Archiv der Kategorie: Rezensionen

Cook, Robin – Experiment, Das

1692: In Salem bricht eine Hexenhysterie aus, als einige Bewohner drastische Verhaltensveränderungen durchmachen. Sechs Frauen werden als Hexen verurteilt und finden im Juli ihren Tod durch Erhängen. Eines dieser Opfer ist die junge Elisabeth Stewart, die aufgrund eines eindeutigen Beweises überführt und im Laufe der Jahrhunderte aus sämtlichen geschichtlichen Aufzeichnungen gestrichen wird.

Im Jahre 1994 findet sich die Krankenschwester Kimberly Stewart durch ihren Cousin Stanton mit den Ereignissen von 1692 konfrontiert. Zusammen mit ihrem Bruder hat Kim das alte Anwesen der Stewarts geerbt – das Cottage, in dem Elisabeth lebte, und die Burg, das spätere Herrenhaus der Familie. Da die Geschichte der verurteilten Vorfahrin innerhalb ihrer Familie schon immer als Tabu galt, erwacht die Neugier in der jungen Frau, welches Beweisstück unwiderlegbar für den Pakt mit dem Teufel gesprochen haben soll. Der Hirnforscher Edward Armstrong ist begeistert von ihren Nachforschungen und glaubt, die damaligen Vorfälle könnten durch einen Pilz entstanden sein, der damals in Salem gewachsen und in die Nahrung gelangt sein könnte.

Im Bemühen, Elisabeth zu rehabilitieren, nimmt Kim die Sichtung von unzähligen Papieren und Dokumenten in Angriff, die in der Burg seit Jahrhunderten unberührt lagen, und lässt Edward Bodenproben entnehmen, um Spuren eines möglichen Pilzes zu finden. Diese findet er auch. Von seinem Erfolg angespornt, züchtet er eine neue Kultur des Pilzes heran und schreckt auch davor nicht zurück, ihn an sich selbst zu testen, um seine Toxizität festzustellen. Das Ergebnis ist für den Wissenschaftler der Garant für ein neues Medikament, denn außer ein paar wenigen Halluzinationen führt der Stoff zu keinen negativen Reaktionen. Im Gegenteil, er löst Ängste und Depressionen in Rauch auf, stärkt das Selbstbewusstsein, erhöht den Energiehaushalt des Körpers und reduziert das Schlafbedürfnis auf ein Minimum von vier bis fünf Stunden pro Nacht. In völliger Besessenheit stürzt er sich in die weitere Erforschung des Pilzes und schafft es, diesen so zu verändern, dass die halluzinative Wirkung ausbleibt. Daraufhin lässt er durch Kims Cousin ein Labor einrichten, um Ultra, das neue Wundermittel, zu produzieren.

Inzwischen stößt Kim auf Hinweise, dass der Pilz tatsächlich im 17. Jahrhundert zu dramatischen Erkrankungen geführt hat und dass auch das ungenannte Beweisstück gegen Elisabeth irgendetwas damit zu tun haben muss. Trotz ihrer Versuche gelingt es ihr nicht, Edward davon zu überzeugen, das Mittel nicht vor Abschluss aller Tests selbst zu nehmen. Unter Zeitdruck und im Glauben, Ultra verursache nur Positives, nehmen der Wissenschaftler und seine neu eingestellte Crew das Mittel ein, dessen grauenhaften Auswirkungen sich erst allmählich bemerkbar machen und Salem erneut in Hysterie versetzt …

Ich habe dieses Buch gerne gelesen. „Das Experiment“ bietet eine spannende Mischung aus Medizinthriller und historischen Romanelementen, die zum größten Teil kurzweilig und unterhaltsam den Leser mitnimmt und ihn im zweiten Teil auch ein ganz kleines bisschen das Gruseln lehrt.

Medizinthriller zählen normalerweise nicht zu meinem erstgewählten Lesestoff, aber bei „Das Experiment“ verhält es sich doch etwas anders. Erstens sind die fachlichen Ausführungen gut verständlich (auch für Laien) und zweitens würde es ohnehin keine große Rolle spielen, wenn man sie nicht verstehen oder überlesen sollte, denn die Story an sich funktioniert auch prima ohne sie. Dafür ein Lob von mir an Autor Robin Cook, der aufgrund seiner Absolvierung der medizinischen Fakultät der Columbia University New York gerade diesen Aspekt viel massiver hätte anpacken können.

Stattdessen hat sich der Bestseller-Autor genauso viel Mühe bei den Charakteren und Schauplätzen gegeben, die den Roman sehr lebendig gestalten. Angefangen im Jahre 1692, lernen wir die eigentliche Hauptperson des Buches bereits mitten in ihrem Schicksal kennen: die energische, durch und durch sympathische Elisabeth Stewart auf dem Weg in ihr Verhängnis – umringt von Kindern, von denen eines die ersten Symptome der Pilzvergiftung in ihrem Haus durchleben muss. Ihr Mann weilt auf Geschäftsreise, sie kümmert sich nicht nur um Haushalt und die Kinder, sondern vermehrt ungerührt das Grundstücksvermögen der Familie in einer Zeit, in der Frauen die Geschäftsfähigkeit abgesprochen wird. Sie überlegt sich Lösungen für die herrschende Hungersnot und leistet Hilfestellungen für von Indianern überfallene Familien. Eine Frau also, die ihrer Zeit nicht nur weit voraus ist, sondern die sich auch gern Feinde mit ihrer direkten und offenen Art macht.

Zugegeben, ohne solch eine Person verlieren derlei Geschichten ihren Reiz, denn wer liest schon gerne darüber, dass eine Frau als Hexe verurteilt wird, weil sie wirklich ein ganz und gar unausstehliches, böses und kriminelles Weibsstück ist? Trotzdem ist Elisabeth mehr als nur ein armes, unschuldiges Opfer, das einfach zur falschen Zeit am falschen Ort ist – sie ist in der Tat der Auslöser der Tragödie. Und wie heißt es so schön: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Nun gut, der Leser empfindet trotzdem Mitleid mit ihr, und das ist gut so, denn ansonsten könnte man das Buch nach knapp vierzig Seiten weglegen und sich ein neues suchen. Und da die Person der Elisabeth nicht der einzige Grund zum Weiterlesen ist, möchte ich ebenfalls erwähnen, dass auch durchaus die anderen Charaktere – allen voran Kim und Edward – ihr Durchschreiten der Handlung mitreißend und spannend in Szene setzen.

Das Ganze runden die schön herausgearbeiteten Schauplätze ab, denn die Beschreibungen der Burg mit ihren Kellern und Sälen versetzten mich mitten ins Mittelalter und ließen meinen Kindertraum neu erwachen, in solch einem Gebäude einen Berg von Aufzeichnungen aus vergangener Zeit zu finden. Und so habe ich Kims Wühlen in den unermesslichen Schätzen des alten Gemäuers geradezu verschlungen und konnte ihre Aufregung nur zu gut nachvollziehen. Vor allem das letzte Drittel des Romans – die Auflösung des dubiosen Beweisstückes und des Wirkens von Ultra – ließ mich im Lesen kaum noch innehalten, und erfreulicherweise wurde ich nicht davon enttäuscht. Alles klärt sich in mehr oder weniger glücklicher Fügung auf und Elisabeth fordert ungeschönt noch mehr Mitleid, aber das darf jeder gerne selbst herausfinden. Ich empfehle es sogar!

Am Schreibstil gibt es ebenfalls nicht wirklich viel zu meckern. Ab und an verfällt Cook zwar in ganz simpel gestrickte Erzählsätze, aber das tut der Stimmung wahrlich keinen Abbruch und kommt erfreulicherweise auch nur ab und an vor.

Fazit: ein spannender Ausflug in die Welt der Wissenschaft, mit faszinierenden Abstechern in die Zeit der Hexenmythologie! Auf jeden Fall lesenwert!

Cheung, Jim / Heinberg, Allan – Young Avengers: Sidekicks

Die „Young Avengers“ sind ein weiteres Konstrukt der |New Line|, einer frischen Serie aus dem Marvel-Universum, die sich mit gänzlich neuen Helden und Charakteren beschäftigt. Unter anderem sind in dieser Reihe schon Sachen wie „X-23“ und „Runaways“ auf den Markt gekommen und auch sehr wohlwollend aufgenommen worden. Und trotzdem: Neue Figuren haben es stets sehr schwer, schließlich stellen sie eine Art Konkurrenz zu den bekannten und beliebten Helden der Comic-Szene dar, und die Erwartungen sind daher auch immer besonders groß.

Allan Heinberg, seines Zeichens Verantwortlicher für die populäre TV-Sitcom „O.C., California“ und zudem beteiligt an Produktionen wie „Sex and the City“ und „Gilmore Girls“, hatte also keine leichte Aufgabe bei der Gestaltung seiner ersten größeren Comicreihe. Hilfe bekam er hierbei allerdings von einem sehr erfahrenen Zeichner. Jim Cheung, der bereits an legendären Arbeiten wir „Maverick“, „Iron Ma“ und „Wolverine“ mitwirkte, wurde im Jahre 2004 exklusiv für |Marvel Comics| verpflichtet und geht dem Autor bei der Entwicklung seiner frischen Ideen an dieser Stelle zur Hand. Und als Team haben sie wirklich eine sehr viel versprechende neue Episodenreihe zusammengestellt – zumindest ist dies der Eindruck, den der erste nun in Deutschland erhältliche Sammelband hinterlassen hat.

_Story_

Noch immer hat die Welt den Untergang der Rächer nicht ganz verdaut, da taucht auch schon eine neue Truppe seltsamer Mutanten auf, um sich im Kampf gegen das Böse zu profilieren. Die Zeitungen titeln bereits von den „Neuen Rächern“ und wollen in den jüngsten Ereignissen die Nachfolger solch bekannter Helden wie Bucky und Iron Man gesehen haben – zumal die merkwürdigen Figuren ähnliche Kostüme getragen haben. Dies ruft die schon seit längerem Vermissten Captain America und den tatsächlichen Iron Man auf den Plan, die ihre Rolle durch diese frechen Gestalten gefährdet sehen.

Tatsächlich stoßen sie auf das junge Quartett und stellen klar, dass ihr Auftreten nicht geduldet wird. Doch die beiden haben keine Ahnung, mit welch großer Bedrohung ihr Auftauchen verknüpft ist. Bei Iron Lad, dem Pendant zum echten Helden, handelt es sich nämlich um einen Zeitreisenden, der von einem Mutanten namens Kang der Eroberer gejagt wird. Er selber soll nämlich eines Tages zu Kang werden und kann dies nur verhindern, wenn er den aus dem 30. Jahrhundert herbeigereisten Kang in der Jetztzeit vernichtet. Es kommt zu einem gewaltigen Showdown, in dem die neuen Rächer nicht nur gegen den bedrohlichen Feind aus der Zukunft, sondern auch für ihre eigene Daseinsberechtigung kämpfen müssen. Wird der erste Kampf der Young Avengers, zu denen sich auch Jessica Jones alias Jewel gesellt, gleichzeitig ihr letzter sein?

_Meine Meinung_

Es ist echt merkwürdig, aber tatsächlich wahr. Man muss sich eine ganze Weile durchringen, bis man sich mit den neuen Helden aus der Welt der Marvel-Comics anfreundet, denn noch hat keiner von ihnen die souveräne Ausstrahlung eines Wolverine oder die Coolness der übrigen X-Men. Insofern ist hier wirklich aller Anfang schwer, was sich jedoch mit fortschreitender Entwicklung der rasant voranschreitenden Handlung immer deutlicher zum Positiven hinwendet.

Besonders die beiden neuen Rächer Patriot und Iron Lad sind wegen ihres teils sehr kompromisslosen Auftretens gerne gesehene Gäste, die bereits in diesem ersten Comic wahnsinnig schnell an Sympathie gewinnen. Der etwas zurückhaltende Asgardian sowie der Hulk-meets-Changeling-Clone Hulkling haben es da schon ungleich schwerer; Ersterer, weil er kaum bedeutend in die Geschichte eingreift, und Letzterer, weil sein Charakter noch nicht eigenständig genug ausgeprägt ist. Dies ist im Prinzip auch bei Iron lad der Fall, schließlich orientieren sich seine Wesenszüge sehr stark an seinem noch lebenden Vorgänger Iron Man (was wohl besonders Jim Cheung sehr recht gewesen ist). Doch weil er unter den neuen Rächern die Hauptrolle einnimmt und sich als Held über die gesamte Distanz auch immer wieder mit klugen Entscheidungen und gefestigten Wesenszügen profilieren kann, gibt es an seiner Rolle keine Zweifel.

Die Erzählung in diesem recht opulenten Sammelband ist ebenfalls sehr gut; kaum sind die vier Helden aufgetaucht, müssen sie in einem Zug zwei ihrer härtesten Schlachten schlagen; die eine für sich selbst, die andere gegen einen schier übermächtigen, von seinen Anlagen her klar überlegenen Feind. So ist auch der gesamte Mittelteil geprägt von zahlreichen Kämpfen und durchgängiger Action, die schließlich in den neuen, allerdings ziemlich ausgiebig vorgestellten Rahmenbedingungen für den hoffentlich schon in Kürze erscheinenden Folgeband münden. Freunde von echter Marvel-Action sollten diesen Comic (und besonders die beiden neuen Superhelden Patriot und Iron Lad) also trotz vorangegangener Skepsis lieben.

_Fazit_

Die New Line überzeugt auch in diesem Buch auf ganzer Linie. Getreu dem Motto ‚Neue Helden braucht das Land‘ entwickelt sich auch die Welt der Mutanten weiter und legt mit den „Young Avengers“ einen weiteren Grundstein für eine noch vielseitigere Zukunft beim legendären Comic-Verlag. Da auch die Zeichnungen vom Feinsten sind, kann ich diese neue Reihe nur weiterempfehlen!

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Bendis, Brian / Coipel, Olivier – House Of M 2 (von 4)

Die Welt, in der Wolverine umherwandelt, hat sich komplett verändert. Nur noch Mutanten machen die Runde, und die wenigen menschlichen Überlebenden halten sich in der Gosse des New Yorker Stadtteils Hell’s Kitchen auf und müssen in ihrem Dasein als letzte Verbliebene der Gattung Homo sapiens sapiens in größter Furcht leben. Wolverine begibt sich alsbald auf die Suche nach seinen alten Kumpanen und erfährt über die aktuelle Tageszeitung, dass sich die Welt in ihren Grundfesten komplett verändert hat. Die Mutanten sind an der Macht und werden von einem gewissen Lord Magnus, früher bekannt unter dem Pseudonym Magneto, angeführt.

Bereits 30 Jahre sind vergangen, nachdem die Mutanten unter seiner Führung die Welt von der Unterdrückung durch die Homo sapiens sapiens befreit wurden, und dies kann Wolverine nicht einfach so hinnehmen. Er hofft, an alter Wirkungsstätte auf Bekannte und zumindest auf Charles Xavier zu stoßen, wird aber bei seinem Inkognito-Aufenthalt im Stark Tower nicht gerade freundlich begrüßt. Mit letzter Kraft gelingt es ihm, aus der drohenden Gefangenschaft zu entfliehen, und so gelangt er nach Hell’s Kitchen, wo er ebenfalls zunächst auf wenig Gegenliebe stößt.

Weil er einen Counter bei sich trägt, können ihn die Mutanten dort jedoch schnell entdecken, doch ihm gelingt es ein weiteres Mal zu fliehen. Schließlich trifft er tatsächlich auf alte Verbündete und versucht auch in ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit hervorzurufen. Ein wenig Überzeugungskraft reicht schließlich aus, um einige alte Freunde wieder zu bekehren und in ihnen die verlorene Besinnung zu wecken. Nun ist Wolverine nicht mehr alleine …

_Meine Meinung_

Nachdem sich die Handlung im ersten Teil noch nicht konkret auf einen Schauplatz konzentrierte, macht sich die Entwicklung des Comics bzw. des eigentlichen Helden hier schon deutlicher bemerkbar. Es liegt tatsächlich an Wolverine, die Hintergründe zu erforschen und die fehlgeleiteten Mutanten wieder auf die rechte Bahn zu geleiten. Doch dazu muss er erst einmal herausfinden, wo sich seine ehemaligen Heldenfreunde derzeit befinden – was gar nicht so einfach ist, weil die Mutanten von Lord Magnus und dem House of M ihm dicht auf den Fersen sind. Doch Wolverine wäre nicht Wolverine, wenn er nicht selbst solch außergewöhnlichen Extremsituationen gewachsen wäre …

Spannend geht die Geschichte weiter, diesmal aber auch ein ganzes Stück linearer. Die Autoren konzentrieren sich in Band zwei hauptsächlich auf den Plot um Wolverine, der hier durchgängig beschrieben wird. Was indes mit den übrigen Mutanten geschehen ist, bleibt noch unklar. Lediglich einige Schnipsel in einer Zeitung lassen auf den Verbleib von Peter Parker schließen, der anscheinend noch lebt. Auch Emma Frost taucht zum Ende wieder auf, doch wo Charles Xavier und die übrigen Figuren abgeblieben sind bzw. wie ihr derzeitiger Zustand ist, dies kann man nicht einmal erahnen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass Lord Magnus, der Vater von Scarlet Witch, hier seine Hände im Spiel hat und (vielleicht auch unbewusst) das Schicksal der übrigen X-Men und des Bundes der Neuen Rächer in der Hand hat. Und wieder steigt die Spannung, schließlich will man ja mehr wissen.

Bis zur nächsten Fortsetzung wird es nun allerdings noch einen Monat dauern; der dritte Teil von „House Of M“ wird nämlich am 8. Juni erscheinen. Bis dahin sind jedoch in „Wolverine 29“ und „X-Men 65“ noch kurze Tie-ins geplant. Das wird zwar für den echten Fan ziemlich teuer, ist aber äußerst lohnenswert. So viel Action auf einmal ist nämlich selbst bei |Marvel| nicht Standard …

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Richard Matheson – Das Höllenhaus

Matheson Hoellenhaus Cover kleinDie wissenschaftliche Untersuchung eines Spukhauses gerät außer Kontrolle, als die Forschergruppe in die Gewalt eines bösartigen Phantoms gerät, dass sie nicht mehr gehen lässt … – Modern, quasi dokumentarisch und immer noch nachdrücklich kommt der Schrecken in diesem Kleinod der Phantastik über die Leser: eine (ungekürzte) Neuausgabe ist längst überfällig! Richard Matheson – Das Höllenhaus weiterlesen

Laymon, Richard – Rache

Los Angeles im Hochsommer: In der Stadt herrscht eine erdrückende Hitze, Buschbände wüten am Rand, Sirenengeheul tönt durch die heißeste Nacht des Jahres. Das junge Pärchen Sherry und Duane verbringt den Abend in Duanes Wohnung. Die beiden sind seit ein paar Wochen zusammen. Sherry arbeitet als Aushilfslehrerin, Duane handelt mit alten Büchern. In dieser Nacht wollen sie zum ersten Mal miteinander schlafen – doch es fehlen die Kondome. Sherry ist eine Gesundheitsfanatikerin und hat Angst vor AIDS, also zieht sich Duaine schnell etwas über und fährt zwei Blocks weiter, um welche zu kaufen. In spätestens zehn Minuten will er wieder da sein. Sherry wartet und lenkt sich ab. Nach einer Dreiviertelstunde ist Duane aber immer noch nicht zurück. Sherry wird immer nervöser. Sie fürchtet, dass ihrem Freund im nächtlichen L.A. etwas zugestoßen ist. Schließlich verlässt sie seine Wohnung und geht selber zum Speed-D-Markt.

Auf dem Parkplatz steht Duanes weißer Lieferwagen, doch von ihm fehlt jede Spur. Der Verkäufer bestätigt, dass er ihn vor einer Weile bedient hat, kann jedoch nicht sagen, wohin er gegangen ist. Während Sherry ratlos überlegt, was sie tun soll, spricht sie ein etwa achtzehnjähriger Junge an. Toby gehört zu den Schülern, die sie kürzlich aushilfsweise unterrichtet hat. Er kann sich noch gut an sie erinnern und erzählt obendrein noch, dass er Duane gesehen hat, wie er mit einem Mann in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Kurzerhand bietet Toby Sherry seine Hilfe an. Der schüchterne, dickliche Junge erscheint ihr harmlos, dazu beschäftigt sie die Sorge um ihren Freund. Sie steigt in seinen Wagen und sie fahren durch die Nacht, auf der Suche nach Duane.

Sherry ahnt jedoch nicht, dass es kein Zufall ist, dass Toby sie mitgenommen hat. Sie ahnt auch nicht, dass er alles andere als ein harmloser Schüler ist. Stattdessen hat Toby einen perversen Plan, was er mit Sherry anstellen will …

Während Richard Laymon in Amerika den Ruf eines Kultautors besitzt, ist er hierzulande noch eher unbekannt. Das ändert sich möglicherweise in Zukunft, denn nach und nach werden auch seine älteren Werke inzwischen auf Deutsch übersetzt.

|Hardcore ja, Splatter nein|

Dass „Rache“ in der neuen |Hardcore|-Reihe von |Heyne| erscheint, deutet bereits an, womit der Leser rechnen darf: Viel Gewalt und brutale Handlungen, ohne Beschönigungen und viel Drumherumgerede. Diese Rechnung geht auch auf, aber wer wiederum ein Gemetzel oder puren Splatter erwartet, wird enttäuscht. Zwar gibt es tatsächlich ein, zwei harte Szenen, bei denen man als Leser ein mulmiges Gefühl in der Magengrube bekommt, vor allem wenn empfindliche Körperstellen wie Augen oder Ohren traktiert, Gegenstände wie Bohrmaschinen und Schraubenzieher ganz plötzlich zweckentfremdet werden und ein Anflug von Kannibalismus ins Spiel kommt.

Der Antagonist der Story, der kleine Perversling Toby, ist äußerst phantasievoll, wenn es darum geht, seine Opfer zu quälen und schließlich auch zu töten. Allerdings übertritt der Autor hier keine Grenze, die versierte Horrorleser nicht auch schon von anderen Werken gewohnt sein dürften. Auch die bekannten Vertreter wie Stephen King oder Dean Koontz scheuen sich nicht, die eine oder andere Gewaltszene detailliert zu beschreiben, in einigen ihrer Romane geht es sogar noch um einiges blutiger zu als hier. Der Roman ist mitnichten eine Aneinanderreihung von Abscheulichkeiten, sondern setzt seine Brutalismen gezielt und bewusst an die den passenden Stellen ein. Mehr noch – in manchen Szenen verzichtet der Autor sogar darauf, eine explizite Schilderung folgen zu lassen und überlässt stattdessen der Phantasie des Lesers die Ausmalung der grausigen Details.

|Mitreißender Beginn|

Der Anfang des Buches reißt den Leser direkt hinein ins Geschehen. Ohne Umschweife wird man mit Sherry und Duane konfrontiert, die wie das nette Pärchen von nebenan wirken und grundsätzlich sehr sympathisch sind. Die Atmosphäre transportiert das nächtliche Los Angeles über die Buchseiten hinaus zum Leser. Man spürt die Hitze, die auf den Figuren lastet, den kühlenden Wind, der durchs Fenster hineinweht, die Leidenschaft und das spielerische Necken der beiden Verliebten. Das erste Drittel des Romans ist zugleich auch das überzeugendste, was vor allem an der Identifizierung mit Sherry liegt. Die junge, äußerlich etwas burschikose Frau erscheint intelligent, humorvoll und liebenswert. Von Duane erfährt man nicht viel, aber das wenige genügt, um sich mit ihm ebenso anzufreunden.

Umso stärker kann man nachempfinden, was in Sherry vorgehen muss, als ihr Freund von seinem Kurzeinkauf nicht zurückkehrt. Die Gedanken der jungen Frau sind realistisch und genau wie sie wägt man ab, wie man in der entsprechenden Situation handeln würde: Warten, bis Duane wiederkehrt, weil ihm doch bestimmt nichts passiert sein kann in der kurzen Zeit? Oder Sorgen machen und seine Spur nachverfolgen? Immer wieder versucht Sherry, sich zu beruhigen und mit allen möglichen Tätigkeiten abzulenken. Aber jeder neue Blick auf die Uhr ist wie ein Stich ins Herz, der ihr verrät, dass irgendetwas passiert sein muss. Auch beim Leser siegt schließlich die innere Unruhe und gespannt begleitet man Sherry auf ihrer Suche nach Duane.

Die Begegnung mit Toby ist ebenfalls realistisch gestaltet. Der Leser ist durch den Klappentext vorgewarnt, doch Sherry kann man nicht verübeln, dass sie zu Toby ins Auto steigt. Als Lehrerin sieht sie in dem Jungen keine Bedrohung, sondern einen Schüler, der offensichtlich ein wenig für sie schwärmt, ansonsten aber einen durch und durch harmlosen Eindruck macht. Dazu kommt die immer größer werdende Sorge um Duane, der sich laut Toby in Begleitung eines merkwürdigen Mannes befand. Grund genug also für Sherry, auf Toby zu vertrauen, der scheinbar nicht mehr will, als ein bisschen mit einer hübschen Frau zu plaudern und mit ihr durch die Gegend zu fahren.

|Schwindende Glaubwürigkeit|

Dieser Realismus verliert sich leider im Verlauf der Handlung. Die Glaubwürdigkeit bekommt spätestens an der Stelle Risse, als Sherry erfährt, was mit Duane geschehen ist und Toby sie in seine Gewalt nimmt. Obwohl ihr jetzt sonnenklar ist, dass sie in der Hand eines perversen Mörders steckt, kommen ihr hin und wieder trocken-ironische Kommentare in den Sinn, die nicht zu ihrer Lage passen wollen. Überhaupt liegt hier ein Manko in Sherrys Charakterisierung vor, die zuvor so schön überzeugend auf den Leser gewirkt hat: Sherry präsentiert sich als erstaunlich abgeklärtes Opfer.

Sie leistet sich keinen Nervenzusammenbruch, obwohl ihr Freund soeben auf grauenvolle Weise gestorben ist, obwohl sie weitere tödliche Angriffe von Toby auf andere Menschen miterleben muss, obwohl sie beständig in Lebensgefahr schwebt und keine Rettung zu erwarten ist. Im Gegenteil nutzt sie jede Gelegenheit, um vor ihrem Peiniger zu schauspielern und Toby phasenweise vorzutäuschen, dass sie ganz auf seiner Seite ist, um ihn vor weiteren Quälereien abzuhalten. Die Wirksamkeit dieses Plans steht außer Frage, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein Opfer sich tatsächlich so sehr zusammenreißen kann, um seinen Peiniger zu täuschen. Natürlich muss nicht jede Frau zwangsläufig in wilde Hysterie ausbrechen, aber diese Reaktion erscheint uns etwas zu nüchtern.

Mangelnde Glaubwürdigkeit muss man auch anderen Charakteren vorwerfen, die im weiteren Verlauf auftauchen. Die beiden halbstarken Teenager Pete und Jeff, die in der zweiten Romanhälfte eingeführt werden, reagieren ebenfalls unnatürlich gelassen auf die plötzliche Konfrontation mit einer Leiche und einem verrückten Mörder. Wenn man bei Pete immerhin noch einige Zweifel erkennt, so erscheint Jeff dagegen als übertrieben cooler Möchtegernheld, der sich nichts sehnlicher wünscht als eigenhändig auf Killerjagd zu gehen und sich dabei grenzenlos überschätzt. Jungs in diesem Alter mögen sicherlich einen härteren Ton anschlagen und sich bisweilen unsensibler benehmen, aber hier wird zumindest einer von ihnen überstilisiert zum Klischee eines lüsternen Playboys, den eine nackte Frauengestalt elektrisiert – auch wenn es sich dabei um eine Leiche handeln sollte.

Wie Darsteller eines C-Movies agieren leider zum Teil auch die Freunde von Brenda, Sherrys Schwester, die im letzten Drittel des Romans zu Tobys Zielscheibe wird. Im Gegensatz zu Sherry reagiert Brenda angemessen auf die katastrophalen Geschehnisse, aber von ihrer Clique kann man das kaum behaupten. Mit einer Portion Wohlwollen könnte man über diese Schwäche noch hinwegsehen. Wirklich störend ist aber eine Nachlässigkeit, die sich Toby erlaubt und die ihn in eklatante Schwierigkeiten bringt. Anstatt zu kontrollieren, ob eines seiner Opfer wirklich tot ist, entlässt er es unabsichtlich in Freiheit – ein Lapsus, der sehr konstruiert wirkt und den Zufall und das Glück überstrapaziert.

|Hohes Tempo in Handlung und Stil|

Ein Pluspunkt ist der locker-flüssige Stil, der sich problemlos lesen lässt und keine Konzentrationsanforderungen stellt. Trotz eines Umfangs von immerhin gut 550 Seiten lässt sich der Roman in ein oder zwei Tagen verschlingen. Laymon vermeidet Abschweifungen oder unnötige Ausführlichkeit. Der Stil passt ideal zum hohen Handlungstempo, reißt mit, sodass man in kürzester Zeit von Seite zu Seite fliegt. Bis zum Schluss darf man sich nicht sicher sein, wer das Killerszenario überlebt. Nach dem Lesen verflüchtigt sich der Eindruck jedoch recht bald wieder. Wenn die Reaktionen der Charaktere nicht teilweise so unrealistisch wären, hätte Laymon hier einen fulminanten Horrorthriller abliefern können. So allerdings bleibt nur ein ordentlicher Hardcore-Schmöker, in dem nur teilweise umgesetztes Potenzial schlummert.

_Fazit:_ Ein junger Mann verschwindet, seine Freundin macht sich auf die Suche und fällt dabei in die Hände eines Psychopathen – vor allem Fans von rasanten Thrillern, die nicht mit Gewaltschilderungen geizen, kommen hier auf ihre Kosten. Nach einem sehr überzeugenden Beginn schleichen sich leider nach und nach Schwächen in die Handlung ein, vor allem in Punkto Glaubwürdigkeit der Figuren. Wer Abwechslung zu den bekannten Stars der Branche wie Stephen King oder Dean Koontz sucht, findet mit diesem Roman vielleicht kein Highlight, aber eine unterhaltsame Alternative.

_Der Autor_ Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Im Jahr 2001 verstarb er überraschend früh und hinterließ eine Reihe Romane, die vor allem wegen ihrer schnörkellosen Brutalität von sich Reden machten. Nur ein kleiner Teil davon ist bislang auf Deutsch erhältlich. Zu seinen weiteren Werken zählen u.a. „Parasit“, „Im Zeichen des Bösen“ und [„Vampirjäger“. 1138 Für diesen Sommer ist in der |Heyne Hardcore|-Reihe noch „Die Insel“ geplant.
Mehr über ihn auf seiner offiziellen [Homepage.]http://www.ains.net.au/%7Egerlach/rlaymon2.htm

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Moore, Alan / Lloyd, David – V wie Vendetta

Vor gut zwei Monaten kam ein Film namens „V For Vendetta“ in die deutschen Kinos. Dieser basiert auf der Comicserie „V For Vendetta“ von Alan Moore (Autor) und David Lloyd (Zeichner), welche später als vollständige Graphic Novel wiederveröffentlicht wurde. Allerdings wurde der Film vom Autor jedoch nicht als werkgetreue Buchverfilmung abgesegnet.

Ich finde den Film als solchen zwar gelungen, doch stellt er in der Tat einiges anders dar als das Buch, und auch die Charakterzeichnungen sowohl der Hauptfigur als auch ihres obersten Widersachers wurden für den Film geändert und durch eine weniger profilierte Darstellung entschärft. Vor allem die Hintergrundgeschichte der Hauptperson „V“ tritt in der Literaturvorlage stärker hervor, obgleich seine Herkunft offen bleibt. Denn „V For Vendetta“ ist die Geschichte eines anonymen Mannes, der an der Gerechtigkeit bzw. deren Abwesenheit verzweifelt ist und sich nun selbst Rache für ein ihm angetanes Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verschaffen trachtet.

Diese Geschichte spielt in einem faschistischen England der (bei erscheinen der Serie ab 1982) Zukunft, sie beginnt nämlich im Jahre 1997. Wir haben es mit einer Welt zu tun, in der Faschisten nach dem dritten, nuklear ausgetragenen Weltkrieg und der katastrophalen Lage danach „wieder für Ordnung gesorgt“ haben und so an die Macht gekommen sind, dabei allerdings auch mit der Kirche kooperieren.

Im Vergleich mit dem stellenweise satirisch überspitzten und dadurch aufgelockerten Film erscheint „V For Vendetta“ im Original düsterer und grausamer, was unter anderem sowohl die Rücksichtslosigkeit der Regierung als auch die Kaltblütigkeit von „V“ betrifft, der den Sturz des Regimes plant. Da er den Wandel von der Demokratie zum Faschismus selbst miterleben musste, somit auch, wie Gerechtigkeit und Menschenwürde korrumpiert und schließlich mit Füßen getreten wurden, nimmt seine Desillusionierung kaum Wunder. Als Mann von Bildung, der am eigenen Leib Zeuge wurde, wie schwach die Demokratie in entscheidender Stunde gewesen war, flüchtet er sich in die Theaterwelt einer kulturellen Enklave, die er sich irgendwo im Untergrund angelegt hat, die „Schattengalerie“. Von dort aus plant er sein Vorgehen gegen den Staat. Und zwar gegen den Staat als solchen, denn ständig zwischen den beiden Polen Phantasie und Politik sowie zwischen ganz unten und ganz oben, zwischen musealer Bewahrung und gewaltsamer Zerstörung pendelnd, findet er Trost im utopischen Ideal der Anarchie, welcher er sich in einem eindrucksvollen, symbolischen und theatralischen Akt verschreibt.

Symbolik und Theatralik ziehen sich denn auch als roter Faden durch die gesamte Geschichte, ebenso wie Zitate aus Literatur und Musik (durch „V“ immerzu aufs Neue theatralisch inszeniert). Diese Theatralik wertet den Comic ungemein auf, was sowohl Stil als auch Spannung der Geschichte anbelangt. Von der Düsternis nimmt sie ihm indes nur wenig.

Zweifellos ist „V“ nicht ganz normal, das wäre von einem Folteropfer auch nicht zu erwarten. Alleine die Idee, im Alleingang einen Rachefeldzug von dieser Größenordnung zu starten (es wird einige hohe Tiere erwischen – dieser Begriff passt hier ausgezeichnet) ist nahezu verrückt; aber „V“ will mehr: die gesamte Gesellschaftsordnung zum Teufel jagen. Und dabei geht er äußerst geschickt vor …
Wie weit sein Wahnsinn und sein Genie jedoch fortgeschritten sind, bleibt in der Schwebe; lange Zeit übrigens auch, inwieweit sich Rache- und politisches Motiv bedingen, bzw. welches der beiden überwiegt.
Immer wieder verschanzt sich „V“ hinter seiner starren Maske. Als Gewandung hat er die Bürgertracht aus der Zeit des „Gunpowder Plot“ gewählt, als Auftakt seiner terroristischen Aktionen den Guy Fawkes Day und als Waffe, neben dem unumgänglichen Sprengstoff, das Wort, die Folter sowie eine Anzahl von Dolchen und einmal sogar eine Giftspritze. Es handelt sich also um einen Mann, der durchaus mit Hinterlist und Tücke vorgeht.

Im gleichen Maße, indem man als Leser die idealistischere Seite des Protagonisten kennen lernt, begibt man sich auch tiefer in den Abgrund der Grausamkeit „V“s. Diese Ambivalenz wird in der Graphic Novel noch deutlicher als im Film. Wo dort etwa der Diktator kaum mehr als eine sinistre Folie des Faschismus in Person ist, vor der „V“ seinen gewalttätig-aufklärerischen Ein-Mann-Feldzug entwickelt, fällt sein Porträt im Buch deutlich stärker aus und lässt sich auch gut als Kritik an der funktionshörigen Maschinenvergötzung des modernen Menschen lesen. „V“ dagegen fordert ohne jegliches Maß die Emporhebung des Menschen als freies Individuum ein, das einzig und allein seinem Willen unterworfen sei. Dies erfordert Mut, und – wie „V“ selbst es einmal indirekt eingesteht – die Erkenntnis, dass wahre Freiheit immer erkämpft werden muss, auch und vor allem der eigenen Behaglichkeit zum Trotz.

Die von „V“ angestrebte Welt wird folglich alles andere als eine Verwahrstation für Mitläufer sein, und so hat er keinerlei Skrupel, Menschen dieses Schlages zu töten, wenn sie sich seiner Idee in den Weg stellen, oder sie als Spielfiguren zu gebrauchen; wem es an eigenem Willen gebricht, der hat schon verloren. Auch manipuliert er Menschen mit verabscheuungswürdigen Methoden. Aber anders als die Faschisten will er ihnen keine falsche Sicherheit suggerieren.
Doch dies wird im Buch lediglich angedeutet.

Beleuchtet wird am Charakter „V“s vor allem das Rachemotiv, der einzige Teil seiner Persönlichkeit, der sich aus der (hier im Gegensatz zum Film mehr als nur angedeuteten) Gefangenschaft und Flucht herleitet. Dass dies nicht alles gewesen sein kann, was eine solche Entschlossenheit möglicherweise erklärt, macht die Figur mysteriöser, als sie ohnehin schon ist. Einen Innenkampf des Protagonisten bekommen wir nie zu sehen, und einmal bezeichnet er sich sogar selbst als Idee.

Neben der dichteren Atmosphäre ist der Comic dem Film auch darin überlegen, dass er eine weibliche Perspektive miteinbringt; und zwar nicht nur in der Figur von Evey, einer Waise, die durch die faschistischen Verfolgungen erst zu einer solchen geworden ist, und derer sich „V“ animmt, ihr Asyl in seiner Schattengalerie bietet und sie schließlich (oder bereits von Anfang an?) auch zum Teil seines Planes macht. Ebenso die Frauen der Nebenfiguren – nein, das ist falsch; es muss heißen: die Frauen als Nebenfiguren – bekommen hier einen der vorgezeichneten Welt angemessen Part, müssen sehen, wo sie in einer von Männern dominierten Welt bleiben, und wie sie sich in unschönen Zeiten am besten durchschlagen: Die zweifelbehaftete Heldin, die schwache Mitläuferin, die starke Intrigantin – alles vertreten.

Im Film ebenfalls zensiert: Drogen. LSD spielt dagegen im Comic eine zentrale Rolle, um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Dem Polizisten Finch, der dem Terroristen „V“ auf der Spur ist und der ihn schließlich für seine Untaten aus persönlichen Gründen nur noch töten will, gerät im Verlaufe der Handlung immer mehr in Zweifel an der Richtigkeit – nicht seiner Arbeit, wohl aber des Staates, der ihn beschäftigt. Ironischerweise sind in einer zutiefst pervertierten Gesellschaft Drogen für ihn die einzige Möglichkeit, sich seiner inneren Stimme zu stellen, alle Propaganda- und Lebenslügen abzuschütteln, und in einer Art Vision der Wahrheit immerhin ein Stück näher zu kommen. Eine abschließende Deutung von „V For Vendetta“ zur Frage „Verherrlichung der Anarchie – ja oder nein?“ lässt sich nicht geben. So bleibt denn auch am Ende der Geschichte vor allem der Zweifel. Aber der ist ja bekanntlich hin und wieder auch ein Neubeginn.

Man muss schon ein unrettbarer Zyniker sein, um von „V For Vendetta“ gänzlich kalt gelassen zu werden. Die Lektüre empfiehlt sich schon alleine aufgrund der spannenden und nachdenklich stimmenden Geschichte Lesern aller Sprachen und politischen Standpunkte. Hinzu kommen die stimmungsvollen Zeichnungen von David Lloyd, die wie von alten Filmpostern und Roman-Illustrationen, vor allem aber von klassischen Noir-Comics und Film-Storyboards inspiriert wirken, und die das Betrachten ebenfalls zum Genuss machen. Aufgrund der zahlreichen Wortspiele rund um den Buchstaben V sollte man das Werk jedoch nach Möglichkeit auch im englischen Original lesen.

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James, Peter – Mein bis in den Tod

Faith Ransome könnte eigentlich glücklich sein: Seit über zehn Jahren ist sie mit dem erfolgreichen Schönheitschirurgen Ross verheiratet, ihr kleiner Sohn Alec ist ihr ganzer Stolz, sie lebt in guten finanziellen Verhältnissen und ist attraktiv. Doch hinter der schönen Fassade ist Faith zutiefst unglücklich. Schon seit Jahren ist Ross nicht mehr der Mann, den sie mal geheiratet und geliebt hat. Nach außen hin präsentiert er sich als perfekter Ehemann, aber gegenüber Faith ist er kompromisslos, hartherzig und bestimmend. Jede kleine Nachlässigkeit im Haushalt bringt ihn in Rage. Faith muss stets perfekt gestylt und gekleidet sein, alles hat sich seinem Tagesrhythmus anzupassen. Sein Drang zu immer neuen Schönheitsoperationen an ihrem Körper verunsichert sie. Immer größer wird ihre Angst, dass er eines Tages auch Gewalt anwendet. Sie denkt an Scheidung, doch sie befürchtet, dabei ihren Sohn an Ross zu verlieren. Alex zuliebe, der sehr an seinem Vater hängt, versucht sie, den Schein zu wahren.

Auf einem Geschäftsessen von Medizinern begegnet Faith dem Arzt Oliver Cabot. Der sensible Mann mit den grauen Haaren ist ihr sofort sympathisch, was auf Gegenseitigkeit beruht. Bald darauf begegnen sich die beiden beim Einkaufen wieder. Faith ist fasziniert von der Ruhe und der Sicherheit, die der Alternativmediziner ausstrahlt. Bei ihm findet sie die Geborgenheit, die ihr in der Ehe mit Ross schon so lange fehlt. Oliver wiederum, dessen Ehe nach dem Tod seines Sohnes scheiterte, fühlt sich zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer Frau hingezogen.

Währenddessen erleidet Faith immer wieder Schwächeanfälle. Auf Drängen ihres Mannes lässt sie sich von ihrem Hausarzt untersuchen. Das Ergebnis ist schockierend. Alles in Faith sehnt sich danach, ihren Mann zu verlassen und mit Oliver ein neues Leben anzufangen und mit seiner Hilfe die Krankheit zu besiegen. Doch sie ahnt nicht, dass Ross grausame Pläne schmiedet, um seine Frau für immer an sich zu binden, und dabei vor nichts zurückschreckt. Er setzt einen Privatdetektiv und einen Killer auf Oliver Cabot an. Faith und Oliver müssen um ihr Leben kämpfen …

Es ist kein neues Thema und es sind keine neuen Zutaten, die Peter James für seinen Thriller verwendet. Das Resultat ist dementsprechend ein unspektakulärer, wenngleich unterhaltsamer Roman über das alte Thema einer Ehefrau in den Händen eines Psychopathen.

|Klappentext weckt falsche Erwartungen|

Die Kurzbeschreibung des Romans erweckt den fälschlichen Eindruck, hier stünden die Operationen von Ross an seiner Ehefrau im Vordergrund, da er Faith „nach seinen Vorstellungen umoperieren“ wolle und seine Frau deshalb nach einem Ausweg sucht. Tatsächlich spielt sein Operationszwang zwar eine Rolle, doch diese ist weitaus geringer, als man zunächst annehmen würde. Ross hat in den vergangenen Jahren ein halbes Dutzend Eingriffe an Faiths Körper und Gesicht vorgenommen und drängt sie zu einer weiteren Nasenkorrektur. Faith lehnt ab, bereut bereits ihre vergangenen Operationen und fürchtet immer mehr, dass Ross nie Gefallen an ihrem ursprünglichen Aussehen empfunden hat. Doch das ist dann auch schon alles und der Roman dreht sich wieder hauptsächlich um die unglückliche Ehe, um Ross‘ Einengung und Eifersucht und Faiths Versuch, der Hölle zu entfliehen. Keineswegs ist es so, wie der Klappentext suggeriert, dass Faith speziell wegen der Schönheitsoperationen aus der Ehe ausbrechen will. Vielmehr geht es um den psychischen Druck, den ihr Ehemann anwendet, die Gewalt, zu der er schließlich greift, und ihre Gefühle für Oliver Cabot.

|Charakterisierungen mit Licht und Schatten|

Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Faith Ransome. Mit ihr soll der Leser fühlen und sich so weit als möglich identifizieren. Das gelingt vor allem zu Beginn recht gut. Faith erscheint als sympathische junge Frau, die in ständiger Angst vor ihrem Ehemann lebt. Zum Wohl ihres Sohnes, der sehr an seinem Vater hängt, stellt sie ihr Fluchtbedürfnis zurück und bemüht sich, den heilen Schein zu wahren. Ihr Leben ist bestimmt von Unsicherheit und einer drückenden Spannung. Alles in der Wohnung muss blitzblank aufgeräumt und geputzt sein, Faith selber darf keine Schlabberklamotten tragen, sondern hat stets in perfektem Dress auf ihren Mann zu warten. Dabei wendet Ross zunächst nicht einmal körperliche Gewalt an – doch alles an seinem gebieterischen Auftreten schüchtert Faith ein. In seinen gemeinen Momenten erinnert er seine Frau daran, dass erst seine geschickten Chirurgenhände ihrem Gesicht und ihrem Körper zu der Ebenmäßigkeit verholfen haben, die sie von Durchschnittsfrauen abhebt. Mit unguten Gefühlen erinnert sich Faith daran, wie Ross sie auf Kongressen als Anschauungsmodell vorgeführt hat. Einerseits sagt sie sich, dass jeder Schönheitschirurg seine eigene Frau operiert, Ross sich also völlig normal verhält. Andererseits spürt sie immer mehr, dass er nicht sie selber liebt, sondern die Idealgestalt, die er nach seinen Vorstellungen aus ihr geformt hat. Ein großes Plus bei ihrer Charakterisierung ist die Tatsache, dass der Leser gut versteht, warum sie sich nicht einfach scheiden lässt. Ihr kleiner Sohn Alec, der von der Härte seines Vaters lange Zeit nichts mitbekommt, hängt sehr an seinem Daddy, so sehr, dass sie manchmal fast neidisch auf diese traute Zweisamkeit wird. Dazu kommt noch ihre eigene Mutter, die Ross beinah wie einen Heiligen verehrt, ja selber für ihn ein klein wenig schwärmt und nichts auf ihren geliebten Schwiegersohn kommen lässt. Auch im Bekanntenkreis ist Ross nur der angesehene Arzt mit den großartigen Erfolgen. Faith ist gefangen in einer Scheinwelt, die sie immer stärker spüren lässt, dass sie eines Tages ausbrechen muss, um ihr Glück zu finden.

Ross Ransome ist dagegen ein in jeder Hinsicht zwiespältiger Charakter. Gut gezeichnet sind seine Dominanz, sein befehlendes Auftreten, das keine Widersprüche duldet und ebenso die Souveränität, die er für unwissende Außenstehende ausstrahlt. Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, wieso sich Faith vor ihm fürchtet und weshalb im Gegenzug niemand anderer sein krankhaftes Verhalten erkennt. Etwas gewöhnungsbedürftig aber durchaus interessant ist seine Wechselhaftigkeit. Genau wie Faith weiß der Leser nie so recht, wie Ross auf neue Ereignisse reagieren wird. Wird er seine Frau schlagen, wird er die Nerven verlieren oder versucht er, sie mit Liebesschwüren an sich zu fesseln? Alles ist möglich, denn in seinem Kopf schwebt die fixe Idee, dass Faith ihn niemals verlassen darf. So schlecht er sie auch behandelt, so sehr überschüttet er sie immer wieder mit Beteuerungen, dass sie der Inhalt seines Lebens sei. Erst nach und nach erfährt man als Leser die ganze Grausamkeit seines Denkens. Ein Mittel dafür sind die schrittweisen Enthüllungen, wenn alle paar Kapitel die Zeit zurückgedreht und in seine Kindheit geschaltet wird. Hier sieht man den kindlichen Ross, man erfährt seine familiären Hintergründe und erlebt mir, wie er schon damals zu schrecklichen Taten fähig war. Ab da ist man gewarnt, dass er in seiner Rache vor nichts zurückschrecken wird …

Insgesamt weniger glaubwürdig ist allerdings die Darstellung von Oliver Cabot. Allein sein Hintergrund ist klischeehaft: Oliver verlor seinen Sohn durch eine Krankheit und wandte sich daraufhin der alternativen Medizin zu, trennte aich von seiner Frau und lebte bis zur Begegnung mit Faith in freiwilliger Enthaltsamkeit. Oliver ist der Samariter schlechthin, der Retter von Faith Ransome in allen Lebenslagen. Bereits auf den ersten Blick erkennt er die Traurigkeit der jungen Frau hinter der aufgesetzten Maske und legt es darauf an, sie bald wiederzusehen. Faith kann von Glück reden, dass ihr ein solcher Held begegnet – aber realistisch ist es nicht. Die Zuneigung und Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich im Eiltempo und wirkt angesichts aller schwierigen Umstände zu geschönt, um wirklich zu überzeugen.

Ein umso facettenreicherer Nebencharakter indes ist der Privatdetektiv Hugh Caven, den Ross anheuert, um Faith und Oliver zu beschatten. Caven arbeitet einerseits mit unsauberen Methoden und hat eine kriminelle Vergangenheit hinter sich, andererseits besitzt er Herz und Mitgefühl. Sein Auftraggeber ist ihm alles andere als sympathisch und bis zum Schluss darf man mitfiebern, ob sich Hugh Caven für sein Gewissen oder für das Geld entscheidet.

|Gegen Ende konstruiert|

Leider spielt der Zufall grundsätzlich eine übertrieben große Rolle. Das ist vor allem gegen Ende hin ärgerlich, als alles auf einen spektakulären Showdown hinausläuft. Ross verhält sich wie viele Klischee-Psychopathen, die ihrem Opfer genug Spielraum zur Flucht geben, anstatt kurzen Prozess zu machen. Und auch der finale Schluss verläuft etwas zu abrupt und problemlos, als seien dem Autor die Zeit und die Ideen ausgegangen, das Ende realistischer zu gestalten. Es gibt keine wirklich überraschenden Wendungen, im Grunde verläuft alles so, wie der versierte Thrillerleser es bereits nach spätestens einem Drittel des Romans vermutet. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, liegt vor allem am Interesse an der Hauptperson, deren Schicksal den Leser gewiss nicht kalt lässt.

|Verschenkte Spannungsmöglichkeit|

Man hofft auf ein doppeltes Happy-End, denn schließlich muss Faith nicht nur gegen ihren gefährlichen Ehemann, sondern auch gegen eine unberechenbare Krankheit ankämpfen. Und hier liegt auch eine verschenkte Möglichkeit, die Spannung zu steigern. Hin und wieder wird stellenweise in die Perspektive von Ross hinübergelenkt, so dass dem Leser Einblick in seine Gedanken gewährt wird. Dadurch wird Ross in seiner Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit gebremst – anstatt dass der Leser im Dunkeln gelassen wird, ist er informiert über die Denkweise von Ross und seine Pläne hinsichtlich seiner Frau. Das zeigt sich deutlich, als er von ihrer schweren Krankheit erfährt. Geschickter wäre es gewesen, hier erst einmal offen zu lassen, ob nicht Ross die Blutproben gefälscht hat oder irgendwie an ihrer Krankheit Schuld trägt.

|Flüssiger Stil|

Mehr als 550 Seiten umfasst der Roman, lässt sich aber dennoch in wenigen Tagen verschlingen. Das liegt vor allem an der schnörkellosen Schreibweise, die es dem Leser ermöglicht, der Handlung ohne Mühe zu folgen. Obwohl die Medizin einen nicht unerheblichen Raum dabei einnimmt, kommen keine Unverständlichkeiten auf. Jede Operation von Ross wird verständlich geschildert, keine Fachausdrücke halten den Lesefluss auf. Auch wenn es um Faiths Krankheit geht, wird nicht im medizinischen Fachjargon, sondern immer nachvollziehbar darüber geredet. Die Rückblicke in die Kindheit von Ross sind sehr überschaubar gehalten und sauber vom Rest der Handlung abgetrennt – man muss nicht befürchten, dass die beiden Zeitebenen durcheinander geraten oder für Verwirrung sorgen. Wer zu einem empfindlichen Magen neigt, muss sich keine Sorgen über allzu grausige Szenen machen. Selbst die gewaltvollen Stellen sind nicht übermäßig explizit gestaltet, sodass auch bei Zartbesaiteten kein Ekel aufkommt. Insgesamt ist Peter James hier ein unterhaltsamer Thriller gelungen, der sich gut als Urlaubslektüre eignet, aber nicht dauerhaft im Gedächtnis bleibt.

_Unterm Strich_ erwartet den Leser ein solider, aber in keiner Form herausragender Thriller über einen psychopathischen Arzt und eine Frau in Gefahr. Die größte Stärke liegt in der Identifizierung mit der Hauptfigur, die sich gegen ihren mörderischen Ehemann und eine tückische Krankheit gleichermaßen wehren muss. Gegen Ende verliert die Geschichte leider an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Dank des lockeren, unkomplizierten Stils ist das Buch gut zum Zwischendurchlesen geeignet.

_Der Autor_ Peter James, Jahrgang 1948, liebt Autos, Sport und alles Paranormale. Er lebte jahrelang in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent, ehe er wieder nach England zurückkehrte. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Ein guter Sohn“, „Die Prophezeihung“ und „Wie ein Hauch von Eis“. Zuletzt erschien der Horror-Thriller „Stirb ewig“.

Dark, Jason – John Sinclair – Der Mörder mit dem Januskopf (Folge 5)

Mr. Janus, ein neuer Untertan der Hölle, macht sich auf, John Sinclair endgültig aus dem Weg zu räumen. Um seinen Plan auch durchzusetzen, ohne dabei als Dämon Spuren zu hinterlassen, wendet sich der Mann mit dem zweiten Januskopf an das Verbrechersyndikat von Alex Terras und erzwingt unter Androhung eines Anschlags auf die Killerbrigade dessen Mithilfe. Um seine Macht zu demonstrieren, tötet der Dämon mit seinem zweiten Gesicht ein junges Mädchen, das beim bloßen Anblick der teuflischen Fratze in sich zerfließt.

Terras hetzt seinen besten Killer auf Sinclair und glaubt, dass ihm Mr. Janus im Nachhinein nicht mehr gefährlich werden kann, und dieser spürt Sinclair tatsächlich bewaffnet auf dem Friedhof auf. Doch der Geisterjäger und sein Gefährte Suko können sich mit Geschick ihres Widersachers entledigen und die Hintergründe des Mordes an der jungen Mandy weiter erforschen.

Ihre Spur führt sie schließlich zu Terras, wo Suko auf einen alten Bekannten trifft, mit dem er damals in einem mächtigen chinesischen Orden gekämpft hat. Mit dessen Hilfe kann sich der Asiat in das Hauptquartier des Syndikats einschleichen, während Sinclair sich auf offiziellem Wege ins Büro von Terras begibt. Doch dort erwarten ihn auch schon der finstere Dämon und sein tödliches zweites Gesicht …

_Meine Meinung_

Bei den letzten rezensierten Hörspielen aus der John-Sinclair-Reihe fühle ich mich fast immer dazu bewegt, von der bislang besten Episode zu reden. Dieses Mal bin ich mir aber sicher 😉 Von den ersten fünf Folgen der Edition 2000 ist „Der Mörder mit dem Januskopf“ die mit Abstand spannendste und daher auch ganz klar beste.

Obwohl die Rollen hier klar verteilt sind, ist die Handlung von „Der Mörder mit dem Januskopf“ reich an Wendungen und Verstrickungen, denn im Reich der mafiösen Gangster weiß niemand so recht, wem er trauen soll, und so ergeben sich gerade von der bösen Seite her immer neue Wendungen. Außerdem muss Sinclair seinen Kopf hier mehr als einmal aus der Schlinge ziehen, denn eigentlich wähnte man ihn bereits bei der Gegenüberstellung mit dem Auftragskiller von Alex Terras im Reich der Toten. Und auch im finalen Showdown mit der Brut der Unterwelt scheint die Situation in diesem Fall so aussichtslos, dass die Spannung bis zur letzten Sekunde am Siedepunkt bleibt.

Hinsichtlich der Rahmenbedingungen der Erzählung ist „Der Mörder mit dem Januskopf“ aber auch der bislang stärkste Tobak. Der Tod ist in diesem Fall nicht nur der größte Feind des Geisterjägers, sondern ein mehrfach wiederkehrender Mythos, bei dem jeder der mitwirkenden Charaktere das nächste Ziel sein könnte. Und selbst der geschickte Martial-Arts-Spezialist Suko und sein populärer Kumpane geraten nicht selten in das Kreuzfeuer des Sensemanns.

Die Story ist also wirklich topp, was zu gewissen Teilen aber auch an der faszinierenden Ausstrahlung des Monstrums festzumachen ist. Im Sinclair-Universum gibt es ja haufenweise düstere Schergen, aber eine Gestalt, deren verstecktes Antlitz einem das gesamte Gesicht entstellt und es zu einer unkenntlichen Masse zerfließen lässt, ist schon eine echte Ausnahmeerscheinung, weil sie eben so untypisch ist. Doch ohne die darum gesponnene, ebenfalls faszinierende Handlung und die von den immer wieder zu lobenden Sprechern toll in Szene gesetzten Charaktere würde auch „Der Mörder mit dem Januskopf“ nicht adäquat funktionieren, doch hier ist ebenfalls alles spitze.

Deswegen kann ich diese Rezension auch mit einem „Lange Rede, kurzer Sinn“-Fazit abschließen: „Der Mörder mit dem Januskopf“ ist eine super-spannende, fesselnde Horror-Erzählung und samt den tollen Effekten der Edition 2000 eines der besten düsteren Hörspiele auf dem gesamten (Sinclair-)Markt. Wem diese Story nicht gefällt, der ist des beliebten Geisterjägers einfach nicht würdig!

http://www.sinclairhoerspiele.de/

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Botting, Douglas – große Zeppelin, Der

Der Traum ist – so lautet eine der zahllosen Definitionen – ein Ventil, das unser Hirn benötigt, um in der Nacht kreativen Überdruck abzulassen, der in der grauen Realität des Tages meist fehl am Platze ist, denn dort haben Krämerseelen, Erbsenzähler oder Notstandsverwalter das Sagen. Nur manchmal geschieht es, dass die sonst vergeudete Energie, statt im Nichts zu verpuffen, den Weg ins Hier & Heute findet, um dort jenen komplexen Mechanismus aus Versuch & Irrtum anzutreiben, dem wir Menschen es verdanken, dass wir als Adresse nicht mehr die Höhle Nr. Sicher angeben müssen.

Was haben die raren Zeitgenossen, die von uns weniger Klugen oder Mutigen als „Spinner“ verlacht werden, bis wir sie nach wider Erwarten sich einstellendem Erfolg zum „Genie“ befördern, nicht zu erdulden, während sie unbeirrt ihrem seltsamen Drang folgen, der Welt etwas zu schenken, was diese zwar selten verdient, aber oft genug gut gebrauchen kann! Die Geschichte dieser erfindungsreichen Geister ist mit der des Zeppelins praktisch deckungsgleich. Im Nachhinein gibt es natürlich viele kluge Antworten auf die Frage, wieso das Luftschiff gerade um 1900 erfunden wurde, aber wie Douglas Botting so informativ wie unterhaltsam darzulegen weiß, ist die historische Wahrheit nur die Hälfte der Geschichte.

Luftschiffe sind keine Objekte nüchterner Betrachtung; das sind sie höchstens für Regierungen und Konzerne, die sie bezahlen müssen. Ansonsten stellen sie Objekte der Bewunderung und Projektionsflächen für die Träume der normalsterblichen Bodenbewohner dar. Weil Zeppeline üblicherweise recht voluminöse Gebilde sind, verbinden sich mit ihren entsprechend große oder großartige Träume. „Dr. Eckeners Traum-Maschine“ nennt denn auch der Verfasser sehr viel treffender, als der prosaische deutsche Titel dies auszudrücken vermag, sein Werk. Was er damit meint, führt er uns sogleich überzeugend vor Augen, als er mit der Chronologie seiner Zeppelin-Historie bricht und die Ehrfurcht gebietenden Riesen der Lüfte in den Stunden ihrer größten Triumphe zeigt. Die sagenhafte Erdumkreisung des „Grafen Zeppelin“ von 1929 führt dem Leser aber exemplarisch auch vor Augen, dass eine der ganz großen technischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte enden musste wie sie begann: großartig, aber tragisch.

Dr. Hugo Eckener (1868-1954) ist für beides der ideale Hauptdarsteller. Ein nüchterner, auf Sicherheit und Zuverlässigkeit schwörender, genialer, sturer, schroffer, selbstbewusster, hoch verehrter, verschlossener, überlebensgroßer Mann, alles andere als ein trauriger Held, sondern eine Persönlichkeit mit Visionen und der Kraft, diese allen Widrigkeiten zum Trotz umzusetzen. Wohl nur Eckener konnte quasi im Alleingang die Luftschifffahrt Wirklichkeit werden lassen, weiß Botting deutlich zu machen, und was den Unterschied ausmacht, erklärt er uns, indem er Eckener den legendären Grafen Ferdinand von Zeppelin gegenüber stellt, der als eigentlicher Erfinder der (starren) Luftschiffe gilt, doch als solcher eigentlich ein Geschöpf der Medien war und sogar von Eckener, der sich als Journalist und Sachbuch-Autor mit der Materie auskannte, als solches erschaffen wurde. Graf Zeppelin war allerdings „nur“ der Mann mit der richtigen Idee, der mit dieser geistig nicht Schritt halten konnte und schließlich von ihr vereinnahmt wurde, Eckener dagegen ein Visionär auf dem Boden nackter Tatsachen, der stets bereit und fähig war dazuzulernen.

Er war zudem eine Führergestalt im positiven Sinne. Da der direkte Vergleich historisch möglich ist, zieht Botting ihn. Anders als Hitler besteht Eckener diesen Test, denn die Beweise sagen eindeutig, dass die Nazis mit ihrem genialen Luftschiffer gar nicht glücklich wurden. Mit seltener, durchaus tollkühner Eindeutigkeit hat sich Eckener gegen Hitler und sein Regime ausgesprochen. Nur sein Prominentenstatus als Liebling des deutschen Volkes, dem anders als sein „Führer“ die Zeppeline wert & teuer waren, rettete Eckener die Freiheit und womöglich das Leben. Seine scharfe Zunge kostete ihn freilich die über Jahrzehnte hart erarbeitete Vormachtstellung im deutschen Luftschiff-Bau: Als er d a s Meisterwerk der Zeppelin-Kunst, die „Hindenburg“, verwirklicht sehen wollte, musste er doch manche braune Kröte schlucken, um nicht kaltgestellt zu werden.

Die Geschichte der „Hindenburg“ bildet den zweiten Teil dieses Buches. Sie scheint hinlänglich bekannt, konzentriert sich aber tatsächlich meist auf jenen explosiven Moment, als dieses Schiff 1937 über dem Landefeld von Lakehurst havarierte und damit das Ende einer Epoche besiegelte. Botting macht deutlich, dass dies zu kurz gedacht ist. Die „Hindenburg“ symbolisiert einerseits das Ende einer grandiosen Sackgasse der Luftfahrt: Das Flugzeug hatte schon damals den Zeppelin eingeholt und überflügelt. Andererseits stellt die „Hindenburg“ noch heute eine technische Glanzleistung dar. Nach mehr als zwei Jahrzehnten grüner Verteufelung aller nicht auf Bäumen gewachsener Schöpfungen menschlichen Erfindergeistes ist es etwas aus der Mode gekommen, solche zur Kenntnis zu nehmen. Zudem wäre es falsch, die Katastrophe von Lakehurst mit dem Ende der Luftschifffahrt gleichzusetzen: Schließlich gab es noch einen heute fast vergessenen „Graf Zeppelin II“, der dem unglücklichen Schwesterschiff an Größe nicht nachstand. Erst der II. Weltkrieg machte Dr. Eckeners Traum-Maschine endgültig den Garaus.

Aber der Traum als solcher lebt: Douglas Botting bekennt sich selbst zu ihm und lässt dabei exakt dasselbe Maß an Selbsttäuschung erkennen, das auch Eckener und seine Gasschiff-Jünger einst an den Tag legten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift von „Der große Zeppelin“ schien es, als ob die alte Pracht und Herrlichkeit in Deutschland wieder erstehen würde. „CargoLifter“ hieß die „Hindenburg“ der Gegenwart; ein Projekt, auf das Botting in einem Schlusskapitel voller Zuversicht und Hoffnung nicht nur hinweist, sondern – wohl ohne es selbst zu bemerken – von dem er enthusiastisch schwärmt. Wieder sah auf dem Papier alles glänzend aus: Nicht als Passagierschiff, sondern als fliegender Kran und Transporter für gewaltige, sperrige Fracht war der „CargoLifter“ konzipiert; in der Vergangenheitsform muss man inzwischen über ihn sprechen, denn Bottings Vision von der Wiederkehr der ruhigen Riesen zerstob ebenso wie die Hoffnung der „CargoLifter“-Aktionäre auf eine fette Rendite. Bei eindrucksvollen Computer-Simulationen ist es bisher geblieben, während die Kosten noch spektakulärer explodierten als einst die „Hindenburg“. Schlagzeilen macht der „CargoLifter“ höchstens als Pleitegeier. Eine gigantische Werfthalle nahe Berlin, die größte ihrer Art in der Welt, in deren lichter Kuppel sich echte Wolken bilden, und die heute als exotische Freizeitanlage genutzt wird, legen Zeugnis darüber ab, dass Luftschiffe heute mehr denn je Traum-Maschinen sind.

So bleibt einmal mehr nur der Blick zurück in eine schier unglaubliche Epoche. Die Bilder, die Botting zusammengetragen hat, lassen völlig ungeachtet des Wissens, wie dieser Traum endete, beim Betrachter den unbändigen Wunsch aufsteigen, selbst sofort mitzufliegen. (Sie leiden freilich unter ihrem zu geringen Format – wie immer und überall beansprucht so ein Zeppelin auch als Abbildung eine Menge Raum!) Kluge Köpfe wurden über der Frage zerbrochen, wieso dies so war, ist und immer sein wird. Kaffeesatz-Psychologen wiesen gern auf die frivole Form der Luftschiffe hin, und tatsächlich lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland einst auf dieser Welt den Längsten hatte. Botting mag sich dieser simplen Interpretation nicht anschließen, und er hat wohl Recht: Primär ist es wohl die Kombination von Größe und Schwerelosigkeit, die dem Luftschiff seinen Nimbus verleiht. Immer wieder schwärmen Zeugen von der Freiheit, die in einem Zeppelin über den Wolken tatsächlich grenzenlos war. Das erschließt sich dem heutigen Leser so mühelos, dass daran wohl etwas dran sein muss.

Kirstein, Rosemary – verschwiegene Steuermann, Der (Die Expedition der Steuerfrau 3)

Buch 1: [„Das magische Juwel“ 2183
Buch 2: [„Das Geheimnis des Saumländers“ 2200

Rowan ist von den Binnenländern nach Alemeth gekommen. Im Annex, der Außenstelle des Ordens, will sie nach Hinweisen suchen, um herauszufinden, wo Slado sich aufhält. Allerdings befindet sich der Annex in einem chaotischen Zustand. Mira, die Steuerfrau, die ihn hätte verwalten sollen, hat sich keinen Deut darum gekümmert, und Rowan kann sie nicht einmal dafür anbrüllen, weil sie inzwischen gestorben ist.

Schon bald jedoch verblasst das Problem des Sortierens angesichts der Tatsache, dass in Alemeth Dämonen auftauchen, Lebewesen, die eigentlich im Saumland heimisch sind und in den Binnenländern weder geeignetes Wasser noch geeignetes Futter finden. Die Bewohner Alemeths lernen bald, die Dämonen wirkungsvoll zu bekämpfen. Einer der Eifrigsten ist Janus, ehemaliger Steuermann und Rowans Freund aus Ausbildungstagen. Dann kommt der Tag, an dem eine ganze Gruppe Dämonen nach Alemeth kommt, zu viele, um ihrer Herr zu werden. Sie schnappen sich Janus und verschwinden.

Gemeinsam mit Steffie, einem jungen Burschen, der ihr im Haushalt hilft, macht Rowan sich daran, die Dämonen zu verfolgen …

|Allerlei Volk|

Die Binnenländer sind ein völlig anderes Völkchen als die Saumländer. Sie sind vernünftig und bodenständig, aufgeschlossen, gesellig und feiern gern. Mira kam diesem Wesenszug entgegen, war ebenfalls leutselig und liebte es, zu klatschen und einen über den Durst zu trinken. Rowan ist völlig anders, weshalb die Alemether zunächst so ihre Vorbehalte haben, die nach dem Sieg über den ersten Dämon jedoch rasch schwinden.

Steffie dagegen hat von Anfang an einen guten Draht zu Rowan. Er ist nicht der Allerschnellste, dafür aber unvoreingenommen, und er besitzt Beobachtungsgabe. Sein schlichtes Gemüt ist frei von Eigennutz und Unaufrichtigkeit. Er ist Rowan, die Bel schmerzlich vermisst, eine große Unterstützung, nicht nur, weil sie mit ihm reden kann, sondern auch, weil er sie vor denjenigen Einwohnern in Schutz nimmt, die dazu neigen, schlecht von Rowan zu denken.

Rowans schlechter Ruf basiert nicht unbedingt nur auf ihrer etwas spröden Art. Janus hilft mit ein paar gelegentlichen Bemerkungen kräftig nach. Dabei will er Rowan nicht wirklich etwas Böses. Aber es ist klar, dass er ihr etwas verheimlicht, er wirkt zerrissen und fahrig, und auch seine gelegentliche, aufgesetzte Fröhlichkeit kann darüber nicht hinwegtäuschen. Und schließlich findet Rowan heraus, dass er lügt. Für Rowan ist es eine äußerst schmerzliche Erkenntnis, dass sie ihrem früheren Freund offenbar nicht mehr trauen kann.

Nicht minder schmerzlich ist diese Erkenntnis für Zenna, die als Ersatz für Mira aus Wulfshafen gekommen ist. Zenna hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Bel. Sie ist ungeheuer zäh – trotz eines fehlenden Beines hat sie gelernt, wieder zu rennen – und lässt sich genauso wenig dreinreden. Im Gegensatz zu Rowans eher einzelgängerischem Wesen kann Zenna recht gut mit Menschen umgehen. Als Matrosin auf einem Schiff aufgewachsen, ist sie genau die Richtige, um Rowan nach Süden zu begleiten und Steffie das Segeln beizubringen, wovon sie sich auch durchaus nicht abbringen lässt.

|Die Dämonenwesen|

Abgesehen von dem Geheimnis um Janus stehen die Dämonen diesmal im Mittelpunkt. Die Bezeichnung Dämonen legt eine unstoffliche, magische Wesenheit nahe, was aber irreführend ist. Dämonen sind fremdartige, aber stoffliche Wesen, die nichts mit Magie oder Übersinnlichkeit zu tun haben. Für Rowan sind sie Tiere, und es ist nur logisch, dass sie einen seziert, um möglichst viel über diese unbekannte Lebensform herauszufinden. Am meisten beschäftigt sie jedoch die Frage, warum die Dämonen so hartnäckig in ein für sie derart lebensfeindliches Gebiet vordringen. Als Janus entführt wird, ist Rowan sicher: Die Dämonen werden von Slado geschickt! Sie haben Janus entführt, weil er etwas über Slado herausgefunden hat!

Die Expedition in unbekannte Gewässer ist schwierig, aber nichts im Vergleich zu dem, was Rowan an Land erwartet. Das Land ist karg und fremdartig, und vieles von dem, was Rowan vorfindet, ergibt keinen Sinn. Als sie schließlich auf Dämonen stößt, macht sie eine Entdeckung, die alle ihre Vermutungen und Schlussfolgerungen über den Haufen wirft. Es gelingt ihr, Janus zu finden. Doch obwohl dieser einst ein Steuermann war, scheint er nicht in der Lage, die Bedeutung ihrer Entdeckung gedanklich zu erfassen, geschweige denn, dass er bereit wäre, Konsequenzen daraus zu ziehen …

|Charakterbilder und Gesamteindruck|

Die Charakterzeichnung ist gut gelungen, das gilt für jeden einzelnen Einwohner von Alemeth, ganz gleich, wie häufig er auftaucht. Bürgerwehr und Kaufleute, das Getratsche am Waschtag, die undifferenzierten, voreingenommenen Sichtweisen von Gwen auf der einen, Steffies erwachendes Interesse an den Logbüchern der Steuerfrauen und den darin enthaltenen Abenteuern auf der anderen Seite, das alles zeichnet ein lebendiges, realistisches Bild einer Kleinstadt. Dazu kommen Janus‘ Verstörtheit, die schon an eine Manie grenzt, und sein eigenartiges Verhalten …

Die Handlung braucht ein Weilchen, um in Schwung zu kommen, hält dann aber, im Gegensatz zum zweiten Band, den Leser etwas mehr bei der Stange. Rowan will unbedingt Slados Festung finden und hofft, dabei nicht nur Janus zu befreien, sondern auch eine Menge Antworten auf ihre drängenden Fragen zu erhalten. Der Weg dorthin sowie die Funde am Rand des Weges sind interessant beschrieben und schüren die Neugier. Die Verwirrung, die Rowan bei ihrer Entdeckung empfindet, wird gut rübergebracht. Leider stellt sich letztlich heraus, dass der Leser am Ende des Bandes noch immer keinen Deut weitergekommen ist! Die Autorin geht schon äußerst sparsam mit ihren Informationen um.

Das Niveau ist demnach ziemlich gleich geblieben, allerdings war die Geschichte diesmal frei von Durchhängern, wenngleich das Ergebnis am Ende zwar ein wenig überraschend, aber – im Hinblick auf Fortschritte – auch ein wenig enttäuschend war. Die Ereignisse stehen ziemlich außerhalb des ursprünglichen Kontextes und laufen Gefahr, zur nebensächlichen Abschweifung zu werden, es sei denn, die Autorin findet im vierten Band noch einen Weg, das Geschehen des dritten Bandes mit sinnvollen Auswirkungen in die weiterführende Handlung einzuflechten.

Rosemary Kirstein ist Amerikanerin und hat schon in den unterschiedlichsten Berufen gearbeitet. Außerdem ist sie in der Folk-Szene aktiv, spielt Gitarre und singt. Die einzelnen Bände ihres Zyklus |Die Expedition der Steuerfrau| sind mit teilweise erstaunlichem zeitlichem Abstand entstanden. Der jüngste Band „The language of power“ erschien 2004, das Erscheinen der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Die Sprache der Macht“ ist für Januar 2007 vorgesehen.

Band 4: [„Die Sprache der Macht“ 3251

Bendis, Brian / Coipel, Olivier – House Of M 1 (von 4)

Nach längerer Zeit hat man sich Hause Marvel wieder an eine Crossover-Serie herangewagt, und dabei – so versprechen die Macher von „House Of M“ – eines der gewaltigsten Unterfangen der Comic-Geschichte kreiert. Die Story knüpft jedoch nahtlos an die aktuellen Geschehnisse im Marvel-Universum an, genauer gesagt an die „Heldenfall“-Saga, in der Scarlet Witch, die Tochter von Magneto, bereits einmal die Kontrolle über ihre die Realität verändernden Kräfte verloren hat. Und genau dies passiert der eigentlich unter scharfer Bewachung von Charles Xavier, dem mysteriösen Dr. Strange und Magneto stehenden Dame nun ein weiteres Mal. Nur dass das Ausmaß der Katastrophe diesmal weitaus verheerender ist …

_Story_

Wanda erwacht im Krankenhaus und hält ihren Neugeborenen in den Händen. Dabei ist ihr die Zeugung von Nachwuchs strengstens untersagt, schließlich hat sie durch den Missbrauch ihrer Mutantenkräfte schon zu viel Unheil angerichtet. Magneto und Charles Xavier gelingt es ein weiteres Mal, sie durch den Gebrauch von Drogen zu beruhigen, jedoch ist beiden bewusst, dass dies keine dauerhafte Lösung sein kann. Um der drohenden Gefahr vorzubeugen, beruft Xavier eine große Versammlung ein, an der die bekanntesten Helden und Mutanten zusammentreffen und beratschlagen, wie sie Wanda alias Scarlet Witch das Handwerk legen können. Man diskutiert, ob der fehlgeleitete Mutant besser sterben oder mit neuen, bisher noch unbekannten Methoden geheilt werden soll, und die Diskussionen verschärfen sich. Doch das Meeting in Genosha bleibt ohne Ergebnis. Ein gleißender Lichtblitz überdeckt die Welt und verändert mit einem Schlag die gesamte Realität. Wanda hat wieder zugeschlagen …

_Meine Meinung_

Es erfordert schon eine gewisse Vorkenntnis, wenn man die weit reichenden Hintergründe dieser ziemlich umfassenden Story auf Anhieb verstehen möchte, und so fiel es mir anfangs auch schwer, tiefer in die Materie einzudringen. Allerdings haben sich die Macher dieses Comics alle Mühe gegeben, selbst Neulingen den nötigen Input durch eine ziemlich lange Einleitung zu verschaffen, so dass man auch als Laie sofort in der Welt von „House Of M“ zu Hause ist. Und da die Action hier ebenfalls sehr zügig voranschreitet, bekommt man sowieso nicht sonderlich viel Raum, um mal Luft zu schnappen, denn die Bedrohung für das Universum beginnt bereits mit der ersten Seite.

In der ersten Ausgabe wird der Crossover der verschiedenen Serien allerdings noch nicht so deutlich offenbar. Bis auf die Einberufung der vielen Helden in Genosha handelt es sich beim ersten Teil lediglich um eine größere Einleitung, bei der die drohende Katastrophe in ihrem gesamten Ausmaß geschildert wird, aber auch noch sehr, sehr viele Fragen offen bleiben. In der zweiten Hälfte (es handelt sich bei der deutschen Version um Sammelbände, die jeweils zwei Episoden der achtteiligen Originalreihe enthalten) zeigen sich dann die Folgen, die der erneute Energieschub von Scarlet Witch ausgelöst hat.

In allen Teilen der Welt hat sich Grundlegendes geändert, und auch die Helden aus der Vergangenheit sind in dieser zukünftigen Welt nicht mehr von Belang – sofern sie überhaupt noch existieren. Denn dies wird hier auch noch nicht so ganz deutlich. Lediglich einer ist noch geblieben und erinnert sich zum ersten Mal überhaupt an seine Vergangenheit zurück: Wolverine. Anscheinend ist er auch die einzige Figur, die nicht von den unkontrollierbaren Kräften Wandas betroffen ist. Und so liegt es an ihm, die alten Helden aufzusuchen, sie zu retten und mit ihnen gemeinsam wieder das verloren gegangene Gleichgewicht herzustellen.

Teil 1 (von 4) ist auf jeden Fall ein sehr gelungener Einstieg in die Serie und bietet Comic-Action auf höchstem Niveau. Leichte Kost ist „House Of M“ allerdings nicht, denn die Handlung findet an sehr vielen Schauplätzen zur gleichen Zeit statt, und es dauert eigentlich bis zum Ende, bis man all das, was sich hier prinzipiell in wenigen Momenten abgespielt hat, durchblickt. Dabei ergeben sich recht viele Mysterien und Unklarheiten. So ist die Rolle von Magneto ebenso unsicher wie die von Wolverine. Und auch die Frage nach den Auswirkungen auf Spiderman, die X-Men und all die übrigen Neuen Rächer bleibt weiter offen und wird erst in den nächsten Ausgaben bzw. in den verschiedenen Tie-ins in den folgenden „X-Men“- und „Spiderman“-Comics geklärt. Doch das macht die Sache auch so spannend; sie spielt sich auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab, bringt einem dabei alle Lieblinge aus dem Marvel-Universums nahe und ist doch so verzwickt, dass man schon genau hinschauen muss, um die vielen Details aufzufassen. Oder mit anderen Worten: Marvel-Action wie Fans sie sofort lieben werden. Ich freue mich riesig auf die Fortsetzung!

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MacHale, D. J. – verlorene Stadt Faar, Die (Pendragon 2)

Band 1: [„Der Händler des Todes“ 2481

_Story_

Courtney und Mark haben es nicht immer einfach. Sie sind die besten und vertrautesten Freunde des urplötzlich verschwundenen Bobby Pendragon und kennen als Einzige dessen tatsächlichen Aufenthaltsort. Tagtäglich beschäftigen sie sich mit den heldenhaften Sagen, die Bobbys Leben in fremden Welten erzählen, und bewahren so das letzte verbliebene Lebenszeichen des durch die Galaxien beamenden (oder hier flumenden) Jungen. Doch statt ihr Wissen mit anderen zu teilen, verstecken sie diese Geschichten als ihre am besten gehüteten Geheimnisse vor der Außenwelt. Sobald die Polizei nämlich davon etwas erfahren würde, ginge die Suche nach dem schon aufgegebenen 14-Jährigen in eine neue Runde, und das könnte für alle Beteiligten sehr unangenehm werden.

Was Bobby allerdings zu erzählen hat, fasziniert seine irdischen Freunde jedoch von Tag zu Tag mehr. Sein neuestes Abenteuer spielt in der Wasserwelt von Cloral, in die Bobbys geretteter Onkel den jungen Helden führt. Saint Dane, Bobbys neuester Konkurrent, beobachtet dies ganz genau und verfolgt Bobby auf Schritt un Tritt. Statt ihn aber auf direktem Wege zu vernichten, sorgt er dafür, dass die Bewohner von Cloral nicht mehr ausreichend mit Nahrung versorgt werden bzw. dass Cloral vergiftet wird, und plant somit, die gesamte Wasserwelt ins Verderben zu stürzen.

Auf der Suche nach Rettung scheint dem Volk nur noch die mysteriöse Stadt Faar zu bleiben, die dem Mythos nach vor ewiger Zeit im Meer versunken ist. Bobby und sein Kumpane Spader begeben sich daran, das Volk von Cloral zu ihrer eigentlichen Heimat zu führen. Doch wiederum scheint ihnen Saint Dane zuvorgekommen zu sein …

_Meine Meinung_

Die Story des jungen Pendragon geht weiter, bleibt aber ihren Ursprüngen aus dem ersten Band rein charakteristisch weiterhin treu. Natürlich hat sich D. J. MacHale stilistisch nicht vom eingeschlagenen Kurs hinweg bewegt, und ehrlich gesagt fallen einem die sprachlichen Defizite hier sogar noch stärker auf, aber irgendwie bekommt der TV-erfahrene Autor dann doch noch die Kurve und das Buch rund.

In diesem Fall geingt ihm dies durch eine erhebliche Steigerung des tatsächlichen Fantasy-Anteils bei gleichzeitigem Ansteig der echten Action. Mit der Legende von Faar belebt er zudem eine faszinierende Sage von Neuem, deren geheimnisvolle Ausstrahlung einen auch fortlaufend dazu bewegt, weiterzulesen und mehr über den Mythos zu erfahren. Spannung ist also weiterhin garantiert und im Grunde genommen erkennt man in „Die verlorene Stadt Faar“ die recht amitionierte Vorgehensweise des Autors auch an, aber eine gewisse Ablehnung des Stilbildes dieses Buches lässt sich einfach nicht vermeiden. Keine Ahnung ob es jetzt an der Übersetzung oder an einer eher zweitklassigen Originalvorlage gelegen hat, aber die viel zu lässige Sprache bleibt ein Störenfried, der einfach nicht zum abenteurlichen Inhalt passen möchte.

Eine andere Sache, die es zu kritisieren glt, ist die Art und Weise, wie MacHale das Buch aufgebaut hat. Prinzipiell baut „Die verlorene Stadt Faar“ nämlich fast ausschließlich auf Rückblicken auf, die Bobbys Freunde Mark und Courtney in den Journalen, die sie von Bobby geschickt bekommen, nachlesen und aus neutraler Perspektive nachempfinden können. Es ist dabei schon ziemlich oft so, dass die Situation für die Hauptfigur äußerst prekär ist, doch weil Bobby seine schriftlichen Abenteuerberichte ja stets nachher einreichen muss, weiß man, dass er selbst aus der gefährlichsten Situation entrinnen wird. Dieser Aspekt hemmt die Entwicklung ein wenig, zumal die Zwischensequenzen von der Erde den Plot auch nicht weiter voranbringen, ihn eigentlich sogar ausbremsen. Eigentlich interessiert den Leser nämlich nur, was mit Bobby geschieht und was es mit Faar auf sich hat, und da ist die irdische Realität eher zweitrangig. Und in diesen Szenen darf man im Übrigen dann auch nicht mehr von Fantasy sprechen …

Warum ich „Die verlorene Stadt Faar“ aber dennoch empfehlen möchte? Nun, dafür gibt’s keinen plausiblen Grund, aber zumindest mehrere Ansätze. Zunächst einmal finde ich es immer ungünstig, eine Serie mittendrin zu unterbrechen oder gar zu beenden, weil sie mal kurz lahmt. Dann möchte ich darauf hinweisen, dass die Ideen in diesem zweiten Buch grundlegend gut sind und es dem Autor auch sehr schön gelungen ist, eine eigene Welt aufzubauen, deren Schauplätze und Figuren auch glaubwürdig sind. Spannung ist ebenfalls kein Fall für die Klagemauer und in manchen Passagen sogar enorm gut ausgeprägt. Und auch die neuen Charaktere bekommen alsbald Sympathien zugesprochen, da sie sich prima in die Gesamthandlung einfügen.

Es gibt also reichlich Argumente pro und kontra, doch für mich überwiegen letztendlich schon die positiven Eindrücke, die mich ohne Ausschließung der Kritikpunkte auch neugierig auf den nächsten Teil der Reihe machen. Auch wenn die moderne Fantasy-Literatur sicherlich Besseres zu bieten hat als „Pendragon“ … Ich bleibe dran.

Willkommen

Frey, Alexander Moritz – Spuk des Alltags (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 3)

|Episode 3: Federfeldzug eines Veteranen.|

„Grausame Städte“, Auftakt der phantastischen Bibliothek, wurde vom deutschen Nachwuchs vollbracht und „Das Alptraum-Netzwerk“ von einer amerikanischen Ikone zeitgenössischer Phantastik. Dementsprechend konsequent ist es, dass der Verfasser des dritten Bandes wiederum aus einem völlig anderen literarischen Lager kommt als seine Vorgänger.

Alexander Moritz Frey hat 1881 in München das Licht der Welt erblickt, hat als Sanitätsoffizier im ersten Weltkrieg gedient und eine tiefe Abscheu gegen den Krieg entwickelt, ebenso gegen die Ideologie, die sein Regiments-„Kamerad“ Adolf Hitler zu verbrechen im Begriff war.

Freys Geschichten stehen dem Namenspaten dieser Buchreihe bisher am nächsten: Seine Figuren sind skurril, seine Storys manchmal traumhaft verschwommene Streifzüge („Verhexung“, „Verwandlung“), düsterphilosophische Gesellschaftskritik („Verfolgung“, „Verzweiflung“, „Verwirrung“), oder Tauchfahrten in zerrüttete Seelen („Verwesung“, „Vergeltung“), alles eingebettet in knorrig kraftvolle Sprachgebäude.

|Verzückende Versmalerei.|

Die Richtungen, zwischen denen Freys Geschichten pendeln, sind also skizziert, wollen wir sie einfach einmal genauer betrachten:

„Verhexung“ ist der Blick in den Kopf eines Spaziergängers, der sich überzeugen lässt, eine fremde alte Frau nach Hause zu begleiten. Durch die Augen des Erzählers erlebt der Leser, wie Zeit und Raum während dieses Spazierganges die Bedeutung verlieren. Ein delirierender Sprachtaumel, der mehr als einmal an Poe erinnert.

„Verneinung“ dagegen ist ganz anders: Wilhelm Weifeuer, leidlich erfolgreicher Schauspieler, hat das Zeitliche gesegnet, will das aber so überhaupt nicht einsehen. Warum auch? Er ist ja immerhin in seinem Sarg erwacht. So entsteigt er diesem, befüllt ihn mit Steinen, verschließt ihn wieder und macht sich einen Spaß daraus, auf seiner eigenen Beerdigung aufzutauchen, wo er den scheinheiligen Tränenverguss seiner Hinterbliebenen verhöhnt.
Auch wenn das Finale schwach ist, der Weg dorthin ist eine wunderbare Sammlung makabrer Attacken gegen spießbürgerliche Rituale und scheinheilige Ehrerbietung. Der Humor ist auch jetzt noch deftig, wie muss er aber erst eingeschlagen haben, als „Spuk des Alltags“ 1920 erstveröffentlicht wurde? In den Fingern juckt es mich ja, hier zu zitieren, aber aus dem Zusammenhang gerissen, funktioniert es nicht.

„Verfolgung“ schlägt erneut eine andere Richtung ein: kein berauschender Traumtanz, kein makabres Komödiantenstück, sondern Gedankenkrieg von einem, der eine Leiche unter einem Sandhaufen vergraben hat und über die Natur des Menschen sinnt: „Wo bleibt die Ehrfurcht vor der Schöpfung, wenn man jeden Baum fällen darf, auch den jungen grünen, – und den absterbenden Menschen nicht? Weshalb ihn nicht? Ist Mensch mehr als Baum, so ungeheuer viel mehr? Nein. Aber Mensch hat Angst vor Mensch. Mensch hat nicht Angst vor Baum; deshalb springt er mit dem Baum um, wie´s ihm beliebt.“

„Verwandlung“ besinnt sich auf die Schreibart von „Verhexung“: Ein nahezu übliches Szenario, der Besuch einer Zaubervorstellung, wird zu einem bizarr verschwimmenden Erlebnis.

„Vergeltung“ ist die Geschichte eines Mannes, der sich an das Erbe einer verhassten Tante heranschleichen will, die ihren kompletten Wohlstand zugunsten ihrer Katzen verschleudert. Das Finale ist wiederum etwas schwächer, ja, aber der Weg dorthin ist mit herrlicher Sprache gesäumt: Die Vergleiche, die Bildsprache und sinnlichen Eindrücke sind so intensiv, der Blick in die verruchte Seele des „Protagonisten“ so tief, die Beleuchtung der skurrilen Alten so schillernd, dass das Finale den Lesegenuss kaum schmälern kann. Dazu ist alles von mitreißendem Rhythmus: „Ich konnte diesem Umzugsschauspiel nicht beiwohnen. Ich erinnere mich nur eines fauchenden, krächzenden und miauenden Gewoges hinter Gitterstäben, um die die Alte mit miauendem Geplärr hindurchschlurchte, wobei sie golddurchwirkte Seidendeckchen darüberbreitete, oder sinnlos aus einer Kristallkaraffe Milch im weißen Strahl durch die Stäbe mitten auf die wegprallenden Tiere plätschern ließ …“

„Verzweiflung“ ist die Geschichte eines Mannes, der von den Halluzinationen seines Kriegstraumas gepeinigt wird. Hier hört man Frey selbst heraus, den das sinnlose Töten im Krieg angeekelt hat.

„Verwirrung“ tönt ebenfalls mit gesellschaftskritischer Stimme gegen Grausamkeiten im Namen augenscheinlicher Gerechtigkeit.

In „Verwesung“ klingt „Das verräterische Herz“ von Poe durch: Karl bringt seine Eltern um, es aber nicht über das Herz, die verrottenden Leichen aus der Wohnung zu schaffen. Das ruft natürlich irgendwann die Nachbarn auf den Plan, aber das ist Karls geringste Sorge, denn die toten Eltern beginnen sich zu bewegen … Die Bilder sind drastisch, und man spürt, wie Karl vom Wahnsinn eingesponnen wird. Fesselnd!

„Verstrickung“ geht andere Wege: Wie der Titel schon sagt, unterhalten sich die beiden Hauptfiguren über zwei unabhängige Ereignisse, die immer näher aufeinander zuwachsen, je mehr Facetten sich offen legen … Interessant!

In „Versammlung“ besucht Konrad einen Vortrag, ohne sich zu erinnern, warum er das tut oder was das Thema des Vortrages überhaupt ist. Jedenfalls trifft er ein wahres Ungetüm von einem Mann, der ihn bittet, sich zu ihm zu setzen. Mit Abstand die intensivste Bildsprache, von der sich zeitgenössische Autoren gleich mehrere Scheiben abschneiden könnten. Aber, ich bin ehrlich, der Sinn dieser Geschichte bleibt mir auch nach mehrmaligem Lesen völlig verborgen.

„Vermummung“ ist dann der würdige Abschluss dieses Geschichtenbandes, ist entspannt und leitet Freys kräftige Sprache in humorvolle und herrliche makabre Kanäle: Der Gymnasiast Paul Pulver hat einer Mutprobe zugestimmt: In einer Bibliothek soll er nach einem verborgenen Kamin suchen, in dem angeblich ein vom Schlot geschossener Schornsteinfeger vermodert. Mehr zu verraten, würde die böswitzigen Wendungen der Geschichte offenlegen und den Leser um einen wunderbar verstaubten Spaß bringen.

|Old School einmal anders.|

Man sollte sich schon darauf einlassen, dass Freys Sprache alles andere als modern ist, man muss es verkraften, dass seine Sätze viel Konzentration verlangen, und dass sich „Spuk des Alltags“ keinesfalls zum Lesen im lärmenden Morgenzug eignet. Aber wenn man bereit ist, ein wenig Mühe zu investieren, wenn man jedem dieser Prosa-Happen die Zeit lässt, seinen ungewohnten Geschmack auf dem Lesergaumen zu entfalten, kommt man in den Genuss eines Sprachgelages, dessen Geschmack sich lange nicht herunterspülen lässt. Sicher, manches ist zu dick aufgetragen – überwürzt, könnte man sagen – und nicht jede Geschichte überzeugt auf ganzer Linie, aber dieser Sammelband ist so erfrischend weit entfernt vom Mainstream, dass der Phantastik-Freund einfach nicht daran vorbeikommt. Der BLITZ-Verlag hat auch hier mit geschmackssicherer Nase ein Werk erschnüffelt, das mit dieser Neuauflage vor einem Schicksal unverdienter Vergessenheit bewahrt wurde. Vielen Dank dafür!

http://www.BLITZ-Verlag.de

Shriver, Lionel – Wir müssen über Kevin reden

Auch wenn es dafür keinen aktuellen Anlass gibt, veröffentlichte der |List|-Verlag im Februar das Buch „Wir müssen über Kevin reden“, welches das Thema Schulmassaker aus einer ungewöhnlichen Perspektive behandelt.

Eva ist das, was man eine emanzipierte Frau nennt. Sie hat ihren eigenen Verlag für Reiseführer aufgemacht, der Marktführer ist, sie hat einen liebenden Mann und ein gutes Leben. Nur eins scheint ihr zu fehlen: ein Kind. Ihr gesamter Freundeskreis ist von der Krankheit Schwangerschaft befallen, und obwohl ihnen das kinderlose Leben sehr bekommt, bekniet sie Franklin, etwas daran zu ändern.

Schnitt. Sechzehn Jahre später setzt sich Eva am Anfang des Buches an den Schreibtisch und schreibt einen Brief an Franklin, in dem sie berichtet, wie ihr Leben jetzt aussieht. Dass sie als normale Angestellte in einem Reisebüro arbeitet, dass sie Angst hat, in den örtlichen Supermarkt zu gehen, dass Mary Woolford sie angezeigt hat.

Diesem Brief folgen viele weitere, in denen sie ihrem Mann die Missverständisse der letzten sechzehn Jahre gesteht und dem Leser Fragezeichen in die Augen zaubert. Immer wieder lässt sie durchschimmern, dass an einem „Donnerstag“ etwas Ungeheuerliches passiert ist, an dem ihr Sohn Kevin schuld war.

Kevin – wie der Titel des Buchs schon sagt, spielt der Junge die Hauptrolle. Kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag hat er in seiner Schule in Gladstone mehrere Mitschüler erschossen und sitzt deshalb nun im Jugendgefängnis. Wie immer in solchen Fällen versucht man die Schuld bei den Eltern zu suchen – auch bei Eva, die sich daraufhin vor Gericht rechtfertigen muss.

Doch in ihren Briefen rechtfertigt sie sich letztlich vor sich selbst und offenbart Dinge, die sie vor Gericht nicht hat laut werden lassen dürfen. Dinge wie zum Beispiel Kevins sonderbares Verhalten, das schon bei seiner Geburt beginnt, als er sich weigert, von seiner Mutter gestillt zu werden. Die Abneigung gegen Eva nimmt nicht ab und entwickelt sich mit der Zeit zu Hass. Kevin stellt sich dümmer an, als er ist, doch Franklin übersieht diese Tatsache und nimmt ihn ständig in Schutz, wenn Eva sich darüber beschwert, dass er ihr Arbeitszimmer zerstört hat, oder ihn verdächtigt, Schuld daran zu sein, dass ihre Tochter Celia ein Auge verliert.

Mit der Zeit offenbart sie ein Familienleben, das auf den ersten Blick zwar ganz normal scheint, auf den zweiten aber höchst ungewöhnlich ist. Sie sucht nach Gründen, wie es zu diesem Massaker kommen konnte und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Aufrichtig gegenüber sich selbst und einer schmerzenden Wahrheit erzählt sie Franklin ihre Sicht der letzten sechzehn Jahre.

Evas Monolog geht über 560 Seiten und dafür schafft es die Autorin ausgesprochen gut, den Leser bei der Stange zu halten. Besonders später, wenn man sich dem Massaker nähert und Eva aufhört, jede Erinnerung doppelt und dreifach auszuwalzen, kommt sogar etwas Spannung auf. Die Länge ist das wohl größte Manko von „Wir müssen über Kevin reden“. Normalerweise freut sich ein Buchwurm natürlich über viele Seiten, doch wenn sie sich stellenweise derart in die Länge ziehen, kann er drauf verzichten.

Hierbei fällt außerdem noch Shrivers ausschmückender Schreibstil ins Gewicht. Sie schreibt sehr persönlich aus der Ich-Perspektive in einer guten, klaren Sprache, die jeder versteht und die ein flüssiges Lesen ermöglicht. Allerdings werden Längen noch länger, wenn sie mit viel Ausschweifung und Schmuck versehen sind. Unnötige Details und ein Übermaß an Metaphern, die nicht immer glatt eingebunden sind, trüben das Vergnügen.

Denn davon abgesehen, kann sich Lionel Shrivers Roman durchaus sehen lassen. Die Metaphern stören nicht immer, sondern unterstreichen die interessante Handlung an den meisten Stellen. Die häufige Benutzung der indirekten Rede bringt Vitalität und Farbe ins Geschehen.

Der einzige Kritikpunkt, den ich noch anzubringen habe, bezieht sich auf die Thematik des Buchs. Leider habe ich das Gefühl gehabt, dass die Autorin es sich mit den Schuldzuweisungen etwas zu leicht macht. Richtig gelesen. Wir reden hier über die Autorin, denn schließlich ist sie es, die die Charaktere kreiert, und mit der Darstellungsweise von Kevin bin ich nicht einverstanden. Die Behauptung, dass ein Kind von Geburt an nur Böses im Schilde führen kann, ist mir etwas zu plakativ, zu schwarzweiß gezeichnet. Böses Baby wird zu bösem Killer – das klingt etwas zu sehr nach der amerikanischen Feindbildmafia! Doch nun gut. Es liegt wohl bei jedem Leser selbst, was er darüber denkt. Mich hat diese simple Erklärung für ein Blutbad aber sehr enttäuscht und außerdem verärgert, weil sie es sich ein bisschen zu einfach macht.

Gerade bei einem derart sensiblen Thema kann ich deshalb bei der Bewertung nicht einfach darüber hinwegsehen. Zusammen mit den Längen und dem ab und an zu ausschmückenden Schreibstil ist „Wir müssen über Kevin reden“ trotz der ganzen Lobeshmynen nur ein durchschnittliches Buch in meinen Augen. Thematik und Perspektive sind durchaus interessant, aber der Umgang damit missfällt. Schade.

Müller, Titus – Todgeweihte, Die

Basel im Jahre 1348: Die Jüdin Saphira lebt mit ihrem Vater in Basel und arbeitet als Federhändlerin in einem eigenen Geschäft. Für ihre Liebe zu dem Christen Tam gibt sie all das auf und bricht mit ihrem Vater und ihrer Religion. Doch ihr und Tam stehen noch weit größere Gefahren bevor. Denn ihr Geliebter ist der Sohn Konrads von Bärenfels, dem wichtigsten Ritter des Psitticherbundes. Dieser trägt seit Jahren mit dem Ritterbund der Sterner seine Fehde um das Amt des Bürgermeisters von Basel aus. Doch diesmal will Konrad von Bärenfels sich seinen Platz als höchster Ritter der Stadt nicht mehr streitig machen lassen. Zudem müssen die leeren und hoch verschuldeten Stadtkassen dringend wieder aufgefüllt werden. Und so entwirft er einen teuflischen Plan.

Böse Gerüchte, Bestechungen, falsche Versprechen und die Angst vor der Pest verwandeln die Stadt innerhalb weniger Monate in einen Hexenkessel. Und wer kann schon beweisen, dass nicht die Juden schuld sind an der Pest und allen anderen Unheilen, die die Stadt bedrohen?!

Titus Müller wurde 1977 in Leipzig geboren und studierte Neuere deutsche Literatur, Mittelalterliche Geschichte und Publizistik in Berlin. Er ist Mitbegründer von „Quo Vadis, Arbeitskreis Historischer Roman“ und trat zuletzt als Herausgeber des vor kurzem erschienen Gemeinschaftsromans „Der zwölfte Tag“ auf. Einige seiner Werke sind „Der Kaligraph des Bischofs“(2002), „Die Priestertochter“(2003), und [„Die Brillenmacherin“ 1236 (2005). Sein Roman „Die Todgeweihte“ entstand auf der Grundlage des Musicals „Basileia“ von Bruno Waldvogel-Frei und Stefan Mens, welches anlässlich des 650. Gedenkjahres zum großen Erdbeben in Basel am 17. Oktober 2006 im Basler Volkshaus uraufgeführt wird.

„Die Todgeweihte“ ist ein spannender, 400 Seiten langer Roman, der auf einer wahren Begebenheit basiert. Er beschreibt die dunklen Jahre der Stadt Basel, die Zeit der Pest, der Judenverfolgung und der großen Erdbeben. Eingeflochten in diese historischen Hintergründe ist die bewegende Geschichte der verbotenen Liebe zwischen Saphira und Tam. Der Autor bedient sich eines klassischen Motivs, indem er mit Tam den Sohn und Erben einer hoch angesehenen Familie beschreibt, der sich in die jüdische Tochter eines Geldverleihers verliebt, die nicht nur unter seinem Rang steht, sondern auch einer religiösen Minderheit angehört, die allseits wenig geschätzt wird. Die Erzählung wirkt jedoch trotz dieses altbekannten Themas keinesfalls langweilig und verläuft auch nicht selten genau entgegen den Erwartungen des Lesers. Titus Müller schafft es, nicht zuletzt durch zahlreiche Nebenhandlungen, den Spannungsbogen über die gesamte Länge des Romans aufrecht zu erhalten.

Der Autor schafft mit seinen Worten eine dichte Atmosphäre, die es dem Leser ermöglicht, sich in die Gedanken und Emotionen der Figuren einzufühlen und deren Glück, Zorn, Verwirrung und Trauer mitzuerleben. Nicht nur die Hauptfiguren werden von ihm überzeugend und schlüssig charakterisiert, auch bei vielen Nebenfiguren zeichnet T. Müller Persönlichkeiten, mit denen der Leser sich identifizieren kann. Diese detaillierte Beschreibung von Einzelschicksalen, die früher oder später ihren Einfluss auf den Verlauf der Geschichte nehmen, zeichnet ein vielschichtiges Bild vom Leben im damaligen Basel. Durch einen ständigen Wechsel der Schauplätze und Situationen bleibt die ganze Erzählung lebendig und man bekommt das Gefühl, überall zugleich dabei zu sein.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Beziehung zwischen Tam und seinem besten Freund Christian Münch, die trotz der Rivalitäten ihrer Väter und vieler harter Bewährungsproben einander treu bleiben. Die Rolle des Christian als Draufgänger und Frauenheld wird von Titus Müller überzeugend charakterisiert, wenngleich sein plötzlicher, durch den Tod des Vaters ausgelöster Sinneswandel vom Rebell zum Klosterbruder schwer nachvollziehbar ist. Allgemein würde ich bemängeln, dass der Autor zeitweise etwas zu sparsam mit den Informationen über die Gedanken und Empfindungen seiner Charaktere umgeht. An anderen Stellen werden die inneren Zustände der Figuren jedoch sehr detailliert beschrieben.

Titus Müller wählte für seinen Roman eine sehr einfache und klare Sprache, sodass die Geschichte zu Beginn ein Jugendbuch vermuten lässt. Dieser Eindruck wird jedoch durch die Thematik des Buches widerlegt. Der Autor verzichtet auf allzu lange Sätze, Fremdwörter oder komplizierte Formulierungen. Lediglich im Zusammenhang mit den Bräuchen des Judentums wählt er die entsprechenden Fachwörter, die dann im weiteren Verlauf der Erzählung oder des Dialogs erklärt werden. Dadurch lernt der Leser nebenbei auch einiges über die jüdische Kultur.

Insgesamt ist „Die Todgeweihte“ ein unterhaltsames, leicht verständliches und spannendes Buch, das allerdings eher als Liebesgeschichte denn als historischer Roman angesehen werden sollte.

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Alisha Bionda, S.H.A. Parzzival – Calvin (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 6)

Band 1: „Der ewig dunkle Traum“
Band 2: „Kuss der Verdammnis“
Band 3: „Die Kinder der fünften Sonne“
Band 4: „Blutopfer“
Band 5: „Der Schattenkelch“

Calvin ist nach Santa Barbara gereist, um sich mit seinem Vater auszusprechen. Dessen Brief, den er seinem Sohn hat überbringen lassen, war allerdings nur eine Finte, um Calvin nach Kalifornien zu locken, denn Anton Percy Vale sieht in seinem Sohn den Mann, der das Wissen hat, um an den heiligen Gral zu kommen. Zu diesem Zweck verabreicht er Calvin ein Mittel, welches sogar die Erinnerung an Dilara auslöscht. Die Vampirin merkt das Zerreißen des unsichtbaren Bandes zu ihrem Gefährten und reist ihm nach.

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Boyden, Joseph – lange Weg, Der

Eine alte Indianerin holt einen jungen Mann in der Stadt am Bahnhof ab. Er ist ihr Neffe. Und er ist am Ende! Auf dem Weg zurück in die Wildnis, in der sie zu Hause sind, spürt sie, wie sie ihn immer mehr verliert. Um seine Seele zurückzuhalten, erzählt sie ihm von der Vergangenheit, während er selbst gefangen ist in seinen eigenen schrecklichen Erinnerungen, von denen er sich nicht lösen kann…

„Der lange Weg“ erzählt eigentlich zwei Geschichten, die parallel nebeneinander herlaufen und sich gelegentlich berühren.
Die eine ist die von Niska. Sie beginnt in ihrer Jugend, erzählt von ihrem Vater, dem Schamanen des Stammes, von den Weißen und ihrer Stadt, die immer mehr das Leben der Indianer bestimmen und die alte Kultur untergraben; von ihren Erfahrungen mit der Nonnenschule der Weißen und ihrer Flucht zurück in die Wildnis; von ihrer kurzen Beziehung zu einem französischen Trapper; von Verrat, Rache und dem Kampf ums Überleben. Und sie erzählt von Xavier, ihrem Neffen; von seiner Kindheit unter ihrer Obhut, von seiner Jugend und von seinem Freund Elijah …
Die andere ist die von Xavier. Von seiner Reise in die Stadt, von der Ausbildung zum Soldaten, der Schiffsreise nach Europa, der Front. Und von der Beziehung zu seinem Freund Elijah, der sich in der Fremde immer mehr verändert, bis er vom Freund zum Feind zu werden droht.

Elijah ist einer von den Menschen, denen jeder gern imponieren und mit denen jeder gern befreundet sein möchte. Er redet gern, viel und gewandt, er lächelt und scherzt. Das macht ihn beliebt. Gelegentlich aber zeigt sich auch die Neigung, seinem Freund Xavier Streiche zu spielen, und die sind nicht unbedingt sehr nett. Auch in anderer Hinsicht nimmt er es nicht immer so genau; so klaut er zum Beispiel einer der Nonnen das Gewehr, ehe er die Schule verlässt. Die anderen Männer ihrer Einheit wissen nichs von diesem etwas unangenehmen Charakterzug. Sie bewundern Elijah und verehren ihn als Helden, und Elijah genießt das. Dass sein Freund Xavier dieselbe Arbeit tut, denselben Mut beweist und nebenbei noch der bessere Schütze ist, fällt dabei völlig unter den Tisch.

Xavier dagegen ist eher schüchtern und extrem schweigsam, was unter anderem auch daher rührt, dass er zu Anfang so gut wie kein Englisch spricht. Er kennt Elijah seit seiner Kindheit. Deshalb, und weil Elijah ihm als Einzigem alles erzählt, was er tut, bleibt ihm auch die Veränderung nicht verborgen, die mit seinem Freund vorgeht. Je länger sie an der Front sind, desto mehr Gefallen findet Elijah am Töten. Während alle anderen sich nichts mehr wünschen, als diesem verdammten Krieg zu entkommen, kann Elijah, so scheint es, kaum genug davon kriegen und wird immer wagemutiger, fordert das Schicksal geradezu heraus. Xavier fühlt sich in seiner Nähe immer unwohler, ja, er fürchtet sich vor ihm. Und er fühlt sich zurückgesetzt, weil Elijah sämtliche Lorbeeren für sich allein einheimst.

Während Elijah in der Vernichtungsmaschinerie des Krieges aufgeht und seinen Lebenszweck im Töten findet, fühlt Xavier sich abgestoßen. Er kann die Denkweise und das Tun der Weißen nicht begreifen, geschweige denn es mit seinem eigenen Denken und seinen Wünschen in Einklang bringen. Er hasst das, was er tut und was er nicht tut, und fühlt sich schuldig. Mit der Entfremdung von Elijah verliert er seinen letzten Ankerpunkt im Leben. Er sucht halt in der Tradition seines Volkes, doch in diesem fernen Land kann er die Geister nicht erreichen. Auf sich allein gestellt muss er eine Entscheidung treffen …

Die zerstörerische Wucht dieses Krieges, der die Unmenschlichkeit auf ein bis dahin nicht dagewesenes Maß gesteigert hat, zeigt sich in diesem Buch auf vielerlei Weise. Es scheint nur noch Schmerz und Tod zu geben. Alles andere geht zu Bruch: Liebe, Freundschaft, der Glaube an das Gute; menschliche Körper und menschliche Seelen.
Joseph Boyden geht nicht ins Detail, aber das ist auch gar nicht nötig. Die nüchternen Tatsachen allein sind erschütternd genug. Spätestens nach der Lektüre dieses Buches weiß der Leser, warum man einen solchen Ort Schlachtfeld nennt. Schlacht kommt von schlachten! Erstaunlich, dass es Soldaten gab, die den Krieg überlebten, ohne morphiumsüchtig oder wahnsinnig zu werden!
Xavier berichtet sachlich, fast trocken, was sie tun und was passiert. Gelegentlich erwähnt er, dass er nachts nicht schlafen kann. Fast könnte man glauben, dass es ihn nicht wirklich berührt. Nur in Niskas Worten wird deutlich, dass Xavier nicht nur körperlich, sondern vor allem seelisch verwundet ist. Das Grauen um ihn her, seine eigenen Taten, das alles sucht ihn in seinen Fieberträumen heim, verfolgt ihn bis in die Wildnis. Wie soll er mit solchen Erinnerungen weiterleben?

Niska weiß, dass etwas an ihm frisst. Ihr ist klar, dass es nicht allein die körperlichen Schmerzen sind, die ihn im Schlaf wimmern und schreien lassen. Als Schamanin hat sie Visionen dieses Krieges gesehen, doch sie kann das, was sie sieht, nicht begreifen, weil es ihrer eigenen Welt so fremd ist. Alles, was sie tun kann, ist ihre eigene Welt dagegen zu halten: die Stille der Natur, die Bäume, den Fluss, die Tiere, den Himmel, die Sonne; Erinnerungen an die eisige Kälte des Winters, an tiefen Schnee und nagenden Hunger, aber auch an eine erfolgreiche Jagd, an das Überwinden der eigenen Angst. Letztlich aber gibt es nur eines, was Xavier am Leben erhalten kann: die Aussöhnung mit sich selbst! Xavier muss sich den Geistern seiner Erinnerungen stellen …

Selten wurde die Sinnlosigkeit des Krieges in einer Erzählung deutlicher als in dieser Gegenüberstellung zweier verschiedener Kulturen. Auch der Sieg schützt die Soldaten nicht davor, als haltlose, am Boden zerstörte Wracks nach Hause zu kommen, ebenso unfähig, in ihr altes Leben zurückzukehren wie sich ein neues aufzubauen. Jeder Soldat zahlt im Krieg mit seinem Leben, auf irgendeine Weise. Es ist unmöglich, unversehrt zu bleiben und als jener zurückzukehren, als der man aufgebrochen ist.
Selten auch wurde irgendwo deutlicher, dass die endgültige Beendigung eines solchen Exzesses nur durch Vergebung möglich ist. Selbst, wenn die Waffen längst schweigen und die Haut vernarbt ist, ist der Krieg noch nicht vorbei. Erst wenn der Kampf gegen die eigenen Erinnerungen, gegen Hass, Trauer und Schuldgefühle gewonnen wurde, ist Frieden!

Mit anderen Worten: dieses Buch ist keine leichte Lektüre! Das gilt nicht nur für den Inhalt. Die Handlung pendelt zwischen der Gegenwart, in der Niska mit Xavier den Fluss hinunterpaddelt, zwischen Niskas Vergangenheit und Xaviers Erinnerungen. Während Niskas Erinnerungen in der Vergangenheitsform erzählt werden, stehen Xaviers in der Gegenwartsform, wie die übrige Handlung auch. Der Autor unterstützt den Leser lediglich dadurch, dass der Erzählerwechsel zwischen Niska und Xavier mit den Kapitelenden zusammenfällt, und fordert damit vom Leser Konzentration. Die Sprache ist dafür eher schlicht und direkt.

„Der lange Weg“ ist zu Recht ein Bestseller geworden! Es zeigt nicht nur den ersten Weltkrieg aus einer ungewohnten Perspektive – ich wusste weder, dass Kanada sich am ersten Weltkrieg beteiligt hat, noch, dass indianische Soldaten an der Front waren – sondern beinhaltet viele verschiedene Facetten, von der Chronik einer zerbrechenden Freundschaft über die charakterliche Entartung eines Einzelnen bis zum unüberwindbaren Widerspruch zwischen der technischen Lebensart der Weißen und der natürlichen der Indianer, ohne dass dabei Letztere romantisch verklärt oder idealisiert wird. Es bietet nicht unbedingt das, was man gemeinhin als spannend bezeichnet, aber es fesselt den Leser, fordert ihn, sowohl geistig als auch seelisch, und lässt ihn betroffen und schweigend zurück, aber nicht ohne Hoffnungsschimmer.
Prädikat: sehr wertvoll.

Joseph Boyden ist gebürtiger Kanadier indianischer Abstammung und lebt in New Orleans. „Der lange Weg“ ist sein erster Roman. Inspiration dafür war der indianische Kundschafter und Scharfschütze Pegahmagabow, späterer Häuptling der Wasauksing. „Der lange Weg“ wurde nominiert für den Governor General’s Award for Fiction 2005.

http://www.knaus-verlag.de

Bionda, Alisha – Kuss der Verdammnis (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 2)

Band 2 knüpft genau an der Stelle an, wo die Kurzgeschichte ‚Der ewig dunkle Traum‘ endete:

Die junge Dilara wird für den Mord an ihrem Geliebten Charles zum Tode durch den Strick verurteilt. Bald auch zieht sich die Schlinge an den berühmt-berüchtigten Tyburn Gallows im Londoner Hyde Park erbarmunglos um ihren hübschen Hals.
Im Angesicht ihres Todes jedoch taucht jene Person auf, die für diese ganze Misere die Schuld zu tragen scheint – der Ur-Vampir Antediluvian. Er bietet Dilara an, ihr das ewige Leben zu schenken und sie zu einem Nosferatu zu machen. Ihr bleibt letztendlich nur die Wahl, den Kuss der Verdammnis hinzunehmen und zu einer Vampirin zu werden.

Vierhundert Jahre später findet sich Dilara in London wieder. Hier geht sie ihrem steten Treiben als ungewöhnliche Vampirin nach – einer ihrer Lieblingsorte ist unter anderem die Galerie des Apsley Houses, dort fasziniert sie speziell das Gemälde eines unbekannten Malers, welches seinen Platz in einer dunklen Nische gefunden hat. Das Bild zeigt eine junge hübsche Dame, die Dilara zum Verwechseln ähnlich sieht – in Wahrheit stellt es auch die jetzige Vampirin im Jahre 1601 da, das Jahr ihrer Hinrichtung.

Doch nicht nur Dilara ist von dem Bild beeindruckt. Dem wohlhabende Roderick Herrington macht die verblüffende Ähnlichkeit der Schönen auf dem Gemälde mit dem Antlitz der geheimnisvollen Besucherin schwer zu schaffen. Er fühlt sich rettungslos zu der schwarzhaarigen Frau hingezogen, doch auch Dilara kann ein gewisses Interesse an dem Mann nicht verleumden.

In Rodericks Geist regt sich gleichzeitig eine seltsame innere Stimme, er schottet sich von der Außenwelt ab, wird von blutigen Vision heimgesucht – bis Realität und Wahn schließlich verschmelzen. Roderick mutiert zu einem modernen „Jack the Ripper“, der in der Dunkelheit der Londoner Nächte mehrere Frauen buchstäblich abschlachtet und ihr Blut trinkt. In Roderick nistet unverkennbar ein düsteres Geheimnis aus der Vergangenheit, welches er aber noch nicht zu lösen vermag …

Auch Dilara verfolgt mehrere Spuren, die einige Fragen zu ihrem früheren Leben beantworten könnten. Speziell eine Frage interessiert sie: Warum gibt es ein Bild von ihr in der geheimnisvollen Schattenchronik, die Antediluvian wie seinen Augapfel bewacht? Ihr Vertrauen in den Ur-Vampir wird mehr und mehr in Frage gestellt, bis sie zu der Überzeugung gelangt, dass ihr einstiger Mentor sich aus noch unbekannten Gründen ihrer entledigen will. Ab diesem Moment werden sie zu Gegnern.

Die Vampirin ist aber mittlerweile auf ihren wahren Gefährten gestoßen. Sie hat sich auf dem Portobello-Markt in den jungen Calvin verliebt, und auch er ist sofort der hübschen Schwarzhaarigen verfallen. Dilara gibt ihm schließlich den Kuss der Verdammnis, so dass sie sich auf ein ewiges gemeinsames Leben einlassen können. Ihr Beisammensein wandelt sich zu einer beispiellosen, tiefen Seelenverwandschaft. Gemeinsam wollen sie Antediluvians dunkle Machenschaften aufdecken …

Alisha Bionda, die zu der Anthologie „Der ewig dunkle Traum“ noch eine der Kurzgeschichten beigesteuert hatte, lebt in diesem Band das Dasein der Vampirin Dilara in unserer modernen Zeit. Ja, man gewinnt den Eindruck, sie lebt diese Figur in allen ihren Zügen.

Die Ambivalenz der Gefühle dieser Frau, ihre sprühende Erotik, ihre Zartheit, die verspielten Auseinandersetzungen mit ihrem Partner, aber auch ihre gnadenlose Gefährlichkeit werden so intensiv und wirklich dargestellt, dass man meint, Alisha sei Dilara oder umgekehrt. Besonders der sprühende Liebesreigen zwischen Calvin und Dilara wird mit einer beeindruckenden Tiefe und Dichte beschrieben.

Die Vampirin ist hin- und hergerissen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern, dem ständigen Zweifel an ihrem eigenen Dasein und dem Leben als Blutsauger. Die Konfrontation mit den wahren düsteren Plänen ihres Mentors, die verzweifelte Suche nach ihrer Vergangenheit – das gesamte Geschehen findet vor dem Hintergrund des altehrwürdigen London statt.

Die einzelnen Örtlichkeiten in dieser legendären Stadt sind schaurig-romantisch gewählt, ideal für eine Vampirstory, auch wenn wir hier absolut keine gewöhnliche Nosferatu-Abhandlung in Händen halten. Diese Geschichte, welche auch eine erste genauere Einführung der Hauptcharaktere der Schattenchronik-Serie liefert, kann man fast schon als eine Gothic-Romanze bezeichnen.

Schon alleine die Hauptfigur lässt sich mit keinem bekannten Vampircharakter vergleichen – auch am Tage ist sie unterwegs, gibt sich den verschiedensten Reizen hin, lebt und liebt wie eine junge Frau – wenn dann auch in der Nacht gelegentlich die morbide Gier aus ihr herausbricht und dieses faszinierende Wesen zu einer gnadenlosen Bestie mutiert, der es nach frischem Blut gelüstet. Interessanterweise nimmt der Leser diesen Blutrausch meistens billigend hin, er akzeptiert diese Opfer als nötige Übel, nimmt diesen ‚grausamen‘ Wesenszug als gegeben hin und verurteilt ihn nach einer Weile auch nicht mehr.

Dies ist aber auch erst der Anfang, die Einführung in eine neue Welt, denn diese Erzählung schließt mit einem offenen Ende – was unsere Vampirin in der Unterwelt Londons erlebt, welches düstere Geheimnis in der Schattenchronik von Antediluvian verborgen gehalten wird und was Dilara während ihrer bereits 400 Jahre schon alles widerfahren ist, das werden wir wohl in den kommenden Bänden erfahren.

Kommen wir noch zu Pat Hachfeld: Sein Zeichenstil hat schon in dem ersten Band die richtige Stimmung vermittelt. Hier packt er die Figuren in äußerst düstere Umgebungen (sei es in eine dunkle Londoner Straße oder in eine schummerige Katakombe darunter); vereinzelt mit nur kleinen Lichtquellen ausgeleuchtet, leiten diese Illustrationen die einzelnen Kapitel ein, welche passend mit lateinischen Titeln versehen sind (carpe diem, carpe noctem etc.). Um den Rahmen zu vervollständigen, hat Mark Freier ein Titelbild im wahren Gothic-Stil zum Besten gegeben, körnig verwaschen in kältesten Farben – ist das vielleicht das Gemälde aus dem Apsley House?!

Der Einstieg in die Welt der Schattenchronik ist jedenfalls gelungen …

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MacHale, D.J. – Händler des Todes, Der (Pendragon 1)

Ein Buchrücken, der nicht viel Interessantes verspricht, ein Cover, das wegen der kitschigen Darstellung mehr abschreckt als einlädt, und eine Saga, die sich über ganze sieben Bände erstrecken soll, nach dem Erkunden der Inhaltsangabe aber eher darauf schließen lässt, als echte Serie nicht sonderlich gut geeignet zu sein. Das ist „Pendragon“, eine noch recht frische Fantasy-Serie vom amerikanischen TV-Drehbuchautor D.J. MacHale und laut mehreren Zeugenaussagen die Fantasy der Zukunft. Doch trifft dies wirklich zu?

_Story_

Bobby Pendragon ist der Star der Highschool, und das mit gerade mal 14 Jahren. Und diesen Ruf möchte er in Kürze noch weiter ausbauen, denn im entscheidenden Spiel der schulinternen Basketballmeisterschaft ist er in der ersten Garde des Teams seiner Highschool. Beflügelt durch einen überraschenden Kuss der schönen und beliebten Courtney bereitet er sich im Stillen auf das große Match vor, doch dann wendet sich das Blatt.

Freut sich Bobby anfangs noch über den erneuten Besuch seines Onkels, macht dieser ihm letztendlich einen Strich durch die Rechnung. Er erzählt Bobby von der bedrohten Welt und davon, dass er die einzige Person ist, die das furchtbare Schicksal noch wenden kann. Doch dazu bedarf es sofortigen Handelns und somit auch des Aufgebens seines jetzigen Umfelds. Kein Basketballfinale, keine Courtney, keine Starallüren. Bobby ist jedoch skeptisch und mit der Bitte eines Onkels überhaupt nicht einverstanden.

Erst als sich die beiden in eine verlassene U-Bahn-Station inmitten der New Yorker Bronx begeben und der junge Pendragon Zeuge einer wilden Verfolgungsjagd wird, der sein Onkel als Gefangener zum Opfer fällt, ist Bobby bereit, seiner Berufung zu folgen. Durch ein Wurmloch gerät er schließlich in eine andere Welt, in der er auf weitere Gefährten trifft, die ein ähnliches Schicksal wie er teilen. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach Bobbys Onkel und den geheimnisvollen Rittern, die ihn auf der Erde entführt haben. Doch die eigene Familie ist nicht sein einziges Problem. Ein Krieg steht nämlich unmittelbar bevor, und bevor sich Bobby versieht, muss sich der Teenager der drohenden Vernichtung stellen – und das ohne jegliche Vorahnung …

_Meine Meinung_

Na ja, die Ideen, die D.J. MacHale hier in den Plot einfließen lässt, sind alles andere als neu, geschweige denn in irgendeiner Form innovativ. Ein junger Mann soll als Zeitreisender eine fremde Welt retten und wird von einem Tag auf den nächsten von seinem Schicksal überrannt. Klingt wie der Plot eines kitschigen Hollywood-Streifens und kommt dem eigentlich auch sehr nahe. Kitsch auch deswegen, weil die Statusbeschreibung des Protagonisten anfangs auch an die Einleitung einer zweitklassigen Highschool/Teenie-Geschichte wirkt. Bereits hier merkt man, dass der Autor über fortgeschrittene Erfahrungen aus der Filmbranche verfügt und diese auch flächendeckend einsetzt.

Andererseits ist MacHale aber auch ein toller Erzähler, denn seine Geschichte ist sehr phantasievoll gestaltet und bietet auch genügend Spannung, um den (jugendlichen) Leser von der ersten bis zur letzten Seite bei der Stange zu halten. Schon ab dem Moment, in dem Bobbys Onkel ins Geschehen eingreift und die Welt des beliebten Teenagers durcheinander bringt, gewinnt die Story ordentlich an Fahrt und Vielschichtigkeit, die MacHale indes wieder dazu nutzt, um der Geschichte einen tollen Hintergrund zu verpassen. Die Welt, in der sich Bobby nach seinem Sprung durch Zeit und Raum aufhält, ist dabei das Sahnestück einer farbenfrohen, sehr ausgefüllten Standortbeschreibung, die ganz klar zu den Stärken des Autors zu zählen ist.

Dem gegenüber steht aber leider ein allzu plumper Schreibstil, der in vielen Szenen nicht darüber hinausreicht, immer wieder klarzustellen, wie cool doch alles ist. Bobby erlebt auf seiner Reise so viele verschiedenartige Dinge, doch nur selten gelingt es MacHale auch, diese Ereignisse mit ähnlich atemberaubender Präzision in Szene zu setzen wie die eindrucksvollen Schilderungen der Handlungsschauplätze. Und schon haben wir den nächsten, weitaus schwerwiegenderen Ausflug nach Hollywood entdeckt, dessen Beigeschmack diesmal deutlich fader ist. Manche Dialoge finden zum Beispiel auf einem sprachlich eher minderwertigen Niveau statt und unterstreichen die eingangs erwähnten Kitsch-Anteile von „Pendragon“. Das mag den jüngeren Leser zwar jetzt weniger stören als das anspruchsvolle Fantasy-Publikum, wird aber mit zunehmender Lesedauer doch als störend empfunden.

Große Teile der sprachlichen Defizite kann MacHale dann aber – besonders in der zweiten Hälfte von „Der Händler des Todes“ – durch die relativ souveräne Entwicklung des Inhalts kaschieren. Sobald Bobby Pendragon nämlich seine Überheblichkeit abgelegt hat und sich vom vorbestimmten in einen tatsächlichen Helden verwandelt, beginnt man, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren und Sympathien für seinen Charakter zu entwickeln. Gleichzeitig gelingt es dem Leser dann auch, sich durch die oberflächlichen Anfangsdialoge durchzukämpfen und schließlich in die Welt des jungen Reisenden einzutauchen, die nach späteren Erkenntnissen weitaus größer und umfangreicher ist, als man dies zunächst vermuten mag. Und dass MacHale spätestens hier ganze Arbeit geleistet hat, indem er die Spannungskurve linear ansteigen lässt, kann man trotz der anfänglichen und zu Recht geäußerten Bedenken nicht mehr abstreiten.

Diese neue Serie sollte man daher auch in zwei Seiten aufteilen. Auf der einen steht eine spannende, schöne Geschichte, auf der anderen einige Defizite, die in erster Linie mit der auf modern getrimmten, aber nicht gerade der modernen Fantasy-Literatur entsprechenden Sprache zu tun haben. Gerade jüngeren Lesern möchte ich diese neue Reihe aber dennoch empfehlen, denn auf der Suche nach kurzweiliger Unterhaltung (und das beziehe ich zunächst nur auf „Der Händler des Todes“) ist man bei diesem ersten Band genau richtig.

Willkommen

Andreas Eschbach – Die gläsernen Höhlen (Das Marsprojekt 3)

Bei Erscheinen von Andreas Eschbachs erstem Jugendroman „Das Marsprojekt“ hätte noch niemand erwartet, dass er daraus eine spannende Serie entwickeln würde. Die Geschichte um die Marskinder nimmt an Faszination zu, je mehr Geheimnisse der Mars freigibt.

Das Marsprojekt geht weiter!

Im vorliegenden dritten Band der fünfteilig geplanten Serie stößt man auf weitere Artefakte, kleine, scheinbar aus geschmolzenem Sand bestehende Scheiben, die nun aber mit Namen versehen sind. Die Kinder behalten ihre Entdeckung vorläufig für sich, zumal bisher nur ihre Namen erscheinen.

Carl nimmt an einer Expedition teil, die sich um den Ursprung der geheimnisvollen untermarsischen Röhrengangsysteme kümmern will. Er ist den Wissenschaftlern als Marsgeborener eine Hilfe bei der Beurteilung der Wegsamkeit ihrer Route. Schließlich entdecken sie eine gigantische Ruinenlandschaft, die ebenfalls, gleich den blauen Türmen, unter einem von oben undurchdringlichen Tarnfeld liegt. Ein Sandsturm, der durch illegale Aktivitäten der anderen Kinder nicht rechtzeitig bemerkt wird, trennt Carl vom Team und treibt ihn zu einem überhängenden Felsen. Überraschend entdeckt er dort eine Trennwand aus demselben glasartigen Material, aus dem die Türme bestehen. Ein (Wind?-)Stoß drückt ihn dagegen – und hindurch! Die beschrifteten Artefakte entpuppen sich als Schlüssel zu den fremden Bereichen. Carl macht die umwälzendste Entdeckung des Jahrtausends: In einer dieser Höhlen liegen konservierte Aliens …

Neben der eigentlichen Handlung beschäftigt Andreas Eschbach sich auch mit den zwischenmenschlichen Beziehungen, die einen Jugendlichen interessieren könnten, wie die Gefühle von Ariana und Urs zueinander, der Weg bis zum gegenseitigen Eingestehen, erste Küsse etc.

Die Geschichte ist spannend erzählt, allerdings war das Auftauchen wirklicher außerirdischer Wesen sehr überraschend. Hinterlassenschaften, Roboter, Welten … alles fügt sich zusammen, aber die Wesen selbst kommen unerwartet.

Carl, der durch Urs‘ Auftauchen etwas in den Hintergrund gedrängt wurde, bekommt wieder mehr Gewicht durch seine Teilnahme an der Expedition. Er entdeckt die gläsernen Höhlen und einen Sinn in den Artefakten, er entdeckt die fremden Wesen und betritt als Erster ihren Bereich, und er erlebt als Erster den Transfer zwischen weit entfernten Orten ohne Zeitverlust. Dafür kommt Ronny, der Jüngste der Gruppe, wieder etwas zu kurz, aber so bekommt jeder der Romane seinen schwerpunktmäßigen Charakter.

Die Beschreibungen von physikalischen, technischen und astronomischen Details gelingt Eschbach auf jugendfreundliche und interessante Weise, und auch für Erwachsene bieten sie Hintergrundinformationen genug, um den Roman realistisch zu gestalten. Eschbach bewegt sich weitgehend im vorstellbaren Bereich, auch wenn bestimmte Dinge wie Kernfusionsreaktoren noch echte Wunschträume sind. Für die plötzlich im 21. Jahrhundert erfolgte Einigung der Menschheit durch einen Umschwung im Denken liefert er einen mysteriösen, im Bezug auf die Science-Fiction-Geschichte aber glaubwürdigen oder zumindest interessanten Erklärungsansatz: Ist der Einfluss von Außerirdischen, die die Menschen auf einen Kontakt mit sich vorbereiten wollen, wirklich auszuschließen?

Insgesamt greift Eschbach viele, auch alte Themen der SF auf und verarbeitet sie in jugendfreundlicher und aktueller Form. Damit legt er bei seiner Zielgruppe den Grundstock eines SF-Verständnisses, quasi als Einstieg in die großartigen Tiefen des Genres. Und dass er dabei auch gute Geschichten erzählen kann, dürfte bekannt sein. Etwas Besseres kann man sich kaum wünschen.

gebunden, 324 Seiten
Originalausgabe

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