Archiv der Kategorie: Historisches

Hochschild, Adam – Schatten über dem Kongo

Afrika ist niemals ein „friedlicher“ Kontinent gewesen – welcher Erdteil, der von Menschen bevölkert ist, war dies jemals? Dennoch gibt es eine eigenständige afrikanische Geschichte, die große, wohl organisierte, kulturell hoch entwickelte Reiche kennt. Sklaverei und anderes Unrecht war in den „Schwarzen Königreichen“ nicht unbekannt, aber das galt auch für den Rest der Welt.

Alles änderte sich nachhaltig, als die Europäer Afrika „entdeckten“. Um 1500 befuhren die Schiffe der damaligen Seefahrermächte Spanien und Portugal die Küsten. Handels-Expeditionen tasteten sich ins Landesinnere vor. Missionare folgten den Kaufleuten. Sie nahmen vorsichtig Kontakt auf zu den oft wehrhaften örtlichen Herrschern, erwarben deren Vertrauen, weckten Begehrlichkeiten, die gegen die Herausgabe heimischer Schätze gern gestillt wurden. Bald verhökerten skrupellose Stammesfürsten ihre Untertanen an die weißen Händler. Die „Gäste“ wurden immer dreister und begannen sich zu nehmen, wonach sie verlangten. Sie blieben, gründeten Kolonien. Franzosen und Briten gesellten sich den neuen Machthabern zu. Königreich für Königreich wurde unter die europäische Knute gezwungen. Im 19. Jahrhundert „gehörte“ Afrika längst nicht mehr der einheimischen Bevölkerung.

Einmalig ist das Schicksal des Kongo: 1885 fiel er an Leopold II. König von Belgien – nicht als Kolonie, sondern quasi als Privateigentum. Als solches betrachtete es Leopold auch. Nach Kräften bemühte er sich, so viel Geld wie möglich aus dem Kongo zu schinden; dieses Verb wird hier mit Bedacht eingesetzt. Leopold zwang praktisch die gesamte Bevölkerung, ihm die Schätze des Kongo – Elfenbein und Kautschukgummi – zu sammeln und auszuhändigen. Wer nicht spurte oder aufbegehrte, wurde grausam bestraft. Ganze Dorfgemeinschaften fielen dem Terror zum Opfer. Millionen umgebrachter Kongolesen umfasste Leopolds blutige Liste schließlich, als er 1908 endlich zur Aufgabe „seines“ Kongos gezwungen wurde.

So toll hatte er es getrieben, dass man inzwischen in den ansonsten nicht zimperlichen „zivilisierten“ Ländern der Erde aufmerksam geworden war. Das Entsetzen (sowie die Chance, einen kolonialen Konkurrenten auszuschalten) führte zur Bildung diverser, weltweit operierender Menschenrechtsbewegungen, die entschlossen und gegen alle Ressentiments und infamen Attacken des wütenden Belgierkönigs und seiner Spießgesellen das Ziel verfolgten, dem zum Himmel schreienden Unrecht ein Ende zu bereiten. Es gelang schließlich, aber der Übergang von „Leopolds Kongo“ zur belgischen Kolonie Kongo führte nur zu einer Neuorganisation des Systems, an dessen ausbeuterischem Charakter sich rein gar nichts änderte. Die Strukturen änderten sich, aber sie überlebten Leopold und sogar den Kolonialismus und sind zum Teil bis auf den heutigen Tag mit fatalen Folgen aktiv geblieben.

In Afrika steckt hoffnungslos der Wurm drin. Seit Jahr und Tag hängt beinahe der ganze Kontinent am Tropf diverser „Entwicklungshelfer“. Dennoch werden ständig Hiobsbotschaften über Aufstände, Bürgerkriege, Hungersnöte, Seuchenzüge und ähnliche, meist hausgemachte Katastrophen in den Medien verbreitet. Was läuft falsch? Es gibt eine lange Liste einleuchtender Erklärungen. Die Ursachen lassen sich womöglich auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführen: Afrikas Geschichte als politischer Spielball und Opfer imperialistischer Mächte. Ein halbes Jahrtausend wurde der „Schwarze Kontinent“ geplündert, wurden seine Menschen buchstäblich wie Vieh behandelt. Da scheint es leicht verständlich, dass in dem knappen halben Jahrhundert, seit die ehemaligen Kolonien ihre Unabhängigkeit errungen haben, die Folgen dieses düsteren historischen Kapitels nicht einmal annähernd überwunden werden konnten.

Adam Hochschild belegt diese These am Beispiel des Kongo. Ein besseres – oder schlimmeres – Beispiel hätte er leicht finden können: Keineswegs übertraf König Leopold die zeitgenössischen Kolonialmächte, in Sachen Gier & Grausamkeit. Der Kongo eignet sich dennoch besonders gut für eine Demonstration der Schattenseiten des Kolonialismus, weil diese sich hier auf die Person eines einzelnen Mannes projizieren lassen. König Leopold II. von Belgien ist so, wie ihn Hochschild schildert, eine Gestalt, die das Kino nicht besser erfinden könnte. Doch glauben wir dem Verfasser wirklich, dass ein gnadenloser Mistkerl wie Leopold seiner Macht- und Geldgier so skrupellos nachgehen konnte wie beschrieben? Die genaue Lektüre lässt indessen die ungemütliche Ahnung aufkeimen, dass Leopold höchstens in seiner bis zum Exzess übersteigerten Maßlosigkeit eine zeitgenössische Ausnahmeerscheinung war. Noch einmal sei betont: Die Machthaber der anderen großen Mächte benahmen sich als Kolonialherren keineswegs menschenfreundlicher. Um Macht und Geld ging es ihnen letztlich allen. Leopold trieb es nur auf die Spitze.

War Leopold denn nun ein von Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn getriebenes, gefühlskaltes, fuchsschlaues Würstchen, wie Hochschild ihn uns vorstellt? Wir neigen angesichts des grenzenlosen Leids, das dieser Mann über den Kongo gebracht hat, dazu, dem Verfasser uneingeschränkt zuzustimmen. Kritisch ließe sich freilich die Frage stellen, ob Hochschild im Laufe seiner Nachforschungen von solch’ gerechtem Zorn über Leopold ergriffen wurde, dass er die notwendige Objektivität für seine Darstellung schlicht nicht mehr aufbringen konnte.

Aber ist es relevant, ob Hochschild Leopold „versteht“ oder verabscheut? Sprechen die Fakten denn keine eigene Sprache? Apropos Sprache: Kann es sein, dass die elegante Prosa Misstrauen weckt, ob man dem Verfasser „trauen“ darf? Hochschild kann schreiben. Er fällt niemals in jenen drögen, bewusst sachlichen Ton, der vor allem hierzulande als Qualitätssiegel für ein „gutes“ Sachbuch gilt. Hochschild erzählt mit Fakten, wie es sich so offenbar nur die Angelsachsen trauen. Er wird ironisch, schweift ab, erzählt Anekdoten. Anders ausgedrückt: Er hält seine Leser bei der Stange – alle Leser, auch jene, die wohl kaum ein Buch über historische Menschenrechtsverletzungen im fernen Kongo bis zur letzten Seite durchhalten würden.

Das ist legitim, denn Hochschild ist kein Historiker, sondern Journalist. Schon seine (überaus wirkungsvoll eingesetzte) Entscheidung, sich nicht auf die Wiedergabe von Ereignissen zu beschränken, sondern diese mit den Biografien von „Opfern“ und „Tätern“ zu verknüpfen, weist darauf hin. Hochschild will seine Leser in Kopf und Bauch treffen. Nie macht er einen Hehl daraus, dass er auf den Schultern wissenschaftlich kundiger Vorarbeiter steht. Hochschild betreibt keine Grundlagenforschung – er nutzt Wissen, das bereits vorhanden ist, und präsentiert es möglichst publikumstauglich. Wem dies nicht „anspruchsvoll“ genug ist, der kann getrost zu den primären Quellen greifen; der Verfasser liefert sie in einem eindrucksvollen Anmerkungsapparat nach.

Hilfreich, weil informativ über das eigentliche Thema hinausgreifend, ist Hochschilds Panorama der kongolesischen Geschichte nach 1908. Er erzählt nämlich nicht nur eine aufrüttelnde und interessante, aber letztlich vergangene Geschichte, sondern bettet die Episode „Freistaat Kongo“ in den historischen Kontext ein – und der reicht ungebrochen bis in die Gegenwart! An dieser Stelle würde es zu weit führen, die vielfältigen Zusammenhänge aufzulisten, aber Hochschilds Argumentation ist deprimierend schlüssig. Mit klaren & klugen Worten gelingt ihm für sein Werk ein perfekt anmutender Abschluss.

In einem Punkt schießt Hochschild freilich wirklich übers Ziel hinaus: Zu verlockend erscheint ihm die Verbindung zwischen dem kolonialen Terror und dem Schrecken der nazideutschen Judenvernichtung. Dies liegt nahe, ist aber grundsätzlich falsch, wie der Verfasser schließlich selbst feststellt (ohne jedoch seine früheren diesbezüglichen Äußerungen zu relativieren): Für die Nazis war die physische und psychische Auslöschung der Juden das Primärziel, die Zwangsarbeit nur eine von vielen Stationen dorthin. Leopold und die anderen Kolonialmächte waren dagegen keine vorsätzlichen Völkermörder. Im Gegenteil: Für sie war jeder Einheimische wichtig, denn diese sollten ja so zahlreich wie möglich Sklavenarbeit leisten. Die Betroffenen mag diese juristische Differenzierung indessen kalt gelassen haben.

Adam Hochschild wurde 1942 in New York City geboren – und zwar mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund: Sein Vater leitete einen der erfolgreichsten Minenkonzerne der Welt. Jung-Adam bewegte sich in einer Welt der Privilegierten (die er in seinem Buch „Half the Way Home: a Memoir of Father and Son“ 1986 Revue passieren ließ). Eine in jungen Jahren unternommene Reise ins Südafrika der Apartheid weckte Hochschilds soziales Gewissen. Er schloss sich der Bürgerrechtsbewegung in den USA an, protestierte gegen den Vietnamkrieg, kämpfte journalistisch gegen das Unrecht in der Welt. Seine Artikel erscheinen in allen großen Magazinen.

Unter Hochschilds Buchveröffentlichungen ragen vor allem seine Werke „The Mirror at Midnight: a South African Journey“ (1990) und „The Unquiet Ghost: Russians Remember Stalin“ (1994; dt. „Stalins Schatten. Gespräche mit Russen heute“) heraus. Hochschild lebt heute in San Francisco. Er lehrt kreatives Schreiben an der „Graduate School of Journalism“, die zur „University of California“, Berkeley, gehört.

Perry, Anne – Verschwörung von Whitechapel, Die

Herbst 1888, London – Whitechapel. Eine Stadt hält den Atem an. In den dunklen Gassen des |East End| werden innerhalb weniger Wochen fünf Frauen ermordet – alle auf brutale Weise verstümmelt. Die Polizei tappt im Dunkeln und streitet sich um Zuständigkeiten. Der Täter bleibt bis heute ein Phantom: Jack the Ripper.

Anne Perrys Roman reiht sich nicht in die lange Riege der Romane ein, die den Fall Jack the Ripper neu aufrollen und eine neue Tätertheorie bereit halten. Die Handlung ihres Romans „Die Verschwörung von Whitechapel“ setzt erst vier Jahre nach den grauenvollen Ereignissen im East End ein – und hat dennoch im Kern sehr viel mit Jack the Ripper zu tun.

Oberinspektor Pitt steht im Frühjahr 1892 als Zeuge im Fall Adinett vor Gericht. Bei näherer Betrachtung ein etwas sonderbarer Fall – ein Indizienprozess. John Adinett ist angeklagt, den angesehenen Hobby-Historiker Martin Fetters ermordet zu haben. Handfeste Beweise und ein Motiv gibt es nicht, aber die sehr stichhaltige und lückenlose Indizienkette, die Pitt vor Gericht darlegt, lässt keinen Zweifeln daran aufkommen, dass der nicht minder angesehene Ehrenmann Adinett des Mordes schuldig ist. Adinett wird folglich verurteilt und, nachdem auch das Berufungsverfahren scheitert, hingerichtet.

Für Oberinspektor Pitt fängt die Geschichte damit aber erst an. Es gibt offenbar einflussreiche, im Verborgenen agierende Persönlichkeiten, die diesen Prozessausgang gar nicht schätzen und auf Rache sinnen. Keine blutige Rache wohlgemerkt, aber Pitt bekommt die Folgen dennoch schmerzlich zu spüren. Er wird strafversetzt – nach Whitechapel, mitten in den brodelnden Krisenherd Londons. Anarchisten scheinen dort finstere Umsturzpläne zu schmieden, Gewalt und Elend stehen auf der Tagesordnung. Pitt soll dort undercover ermitteln, ist aber letztendlich eigentlich überflüssig, ganz offensichtlich elegant beiseite geschafft, und fristet ein einsames trostloses Dasein fernab seiner geliebten Familie.

Charlotte, Pitts Frau, kann und will sich mit dieser Ungerechtigkeit nicht so leicht abfinden. Da der Schlüssel zu Pitts Strafversetzung im Fall Adinett zu liegen scheint, macht sie sich auf die Suche nach den Gründen. Zusammen mit Fetters Witwe Juno versucht sie, Adinetts Tatmotiv zu ergründen. Auch Gracie, das resolute Hausmädchen der Pitts, bleibt nicht untätig und schaltet den befreundeten Wachtmeister Tellman ein, der zusammen mit Gracie Adinetts Aktivitäten kurz vor der Tat rekonstruiert. Ihre Wege kreuzen sich schon bald mit dem des Journalisten Remus, der offenbar in gleicher Sache ermittelt. Die Spur führt nach Whitechapel und was als Suche nach einem Mordmotiv Adinetts anfängt, gipfelt schon bald im Entblättern einer groß angelegten Verschwörung, die offenbar mit Jack the Ripper zu tun hat – mit kaum abschätzbaren Folgen …

Es gibt unzählige Theorien zum Thema Jack the Ripper, von denen die einen mehr, die anderen weniger plausibel erscheinen. 1976 erregte die Ripper-Theorie von Stephen Knight in England einiges Aufsehen. Er stellte die Taten als eine groß angelegte Verschwörung dar, deren Spur bis ins britische Königshaus reicht. Was auf den ersten Blick geradezu fantastisch erscheint, hat Knight so plausibel dargelegt und begründet, dass seine gut recherchierte Theorie immer noch als eine der stichhaltigsten gelten kann.

Unseriös wurde sie erst, als im Nachhinein plötzlich eine Hauptquelle von Knight ihre Aussagen dementierte (das Dementi wurde später übrigens noch einmal dementiert) und der Autor des Vorwortes einen wundersamen Gesinnungswandel durchmachte. Seine Worte, mit denen er Knights Arbeit zunächst vollmundig lobte, will er im Nachhinein auf einmal gar nicht mehr so gemeint haben. Die Sache stinkt zum Himmel und man bekommt das Gefühl, dass auch über hundert Jahre nach der Tat gewisse Kreise nicht an einer Aufklärung interessiert sind – was letztendlich wieder als Indiz für eine Bestätigung von Knights „königlicher“ Ripper-Theorie angesehen werden kann.

Doch was hat Anne Perrys Roman „Die Verschwörung von Whitechapel“ mit all dem zu tun? Eine ganze Menge. Perry stützt sich nämlich auf die von Knight aufgestellte Theorie. Auch bei ihr gibt es rund um Jack the Ripper eine weitläufige Verschwörung, mit den gleichen Drahtziehern. Diese Verschwörung entblättert sie in ihrem Roman schon fast beiläufig und längst nicht so detailliert und stichhaltig wie Knight. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der rein hypothetischen Frage danach, was wohl hätte passieren können, wenn Knights Theorie (angenommen natürlich, dass sie stimmt) schon damals in den gesellschaftlich und politisch unsicheren Jahren nach den Rippermorden bekannt geworden wäre. Eine Frage, die der Theorie eine weitere interessante Komponente hinzufügt und aus der Anne Perry einen durchweg spannenden Roman geschustert hat.

Der Zusammenhang zu den Ripper-Morden erschließt sich dem Leser, der nicht mit Knights Theorie vertraut ist, erst im späteren Verlauf des Romans. Am Beginn steht einfach nur die Suche nach dem Motiv, das Adinett dazu gebracht hat, Martin Fetters zu töten. Dass dabei vier Frauen die treibende Kraft hinter den Ermittlungen sind, mag in Anbetracht des viktorianischen Zeitalters zunächst etwas unglaubwürdig erscheinen, wird von Perry aber überzeugend gelöst. Alle beteiligten Frauen sind zwar durchaus selbstbewusst, aber bewegen sich dennoch im Rahmen dessen, was für Frauen ihrer Zeit realistisch erscheint. Sie suchen sich Unterstützung, beispielsweise durch den Gracie treu ergebenen Wachtmeister Tellman, und jeder nutzt zur Aufdeckung der Wahrheit die Mittel, die ihm standesgemäß zur Verfügung stehen.

Die Figuren bleiben dabei durchaus realistisch und Perry schafft es, jede einzelne von ihnen nachvollziehbar und mit einer gewissen Tiefe zu beleuchten. Ihre Verhaltensweisen bleiben durchweg glaubwürdig. Sie tun sich nicht als übermäßige Helden hervor und schaffen es dennoch, eine große Verschwörung aufzudecken, die so komplex ist, dass selbst der Leser sich schon konzentrieren muss, um im komplizierten Verschwörungsgewirr, das sich zum Ende hin auftut, nicht verloren zu gehen.

Das komplexe Gebilde der Zusammenhänge stellt auch im Grunde die einzige wirkliche Schwäche dar. Der Aufbau des Romans gelingt Anne Perry durchweg gut. Die Geschichte ist solide konstruiert und steigert in ihrem Verlauf beständig die Spannung. Zum Ende hin allerdings erscheint es so, als hätte sich dieses Konstrukt als fast schon zu komplex für den Romanumfang entpuppt. Die Auflösung erfolgt sehr schnell, nicht alles wird dabei vernünftig erklärt und nicht alle offenen Fragen werden beantwortet. Der Leser bleibt etwas unzufrieden zurück. Wie ich erst nach Beendigung des Buches festgestellt habe, wird die Geschichte im Nachfolgeroman weiterverfolgt („Feinde der Krone“; |Heyne| 2004, Taschenbuchausgabe August 2005). Insofern verwundert es nicht, dass das Ende in der Schwebe bleibt, dennoch wäre ein etwas vollständigerer Abschluss wünschenswert gewesen.

Insgesamt gibt es aus der Feder von Anne Perry mittlerweile 23 Romane um die Figur des Thomas Pitt und seine oftmals mitermittelnde Frau Charlotte. „Die Verschwörung von Whitechapel“ ist der 21. in dieser Reihe. Da er bislang auch der einzige ist, den ich gelesen habe, kann ich das Werk leider nicht in den Gesamtzusammenhang einordnen und vergleichend kritisieren. Offenbar bauen sie aber auch inhaltlich zum Teil aufeinander auf.

Schon allein sprachlich macht „Die Verschwörung von Whitechapel“ einen durchweg soliden und routinierten Eindruck. Perry weiß zu fesseln – und das bei einem Handlungsbogen, der fast ohne Action auskommt. Die Beschattungen des Journalisten Remus werden ebenso packend geschildert wie Pitts Leben im East End oder die Suche von Juno und Charlotte nach Hinweisen in der Bibliothek von Martin Fetters. Auch gesellschaftlich deckt der Roman ein sehr weit gefasstes Spektrum ab, denn im Verlauf des Buches startet auch Pitts angeheiratete Tante Vespasia einige Ermittlungen in der feinen Gesellschaft Londons.

Als eine der großen Stärken des Romans kann man die Beschreibungen festhalten. Perry schafft es nicht nur, ihre Figuren sehr lebendig zu zeichnen, sie skizziert auch einen teils recht tief schürfenden Einblick in das Leben im viktorianischen London. Die gesellschaftlichen Gegensätze zwischen den Soireen der feinen Gesellschaft und der Schufterei der Arbeiterschicht in den Zuckersiedereien in Spitalfields, die aufkeimende Unruhe im East End, die ärmlichen, erniedrigenden Zustände, unter denen die Bevölkerung dort zu leiden hat, das beschauliche Leben der Pitts in Bloomsbury – all das schildert Perry sehr eindringlich. Das London der Zeit wird vor dem Auge des Leser wieder belebt.

Alles in allem ist „Die Verschwörung von Whitechapel“ ein durchaus gelungener historischer Krimi mit einer komplexen, aber gut konstruierten Story, einem spannenden Handlungsverlauf, lebhaften Schilderungen des viktorianischen London, mitsamt der politischen und gesellschaftlichen Unruhe, die in der Luft liegt und Figuren, die größtenteils glaubwürdig erscheinen. Nur schade, dass das Ende ein wenig plötzlich und etwas schwammig daherkommt. So kommt man wohl nicht umhin, auch den nachfolgenden Roman noch zu lesen.

p.s.: Da Anne Perry auf die Tätertheorie zu Jack the Ripper nicht ganz so ausführlich eingeht, bietet es sich für den interessierten Leser an, einmal die Theorie bei Knight selbst nachzulesen. Es lohnt sich wirklich, man sollte aber des Englischen mächtig sein, weil es keine deutsche Ausgabe gibt: Stephen Knight: [„Jack the Ripper – The Final Solution“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/0586046526/powermetalde-21 Harper Collins, ISBN 0586046526.

Wer aufgeschlossen für Comics ist, findet diese Theorie auch noch einmal auf Deutsch als hervorragende und absolut empfehlenswerte s/w-Comic-Adaption, mit sehr ausführlichen Anhängen aufbereitet: Alan Moore, Eddie Campbell: [„From Hell“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3936068291/powermetalde-21 Speed Comics, ISBN 3936068291. Nach diesem Werk entstand auch die Verfilmung von Albert & Allen Hughes mit Johnny Depp und Heather Graham.

Harris, Robert – Pompeji

Der junge Wasserbaumeister Marcus Attilius Primus wird nach Misenum am Fuß des Berges Vesuv beordert, um neuer Aquarius des römischen Aquädukts Aqua Augusta zu werden, nachdem sein Vorgänger Exomnius spurlos verschwunden ist. Die Aqua Augusta versorgt eine Reihe Städte rund um den Vesuv herum mit dem Zeichen der Zivilisation, dem Wasser. Bald nach Attilius‘ Ankunft sterben kostbare Fische im Becken des reichen Ampliatus, das Wasser ist mit Schwefel vergiftet; der Fluss der Augusta versiegt, die Wasservorräte reichen nur noch für zwei Tage. Attilius berechnet den Abschnitt des Aquädukts, in dem der Defekt zu finden sein muss, und lässt sich mit einer Sklavenmannschaft nach Pompeji verschiffen, um von dort aus die Reparatur zu starten.

In Pompeji herrschen merkwürdige Zustände: Der ehemalige Sklave Ampliatus verschaffte sich in der Zeit nach dem großen Erdbeben einen neuen Status, entwickelte einen ausgeprägten Geschäftssinn und fesselte die mächtigen Familien der Stadt an sich. So ist er der eigentliche Herrscher und bewirkt gegen den Willen der Offiziellen, dass Attilius geholfen wird (damit hofft er auch, den neuen Aquarius in seine Schuld zu ziehen).

Attilius gelingt es, den Aquädukt provisorisch zu reparieren, aber zunehmende kleine Erdbeben steigern auch seine Unruhe. Aus verräterischen Schriftstücken, die ihm von Ampliatus‘ Tochter zugespielt werden, kommt er einem großen Betrug auf die Spur, die in Zusammenhang mit Exomnius‘ Verschwinden zu stehen scheinen. Exomnius stammte von Sizilien, kannte den Ätna und seine Vorboten, und bei der Lektüre dieser Schriftstücke erkennt Attilius, was außer Exomnius niemand erkannt hatte. Es gab Verbindungen zwischen Ätna und Vesuv! Attilius erklimmt den Berg und findet Exomnius‘ Leiche, gestorben in giftigen Dämpfen. Die Beben werden stärker, Attilius flieht vom Vesuv, dessen Gefährlichkeit lange verkannt wurde.

_Robert Harris_, geboren 1957 in England, arbeitete als Redakteur, Reporter und Kolumnist; für Letzteres erhielt er eine Auszeichnung. Vor „Pompeji“ schrieb er die Bestseller „Vaterland“, „Enigma“ und „Aurora“.

|Pompeji| ist ein wohl recherchierter historischer Roman, der die ganze Tragik des Vesuvausbruchs, der schließlich zur Einäscherung Pompejis führte, darstellt. Mit Attilius bedient Harris sich eines Protagonisten, der nach dem Ausbruch nicht mehr gesehen wurde. Geschickt verbindet Harris Erzählungen und Fakten, um die persönliche Geschichte des Aquarius zu erzählen und ein mögliches Happy-End für ihn aufzuzeigen.

Den Kapiteln vorangestellt sind jeweils kurze Abschnitte aus Schriften zum Vulkanismus, so dass der Leser eine ungefähre Vorstellung von den Vorgängen bei einem Ausbruch bekommt; außerdem wirken sie wie ein Countdown, je näher der Ausbruch rückt. Alle gesponnenen Fäden werden verknüpft und liefern ein stimmiges Gesamtbild, so dass kein Detail zu erkennen ist, das für die Erzählung unnötig erschiene. Stundenweise schreitet die Zeit voran, manchmal muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass Harris diese Ereignisse an drei Tagen statt finden lässt, denn viel passiert in dieser Zeit. Attilius scheint fast ohne Schlaf auszukommen, aber tatsächlich lässt Harris das nicht unberücksichtigt.

Eine weitere sympathische Figur ist der militärische Befehlshaber Plinius, auf den gleichzeitig viele wichtige Schriften aus dieser Zeit zurückgehen, zum Beispiel die |Historia Naturalis|, aus der Harris auch mehrfach zitiert. Plinius sieht in dem Vulkanausbruch das letzte Geheimnis der Natur, das schriftlich festzuhalten ihm in seinem Leben vergönnt ist. So begibt er sich mit wissenschaftlichem Eifer in höchste Gefahr und liefert eine derart genaue Beschreibung des Hergangs, dass noch heute in der Wissenschaft der Ausdruck „plinianisch“ für einen derartigen Vulkanausbruch steht.

Warum allerdings Oberaufseher Corax einen tödlichen Hass auf Attilius hat, wird nicht ganz deutlich. Erwähnt wird, dass er auf das Amt des Aquarius gehofft hatte, doch diese Erklärung ist etwas unbefriedigend. Wahrscheinlich ist es menschliche Abneigung, die sich über diesen Punkt in Hass entwickelt.

Insgesamt kann gesagt werden, dass „Pompeji“ zu Recht ein Bestseller ist, denn er liest sich flüssig und spannend und bietet hervorragende Unterhaltung bei gleichzeitiger Vermittlung interessanter Fakten zu einer historischen Begebenheit.

Müller, Raimund – Ritter der Euterpe, Die

Historische Romane üben schon seit langem eine große Faszination auf mich aus, stellen sie doch die Möglichkeit dar, beim Lesen in eine fremde Zeit einzutauchen, Figuren der Geschichte zu treffen und eine ganz andere Lebensart kennenzulernen. Auch geschichtlich kann man in gut recherchierten Romanen oftmals ganz nebenbei noch etwas hinzulernen. Darüber hinaus spielt ein Teil des vorliegenden Romans in meiner Heimat, dem Harz, sodass ich nicht umhin kam, mir Raimund Müllers Erstlingsroman zu Gemüte zu führen. Dem Buch zugrunde liegt eine dreijährige Recherchearbeit des Autors in zahlreichen Museen und Archiven, sogar die erwähnten Orte des Harzes hat Müller alle bereist, um die Schilderung der Szenerie möglichst wahrheitsgetreu klingen zu lassen.

_Ein Ritter der Euterpe_

Wir schreiben das Jahr 1757 und in Deutschland herrscht der Siebenjährige Krieg. Das Herz des jungen Northeimer Kantors Matthäus Müller ist für die Ziehtochter der Pastorenfamilie Völger entbrannt, doch Nanni soll dem Stadtphysikus versprochen werden. Angesichts dieses Liebeskummers kommt Matthäus ein geheimer Auftrag des Majors von Dethmer äußerst gelegen. In einem Schnellverfahren wird Matthäus aufgenommen in den Geheimbund „Ritter der Euterpe“, in dessen Mission er einen Kurierdienst ausführen soll, der ihn nach Blankenburg führen wird. Zuvor will Matthäus seinen Bruder Heinrich in Braunschweig besuchen. In Clausthal schließlich soll er einen Kurier treffen, der ihn nach Blankenburg begleiten wird, um dort dem geheimen Rat von Schlierstett eine Botschaft zu überbringen.

Doch schon nahe dem Städtchen Seesen trifft Matthäus auf feindliche Soldaten und muss seine geliebte Geige einbüßen, um sein Leben zu retten. In Clausthal eingetroffen, begibt Matthäus sich sogleich in ein Etablissement, um dort seinen Kurier zu treffen. Als ihn aber eine schöne Nymphe anspricht und ihm ihren Preis für eine Nacht nennt, beschließt Matthäus spontan, der schönen Frau, die sich als Sophia vorstellt, den Vorzug zu geben. Nach ihrer gemeinsamen Liebesnacht gibt sich Sophia als der besagte Kurier zu erkennen. Ohne weitere Vorkommnisse können die beiden ihre Nachricht in Blankenburg überbringen und anschließend noch drei Tage lang ihre Liebe genießen, bevor Matthäus wieder nach Northeim in sein altes Leben zurückkehrt. Gleichzeitig erlebt Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann als Musketier in der Armee den Schrecken des Krieges aus erster Hand mit.

Nach Matthäus‘ Rückkehr wird Northeim von einer Kavallerie Franzosen überfallen. Während Matthäus nach eigener Erkundung der Lage für die Verteidigung der Stadt mit Waffen plädiert, ermöglichen Brandschatzverhandlungen den Feinden schließlich den Einlass in die Stadt. Die Frauen und Kinder suchen Schutz in der Kirche, doch sucht Matthäus dort vergeblich nach Nanni. Als er sie schließlich aus dem Pastorenhaus abholen will, wird er Zeuge, wie drei Soldaten Nanni vergewaltigen. Matthäus kann die fremden Soldaten zwar überwältigen, doch ist Nanni hinterher völlig apathisch. Aus lauter Verzweiflung beschließt Matthäus schlussendlich, Nanni zu Sophia und ihrer Freundin Maria zu bringen, damit diese mit ihren ganz eigenen Heilkünsten zur Gesundung seiner heimlichen Liebe beitragen können. Doch damit gerät nun auch Nanni in die Verwicklungen der Ritter der Euterpe …

_Von den Rittern zum Kriegsgeschehen_

Raimund Müller erzählt seine Geschichte in zwei verschiedenen Handlungssträngen. Neben der Handlung rund um Matthäus Müller, der in den Orden der Ritter der Euterpe aufgenommen wird, verwendet der Autor auch viel Zeit darauf, um über die aktiven Kriegsgeschehen zu berichten, die Matthäus‘ jüngerer Bruder Johann erleben muss. Die Wechsel zwischen beiden Schauplätzen geschehen jeweils am Kapitelanfang. Allerdings ist das Buch insgesamt nur in sieben umfangreiche Kapitel eingeteilt, sodass immer sehr lange Passagen zu lesen sind, bevor es zu einem erneuten Sprung in der Erzählung kommt. Als Nanni schließlich zu Sophia geschickt wird, nimmt auch die Schilderung ihrer Erlebnisse bei Sophia und ihrer Freundin Maria viel Platz ein, hier taucht Matthäus über weite Strecken gar nicht mehr auf.

Wünschenswert wären schnellere Wechsel zwischen den beiden Handlungssträngen gewesen, die eine straffere Erzählweise ermöglicht und vielleicht eine Verbindung über die Verwandtschaft der beiden Hauptfiguren hinaus geschaffen hätten. So bleiben beide Geschichten nebeneinander stehen, ohne viel miteinander zu tun zu haben, und die Zusammenführung am Ende kann auch nur als äußerst unbefriedigend bezeichnet werden. Müller legt dermaßen viel Wert aufs Detail, dass er sich oftmals in langatmigen und überaus detaillierten Schilderungen der Kriegsgefechte verliert und darüber seine eigentliche Handlung zu vergessen scheint. Besonders die Kapitel, die über Johanns Leben berichten, erfordern daher einen langen Leseatem und viel Wissen über die damalige Kriegsführung und das dazu notwendige Material. Raimund Müller verwendet bei seinen Schilderungen über die Kriegsführung viel Fachvokabular, das sich dem Laien manchmal leider auch nicht aus dem Zusammenhang erschließt; so setzt der Autor die Kenntnis von Begriffen wie Protze, Avancierriemen oder auch Kartätschen voraus. Ein Glossar wäre hier zum Verständnis wirklich hilfreich gewesen.

Einen Spannungsbogen habe ich im Buch gar nicht erkennen können. So gut wie nie weiß das Geschehen dermaßen mitzureißen, dass uns die Erzählung an das Buch fesselt. Eher wird dem Leser viel Durchhaltevermögen abverlangt, um sich durch die Kapitel rund um Johann Müller zu kämpfen. Inhaltlich berichtet der Autor hier viel über den Siebenjährigen Krieg, sodass diese Passagen passionierten Historikern sehr zusagen dürften. Doch sind es immer wieder die gleichen Kriegsgräuel samt Vergewaltigung und Abschlachtung der gefangen genommenen Frauen, von denen der Autor uns berichtet. Es passiert leider nicht viel Neues, das mitreißen könnte.

Einzig die Passagen über Nanni, die zwei Jahre lang bei Sophia lebt, unterhalten recht gut, da sie die handelnden Personen in den Vordergrund stellen. Die Geschichte des Siebenjährigen Krieges fungiert hier lediglich als historischer Hintergrund, vor welchem besonders Maria und Sophia einige gefährliche Situationen überstehen müssen. Der Begriff „Ritter der Euterpe“ fällt im Buch vielleicht ein halbes Dutzend Mal, sodass mir die Titelfindung dieses Romans absolut nicht klar geworden ist, da der Roman leider nur ganz am Rande von diesem Geheimbund berichtet. Der Klappentext lässt hier falsche Erwartungen aufkommen, da er Verstrickungen rund um den Geheimbund verspricht und den Handlungsstrang rund um Johann Müller komplett verschweigt.

_Historische Figuren und Szenarien_

Zunächst stellt Raimund Müller den Kantor Matthäus Müller in das Zentrum seiner Handlung. Der Leser erfährt mehr über Matthäus‘ Vergangenheit und seine musikalischen Begabungen. Gleichzeitig rückt auch Nanni in den Blickpunkt des Geschehens, da bereits im ersten Kapitel die aufkeimende Liebe zwischen den beiden jungen Leuten geschildert wird, auch wenn diese ihnen aussichtslos erscheint, da Nanni einem anderen Mann versprochen werden soll. Zu Beginn seines Romans konzentriert Müller sich auf die detaillierte Zeichnung einiger weniger Figuren, die durchaus gelungen ist. Spätestens wenn die Erzählung zu Johann wechselt, trifft der Leser auf dem Schlachtfeld allerdings auf so viele verschiedene Personen, dass man sich kaum die erwähnten Namen merken kann. Doch schon nach der ersten Schlacht mit vielen Opfern merkt man, dass die meisten Namen und Figuren keine wesentliche Rolle in der Romanerzählung spielen werden. Das macht die Geschichte doch etwas unübersichtlich.

Im Grunde genommen handelt der vorliegende Roman von nur fünf Personen, denn neben Matthäus und Nanni lernt der Leser weiterhin Johann Müller und natürlich Sophia und Maria genauer kennen. Die Vorstellung der Hauptfiguren überzeugt zu großen Teilen, viele Eigenschaften der Charaktere werden uns näher gebracht, doch bleiben einige Handlungsweisen doch äußerst undurchsichtig. Besonders Nannis Verhaltensweise als ein traumatisiertes Vergewaltigungsopfer wirkt wenig glaubwürdig.

Stellenweise lässt der Autor durchblicken, dass er seine Schauplätze bereist hat. So schildert er manche Szenerie dermaßen realistisch, dass man die Orte direkt vor Augen hat; besonders auffällig fand ich die kurze Beschreibung von Goslar, die mich sogleich in Gedanken vor die erwähnte Kaiserpfalz versetzt hat. Auch während der Schlachten nimmt Müller sich stets die Zeit, die Örtlichkeiten und Voraussetzungen für die Schlacht von mehreren Seiten zu beleuchten; in zahlreichen Szenen war ich beim Lesen dadurch mitten im Getümmel, weil die Schilderungen so realistisch waren.

_Sprachliches_

Durch die Verwendung altertümlicher Ausdrücke und umständlicher Sprache lässt Raimund Müller einen authentischen Eindruck der Zeit des Siebenjährigen Krieges entstehen. Die Dialoge könnten dabei tatsächlich der damaligen Zeit entnommen sein. Trotz der ungewohnten Sprache lässt sich das Buch dennoch leicht und flüssig lesen, da zumindest in den Kapiteln über Matthäus und Nanni keine unbekannten Vokabeln auftauchen, die das Verständnis beeinträchtigen könnten.

Auffällig ist außerdem, dass Raimund Müller kein Blatt vor den Mund nimmt. So berichtet er von verschiedenen Kriegsverbrechen und Folterungen, die ein ungutes Gefühl im Magen aufkommen lassen. Hier werden dem Leser ziemlich barbarische Methoden präsentiert, die man in derlei Details vielleicht gar nicht hätte wissen mögen. Nur die sexuellen Aussschweifungen der handelnden Figuren deutet Müller leidiglich knapp an und setzt genau dann eine Zäsur, wenn es gerade interessant zu werden beginnt. Der Phantasie des Lesers sind dadurch kaum Grenzen gesetzt.

_Äußerlichkeiten_

Optisch macht dieses Buch eher den Eindruck eines Fachbuches als den eines Unterhaltungsromans. So springt einem zunächst das ungewohnte Schriftbild ins Auge. Der Text dürfte in Times New Roman gesetzt sein, was ich von Romanen normalerweise nicht gewohnt bin. Auch wird jeder Absatz durch eine Freizeile verdeutlicht, die dem Leser auf den relativ großen Seiten die Orientierung erleichtert.

Aufgewertet wird der Roman durch einige sehr gelungene schwarz-weiß-Zeichnungen, die in vielen Details die Szenerie zeigen. Auch einige handgezeichnete Karten erlauben dem Leser ein schnelles Zurechtfinden, da viele der auftauchenden Ortsnamen nicht unbedingt geläufig sind.

Getrübt wird das Lesevergnügen leider durch zahlreiche Tippfehler, die eine simple automatische Rechtschreibkorrektur sofort hätte aufdecken müssen. In einigen Wörtern fehlen einzelne Buchstaben, manchmal ist ein Buchstabe zu viel und auch die Trennung am Ende einer Zeile ist nicht immer richtig. Für einen Preis von 24,90 €uro erwarte ich allerdings eine ordentliche Korrektur.

_Am Ende angelangt_

Nach knapp 700 Seiten historischer Erzählung, die viele Details über den Siebenjährigen Krieg und die damaligen Geschehnisse offenbart, bleiben zwiespältige Gefühle beim Leser zurück, denn Raimund Müller versucht angestrengt, die Ergebnisse seiner langen Recherchearbeit ebenso in sein Buch zu pressen wie die Geschichte um Matthäus und seine Lieben. Das Resultat ist ein dicker Wälzer, der nur schwer sein Zielpublikum finden wird. Historisch interessierte Leser werden sicherlich aufstöhnen angesichts der liebesdurchtränkten Rahmenhandlung samt sexueller Eskapaden der Hauptfiguren und schnulzigem Happy-End, während Leser auf der Suche nach einem unterhaltsamen Roman die Passagen rund um Johann womöglich komplett überspringen werden, da die detaillierten Kriegsbeschreibungen auf Dauer recht langweilig werden. Insgesamt wäre es der Erzählung sicherlich gut bekommen, sie an vielen Stellen zu straffen, da das Buch eigentlich keine Handlung für 700 Seiten mit sich bringt. Insgesamt war das Buch auszugsweise durchaus interessant und lesenswert, dürfte aber eher historisch ambitionierte Leser ansprechen als die Fans historischer Unterhaltungslektüre, da zu viele Informationen über die damalige Geschichte in die Erzählung einfließen und das Erzähltempo dadurch drastisch ausbremsen.

Mario R. Dederichs – Heydrich. Das Gesicht des Bösen

„Das Gesicht des Bösen (1904-1942)“; S. 13-24: Im Bösen ist Reinhard Heydrich (1904-1942) heute eine fast mythische Gestalt. Sein Tod exakt zu dem Zeitpunkt, da der Triumph- und Terrorzug des „Dritten Reiches“ seinen Höhepunkt erreichte, bewahrte ihn vor dem glanzlosen Ende durch Selbstmord oder Henkerstrick, das die meisten anderen Nazi-Fürsten ereilte. So geriet Heydrich nach 1945 quasi „außer Sicht“; der „Hitlergang“ blieben drei zusätzliche Jahre, die Liste ihrer Verbrechen zu verlängern. Doch den organisierten Völkermord und damit die größte Gräueltat der Nazis hatte Heydrich vorbereitet. Auf sein mörderisches Geschick und die dadurch geschaffenen Strukturen konnte die NS-Führungsspitze sich stützen. Heydrichs Opfer erkannten sehr gut den „jungen bösen Todesgott“ und die „Bestie in Menschengestalt“. Die Unbelehrbaren erinnern sich lieber an den bienenfleißigen, schneidigen, korrekten Tatmenschen, der in seiner knappen Freizeit dem Leistungssport frönte und so herrlich die Geige spielte.

Mario R. Dederichs – Heydrich. Das Gesicht des Bösen weiterlesen

Michael Peinkofer – Die Bruderschaft der Runen

Verschwörungsliteratur ist ein Wachstumsmarkt. Ein Trend, den vor allem Dan Brown mit „Illuminati“ maßgeblich ins Rollen gebracht hat. Kaum verwunderlich, dass andere Autoren auf den fahrenden Zug aufzuspringen versuchen, in der Hoffnung, dank des Booms ein Stückchen Erfolg abzusahnen. Doch nicht alles, was im Windschatten von Dan Brown auf den Buchmarkt geworfen wird, kann den Erwartungen standhalten. Auch Michael Peinkofer kommt mit seinem historischen Verschwörungsroman „Die Bruderschaft der Runen“ kaum umhin, sich den Vergleich mit dem Amerikaner gefallen lassen zu müssen. Ob er dem gewachsen ist, soll sich im Folgenden klären.

Michael Peinkofer – Die Bruderschaft der Runen weiterlesen

Jinks, Catherine – Tod des Inquisitors, Der

Südfrankreich im Jahre des Herrn 1318. Sechs Jahrzehnte sind seit dem zweiten Kreuzzug gegen die Katharer oder Albigenser verstrichen. Diese Asketen-Sekte, deren Mitglieder die Bibel rigide auf eine Weise auslegten, die der offiziellen Deutung durch die katholische Kirche widersprach, wurde im Bund mit dem König von Frankreich erbarmungslos bekämpft und beinahe ausgerottet. Aber die Kirche vergisst nie jene, die es wagten, ihr die Stirn zu bieten. Das „Heilige Amt“, die Inquisition, ist stark in der Provinz Narbonne, einem Kernland der Albigenser, die hier länger als irgendwo sonst ausgehalten hatten, wo die nahen Pyrenäen Schutz und Flucht nach Spanien versprachen. Deshalb lebt die Häresie fort, heimlich zwar, doch hartnäckig.

Die kleine Stadt Lazet beherbergt in ihren Mauern die Priorei der Predigenden Brüder, eine Klostergründung des Dominikanerordens. 28 Mönche, 17 Laienbrüder und 12 Studenten leben, beten und arbeiten hier – und 178 Gefangene, verdächtig der Ketzerei, schmachten derzeit im Gefängnis des Heiligen Amtes. Der Papst – aktuell ist es Johannes XXII. – bedient sich gern der Bettelmönche als Inquisitoren; sie gelten als unbestechlich und streng in der Verfolgung der Glaubensfeinde. In Lazet ist gerade Jacques Vaquier, der oberste Inquisitor, gestorben. Sein Stellvertreter Bernard Peyre de Prouille fühlt sich der Nachfolge allein nicht gewachsen und bittet das Mutterhaus im fernen Paris, ihm einen Pater zu schicken.

Es erscheint Augustin Duese, ein fanatischer Ketzerfresser, der weder sich noch seine Mitbrüder schont, wenn es gilt, den Weisungen des Papstes Folge zu leisten. In Lazet hat sich im Laufe der Jahre ein gewisser Friede oder Waffenstillstand zwischen der Kirche, der einheimischen Bevölkerung und Roger Descalquencs, Seneschall König Philipps V. von Frankreich und Repräsentant der weltlichen Macht vor Ort, eingestellt. Duese fühlt sich nicht daran gebunden, wittert überall Ketzerei, Verderbnis und Verschwörung, ordnet Massenverhaftungen und -verhöre an, bringt die Menschen gegen sich auf, schürt geradezu vorsätzlich die Unruhe, die ihn nur noch bestätigt in seiner Mission. Doch zum Pulverfass wird die Situation erst, als Duese tatsächlich Hinweise auf heimliche Häresie, Korruption und politischen Verrat entdeckt. Schlimmer noch: Der verstorbene Inquisitor Vaquier war offensichtlich darin verwickelt. Nun gibt es für Duese kein Halten mehr: Die Inquisition kommt über Lazet!

Doch bevor sie richtig beginnen kann, werden Augustin Duese und vier Soldaten, die ihn begleiten und schützen sollten, auf einer Reise über Land überfallen, unweit des Dorfes Casseras getötet und in Stücke gehackt, die über den ganzen Landstrich verstreut werden. Die Täter verschwinden zunächst spurlos; Misstrauen und Furcht breiten sich aus. Der Schrecken eskaliert, als dem Fanatiker Duese als Inquisitor der engstirnige Pierre-Julien Fauré folgt, der überall nicht nur Ketzer, sondern Hexen und Teufel sieht und außerdem seit vielen Jahren Bernard Peyres Erzfeind ist. Gar zu gern würde Fauré ihm schaden – und die Gelegenheit ist günstig: Bernard, der zur Keuschheit verpflichtete Gottesmann, hat sich in die kluge und tapfere (und natürlich schöne) Edelfrau Johanna de Caussade verliebt, eine Beziehung, die beide in allerhöchste Lebensgefahr bringt …

„Der Inquisitor“/“Der Tod des Inquisitors“ (Taschenbuchtitel), ein Roman über das europäische Mittelalter, wurde verfasst von einer Autorin, die zumindest geografisch der Narbonne nicht ferner stehen könnte: Catherine Jinks wurde 1963 in Brisbane in der australischen Provinz Queensland geboren. Es wird noch exotischer: Ihre Jugendjahre verbrachte sie auf der Insel Neu-Guinea (deren Ostteil übrigens bis 1918 deutsche Kolonie war), bevor sie aufs Festland zurückkehrte, um an der Universität von Sydney Mittelalterliche Geschichte zu studieren. In dieser Stadt blieb sie und lebt hier mit ihrer Familie. Als Schriftstellerin wurde Jinks durch ihre Kinderbücher bekannt (und zweimal mit dem „Children’s Book Council Award“ ausgezeichnet), bevor sie sich 1996 mit „An Evening with the Messiah“ (dt. „Der Notar“) auch dem „erwachsenen“ Roman widmete.

Ob es wohl die Entfernung ist, die dem „Inquisitor“ eine erfreuliche Ausnahmestellung auf dem strapazierten Forum des Historien-Thrillers verschafft? Dieses Genre bietet nicht nur denen, die sich von Berufs wegen mit dem Mittelalter beschäftigen, immer wieder gute Gründe zu Zorn und Ärger. „Das Mittelalter“ scheint nach Ansicht gar zu vieler Schreiberlinge („Schriftsteller“ sollte als Berufsbezeichnung eigentlich gesetzlichem Schutz unterliegen!) ein Spielfeld zu sein, auf dem wie in der Science-Fiction oder im Horror grundsätzlich jeder Zug gestattet ist, da zwischen dem 11. Jahrhundert auf der Erde, dem 11. Jahrtausend irgendwo im Weltall oder dem 11. Kreis der Hölle nur marginale Unterschiede gemacht werden. Das Mittelalter verkommt zur exotischen Kulisse, in der sich Uralt-Allerweltskrimis abspielen, die zu allem Überfluss kräftig mit Seifenoper-Elementen versetzt werden. Selbst gut recherchierende Autoren repetieren oft seelenlos angelesenes Wissen, während ihnen ein echtes Verständnis des Mittelalters abgeht bzw. Normen und Geisteshaltungen der Gegenwart in die Vergangenheit projiziert werden.

So entsteht nur ein Disneyland-Mittelalter: Alles sieht halbwegs echt aus und ist doch nur Tand und Trug, wie St. Penetrantius, der Schutzheilige aller mönchischen Amateurdetektive vom Schlage eines Bruder Cadfael, wohl sagen würde. Auch Catherine Jinks hätte leicht in diese Falle tappen können. Sie lässt ihre Geschichte ausgerechnet im Umfeld der katholischen Inquisition spielen. Auf dieser Institution lastet eine Jahrhunderte dicke Schicht aus Legende, Missverständnis und wohlig übler Nachrede. Dumme, bornierte, fanatische, geile Pfaffen martern unschuldige, kluge, fortschrittlich denkende Frauen, Andersgläubige oder (mit weitem Abstand folgend) sogar männliche Gutmenschen: So könnte ein typischer Historien-Krimi um die Inquisition aussehen. Den Rest erledigt dann zuverlässig die politisch korrekte Empörung des klug gewordenen Lesers der Gegenwart über die gar schreckliche Vergangenheit.

Mit solchen billigen Tricks arbeitet Jinks nicht. Sie versteht es, das „Heilige Amt“ und jene, die ihm dienen, harmonisch in das historisierende Umfeld zu integrieren. Zwar übertreibe ich es jetzt, doch im zeitgenössischen Bewusstsein dürfte die Inquisition etwa dieselbe Präsenz wie heutzutage das Finanzamt besessen haben: unsichtbar über den Menschen schwebend und ihr Recht fordernd, aber doch nur selten auf sie herabstürzend, um einen Unglücklichen aus ihrer Mitte zu reißen. Das mittelalterliche Europa wurde keineswegs auf Jahrhunderte nachts von den Feuern der Inquisition erleuchtet, Ketzer und Hexen nicht wie Kaminholz verheizt. Unbestritten sind allzu viele scheußliche Verbrechen und Massenmorde im angeblichen Namen Gottes, aber objektiv fanden sie zeitlich und örtlich begrenzt statt.

Eine Zeitreise zurück ins Südfrankreich des 13. Jahrhunderts wünscht sich wohl allerdings kein denkender Mensch mit historischen Grundkenntnissen. Hier wurde über viele Jahre tatsächlich kein Pardon gegeben. Doch selbst hier ist 1318 wieder Ruhe eingekehrt. Die Inquisition gehört zum Alltag, Verhaftungen und Hinrichtungen kommen vor, aber das ist halt das Risiko der Ketzerei, die von der Mehrheit der Bevölkerung ohnehin nicht toleriert wird – und werden schließlich nicht Verrat, Mord und hundert andere Verbrechen von der weltlichen Gerichtsbarkeit mit Folter und Tod geahndet? Die Inquisitoren selbst sind keine Bestien in Menschengestalt, sondern fromme und hart arbeitende Männer (so fremd uns dies heute auch erscheinen mag). Bernard Peyre, unser Ich-Erzähler, ist sogar ein sehr sympathischer Zeitgenosse, freundlich, humorvoll, ein wenig schwach im Fleische – und doch ein sehr erfolgreicher Inquisitor, obwohl er brennende Scheiterhaufen nur schwer erträgt. Diesen Widerspruch löst Jinks nicht auf; sie überlässt es den Lesern, sich mit ihm auseinander zu setzen. Dabei fährt man am besten, wenn man akzeptiert, dass es ihn im Mittelalter so nicht gab.

Die differenzierte Figurenzeichnung hält Jinks bemerkenswert gut durch. Nicht einmal der düstere Augustin Duese oder sein unfähiger Nachfolger geraten ihr zur bloßen Karikatur, und ihre Frauengestalten stellt sie nie als präfeministische und lächerlich anachronistische Streiterinnen bloß, die anders als die Mönche, Ritter oder Patres (= die dummen Männer) nur Güte, Vernunft und menschliche Überlegenheit verstrahlen. Stattdessen findet Jinks die Nischen der nun einmal männlich bestimmten Gesellschaft des Mittelalters und platziert Frauen dort, wo sie sich nachweislich tatsächlich selbstständig entfalten konnten. Weil dies so stimmig ins Gesamtbild passt, merkt auch der historische Laie, dass ihm (oder ihr) hier nicht die nächste Schüssel des geschmacksneutralen Bruder-Katzenfell-Quarks vorgesetzt wird. Da kann er sich auch damit abfinden, dass die Auflösung des Krimiplots wie so häufig nicht halten kann, was zuvor versprochen wurde. Immerhin gibt’s nur ein gedämpftes Happy-End, was angesichts der in ihrer Vielfalt etwas konstruiert wirkenden Verwicklungen nur logisch scheint.

Bleibt noch die sorgfältige Übersetzung zu loben, die Catherine Jinks nie im Stich lässt. Sie hat sich überaus große Mühe gegeben, ihre Figuren nicht nur in eine mittelalterliche Welt zu versetzen, sondern bemüht sich, sie auch mittelalterlich denken und sprechen zu lassen. Da Bernard Peyre ein gelehrter Kleriker ist, führt dies zu einer Flut von Zitaten und Exkursen aus mehr oder weniger frommen Werken der Kirchengeschichte und bildhaft-biblischen Vergleichen. So etwas liest sich natürlich nicht so glatt herunter wie der aktuelle Ich-habe-nur-einen-Wortschatz-von-100-Wörtern-und-bin-stolz-darauf-Grisham-Reißer, besitzt aber seine ganz eigene Logik und seinen eigenen Reiz, der sich während der Lektüre rasch mitteilt. Dazu kommt ein fast unmerklicher, weil knochentrockener Humor, der gleichzeitig deutlich macht, dass auch die angeblich so vernagelten Menschen des Mittelalters sich der Widersprüche ihrer Zeit durchaus bewusst waren oder längst nicht in furchtsamer Ergebenheit vor der Obrigkeit ihr freudloses Dasein fristeten.

Lawhead, Stephen – Sohn der grünen Insel, Der

„Der Sohn der grünen Insel“ ist ein üppiger Historienroman aus der Zeit, in der auch der neuere „King Arthur“-Film spielt. Die Römer sind nur noch auf Abruf in Britannien, die Zeit der Römer geht ihrem Ende zu, die Völkerwanderung und die Missionierung mit dem christlichen Glauben gehören zu der Zeit, zu der dieser Roman von Stephen Lawhead spielt.

Dies ist die Geschichte von Succat, einem jungen Britannier aus römisch-patrizischem Hause. Der ist eigentlich ein ziemlich verwöhntes Etwas, säuft und hurt sich durch die Gegend, immer gesponsert von Papa. Aber das geht auf radikale Weise zu Ende: Iren überfallen die britische Küste, brandschatzen das Dorf in der Nähe seines Gutes und später auch dieses selbst. Succat gerät in Gefangenschaft und wird Sklave von König Milliucc. Einem alten Schäfer als Helfer zugeordnet, brennt der junge Mann aus gutem Hause dringend auf Flucht, doch gelingt diese gleich dreimal nicht, was jedes Mal mit üblen Prügeln endet. Vom Hirten Madog lernt er Irisch, die schöne Sionan erobert sein Herz und lange spricht er mit Cormac, einem jungen Barden und Druiden und Bruder von Sionan. Bald dient er dem örtlichen Druidenhaus, macht sich dort zwar auch einen Feind, überzeugt aber auch den Ollamh, den Oberdruiden Datho, davon, dass es sich lohnen würde, den jungen Römer zu einem Druiden zu machen.

Durch viel Trouble kommt Succat aber wieder von seinem Weg ab, kehrt zurück nach Britannien, findet seine Freunde der Jugendzeit wieder, wird Legionär und sogar Centurio, kommt nach Rom und wird Quästor, heiratet und zeugt eine Tochter, und doch wird er nach Irland zurückkehren, und dort soll er noch eine wichtige Rolle spielen.

Das ist schon eine komplexe Geschichte, die Lawhead aus Succats Perspektive erzählt. Und auch wenn dieser am Anfang ziemlich unsympathisch ist, fiebert man doch bald mit ihm mit. Wie sich das für einen Roman gehört, macht der Held eine Wandlung durch, und die ist ein paar Klassen heftiger, als das gewöhnlich der Fall ist. Auch die Nebencharaktere sind gut gezeichnet, nicht die üblichen Holzschnitttypen. Allerdings fehlt dann doch ein bisschen die Ansprache des Gefühls, der Gesamteindruck ist doch ein wenig kühl, was für einen Roman aus der Ego-Perspektive eher ungewöhnlich ist.

Das Buch atmet Tiefe; da wurde offenkundig richtig gut recherchiert, der Autor trumpft nicht nur mit ein bisschen Latein, sondern gleich mit einigem Altbritisch und Altirisch auf, beschreibt, was das Zeug hält, und ist mit dieser Welt völlig in seinem Element. Vielleicht hat er dann doch hier und da mehr recherchiert, als er hätte unterbringen sollen, vielleicht liegt es aber auch an seinem etwas trockenen Stil, dass dieses Buch nicht der ganz große Knaller ist. Auf der anderen Seite ist „Der Sohn der grünen Insel“ auch kein schlechtes Buch, Lawhead erschafft eben auch diese unglaubliche Welt, er hält eine brauchbare Spannung, die allerdings vom Klappentext übel torpediert wird, denn alle Wegpunkte sind dort vorgezeichnet. Da hat irgendwer bei |Lübbe| des Guten definitiv zu viel getan.

Der eigentliche Clou dürfte den meisten Lesern ein wenig abgehen. Succat wechselt auch seinen Namen immer wieder mal und am Ende nennt er sich Patricius. Das ist kein Clou? Richtig, aber im englischen Original heißt das Buch „Patrick – Son of Ireland“ – also ist Succat vermutlich der irische Nationalheilige St. Patrick – na, darauf ein Guinness.

Sehr schöne Aufmachung, üppige 684 Seiten und sogar ein Lesebändchen, diese gebundene Ausgabe lohnt ihren Preis von 24,50 Euro. Ein Buch für Fans von St. Patrick und überhaupt von historischen Romanen.

_Holger Hennig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Diana Norman – An den Ufern der Dunkelheit

Schriftsteller Daniel Defoe gerät in ein Intrigengespinst, als er zusagt, nach einer verschollenen Frau zu suchen. „Anne Bonny“ ist womöglich eine Anwärterin auf den englischen Königsthron, weshalb sowohl die Regierung als auch die Opposition sie finden wollen, weshalb die Fahndung die gesamte bekannte Welt erfasst … – Ungemein spannendes, fabelhaft geplottetes und schnörkellos erzähltes Garn, das Geschichte und Thriller vorbildlich verknüpft sowie – noch erstaunlicher! – auf schaumige Liebesgeplänkel u. ä. Abschweifungen verzichtet: ein Pageturner! Diana Norman – An den Ufern der Dunkelheit weiterlesen

Peinkofer, Michael – Bruderschaft der Runen, Die

Verschwörungen und Geheimnisse aus der Vergangenheit schon waren schon immer ein beliebter Stoff mit vermeintlicher Erfolgsgarantie. Doch nicht jedes Buch mit einem spannend klingenden Thema ist auch wirklich ein packender Roman. Wie es um Michael Peinkofers Werk „Die Bruderschaft der Runen“ bestellt ist, wollen wir hier einmal genauer untersuchen.

_Das Geheimnis der Schwertrune_
Als der geschichtsbesessene Gehilfe Sir Walter Scotts in der Kloster-Bibliothek von Kelso unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, fühlt sich der bekannte Schriftsteller mitverantwortlich für dessen Tod und versucht, die Umstände zu erforschen. Schon bald sieht er seine Befürchtung, dass es sich nicht – wie offiziell angegeben – um einen Unfall handelt, bestätigt. Stattdessen glaubt er an einen Mord. Durch seine Untersuchungen, bei denen ihm sein junger Neffe Quentin Hay zur Seite steht, stößt er auf ein fehlendes Buch und eine verbotene Rune für das Wort „Schwert“, die ein Hinweis zu einer alten schottischen Druiden-Sekte, einer Art Geheimbund, sein könnte. Kurz darauf wird die Bibliothek durch Brandstiftung zerstört.
Der von Scott hinzugezogene englische Inspektor Dellard nimmt Scotts Hinweise und Untersuchungsergebnisse allerdings nicht ernst. Stattdessen scheint er in dem Fall eigene Interessen zu verfolgen. Der befreundete Abt des Prämonstratenser-Ordens, der die Bibliothek verwaltete, warnt Scott vor jeder weiteren Einmischung, hüllt sich aber, seine Gründe hierfür betreffend, in Schweigen. Und wirklich werden Sir Walter Scott und sein Neffe zur nächsten Zielscheibe der Täter, was den bekannten Dichter aber nur noch verbissener nach der Wahrheit um die geheime Bruderschaft suchen lässt.

Währendessen reist die englische Adlige Lady Mary of Egton in die Highlands, um eine arrangierte Hochzeit mit dem Laird of Ruthven zu schließen. Doch sie wird von mysteriösen Träumen über ein schottisches Mädchen geplagt, das – wie sie herausfinden muss – 500 Jahre vor ihrer Zeit auf Burg Ruthven gelebt hat. Währenddessen eskalieren tagsüber ihre Beziehungen zu ihrem zukünftigen Bräutigam und seiner Mutter schnell bis zu einem Punkt, an dem Mary um ihr Leben fürchtet.

_Idee und Wirklichkeit_
Ein verschwörerischer Geheimbund, alte Runen und ein Rätsel aus der Vergangenheit. Für mich klang das nach absolut vielversprechenden Zutaten für eine Art von historischem Dan Brown. Und das Gerüst der Geschichte ist auch in der Tat sehr gelungen aufgebaut. Alleine schon die Idee, Sir Walter Scott als Detektiv fungieren zu lassen, gefällt mir sehr gut. An dem gesamten kriminellen Plot gibt es – sofern man sich nicht gegen mystische Elemente und Unerklärliches sträubt – nichts zu meckern. Die Spannung setzt bereits früh ein und für ein Buch dieses Umfangs muss man nur sehr wenige Längen in Kauf nehmen. Eigentlich also eine ideale Grundlage, die einen spannenden historischen Krimi abgeben sollte. Und spannend ist das Buch auch durchaus, dennoch hatte ich mir von diesem Buch mehr versprochen.

Denn der Teufel steckt hier im Detail. So ist zwar beispielsweise die Charakterisierung Scotts als meisterhafter Beobachter und Anhänger der Logik gut gelungen, einige der anderen Personen sind jedoch völlig überzeichnet und auch das Ende des Buchs entzieht sich jeder nachvollziehbaren Logik.

Allen voran stößt mir die Person der Mary of Egton unangenehm auf. Sie ist wunderschön, fremd im Land, versteht die Menschen aber besser als die bösen Lairds, speist mit Dienern und Bauern an einem Tisch und kämpft selbstlos gegen die kleinste Ungerechtigkeit. Kurz: Sie ist einfach nicht glaubhaft. Auch ihr Handeln in diesem Buch ist an einigen Stellen nicht nachzuvollziehen. Ein extremes Beispiel ist hier, dass sie in einer gefährlichen Situation gegen Ende des Buches plötzlich – und für mich als Leser völlig unerwartet – ihre Liebe zu Quentin in die Welt hinausruft. Dabei hat sie nicht nur mit dem angeblichen Mann ihrer Träume vorher kaum drei Sätze gewechselt, sondern auch während der nachfolgenden Zeit keinen für den Leser erkennbaren Gedanken an ihn verschwendet – von Anzeichen des Verliebtseins gar nicht zu reden.

Quentin hingegen ist natürlich auf den ersten Anblick Mary verfallen. Es wird uns gesagt, dass er von ihr so angetan sei, da er zuvor nur Bauernmädchen und Bürgerstöchter kannte, nie jedoch eine Lady von Geblüt, Geburt und mit dieser Erziehung und zumal noch von solch lieblichem Anblick. Nun, denn. Das klingt für mich nicht nach Liebe sondern nach pubertären Hormonwallungen, was auch dadurch unterstrichen wird, dass er sie erblickt und fortan zufrieden sein soll, und „für den Rest seines Lebens auf der Schwelle ihres Zimmers stehen und in ihrer Nähe sein zu dürfen“ (S. 167) soll für ihn die ultimative Glücksvorstellung sein. Nicht gerade nachvollziehbar für mich. Und darüberhinaus auch etwas kitschig, was hier auch noch durch den etwas schwülstigen Schreibstil unterstrichen wird.

Denn obwohl ich Herrn Peinkofer nicht generell jegliche Schreibkunst absprechen will, muss ich doch feststellen, dass mir sein Stil nicht liegt. Die Formulierungen sind überdramatisch und die Sätze brechen vor allem unter der Last der etwas klischeehaft eingesetzten Adjektive zusammen. Dies trifft insbesondere für alle Beschreibungen und Handlungen der Bösewichte zu. Hier scheint Peinkofers Phantasie derart mit ihm davonzugaloppieren, dass er ein Klischee nach dem anderen aufkommen lässt. Ein „… schneidender Befehl gellt über der Dorfplatz …“ S. 203, „… sagte er mit einer Kälte, die sie erschauern ließ“ (S. 221), „unheimliche Gestalten in flatternden Roben und auf schimmernden Pferden“ (S. 235). Je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr fallen mir solche Formulierungen wieder und wieder auf und stören mein Leseempfinden beharrlich.

Auch was die mystischen Elemente betrifft, die Peinkofer in diesem Buch einsetzt, so stehe ich diesen gespalten gegenüber. Denn einerseits habe ich nichts gegen Übersinnliches und Fantasy-Elemente, die meiner Meinung nach einem spannenden, historischen Roman eine schön gruselige Horrornote verleihen können. Das muss ja kein Nachteil sein. Doch gemischt mit Peinkofers überdramatischem Schreibstil und seinen zum Teil klischeehaften und unglaubwürdigen Charakterisierungen, wirken solche Mittel sehr künstlich. Die alte Kala, über die wir nur Andeutungen erhalten, und die über Jahrhunderte hinweg in die Geschichte eingreift. Der Graf, ihr dunkler Gegenspieler. Die Visionen der Vergangenheit, die Marys Träume prägen. All das hätte vielleicht von der grundsätzlichen Idee her noch gepasst, ist aber in überzeichneter Weise in die Geschichte eingefügt, so dass es nicht wirklich dazu beiträgt, das Buch zu einem gelungenen historischen Roman zu formen, sondern es stattdessen stellenweise verkitschen lässt.

Auf historische Korrektheit sollte man bei „Die Bruderschaft der Runen“ ebenfalls keinen allzugroßen Wert legen, was einem spätestens beim Auftauchen der diversen Fantasy-Elmente klar sein sollte. Aber auch was grundlegende historische Fakten angeht, hat sich Herr Peinkofer ganz seiner überschäumenden Phantasie hingegeben: Weder ging William Wallaces Schwert nach seinem Tod in den Besitz von Robert the Bruce über, noch war Robert the Bruces Schwert, das er in der Schlacht von Bannockburn benutzte, über Jahrhunderte hinweg verloren. (Es befindet sich seit rund 700 Jahren im Besitz der Familie des Earl of Elgin, der ein direkter Nachfahre von Robert the Bruce ist). Und schon gar nicht wurde das Schwert etwa von Sir Walter Scott wiederentdeckt. Etwas missverständlich ist dies nämlich im Epilog dargestellt, der noch zur fiktiven Geschichte gehört, aber den Eindruck eines Nachwortes des Autors vermittelt und so einen leichtgläubigen Leser mit falschem historischem Eindruck zurücklassen kann.
Dennoch denke ich, dass man solche historische Hirngespinste insgesamt verzeihen kann, da es sich hier schließlich um ein Werk der Unterhaltungsliteratur handelt. Umso mehr zudem, als der Autor selbst auch im Nachwort zugibt, sich einige historische Freiheiten erlaubt zu haben. Zwar spricht Peinkofer da von der Person des Sir Walter Scott und die übrigen historischen Freiheiten werden nicht explizit erwähnt, doch dem halbwegs aufgeschlossenen Leser sollte schon klar werden, dass es sich hier nicht gerade um eine Quellenlektüre handelt.

„Die Bruderschaft der Runen“ hat mich insgesamt eher enttäuscht. Obwohl das Buch über gute Ansätze verfügt, wie zunächst einmal die Idee, Sir Walter Scott als Detektiv agieren zu lassen, als auch der durchaus gelungene Spannungsaufbau, so rutscht die Geschichte, je weiter sie voranschreitet, insbesondere durch den schwülstigen, überdramatisierenden Schreibstil und die klischeehaften, überzeichneten Charakterisierungen auf ein Niveau herab, auf dem ich das Buch allenfalls noch eingefleischten Fans schottischer Geschichte empfehlen kann.

_Historische Fakten_
Sir Walter Scott wurde am 15. August 1771 in Edinburgh geboren. Als einer der ersten Autoren, die auch Personen außerhalb des Adelsstandes und sogar Andersgläubige als günstig portraitierte Hauptrollen in ihren Werken auftreten ließen, gilt er als Verfechter des Prinzips, dass alle Menschen, egal in welchen Stand oder Glauben sie geboren wurden, zunächst gut sind. Seine zumeist historisch ausgerichteten Werke behandeln häufig das Aufeinandertreffen verschiedener Glaubensrichtungen oder Kulturen, wie beispielsweise die Reibungen zwischen Angelsachsen und Normannen in seiner vermutlich bekanntesten Schöpfung „Ivanhoe“.

_Zum Autor_
Michael Peinkofer wurde 1969 geboren, hat Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft studiert und arbeitet unter anderem als Journalist, zum Beispiel als Fernsehjournalistfür das Magazin |Moviestar|. Er hat nach Verlagsangaben unter diversen Pseudonymen (die der Verlag aber nicht nennt) anscheinend schon etwa 180 Bücher verfasst. Unter dem Namen Michael Peinkofer ist vor seinem ersten historischen Roman „Die Bruderschaft der Runen“ aber bisher nur „Das große Star Trek Buch“ erschienen, das unter seiner Mitautorschaft entstanden ist. Er lebt in Kempten im Allgäu.

Morgan, Fidelis – Rival Queens, The

Meine neueste Entdeckung heißt Fidelis Morgan. Über ihren ersten historischen Kriminalroman [„Unnatural Fire“ 1006 habe ich bereits berichtet. Dieses Mal soll es um die Fortsetzung „The Rival Queens“ gehen.

_Theater, Theater …_

London, 1699: Die Hauptfiguren Countess Anastasia Ashby de la Zouche, ihre Helferin Alpiew sowie den grummeligen Diener Godfrey kennen wir bereits aus dem ersten Band. Wer diesen nicht gelesen hat: Die drei stehen ständig kurz vorm Schuldturm, wohnen zu dritt in der Küche eines ehemals vornehmen, jetzt aber fast nur noch von Tauben bewohnten Stadthauses. Und ähnlich heruntergekommen wie ihre Residenz sind auch die drei ungewöhnlichen Protagonisten. Die Countess ist eine alte Schachtel, ein gutes Stück jenseits der Sechzig, der ständig die Perücke vom Kopf rutscht und das Make-up vom Gesicht bröselt. Alpiew ist im mittleren Alter und mit einem prächtigen Vorbau ausgestattet. Godfrey ist der Älteste, mit gebücktem Greisengang, zahnlos und zudem noch ein puritanischer Kostverächter, der trotz seiner untergebenen Stellung immer etwas zum Meckern findet – besonders an den beiden Frauen.

Dieses Mal also stolpern Alpiew und die Countess über den Mord an einer Schauspielerin. Verdächtige bieten sich zuhauf an, der schmierige Kollege, die rivalisierende Schauspielerin Rebecca Montagu, mit der sich die Ermordete häufig öffentlich gestritten hat, der geldgierige Theatermanager Mr. Rich, ein Lebkuchenverkäufer und der Anführer einer adligen Bande von Taugenichtsen sind da nur die wichtigsten, die zu nennen wären. Unsere beiden Hobby-Detektivinnen werden von der Bühnen-Rivalin Rebecca Montagu angeheuert, den Mord zu lösen. Und wenn sie nicht (schon wieder) im Schuldturm landen wollen, müssen sie den Auftrag auch annehmen – allerdings scheint ihnen Rebecca selbst die wahrscheinlichste Täterin zu sein. Und wie kommt eigentlich eine Schauspielerin an derartige finanzielle Rücklagen, dass sie sich eine ganze Kiste Gunpowder-Tee leisten kann? Doch dann kommt es zu einem zweiten Mord. Und langsam erahnen die Countess und Alpiew, dass in der Welt des Theaters das offensichtlich Erscheinende nicht immer der Wahrheit entsprechen muss und ein Blick hinter die Kulissen und Masken eine ganz andere Wahrheit zu Tage fördern kann.

_Barock unplugged_

Dieses Buch ist alles andere als gewöhnlich. Vergeblich sucht der Leser hier die hübsche, jugendliche Hobbydetektivin. Stattdessen finden wir eine alte Dame und ihre auch nicht mehr ganz taufrische Gefährtin sowie einen Diener, der auf bemalte Holzzähne zurückgreifen muss. Vergeblich sucht man auch die fast unvermeidlich gewordene Liebesgeschichte und findet stattdessen einen fesselnden historischen Krimi mit Schmunzeleffekten, was ich für eine sehr angenehme Abwechslung halte. Auch die Nebenfiguren – von der temperamentvollen, fußstampfenden Schauspielerin bis zum stotternden und etwas trotteligen Gefängniswärter – sind allesamt voller Detailfreude gezeichnet, dabei aber doch in Zeit und Plot eingepasst und insgesamt sehr glaubhaft.

Die Autorin Fidelis Morgan ist selbst eine in Großbritannien gefeierte Schauspielerin und hat darüberhinaus einige Sachbücher zur Geschichte des Theaters besonders in der Zeit der Reformation veröffentlicht. Sie hat einen Abschluss in „Drama and Theatre Arts“ von der Birmingham University. Dort hat auch ihr Interesse an der Restaurationsperiode und insbesondere ihrer Theaterkultur seinen Ursprung genommen. Heute ist Fidelis Morgan eine erfolgreiche Schauspielerin. Obwohl sie auch in britischen Fernsehproduktionen wie u. a. „Jeeves & Wooster“, „Big Women“, „Mr. Majeika“, „As Time Goes by“ und „Dead Gorgeous“ aufgetreten ist, liegt ihr Erfolg doch hauptsächlich am Theater. Besonders gerühmt wurde ihre Arbeit am Glasgow Citizens Theater. Neben der Schauspielerei hat sie auch an der Adaption von Romanen für die Bühne mitgearbeitet. Bevor sie begann, historische Romane zu schreiben, hatte sie bereits fachliche Abhandlungen über Theater und Schauspieler der Geschichte, insbesondere der Restaurations-Periode veröffentlicht.
[„Unnatural Fire“ 1006 war Fidelis Morgan erster Roman und zugleich ist er der erste Band einer Serie von vier historischen Kriminalromanen um die beiden eher ungewöhnlichen Detektivinnen. Nach dem hier behandelten zweiten Band „The Rival Queens“ sind also noch zwei weitere Bände der Serie erschienen.

Ihr Fachwissen bringt Fidelis Morgan in dieses Buch ausgezeichnet ein und schafft es so, einen lebendig und dreidimensional erscheinenden historischen Hintergrund zu zeichnen, ohne jemals langweilig oder gar schulmeisterhaft zu klingen. Ganz im Gegenteil, auch in diesem Buch behält sie ihre Eigenart bei, historische Persönlichkeiten von ihrem hohen Ross zu heben. Letztes Mal hatten wir Isaac Newton als etwas wirren Nachbarn der Countess, dieses Mal ist der heute insbesondere noch durch seine mehrfach veröffentlichten Tagebücher bekannte Samuel Pepys an der Reihe, der kurzerhand zum Wohle der Auflösung der Geschichte mit der Countess bekannt ist. Doch der ehrwürdige Pepys erscheint in einem ganz neuen Licht, nämlich als ältlicher Spinner, dessen einzige Konversationsthemen Sex und Schiffe sind und der unserer Heldin Alpiew penetrant an die Wäsche will.

Auch London, Schauplatz unserer Geschichte, erscheint mir historisch glaubhaft und dabei sehr eindringlich geschildert, wobei die Autorin sehr gut den Unterschied zwischen den ärmeren Vierteln und den Wohngegenden der besser situierten Reichen und Adligen herausgearbeitet hat. So folgen wir den Protagonisten an die unterschiedlichsten Schauplätze, vom Londoner Tower über einen barocken Sexshop bis hinter die Kulissen der Theater.

Der kriminalistische Teil der Geschichte ist eher noch spannender als im ersten Band. Die Spannung setzt eigentlich sofort ein und hält über das gesamte Buch hinweg an. Und wenn es mir auch gelungen ist, einzelne Teile des gesamten Puzzles vor den beiden älteren Damen zu lösen, so erlebt der Plot dann doch einige überraschende Wendungen, doch nicht so übertrieben, dass ich mich von der Autorin hinters Licht geführt fühle.

Die Sprache ist üppig, von ein paar Kraftausdrücken durchsetzt und dem barocken Zeitalter hervorragend angepasst; dadurch fügt sie sich nahtlos in das Gesamterscheinungsbild ein. Dennoch ist sie durch ihre stärkere historische Prägung nichts für Anfänger im Lesen englischer Originale, und die eine oder andere Redewendung, die selbst dem durchschnittlichen englischen Muttersprachler nicht vertraut sein wird, muss in Kauf genommen werden. Die Bedeutung lässt sich stets auch ohne spezielle Wörterbücher aus dem Kontext entnehmen.

Ganz ohne Frage: Die Countess und Alpiew haben sich mit ihrem zweiten Fall endgültig einen Stammplatz in meinen Bücherregalen erarbeitet. Ihre Bücher sind Fans ungewöhnlicher historischer Kriminalromane uneingeschränkt zu empfehlen und mein abschließendes Urteil lautet: „Encore!“

Monaldi, Rita / Sorti, Francesco – Imprimatur

11. bis 25. September 1683: zwei Wochen im heißen römischen Spätsommer, welche die Weltgeschichte verändern könnten. In der Locanda del Donzello, einer der zahllosen kleinen Herbergen der Ewigen Stadt, stirbt ein Gast, der alte französische Edelmann de Mourai. Die Umstände weisen auf einen Pestfall hin, was die Stadtverwaltung umgehend und rigoros handeln lässt: Die Herberge wird mit Brettern vernagelt und bewacht, ihre Bewohner unter Quarantäne gestellt.

Diese sind empört und voller Furcht. Dabei schließt Cristofano, ein berühmter Arzt aus Siena, die Seuche als Todesursache aus. Er tippt vielmehr auf Gift. Dass sich ein Mörder unter ihnen befinden könnte, kann die Gruppe ganz und gar nicht beruhigen. Aber die Theorie scheint sich zu bewahrheiten, als Pellogrino des Grandis, der Wirt der Herberge, einen mysteriösen Unfall erleidet und schwer verletzt aufgefunden wird.

Der Abbé Atto Melani aus Pistoia beschließt, sich als Detektiv zu versuchen. Ihm zur Seite steht der Hausbursche der Locanda del Donzello. Der junge Mann, ein Waisenkind, das eine gute Ausbildung erfuhr, begrüßt begeistert die Möglichkeit, die Grenzen seiner engen Welt zu erweitern. Die Schar der Verdächtigen ist bunt. Roberto Devizé, Musiker aus Paris, gehört zu ihnen, dazu gesellen sich Pater Juan des Robleda, Jesuit aus dem spanischen Granada; Domenico Stilone Priàso, Dichter aus Neapel; Angélo Brenozzi, Glasbläser aus Venedig; Pompeo Dulcibeni aus Fermo, des Verstorbenen de Mourais Reisebegleiter; Eduardus Bedfordi, ein Engländer – und Clorida, die wunderschöne Kurtisane.

Sie alle, so erfahren die Detektive rasch, sind nicht jene, für die sie sich ausgeben. Alle hüten sie ein düsteres Geheimnis, scheinen verwickelt in ein mörderisches Intrigenspiel, das ganz Europa umspannt. Es geht um nichts weniger als die Verteidigung Europas gegen die Türken, deren offenbar unüberwindlichen Heere Wien, das letzte Bollwerk des Abendlandes, belagern. Der habsburgische Kaiser ist geflohen. Papst Innozenz XI. will sich statt seiner zum Haupt des Widerstands aufschwingen. Die Könige Europas hören auf ihn – mit einer Ausnahme: Louis XIV., Frankreichs „Sonnenkönig“, missgönnt Innozenz den politischen Machtzuwachs. Wie es scheint, ist der machtgierige Souverän sogar bereit, sich mit den Türken zu verbünden.

Alle Parteien setzen Geheimagenten ein. Ausgerechnet in der Locanda del Donzello scheinen sich einige der berühmtesten Vertreter ihrer geheimnisvollen Zunft versammelt zu haben. Ihre Aktivititäten setzen sie trotz der Quarantäne fort. Dabei gehen sie durch düstere Geheimgänge – und über Leichen. Der Größte unter diesen Spionen ist – der Hausbursche erkennt es mit Schrecken – Atto Melani, der „Ratgeber“ des Sonnenkönigs. Den übrigen „Gästen“ traut er noch weniger. Wohl oder übel hält er sich deshalb an Melani. Der hat aber noch eine private Rechnung offen, die zu tilgen ihn und alle, die sich in seinem Umfeld bewegen, in Lebensgefahr bringen wird …

Die Welt des Jahres 1683, eine für den Menschen der Moderne fremdartige, exotische Ära, projiziert in die kleine, überschaubare Locanda del Donzello, die gleichzeitig Schauplatz eines „locked room“-Mysteriums des klassischen Kriminalromans wird. Grundsätzlich lassen beide Aspekte kaum Wünsche offen. Zehn Jahre haben die beiden Autoren (laut Klappentext) an ihrem Opus gearbeitet; man glaubt es gern, denn die Fülle der Fakten, die vor dem Leser ausgebreitet werden, ist beeindruckend. Politik, Religion, Medizin, Handwerk, Architektur, Kochkunst, Alchemie, Musik – Das Große, Wichtige mischt sich mit dem Alltäglichen. Dies entfaltet durchaus seine Wirkung, wirkt über weite Passagen freilich wie angelesenes Wissen, das um jeden Preis Eingang in die Handlung finden musste.

Solche gelehrten Vorträge und Diskussionen blähen die Geschichte auf, bis man sie nur mehr in ein backsteindickes Buch pressen kann, das sich fabelhaft als „Bestseller“ auch für „anspruchsvolle Leserschichten“ vermarkten lässt. Dabei ist das Schielen nach dem großem Vorbild mehr als offensichtlich: Umberto Eco verzwirbelte 1980 in „Der Name der Rose“ kongenial Historie und Thriller. Dieses Werk brachte eine quasi industrielle Fertigung von Romanen in Gang, die in und mit der Vergangenheit spielen. Um die meisten schlage man besser einen weiten Bogen. „Imprimatur“ spielt in einer höheren Liga. Die unnachahmliche Leichtigkeit, mit der Eco zwischen Wissenschaft und Unterhaltung wandelte, geht Monaldi & Sorti allerdings ab.

Sie streben wie gesagt allzu deutlich – wenn nicht nach dem „Meisterwerk“, so sicherlich nach dem „Bestseller“. Letzteres mag gelingen, zu Ersterem fehlt eine Menge. So ist es keine gute Idee, die Protagonisten über viele hundert Seiten in der abgeriegelten Locanda festzuhalten. Die Mär von der Europa überspannenden Verschwörung lässt sich partout nicht mit dem klassischen „Mord im verschlossenen Raum“ kombinieren. Folgerichtig kommt erst dann Schwung in die Handlung, als sie durch unzählige Geheimgänge die Herberge verlässt. In den Straßen und Gassen Roms gewinnt die Geschichte sogleich Dynamik, es wird weniger geredet als gehandelt.

Es wurde auch Zeit, denn die Story verdient die Aufmerksamkeit, die ihr endlich zuteil wird. Das Autorenduo hat sich viel Mühe gegeben, ein zentrales Kapitel der europäischen Geschichte auf ungewöhnliche Weise zu „rekonstruieren“. Nie sollte sich der Leser sicher sein, hinter das „Imprimatur“-Mysterium zu blicken – es verwandelt sich ständig, enthüllt neue Seltsamkeiten, mündet in deduktiven Sackgassen, ändert die logische Richtung, schließt Irrtümer und Fehlinterpretationen der Handelnden niemals aus. Die Autoren haben zu jedem Zeitpunkt die Nasen vorn. Noch besser: Die unzähligen Rätsel, die bis dato aufgeworfen wurden, finden im wahrlich großen Finale nicht nur ihre Auflösung. Diese kann ihrer gewaltigen Vorgeschichte standhalten, ohne durch allzu läppische, womöglich aus dem Hut gezogene „Lösungen“ zu verärgern. Die Autoren haben unzählige historische Puzzleteile famos zusammengesetzt. So muss es auch sein am Ende eines Romans, in den man immerhin die Zeit für die Lektüre von mehr als 700 Seiten investiert hat!

Zehn Jahre Arbeit haben Monaldi & Sorti in ihr Werk investiert. Sie möchten offenbaren, welche Mühe sie sich gegeben haben. Viel Staub haben sie in zahlreichen Archiven geschluckt, sich durch meterdicke Stapel staubiger Uralt-Quellen gewühlt, obskure Hinweise kreuz und quer durch Europa verfolgt. Was sie teilweise herausgefunden, teilweise neu entdeckt haben, fließt beeindruckend in „Imprimatur“ ein. Dem eigentlichen Roman folgt indes eine fünfzigseitige wissenschaftliche Abhandlung, die das gerade Geschriebene noch einmal aufgreift und vertieft: Dem Autorenduo gönnt man seinen Triumph, aber es ist zu fürchten, dass die meisten historischen Laien diesen Abschnitt großzügig überspringen. Der skeptische Fachmann wiederum wird sich – die Autoren erwarten nichts anderes – wohl kaum dem Schluss anschließen, das letzte Wort zum Reizthema „Innozenz XI. – Held der Geschichte oder infamer Intrigant“ sei nunmehr gesprochen.

Was die Handlung lange an Wünschen offen lässt, kann die Figurenzeichnung jederzeit ausgleichen. Natürlich gehen die Autoren auch hier an sich schematisch vor: Cristofano ist nicht e i n Arzt, sondern d e r Arzt, d. h. der Modellmediziner für seine Epoche, der immer eine Gelegenheit findet, seine Zuhörer und damit uns, die Leser, über den Stand seiner Wissenschaft (die arg an mittelalterliche Magie erinnert) in Kenntnis zu setzen. Ähnliches gilt für die anderen Protagonisten; sie stellen Repräsentanten weiterer Schichten des ausgehenden 17. Jahrhunderts: Kleriker, Adliger, Künstler, Handwerker, Kurtisane etc. Was sie zu sagen haben, ist wie bereits erwähnt oftmals interessant, nicht selten jedoch abschweifend und langweilig. Vor allem trägt es kaum zur Handlung bei.

Das Schema durchbricht der (stets anonym) bleibende Hausbursche. Die Autoren formen ihn zum Wanderer zwischen den Welten bzw. Ständen, deren Grenzen er als Diener vieler Gäste und nun in der Quarantäne überschreiten kann. Dumm ist er keineswegs, sondern naiv und unerfahren. Das muss er auch sein, denn er mimt nach dem Willen des Autorenduos den „reinen Toren“, der staunend und ohne eigenes Verschulden in ein Abenteuer oder eine Krise gerät. Der Hausbursche vertritt den Leser/die Leserin, die in der Regel wenig Ahnung haben von der Welt des Jahres 1683. Gemeinsam mit ihm werden wir vom Autorenduo durch die übrigen Figuren informiert. Das funktioniert gut, nur manchmal wird dieses Muster ein wenig zu offensichtlich.

Gleichzeitig ist der Hausbursche der „Watson“ in einer Kriminalgeschichte. Von der Kriminalistik bzw. der Unterwelt der zeitgenössischen Geheimdienste versteht er ebenfalls nichts. Deshalb stellt er die dummen Fragen, die auch uns Lesern ständig auf der Zunge liegen. Geduldig werden sie beantwortet vom „Holmes“, hier verkörpert durch den Abbé Melani, der wie alle genialen Schnüffler gern und ausgiebig über seine Arbeit spricht. Auch hier ist Monaldi/Sorti ein farbenfroher Charakter geglückt – Melani ist nicht nur ein mit allen Wassern gewaschener Agent, dem man besser nicht zu viel Vertrauen schenkt, sondern auch ein genialer Sänger, den man zur „Konservierung“ seiner Singstimme in jungen Jahren entmannt hat; auch so eine seltsame Sitte der Vergangenheit, die uns die Autoren nahe bringen …

Der ständigen Unsicherheit darüber, welchem Bewohner/Insasse der Locanda eigentlich zu trauen ist (keinem nämlich), verdankt „Imprimatur“ einen Gutteil seines Unterhaltungswerks. Hier haben die Verfasser wirklich gute Arbeit geleistet. Die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß verschwimmen ständig. Die Bösen sind oft tragisch, ehrlich, witzig, die Guten berechnend, durchtrieben, undurchschaubar. Wie der arme Hausbursche bekommen wir einfach keinen festen Boden unter die Füße und reihen uns in die lange Reihe der „Besiegten“ ein, denen der Hausbursche seine Erinnerungen widmet.

Stets präsent, obwohl nur in wenigen Sätzen anwesend, ist Papst Innozenz, der letztlich alle seine Widersacher niederwirft oder schlicht überlebt. Er ist der wahre Bösewicht in diesem Spiel – ein hochintelligenter, aber skrupelloser Mann, der sein Amt um des eigenen Vorteils willen als Instrument seiner Macht- und Geldgier missbraucht und die Spuren seiner Schandtaten so perfekt zu verwischen weiß, dass spätere Generationen seine Heiligsprechung verlangen.

In diesem Zusammenhang stoßen Monaldi & Sorti selbstverständlich in das Horn der „Alles Böse kommt vom Vatikan“-Fraktion, das in den letzten Jahren von vielen anderen Unterhaltungsschriftstellern mehr oder weniger perfekt gespielt wird. Böse Päpste und uralte katholische Geheimbünde zur Unterdrückung biblischer „Wahrheiten“, die der Amtskirche missfallen, tummeln sich jederzeit in den Bestsellerlisten dieser Welt. Nie wird dieses Motiv freilich so perfekt mit historischen „Wahrheiten“ unterfüttert wie in „Imprimatur“. Diese Intrige ist wahrlich fast zu schön, um nicht wahr zu sein – eine bemerkenswerte Leistung, die den Verdruss über Längen in den ersten beiden Dritteln rasch und nachdrücklich vergessen macht!

Rita Monaldi und Francesco Sorti haben sich – thematisch angemessen ein wenig dramatisierend – in der Rahmenhandlung zu „Imprimatur“ selbst porträtiert: Ehemalige Studenten diverser Geisteswissenschaften sind sie, die sich irgendwann einen Brotjob gesucht haben und als Journalisten arbeiteten. Da die echte Liebe zur Geschichte freilich eine hartnäckige ist, haben sie ihre Forschungen in die Freizeit verlegt und schließlich mit dem Beruf verknüpft. Das Ergebnis angeblich zehnjähriger Aktivitäten in vielen Archiven und Bibliotheken (so der Klappentext) ist eben dieses „Imprimatur“ (sowie – eine so lange Zeit investiert man ungern für nur ein Buch – ein weiterer historischer Kriminalroman – „Secretum“, der sicherlich auch hierzulande bald erscheinen wird).

Morgan, Fidelis – Unnatural Fire

_Die Autorin_

Fidelis Morgan wurde durch einen Streich des Schicksals in einem roten Zigeunerwagen in der Nähe von Amesbury geboren. Wann dieses denkwürdige Ereignis exakt vor sich gegangen ist, ist anscheinend ein gut gehütetes Geheimnis, doch es muss wohl in den 50er Jahren gewesen sein. Sie ist als Tochter eines Zahnarzts im Raum Liverpool aufgewachsen und hat einen Abschluss in „Drama and Theatre Arts“ von der Birmingham University. Dort hat auch ihr Interesse an der Restaurationsperiode und insbesondere ihrem Theater seinen Ursprung genommen. Heute ist Fidelis Morgan eine recht erfolgreiche Schauspielerin. Obwohl sie auch in britischen Fernsehproduktionen wie u.a. „Jeeves & Wooster“, „Big Women“, „Mr. Majeika“, „As Time Goes by“ und „Dead Gorgeous“ aufgetreten ist, liegt ihr Erfolg doch hauptsächlich am Theater. Besonders gerühmt wurde ihre Arbeit am Glasgow Citizens Theater. Neben der Schauspielerei hat sie auch an der Adaption von Romanen für die Bühne mitgearbeitet. Bevor sie begann, historische Romane zu schreiben, hat sie bereits fachliche Abhandlungen über Theater und Schauspieler der Geschichte, insbesondere der Restaurations-Periode, veröffentlicht.

„Unnatural Fire“ war Fidelis Morgans erster Roman und zugleich ist er der erste Band einer Serie von vier historischen Kriminalromanen um zwei eher ungewöhnliche Detektivinnen. Die nachfolgenden drei sind: „The Rival Queens“, „The Ambitious Stepmother“ und „Fortunes Slave“. Weitere Bücher dieser Reihe scheinen momentan nicht geplant zu sein. Für alle, die sich nicht an die englische Originalausgabe trauen, ist unter dem Titel „Die Alchemie der Wünsche“ eine deutsche Übersetzung des hier behandelten ersten Teils erschienen (siehe unten).

_Alchemie und Mord_

Unsere Geschichte spielt im London des Jahres 1699: Anastasia Ashby de la Zouche, Baroness Penge und Countess of Clapham, eine ehemalige Geliebte von Charles II., durchlebt schwere Zeiten: Nicht nur, dass ihr betrügerischer Ehemann ihr mitsamt des Familiensilbers nach Amerika entwischt ist, außerdem plagen die Gräfin auch akute Geldsorgen. Fast alle versetzbaren Möbel ihres Hauses sind bereits verhökert und von den ehemals zahlreichen Dienern ist ihr nur noch der eher exzentrische, alte Godfrey geblieben. Dem Schuldturm entkommt sie nur noch, in dem sie ihre Gabe, Skandale auszuschnüffeln, einem Zeitungsverleger anbietet. Gemeinsam mit Alpiew, ihrer einstmaligen Kammerzofe, will sie nun für die Zeitung die Schmutzwäsche der Reichen und Bedeutsamen durchsuchen.

Doch eines Tages erscheint eine Dame, die Alpiew und die Gräfin anheuert, ihrem eigenen Mann nachzuspionieren, den sie verdächtigt, eine Geliebte zu haben. Die beiden folgen dem vermeintlich betrügerischen Ehemann Beau Wilson einen Tag lang und werden Zeuge, wie der Mann im übelsten Viertel der Stadt entführt wird, nur um am nächsten Tag vergnügt pfeifend wieder vor seiner eigenen Haustür zu stehen, als sei nichts passiert. Als sie ihm am zweiten Tag nachspionieren, trifft er tatsächlich mit einer Frau zusammen, von einem zärtlichen Stelldichein kann aber keine Rede sein, denn die Gräfin stolpert kurz darauf über seine Leiche und die Frau entkommt in das Dunkel der Nacht.

Als die Behörden die Ehefrau des Ermordeten festnehmen, bietet diese dem weiblichen Spürnasenteam eine reiche Entlohnung, wenn es Beweise ihrer Unschuld oder – noch besser – den wahren Mörder finden könnte.
Und damit beginnt die Schnitzeljagd der beiden unwahrscheinlichen „Detektivinnen“ durch das historische London, durch alchimistische Labore, Theater, französische Restaurants, Gefängnisse und dunkle Spelunken. Während für Mrs. Wilson im Gefängnis die Zeit immer knapper wird, können die Countess und Alpiew einige Ungereimheiten in Beau Wilsons Leben entdecken, und in einem alchimistischen Labor finden sie bald darauf das Hausmädchen Betty tot auf, deren Leiche im Dunkeln leuchtet. Und Bettys letzter Hinweis auf ihren Mörder ist die Zahl 33.

_Zwei alte Schachteln räumen auf_

Selten sind mir zwei außergewöhnlichere Hauptfiguren in einem historischen Roman untergekommen. Wer liest, die Hauptfiguren eines historischen Kriminalromans seien eine Gräfin und ihre Ex-Zofe, hat vermutlich – genau wie ich – instinktiv gewisse Vorstellungen von den beiden: jung, vermutlich ziemlich hübsch, aber keineswegs auf den Kopf gefallen. Nun, zumindest mit den ersten beiden Vermutung hat man weit gefehlt. Die Countess, die die 60 bereits seit einer geraumen Zeit überschritten hat, hat ein etwas heruntergekommenes Äußeres, ein faltiges Gesicht und die zerzauste rote Perücke rutscht ihr dauernd vom Kopf. Alpiew ist mit circa 40 auch nicht mehr taufrisch und ihr bestechendstes äußerliches Merkmal ist ihre im wahrsten Sinne des Wortes „herausragende“ Oberweite. Aber auf den Kopf gefallen sind sie denn nun wirklich nicht, und wenn sie auch nicht alles wissen, so beweisen sie doch immer wieder einen gesunden Verstand und zeigen sich vor allem stets aufs Neue „bauernschlau“.

Auch die sonst fast schon unvermeidlich erscheinende Liebesgeschichte, die schon so manchen guten Krimi auf Barbara-Cartland-Niveau heruntergezogen hat, hat sich Fidelis Morgan klugerweise gleich ganz gespart. Und Liebe beschränkt sich hier auf einen eher derben Quickie in einer Amtsstube. Allzu zimperlich sollte man als Leser nicht sein, und den einen oder anderen Kraftausdruck muss man hinnehmen, was mir aber für Zeit und Handlung eher realistisch erscheint.

Gräfin Anastasia und ihre Ex-Zofe Alpiew in ihrem etwas heruntergekommenen Zustand lassen sich in keine mir bekannte Schublade pressen. Fidelis Morgan hat hier wirklich etwas ganz Eigenes geschaffen, quasi eine völlig neues Romangenre, die barocke Krimikomödie. Das allein ist unbedingt bereits ein ungeheurer Verdienst, darüber hinaus fand ich aber auch den Schreibstil überaus lobenswert. Denn das Buch ist zwar sehr humorvoll, dabei aber kein bisschen flach. Die Personen sind allesamt tief gezeichnet und von hoher Originalität. Obwohl ich viel in diesem Genre lese, kann ich keinerlei Anleihen bei anderen Autoren feststellen.

Das verwendete Englisch lässt sich gut lesen und die Satzkonstruktionen sind nicht ausufernd, doch durch das historische Setting und die Thematik kommen schon mal ein paar Wörter vor, die dem Nicht-Muttersprachler vielleicht nicht bekannt sind und sich auch nicht im nächsten Taschenwörterbuch werden finden lassen, die Bedeutung ist aber stets durch den Kontext ersichtlich.

Der historische Hintergrund ist außergewöhnlich gut recherchiert und Frau Morgan hat ihr spezifisches Theater-Fachwissen an einigen Stellen sehr gut eingebracht, ohne auch nur ein einziges Mal schulmeisterlich zu wirken oder durch die dargestellte historische Detailliertheit die Geschichte selbst einzuengen.
Dies ist für mich eine eher ungewöhnliche historische Periode und hebt sich sehr angenehm von der Masse der sonstigen historischen Settings für Kriminalromane ab. Den sehr „barock“ wirkenden Hintergrund mit seinen gepuderten Perücken, Schönheitspflästerchen und den lockeren Sitten hinter einer oft steif wirkenden Fassade sowie die dieser Zeit angepasste Sprache von Fidelis Morgan muss man aber schon mögen, um diesem Buch etwas abgewinnen zu können. Da sie den historischen Hintergrund aber so lebendig zeichnet, dass er fast schon dreidimensional auf mich wirkt, fiel mir das erstaunlich leicht, auch wenn das nicht mein bevorzugtes Zeitalter ist.

Der Titel der deutschen Übersetzung „Die Alchemie der Wünsche“ ist etwas irreführend, denn wenn der alchimistische Wissensstand dieser Zeit auch Erwähnung findet, so bleibt dies doch eher eine Nebensache. Erwähnenswert ist es auch, dass der Nachbar der Gräfin, Isaac Newton, in dem Buch einen Gastauftritt hat und durch sein Wissen zur Lösung des Rätsels beitragen kann. Fraglich bleibt für mich aber, ob die deutsche Übersetzung es wohl geschafft hat, den sehr eigenen Humor des Buches angemessen rüberzubringen – auf alle Fälle eine Herausforderung für den Übersetzer.

Ein winziger Kritikpunkt findet sich vielleicht in dem kriminalistischen Plot, denn bei so viel Humor und Geschichte hat der Leser zu Beginn Mühe, auch noch Spannung zu empfinden. Nach Wilsons Mord, allerspätestens aber als Alpiew die leuchtende Leiche Bettys findet, ist es mit diesem Kritikpunkt vorbei und die Geschichte wird so spannend, wie sie als Krimi ja auch sein sollte. Dass am Ende zwei, drei kleinere Fäden der Geschichte ungelöst bleiben, ist ein Schönheitsfehler, den man dann gut verschmerzen kann. Auch gibt die Autorin dem Leser meiner Meinung nach an manchen Stellen zu viele Lösungshinweise, so dass wir Alpiew und der Gräfin hin und wieder bei der Lösung des Mordes einen halben Schritt voraus sind. Das nimmt dem Ganzen ein Quentchen Spannung, es passiert aber nicht allzu häufig.

_Fazit_

Endlich kann ich mal wieder ein Buch uneingeschränkt weiterempfehlen. Zwar ist „Unnatural Fire“ durch den späten Spannungseinsatz und eine begrenzte Vorhersehbarkeit nicht perfekt, aber diese kleineren Mängel werden für mich durch die sehr orginellen und sehr gut gezeichneten Protagonisten, einen interessanten Plot, ein ausgezeichnetes historisches Setting, den dicht gewobenen Schreibstil und die lobenswerte Recherchearbeit mehr als aufgewogen. Als historischer Krimi-Erstling ein wundervolles Buch, das neugierig auf die weiteren Bände dieser kleinen Serie macht.

Homepage der Autorin: http://www.fidelismorgan.com

_Deutsche Fassung als:_

[„Die Alchemie der Wünsche“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499233371/powermetalde-21
ISBN: 3499233371
|rororo| Dezember 2002
Erstausgabe bei |Wunderlich im Rowohlt| 2001

Louis L’Amour – Man nennt mich Hondo

LAmour Hondo Cover kleinDas geschieht:

Im Südwesten der Vereinigten Staaten ist das Leben der wenigen Siedler auf ihren einsamen Farmen hart. 1874 bricht der Große Weiße Vater in Washington wieder einmal einen Vertrag mit den Apachen. Unter ihrem Häuptling, dem charismatischen Vittorio, erheben sie sich. Die US-Kavallerie bekämpft sie, der Konflikt weitet sich zum Krieg aus. Wichtige Informationen transportiert Hondo Lane, ein Kurierreiter, als er auf dem Rückweg zum Stützpunkt von Indianern attackiert und verletzt wird.

Hondo flüchtet sich auf die Farm der Angie Lowe, die dort mit dem sechsjährigen Sohn ausharrt, nachdem sie von ihrem Ehemann, dem Spieler Ed, verlassen wurde. Zwischen Angie und ihrem Gast ist es Liebe auf den ersten Blick, doch selbst ein feiger Gatte rechtfertigt in dieser Zeit keinen Ehebruch. So reitet Hondo mit seinem Kampfhund Sam davon, um sich zurück ins Kampfgetümmel zu stürzen.

Angie lernt inzwischen Vittorio kennen, den die Tapferkeit von Mutter und Sohn beeindruckt. Er stellt Angie und Johnny unter seinen persönlichen Schutz; dies sehr zum Missfallen des grausamen Kriegers Silva, der Angie gern in sein Tipi zwingen würde. Er lauert auf seine Chance.

Hondo kann Angie nicht vergessen. Deshalb macht er sich auf den Weg zur Farm. Er wird verfolgt von Ed Lowe, der ihn zu töten gedenkt, um zu vertuschen, dass er seine Familie im Stich ließ. Hondo kann Lowe töten, wird dabei jedoch von den Indianern gefangen. Sie wollen ihn foltern und umbringen, aber Vittorio entdeckt, dass Hondo Angie und Johnny kennt. Er will den Gefangenen freilassen, doch Silva protestiert und fordert ein Duell auf Leben und Tod. Hondo kann es für sich entscheiden und schont Silvas Leben, der ihm nun ewige Rache schwört.

Auf der Lowe-Farm kann Hondo Angie überreden, mit ihm zu ziehen. Silva gedenkt nicht, seine Feinde entkommen zu lassen. Nachdem Vittorio im Kampf mit den Soldaten fällt, wird Silva Häuptling der Apachen und hat nun freie Hand. Im der Wildnis kommt es zum großen Entscheidungskampf …

Klassisches Dreieck im Wilden Westen

Ein großes Drama in kleinen Worten: „Hondo“ ist eine echte Überraschung; kein „Western“ im eigentlichen Sinn, sondern ein historischer Roman, der zufällig im Wilden Westen spielt. Die Handlung zieht den Leser sogleich in ihren Bann. Es gibt kaum pathetisches Gefasel („Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ o. ä.), keine dauerrauchenden Colts, mordlüsternen „Rothäute“, heldischen Cowboys oder hilflosen Frauen, die ständig gerettet werden müssen. Ein hartes Land lässt nüchterne, selbstbewusste Menschen entstehen, weil nur solche überleben können, so L‘Amours Fazit. Geschlecht oder Hautfarbe sind dabei nebensächlich. Indianer und Weiße sind sich ähnlicher, als ihnen das oft selbst bewusst ist. Hondo Lane weiß es: er ist die Schnittstelle zwischen Rot und Weiß, denn er kennt beide Seiten aus eigener Erfahrung.

„Hondo“ ist in einer trügerisch einfachen Sprache gehalten. Die Sätze sind kurz und prägnant, großartige Wortakrobatik bleibt außen vor. Das funktioniert in diesem Handlungsumfeld außerordentlich gut. L‘Amours Landschaftsbeschreibungen sind großartig und erinnern an die Bilder des Western-Regisseurs John Ford: Poesie ohne Furcht vor Sentimentalität. Dies blieb in der außerordentlich stimmigen deutschen Übersetzung (der Erstausgabe) erhalten. Über ein halbes Jahrhundert ist sie inzwischen alt und liest sich weiterhin ausgezeichnet.

Das Land und seine Leute

Die typischen L‘Amour-Helden sind rechtschaffen aber wehrhaft, die Frauen stolz und schön, die Schurken böse und garantiert spätestens im Finale tot, zürnt die strenge Kritik. Mag sein, dass sich der Verfasser im Laufe seiner langen Karriere ein wenig zu schwer auf vertraute Muster und Klischees gestützt hat. In „Hondo“ macht sich das nicht negativ bemerkbar, zumal vermutlich die meisten (deutschen) Leser heutzutage gar keine anderen L‘Amour-Werke mehr kennen.

Außerdem irritieren angesichts der oben erwähnten Kritik immer wieder erstaunlich ‚menschliche‘ Anwandlungen, die sogar den ehrlosen Ed Lowe regelmäßig befallen. Ihn treibt nicht nur der Hass auf Hondo, sondern auch die Angst, als Feigling erkannt zu werden – ein Schlag, der seinen Ruf ruinieren würde. Als Spieler, der darüber hinaus seine Familie im Stich ließ, muss Lowe zwar moralisch Federn lassen, kann sich aber noch blicken lassen. Doch Feigheit hat Ehrverlust zur Folge und ist ein gesellschaftliches Todesurteil. Um dies zu vermeiden, will Lowe sogar zum Mörder werden.

Hinzu kommt Selbsthass, denn natürlich vergleicht nicht nur Angie zwischen dem gleichermaßen engagierten wie pflichtbewussten Hondo und dem ihr angetrauten Ed. Lowe weiß, dass er schlecht abschneidet, was seinen Zorn noch steigert. Solche Ambivalenz, die dem menschlichen Wesen eigen ist, würde man in einem Unterhaltungs-Western eigentlich nicht erwarten.

Die zerstörerische Kraft der Tradition

L’Amour geht noch mehr als einen Schritt weiter: In den 1950er Jahren lag die filmische ‚Rehabilitierung‘ der US-amerikanischen Ureinwohner in der Zukunft. (Man durfte sie sogar noch „Indianer“ nennen.) Weiterhin galten sie neben Staubstürmen oder Dürren als Katastrophe, mit der die Natur den wackeren weißen Mann = Pionier prüfte. Meist blieben sie namen- und gesichtslose Horden, die reihenweise von ihren Pferden geschossen wurden; ansonsten galt es, weiße Frauen vor „einem Schicksal schlimmer als der Tod“ zu retten; das zeitgenössische Publikum, wusste, was gemeint war, und konnte es sich nach eigenem Belieben ausmalen.

Auch das ähnlich verfälschende Gegenbild war schon bekannt: Auf den „edlen Wilden“, eine Ausnahmegestalt unter seinesgleichen, wurde projiziert, was der weiße Gutmensch in Sachen unverfälschter Natürlichkeit vermisste. Tatsächlich waren die Ureinwohner Menschen in einer Umwelt, an die sie sich angepasst hatten. Das machte sie weder ‚besser‘ noch ‚schlechter‘ als die ins Land drängenden Siedler. Der kluge Blick in eine (womöglich gemeinsame) Zukunft oder guter Wille waren auf beiden Seiten ebenso verbreitet wie Vorurteile oder Gewaltlust.

Diese Eigenschaften lässt L’Amour durch seine Hauptfiguren verkörpern, wobei Hondo und Vittorio für die Versöhnung über Grenzen, Ed Lowe und Silva für den kleinlichen Hass stehen. Ebenso klug wie nüchtern entscheidet Angie für sich und ihren Sohn: Sie wird Hondo folgen und an seiner Seite nicht nur überleben, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit ihr Glück finden. Was nach einem typischen Happy-end klingt, wird bei L’Amour ohne Seifenoper-Sentimentalität geschildert und rundet eine bemerkenswerte Geschichte nachdrücklich ab.

„Hondo“ – der Film

„Hondo“ ist die Romanfassung der Kurzgeschichte „The Gift of Cochise“, die L‘Amour 1953 veröffentlichte. Sie erregte das Interesse Hollywoods und wurde noch im selben Jahr verfilmt. Die Titelrolle spielte niemand Geringerer als John Wayne. Unter der Regie von John Farrow bot er – sogar in 3D – eine der vielen Glanzleistungen seiner Karriere. „Hondo“, der Film, wurde ein Klassiker des Western-Kinos. Louis L‘Amour schrieb (nach dem Drehbuch von James Edward Grant) den Roman dazu selbst und schuf einen der ganz großen Erfolge seiner eindrucksvollen Karriere.

1967 entstand die erfolglose, nach 17 Episoden eingestellte TV-Serie „Hondo“ mit Ralph Taeger in der Titelrolle. Für den internationalen Markt wurde daraus ein Film („Hondo und die Apatchen“) montiert, der im Kino ausgewertet werden konnte.

Autor

Louis L’Amour (1908-1988) wurde in Jamestown, North Dakota, als Louis Dearborn LaMoore geboren. Seine Eltern lasen gern und viel und hielten auch ihren Sohn dazu an. Der junge Louis begeisterte sich für Geschichten über die frühen Siedler und Pioniere, aber auch über die indianischen Ureinwohner.

L‘Amours Lebensgeschichte klingt fast zu schön, um wahr zu sein, ist aber belegt. Er versuchte sich als Boxer, Seemann, Elefantenhändler usw. und bereiste die ganze Welt. In den 1930er Jahren kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück. An der „University of Oklahoma“ belegte er Kurse für kreatives Schreiben. 1935 veröffentlichte er sein erstes Werk, eine Gangstergeschichte, 1939 „Smoke from This Altar“, eine Gedichtsammlung (!).

Im II. Weltkrieg kämpfte L‘Amour als Panzerfahrer in Frankreich und Deutschland. Nach seiner Rückkehr in die USA siedelte er nach Los Angeles um und schrieb ab 1946 Western-Stories für Magazine. 1950 folgte mit „Westward the Tide“ ein erster Roman, der allerdings nur in Großbritannien erschien. Im folgenden Jahr kam in den USA L‘Amours US-Debüt mit einem Band der „Hopalong Cassidy“-Serie („H. C. and the Riders of High Rock“); dies allerdings unter dem Pseudonym Tex Burns.

L‘Amour war nicht nur ein fleißiger (er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Jim Mayo), sondern auch ein beliebter Autor, der keineswegs nur Western, sondern auch Seefahrergeschichten („Sitka“, 1957), Thriller („The Last of the Breed“, 1986), Historien-Spektakel („The Walking Drum“, 1984) oder Sachbücher („Frontier“, 1984) schrieb. Angeblich verkaufte er 225 Millionen Exemplare seiner mehr als 100 Bücher, was ihn zum dritterfolgreichsten Schriftsteller aller Zeiten machen würde. Sicher ist, dass L‘Amour-Bücher die Vorlage für etwa 30 Filme lieferten, die meist der B-Kategorie zuzuordnen sind.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: Hondo (New York : Fawcett Publications, Inc. 1953)
Übersetzung: Hansheinz Werner (bearbeitet von Werner Gronwald)

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 2,00 von 5)

Helga Glaesener – Die Safranhändlerin

Trier im frühen Mittelalter:

Wir schreiben das Jahr 1327. Marcella Bonifaz, Nichte des Trierer Schöffenmeisters ist eine junge Frau, die sich von niemandem etwas vormachen lässt. Sie ist Krämerin und handelt mit Gewürzen und Farbstoffen – und das in einer Zeit, in welcher der Handel eine Männerdomäne ist. Als sie günstig an toskanischen Safran kommt, schlägt sie zu und investiert fast ihr ganzes Vermögen. Doch der Wagenzug, der den kostbaren Safran liefern soll, wird überfallen und Marcella steht beinahe vor dem finanziellen Ruin. Eine Möglichkeit, allen Sorgen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, wäre es, endlich den Heiratsantrag des reichen Händlers Jacob Wolff anzunehmen. Doch Marcella will nicht heiraten – nicht nur Jacob nicht, sondern überhaupt nicht.

Helga Glaesener – Die Safranhändlerin weiterlesen

Lorentz, Iny – Kastratin, Die

_Zwei Autoren unter einem Namen_

Die aus Köln stammende Iny Lorentz, die heute als Programmiererin für eine Münchner Versicherung arbeitet, hatte vor dem Erscheinen ihres Buchs „Die Kastratin“ bereits einige Kurzgeschichten veröffentlicht, teilweise gemeinsam mit ihrem Mann Elmar, der auch an ihren historischen Romanen aktiv mitgewirkt hat, wenn er auch keine namentliche Erwähnung findet. Nach dem großen Erfolg des hier behandelten Buch, das ihr erster veröffentlichter historischer Roman war, sind von ihr bereits weitere historische Romane erschienen: „Die Wanderhure“ und „Die Goldhändlerin“. „Die Tartarin“ sowie „Die Kastellanin“ (eine Fortsetzung der „Wanderhure“) erscheinen im Laufe des Jahres 2005.

_Die Frau als Mann_

Die Geschichte führt den Leser in die Zeit der italienischen Renaissance. Zur Unzeit, direkt vor einer bedeutenden kirchlichen Feier, fällt in einer kleinen italienischen Gemeinde der Solist unter den Chorknaben aus, da er vorzeitig in den Stimmbruch kommt. Der Kapellmeister und der Chorleiter wählen in ihrer Not Giulia, die elfjährige Tochter des Kapellmeisters, als Ersatz aus. Ein großes Risiko, denn Frauen ist das Singen kirchlicher Musik verboten. Giulia wird daher kurzerhand als Junge verkleidet. Die prominenten Besucher des Festes sind jedoch so begeistert von dem Gesang des vermeintlichen Chorknaben, dass sie ihn unter ihre Fittiche nehmen und kastrieren lassen wollen, eine Entdeckung der Täuschung wäre unvermeidlich. Daher flieht der Kapellmeister mit seiner Tochter und zwei Dienstboten und zieht fortan durch die Lande. Als sich einige Jahre später jedoch die Geldnot einstellt, greift er den Gedanken von damals wieder auf und gibt Giulia unter falschem Namen als Giulio Casamonte, seinen kastrierten Sohn, aus und lässt diese mit ihrer unvergleichlichen Stimme seinen eigenen dekadenten Lebenswandel bestreiten.

Giulia muss fortan ständig mit Entdeckung rechnen, in welchem Fall ihr mit ziemlicher Sicherheit der Scheiterhaufen droht. Ihre folgende Sänger-Karriere führt sie bis an den Papstsitz in Rom, wo sie Pius IV. auffällt, der sie an den Hof des Kaisers Maximillian II. nach Wien sendet. Giulia wird in Wien ungewollt in die Feindseligkeiten zwischen der katholischen Kirche und den lutherischen Reformisten verwickelt. Als ihr Diener dort erkrankt, erkennt sie, dass sie nur ein Spielball der Mächtigen ist und über ihre eigene Zukunft kaum mehr Entscheidungsgewalt verfügt. Eine weitere Komplikation ergibt sich, als ihr immer mehr bewusst wird, dass sie sich in ihren Begleiter Vincenzo de la Torre verliebt hat und er sich in sie, doch er hält sie für einen Kastraten und beide werden der Sodomie verdächtigt. Als dann auch noch der stimmbrüchige, mittlerweile erwachsene Chorknabe von damals Giulia bei den päpstlichen Behörden verpfeift, ziehen sich die Schlingen des Schicksals über Giulia und Vincenzo zusammen.

_Von Nichtmännern und Singvögeln_

In „Die Kastratin“ zeichnet Iny Lorentz ein lebendig wirkendes Bild der Renaissance. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte Giulias und ihr Leben als vermeintlicher Kastratensänger.
Die Sprache ist in einem pseudo-ältlichen Stil gehalten, der mir persönlich zwar weniger liegt, dem ich jedoch zugestehen muss, dass er gerade für die Zeit der Renaissance sehr gut passt. Die etwas ausschweifende, beschreibungsfreudige Erzählweise der Autorin kann die üppige Lebenspracht der Reichen und die im Gegensatz dazu stehende Lebenskargheit der Armen recht gut vermitteln.

Dennoch fallen mir ein paar ältliche Formulierungen wie „Verschnittener“, „Nichtmann“ etc. stellenweise unangenehm auf und stören den Lesefluss, obwohl ich mir bewusst bin, daß diese Störung ein Fabrikat meiner modernen Wahrnehmung ist. Gesang in einem Buch zu beschreiben, stelle ich mir sehr schwierig vor. Die Autorin scheint das ähnlich zu sehen, denn an den meisten Stellen, wenn Giulia singt, klinkt sie sich geschickt aber eben dennoch nicht unauffällig aus dem Geschehen aus. Es ertönt der erste Ton und Giulia und ihre Zuhörer werden in eine andere Welt entrückt, um mit dem Verklingen des letzten Tons erst wieder auf unserem Planeten zu landen. Was genau ihren Gesang so besonders macht, habe ich bis zuletzt nicht verstanden. Etwas störend fand ich auch, dass Giulia etwa alle zehn Seiten „singt, so schön wie noch nie zuvor“, diese ständige Wiederholung wirkt mit der Zeit zwangsweise unglaubwürdig.

Die unvermeidliche Liebesgeschichte der verkleideten Frau, die sich in einen Mann verliebt, und des Mannes, der verwirrt ist, weil er sich zu einem vermeintlichen Mann (oder in diesem Fall eben einem Eunuchen) hingezogen fühlt, ist ja nun bei weitem nicht neu und beinahe schon etwas ausgeleiert. Andererseits ist das ein Plot, der mir schon immer gut gefallen hat. Iny Lorentz stellt diese Gefühlswelt recht gut dar; ob es als Szenario realistisch ist, sei mal dahingestellt.

Sehr gut dargestellt finde ich jedoch den Gefühlszwiespalt Giulias/Giulios. Sie ist in die Rolle des Kastraten hineingezwungen worden und wäre lieber die Frau, die sie eigentlich ist. Andererseits wäre es dann vorbei mit dem Singen, das der Inhalt ihres Lebens ist, und ihrem Drang nach dem Singen kann sie nicht widerstehen. Über dem Waschtrog ein Wiegenliedchen zu trällern, reicht ihrem Ehrgeiz einfach nicht, sie will vor Publikum kirchliche Werke schmettern und mit ihrem hohen F das Kristall adliger Herren zerdeppern (übrigens ein Mythos: Die menschliche Stimme ist zu derlei nicht imstande).

Der historische Hintergrund ist gut gezeichnet, ohne dass sich die Autorin zu viel Freiheit den historischen Verhältnissen gegenüber herausnimmt. Dem Leser begegnen einige historische Persönlichkeiten wie Galileo Galilei (noch im Krabbelkindalter) und seine Eltern, Papst Pius IV., Maximilian der II. etc. Die historische Korrektheit eines Buches dieser Klasse steht für mich selbst allerdings auch nicht an erster Stelle, es genügt mir zu wissen, dass der geschichtliche Hintergrund halbwegs glaubhaft dargestellt ist – und das ist hier allemal der Fall.

Nachdem sich das Buch über den größten Teil recht weitläufig hinzieht, erscheint dann plötzlich das Ende so abrupt, dass es wie ein Stilbruch wirkt. Und nicht nur das – es wirkt auch sehr konstruiert und nicht sonderlich überzeugend. Es bleiben ein paar ungelöste Fäden der Geschichte (wie der Verbleib des Vaters), die mich unwillkürlich an eine Fortsetzung denken lassen. Die Geschichte ist – man möge mich nicht falsch verstehen – jedoch in sich abgeschlossen.

Ansonsten muss man für ein Buch dieser Dicke und Erzählfülle nur relativ wenige Längen in Kauf nehmen. Andererseits treibt uns die Spannung aber auch nicht wirklich voran, doch darum geht es meiner Meinung nach auch nicht. Das einzige große Element, das wirklich Spannung erzeugt, ist die Angst Giulias vor einer Entdeckung und dem, was unweigerlich darauf folgen müsste.

Mit „Die Kastratin“ legte Iny Lorentz einen gelungenen ersten historischen Roman vor. Die Story ist gefühlvoll geschrieben, das historische Setting interessant. Einige kleinere Mängel sind für mich die ältlich angehauchte Sprache mit ihren teilweise sehr gewöhnungsbedürftigen Formulierungen und ein dahingehastetes Ende, insgesamt aber ein empfehlenswertes Buch.

http://www.delia-online.de/iny_lorenz.htm

Armstrong, Tim J. – Kelch der Könige, Der

Nachdem Tim J. Armstrongs Erstlingswerk „Die Bruderschaft“ in Großbritannien mit dem begehrten |Author’s Club First Novel Award| ausgezeichnet wurde, durften die Erwartungen an sein zweites Buch „Der Kelch der Könige“ hoch sein.

Dieses zweite Werk des Autors führt uns ebenfalls ins Mittelalter: Man schreibt das Jahr 1261, als Wilfridus, Kurat eines kleines Dorfes in der englischen Grafschaft Kent, im Rahmen der Untersuchungen des Dominikaner-Ordens seine Erlebnisse des Jahres 1235 niederschreibt. Zu dieser Zeit – als er selbst noch ein junger Dominikaner war – hat er als Adlatus und Schreiber seinem Mentor Thomas dabei geholfen, Beweise gegen die deutsche Adlige Cäcilia, die unter Verdacht der Ketzerei steht, zu sammeln.
So hören die beiden nahezu Tag für Tag die Lebensgeschichte einer bemerkenswerten Frau, die in ihrer Jugend mit Walter von der Ouwe (uns heute bekannt als Walther von der Vogelweide) von ritterlichen Idealen und der Minne geträumt hat, die Nonne war, eine Visionärin und auch Ehefrau und Mutter.
Doch um diese Untersuchung herum steht die Welt nicht still. In einem Templerorden geschehen mehrere Morde. Ein Prior gräbt nachts in der Kapelle einen Kelch aus, dessen Intarsien-Steine einem kabbalistischen System folgen. Ein Jude mit finanziellen Kontakten zum Königshof und einem Alchemisten-Keller wird verhaftet. Und Bruder Thomas erhält Drohungen und kurz darauf verschwinden seine Geliebte und seine Kinder. Und immer wieder wird klar, dass ein Zusammenhang besteht zwischen all diesen Ereignissen und ihren Untersuchungen der Domna Cäcila. Doch worin genau besteht dieser Zusammenhang? Und warum liegt jemandem so viel daran, dass Cäcilia als Ketzerin verbrannt wird?

Der Autor greift viele wichtige Themen jener Zeit auf: Es geht um Minnesang, Religionen und Ketzertum, Kabbala und Alchemie. Damit bezieht er nicht nur eine dieser komplexen Thematiken in seine Geschichte ein, sondern gleich mehrere. Und das wird auf den Kreis der Leser, die überwiegend nicht in allen diesen Gebieten vorgebildet sein werden, verwirrend wirken. Zwar geht Armstrong auf einige Themen – insbesondere den Glauben der Katharer – sehr gründlich ein und erklärt sie gut verständlich, andere sehr komplexe Themen, wie insbesondere die Kabbala, werden aber ohne weitere Erläuterung eingebracht und ihre Bedeutung – auch für den Sinn der Geschichte – bleibt dem Leser zu einem großen Teil ein Rätsel. Ebenso fühlt sich der Leser mit dem Ende, das – obwohl nicht offen – doch viele Fragen stehen lässt, etwas im Stich gelassen.
Auch die Teilung der Geschichte in drei verschiedene Handlungszeiträume (die Zeit, in der Wilfridus die Geschichte niederschreibt, die Zeit der Untersuchung an Domna Cäcilia und als dritte Zeitspanne die Lebensgeschichte der Domna Cäcilia) trägt dann nicht gerade zur Verständniserleichterung bei.
Der geschichtliche Hintergrund ist jedoch für einen historischen Kriminalroman, der primär ein Unterhaltungswerk sein soll, mehr als hinreichend recherchiert und überzeugend dargestellt. Der Autor gibt sich hier keine erkennbare Blöße und zeichnet im Gegenteil ein breit angelegtes Bild des Mittelalters in verschiedenen Ländern auf eine glaubhaft erscheinende Weise mit der genau richtigen Mischung aus erfundener, aber „zeitgemäßer“ Geschichte und realistisch erscheinendem zeitlichen Rahmen.
Durch den verwendeten Erzählstil des Rückblicks werden von Beginn an gewisse Andeutungen zum Verlauf der Geschichte gegeben. Das weckt an einigen Stellen die Neugierde auf den Verlauf der Geschichte, andererseits werden dadurch auch gewisse Ereignispunkte vorab ungeschickt und spannungshinderlich enthüllt.

Die deutsche Übersetzung liest sich für ein Buch, das in diesem Zeitrahmen spielt, angenehm flüssig. Autor und Übersetzer haben hier ganze Arbeit geleistet. Die Sprache klingt ungekünstelt und zurückhaltend neutral, so dass die Geschichte selbst umso mehr in den Vordergrund rücken kann. Es sind auch nur wenige lateinische und religiöse Wörter eingeflochten, deren Bedeutungen einem halbwegs interessierten Leser nicht sofort klar sind.

Zwar handelt es sich bei „Der Kelch der Könige“ um mehr als einen reinen historischen Kriminalroman, der Krimianteil überwiegt aber knapp. Mit „Der Kelch der Könige“ hat Armstrong ein gutes Buch vorgelegt, das von der ersten bis zur letzten Seite spannend ist. Die Verstrickung der Personen und Ereignisse untereinander nehmen den Leser gefangen und katalpultieren ihn zugleich in eine andere Zeit. Auch die schrittweise Lösung des Falls durch Wilfridus und Thomas ist spannend beschrieben, das Ende des Buches jedoch eine regelrechte Antiklimax mit einer Menge offener Fragen; der Aha-Effekt bleibt fast vollständig aus.
Punktabzug in der B-Note erhält das Buch für die Erzähl-Figur des Wilfridus. Auch nach 383 Seiten „seiner“ Erzählung bleibt er für den Leser eine unbekannte Größe, während andere Personen – allen voran Cäcilia, Walter von der Ouwe und Bruder Thomas zu den wahren Hauptpersonen des Buches aufsteigen. Ebenfalls als kleines Minus müssen ein Zuviel des Buches an mystischem Inhalt und ähnlichem Gedankengut sowie eine Anzahl offener Fragen nach Ende des Buches verbucht werden. Statt Templer, Judentum, Musiktheorie, Katharer, Katholiken, Kabbala, Minnesang und Alchemie der Reihe nach in teilweise unbefriedigender Weise abzuhandeln, hätte der Autor einige dieser Thematiken streichen und sich den verbleibenden etwas intensiver widmen sollen. Insgesamt ist Armstrong aber trotz der genannten Kritikpunkte ein guter, spannender und teilweise auch bewegender Mix aus historischem Roman und Mystery-Krimi gelungen.

Mossé, Claude – Alexander der Große. Leben und Legende

Der Makedonenkönig Alexander der Große aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. gehört zu jenen Gestalten der Antike, nach deren Taten die Welt ein ganz anderes Anlitz zeigte. Um es ein wenig überzogen zu sagen: Vor dem Auftreten Alexanders gab es Griechen und Barbaren, nach dem Auftreten Alexanders nur noch Hellenen. Seine Feldzüge schoben den Wirkungsbereich der griechischen Kultur bis weit nach Asien und schließlich Indien hinein. War für die alten Griechen vorher alles Nichtgriechische fremdartig und ohne Übergang abgegrenzt von der eigenen Identität gewesen, so boten die Diadochenreiche, die nach dem Tod Alexanders von dessen Eroberungen übrig blieben, das Bild manigfach gemischter Bevölkerungen. Ägypten, welches schon lange vorher – wie uns Herodot, der Geschichtschreiber des 5. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt – ein bewundertes Vorbild und einen großen Einfluss darstellte, kam nun selbst an ein griechisches Herrschergeschlecht, das der ehemalige General (griech.: |strategos|) Alexanders Ptolemaios I. hier begründen konnte. Das riesige Perserreich, welches ehemals die griechischen Städtebünde regelmäßig besiegte und viele asiatische Griechenstädte unter seiner Herrschaft hatte, zerfiel erstaunlich schnell im Laufe von nur zehn Jahren vor dem Ansturm des jungen Eroberers. Nach seinem frühen Tod im dreiunddreißigsten Lebensalter wurde er schon bald zur Legende und bis zu Napoleon ein geradezu mythisches Vorbild, das dem eigenen Streben so vieler Machthaber ein glanzvolles Gepränge geben konnte.

Aus diesem Grunde nennt die französische Professorin für Alte Geschichte an der Pariser Universität Claude Mossé ihr Buch im Untertitel „Leben und Legende“ (franz.: la destinèe d’un mythe). Sie wählt nicht die Form einer chronologischen Biographie, sondern versucht mit einem komplexeren Zugriff, der faszinierenden Gestalt des Makedonen gerecht zu werden. Der Ablauf der Ereignisse bleibt hier einem Kapitel unter anderen vorbehalten. Wir werden außerdem ausführlich mit den Nachwirkungen der Feldzüge Alexanders und mit seinem Nachleben in der Überlieferung bekannt gemacht. Insofern erfährt der Leser eine regelrechte Einweihung in die Probleme der modernen Forschung, die durch die Quellenlage und die historischen Zusammenhänge aufgeworfen werden. Denn im Grunde besitzen wir nur Quellen aus späteren Jahrhunderten über das Leben Alexanders, die auf einer schon bestehenden Überlieferung aufbauten. Claude Mossé macht also nicht nur mit dem Menschen Alexander, sondern auch mit dem geschichtlich wirksam gebliebenen und daher bislang „unsterblichen“ Phänomen Alexander bekannt. Wie aktuell diese Figur noch zu sein scheint, zeigt ja auch die jüngste Verfilmung seines Lebens durch Hollywood-Regisseur Oliver Stone.

Das vorliegende Buch steht in direkter Konkurrenz zur Neuübersetzung der Alexander-Biographie des Engländers Robin Lane Fox, die im Verlag |Klett-Cotta| erschienen ist. Durch den völlig anderen Zugriff der französischen Professorin aber bleiben beide Bücher für den geschichtlich interessierten Leser wertvoll und ergänzen einander. Wer wirklich in das Thema einsteigen will, wird zweimal in den Geldbeutel greifen müssen.

Damit ist bereits gesagt, dass Claude Mossé mit diesem Buch eine gelungene Arbeit vorgelegt hat. In klarer, sachlicher, aber nie zu schal wirkender Sprache führt sie uns in die Tiefen der historischen Erscheinung des jungen Welteroberers. Viele Wege führen nicht nur nach Rom, sondern in diesem Fall auch in ein Kapitel altgriechischer Geschichte, das mit anderen Mittelmeerkulturen eng verknüpft ist. Jeder Weg wird in einem für sich abgeschlossenen Teil beschritten. Die Richtung dieser Wege sei an dieser Stelle kurz beschrieben. Der zweite und der vierte Teil bilden dabei die Herzstücke des Buches.

_Der erste Teil: Die Etappen der Herrschaft Alexanders des Großen_
Hier bietet die Autorin den schon erwähnten biographischen Überblick. Ausgehend von der Situation in der Mittelmeerwelt im 4. Jahrhundert v. Chr. berichtet sie von den Schwierigkeiten, die Alexander nach der Ermordung seines Vaters Philipp II. mit den anderen Griechenstädten hatte und wie er dennoch einen vereinigten Feldzug gegen Persien erzwang. Er beendete die Herrschaft des persischen Geschlechtes der Achämeniden, eroberte ganz Kleinasien und Ägypten, brachte die östlichen Satrapien des Perserreiches unter seine Kontrolle, errichtete in Indien Machtzentren und zog schließlich triumphal in Babylon ein.
Nach der Einnahme einer Mahlzeit fühlte er sich nicht wohl, ging in sein Zelt und starb eines schnellen Todes. Es konnte nie geklärt werden, ob die Verdächtigung zu Recht bestand, dass ihn Antipater, sein Verwalter in Makedonien, hatte vergiften lassen, weil er die Ostpolitik des Königs missbilligte.

_Der zweite Teil: Die unterschiedlichen „Rollen“ Alexanders des Großen_
In der komplexen Gestalt des Makedonenkönigs vereinigten sich unterschiedliche „Rollen“, die er auf den historisch bedeutsamen „Bühnen“ seiner Zeit vor verschiedenstem Publikum „spielte“. „Spielte“ muss hier unbedingt in Anführungszeichen stehen, denn Alexander handelte dabei nicht vorrangig aus strategisch-politischen Erwägungen heraus, sondern war selbst ganz eingelassen und identifiziert mit diesen Formen seines Auftretens. Als König der Makedonen hatte er eine „Rolle“ inne, die ihn einer Einheit aus traditionellen Sitten und Bräuchen der Makedonen verpflichtete. Genau in jenem Moment, als er begann, diesen Traditionsrahmen zu überschreiten, kam es zum Eklat mit seinen makedonischen Kriegern.

Durch die immer stärker werdende Integration persischer Krieger in seine Armee, die gleichzeitig immer höhere militärische Ränge bekleideten, zog er sich den Unmut seiner Makedonen zu. Die Gefahr des drohenden Bruches mit diesem Teil seiner Armee wurde noch dadurch verschärft, dass er auch von den Griechen die Proskynese verlangte – eine orientalische Sitte, die das Niederwerfen auf den Boden vor dem König forderte. Im Laufe dieser Streitigkeiten tötete Alexander mehrere langjährige Freunde und Befehlshaber. Diese Untaten führten dazu, dass schon einige antike Schriftsteller ihn vorrangig als „Raufbold“ und Säufer darstellten.

In seiner „Rolle“ als |hegemon| der Griechen befehligte er den Korinthischen Bund, in dem die meisten Griechenstädte vereinigt waren. Dieser Bund hatte sich zum Ziel gesetzt, die griechischen Städte in Kleinasien aus persischer Vorherrschaft zu befreien – ein Ziel, das Alexander schon bald am Anfang seines Feldzuges erreichte. Als |hegemon| fühlte er sich aber auch dem Vorbild der alten Heroen verpflichtet, mit deren Taten er durch seine begeisterte Lektüre der Epen Homers schon in früher Jugend bekannt geworden war. Davon zeugen die zahlreichen Städtegründungen, die er nach mythischem Vorbild vornehmen ließ und die in erster Linie mit Griechen bevölkert wurden. Von den fernen Plätzen seines Wirkens schickte er Boten nach Griechenland, die seine Befehle den dortigen |poleis| ausrichten sollten und verlangte eine göttliche Verehrung, was teilweise nicht auf die Begeisterung der griechischen Stadtbewohner stieß. Die Spartaner ließen allerdings lakonisch verlauten: „Wenn Alexander will, soll er ein Gott sein!“

Da die Herrschaft im Perserreich nun in seinen Händen lag, musste er die „Rolle“ eines Nachfolgers der Achämenidenkönige übernehmen. Alexander behielt als kluger Feldherr natürlich den Großteil der Verwaltungen bei, die er in den besetzten Gebieten vorfand. So setzte er meist einheimische Satrapen als Verwalter ein und errichtete in den jeweiligen Städten nur eine makedonische Kaserne als Kontrollinstanz. Er erhob Tribute, tastete aber die Regierungsformen und Sitten der Einheimischen nur in Ausnahmefällen an.

Eine wichtige „Rolle“ Alexanders war die seiner Gottsohnschaft. Von ihr zeugen noch die Widderhörner am Kopf Alexanders auf vielen Darstellungen bis ins Mittelalter hinein. Alexander erschien als der Sohn des Gottes Zeus Ammon, in dem sich der griechische oberste Gott Zeus mit dem ägyptischen Sonnengott Amun zu einer Einheit verband. Letzterer konnte als Mann mit einem Widderkopf dargestellt werden und daher waren Alexanders Hörner ein Attribut dieses Gottes. In der ägyptischen Oase Siwa erhielt Alexander von dem dortigen berühmten Orakel die Bestätigung dafür, dass er über die Perser siegen werde sowie die Offenbarung seiner Gotteskindschaft. Da die Makedonen sich von Alters her als Nachkommen des vergöttlichten Heros Herakles verstanden, war Alexander seitdem gewissermaßen doppelt mythisch legitimiert. Für Alexander besaß diese Verbindung mit Zeus Ammon eine große persönliche Wichtigkeit, was sich schon daran sehen lässt, dass seine Soldaten einmal mürrisch verkündeten, er brauche sie offensichtlich nicht und solle doch mit seinem göttlichen Vater alleine siegen. Claude Mossé geht in diesem Zusammenhang auf die Tradition der Heroenverehrung in Griechenland ein, in der auch Alexander fest verwurzelt war.

_Der dritte Teil: Der Mensch Alexander_
Für die Nachzeichnung des Charakters von Alexander hält sich die Autorin hier an den vertrauenswürdigsten Führer – an den Philosophen und Historiker Plutarch, der allerdings vier Jahrhunderte später zur Zeit Caesars lebte. Der Leser findet in diesem Teil ein Kapitel über die Erziehung und Kindheit Alexanders, in dem auch sein Lehrer, der berühmte Philosoph Aristoteles, eine Rolle spielt.
Ein weiteres Kapitel berichtet über die Eigenschaften, die Alexanders Persönlichkeit in den Quellen am häufigsten zugeschrieben wurden. Diese reichen von den Feldherrntugenden wie Mut und einer geradezu sagenhaften Großzügigkeit über seine Vorliebe für die Philosophie bis zu den Schattenseiten Alexanders, die vor allem am Ende seiner Feldzüge zutage traten. Beispielsweise konnte seine ansonsten vorbildlich geübte Selbstbeherrschung später in den brutalsten Jähzorn umschlagen.

_Der vierte Teil: Das Erbe Alexanders_
Die eigentliche historische Bedeutung Alexanders geht darauf zurück, dass seine Herrschaft „einen radikalen Bruch in der Entwicklung des östlichen Mittelmeerraumes bedeutete“ (S. 131). Frau Mossé schreibt weiter: „Bevor er die geschichtliche Bühne betrat, bestanden auf der östlichen Seite der Ägäis das riesige Perserreich und auf der westlichen viele griechische |poleis|. Unter ihnen ragten einige Städte heraus, die einen Grad der Zivilisation erreicht hatten, der in den Augen der damaligen Griechen als das direkte Gegenteil des barbarischen ‚Despotismus‘ erschien. Dies waren Städte, die sich nach – zugegeben – unterschiedlichen Maßstäben und Normen selbst regierten; aber alle verstanden den Begriff des Bürgers als Synonym für höchst erstrebenswerte politische Aktivitäten. Nach Alexander bestanden in erster Linie riesige, von Königen regierte Staaten, die sich dennoch der griechischen Kultur verpflichtet fühlten. Natürlich gab es sowohl im europäischen Teil Griechenlands als auch in Kleinasien weiterhin unabhängige griechische Staatsgebilde oder untereinander verbündete Städte und Staaten. Und in den Städten zumindest blieben die in den vergangenen Jahrhunderten erworbenen Formen des Zusammenlebens erhalten, und so gesehen stimmt es, dass der Typus der griechischen Stadt durch den Eroberungszug des Makedonen nicht untergegangen ist. Aber diese Städte besaßen, selbst wenn sie nicht innerhalb der ausgedehnten Königreiche lagen, die aus Eroberungen hervorgegangen waren, bezüglich ihrer äußeren Beziehungen nur noch begrenzte Autonomie. Sie standen trotz einiger kurzlebiger Ausbrüche in Form von Unabhängigkeitsbestrebungen doch mehr oder weniger im Schatten hellenistischer Könige, bevor sie dann unter römische Herrschaft gerieten.
Die kurze Herrschaft Alexanders führte also zu einem Bruch, auf politischem, aber auch auf kulturellem Gebiet in dem Maße, in dem sich im Lauf der Zeit neue Formen des Denkens, der religiösen Synkretismen oder von Akkulturationsphänomenen herausbildeten.“ (S. 131 f.). Dies führte nicht zu einer sofortigen Änderung des Gesichtes der antiken Welt, aber Alexander leitete die Entwicklung ein, „die der antiken Welt ihr endgültiges Aussehen gab.“ (S. 132)
In diesem Kapitel werden also die neuen Formen der Monarchie, der Lebensführung und Wirtschaft behandelt, genauso wie die fortschreitende Hellenisierung des Orients, die eine folgenschwere Ausdehnung griechischer Kultur bedeutete und es bespielsweise ermöglichte, dass viele Jahrhunderte später die Schriften des Aristoteles im Mittelalter durch arabische Übersetzungen nach Europa zurückgelangen konnten.

_Der fünfte Teil: Alexander, ein mythischer Held_
Hier behandelt die Autorin das Bild, das sich die späteren Jahrhunderte von Alexander machten. Sie beginnt mit den Schriftstellern der römischen Antike und untersucht den „Alexanderroman“, der die mittelalterliche Sicht auf den Eroberer als frühen Vorläufer des Christentums widerspiegelt und an dessen legendärer Überlieferung selbst noch in der Neuzeit weitergesponnen wurde. Schließlich gelangt sie zur modernen Historiographie und den Romanschriftstellern, die sich immer wieder gerne der Gestalt Alexanders bemächtigten. Als Beispiele kommentiert sie den bekannten Roman Klaus Manns und die Romantrilogie des italienischen Schriftstellers Valerio Manfredi. Ein Epilog schließt das Buch ab, in dem die Autorin ihren eigenen Zugriff noch einmal erläutert, der ja in bestimmender Weise die Vorstellungen, die sich spätere Generationen über Alexander machten, einbezieht und damit zugleich auch die Bedeutung, die diese Vorstellungen in der Entwicklung von Gesellschaften haben.

Das Urteil der Autorin fällt bei jedem der behandelten Themen sehr zurückhaltend aus. Sie weiß einerseits um die Problematik der Quellenlage, vermeidet es aber andererseits, heutige Denkweisen und Plausibilitäten einfach auf die Menschen der damaligen Zeit zu übertragen. Die Sprache der Quellen verliert sie niemals ganz aus dem Auge. Der Ton ihrer Erzählung ist stets ruhig und ausgeglichen. Zwischen faktenorientiertem Positivismus und begeisterter Romantik sucht sie sich ihre eigene Perspektive, die dem Maß beider Sichtweisen gerecht werden kann. Die Fakten stehen im Vordergrund, ihre Ausdeutung bleibt dabei immer vorsichtig, aber eine leise Faszination durch die kraftvolle Gestalt Alexanders klingt an jeder Stelle im Text zumindest als Hintergrund mit an.

Als weiterer Pluspunkt des Werkes erweist sich die verbindende Herangehensweise der Autorin. Trotz der Fülle der Einzelthematiken geht der Gesamtzusammenhang nie verloren. Allzu häufig verdrängt in den modernen geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen die Fleißarbeit der Detailfindung den denkerischen Gehalt einer großen Zusammenschau der Ereignisse. Die Einzelfakten stehen dann meist etwas verloren nebeneinander im Raum. Claude Mossé gelingt es aber, die von ihr aufgegriffenen einzelnen Fäden immer wieder durch Querverweise auf die anderen Teilthemen zu verknüpfen. Im Geiste des Lesers ensteht nicht der Eindruck eines Sammelsurriums von Fakten oder Einzelfragen, sondern ein kompaktes Bild über Leben, Erbe und Legende einer großen weltbewegenden Persönlichkeit, dessen einzelne Momente aufeinander verweisen.

Im Anhang des Buches finden sich neben dem obligatorischen Register, den Literaturhinweisen, einer Zeittafel und dem Kartenmaterial noch Kurzbiographien zu den wichtigsten Personen um Alexander und die Diadochenkönige. Dadurch wird die Orientierung und die Zuordnung der vielen für das Thema wichtigen Protagonisten wesentlich erleichtert. Ein wunderbares, informatives Buch also, das für jeden Alexander-Fan schlicht unentbehrlich bleibt!

Schätzing, Frank – Tod und Teufel

Wir schreiben das Jahr 1260 in Köln, der Kölner Dom befindet sich noch im Bau unter der Leitung des genialen, visionären Baumeisters Gerhard Mortat. Doch eine dunkle Verschwörung, von der Gerhard Kenntnis haben muss, wird ihm zum Verhängnis. Schon zu Beginn der Geschichte werden wir Zeuge, wie ein gewisser Mathias und ein gewisser Heinrich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den gedungenen Killer Uruqhart anheuern, der den Baumeister erledigen und eine weitere – bislang unbekannte – Aufgabe übernehmen soll. Uruqhart tut, wie ihm geheißen, kauft sich zwei Zeugen, die den Mord später als einen Unfall bekunden, und als sich die Gelegenheit bietet, schubst er Gerhard dezent vom Baugerüst des Doms.

Allerdings hat er nicht mit einem richtigen Zeugen gerechnet, der sich gerade an bzw. in den erzbischöflichen Apfelbäumen gütlich tut: Jacop, genannt „Der Fuchs“, seines Zeichens ein kleiner, unbedeutender Dieb. Eigentlich wollte Jacop nur (illegal) seinen Hunger stillen, fällt aber vor lauter Schreck über die schattenhafte Gestalt und die Tat aus dem Baum – mehr noch: Da der Baumeister sich noch bewegt, überkommt ihn der irrige Gedanke, ihm vielleicht helfen zu können. Alle Vorsicht vergessend, setzt Jacop im Schweinsgalopp herüber zum Gestürzten und dieser lebt tatsächlich noch lang genug, um dem Tagedieb ein paar Worte ins Ohr zu flüstern, bevor er sich endgültig aufmacht, vor seinen Schöpfer zu treten.

Jetzt heißt es: nichts wie weg! Jacop hockt hier mitten auf dem Domplatz wie auf dem Präsentierteller, der Mörder hat ihn unter Garantie gesehen, sodass ein Rückzug mehr als angebracht erscheint – keine leichte Aufgabe für jemanden, der mit seinem leuchtenden Rotschopf auffällt wie eine Knackwurst in der Maibowle. Dennoch schafft er es dank der unerwarteten Hilfe der (soeben kennen gelernten) Färberstochter Richmodis und eigener Pfiffigkeit, den kaltblütigen Attentäter abzuschütteln. Denkt er. Doch als er seine unglaubliche Story zweien seiner engsten Freunde erzählt, werden diese etwas später von ungewöhnlichen Armbrustbolzen durchbohrt von ihm aufgefunden.

Der Killer hat seine Witterung also doch nicht verloren und beseitigt nun alle, die das Geheimnis kennen könnten. In seiner Not und auch leicht verletzt sucht Jacop Richmodis nochmals auf – ihr Onkel Jaspar Rodenkirchen ist Physikus (Arzt), hatte sie beiläufig erwähnt. Der ist von Jacops Geschichte derart fasziniert, dass er beschließt weiterzuforschen, was den Stein erst richtig ins Rollen bringt. Jacop ist nämlich unfreiwillig in eine Fehde zwischen dem Erzbischof und einigen reichen Patrizierfamilien geschlittert, und die dulden bei ihrem Komplott nun mal keine Mitwisser. Jetzt befinden sich außer Jacop zu allem Überfluss auch noch seine neu gewonnenen Freunde und Helfer Richmodis, ihr Vater Goddert von Weiden und ihr Onkel Jaspar in höchster Todesgefahr und somit auf der Abschussliste des Killers …

_Meinung_
Die Basis des Plots steht auf wahren Begebenheiten, tatsächlich ist Gerhard Mortat in besagtem Jahr unter ungeklärten und mysteriösen Umständen vom Baugerüst des Kölner Doms zu Tode gestürzt. Desweiteren sind auch die Patrizier, wie die Overstolzens, die Weisens und die Kohns historisch korrekt, Gleiches gilt natürlich auch für Erzbischof Konrad. Auch wenn Schätzing behauptet: „die Hälfte der Figuren spielt sich selbst“, so ist die Handlung als solche frei erfunden und bedient sich lediglich der Personen, um diesen mittelalterlichen Kriminalfall realistischer erscheinen zu lassen.

Mystery sucht man vergebens, denn schon auf den ersten Seiten wird klar, dass es sich um ein Komplott handelt und mindestens drei (Mit-)Täter sind dem Leser sogar schon mal namentlich bekannt, peu à peu zieht die Verschwörung dann immer weitere Kreise, wobei man sich schon bald denken kann, worauf das Ganze im Endeffekt hinausläuft. Hauptaugenmerk liegt demnach darauf, wie es Jacop und seine Freunde schaffen, die Verschwörung aufzudecken und von dem eiskalten Profi-Meuchler Uruqhart dabei nicht abgemurkst zu werden.

Der Schreibstil Schätzings ist locker und flockig, auch wenn er gerne auf archaische Begriffe zurückgreift, die man damals nun einmal benutzte; so mischt er immer wieder kleinere moderne Worte mit hinein, um ein wenig Witz in die Sache zu bringen. Witzig ist das Werk stellenweise wirklich, gerade die Wortgefechte zwischen Jaspar und Goddert sind herzerfrischend komisch – doch auch sonst spielt der Autor geschickt mit Sprache und Figuren. Leider gibt es, wo Licht ist, auch Schatten. So fallen die ausholenden und dozierenden Erklärungen Jaspars zur Geschichte Kölns und der politischen Situation manchmal etwas arg lang und unrealistisch aus. Wenn man Zeit genug hat zu philosophieren, kann die Gefahr, in der man grade schwebt, doch nicht allzu groß sein.

Trotzdem ist das Bild, das Schätzing vom mittelalterlichen Köln und seinen Akteuren zeichnet, lebendig und recht glaubhaft, allerdings ein wenig mit Klischee behaftet und überzeichnet. Die Atmosphäre an sich ist jedoch stimmig und weiß zu gefallen und mitzureißen, da kann ich über minimale Schwächen generös hinwegschauen.

Waren die Erklär-Passagen Jaspars noch sehr weit ausholend, so kommt die Action dennoch nicht zu kurz. Wenngleich manche Ereignisse durchaus vorhersehbar sind, gelingt Schätzing doch die eine oder andere interessante Überraschung. Sehr zu meinem Bedauern geht es am Schluss zu sehr hopplahop dem Ende der Geschichte zu. Hat sich Schätzing vorher noch beinahe akribisch seinen Figuren und der Handlung gewidmet, so geht’s nun einen Tick zu rasant zu, um die Handlung zu einem logischen und befriedigenden Abschluss zu bringen.

Meiner bescheidenen Meinung nach hätte er entweder im Mittelteil die ellenlangen Geschichtsstunden etwas einkürzen und dafür das Ende pfiffiger und ausführlicher gestalten können (wenn er schon eine bestimmte Seitenzahl erreichen musste/sollte) oder er hätte gleich weitere zwanzig bis dreißig Seiten für einen anständigen Showdown drangehängt. Das Ende jedenfalls ist ein ziemlich abrupter Stilbruch und zudem ein veritabler Cliffhanger – Wozu macht er sich die Mühe, die Beziehungen der Charaktere untereinander zunächst tief auszubauen, um dann mit aller Macht auf die Bremse zu treten?

Spekuliert(e) Schätzing gar auf eine eventuelle Fortsetzung und wollte den Erfolg seines ersten Buches erstmal abwarten? Ich bin versucht, genau das anzunehmen, ohne etwas unterstellen zu wollen, doch irgendwie ist mir der Stimmungswechsel am Ende |zu| augenfällig. Bislang jedoch hat sich in diese Richtung nichts entwickelt, keine Fortsetzung in Sicht – vielleicht kommt ja doch noch eine, wenn der Hype um [„Der Schwarm“ 731 ein wenig abgeebbt ist.

_Fazit_
Die Idee, ein Komplott bzw. eine Mordserie ins finstere Mittelalter zu verfrachten, ist auch nicht besonders neu, da hat Umberto Eco mit „Der Name der Rose“ einen Meilenstein geschaffen, der schwerlich zu toppen ist. Eine empfehlenswerte Lektüre für Zwischendurch ohne großen Anspruch; wer mit dem vielen Latein und einigen Begriffen des Mittelalters Probleme hat, bekommt sogar im Anhang ein kleines, nützliches Lexikon geboten. Bis auf die unfreiwilligen, aber trotzdem recht interessanten Geschichtsstunden ein sehr kurzweiliges Buch mit Witz und Charme. Freunde des mysteriösen Thrillers werden wohl ein wenig enttäuscht sein, denn es ist ein Krimi – nicht mehr, nicht weniger -, bei dem die Täter zu Beginn bekannt sind und auch das Motiv selbst dem weniger aufmerksamen Leser relativ schnell klar wird.

Brier, Bob – Mordfall Tutanchamun, Der

Wurde er ruchlos im zarten Alter von 20 Jahren von opportunen, machtgierigen Mitgliedern seines Hofes dahingemeuchelt? Wer war der wohl bekannteste Pharao überhaupt, und warum wurde er so berühmt, obwohl sich jemand offensichtlich sehr viel Mühe gab, seine Person aus den Annalen der Geschichte zu tilgen? Die Gründlichkeit, mit der dies versucht wurde, erwies sich für uns – die Nachwelt – als Segen, denn das prachtvolle Grab des vergessenen Pharaos aus der auslaufenden 18. Dynastie ist 3000 Jahre lang von Grabschändern unberührt geblieben, weswegen Entdecker Howard Carter 1922 quasi eine Zeitkapsel öffnete, die sehr viel Aufschlussreiches über die damalige Zeit verriet – aber nur vergleichsweise wenig über den dort Bestatteten selbst. Zumindest auf den ersten Blick.

In den offiziellen Königslisten von Sethos I taucht sein Name nicht auf und erst nach und nach wird seine Identität enthüllt: Tutenchamun (auch |Tutankhamen|, |Tutankhamun| oder |Tutanchamun|, je nach verwendeter Schreibweise). Er erweist sich, ebenso wie seine Familie, für die Forscher als weißer Fleck in der ägyptischen Geschichte. Sohn (manche mutmaßen gleichzeitig Neffe) von Echnaton, dem Ketzer. Mysteriöser Kindkönig. Quell sämtlicher Gerüchte über den Fluch der Pharaonen. Doch wieso wurde er verfemt? Die Hinweise verdichten sich, dass ein beispielloser Staatsstreich stattfand. Das alte Reich war danach belegbar jedenfalls nie mehr wie zuvor. Paläo-Pathologe Professor Bob Brier spricht gar von einem Mord und er verrät uns in diesem Buch auch, warum er ein Komplott nicht ausschließt …

_Ein Blick ins Album der Familie König – Zum Inhalt_
Tutenchamun wurde unter dem Namen Tutench|aton| als Sohn des später als „Ketzerkönig“ gebrandmarkten Pharaos Echnaton in Acheaton (heute Amarna genannt) geboren. Die Umstände, warum Echnaton (den übrigens nicht wenige mit der biblischen Gestalt des Moses gleichsetzen) die Staatsreligion des Amun-Kultes und Vielgötterei in eine monotheistische Religion um den Gott Aton zu wandeln versuchte, sind mysteriös und nicht restlos geklärt. Fakt jedoch ist, dass es der Amun-Priesterschaft, dem Adel und dem Militär in Theben (der eigentlichen Hauptstadt des alten Ägypten) sicher nicht geschmeckt hat. Die Verlegung der Hauptstadt von Theben nach Tell el-Amarna wohl ebensowenig – die Stadt wurde komplett neu aus dem Boden gestampft, mit einer für Ägypten vollkommen neuen Kunstrichtung und einzig und allein auf die neue Staatsgottheit Aton ausgerichtet.

An dieser Stelle ändert Amenophis IV auch seinen Namen in Echnaton („Der Aton Gefällige“). Etwas Vergleichbares hat es in der gesamten Geschichte Ägyptens noch nie gegeben und wiederholte sich auch nie wieder. Seinen isolatorischen Lebensmittelpunkt verlegt er ebenfalls in die neu gegründete Stadt, zusammen mit seiner Erst-Frau Nofretete und seinen sechs Töchtern, die er mit ihr hat. Er gelobt, die Stadt fürderhin nicht mehr zu verlassen. Das ehemals mächtige Reich beginnt unter seiner Ägide böse zu wanken und büßt wirtschaftlich sowie militärisch viel von seinem Glanz ein.

Tutenchaton jedoch ist nicht der Sohn Nofretetes, sondern der Zweit-Frau Kija, die bereits Tutenchatons älteren Bruder Semenchkare zuvor gebar. Sie verstirbt – höchstwahrscheinlich – auf dem Kindsbett bei der Geburt Tutenchatons, jedenfalls verschwindet sie abrupt aus den Aufzeichnungen und einige Indizien und Grab-Malereien belegen, dass Kija tatsächlich die Niederkunft nicht überlebte. Echnaton hat zwei potenzielle Thronfolger aus dieser Verbindung, Nofretete kann offensichtlich nur Töchter gebären. Die beiden Prinzen wachsen recht behütet und wohl auch abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf, jedenfalls zeigen die gefundenen Szenen aus dem Leben derer von Echnaton stets nur ihn und Nofretete mitsamt Töchtern als liebevolle Familie, auch das ist ein Bruch mit der traditionellen Darstellungsweise in der ägyptischen Kunst.

Echnaton ernennt in der Tat den zehn Jahre älteren Bruder Tutenchatons – Semenchkare – zu seinem Mitregenten (und dieser wird somit offiziell zum designierten Nachfolger erhoben), doch etwa zwei Jahre später verstirbt der älteste Sohn – woran oder warum konnte bis heute nie ganz geklärt werden. Tutenchaton rückt somit automatisch nach, doch ist er erst vier und wohl grade erst dabei, das Schreiben und die anderen Pflichten eines Prinzen zu erlernen.

Es dauert weitere fünf Jahre, bis ihn das Schicksal zum jüngsten König machen soll: In seinem 17. Regierungsjahr und zwei Jahre nach dem Tode Nofretetes und mittlerweile aller Töchter – bis auf Anchesepaaton – stirbt auch Echnaton. (Das heißt, manche glauben, er sei nicht gestorben, sondern als Moses mit den Semiten nach Judäa gezogen … Doch das ist eine andere Geschichte.) Tutenchaton und Anchesepaaton werden von General Haremhab und Wesir Eje zur Krönung nach Theben geleitet. Als engster Berater des jungen Prinzen und Mittler zwischen der Priesterschaft managt Eje die Inthronierung des unmündigen Tutenchaton, wobei es ein paar Hürden zu bewältigen gibt: Als Erstes muss der junge König mit Anchesepaaton vermählt werden, denn er ist als Kind der Zweit-Frau Echnatons ein „Halbblut“ und nicht berechtigt, ohne weiteres den Thron zu besteigen, erst die Heirat mit seiner Halbschwester verleiht ihm die Königswürde, denn sie ist die Tochter Nofretetes und somit „reinen Blutes“.

Um die Rückkehr zum alten Pantheon zu verdeutlichen, werden selbst die Namen der beiden geändert: in Tutenchamun und Anchesenamun – nichts soll mehr an ihren ketzerischen Vater erinnern. Doch das reicht offensichtlich nicht. In kurzer Folge werden Echnatons Stadt Amarna und sämtliche kulturelle Andenken ausgemerzt – glücklicherweise jedoch nicht zu hundert Prozent, denn einige Teile der Bauwerke und Reliefs wurden nur halbherzig umgebaut oder zum Bau anderer (Amun-)Kultstätten wiederverwertet, sodass sie 3000 Jahre später aufgrund ihres frappant anderen Stils von Archäologen entdeckt wurden und uns Zeugnis von einigen Vorgängen ablegen können. Vieles davon befindet sich im heutigen Luxor und kann sogar besichtigt werden.

In seinen letzten neun Jahren, die er nominell das Reich regiert, erstarkt Ägypten wieder und läuft unter General Haremhab auch zur gewohnten militärischen Stärke auf. Hinter den Kulissen ziehen jedoch aus nachvollziehbaren Gründen ganz andere die Fäden als Tutenchamun, nämlich das Triumvirat seiner Berater: Haremhab, Eje und der „königliche Schreiber“ Maja (quasi der Finanzminister). Sie vergrößern ihren Einfluss stetig. Das persönliche Glück des jungen Pharaonenpaares steht ebenfalls unter einem schlechten Stern, denn obwohl die beiden ein scheinbar inniges Verhältnis zueinander haben, gestaltet sich die Geschichte mit der Thronfolge als sehr schwierig. Anchesenamun erleidet eine Totgeburt (es wäre ein Mädchen gewesen) und beim zweiten Versuch kommt die neuerliche Tochter vier Monate zu früh und stirbt. Der letzte Pharao der 18. Dynastie bleibt weiterhin ohne erbberechtigte Nachkommen.

Der Pharao ist nunmehr 19 Jahre alt und wird aller Wahrscheinlichkeit nach so langsam in seine Rolle gewachsen sein und seinen eigenen Kopf zu entwickeln beginnen. Offenbar ist es nun höchste Zeit, dass ihm selbiger eines Nachts eingeschlagen wird und zwar auf äußerst subtile Weise. Das vermutet Brier jedenfalls. Sein Wesir Eje ergreift erstaunlich schnell die Regierungsgeschäfte, lässt sich zum Pharao krönen und nimmt zu allem Überfluss die Witwe Anchesunamun zur Frau, kann sich aber nicht lange halten. Er stirbt vier Jahre nach der Machtübernahme, hat aber zuvor versucht, seinen Vorgänger ebenso aus den Annalen der Geschichte zu löschen wie dessen Vater Echnaton. Sein Nachfolger wird – man ahnt es bereits – General Haremhab und begründet so als Erster die Reihe der „Soldatenkönige“ in Ägypten. Erst 3000 Jahre später soll man die Puzzleteile dieses altertümlichen Krimis zusammenfügen können, als das Grab des „Unbekannten Pharaos“ 1922 entdeckt und Jahrzehnte später (1968) die Mumie zum ersten Mal geröntgt wird.

_Beweisaufnahme – Pharao Jürgens Meinung_
Briers Theorie wirft ein sehr menschelndes und lebendiges Licht auf buchstäblich tote Geschichte; es liegt in der Natur der Sache, dass hier viel hineininterpretiert werden kann. Er macht davon auch regen Gebrauch, wobei er stets versucht, seine angeführten Punkte soweit es geht mit Fakten zu untermauern, was freilich nicht immer gelingt. Das äußert sich schon darin, dass er einen sehr großen Teil des Buches darauf verwendet die dunkle Familiengeschichte Tuts aufzurollen (was ich weiter oben zusammengefasst habe, stellt nur einen Bruchteil dar) und sie als Schlüsselpunkt für seinen Kriminalfall heranzuziehen.

Betrachtet man diese sehr wirre und lückenhaft dokumentierte Zeit des politisch-religiösen Umbruchs in der ägyptischen Geschichtsschreibung, so ist dies keine leichte Aufgabe und dementsprechend häufig blanke Interpretation, der man folgen mag oder eben nicht. Seine Rekonstruktion der Vorgeschichte war bereits mehr als einmal Gegenstand hitziger Diskussionen und gerade in letzter Zeit immer wieder Stoff für ein aufflammendes Interesse am wohl berühmtesten Pharao in den Medien.

Briers Ausführungen haben einiges für sich, bieten sie doch so manche Antwort darauf, warum genau diese Epoche und die geheimnisvolle Vita Tutenchamuns und seiner Familie nur fragmentarisch erhalten blieben. Sehr belastbar ist die These nicht in allen wichtigen Punkten, hat aber auch eine Menge gut durchdachter Ansätze und nachvollziehbarer Begründungen für sich. Einige seiner Kollegen mögen seiner Argumentation trotzdem so gar nicht recht zustimmen, während sie bei anderen Ansichten mit ihm konform gehen. Dass der junge Pharao keines natürlichen Todes gestorben ist, gilt in der Fachwelt nämlich als gesichert, stellt sich nur die Frage, ob dort tatkräftig und mithin absichtlich nachgeholfen wurde. Brier ist jedenfalls dieser festen Überzeugung, was er nicht nur durch Herleiten einer langen Indizienkette, sondern anhand von Fotos auch schlüssig zu stützen versucht.

In den späteren forensischen Untersuchungen anhand von in den 60er Jahren angefertigten Röntgenbildern Tuts und der lange unbeachteten (und kaum bekannten) Mumien seiner beiden totgeborenen Töchtern wird’s dann aufgrund der wissenschaftlich überprüfbaren Sachlage weitaus weniger spekulativ. Dies ist auch sein angestammtes Fachgebiet als Mumienexperte respektive Paläo-Pathologe. N24, ZDF und GEO stürzen sich in letzter Zeit gerne auf den Lieblingspharao.

Brier ist dort immer wieder als Fachberater mit von der Partie, rückt aber mittlerweile von einigen seiner damaligen Erkenntnisse im Buch teilweise ab. Kein Wunder, war er doch wegen der wilden Spekulationen – die sich eben nicht auf seine Arbeit, sondern seine Interpretationen des Drumherums bezogen – aus der Fachwelt ganz schön unter Beschuss geraten. Man hielt ihn für nicht kompetent, sich als Historiker zu betätigen, während man seine pathologische Arbeit durchaus würdigte. Eine ziemlich überhebliche Sichtweise, wie ich finde. Seine Kernaussage hat jedoch auch noch nach sechs Jahren seit der Erstveröffentlichung Bestand:

Der ominöse Knochensplitter im Inneren des Kopfes, der die Gemüter von Wissenschaftlern seit seiner Entdeckung erhitzte und schon 1968 für die ersten Mordtheorien sorgte, ist seiner Untersuchung nach kein Beleg für die Todesursache. Seine Meinung ist, dass dieser von einer Ungeschicklichkeit bei der Einbalsamierung herrührt, soll also demnach erst nach dem Tode entstanden sein. Vielmehr sind er und einige Gerichtsmediziner einem vermutlichem Hämatom nahe des Übergangs zwischen Genick und Hinterkopf auf die Spur gekommen.

Das Hämatom an ausgerechnet diesem Teil des Kopfes ist durch einen Unfall kaum zu erklären (zumindest höchst unwahrscheinlich) und daher vermutet Brier (zusammen mit einigen anderen), dass diese Verletzung absichtlich durch einen gezielten Schlag auf diese empfindliche Stelle herbeigeführt wurde. Die teilweise Verknöcherung dieses ehemaligen Blutgerinsels legt den Schluss nahe, dass Tutenchamun schätzungsweise etwa einen Monat lang damit gelebt haben kann, einen Teil davon im Koma, bis dann letztlich der Tod eintrat.

_Abschlussplädoyer – Fazit_
Bob Briers Schlussfolgerungen entbehren durchaus nicht einer nachvollziehbaren Logik, sind aber in Ägyptologenkreisen nicht ganz unumstritten, denn für viele Behauptungen fehlt letztendlich der Beweis in Form von Inschriften o. ä. – sprich: Die Hardware. Somit müssen die hier dargebrachte Mordfall-Story und hergeleitete Indizienkette gegen die vermeintlichen Tatverdächtigen mit den wenigen wirklich nachprüfbaren Fakten aus Fundstücken und Autopsien dennoch hochspekulativ bleiben, doch das trifft auf die Lehrmeinung ebenso zu, welche sich allzu oft als ebenso falsch erwiesen hat.

Unfall, Mord oder gar Komplott? Das Mord-Szenario ist eine durchaus denkbare Variante, sofern Briers angestellte Mutmaßungen über den Hintergrund akkurat sind. Beweisen lässt es sich nicht, ein Unfall kann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Die dargebrachten Verdachtsmomente würden heutzutage wohl vor Gericht kaum Bestand haben und nicht zu einer Verurteilung der beiden von Brier bezichtigten Hauptangeklagten führen: In dubio pro reo. Kurios und mysteriös genug bleibt das Leben und Sterben des jungen Regenten auch nach Lesen des interessant und flüssig geschriebenen Buches. Brier fügt dem Puzzle fantasiereich einige weitere Teile hinzu, doch bin ich sicher: Das letzte Wörtchen ist in diesem Fall noch nicht gesprochen.

|Originaltitel: „The Murder Of Tutankhamen. A True Story“
Ersterscheinung: 1998 – G. P. Putnam’s Sons / NY
Deutsche Übersetzung: Wolfgang Schuler
354 Seiten – diverse s/w-Fotos im Mittelteil|