geschick und düsterer Konsequenz schildert Barrett eine hehre Mission, die weniger an den Unbilden der Natur als an menschlichem Versagen erst krankt und dann scheitert.

Ähnlich dürfte es der Expedition Sir John Franklins ergangen sein, auf dessen Spur sich die Crew der „Narwhal“ gesetzt hat. Dieses reale Rätsel der Entdeckungsgeschichte bildet den idealen Rahmen für Barretts Drama. Mit viel Vorschusslorbeeren und in einem sehr modern anmutenden Medien-Gewitter war der von seinen britischen Landsleuten verehrte und weltweit anerkannte Polar-Pionier im Mai 1845 mit zwei Schiffen gen Nordpolarmeer aufgebrochen, um endlich die sagenhafte Nordwestpassage zu finden. Eigentlich war Franklin schon viel zu alt und auch nicht gesund genug für eine solche Expedition, doch wie Zecheriah Vorhees versessen darauf, den eigenen Ruhm weiter zu mehren. So ersetzte ein regelrechter Ausrüstungs-Overkill eine realistische Planung des Unternehmens, das in einem schrecklichen Fiasko endete: Die Schiffe gingen verloren, und alle 135 Männer kamen grausam zu Tode; verirrt, erfroren, verhungert oder gar vergiftet durch die eigenen, mit Blei (!) schlampig verschweißten Konserven.

Es dauerte 140 Jahre, bis der Großteil dieser traurigen Wahrheit ans Licht kam. Als Erasmus Wells in See stach, herrschte dagegen noch Hoffnung. Lady Jane, John Franklins Gattin, drängte unermüdlich jeden Seemann und Entdecker, in den Norden zu dampfen oder zu segeln, um dort auf die Suche zu gehen. Sie war viele Jahre sehr überzeugend, zumal immer wieder Relikte der verschollenen Expedition entdeckt wurden. Die „Narwhal“ reiht sich deshalb unauffällig in die Flotte echter Schiffe ein, die zwar nie John Franklin fanden, aber immerhin das Wissen um den hohen Norden entscheidend zu mehren wussten.

Wenn sie denn ihre Abenteuer überlebten. „Jenseits des Nordmeeres“ verzeiht die Natur keine Schwächen, das macht uns der gleichnamige Roman eindrucksvoll klar. Dabei ist die Arktis keine tödliche Eishölle, sondern ein Ort, an dem es sich durchaus leben lässt, solange man bereit ist, sich den Verhältnissen anzupassen. Barrett schildert präzise den Zwiespalt, der die Entdecker des 19. Jahrhunderts immer wieder in selbst verschuldeten Krisen untergehen ließ: Sie kamen nur scheinbar in fremde Landstriche, um zu lernen, während sie unterbewusst davon überzeugt waren, schon alles Wissenswerte zu kennen. Barrett beschreibt, was Erasmus Wells in den Laderäumen der „Narwhal“ verstaut; mindestens die Hälfte ist in der Arktis völlig nutzlos und fehl am Platze, während wirklich Wichtiges oft fehlt. Aber: Ein Gentleman reist halt so, und außerdem muss er vor den „Wilden“ die Überlegenheit der weißen Rasse demonstrieren!

Nur Erasmus und sein neuer Freund, der Schiffsarzt, entwickeln einen echten Sinn für die Schönheit der Welt, die sie bereisen. Durch ihre Augen sieht der Leser dank Barretts Talent den hohen Norden in seiner ganzen Pracht. Während sich minder begabte Autoren gern vor Landschaftsbeschreibungen drücken oder in bleierne Langeweile abrutschen, entwickelt Barrett eine Wortgewalt, die einfach mitreißend ist. Hierin gleicht sie tatsächlich dem im Klappentext als Wink mit dem Zaunpfahl genannten Herman Melville [(„Moby Dick“), 1144 ohne ihn jedoch jemals zu imitieren. „Jenseits des Nordmeers“ ist ein absolut eigenständiges Werk, ein moderner Klassiker des Genres Reiseabenteuer, ein Literaturkapitel, das man oft schon für abgeschlossen hält, da doch die Welt inzwischen bis in die letzten Winkel erforscht ist. Aber so ist es nicht, und selten macht es so viel Spaß, vom Gegenteil überzeugt zu werden!

Und als Erasmus Wells in die Zivilisation zurückkehrt, ist gerade die Hälfte des Romans gelesen! Jetzt geht es erst richtig los: Als ob sie die Eiswüste nie verlassen hätten, setzen Wells und Vorhees ihr auf der „Narwhal“ begonnenes Duell mit unverminderter Härte fort. Vorhees verkörpert dabei die dunkle Seite der noch heute meist ohne Einschränkung verehrten Heldengestalten der Entdeckungsgeschichte. Doch die Männer, die das Neue suchten, benahmen sich in der Fremde nicht selten wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Besonders im Umgang mit den Ureinwohnern der besuchten (oder besser eroberten) Gebiete geschah vieles, das in den offiziellen Forschungsberichten lieber verschwiegen wurde. Barrett nennt diese Dinge beim Namen, und siehe da: Diese zweite Hälfte, die in der Tat „Jenseits des Nordmeers“ spielt, gibt der ersten in Sachen Dramatik und Spannung nicht das Geringste nach!

PS: Famos übersetzt wurde das Werk auch noch!

Hillen, Hans Jürgen / Fink, Gerhard – Geschichte Roms, Die: Römische und griechische Historiker berichten

Wer kennt sie nicht, die Geschichte jenes Dorfes in Mittelitalien, welches zum Machtzentrum der westlichen antiken Welt aufstieg. Die Geschichte Roms wurde sehr oft erzählt, in all ihren Epochen und Facetten. Das vorliegende Buch ist allerdings im Rahmen dessen etwas Besonderes. Anhand von ausgewählten Quellentexten der Antike wird hier die wechselvolle Historie für den geneigten Leser lebendig aufbereitet. Die äußerst gelungene Quellenauswahl wurde von Hans Jürgen Hillen vorgenommen, während die einleitenden Texte von Gerhard Fink verfasst wurden.

Das Buch beginnt mit den Gründungsmythen um Aeneas und Romulus, die auf das Jahr 753 v. Chr. zurückdatiert werden, und endet mit dem Niedergang Roms unter Kaiser Romulus Augustulus. Dazwischen werden die berauschenden Siege und die erschütternden Niederlagen des Imperium Romanum nacherzählt. Wir begegnen den schon nahezu klassisch gewordenen Gestalten des Caesar, Hannibal, Nero und vielen andern. Zahlreiche Auszüge aus den Werken griechischer und römischer Historiker, wie z. B. Diodor, Plutarch, Sueton und Cicero, eröffnen dem Leser einen interessanten und originellen Blick auf gut 1200 Jahre römischer Geschichte.

Die Gesamtidee hinter diesem Buch ist absolut lobenswert, allerdings darf man auch einige Schönheitsfehler bei der Umsetzung nicht außer Acht lassen. Die Einführungstexte zu den einzelnen Kapiteln sind durchaus informativ und verständlich geschrieben, jedoch handelt es sich dabei um Texte mit extrem narrativem Charakter. Die wissenschaftlichen Kontroversen und etwaige Gegenthesen zu den einzelnen Themenbereichen werden nicht erwähnt. Es handelt sich bei diesem Buch eben um eine Lektüre, die offensichtlich ausschließlich für geschichtsinteressierte Laien konzipiert wurde. Dieser Eindruck erhärtet sich anhand diverser Beobachtungen. Zum einen sind die Quellen nur in der deutschen unkommentierten Übersetzung abgedruckt, was natürlich verhindert, dass sich der Leser gegebenenfalls eine eigene Meinungen zu kritischen Textpassagen des Originals bilden kann. Zum andern gibt es nur einen sehr spärlichen Anmerkungsapparat, der zudem noch an den Gesamttext angehängt wurde, was ein Nachschlagen unnötig kompliziert macht. Der damit einhergehende Verzicht auf Fußnoten mag das Buch zwar optisch schöner machen, aber er erschwert eine intensivere eigene Auseinandersetzung mit den Quellen. Darüber hinaus sind die Kapitelübersichten, die jeweils vor dem betreffenden Kapitel abgedruckt sind, äußerst lieblos gestaltet und zudem unübersichtlich, was ihren eigentlichen Sinn und Zweck ins Gegenteil umkehrt.

Alles in allem überwiegen bei diesem Buch jedoch die positiven Eindrücke. Die insgesamt knapp 500 Seiten sind sehr angemessen bebildert und die Begriffserklärungen im Anhang helfen dem Laien beim Verständnis der Texte. Zudem finden sich im Anhang noch recht umfangreiche und qualitativ hochwertige Literaturhinweise, die eine weiterführende und tiefergehende Beschäftigung mit den einzelnen Themenbereichen des Buches erleichtern. Dieses Buch ist also speziell für geschichtsinteressierte Laien und „Einsteiger“ äußerst geeignet. Die Idee, anhand einer Auswahl antiker Quellen die Geschichte Roms nachzuerzählen, ist sehr erfrischend und wurde in diesem Buch gut umgesetzt.

http://www.patmos.de

Forester, C.S. – Kapitän Hornblower (Europa-Originale 13)

_Besetzung_

Erzähler – Hans Paetsch
Kapitän Hornblower – Helmo Kindermann
Mr. Bush – Horst Stark
Gerard – Gernot Endemann
Lady Wellesly – Ingrid Andree
Don Julian – Rolf Mamero
Hernandez – Heinz Trixner
Bauer – Franz-Josef Steffens

Bearbeitung: H.G. Francis
Regie: Heikedine Körting
Musik: Tonstudio EUROPA
Künstlerische Gesamtleitung: Prof. Dr. Beurmann

_Story_

Die englische Fregatte „Lydia“ wird von seiner Admiralität nach Mittelamerika entsandt, um dort Aufständische zu unterstützen, die sich der spanischen Monarchie widersetzen. Großbritannien steht nach wie vor im Krieg gegen Spanien, und um ein Zeichen zu setzen, ist der befehligte Kapitän Hornblower darauf angesetzt worden, das mächtige Kriegsschiff „Natividad“ anzugreifen und nach Möglichkeit zu versenken. Während Hornblower sich zum Golf von Fonseca aufmacht, entspannen sich die Verhältnisse zwischen den beiden Großmächten unerwartet vollständig. Es kommt zu einem Friedenspakt, von dem die Besatzung der „Lydia“ auf offener See allerdings nichts erfährt. Also segelt Hornblower weiter nach Mittelamerika, wo er auf den anvisierten Großgrundbesitzer Don Julian trifft. Mit ihm soll er vor Ort Handel treiben, obwohl es dem Kapitän widerstrebt, sich mit dem mächtigen Sklaventreiber, der sich selbst El Supremo nennt, einzulassen. Doch er hat einen Auftrag, den es zu erfüllen gilt, und als er schließlich doch noch von den politischen Änderungen erfährt, hat er seinem ungeliebten Komplizen bereits zu noch größerer Macht verholfen …

_Meine Meinung_

„Hornblower“, so der Originaltitel des Hörspiels, basiert auf einem alten Roman des britischen Autors Cecil Scott Forester und wurde 1953 bereits mit Gregory Peck in der Hauptrolle verfilmt. Dennoch ist es innerhalb der zweiten Staffel wohl dasjenige Hörspiel, welchem vom Bekanntheitsgrad wohl der geringste Wert zukommt, weil die Romanvorlage bislang (und wahrscheinlich auch in Zukunft) nicht den Status eines Klassikers erfahren hat.

Allerdings sollte man deswegen keine falschen Schlüsse ziehen, denn auch wenn ich dies im Zusammenhang mit der Hörspielreihe „Europa-Originale“ schon häufiger geschrieben habe, ist dies die bislang spannendste und beste Geschichte im Rahmen dieser tollen Neuauflagen. Dies mag sicher daran liegen, dass die Geschichte eben bis dato nicht bekannt war und so die Überraschungseffekte eine deutlichere Wirkung zeigen. Und davon gibt es innerhalb der Handlung ja so einige.

Zunächst einmal muss die Story aber in zwei Ebenen getrennt werden. Da wäre zum einen der stetige Konflikt des hochmütigen Kapitäns, der sich auf fremdem Land nicht zu schade ist, den dortigen Tyrannen auf die Probe zu stellen. Zwar ist er angewiesen, mit ‚El Supremo‘ zusammenzuarbeiten, bestimmt dabei aber selber die Regeln. Jedoch läuft Hornblower trotz der offenkundigen Überlegenheit in die Falle, nicht jedoch ohne vorher einige Zeichen gesetzt zu haben. So sind manche Mitglieder der Besatzung zutiefst erschüttert von den Maßnahmen des Großgrundbesitzers und erwägen, auch körperlich gegen ihn anzugehen. Als ein unschuldiger Bürger, der nicht einsehen wollte, in Don Julian den Allmächtigen zu sehen, an einen Pfahl gebunden wird und verdursten soll, platzt der Besatzung ob des unmenschlichen Umgangs der Kragen.

Der Konflikt eskaliert aber nicht – womit wir beim zweiten Teil wären – denn mittlerweile hat das Schiff bereits unter dem Kommando von Hornblower die „Natividad“ eingenommen und sie an Don Julian weitervererbt. Dass dies ein leichtsinniger Fehler war, ist offensichtlich, war aber im Vertrag so festgesetzt. Dass Hornblower diese Handlung allerdings so schnell bereuen wird, hätte er nicht gedacht, doch als ein Vertreter der spanischen Regierung ihn darauf aufmerksam macht, dass jegliche Kriegshandlungen zwischen Großbritannien und Spanien ein Ende gefunden haben, muss er seine Naivität schmerzlich eingestehen. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Fehler wiedergutzumachen, nämlich das erneut feindliche Schiff zu versenken. Doch damit hätten die Spanier den Stolz ihrer Flotte endgülig eingebüßt, was den jungen Frieden zwischen den beiden Nationen ein weiteres Mal auf die Probe stellen könnte.

„Kapitän Hornblower“ ist nicht nur das beste sondern auch das abwechslungsreichste Hörspiel in dieser Reihe. Die Geschichte ist sehr stark von den unerwarteten Wendungen geprägt und rast so trotz der relativ umfassenden Spieldauer (45 Minuten sind für diese Serie schon recht anständig) ziemlich schnell auf das opulente Finale zu. Außerdem sind die Sprecher mal wieder souverän, selbst wenn hier einige neue Stimmen mitgewirkt haben. Und da die 13. Episode nun auch die erste ist, bei der man nicht einmal einen klitzekleinen Schwachpunkt entdecken kann, bleibt mir auch nichts anderes übrig, als diese vergleichsweise unbekannte Geschichte dringend weiterzuempfehlen.

http://www.natuerlichvoneuropa.de/

Meirose, Astrid / Pruß, Volker – Nephilim, Die (Schattenreich 1)

_Story_

Christian Wagner kehrt nach mehreren Jahren wieder in seine Heimatstadt zurück und wird bereits kurze Zeit später Zeuge einer grausamen Mordserie. Seine ehemalige Gattin Alexa, mittlerweile bei der Polizei aktiv, informiert ihn über den Fund einer geköpften Leiche und bittet den Kulturwissenschaftler, am Tatort einen Befund über die seltsame Tätowierung der Leiche zu erstellen. Doch schon auf dem Weg zur Fundstelle ereignen sich seltsame Dinge; Christian bekommt einige ungewöhnliche Kurzmitteilungen auf sein Handy geschickt und gerät bereits vor seiner Ankunft tiefer in die Geschehnisse herein, als er es sich hätte träumen lassen. Zudem entdeckt Wagner dann auch noch, dass die Leiche die gleiche Tättowierung wie er selber trägt, was ihm langsam aber sicher Angst einflößt. Er entlarvt die Tote als eine ‚Nephilim‘, eine sektenartige Gruppierung, die vor einigen Jahren als Gegenpol zu den geförderten ‚Titanen‘ ins Leben gerufen wurde.

Als sich der verdeckte Ermittler gezwungenermaßen näher mit dem Thema beschäftigt, drängen sich ihm immer mehr Parallelen zu seinem eigenen Leben auf. Er erinnert sich an seine für tot erklärte Freundin Billie und einen gewissen Adrian, der in der Ägyptologie Seth, den Gegenspieler seines selbst erkorenen Alter Egos Osiris, abgegeben hat und sich zufälligerweise auch gerade in der Stadt herumtreibt. Nach einem Besuch in der finsteren Diskothek werden Christian dann die Augen geöffnet; er wird von einem erotischen Schauspiel verführt und wird sich der tatsächlichen Tragweite der jüngsten Entwicklungen bewusst. Als er am nächsten Morgen unbekleidet aufgefunden wird, helfen ihm die Erinnerungen der letzten Nacht, endlich Licht ins Dunkel zu bringen.

_Meine Meinung_

Unter dem Titel „Schattenreich“ ist unlängst eine neue Hörspiel-Serie gestartet, die sich – der Titel lässt es bereits vermuten – mit düsteren Phänomenen und übersinnlichen Themen beschäftigt. Die Serie wird außerdem von Gothic-Magazin „Sonic Seducer“ präsentiert, was natürlich sofort einige Vorurteile mit sich bringt, die auch prompt in der ersten Episode „Die Nephilim“ bestätigt werden. Doch was es damit auf sich hat, dazu möchte ich später noch einmal gesondert kommen.

Das Konzept von „Schattenreich“ ist jedenfalls nicht gerade herkömmlich; Ziel war es, eine Mischung aus stimmungsvoller Gothic-Musik und dichter Hörspiel-Atmosphäre zuschaffen, was den Machern auch weitestgehend gelungen ist, sieht man mal von den raschen Schwenks zwischen diesen beiden Elementen ab. Hier hätte man sich noch einige fließendere Übergänge gewünscht, denn es ist schon so, dass die Musik manchmal ruckartig mit mächtigen Beats einsetzt und so die letzten bzw. ersten Worte des Hörspiels zu stark überlagert. Letztendlich ist das nur ein kleiner Schönheitsfehler, aber es fällt eben schon auf.

Rein inhaltlich, und damit wären wir bei besagten Vorurteilen, orientiert sich „Die Nephilim“ indes an altbekannten Klischeethemen. Es geht um eine seltsame, nur unterschwellig thematisierte Sekte, unerklärliche Todesfälle, Fabelwesen wie eine Medusa und die zunächst einmal unwahrscheinlich erscheinenden Zusammenhänge zwischen alldem, erforscht vom Ermittlergespann Alexa und Christian. Und eigentlich ist dies auch alles ziemlich gut zusammengefügt, nur eben nicht wirklich ideenreich konstruiert worden. Vor allem beliebte Mystery-Thriller-Autoren wie Dan Brown (und ganz besonders der) werden hier in anders benannten Themenkomplexen zitiert und teilweise auch kopiert, wenn auch auf etwas finsterere Art und Weise. Aber die Parallelen zwischen den Hauptfiguren des Millionensellers „Sakrileg“ und der inhaltlichen Struktur von „Die Nephilim“ sind schon signifikant, wenngleich sie sich zum Ende hin dann doch ganz unterschiedlich entwickeln. Während Brown jedoch bis zum Finale auf höchstem Niveau agiert, müssen die beiden Produzenten Astrid Meirose und Volker Pruß vergleichsweise kleinere Brötchen backen, weil es ihnen zum Schluss nicht sonderlich überzeugend gelingt, das Ende ‚rund‘ zu bekommen. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und nach all dem Spannungsaufbau der ersten Dreiviertelstunde wird die bis dahin tolle Atmosphäre abrupt zerstört und die Geschichte eher unbefriedigend aufgelöst. Und dies muss man dem Hörspiel bzw. der Handlung auch als Schwäche auslegen.

Andererseits ist die Inszenierung bis zu diesem Punkt (und rein äußerlich auch über die gesamte Spielzeit) fabelhaft. Die düstere musikalische Untermalung ergänzt sich sehr schön mit den dramatischen Akten des Plots und ist hinsichtlich der Gesamtwirkung tatsächlich eine echte Bereicherung. Und auch die Auswahl der finsteren Kompositionen ist lobenswert, weil für jede Stimmung, die sich innerhalb der Story auftut, eine passende Begleitung oder aber ein angenehmr Kontrast vorhanden ist – sei es nun von Gruppen wie SECRET DISCOVERY und ZERAPHINE oder eben vom Berliner Filmorchester und Kammerchor.

Aus diesem Grunde ist es auch etwas schade, dass die Handlung nicht auf Top-Niveau angesiedelt ist. Die Geschichte ist sicherlich spannend und von Sprechern und Musik erstklassig ausgemalt worden, lässt aber im Hinblick auf den Faktor Innovation ein wenig zu wünschen übrig und ist an manchen Stellen außerdem auch noch unlogisch aufgebaut. Sieht man davon mal ab, ist der erste Teil der „Schattenreich“-Serie ein absolut anständiges Hörspiel, welches, sobald inhaltlich noch leichte Verbesserungen erzielt werden, durchaus Lust auf mehr macht.

Mehr Infos gibt es unter http://www.schattenreich.net.

Lee Child – Sein wahres Gesicht

Das geschieht:

Jack Reacher, ehemaliger Elite-Soldat und Militär-Polizist, ist auf seiner ziellosen Reise durch die USA in Key West, Florida, gelandet. Dort verdingt sich nach Feierabend als Leibwächter in einer Oben-ohne-Bar, wo ihn Privatdetektiv Costello anspricht, der ihn im Auftrag einer „Mrs. Jacob“ aus New York finden soll. Reacher hat keine Ahnung, wer dies ist, und hält sich daher im Hintergrund, was klug ist, denn Costello hart auf den Fersen sind zwei Schläger, die dem Detektiv auflauern, ihn nach Reacher ‚befragen‘ und, als er nichts preisgeben kann, brutal umbringen.

Reachers Ermittler-Instinkte brechen wieder durch. Er reist nach New York, wo er feststellt, dass „Mrs. Jacob“ Jodie Garber ist, die Tochter seines verehrten militärischen Lehrmeisters und väterlichen Freundes General Leon Garber, der gerade einem Herzleiden erlegen ist. In den letzten Lebenswochen beschäftigte ihn der Victor Hobie, der vor fast dreißig Jahren als hoch dekorierter Helikopter-Pilot im Vietnamkrieg verschollen ist. Das Militär mauerte, und Garber wollte den Grund herausfinden. Er konnte noch in Erfahrung bringen, dass Hobie bei einem Absturz schwer verletzt und verstümmelt wurde. Er desertierte aus dem Lazarett, tötete dabei einen Kameraden und verschwand mit viel Geld, das er durch allerlei krumme Geschäfte ergaunert hatte. Ein Mustersoldat als übler Gauner: Dies war dem Militär so peinlich, dass es Hobies Akte einfach schloss. Lee Child – Sein wahres Gesicht weiterlesen

Robson, Justina – Transformation

Bei „Transformation“ von Justina Robson handelt es sich um einen aus der Ich-Perspektive erzählten Science-Fiction-Roman, der im England einer nicht allzu fernen Zukunft spielt und in dessen Zentrum die Hauptfigur Anjuli O’Connell steht. Die Erzählung setzt in Anjulis schwieriger Kindheit ein und von da an begleitet der Leser sie durch ihr weiteres Leben, welches von der Beschäftigung mit künstlicher Intelligenz dominiert wird. Anjuli hat ein „absolutes“ Gedächtnis, was ihr bei ihrem Beruf als KI-Psychologin durchaus zugute kommt.

Die Handlung des Romans wird von drei Motiven beherrscht. Das Hauptmotiv bildet Anjulis Verbindung zu ihrem auf mysteriöse Weise verstorbenen Jugendfreund Roy Croft, der nicht nur ein Genie auf dem Gebiet der KI-Technologie war, sondern zudem eine aufsehenerregende Klage eingereicht hat, die entgegen der Interessen des Großkonzerns Optinet die Menschenrechte für die neu geschaffene KI 901 einzufordern suchte. Hier findet sich auch die Überleitung zu dem zweiten Hauptmotiv des Romans, welches durch den Gerichtsprozess, der in Folge von Roys Klage entsteht, repräsentiert wird. Anjuli befindet sich hierbei in einem tiefen Interessenkonflikt, da sie als Sachverständige zu dem Prozess geladen wird. Es gilt für sie, den eigenen Weg zwischen den beiden Extremposition von Roy Croft dem Maschinenrevoluzzer, der ihr zudem noch Nachrichten aus dem „Jenseits“ schickt, und ihrem Arbeitgeber Optinet zu finden, der natürlich strikt gegen die Emanzipation von 901 ist. Das dritte Hauptmotiv bildet das Privat- und Gefühlsleben der Protagonistin. Speziell dieser Handlungsstrang ist jedoch der große Schwachpunkt des Romans. Robson gelingt es in diesem Buch nicht, die Hauptfigur, die naturgemäß bei einem Roman aus der Ich-Perspektive von exponentieller Wichtigkeit ist, interessant zu gestalten.

„Transformation“ ist leichte Sci-Fi Kost, die gut verdaulich ist, wenn man von ihr keine innovativen Ideen erwartet. Wenngleich die Handlung des 479 Seiten langen Romans viele Wendungen aufweist, gelingt es der Autorin dennoch nicht, die wenig originelle Geschichte von „Transformation“ packend zu erzählen. Das mag einerseits an den äußerst konstruiert wirkenden Charakteren und andererseits an etlichen aufgewärmten Versatzstücken, die aus besseren Science-Fiction-Romanen entliehen wurden, liegen. Man hat das alles eben im Sci-Fi-Genre schon einmal gelesen oder gesehen.

MacLeod, Charlotte – Rolls Royce und Bienenstiche

Wie in jedem Jahr richtet das Millionärs-Ehepaar Nehemiah und Abigail Billingsgate für seine Familienmitglieder, Verwandten und Freunde auf dem Gelände seines Anwesens vor den Toren der US-Metropole Boston (Massachusetts) ein prunkvolles Renaissance-Fest aus. Unter den zahlreichen Gästen tummeln sich auch Max und Sarah Bittersohn, die heuer nicht nur zur Feier eingeladen wurden, sondern außerdem einen peinlichen Diebstahl aufklären sollen. Die Bittersohns arbeiten als Privatdetektive, und der Hausherr setzt größeres Vertrauen in sie als in Chief Grimpen, den ebenso aufgeblasenen wie unfähigen Polizeichef, dem dennoch noch reichlich Gelegenheit geboten wird, sich tüchtig zu blamieren.

Seit Jahrzehnten sammelt die Familie Billingsgate Luxus-Automobile der Marke Rolls Royce. Der Wert dieser Oldtimer ist enorm, so dass große Aufregung entsteht, als ein Modell „New Phantom“, Baujahr 1927, aus der als Museum eingerichteten und gut gesicherten Großgarage verschwindet. Für das Fest wurden deshalb besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Der alte Hausdiener Rufus bewacht die fest verschlossene Wagenhalle, und regelmäßig schaut Max Bittersohn nach dem Rechten.

Dennoch geschieht das Unfassbare: Auf einem seiner Kontrollgänge findet Max den Wachposten verlassen vor. Nach kurzer Suche entdeckt er den scheinbar saumseligen Rufus: Er hängt mit einem Seil um den Hals hoch im Wipfel eines Baumes! Man hat ihn erst ermordet und dann mit einem Flaschenzug dort hinaufgezogen. Gleichzeitig ist wieder einer der wertvollen Rolls Royces verschwunden – und Boadicea Kelling, eine der zahllosen Tanten Sarahs, die anscheinend den Dieben und Mördern zufällig über den Weg lief und von diesen verschleppt wurde.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Da ist zum einen der unausstehliche Grimpen, der nichts lieber täte, als den Fall unter fadenscheinigen Gründen zu den Akten zu legen. Auf der anderen Seite müssen die Billingsgates und die Bitterbaums sich eingestehen, dass der oder die Täter wohl im Kreise der Gäste gesucht werden müssen; eine peinliche Situation, da die Anwesenden nicht nur mit den Gastgebern und untereinander verwandt sind, sondern einander schon seit Jahrzehnten kennen …

Der achte Band der „Boston“-Serie, die sich lose um die kriminalistischen Abenteuer der Amateur-Detektivin Sarah Kelling-Bitterbaum rankt, vermittelt seinen Lesern schon auf den ersten Seiten das beruhigende Gefühl, durch nichts Neues verschreckt zu werden. Seit jeher steht für Charlotte MacLeod weniger der Thrill, d. h. das Verbrechen und seine Aufklärung, im Mittelpunkt, sondern die Beschwörung einer guten, altmodischen, heilen Welt, bevölkert von liebenswerten und skurrilen Gestalten, denen ein Mord auch nicht dramatischer erscheint als ein Familienskandal, der sich vor fünfzig oder mehr Jahren abgespielt hat.

So schlägt MacLeod in der „Boston“-Serie einen Großteil ihres Witzes aus dem unglaublich verzweigten Clan der Kellings, einem genealogischen Albtraum hart an der Grenze zur Inzucht, der quasi die Bevölkerung eines ganzen Landstriches stellt und dem Verschrobenheit offensichtlich schon in die Wiege gelegt wird. Nach sieben Bänden hat sich die daraus erwachsende Komik allerdings ziemlich abgenutzt, doch der wahre (meist weibliche) MacLeod-Fan sieht das natürlich ganz anders und kann gar nicht genug von immer neuen Kellings mit ulkigen Namen und ebensolchen Gewohnheiten in märchenhaft-traulicher Landhaus-Atmosphäre lesen. Weit, weit weg ist die grausame Realität, vor der sich auf diese Weise vortrefflich fliehen lässt. Allzu spannend darf und soll es in dieser gemütlichen Nische nicht zugehen: „Cozys“ nennt man solche baldrianischen Krimis im Angelsächsischen mit gutem Grund. Alles wird schließlich immer wieder gut, während mindestens ein unverheirateter Großonkel zwölften Grades für kauzige Komplikationen sorgt; im vorliegenden Band ist er zwar nicht mehr am Leben, was aber nebensächlich ist, da für die Kellings Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowieso nahtlos ineinander übergehen und in diesem zeitlosen In-sich-selbst-Ruhen selbst tote Verwandte stets präsent bleiben.

Schwierigkeiten mit dem Kelling-Clan kennt die treue MacLeod-Leserschaft nicht. Die Autorin lässt einmal eingeführte Figuren immer wieder die Handlung bereichern, bis sie sich in der ständigen Wiederholung dem Publikum eingeprägt haben. Ansonsten sind sie austauschbar, was die eigentlichen Hauptpersonen nicht ausschließt: Sarah und Max Bittersohn sind liebenswerte Gutmenschen, die als Überdosis genossen durchaus Brechreiz hervorrufen können. In inniger Liebe einander zugetan, gesegnet mit einem gar niedlichen Kindelein und verschont von profanen Sorgen, gehen sie einem (im MacLeodschen Sinn) aufregenden Beruf nach und verkörpern damit, wonach sich viele Leser/innen mindestens unterschwellig sehnen.

Das muss man sich vor Augen führen, wenn man als Neuling in die „Boston“-Welt stolpert. Charlotte MacLeod ist mit ihren Cozys jedenfalls gut gefahren. Im reifen Alter von 57 Jahren erst ist sie 1979 auf die „Boston“-Goldader gestoßen. Noch drei weitere Serien derselben Machart sicherten ihr (mildes) Kritikerlob und ein treues Publikum, das die fleißige Autorin über mehr als zwei Jahrzehnte zuverlässig mit immer neuen Variationen der alten Melodie bei Stimmung hielt.

Nach 1990 verlangsamte sich MacLeods Arbeitstempo merklich. Zum Kummer ihrer zahlreichen deutschen Fans war mit „Der Mann im Ballon“ nicht nur das Dutzend voll, sondern das Ende der Serie erreicht. Weitere Kriminalromane aus der Feder Charlotte MacLeods gab es nicht mehr. Die inzwischen 80-jährige Autorin litt an der Alzheimerschen Krankheit, an deren Folgen sie 2005 starb. Die absolut hirnrissige, geradezu peinliche „Auflösung“, die MacLeod sich für „Rolls Royce und Bienenstiche“ hat einfallen lassen, führt allerdings zu der Frage, ob der geistige Verfall nicht schon ein Jahrzehnt früher eingesetzt hat.

Die „Boston“-Serie:

01. Die Familiengruft (1979; „The Family Vault“) – DuMonts KB Nr. 1019
02. Der Rauchsalon (1980; „The Withdrawing Room“) – DuMonts KB Nr. 1022
03. Madame Wilkins‘ Palazzo (1981; „The Palace Guard“) – DuMonts KB Nr. 1035
04. Der Spiegel aus Bilbao (1983; „The Bilbao Looking Glass“) – DuMonts KB Nr. 1037
05. Kabeljau und Kaviar (1984; „The Convivial Codfish“) – DuMonts KB Nr. 1041
06. Ein schlichter alter Mann (1985; „The Plain Old Man“) – DuMonts KB Nr. 1052
07. Teeblätter und Taschendiebe (1987; „The Recycled Citizen“) – DuMonts KB Nr. 1072
08. Rolls Royce und Bienenstiche (1988; „The Silver Ghost“) – DuMonts KB Nr. 1084
09. Jodeln und Juwelen (1989; „The Gladstone Bag“) – DuMonts KB Nr. 1092
10. Arbalests Atelier (1992; „The Resurrection Man“) – DuMonts KB Nr. 1097
11. Mona Lisas Hutnadeln (1995; „The Odd Job“) – DuMonts KB Nr. 1104
12. Der Mann im Ballon (1998; „The Balloon Man“) – DuMonts KB Nr. 1110

http://www.dumontliteraturundkunst.de/

Shocker, Dan – Totenacker, Der (Macabros, Band 4)

In diesem Band wurden die Heftromane „Totenacker der Dämonen“ und „Die Geister-Höhlen“ aus dem Jahr 1974 nachgedruckt.

Im ersten Roman verfolgen Björn Hellmark und Rani Mahay eine Teufelssekte in New York, welche von einem Schwarzen Priester geleitet wird. Dieser hat Zugang zu einer fremden Dimension, dem Totenacker der Dämonen, wo Opfer und Abtrünnige lebendig verscharrt werden, um als dämonische Vögel wiedergeboren zu werden. Als Björn und Rani eine Messe der Teufelsanbeter sprengen, geraten sie selbst ins Visier des Schwarzen Priesters, der längst erkannt hat, wer sein Todfeind ist. Er entführt Björns Freundin Carminia, um sie auf dem Totenacker der Dämonen lebendig zu begraben …

In der zweiten Geschichte erhält Björn Hinweise darauf, dass Marlos, die unsichtbare Insel, im Meer erschienen ist. Laut den Prophezeiungen aus dem „Buch der Gesetze“ ist Björn, alias Kaphoon, der Alleinerbe des Eilandes. In den Geister-Höhlen auf Marlos warten die Geister der Weisen von Xantilon, um ihr Wissen dem Millionärssohn zu vermitteln, damit er gerüstet ist für den Kampf gegen die Dämonen und Schwarzen Priester. Doch Molochos, der oberste Dämonenfürst und Björn Hellmarks Erzfeind, setzt alles daran, um zu verhindern, dass Kaphoon einen Fuß auf Marlos setzen kann …

Beide Geschichten stehen für sich allein und bieten jede auf ihre Art und Weise spannende, abwechslungsreiche Unterhaltung. Selbst dem klischeebehafteten Thema der Teufelsanbetung gewinnt der Autor neue Aspekte ab, indem die Opfer nicht einfach getötet werden, um den Satan zu beschwören. Die Bedauernswerten werden auf dem titelgebenden Totenacker lebendig verscharrt, und zwar senkrecht, so dass die Beine als bizarre Grabsteine gen Himmel zeigen. Solch grotesken Ideen waren schon immer das Markenzeichen der Dan-Shocker-Romane und trugen zu einem großen Teil zu ihrer Popularität bei. Dass der Totenacker in einer anderen Dimension liegt, verleiht der Geschichte den nötigen Schuss Fantasy, der maßgebend für die Macabros-Serie ist. Davon abgesehen bleibt der erste Roman noch recht bodenständig. Die Charaktere sind lebensecht und entwickeln rasch eine Eigendynamik. Insbesondere Rani Mahay, der hier zum ersten Mal an Björns Seite kämpft, wirkt auf Anhieb sympathisch und beweist damit, dass er das Zeug zum perfekten „Sidekick“ hat.

Der zweite Roman legt den Schwerpunkt eindeutig auf die Phantastik und spielt innerhalb der Serienrelevanz eine bedeutende Rolle. Björn erfährt nicht nur, wer sein Erzfeind ist, sondern erhält auch einen wichtigen Stützpunkt gegen seine übermächtigen Feinde. Eindringlich beschreibt der Autor, wie der Protagonist scheinbar willenlos nur noch ein Ziel verfolgt, nämlich Marlos zu finden. Selbst die erneute Entführung Carminias lässt Björn dieses Mal völlig kalt. Der Wettlauf, der sich zwischen dem Helden und seinen Feinden entwickelt, ist voller Action und Dramatik, so dass der Leser gebannt bis zum Schluss an den Seiten klebt.

Die Illustrationen von Pat Hachfeld lockern das Gesamtbild angenehm auf, auch wenn sie diese Mal „nur“ zum guten Durchschnitt gehören. Das Cover gehörte ursprünglich zum Heftroman „Totenacker der Dämonen“ und zeigt die verscharrten Opfer der Sekte und im Hintergrund den Schwarzen Priester als dunkle Bedrohung.

Beide Geschichten sind kleine Perlen aus den Anfangszeiten dieser fantastischen und komplexen Serie.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Dark, Jason – John Sinclair – Königin der Wölfe (Folge 35, Teil 2)

_Story_

Mr. Mondo und seine Gefolgschaft haben John endgültig in ihre Fänge bekommen und sehnen sich nun danach, ihn zu einem mächtigen Verbündeten zu machen. Ein bösartiges Serum verwandelt den Geisterjäger innerhalb weniger Minuten in einen blutrünstiegn Werwolf, der alle Kommandos seines Herrchens befolgt. Allerdings sind nicht alle Gefährten des psychiatrischen Facharztes mit dieser Verwandlung einverstanden. Die radikale Pamela zum Beispiel sinnt darauf, Sinclair sofort zu töten, doch dies kann Mondo nicht akzeptieren. Stattdessen übergibt er seinen neuen Schützling in die Hände der Dämonin Lupina, die wiederum einen Kampf zwischen Sinclair und einem weiteren Werwolf inszeniert. John geht als Sieger hervor, bindet sich dadurch aber noch stärker an seine neue Herrin. Wird es seinem Team um Suko, Bill Conolly und seine Geliebte Jane Collins gelingen, John wieder seine echte Identität zu verschaffen?

_Meine Meinung_

Ganz ehrlich: Ich bin ein wenig enttäuscht von der Fortsetzung des genialen [„Mr. Mondos Monster“. 2154 Irgendwie ist es nämlich nicht gelungen, die hierin begonnene, äußerst vielversprechende Geschichte fließend aufzunehmen und sie auf gleichem Niveau zu Ende zu bringen. So viel schon mal zum ersten Eindruck.

Nun, beginnen wir aber mal beim eigentlichen Problem, den fehlenden Verknüpfungen. Rein äußerlich sind die Episoden 34 und 35 ein zusammengehöriger Zweiteiler, in dem es um die gewaltigen Resultate der Forschung von Mr. Mondo geht. Allerdings ist hiervon in „Königin der Vampire“ kaum noch die Rede. Mit einem Mal schwenkt die Handlung nämlich komplett um und beschränkt sich nur noch auf die finstere Inkarnation des John Sinclair, ohne dabei jedoch zu weit in die Tiefe zu gehen. Das soll sicher nicht heißen, dass die Geschichte deswegen enorm an Spannung einbüßt, doch es ist schon so, dass wichtige, prägnante Elemente des ersten Teils gänzlich abhanden gekommen sind, wie zum Beispiel der nette Humor um die schrullige Sarah Goldwyn oder aber die rasante Action, die sich während der Verfolgungsjagd von Mr. Mondos Schergen auf Sinclair und eben jene alte Dame ergeben hat.

Gewichen sind sie einem selbst für Sinclair-Verhältnisse enorm düsterem Schauspiel, welches den Protagonisten aus einer völlig anderen Perspektive zeigt. Sinclair gehört plötzlich dem Bösen an, kämpft an entgegengesetzter Front, kann aber an dieser Seite nicht so ganz überzeugen. Das mag zum einen auch daran liegen, dass es einfach ungewohnt ist, den Geisterjäger so zu hören, entspricht aber auch ansonsten nicht so recht den Vorstellungen der ihm hier zugedachten Rolle. Mit anderen Worten: Die Umsetzung ist – und das ist innerhalb dieser Reihe nun wirklich mal eine Ausnahme – trotz aller Effekte und Klangmalereien nicht so toll, wie man es eigentlich gewohnt ist.

Natürlich muss man sich diesbezüglich aber auch vergegenwärtigen, dass die Erwartungen an diese Hörspielserie enorm groß sind und man eben nicht immer nur Highlights bekommen kann. Ich will diese leicht verpatzte Gelegenheit, aus der Doppelfolge ein echtes Event zu machen, zwar nicht mit irgendwelchen Floskeln rechtfertigen, aber darauf hinweisen, dass selbst diese Episode immer noch mit großem Abstand besser ist als 99 Prozent der übrigen Hörspiele und -bücher aus diesem Bereich. Dass es keine 100 Prozent sind, liegt schlicht und einfach daran, das man die Rahmenhandlung ziemlich grob auseinandergerissen und die Schwerpunkte denkbar ungünstig und im Großen und Ganzen auch zu oberflächlich verteilt hat. Zudem fehlt irgendwie der Witz an der Sache. Ich halte es für ziemlich ungünstig, den Plot mit zünftigem Humor zu beginnen (so geschehen in „Mr. Mondos Monster“) und anschließend mit einer bierernsten, bitterbösen Fortsetzung abzuschließen. Irgendwie beißen sich diese Gegensätze bezogen auf den Inhalt ganz gewaltig.

Zusammengefasst hat sich das Produktionsteam schlicht und einfach nicht auf seine eigentlichen Stärken besonnen, die prinzipiell darin bestehen, in kürzester Zeit eine flotte Action/Horror-Geschichte mit Spannung zu füllen und sie zielstrebig bis zum Schluss zu verfolgen. Was vor einem halben Jahr gut begonnen hat, findet hier ein etwas lahmes, nicht ganz zufriedenstellendes Ende. Sinclair-Fans müssen sich von dieser Kritik jetzt aber nicht vollständig irritieren lassen, sollten aber berücksichtigen, dass diese Doppelfolge in ihrem zweiten Part einige überraschende Schwächen hat. „John Sinclair“ gibt’s auch besser, zum Beispiel gleich in der nachfolgenden Episode, und das ist letztendlich auch der einzige Fakt, der zählt.

http://www.sinclairhoerspiele.de/

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Allende, Isabel – Mein erfundenes Land

[„Zorro“ 1754 war das letzte von Isabel Allende auf Deutsch erschienene Buch, eine Art Biographie der frühen Jahre des berühmt-berüchtigten Rächers mit der Maske. Und wenn der Roman auch alles bot, was man von einer Abenteuergeschichte erwarten würde, so war er doch ein außergewöhnlicher Stoff für eine Autorin, die mit starken Frauenfiguren, südamerikanischen Settings und weit ausladenden Familiengeschichten bekannt geworden ist. In „Mein erfundenes Land“ dagegen, im Spanischen bereits 2003 erschienen, hält sie sich wieder an Bewährtes, was dazu führt, dass man als Leser genau das bekommt, was man von Isabel Allende erwartet. Bei der Lektüre der 200 Seiten (geradezu Kurzprosa für Allendes Verhältnisse) stellt sich daher sofort der gewünsche Effekt ein: eine wohlige Wärme ob der flott dahingeschriebenen, teils liebenswerten, teils skurrilen Erinnerungen der Autorin.

Dabei ist „Mein erfundenes Land“ ein seltsamer Hybrid – irgendwo zwischen Autobiographie, Reiseführer, politischem Essay und Fiktion. Es ist der Versuch, die Sehnsucht nach diesem Land Chile, in dem sie tatsächlich nur einen geringen Teil ihres Lebens verbracht hat, in Worte zu fassen, zu erklären oder wenigstens zu beschreiben. Und es wäre kein Buch von Isabel Allende, würde man nicht ständig das Augenzwinkern der Autorin beim Umblättern der Seiten spüren.

Sie beginnt mit einer farbenprächtigen Kartographie ihres Heimatlandes – das Gebirge, das Meer, die Wüste, die brodelnde Stadt Santiago. Das alles klingt für den gemeinen Mitteleuropäer exotisch und weckt unweigerlich die Reiselust. Nie wirken Allendes Beschreibungen hier trocken oder gar abgeschrieben, denn in gewohnter Manier ist eine Bergkette bei ihr immer auch mehr als das: Die Beschaffenheit des Landes weist über sich hinaus, ist unabdingbare Voraussetzung für den Charakter seiner Bewohner, ihre Traditionen und Macken. Und von diesen Macken gibt es viele, wie die Autorin nicht müde wird zu erwähnen …

Vielleicht ist es die Tatsache, dass sie schon immer ein Querkopf war, sich dem Machismo Chiles nicht unterordnen wollte. Vielleicht ist es ihre journalistische Tätigkeit, die ihr diesen scharfen Blick ermöglicht. Vielleicht aber auch die Tatsache, dass sie nun schon seit zwanzig Jahren in Kalifornien lebt und daher aus einer anderen Perspektive auf Chile blickt. Sei’s drum, die Kapitel, welche die Skurrilitäten, die Eigenheiten und (für uns) fremdartigen Charakterzüge der Chilenen zum Thema haben, sind ein wahres Feuerwerk an genauer Beobachtung gepaart mit literarischer Verfremdung: Denn man kann sich nie ganz sicher sein, wann Isabel Allende Tatsachen beschreibt und wann sie ins Fiktionale abgleitet. Die Frage nach der Beziehung von Wahrheit und Fiktion ist eine typisch deutsche, meinte Allende, als sie das Buch in Berlin vorstellte. Für sie ist alle Erinnerung eine Mischung aus beidem – Tatsächlichem und Erfundenem. Was macht es da, ob etwas wahr oder unwahr ist? Genau aus diesem Spannungsfeld ergibt sich auch der Titel des Buches, der tatsächlich kein Widerspruch, sondern eine unbedingte Folge von Allendes Wahrnehmung ist.

Eingebettet in die Beschreibung von „Land und Leuten“ erfährt man auch viel Persönliches von der Autorin. Man trifft Charaktere aus ihren früheren Romanen wieder (allen voran natürlich „Das Geisterhaus“) und stellt fest, dass sie auf Mitgliedern ihrer Familie fußen. Mit viel Zuneigung, aber auch einem verschmitzten Lächeln gibt sie all die kleinen Absurditäten ihrer großen Sippe wieder: die hellsichtige Großmutter, der überlebensgroße Großvater, die Eindrücke, die ihre Kindheit geprägt haben. Einiges daraus kennt der treue Leser bereits aus „Paula“, doch fehlen in „Mein erfundenes Land“ die unbändige Trauer und das Verlangen, Dinge dem Vergessen zu entreißen. Das verleiht ihrem neuen Erinnerungsbuch eine uneingeschränkte Leichtigkeit, die dazu führt, dass man den Kapriolen und Sprüngen der Autorin gern folgt. Ihre Wege mögen verschlungen sein und sich von Zeit zu Zeit unvermutet kreuzen, doch ist dies kaum ein Grund zu bereuen, überhaupt auf die Reise gegangen zu sein. Im Gegenteil, es macht die Lektüre abenteuerlich und überraschend!

Es gibt natürlich ernste Momente. Wenn Allende den Militärputsch von 1973 beschreibt, der sie ins Exil trieb und ihre Heimat mit Folter und Repression überzog, dann bleibt kaum Raum für das altersweise ironische Lächeln, mit dem sie sonst ihr Lebens betrachtet: „Das hab ich hinter mir, und es hat mich stärker gemacht“, scheint ein Credo zu sein, das einen Großteil ihres Schreibens beschreibt. Doch der Putsch bleibt eine Wunde, die nur langsam heilt, und das Narbengewebe überzieht sowohl Chile als auch die Autorin.

„Mein erfundenes Land“ hat viele Eigenschaften, die für das Buch sprechen: Es ist unterhaltsam, kurzweilig, humoristisch und von Zeit zu Zeit sogar lehrreich. Es weckt die Neugier auf ein Land am Ende der Welt, wo die Sitten gleichzeitig fremd und sympatisch sind. Das Buch wirkt spontan, erfrischend, mit leichter Feder heruntergeschrieben, und dieses Gefühl überträgt sich unweigerlich auf den Leser, der sich mitnehmen lässt auf eine Reise, deren Ende nicht klar bestimmt ist. Doch, wie heißt es so schön: Der Weg ist das Ziel. Und selten war es so erfrischend, vom Weg abzukommen, wie in „Mein erfundenes Land“.

http://www.suhrkamp.de/

Stoker, Bram – Schloss der Schlange, Das

Adam Salton, reich geworden im fernen Australien, folgt der Einladung seines Großonkels Richard Salton, der in Mittelengland das behagliche Leben eines betuchten Landedelmannes führen und seinem Hobby frönen kann: der Archäologie. Richard hat sich dort niedergelassen, wo sich einst das alte Königreich Mercia erstreckte – ein denkbar geeigneter Ort für Altertumsforscher, denn Römer, Angelsachsen und Normannen haben ihre Spuren im Boden hinterlassen, die Richard und sein alter Freund Sir Nathaniel de Salis, Präsident der Archäologischen Gesellschaft von Mercia, begeistert ausgraben.

Gerade bietet sich den Forschern, denen sich Adam gern anschließt, eine einmalige Chance: Nachbar Edgar Caswall kehrt nach langer Abwesenheit auf sein Landgut Castra Regis zurück. Hier vermutet Richard die Ruinen einer Festung und Kultanlage der Römer, die fast fünf Jahrhunderte Britannien beherrschten. Doch Caswall verliert keine Zeit, den üblen Ruf seiner Familie – seine Vorfahren sollen ihren Reichtum erworben haben, indem sie einen Pakt mit dem Teufel schlossen – unter Beweis zu stellen. Heftig bedrängt er die junge Lilla Watford, Enkelin eines Pächters, obwohl sich die elegante, ihm gesellschaftlich viel näher stehende Lady Arabella March sehr um ihn bemüht, die sich in einer finanziellen Notlage befindet.

Auch die Saltons suchen – allerdings aus wissenschaftlichen Beweggründen – die Nähe der Lady. Diana’s Grove, jener Platz, auf dem ihr Landhaus steht, ist eine weitere historische Stätte. Sie wird im Volksmund auch die „Höhle des weißen Wurms“ geheißen, weil dort in grauer Vorzeit ein drachenähnliches Untier gehaust haben soll, das als Gottheit verehrt wurde. Dass diese Sage nicht eines wahren Kerns entbehrt, muss Adam feststellen, als er sich ritterlich auf die Seite der Watfords schlägt und sich dabei sowohl Caswell als auch Lady Arabella zu erbitterten Feinden macht …

Wie die Musik kennt auch die Literatur ihre „one hit wonder“ – Schriftsteller, die überhaupt nur ein Buch schreiben bzw. d a s Buch, den Überbestseller, neben dem ihre übrigen Werke schlicht verblassen und nicht zur Kenntnis genommen werden. Bram Stoker ist der Autor von „Dracula“. Ihn hat das Schicksal mit der Variante Nr. 2 geschlagen. Außer seinem Epos um den blutsaugenden Vampirgrafen nimmt die Kritik noch eine Handvoll kurzer Geschichten gnädig zur Kenntnis. Das Romanwerk wird sehr unfreundlich beurteilt; werden Bücher wie „Das Schloss der Schlange“ heute überhaupt neu aufgelegt, dann fehlt niemals der Hinweis darauf, dass Stoker Draculas geistiger Vater ist. (Im angelsächsischen Sprachraum ist das Copyright für „Lair of the White Worm“ offenbar wie Dracula im Sonnenlicht zu Staub zerfallen, so dass der Roman gleich an mehreren Stellen gratis aus dem Internet geladen werden kann.)

Das schürt Erwartungen, die jedoch nicht erfüllt werden können. Stoker schrieb „Das Schloss der Schlange“ 1911 als kranker, ausgebrannter, von Geldsorgen geplagter Mann; nur wenige Monate später ist er gestorben. „Dracula“ war sein Lebenswerk, ein Roman, an dem er viele Jahre gearbeitet, gefeilt, gestrichen, ergänzt und korrigiert hatte. Die Romane, die Stoker danach verfasste, entstanden in Eile und ohne den Enthusiasmus, der aus „Dracula“ trotz offensichtlicher literarischer Schwächen einen Bestseller für die Ewigkeit werden ließ.

Erneut lässt Stoker „unnatürliche“ Figuren auftreten und bemüht (im schicklichen Rahmen) Sex & Thrill, aber es ist anders als in „Dracula“ kaum mehr als ein müder Reflex. Dracula ist dieses Mal eine Frau? Nein, so einfach hat es sich Bram Stoker trotz seines schlechten Gesundheitszustands denn doch nicht gemacht. Zudem war diese Idee bereits 1871 (!) Grundlage der Novelle [„Carmilla“ 993 von Joseph Sheridan LeFanu gewesen. Lady Arabella March ist nicht durch den Biss eines Vampirs zur Blutsaugerin geworden. Ein vorzeitliches Wesen hat sich ihrer bzw. ihres Geistes bemächtigt. Das hat sie schamlos & mannstoll werden lassen, was für einige aus zeitgenössischer Sicht eindeutig zweideutige Szenen gut ist; auch 1911 galt bereits „Sex sells“, obwohl Stoker, der viktorianische Engländer, in dieser Hinsicht stark chiffriert arbeitete. Die „Stellen“ wirken auf diese Weise sogar noch deutlicher – Künstler lernten zu allen Zeiten schnell, wie sich die Zensur austricksen lässt.

Sex ist unheimlich und „schmutzig“, aber eben auch verführerisch – und deshalb doppelt „schlecht“: So schließt sich der Teufelskreis, dem Stoker schon in „Dracula“ Ausdruck verliehen hatte. Doch was dem gesellschaftlichen Bann verfällt und verdrängt wird, kehrt umso häufiger zurück. Diese „Prüfung“ wird bekanntlich nicht oft bestanden. Für Stoker kann nur „das Böse“ dahinterstecken, wenn brave Männer den Verlockungen des Weibes erliegen: Es ist eigentlich der Wurm, der Carswell über seine Sendbotin verhext und schwach werden lässt. (Sehr schön zeigt eine Illustration aus der Erstausgabe von 1911 übrigens, wie dieser „große, weiße Wurm“, der steil aufgerichtet Blitze aus seinen Augen schießt, auch gedeutet werden könnte …) Nach einer – allerdings umstrittenen – Theorie von Deborah Hayden litt Stoker an der Syphilis und schrieb „Das Schloss der Schlange“ im Endstadium dieser Krankheit als Mischung aus Roman und verschleierter Offenbarung.

Kaum verwunderlich ist übrigens, dass Stoker die „bösen“ Figuren wesentlich vielschichtiger gelungen sind als die „Helden“. Onkel und vor allem Neffe Salton vertreten Gesetz, Glaube & Moral und wirken entsprechend steif und uninteressant. Sie müssen halt ins Spiel, weil das Gute zu siegen hat. Erstaunlich ist die Charakterisierung des Oolanga, eines afrikanischen Dieners, den Edgar Carswell von seinen Reisen „mitgebracht“ hat. Einerseits schildert ihn Stoker sehr zeittypisch, nämlich chauvinistisch als triebhaften, primitiven, bösartigen „Neger“, lässt aber mehrfach durchblicken, dass auch Oolanga seine Träume von einem besseren Leben hat.

Übrigens ist die Idee, die dem „Schloss der Schlange“ zugrunde liegt, durchaus interessant. Arthur Machen oder Algernon Blackwood haben den Einbruch vorzeitlicher Naturgeister in die moderne Welt mehrfach und sehr wirkungsvoll dramatisiert. Aber Stoker kann mit diesem Konzept nichts anfangen. Einige bildhafte Details haften im Gedächtnis. Der große Drache über Castra Regis gehört dazu, auch die Schilderung des Wurms hat ihre Momente. Dennoch ist „Das Schloss der Schlange“ insgesamt ein schier unlesbares Dickicht begonnener, aber nie beendeter Erzählstränge, die erst recht nicht zu einem überzeugenden Finale zusammenfinden. Stoker hat die Kontrolle über seinen Roman verloren und wollte ihn schließlich nur noch irgendwie zu Ende bringen – ein trauriger Abschied für einen Mann, der beruflich wie privat anscheinend nicht viel Glück in seinem Leben hatte; selbst im Tod blieb ihm der Ruhm als „Dracula“-Autor verwehrt: fast zeitgleich sank die „Titanic“ in den eisigen Fluten des Nordatlantiks, und dieses Ereignis war es, das die Schlagzeilen in aller Welt beherrschte.

1988 inszenierte der einst als Skandalregisseur gefeierte oder verfluchte Ken Russell nach eigenem Drehbuch den gleichnamigen Film zu Stokers Roman. Für die Hauptrollen verpflichtete er einen noch sehr jugendlichen Hugh Grant sowie Amanda Donahue und Catherine Oxenberg und schuf einen turbulenten, sein geringes Budget deutlich offenbarenden Horrorfilm im Stil der späteren „Hammer“-Heuler. „Lair“, der Film, wird wahlweise als geniale, ehrfurchtsfreie Interpretation einer lange als unverfilmbar geltenden Vorlage oder als „Meisterwerk“ des Schund- und Trashfilms gewertet.

Bram (eigentlich Abraham) Stoker wurde am 8. November 1847 in dem irischen Dorf Clontarf in der Nähe von Dublin geboren. Er war ein kränkliches Kind, das die ersten sieben Jahre seines Lebens praktisch im Bett verbringen musste. Die Erfahrung des scheinbar ständig präsenten Todes prägte Stoker nachhaltig. Ebenfalls nie in Vergessenheit gerieten die Geschichten seine Mutter, die aus dem reichen irischen Sagenschatz schöpften, der das Übernatürliche, den Tod und deren heimliche, aber ständige und nicht ungefährliche Präsenz im Leben der Menschen thematisierte.

Stoker besaß eine ausgeprägte künstlerische Ader, doch leider nicht das Einkommen, ihr nachzugeben. Nach einem Studium am Trinity College (Dublin) schlug er die Beamtenlaufbahn ein. Nebenbei schrieb er. 1881 erschien eine Sammlung allegorischer, ziemlich düsterer Kunstmärchen oder Kindergeschichten. Neben seiner Beamtentätigkeit veröffentlichte er weitere Kurzgeschichten und (ab 1871) Theaterkritiken. Damit erregte er die Aufmerksamkeit des berühmten Shakespeare-Schauspielers Henry Irving: Stoker folgte diesem 1878 nach London, wo er die Geschäftsführerstelle in Irvings neuen „Lyceum Theatre“ übernahm. Die scheinbare Eintrittskarte in die Welt der Kunst entpuppte sich als Knochenjob für eine nüchterne Bürokratenseele und Irving als exzentrischer Egoist, der es für selbstverständlich hielt, dass Stoker ihm bei Tag und bei Nacht zur Verfügung stand.

Dennoch hielt Stoker aus. Seinen eigenen Durchbruch erhoffte er von einem Roman, für den er viele Jahre recherchiert hatte. „Dracula“ erschien 1897 – und wurde eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Stoker blieb also am Theater, doch als Henry Irving 1905 starb, stand er auf der Straße. Nun schrieb er, um sich und seine Familie zu ernähren; ein aufreibender Kampf, der zunehmend an seiner Gesundheit zehrte. Seine späteren Romane erreichten nicht einmal annähernd den Rang seines „Dracula“. Bram Stoker starb am 20. April 1912. Den Ruhm, den er sich erträumt hatte, erlebte er nicht mehr. Nur wenige Jahre später begann Dracula seinen Siegeszug über die ganze Welt.

http://www.bastei-luebbe.de

Shocker, Dan – Schreckensgöttin, Die (Macabros, Band 3)

Der Band enthält die Heftromane „Die Schreckensgöttin“ und „Horror-Trip“ der gleichnamigen Serie aus dem |Zauberkreis|-Verlag.

Schon immer sind Menschen spurlos verschwunden und niemand konnte sagen, wohin es sie verschlagen hat. Einige tauchen wieder auf, können sich aber nicht daran erinnern, wo sie all die Jahre verbracht haben. Für sie ist die Zeit stehen geblieben.

So ist es auch Edgar Laughton ergangen, der dreißig Jahre lang als verschollen galt. Plötzlich taucht er in London wieder auf und wird von schrecklichen Höllenhunden bedroht. Richard Patrick, Verleger der Zeitschrift „Amazing Tales“, interessiert sich für den Fall und informiert darüber hinaus Björn Hellmark, mit dem er seit kurzem korrespondiert. Gemeinsam können sie Laughton vor einer Attacke der Höllenwesen retten. Unter Hypnose erzählt er von einer Schreckensgöttin und einer Frau namens Betty Roughly, wo er zuletzt war, bevor er verschwand.

Björn stattet der Frau einen Besuch ab und wird von ihr in eine Falle gelockt. Durch einen Spiegel stürzt er in eine fremde Dimension. Dort trifft er auf die Schreckensgöttin, die sich mit anderen Dämonen erbitterte Kämpfe liefert. Bei einem dieser Kämpfe wird die Schreckensgöttin vernichtet, doch damit beginnt der Horror-Trip von Björn Hellmark erst, denn ziellos wandelt er durch eine feindselige Welt voller Gefahren, ohne zu wissen, wie er den Rückweg zur Erde antreten soll …

Beide Romane bilden zusammen eine in sich abgeschlossene Geschichte und entführen den Leser in eine faszinierende fremde Welt. Spannend und temporeich erzählt der Autor von der Odyssee, auf die er seinen Helden schickt. Gekonnt schildert er die Gefühle seines Protagonisten, die von Verzweiflung über Hoffnung bis hin zur nackten Angst reichen.

Darüber hinaus lernt der Leser wichtige Figuren kennen, die für den weiteren Verlauf der Serie noch eine bedeutsame Rolle spielen werden. Da wäre zum einen Rani Mahay, der Koloss von Buthan, ein Inder, der die Gabe besitzt, allein mit der Kraft seines Willens wilde Tiere zu bändigen. Carminia Brado, Björns Freundin, lernt den Mann bei einem Zirkusbesuch kennen. In den Adern des Inders fließt das Blut der alten Rasse der Xantilonier.

Richard Patrick hat ebenfalls seinen ersten Auftritt, ebenso wie Ajit Lekarim, ein Wissenschaftler, der Zugang zur vierten Dimension hat und es sich zur Aufgabe gemacht hat, verschollene Menschen zu finden, um sie wieder auf die Erde zurückzubringen. Dazu verkleinert er sie bis auf Mikrogröße und kann sie somit in die dritte Dimension mitnehmen, wo er sie wieder vergrößert. Darüber hinaus hat auch Quappa Orgep seinen ersten Auftritt, ein Schwarzer Priester, der dafür sorgt, dass Björn Hellmark im Mikrokosmos verloren geht. Die Schrecken, die er dort erlebt, sind nichts für schwache Gemüter.

Zu Beginn des zweiten Romans wird der Leser kurz aus dem Lesefluss herausgerissen, als Dan Shocker das Schicksal zweier fremder Menschen schildert und erst nach 45 Seiten die Abenteuer seines Helden Björn Hellmark fortsetzt.

Die Innenillustrationen zeigen zum einen die Schreckensgöttin in all ihrer dämonischen Pracht und zum anderen das grausige Ende einer armen Seele. Nichts für zarte Gemüter. Pat Hachfeld konnte seinen Hang zum Morbiden voll ausleben. Das Cover zeigt das Original-Titelbild zum Heftroman „Die Schreckensgöttin“, gehört aber nicht zu den besten Werken des Künstlers und hat eher nostalgischen Wert, obwohl auch hier die Schreckensgöttin gut getroffen und die Szene im Roman ebenso beschrieben wurde.

Fazit: Spannende Reise in fremde Dimensionen mit flottem Erzählstil, der die Leser sofort gefangen nimmt.

http://www.blitz-verlag.de/

_Florian Hilleberg_

Bakker, R. Scott – Schattenfall (Krieg der Propheten 1)

_Tabak und Aristoteles_

… zwei entscheidende Faktoren im Leben von R. Scott Bakker, der 1967 das Licht der Welt erblickte, sich als Tabakpflanzer bei seinem Vater verdingte, dann Philosophie studierte (und noch immer studiert), um 2003 schließlich mit „Schattenfall“ den Auftakt zu einer Fantasy-Trilogie zu schreiben, die an Figuren- und Detailtiefe ihresgleichen sucht.

Teil zwei, „The Warrior Prophet“ ist über dem großen Teich schon veröffentlicht, während Teil drei, „The Thousendfold Thought“, nur noch wenige Wochen auf seine Veröffentlichung warten muss. Hoffnung für den deutschen Leser also, dass er nach Lektüre von „Schattenfall“ relativ rasch in den Genuss der Nachfolgewerke gelangen könnte.

_Eärwa und der Heilige Krieg._

Eärwa, jenes Land, auf dem sich der „Krieg der Propheten“ abspielt, ist Heimat vieler unterschiedlicher Kulturen, Völker und Religionsgruppen. Vor vielen Jahren gab es die so genannte „erste Apokalypse“, in welcher der „Nicht-Gott“ die Menschheit versklavt hatte. Aber der Nicht-Gott wurde besiegt, ebenso seine Diener, die „Rathgeber“, und so haben sich im Laufe der Jahre die übrigen Religionen gegeneinander gewandt: Die strenggläubigen Fanim verachten die Inrithi und Letztere wiederum verachten die Orden der Hexenkunst. Die Inrithi jedenfalls sind die am weitesten verbreitete Glaubensgruppe in Eärwa, und in ihrem Glaubenszentrum, den Tausend Tempeln, scheint sich etwas zusammenzubrauen:

Maithanet, ein völlig Unbekannter, taucht wie aus dem Nichts auf und wird neuer Vorsteher der Tausend Tempel, um den sich die Inrithi-Anhänger mit beängstigendem Fanatismus scharen. Nicht lange, und Maithanet ruft den „Heiligen Krieg“ aus, dem sich jeder Gläubige anzuschließen habe. Gegen wen? Das lässt der heilige Mann vorerst noch offen und wartet, bis sich halb Eärwa bei den Tausend Tempeln eingefunden hat, um seiner Kriegserklärung zu lauschen.

_Ein Stich ins Frömmlernest._

Der Hexerorden der Mandati jedenfalls wird von der drohenden Kriegserklärung ordentlich aufgerüttelt. Immerhin gilt gerade Zauberei bei den Inrithi als verpöntes Heidentum, was läge also offener auf der Hand als ein Heiliger Krieg, der die Hexerorden von der Landkarte fegen soll? Achamian allerdings hat andere Befürchtungen.

Die Mandati tragen die Bürde auf ihren Schultern, die letzte Schlacht gegen den Nicht-Gott jede Nacht aufs Neue zu träumen, daher sind die Mandati mittlerweile auch die einzigen, die noch an die drohende „zweite Apokalypse“ glauben. Achamians Träume werden intensiver und er schließt es keinesfalls aus, dass der „Heilige Krieg“ nur das Symptom einer Verschwörung ist, einer Verschwörung der Ratgeber, um den Nicht-Gott wieder auf seinen Thron zu hieven …

Kaiser Ikurei Xerius, Herrscher des Kaiserreichs Nansur, möchte den Heiligen Krieg derweilen zu ganz anderen Zwecken nutzen: Die Feldherren sind alle auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass Kaiser Xerius ihre Truppen mit genügend Proviant versorgt, damit sie überhaupt marschieren können. Xerius denkt aber nicht im Traum daran, diese Unterstützung ohne Gegenleistung zu akzeptieren: Er verlangt, dass die Feldherren aller Beteiligten einen Vertrag unterzeichnen, wonach nach Ende des Heiligen Krieges alle eroberten Gebiete in den Besitz des Kaiserreiches Nansur übergehen. Als zusätzliches Bonbon für den unterschriebenen Vertrag verspricht er ihnen seinen Neffen Conphas zum Heerführer. Conphas hat schon kurz zuvor ein Volk von Heiden ausgelöscht, das als unbesiegbar galt: die Scylvendi. Und wenn das mal kein göttliches Zeichen war …

Cnaiür jedenfalls ist ein solcher Scylvendi, ein wilder, erbarmungsloser Krieger, der die Schlacht des Conphas überlebt hat und sich nun ebenfalls daranmacht, in das Gebiet zu marschieren, wo der Heilige Krieg stattfinden soll. Aus Rache für die Auslöschung seines Volkes, könnte man denken, aber von wegen.

Sein Herz brennt vor Rachsucht, aber diese Rachsucht gilt nur einem einzigen Mann: Anasurimbor Moenghus. Moenghus ist ein Dunyain. Das ist ein Mönchsorden, der sich einzig und allein dem „Logos“ verschrieben hat, also der reinen Vernunft. Während einer Ausbildung unter extremen Bedingungen lösen sich die Dunyain von ihren Bedürfnissen und Schwächen, sie können aus dem Verhalten ihres Gegenübers mühelos seine Gedanken lesen und ihn durch ihr bloßes Auftreten manipulieren.

Und Moenghus hat Cnaiür dereinst manipuliert, ihn dazu gebracht, seinen eigenen Vater zu töten, wofür Cnaiür sich noch immer verachtet. Dann taucht plötzlich Kellhus auf, der Sohn von Moenghus, und behauptet zu wissen, dass sich sein Vater in Shimeh aufhält (die Stadt also, auf die sich auch der Heilige Krieg stürzen soll).

Auch Kellhus ist ein Dunyain und versucht Cnaiür zu manipulieren, beißt sich aber die Zähne an dem Scylvendi aus, weil der durch seine schlechten Erfahrungen mit Moenghus vorbereitet ist. Also behauptet Kellhus, dass er selbst seinen Vater töten möchte, und so machen sie sich zähneknirschend gemeinsam auf den Weg nach Shimeh, jener Stadt, die zum erklärten Ziel des Heiligen Krieges wurde …

_Aspirin Marsch!_

Die obige, mächtig abgespeckte Übersicht verdeutlicht, in welcher Detailtiefe R. Scott Bakker arbeitet, und dementsprechend braucht es schon einige Zeit konzentrierter Beschäftigung mit dem Anhang, um sich in den politischen, religiösen und zeitgeschichtlichen Wirren zurechtzufinden, die Bakker über Eärwa gesponnen hat.

Das alles wird noch erschwert durch eine wirklich undurchsichtige, abstrakte Namensgebung; die Verinnerlichung der ganzen Glaubensgruppen erinnert eher an das Lernen von Vokabeln, als dass man tatsächlich von Lesevergnügen sprechen könnte. Fanim, Cishaurim, Dunyain, Mandati, Sranc, Scharlachspitzen, Scylvendi … Aber damit nicht genug, auch die einzelnen Gruppen haben wiederum Untergruppen mit ähnlich zugänglichen Bezeichnungen: Die Inrithi etwa teilen sich auf in: Nansur, Galeoth, Ainoni, Thunyeri … Zuletzt bleiben die Namen der Figuren, die irgendwie alles dafür tun, dass man sie auch unbedingt miteinander verwechselt (Xerius, Xinemus …).

Auf diesem Gebiet also deutliche Abzüge von meiner Seite; wie viel zugänglicher und „optischer“ ist da George R. R. Martin vorgegangen. Keine Zugenbrechernamen, sondern: Der alte Bär. Der Berg. Der Hund. Die Schöne. Keine Zungenbrecherbezeichnungen für wichtige Bauwerke, sondern: Die Mauer. Winterfell. Die Twins.

_Der Rausch nach dem Kopfschmerz._

Aber wer sich von ein bisschen „Vokabeln-Lernen“ abschrecken lässt, ist selbst schuld, denn wenn man durch die Verhältnisse erst mal durchgestiegen ist, offenbart sich einem im Heiligen Krieg ein Ränkespiel, das seinesgleichen sucht. Zugegeben, der Trip, auf den Bakker einen da mitnimmt, ist ein ziemlich vergeistigter: Überlegungen und Abwägungen überall, innere Monologe zuhauf, Dialoge, die sich über Seiten hin erstrecken, und viel, viel abstraktes Gedankengut.

Wer nun aber wiederum glaubt, dass Bakker nicht optisch schreiben könnte, liegt ebenfalls daneben, im Gegenteil: Wenn er aus den Köpfen seiner Figuren heraussteigt und die „Kamera“ auspackt, hält er auf anschauliche und unverbrauchte Details damit. Die Schlacht der Scylvendi, etwa, hat er wirklich drastisch in Szene gesetzt!

Trotzdem: „Schattenfall“ ist kein Buch für Ungeduldige, taugt keinesfalls zum Abschalten und wird sich standhaft weigern, neben Popcorn-Fantasy (das ist übrigens nicht abschätzig gemeint) der Marke Hohlbein und Co. im Regal zu stehen. Aber wer sich auf den „Krieg der Propheten“ einlässt, wird mit einem Universum belohnt, das lange nachhält.
Der absolute Höhepunkt überhaupt sind die Psychoduelle zwischen Kellhus, dem Dunyain, und Cnaiür, dem Scylvendi. Kellhus versucht Cnaiür auf subtilste Weise zu manipulieren, doch der durchschaut das, hat ein nahezu undurchdringliches Schild errichtet, muss dann aber mitansehen, wie Kellhus eben jeden anderen in ihrer Umgebung formt, als bestünde alles nur aus weichem Wachs …

Definitiv kein Pageturner, aber ein schweres Geschütz mit entsprechender Durchschlagskraft. So sieht also Fantasy aus, die einem Philosophenhirn entsprungen ist – beeindruckend!

http://www.hobbitpresse.de/