Jeschke, Wolfgang; Aldiss, Brian W. (Hrsg.) – Titan-20

_Die Erde wird verschachert: klassische SF-Erzählungen _

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 20 von „Titan“ sind nicht Beiträge zur „Science Fiction Hall of Fame“ gesammelt, sondern klassische SF-Erzählungen der 1950er Jahre – Thema sind „Galaktische Imperien“. Dies ist der dritte von vier TITAN-Bänden zu diesem Thema.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren.

TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Brian W. Aldiss (* 1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss’ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse/Der lange Nachmittag der Erde“ bekam Aldiss den HUGO Award. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

_Die Erzählungen_

_1) John D. MacDonald: „Flucht ins Chaos“ (1951)_

Andro ist der dritte Kronprinz von Kaiser Shain, doch der missratene Sohn rebelliert gegen seinen Vater. Der Kaiser verfügt mit einem Wink seinen Tod. Die Brüder Andros mühen sich zusammen mit Delaran, dem Feldherrn, Andro zur Strecke zu bringen. Doch es ist wie verhext: Ein ums andere Mal entschlüpft ihnen der Gejagte, als ob er einen Schutzengel hätte. Und beim sechsten Mal verschwindet Andro einfach spurlos …

Er erwachst auf einer fremden Welt, stellt sich aber weiterhin bewusstlos. Schließlich ist er ja ein ausgebildeter Krieger. Kaum beugt sich die fremde Frau über ihn, versetzt er ihr einen Faustschlag, dass sie bewusstlos umkippt. Er schaut sich um, betrachtet die Fremde. Er hat alle seine Kampfesgenossen und seine Geliebte verloren, also muss dies eine Feindin sein. Sie trägt eine zitronengelbe Toga und am Gürtel sechs glänzende Instrumente, die er ihr abnimmt und versteckt.

Sie nennt sich Calna und behauptet, sie sei Agentin einer geheimen Macht, die die Welten des Universums zu einem einheitlichen Entwicklungsstand zusammenführen wolle. Sie habe Andro schon mehrfach das Leben gerettet. Er glaubt ihr nicht, denn welchen Grund hätte sie dazu. Mit geschickten Akupressurgriffen setzt sie ihn außer Gefecht, bevor sie ihre Instrumente wieder am Gürtel befestigt.

Ihre Mitagenten seien hinter ihr her, und auf dieser Welt seien sie nicht sicher. Andro will auf seine Heimatwelt, um dort einen Aufstand anzuzetteln. Aber dort habe Deralan dem Kaiser den Beweis gezeigt, dass Andro tot sei. Sie selbst hatte Deralan den Beweis in die Hand gelegt. Würde Andro nun dort auftauchen, müssten die Sklaven, die er zu befreien beabsichtigt, glauben, er sei wiederauferstanden. Na schön, muss er eben sein Gesicht umgestalten.

Zusammen gehen sie mit ihrem Agentenschiff nach Simpar und verstecken sich unter der Erde vor den Agenten, die Calna, die Abtrünnige, suchen. Der Aufstand der befreiten Sklaven wird ein voller Erfolg, und schon bald brennt die Stadt lichterloh. Doch Deralan hat eine Sklavin ausgehorcht und überrascht von Andros Anwesenheit erfahren. Als die wütenden Sklaven auch Andro, den sie nicht erkennen, angreifen und die schöne blonde Frau neben ihm ihn mit einer unbekannten Waffe verteidigt, weiß Deralan Bescheid.

Er folgt ihnen unauffällig zu ihrem Schiff. Er zieht das Messer, um es in Andros Rücken zu werfen. Doch eine unbekannte Macht ergreift von ihm Besitz und schleudert das Messer auf ein neues Ziel …

|Mein Eindruck|

Die 60 Seiten lange Erzählung folgt keineswegs dem oben skizzierten Handlungsverlauf, der nur einen kleinen Teil des Geschehens abdeckt. Vielmehr scheint das Thema der Geschichte weniger Aufstand, Kampf und Romanze zu sein, als vielmehr die Bedeutung von Statistik für die soziologische Entwicklung von wahrscheinlichen Welten. Insofern ist es eine sowohl eine Übung in Statistik als eine Variation der Psychohistorik, die Asimov schon in den vierziger Jahren „erfand“.

Der Direktor der „sozionetischen Agentur“ steuert demnach die 26 Welten der Wahrscheinlichkeit in ihrer Entwicklung, zu ihrem eigenen Wohl, aber auch um die Kontrolle zu behalten. Agentenschiffe vermögen es, von einem Rahmen der Wahrscheinlichkeit – sprich: Welt – zum nächsten und übernächsten zu „schlüpfen“, indem sie die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit beugen. (Nicht gerade eine neue Idee.)

Doch was die abtrünnige Agentin Calna zusammen mit Andro tut, lässt auf der Welt Simpar alle anderen Wahrscheinlichkeiten zusammenbrechen. Es gibt nur noch eine einzige Wahrscheinlichkeit. Es gibt für sie folglich kein Entkommen mehr. Doch eine fremde Macht bemächtigt sich Delarans Geist, der ein Gerät konstruiert, das die anderen Wahrscheinlichkeitsrahmen wieder zugänglich macht. Doch wer oder was verbirgt hinter dieser Macht?

Calna erfährt es nicht. Denn als sie zum Direktor zurückkehrt, kann sie sich an ihre Erlebnisse nur wie an einen verrückten Traum erinnern. Sie will neu konditioniert werden. Der letzte Satz allein gibt uns einen Hinweis darauf, dass der Direktor dahinterstecken könnte. Er denkt an die Einfachheit der „dritten atomaren Ära“. Das bedeutet, dass er schon sehr alt sein muss. Alt genug, um so etwas wie ein Gott zu sein …

_2) A. E. van Vogt: „Versteck“ (1943)_

In der Kleinen Magellanschen Wolke gibt es Millionen von Sonnen, doch Wetterstationen wachen auf jede Annäherung einer uralten Bedrohung. Als Gisser Watchers Systeme das Schlachtschiff von der Imperialen Erde entdecken, gibt er den fünfzig Sonnen der bewohnten Welten Alarm und trifft Vorbereitung, seine Station zu sprengen. Die Karte des Systems darf den Erdlingen keinesfalls in die Hände fallen …

An Bord des Schlachtschiffs „Star Cluster“ begrüßt ihn eine junge Frau mit blitzenden Augen. Sie stellt sich als Großkapitänin Gloria Cecily Laurr von Laurr vor. Er soll ihr alles verraten über sein Sternensystem verraten, doch sie macht den Fehler, ihm zu drohen: Alle Abtrünnigen würden zur Rechenschaft gezogen werden. Erst die Psychosonde, die Chefpsychologin Neslon einsetzt, bricht seinen psychischen Widerstand. Doch kaum beginnt er das Dellianische System zu beschreiben, als sein Verstand sich abschottet. Bemerkenswert!

Zugleich mit Watchers Molekülen wurde auch die Station mitsamt der Sternenkarte an Bord transferiert. Doch wie ihr der Chefnavigator versichert, könne die Kapitänin nichts damit anfangen, denn es fehle der Schlüssel, der Bezugspunkt. Sie bewohnten Welten seien wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen unter Millionen von Sonnen versteckt. Sie Suche erweist sich als ergebnislos. Zehn Jahre Suche – und jetzt das!

Gloria Cecily beschließt, Watcher zu verführen, um an die Wahrheit heranzukommen. Doch sie ist nicht auf die ungeheuerliche Wahrheit gefasst, die sie dabei unter Lebensgefahr entdeckt …

|Mein Eindruck|

Wie so häufig bei A. E. van Vogt, dem kanadischen Star in John W. Campbells Autorenriege für „Astounding Stories“, umspannt die Story ganze Sternenimperien und Galaxien. So auch hier. Das terranische Imperien schickt sich an, die Kleine Magellansche Wolke zu unterjochen und betrachtet Widerstand als Verrat.

Der Witz an der Geschichte besteht darin, dass es sich tatsächlich um Abtrünnige handelt, die das Schlachtschiff vorfindet – aber sie spalteten sich bereits vor 15.000 Jahren ab. Und alle Scanner des Schiffes können die Bewohner dieser Welten nicht finden, weil es dort längst keine Menschen mehr gibt. Sondern nur noch Roboter …

_3) Algis Budrys: „Die Lehrer“ („To Civilize“)_

Nach Generationen friedlichen Zusammenlebens mit den Bewohnern von Voroseith bekommen die Erdmenschen den Befehl, die Welt zu verlassen und zur Erde zurückzukehren. So will es die Föderation der Welten. Deric, ein junger Kulturhistoriker der Voroseii, wundert sich über die Bereitwilligkeit der Menschen, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er befragt Morris, einen Wissenschaftler, und Berkeley, einen Opernautor.

Die Antworten, die er freundlich erhält, stellen ihn wenig zufrieden. Sie hätten ihre Aufgabe, andere Welten zu zivilisieren, erfüllt, behauptet Berkeley. Ihre Hauptaufgabe aber habe darin bestanden, die Voroseii daran zu gewöhnen, mit anderen Rassen der Föderation zusammenzuarbeiten. Allerdings vermutet Deric noch einen weiteren Grund: Der Planet Ardan hatte sich der Anordnung widersetzt und ist ausgelöscht worden. Was Deric wirklich in den Augen seiner Freunde sieht, ist Furcht …

|Mein Eindruck|

Zivilisationen beginnen, Zivilisationen enden – das ist die Lektion dieser Geschichte mir. Eine Zivilisation mag mit einem Auftrag, Kultur zu bringen, beginnen, doch rohe Gewalt mag sie ohne Weiteres beenden, ganz gleich, wie hoch ihre Verdienste sein mögen. Zivilisation, so die Botschaft des Autors, ist kein Selbstzweck, auf dessen Lorbeeren man sich ausruhen darf. Sie ist eine Funktion, eine Aufgabe, um ein gestecktes externes Ziel zu erreichen. Nach Erfüllung der Aufgabe mag sie wieder verschwinden oder woanders verlagert werden.

Aber die Geschichte ist ein schönes Beispiel dafür, dass die für ihre Aggressivität berüchtigten Menschen durchaus friedlich mit anderen Rassen zusammenleben können. Am Schluss übergibt Berkeley das Libretto zu einer neuen Oper an Deric, den Kulturhistoriker, als übergebe er den Stab für ein Amt oder erteile einen Ritterschlag.

_4) James Blish: „Pieps“ (1954)_

Josef Faber sitzt auf einer Parkbank des Planeten Randolph und passt auf, dass der Junge und das Mädchen bei ihrem Techtelmechtel nicht gestört werden. Schließlich ist es sein Job, den festgelegten Verlauf der Zukunft zu sichern, und dazugehört nun mal auch die Paarbildung und alles, was damit verbunden ist. Die Abwehr einer feindlichen Raumflotte im Pferdekopfnebel ist zwar auch ganz nett, aber der DIENST hat sich oofenbar auch um Junge-trifft-Mädchen-Ereignisse zu kümmern. Dennoch beschwert er sich bei seinem Chef Krasna, was das für einen Sinn, wo die Zukunft doch eh schon bekannt sei? Krasna zeigt ihm eine Aufzeichnung darüber, wie alles mit dem DIENST anfing …

Die bekannte und schöne Fernsehkolumnistin Dana Lje besucht den Geheimdienstler Hauptmann Robin Weinbaum in seinem Büro. Sie will wissen, ob er je von einem „Interstellaren Informationsdienst“ gehört habe? Sie habe einen Brief von einem gewissen J. Shelby Stevens erhalten, der ihr seine Dienste anbiete. Dienste, die auf einer exakten Vorhersage kommender Ereignisse beruhen! Stevens sagt eine Schlagt im Drei-Gespenster-System voraus … Weinbaum schreit auf. Diese Info sei topsecret – noch ein Wort und er müsste sie einsperren! Das findet Dana interessant.

Weinbaum will natürlich wissen, auf welche Quelle sich dieser Stevens beruft. „Auf den Dirac-Kommunikator.“ Weinbaum wird bleich. Niemand weiß, dass es dieses Gerät gibt und von seinem Dienst gerade zum Drei-Gespenster-System transportiert wird, um getestet zu werden. Es sei denn – entsetzlicher Gedanke! – jemand hat noch einen Dirac-Kommunikator erfunden. Ein Gerät, mit dem man erstmals ohne Zeitverzögerung Nachrichten mit jedem beliebigen Ort im Universum austauschen kann. Weinbaum veranlasst die Festnahme von Stevens.

Allerdings ergibt sich dabei ein kleines Problem: Der alte Knacker Stevens ist mit der jungen Schauspielerin Dana Lje identisch. Weinbaum wird nun ganz schwummrig zumute. Nicht auszudenken, wenn die Feinde von Erskine ebenfalls einen Dirac-Kommunikator erfunden hätten! Aber Dana beruhigt ihn: Sie kennt das Dirac-Geheimnis – und will Weinbaum heiraten …

|Mein Eindruck|

James Blish war einer der kenntnisreichsten und stilsichersten Autoren der SF, hatte außerdem einen großartigen Sinn für Humor (z. B. in „The Devil’s Day“). Diese Eigenheiten zeigen sich auch an dieser amüsanten Story. Es geht um die Vorhersage künftiger Ereignisse durch ein neuartiges Kommunikationsmittel, den Dirac-Kommunikator. Das Gerät beruht natürlich auf relativistischen Effekten, denn es fischt in der „Dirac-See“ subatomarer Teilchen.

Mal von der komplizierten – und nicht immer plausibel erscheinenden – Technik abgesehen, so ergeben sich aus dem Umstand, dass alle Nachrichten ohne Zeitverzögerung empfangen werden können, weitreichende Folgen. Wenn vier Lichtjahre entfernt bei Alpha Centauri etwas passiert, dann erfahren die Erdlinge normalerweise erst vier Jahre später davon (per „Ultrawelle“ frühestens 100 Tage später), jetzt aber sofort. Folglich könnte ein so kommunizierendes Sternenreich viel besser gesteuert werden. Einer Diktatur wäre damit Tür und Tor geöffnet. Ganz besonders dann, wenn man auch noch die nahe Zukunft kennt.

Genau dies jedoch will Dana Lje verhindern, indem sie ihren Dienst als Privileg meistbietend unterbringt: bei US-Geheimdienst von Robin Weinbaum. Sie diktiert die Bedingungen, unter der die Fusion erfolgen soll. Dass es ihr auch um eine ganz private „Fusion“ geht, verleiht der ganzen Transaktion die romantische Würze. Ich betrachte die Romanze aber als Zugeständnis des Autors an sein junges Publikum.

_5) Mack Reynolds: „Verkauft“ („Down the River“, 1950)_

Das riesige Raumschiff der Aliens landet in Connecticut. Dessen Gouverneur begrüßt den grünhäutigen Abgesandten, der erstaunlich gut englisch spricht und eine Proklamation ankündigt: Die Menschen sollten sich bereithalten, in einem Erdenmonat eine Ansprache vom Graff dieses Raumsektors zu erhalten. Sprach’s und ging.

Einen Monat lang herrscht Tohuwabohu in den Medien. Was ist von den Aliens zu erwarten, Gutes oder Schlechtes? Wie auch immer: Der Madison Square Garden ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als der grünhäutige Graff seine Ansprache hält. Schon bei der ersten Andeutung, dass Terra zum Sternenreich Carthis gehöre, zucken manche der Anwesenden zusammen. Der Gabon von Carthis habe den Graff auf dem Mars residieren lassen, bis Terra wenigstens Stufe 4 der Entwicklungsskala erreicht habe.

Nun sei es allerdings notwendig geworden, wenigstens einen Höflichkeitsbesuch zu machen. Denn das Reich von Carthis habe im Austausch für Schürfrechte im Aldebaran-Sektor das Sonnensystem an das Reich Wharis veräußert. In wenigen Wochen schon dürfte der entsprechende Graff eintreffen, um den primitiven Erdlingen seine Bedingungen zu stellen, die v.a. in der Förderung von Bodenschätzen bestünden.

Die Ankündigung ruft heftigen Protest hervor: Die Erde wurde verschachert! Der Graff jedoch gibt sich verwundert. Hätten nicht die USA selbst bereits im Jahr 1803 Millionen von Quadraktmeilen einem gewissen Napoleon abgekauft, ohne die Bewohner dieses Landes zu fragen; ebenso die Briten und Franzosen?

|Mein Eindruck|

In der Tat: Die Zivilisation kann auch ihre Schattenseiten haben, ganz besonders dann, wenn man auf der Verliererseite steht. Die von dem Graff zitierten Fälle sind alle historisch belegt. Die bittere Ironie besteht darin, dass das Prinzip nun auf die Erde als Ganzes angewendet wird.

Der Autor hätte noch den infamen Friedensvertrag von 1848 erwähnen können, in dem der Verlierer Mexiko dem Gewinner USA ebenfalls Millionen Quadratmeilen abtrat – was ungefähr eine Zunahme um 66% für die damals bestehenden USA bedeutete. Niemand fragte die Indianerstämme, ob sie damit einverstanden waren. Sie wurden fast komplett ausgerottet.

_6) Avram Davidson: „Der Prämienjäger“ (1958)_

Ratsherr Garth und sein Sohn Olen besuchen den alten Fallensteller in der Wildnis. Olen soll nämlich eine Semesterarbeit über die Prämienjäger und ihr Leben schreiben. Der Alte ist freundlich, aber alles ist so unordentlich bei ihm, so roh, gar nicht wie in der Stadt. Dort habe er auch mal gelebt, erzählt er am Kaminfeuer, weil seine Frau von dort kam, aber sobald sie gestorben war, zog es ihn zurück in die Wildnis dieses Planeten.

Der Alte geht hinaus, weil er eine wilde Bestie gehört hat. Währenddessen erklärt Garth seinem Sohn, dass sich keiner die Mühe mache, das Wild dieses eroberten Planeten auszurotten und lieber die kargen Prämienzahlungen in kauf nehme. Der Alte kehrt mit Beute zurück, einem langgliedrigen Geschöpf, das sich stark von ihnen unterscheidet: Seine Ohren liegen außen an und an jeder Hand weist es fünf Finger auf …

|Mein Eindruck|

Da bleibt dem Leser das Lachen im Halse stecken. Das Wild, das der alte Fallensteller, erbeutet hat, ist nämlich ein Mensch – oder was einmal als menschliche Rasse bekannt war, bevor die Aliens die Welt eroberten. Die Story besticht durch ihre Detailtreue und den knapp angedeuteten kulturellen Hintergrund. Die bittere Ironie ist die gleiche wie bei „Verkauft“: Der Spieß wird umgedreht, und was die Menschen anderen Kreaturen angetan haben, widerfährt nun ihnen.

_7) Fredric Brown: „Aufgeschoben“ („Not Yet the End“, 1941)_

Zwei intergalaktische Sklavenjäger landen auf dem dritten Planeten dieser gelben Sonne. Sie machen ihr Schiff unsichtbar und schnappen sich die erstbesten Exemplare von höheren Lebewesen, die sie erwischen können. Die Untersuchung ergibt: lebendgebärend, aber leider nicht sehr intelligent. Unbrauchbar für Sklavenarbeiten in Bergwerken. Die Jäger düsen wieder ab, wollen aber in einer Million Jahren noch mal vorbeischauen.

Der Redakteur eine Zeitung in Milwaikee beschließt die unbedeutende Meldung zu ignorieren, wonach der Zoodirektor meint, zwei Affen seien ihm gestohlen worden …

|Mein Eindruck|

Shit happens. Und wir haben noch mal Glück gehabt. – Fredric Browns Spezialität sind superkurze Storys von wenigen Seiten, die mit einer rabenschwarzen Pointe enden. Dass er auch länger schreiben kann, bewies er mit dem lustigen Roman „Martians Go Home!“

_Die Übersetzung_

Diese Übersetzung durch Heinz Nagel ist eine wahre Wohltat im Heyne-Programm: Ich konnte keinen einzigen Fehler finden. Und die sprachliche Kompetenz Nagels erwies sich auch bei so komplizierten Sachverhalten wie dem Dirac-Kommunikator James Blishs.

_Unterm Strich_

In der ersten Hälfte dieses dritten Bandes über Galaktische Imperien geht es Herausgeber Aldiss um „Gewalt und Zivilisation“ und er behauptet: „Man kann niemanden mit Gewalt zivilisieren“. Eine Novelle von John D. McDonald (der auch viele Krimis schrieb) und zwei Storys von van Vogt und Budrys sollen dies belegen. Meiner Ansicht nach ist dies nicht immer schlüssig belegt, aber wenigstens die Kontrollinstanz in „Flucht ins Chaos“ wird ganz hübsch ausgetrickst, ebenso die großspurige und listenreiche Großkapitänin Cecily Laurr durch den Roboter. Budrys‘ Geschichte fand ich relativ pointenlos.

Die zweite Hälfte des Bandes zeigt „Die Kehrseite der Medaille“ eines Imperiums. Die Menschen sind entweder nahezu ausgerottet (in „Die Prämienjäger“) oder werden verschachert (in „Verkauft“). Andererseits können sie manchmal auch durch die Blödheit der Sklavenjäger davonkommen (in „Aufgeschoben“). Dusel muss man haben. Jedenfalls bis zum nächsten Ver- und Besuch …

Obwohl die genannten Storys doch recht gut dem Argument des Herausgebers folgen und auch fast durchweg sehr ironisch sind, so ragt doch James Blishs Novelle „Pieps“ heraus. Hier wird die diktatorische Variante eines möglichen Imperiums durch eine clevere Frau verhindert. Sie ist es auch, die den Geheimdienst trickreich dazu zwingt, die Sicherung des Verlaufs der Zukunft nur zum Wohle der Menschheit einzusetzen, nicht um diese zu unterdrücken.

Allein schon wegen dieser Story lohnt es sich für einen SF-Sammler, diesen Band zu suchen und gebraucht zu kaufen. Booklooker und viele andere Antiquariate haben dazu zahlreiche annehmbare Angebote. Für Nichtsammler sind alle TITAN-Bände nicht so interessant, fürchte ich.

|Taschenbuch: 191 Seiten
Originaltitel: Galactic Empires 2/1, 1976; Heyne, 1983, München, Nr. 06/3991
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7350
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7348
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7351
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7349
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7353
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7352
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7354

Jeschke, Wolfgang; Aldiss, Brian W. (Hrsg.) – Titan-18

_Der Aufstieg junger Sternenreiche, vielfältig beleuchtet_

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 18 von „Titan“ sind nicht Beiträge zur „Science Fiction Hall of Fame“ gesammelt, sondern klassische SF-Erzählungen der 1950er Jahre – Thema sind „Galaktische Imperien“. Dies ist der erste von 4 TITAN-Bänden zu diesem Thema.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Brian W. Aldiss (*1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss‘ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse“ bekam Aldiss den HUGO Award. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

_Die Erzählungen_

_1) R. A. Lafferty: „Eine Sekunde der Ewigkeit“_

Sobald die Schöpfung aus der Spaltung einer Schote entstanden ist, begeben sich Erzengel Michael und seine Kollegen auf die eine Seite und Belel, sein Widersacher, mit seinen Heerscharen auf die andere Seite. Doch Boshel kann sich nicht entscheiden und verharrt mittendrin. Er wartet. Lange Zeit. Bis er Michaels Kollegen auffällt, der seinem Chef Bescheid sagt. Michael erkennt Boshels Problem und geht zu seinem eigenen Chef, bekommt aber Bescheid, Boshel müsse für sein Nichtbekenntnis zur richtigen Seite der ganzen Angelegenheit bestraft werden.

Eine angemessene Strafe für das Zögern und Warten Boshels zu erfinden, erweist sich nicht ganz einfach angesichts der Ewigkeit der Schöpfung. Da entdeckt an einem Kiosk in Los Angeles in einem Comic die genial einfache Lösung: Man setze sechs Schimpansen vor sechs Schreibmaschinen und lasse sie blindlings so lange tippen, bis Shakespeares gesammelte Werke hervorgebracht haben. Das sei dann Ewigkeit, geholfen vom Zufall. Perfekt für Boshel!

Aber was sind Schimpansen, was Schreibmaschinen, wer Shakespeare? Wie sich bald zeigt, liegt in der Feinheit der Definition die Größe der Hoffnung begründet, die Boshel hegen darf …

|Mein Eindruck|

Die amüsante und höchst ironische Story soll mehrere Dinge anschaulich zeigen. Erstens natürlich, wie lang eine Ewigkeit ist, wenn ein Vogel alle tausend Jahre kommt, um an einem Felswürfel von mehr als einem Lichtjahr Kantenlänge seinen Schnabel zu wetzen. Verdammt lange jedenfalls. Inzwischen gehen mehrere Milliarden Imperien, so viel ist klar.

Aber es gibt Hoffnung für Boshels Erlösung von der Strafe: Er darf seine Schimpansen intelligent machen und ausbilden, sodass sie tatsächlich in der Lage sind, alle 39 Bände von Shakespeares Gesammelten Werken fehlerfrei zu produzieren. Fehlerfrei? Boshels hätte mit Mikes Kollegen und ihrer akribischen Durchsicht des Mammutwerkes rechnen sollen. Und mit der Ungeduld seines intelligentesten Schimpansen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Vogel erst die Hälfte des Felswürfels durchgewetzt. Es ist also noch ein wenig Zeit …

_2) Arthur C. Clarke: „Die Besessenen“_

Der Schwarm kommt von einem fernen Stern, vor dessen katastrophalem Ende er fliehen musste, und nun sucht er eine neue Heimat. Auf dem dritten Planeten einer unbedeutenden Sonne am äußeren Spiralarm einer Galaxis findet sich diese Heimat. Der Schwarm teilt sich in Elter und Kind, als wären es Zwillinge. Das Elter zieht weiter, mit dem Versprechen, nach dem Finden einer besseren Heimat zurückzukehren und das Kind nachzuholen.

Dieser Fall wird nie eintreten. Dennoch vererbt sich das Wissen um dieses Versprechen durch Zillionen von Wirtskörpern, die das Rassegedächtnis im Lauf der Evolution weitertragen, von den Echsen über die Wirbeltiere. Immer wieder sammeln sich die Abkömmlinge des Schwarms in einem Tal, das leider im Laufe der Jahrmillionen unter Wasser gesetzt worden ist …

Als Nils und Christine auf ihrem Dampfer in den norwegischen Fjord einfahren, bemerken sie zu ihrem Erstaunen, wie sich Millionen von kleinen Tieren über die Hänge ergießen und herab zum Wasser ziehen, als würde sie dort etwas magnetisch anziehen …

|Mein Eindruck|

Nun, so kann man die Wanderung der Lemminge natürlich auch erklären. Indem er den Impuls zu geheimnisvollen Wanderung der Nager auf einen kosmischen Ursprung der irdischen Evolution zurückführt, bewirkt der Autor von „2001 – Odyssee im Weltraum“ zwei Dinge. Erstens knüpft er bereits 1953 ein Band zwischen dem Kosmos und dem irdischen Leben bzw. dem Menschen, der wieder zu seinen Ursprüngen zurückkehren wird. Nur dass im Film bzw. Roman dieses Band eine sehr konkrete Gestalt annimmt: die eines schwarzen Monolithen, der innen unendlich ist.

Zweitens setzt Clarke die Theorie der Panspermie literarisch um, welche, grob vereinfacht, besagt, dass es durchaus fremdem Leben von fernen Gestirnen gelungen sein könne, die Urform der Erde vor Milliarden Jahren zu erreichen und zu „befruchten“, ähnlich wie Spermien eine Eizelle. Das Vehikel für den Transfer dieses Lebens könnten Kometen aus dem Kuiper-Gürtel sein, der tatsächlich unser Sonnensystem wie eine Wolke umgibt, aber natürlich auch Himmelskörper, die von anderen Sonnen stammen. Als diese Sterne explodierten, schleuderten sie Materie, also Bausteine des Lebens, in die kosmische Umgebung und schickten sie auf eine äonenlange Reise.

_3) H.B. Fyfe: „Tierschutz“ („Protected Species“)_

Jerry Otis kommt als Inspektor der Obersten Kolonialbehörde nach Torang, wo von Finchley, seinem Mann vor Ort, eine neue Kolonie aufgebaut werden soll. Allerdings entdeckt Otis zu seiner Beunruhigung, dass es hier große Lebewesen gibt, die als „Affen“ bezeichnet und zum Vergnügen der Bauarbeiter am Staudamm gejagt werden. Das will er sich mal aus der Nähe ansehen.

Finchley und ein Pilot bringen ihn zu einem Ruinengelände, wo diese „Torang“-Affen besonders häufig auftreten. Man hat einige sogar eingefangen und einen ausgestopft. Während seiner Erkundung der Ruinen stößt Otis unerwartet direkt auf einen der Torang. Das Wesen geht aufrecht auf zwei Beinen, hat zwei Augen und so weiter, sagt aber nichts. Im Gegenteil: Es wirft einen Stein in Richtung auf Otis, der sich nur durch einen Sprung durch eine Türöffnung in Sicherheit bringen kann.

Dieser Wurf war ein Akt der Intelligenz, entscheidet er und lässt sich von seiner Behörde per Funk die Genehmigung schicken, die Torang unter besonderen Schutz zu stellen. Als er sich erneut dem Ruinengelände nähert, um einen der Torang zu sehen, trifft er wieder einen – es ist sogar der gleiche – und er spricht terranisch! Nicht nur diese Tatsache versetzt Otis in erhebliches Erstaunen, sondern auch das, was ihm das Wesen, das keineswegs auf Torang heimisch ist, über die Erbauer der Ruinen zu enthüllen weiß …

|Mein Eindruck|

Bei der Inbesitznahme einer Welt kann es mitunter zu fatalen und tragischen Irrtümern kommen, vor allem dann, wenn man einfach drauflos baut, ohne zu fragen, was hier los ist. Das muss auch der Kolonisator Otis zu seinem Leidwesen erfahren. Hätte er eben mal vorher recherchieren lassen!

_4) Michael Shaara: „Da Capo“_

Cohn und Jansen sind als Erkunder seit 300 Erdenjahren unterwegs, um neue bewohnbare Planeten zu suchen. Der Kälteschlaf hilft ihnen, die subjektiv erlebte Zeit zu verkürzen, sodass sie bereits mehrere Dutzend Sternsysteme haben abklappern können, ohne ihre eigene Lebenszeit zu überschreiten. Doch das Ergebnis ist niederschmetternd: Es gibt keine bewohnbaren Welten im Umkreis von etlichen Lichtjahren. Es ist, als läge die Erde in einer kosmischen Wüste.

Deshalb fallen ihnen vor Entzücken fast die Augen aus dem Kopf, als sie eine Welt mit einer erdähnlichen Atmosphäre, einem Ozean und grüner Vegetation entdecken. Nach einer ersten Erkundung wollen sie landen und die völlig unbewohnte Welt für die Erde beanspruchen. Ein wenig beunruhigt haben sie allerdings die zahlreichen Kraterseen, die sie ein wenig an Bombenkrater erinnern …

Cohn bereitet gerade den ersten Bericht an die Erde vor, als Jansen dringend nach ihm ruft. Sein Kamerad richtet seinen Hitzestrahler aufgeregt auf zwei Gestalten, die auf dem nächsten Hügel erschienen sind. Aber was könnte ein alter Mann an einem Stock schon gegen ihre Strahler ausrichten, fragt sich Cohn gerade, als in seinem Kopf eine Stimme ertönt: „Bitte nicht schießen. Danke!“ Erstaunt lässt er die Waffe sinken, denn ein beruhigendes Gefühl erfasst zudem seinen Geist.

Sobald sich die beiden Humanoiden gesetzt haben, um ihm zuzuhören, beginnt Roymer, der Alte, zu erzählen, während sein Kollege Trian die telepathische Botschaft überträgt. „Es gab einmal vor 30.000 Jahren einen Krieg der Galaktischen Föderation gegen eine kriegerischen Rasse, die sich als Antha bezeichnete und eine Föderationswelt nach der anderen eroberte und zerstörte. Wie sollte man diese aggressive Rasse davon abhalten, auch den Rest der Föderation der Welten zu unterjochen? Das Urteil lautete einstimmig auf Tod, und als die ultimative Waffe entwickelt worden war, wurden die Sterne der Antha einen nach der anderen zum Explodieren gebracht. Jedenfalls alle, die man finden konnte …“

Cohn ist von einem Detail besonders fasziniert und erinnert sich daran, wie Julius Caesar einst mit seinen gallischen Gegnern verfahren war: Er ließ ihnen die rechte Hand abschlagen. Diese Antha klingen auf fatale Weise genau wie Julius Caesar. Aber das würde bedeuten, dass … Wenige Augenblicke später sind die beiden Antha-Späher tot. Aber plötzlich macht sich Roymer große Sorgen: Was, wenn diese Gefriertechnik der Antha verschleiert hat, dass die Invasion bereits längst begonnen hat?

|Mein Eindruck|

Was für eine schaurige Geschichte! Sie erklärt auf schlagende Weise, die dem Leser kalte Schauder über den Rücken jagt, warum die Galaktiker in keinster Weise darauf erpicht sind, mit den Menschen Kontakt aufzunehmen, selbst wenn die Kommunikationsmöglichkeiten dies bestens erlauben würden. Der Grund ist der, dass die Menschen alias Antha nach 30 Jahrtausenden den Krieg vergessen haben, der ihre kosmische Umgebung in eine Wüste verwandelt hat.

Geschrieben sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, warnt die Erzählung des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Shaara eindringlich vor einer Wiederholung der Aggressionen und vor allem des erneuten atomaren Infernos, das Hiroshima und Nagasaki verschlungen hat.

_5) Poul Anderson: „Der Sternenplünderer“_

Das demokratische Sternenreich der Menschen ist dem Ansturm der barbarischen Eroberer von Baldic nicht gewachsen und stürzt in rauchenden Trümmern zusammen. Marineleutnant John Henry Reeves, ein Nuklearingenieur, und seine Verlobte, die Technikerin Kathryn O’Donnell, werden gefangengenommen und an Bord eines Gorzuni-Schiffs mit anderen menschlichen Sklaven zusammengepfercht. John befürchtet, dass sie alle in den Minen von Gorzun, eines der Hauptplaneten der Baldic-Allianz, schuften sollen, bis sie tot umfallen.

Als er einen menschlichen Weißen unter den Sklavenhaltern erblickt, verflucht er ihn „dreckigen Bastard“, doch dieser Bastard stellt sich wenig später als seine und Kathryns Rettung heraus. Denn der Ingenieur Manuel Argos schuftet nur zum Schein unter den Gorzuni, um bei bester Gelegenheit eine Revolte anzuführen und das Schiff in seine Gewalt zu bringen. John und seine Verlobte sind widerwillig dabei, denn so bekommen sie wenigstens eine Faden Kleidung auf den nackten Leib, besseres Essen und eine Aufgabe, die sie durchs ganze Schiff führt.

Argos erweist sich als kalt wie eine Hundeschnauze, während er ihren Aufstand vorbereitet. Doch als es endlich soweit ist, hat er jeden Handgriff geplant. Die ersten der Unterdrücker gehen tot zu Boden und liefern so die ersten Waffen. Die Schwerkraft fällt ebenso aus wie die Beleuchtung, was gewisse Vorteile verschafft. Nach harten Kämpfen sind noch 300 Überlebende übrig, um das Schiff zu steuern – nein, nicht zurück zur Erde, sondern zum nichtsahnenden Planeten Gorzun.

Doch Argos hält nicht nur für den Feind eine böse Überraschung bereit, sondern auch für John Henry Reeves …

|Mein Eindruck|

Drei Staatssysteme treffen hier aufeinander, sodass sich eine Betrachtung innerhalb der Theorie der Staatssysteme lohnen würde. Das Sternenreich der Menschen ist eine republikanische Demokratie, die aber laut Manuel Argos (= Andersons advocatus diaboli) unter einer „verknöcherten Bürokratie“ erstarrt ist. Sie bricht wie das überalterte West-Rom unter dem Ansturm von Barbaren zusammen, die als Könige feudalistisch und absolut regieren, sich aber durch eine Allianz genügend Schlagkraft erworben haben, um das Blatt zu wenden.

Nach Zerstörung der Hauptwelten des Feindes ist auch dieses Modell Geschichte und die Frage stellt sich, was danach kommt – erneut eine Republik? Doch nein, winkt Manuel Argos ab, dieses Versagermodell hatten wir ja schon, nicht wahr? Nein, es wird ein neues, starkes Imperium der Menschen geben, ein Kaiserreich von Argos‘ Gnaden, das von seiner Dynastie geführt werden wird. Ob es mit der Republik noch mal klappt, werde man dann sehen. Und dreimal darf man raten, von welcher Frau Argos seine künftigen Söhne erwartet …

Für einen Verlag mit dem sprechenden Namen „Love Romances Publishing“ 1951 geschrieben, bietet die rasante Story Action, Abenteuer, Leidenschaft und schließlich auch Liebesleid. Die blumige Sprache wird nur noch von den dramatischen Anspielungen auf die Bibel übertroffen, wobei Engel, Teufel und Götter eine Rolle spielen. Dadurch kann man die Geschichte nur noch als „putzig“ bezeichnen, aber als Kommentar auf die Idee des Sternenimperiums ist sie definitiv einer Erwähnung wert.

_6) Isaac Asimov: „Die Stiftung“ („Foundation“, 1951)_

20 Jahre lang hat der Mathematiker Hari Seldon die besten Köpfe des Galaktischen Imperiums zusammenkommen darüber beraten lassen, wie sich die Zukunft des Reiches nach dessen nahendem Zusammenbruch gestalten ließe, damit die kulturellen Errungenschaften und das Wissen nicht im Danach verlorengingen. Nun endlich ist es soweit: Der Tausend-Jahre-Plan ist fertig und liegt zur Ausführung bereit.

50 Jahre später kommt es an einer der beiden Gründungen der Stiftung der Psychokistoriker, auf Terminus, allmählich zu einer Krise. Die Sternensysteme der Peripherie haben die Atomkraft verloren und fallen auf eine niedrigere Kulturstufe zurück. Der imperiale Lord bezeichnet sie als „Barbaren“. Doch für den Bürgermeister von Terminus, Salvor Hardin, sind die Begehrlichkeiten der Nachbarwelt, des Königreichs Anacreons, alles andere als lustig: Anacreon will Terminus besetzen, um seine Bodenschätze auszubeuten, wie etwa Gold usw.

Und hier gibt es einen Haken: Terminus ist ein Planet ohne jedes nennenswerte Metallvorkommen. Dies spielte sicherlich eien Rolle in Hari Seldons Plan, denkt sich Hardin, und beim Besuch von Anacreins Sondergesandtem zeigt sich auch, welche: Als diese tatsache bekannt wird, verliert er sofort sämtliches Interesse an Terminus. Und als Hardin auch noch die Atomkraft erwähnt, wird der Gesandte recht zurückhaltend. Er hat Angst vor möglichen Atomwaffen. Der Bluff funktioniert. Diesmal.

Doch was hat es zu bedeuten, dass es auf ganz Terminus kein einziger Psychologe existiert? Auch diese auffällige Tatsache mus eine Rolle spielen. Und in der Tat: Als sich genau 50 Jahre nach Terminus‘ Gründung und einen Tag vor der dennoch erfolgenden Besetzung durch Anacreon eine Zeitkapsel in der Stiftung öffnet, spricht das Hologramm Hari Seldons den Grund dafür aus: Damit kein Psychologe den vorbestimmten Kurs der folgenden Ereignisse mehr beeinflussen kann.

Und so sind die autoritätshörigen Naturwissenschaftler der Galaktischen Enzyklopädie Stiftung gezwungen, ihr Schicksal in die Hände des einzigen fähigen Politikers auf ganz Terminus zu legen …

|Mein Eindruck|

Es war unvermeidlich, dass die populärste Geschichte in der gesamten Sciencefiction, die es über Sternenreiche gibt, auch in dieser Auswahl auftauchen würde. Asimovs „Foundation“ (zu Deutsch „Stiftung“) ist der Grundstein für etwa ein Dutzend Romane über das Galaktische Imperium, die Alte Erde und die Roboter – integriert zu einem Future-History-Zyklus, der es locker mit dem von Robert A. Heinlein skizzierten Zukunftsbild aufnehmen kann. Was nicht heißen soll, dass die literarische Qualität durchweg stimmt. Die drei ursprünglichen „Foundation“-Romane sind immer noch die besten: dicht erzählt, ideenreich und voller Wendungen, die man nicht schon meilenweit vorausahnen könnte.

In der vorliegenden Ur-Story, der Keimzelle dieses Universums, äußert Asimov, selbst ein versierter und graduierter Doktor der Naturwissenschaft, nicht gerade schmeichelhafte Aussagen über seines Standesgenossen – zumindest jene, die von jeder Forschung abgeschnitten sind und sich wie Skarabäen mit dem Wälzen des Misthaufens an angesammeltem Wissen begnügen.

Genau diese Rückwärtsgewandtheit wirft ihnen der Tatmensch Salvor Hardin vor. Als Politiker muss er sich um Gegenwart und vor allem die nahe Zukunft sorgen, nicht um die tote Vergangenheit. Er fordert Forschung und neues Denken, womit er bei den Enzyklopädisten auf blankes Unverständnis stößt. Erst als Hari Seldon die Enzyklopädie selbst, also ihre Daseinsberechtigung, als Betrug entlarvt, lassen sie mit sich reden. Womit klar sein dürfte, dass auch die Reiche des Wissens den Erfordernissen der Realität unterworfen sind. Aber das wusste Hari Seldon schon von Anfang an.

_7) Mark Clifton & Alex Apostolides: „Wir sind zivilisiert!“_

Im Juni 2018 überfliegt das Raumschiff der Westlichen Allianz, um den Mars für sich in Besitz zu nehmen. Captain Griswold ist sich der historischen Bedeutung des Moments vollständig bewusst und entschlossen, nichts falsch zu machen. Deshalb fragt er den Experten für Ethnologie, was diese vielen Kanäle überall zu bedeuten hätten. Intelligente Lebensformen, antwortet der Fachmann. Aber nirgends eine Spur von diesen Wesen, keine Fabriken, keine Straßen, nichts. Also befiehlt er die Landung, genau auf der Hauptkreuzung der Kanäle.

Kaum hat sich die Hitze der Düsen ein wenig abgeschwächt, kommen die Marsianer aus ihren Erdhöhlen. Sie wollen den angerichteten Schaden, der ihr Wasser nutzlos im Sand versickern lässt, schnellstmöglich reparieren. Als Captain Griswold sie nach der Proklamation der Inbesitznahme erblickt, lässt er angeekelt und ein klein wenig verängstigt das Feuer auf sie eröffnen.

Einige Zeit später findet die Ehrung der Eroberer des Mars in einem Stadion in den USA statt. Der Präsident will gerade Admiral Griswold eine Medaille an die Uniformbrust heften, als ein riesiger Schatten das Spielfeld verdunkelt: ein herabschwebendes Raumschiff. Eine Proklamation der Inbesitznahme wird verlesen …

|Mein Eindruck|

Der Mensch muss sich offenbar immer etwas nehmen, um es besitzen zu können – und dabei werden unweigerlich etwas zerstört. Dumm gelaufen, wenn es andere Spezies mit der Erde dann genauso machen. Da hilft dann auch kein Protestgeschrei des Ethnologen mehr: „Wir sind doch zivilisiert!“ Die Tatsachen sprechen gegen die Menschheit.

Die Story erhielt vor dem Hintergrund der nach dem 2. Weltkrieg weltweit beginnenden Expansionen des amerikanischen und des kommunistischen (Sowjetunion, China, Nordkorea) Imperiums einen beklemmenden Warncharakter.

_Die Übersetzung _

Die Übersetzung von Heinz Nagel lässt sich zu 98% durchaus akzeptieren. Doch er spricht hier noch von „Negern“, einem politisch längst inkorrekten Begriff. Und wenn auf Seite 19 vom „Bürgerkrieg“ die Rede, unterstellt er, dass jeder weiß, dass der amerikanische gemeint sei. Ansonsten treten die allfälligen Druckefehlerchen auf. Wenn auf Seite 120 vom „neuen Adquädukt“ die Rede ist, so ist nur einer der deutlichsten Fehler.

_Unterm Strich_

Als Brite muss es der englische Herausgeber der Anthologie „Galactic Empires“, von der dieser Band nur das erste Viertel darstellt, ja wissen: Die Bewohner der kleinen Insel Albion beanspruchten zu einer Zeit mindestens ein Drittel der Erdbevölkerung als Kolonien. Einige ihrer wichtigsten Historiker zerbrachen sich deshalb nicht ohne Grund den Kopf über die Entstehung, den Aufstieg und den offenbar unvermeidlichen Nieder- und Untergang von Imperien. Edward Gibbon schrieb mit „Aufstieg und Fall des Römischen Reiches“ die Vorlage für Asimovs „Foundation“-Zyklus. Und dem gleichen Muster spürt nun diese Anthologie in ihren Beiträgen nach.

Erstaunlicherweise kommt die Diskussion über das Ende des Amerikanischen Imperiums (und das lateinische Wort „Imperium“ bedeutet auch „Befehl“) in letzter Zeit immer wieder auf, sobald die Rede von Herausforderern wie Al-Kaida oder China ist. Auch die Zeit nach 1989-91, als Deutschland vereinigt wurde und die alte Sowjetunion zerfiel, war eine Zeit für diese Diskussion.

Deshalb erscheinen diese Erzählungen als keineswegs reiner Selbstzweck oder pure Unterhaltung. Vielmehr machen ihre Autoren, allen voran der „gute Doktor“ Asimov Aussagen über das Phänomen des Herrschaftsbereichs und vor allem über das Auftreten der Herrscher. Ob diese Aussagen in den 1950er Jahren, als die USA ihr neues Imperium auf Terra schufen, ebenso gültig waren, wie sie es vielleicht noch heute sind, bedarf einer Untersuchung.

Aber zum Nachdenken regen die Prinzipien und Merkmale, die Imperien aufweisen, immer noch an. Denn die politischen Reiche sind ja längst von wirtschaftlichen Herrschaftsbereichen abgelöst worden: Wer würde es beispielsweise heute noch wagen, Coca-Cola herauszufordern ohne die Gewissheit, in allernächster Zeit aufgekauft zu werden?

|Taschenbuch: 174 Seiten
Originaltitel: Galactic Empires 1/1, 1976
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7350
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7348
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7351
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7349
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7353
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7352
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7354

Wolfgang Jeschke, Robert Silverberg (Hrsg.) – Titan-15

_Gebt dem Poeten eine Marsprinzessin!_

In der vorliegenden ersten Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 15 von „Titan“, der deutschen Ausgabe von „Science Fiction Hall of Fame“, sind viele amerikanische Kurzgeschichten gesammelt, von bekannten und weniger bekannten Autoren.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Robert Silverberg

Robert Silverberg, geboren 1936 in New York City, ist einer der Großmeister unter den SF-Autoren, eine lebende Legende. Er ist seit 50 Jahren als Schriftsteller und Antholgist tätig. Seine erste Erfolgsphase hatte er in den 1950er Jahren, als er 1956 und 1957 nicht weniger als 78 Magazinveröffentlichungen verbuchen konnte. Bis 1988 brachte er es auf mindestens 200 Kurzgeschichten und Novellen, die auch unter den Pseudonymen Calvin M. Knox und Ivar Jorgenson erschienen.

An Romanen konnte er zunächst nur anspruchslose Themen verkaufen, und Silverberg zog sich Anfang der 60er Jahre von der SF zurück, um populärwissenschaftliche Sachbücher zu schreiben: über 63 Titel. Wie ein Blick auf seine „Quasi-offizielle Webseite“ www.majipoor.com enthüllt, schrieb Silverberg in dieser Zeit jede Menge erotische Schundromane.

1967 kehrte er mit eigenen Ideen zur SF zurück. „Thorns“, „Hawksbill Station“, „The Masks of Time“ und „The Man in the Maze“ sowie „Tower of Glass“ zeichnen sich durch psychologisch glaubwürdige Figuren und einen aktuellen Plot aus, der oftmals Symbolcharakter hat. „Zeit der Wandlungen“ (1971) und „Es stirbt in mir“ (1972) sind sehr ambitionierte Romane, die engagierte Kritik üben.

1980 wandte sich Silverberg in seiner dritten Schaffensphase dem planetaren Abenteuer zu: „Lord Valentine’s Castle“ (Krieg der Träume) war der Auftakt zu einer weitgespannten Saga, in der der Autor noch Anfang des 21. Jahrhunderts Romane schrieb, z. B. „Lord Prestimion“.

Am liebsten sind mir jedoch seine epischen Romane, die er über Gilgamesch (Gilgamesh the King & Gilgamesh in the Outback) und die Zigeuner („Star of Gypsies“) schrieb, auch „Tom O’Bedlam“ war witzig. „Über den Wassern“ war nicht ganz der Hit. „Die Jahre der Aliens“ wird von Silverbergs Kollegen als einer seiner besten SF-Romane angesehen. Manche seiner Romane wie etwa „Kingdoms of the Wall“ sind noch gar nicht auf Deutsch erschienen.

Als Anthologist hat sich Silverberg mit „Legends“ (1998) und „Legends 2“ einen Namen gemacht, der in der Fantasy einen guten Klang hat. Hochkarätige Fantasyautoren und -autorinnen schrieben exklusiv für ihn eine Story oder Novelle, und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Der deutsche Titel von „Legends“ lautet „Der 7. Schrein“.

_Die Erzählungen_

_1) Judith Merril: „Nur eine Mutter“ („That Only a Mother“, 1948)_

Das Jahr 1953 ist ein Kriegsjahr, und Maggies Mann Hank tut als Soldat in irgendeinem Bunker Dienst. Daher bringt sie ihr Baby ohne ihn zur Welt. Kurz nur hat sie sich Sorgen wegen der Radioaktivität der Gegend gemacht, die sie und Hank vor ein paar Monaten durchfuhren, aber es wird schon schiefgehen. Und Henrietta, ihre Tochter, ist wirklich perfekt.

Dass Henrietta mit zehn Monaten schon vollständige Sätze wie eine Vierjährige bilden kann, findet Maggie entzückend, denn so ist sie nicht mehr so allein. Und die Kleine singt wie ein Engel. Endlich, nach 18 Monaten Abwesenheit, kommt auch Hank nach Hause, fast schon ein Fremder. Die sprechende Tochter versetzt auch ihn in gute Laune, doch schaut er sich ihren Körper etwas genauer an …

|Mein Eindruck|

Die kurze Erzählung lässt den Leser geschockt zurück. Nicht nur, weil das Baby weder Arme noch Beine hat, sondern auch weil seine Mutter dies für völlig normal hält – oder in einer Art wahnsinniger Verdrängung ausgeblendet hat. Sowohl die Mutation als auch der Wahnsinn sind eine Folge des Atomkriegs – und diese Story ist eine der eindringlichsten und meistabgedruckten zu diesem Thema, insbesondere deshalb, weil sie als eine wenigen die weibliche Perspektive berücksichtigt.

_2) Cordwainer Smith: „Checker sind passé“ („Scanners Live in Vain“, 1948)_

In ferner Zukunft beherrschen die Lords der sogenannten „Instrumentalität“ die Erde. Die Menschen leben zumeist in geschützten Städten, mit Ausnahme der „Heillosen“, die in der Wildnis den Bestien ausgesetzt sind. Die hochentwickelte Technologie der Lords hat Raumschiffe erschaffen, die die verschiedenen Erden miteinander verbinden. Doch um die Raumschiffe gefahrlos betreiben zu können, mussten zwei neue Gattungen der Spezies Mensch geschaffen werden: die nichtintelligenten Habermänner und die intelligenten Checker.

Ein Phänomen, das „Die große Pein des Weltraums“ genannt wird, lässt Normalsterbliche während des Raumflugs sterben: Ihr Körper verkraftet die Pein nicht, die entweder radioaktive Strahlung oder Kälte oder beides sein könnte. Mit Hilfe des Habermann-Apparats werden Menschen, die sich dazu bereiterklärt haben, ihrer Organe und Haut entkleidet und diese durch künstliche Apparate und Stoffe ersetzt. Das Ergebnis dieser Umwandlung sind zunächst die Habermänner; sie steuern die Schiffe durch die große Pein, denn ihre Nerven sind tot: Sie hören, sehen, tasten usw. nur durch Apparate.

Die Checker (oder, laut der Suhrkamp-Übersetzung, Seher) sind eine Weiterentwicklung der Habermänner, denn sie verfügen erstens über die Fähigkeit, einander und Menschen von den Lippen ablesen zu können und sich in ihrer geheimen Bruderschaft mit Zeichen zu verständigen. Es gibt nicht mehr als sechs Dutzend von ihren. Außerdem steht ihnen die Methode des Cranchierens zur Verfügung, um ihre Beschränkungen zu überwinden und menschliche Gefühle zu empfinden: Sie können selbst sprechen. Leider hält dieser Sonderzustand nie länger als ein paar Stunden oder Tage an.

Martel ist Sehr Nr. 34 und als einziger der Checker verheiratet; es ist ihm gelungen, Luci in einem gecranchten Zustand der andauernden Überlastung zu freien und zur Frau zu gewinnen. Luci liebt ihn wirklich, obwohl sie oftmals monatelang auf seine Rückkehr von einem Raumflug ins Auf-und-Hinaus warten muss. Seine engsten Freunde sind Taschang und Parizianski.

Martel hat gerade gecrancht, als ihn ein Notruf der höchsten Dringlichkeit vom Obersten Seher Vomact erreicht: Er soll in gecranchtem Zustand an einem Geheimtreffen der Checker teilnehmen. Rund 40 erstaunte Checker erfahren von Vomact, dass es einem gewissen Adam Stone, einem Menschen, gelungen sei, die „Große Pein“ auf einem Raumflug zu überwinden. Das bedeute, dass fortan Habermänner und Checker passé seien. Sofort wird der Tod dieses Mannes gefordert. Vomact lässt darüber abstimmen.

Martel ist darüber nicht nur empört, sondern auch besorgt. Was die Checker vorhaben, sei Mord, ruft er – doch keiner hört ihn. Doch was noch schlimmer sei: Die Eigenmächtigkeit der Checker greift in das rechtliche Territorium der Lords der Instrumentalität ein, und das werden diese nicht hinnehmen. Die Folge des Mordes könnte die Auflösung des Ordens der Checker sein – und sogar ihre komplette Eliminierung, als wären sie nichts weiter als dumme Habermänner!

Nur Tschang stimmt nicht für den Tod, während Martel durch Vomact für disqualifiziert erklärt wird – er sei ja gecrancht und somit unzurechnungsfähig und dienstunfähig. Parizianski wird zum Henker bestimmt und losgeschickt. Sobald man Martel wieder losgelassen hat und er mit Tschang hat sprechen können (der jede Hilfe verweigert), eilt Martel in die befestigte Stadt, um Adam Stones Leben zu retten. Wird er noch rechtzeitig am zentralen Raumhafen eintreffen, um das Verbrechen zu verhindern, das über das Schicksal von Welten entscheidet?

|Mein Eindruck|

Das Universum der Instrumentalität, das Cordwainer Smith erschuf, hat nicht Seinesgleichen, und deshalb erfordert es erst einmal ein wenig Mühe, sich hineinzufinden. Wir sind heute allerdings daran gewöhnt, in Begriffen wie Robotern, Androiden oder Replikanten zu denken, weil Philip K. Dick und Isaac Asimov diese Bereiche erschlossen haben. Deshalb ist eine Umstellung nötig, um uns „Habermänner“ als Roboter und „Checker“ als Androiden vorzustellen. Selbst wenn dies sehr ungenaue Übereinstimmungen sind, können sie doch als Einstieg in die Vorstellungswelt dienen.

Eine ganze Weile war mir allerdings der Unterschied zwischen Habermännern und Checkern nicht klar, bis nach etlichen Seiten eben diese Unterschiede aufgelistet wurde – natürlich nicht fein säuberlich als Checkliste, sondern mitten im Erzähltext. Und ich hoffe, ich habe alles richtig verstanden. Auch der Begriff der „Großen Pein“ ist schwammig und nur durch Vermutung zu erschließen. Merkwürdig, dass eine so fortschrittliche Technik wie die des überlichtschnellen Raumflugs (sonst würden die Flüge Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern!) nicht in der Lage ist, solchen Phänomenen auf den Grund zu gehen.

Mitten in der Versammlung der Checker hatte ich den Eindruck, dass es eigentlich keine Handlung im üblichen Sinne gibt. Doch das stellte sich zum Glück als Irrtum heraus, denn der unabdingbare Konflikt, der eine Handlung antreibt, entsteht im Verlauf dieser Versammlung, bis sich am Schluss Martel zum Verrat entschließt. Das Finale ist geprägt von Erkenntnis und Konfrontation, wie es sich gehört. Dadurch gerät die ungewöhnliche SF-Story – der Autor bot sie den führenden Magazinen seiner Zeit vergeblich an – doch noch in ein zufriedenstellendes Fahrwasser.

Hinweis: „Checker sind passé“ ist Teil 2 des Story-Zyklus „Sternenträumer“, der bei Suhrkamp als Taschenbuch komplett vorliegt. Bei Suhrkamp heißt die Geschichte „Seher leben vergeblich“ und ist sehr stilvoll und fehlerfrei übersetzt. Davon kann in der Heyne-Fassung keine Rede sein. Deshalb empfehle ich dringend die Suhrkamp-Version.

_3) Fritz Leiber: „Maskenball“ („Coming Attraction“, 1950)_

Ein Engländer ist auf Mission in einem postnuklearen New York, das seit der Atombombenexplosion nur noch „Inferno“ genannt wird. Trotzdem leben noch Menschen dort. (Damals hielt man Radioaktivität für nicht so zerstörerisch.) Unser Mann hat die Geistesgegenwart, eine junge Frau vor den Autorowdys der Stadt retten zu können. Sie bittet ihn zu einem Stelldichein. Dort stellt sich heraus, dass sie einen Pass will, um das Land zu verlassen. Ihr Freund jedoch, ein Ringer, weiß dies zu vereiteln. Enttäuscht verlässt der Brite die Stätte dieser Offenbarung und denkt an die Rückkehr in die Heimat. Obwohl es dort auch nicht viel besser zugeht.

|Mein Eindruck|

In einer kurzen Erzählung gelingt es dem Autor, eine ganze Welt erstehen zu lassen. Das nukleare Wettrüsten hat nicht nur zu Raketenbasen der Amis und Sowjets auf dem Mond geführt, sondern auch zu vereinzelten Atomexplosionen auf der Erde, so etwa in New York. Banden treiben ihr Unwesen, und junge Frauen ringen zum Vergnügen der Zuschauer mit schwachen Männern. Amerikanische Frauen (nicht britische) tragen neuerdings Masken, nicht etwa wie im Islam, sondern um sich vor männlicher Zudringlichkeit zu schützen. Was sie aber nicht daran hindert, ihre anderen Reize zur Schau zu stellen. Rowdys machen sich einen Sport daran, mit Angelhaken bewehrte Autos s dicht an Frauen heranzusteuern, bis die Haken den Rock des Opfers herabreißen – eine seltsame Trophäenjagd.

Literarisch nimmt die Story die Stadt-Abenteuer von Harlan Ellison, Jack Womack und des Cyberpunk vorweg. Was noch zu diesem Low-life fehlt, ist die High-Tech.

_4) Tom Godwin: „Die unerbittlichen Gesetze“ („The cold Equations“, 1954)_

Dies ist eine der bekanntesten und umstrittensten Storys in der klassischen SF überhaupt. Eine blinde Passagierin muss über Bord gestoßen werden, weil das winzige Raumschiff, dessen Frachtgewicht und Brennstoffvorrat exakt bemessen sind, sonst nicht an seinem Ziel ankommen würde. Durch ihr Zusatzgewicht würde das Schiff mehr Treibstoff als bemessen verbrauchen. Nicht nur würde dadurch das Schiff mangels Bremskraft auf den Planeten stürzen, sondern auch die Forschungsgruppe, die auf die Fracht angewiesen ist, wäre zum Untergang verdammt: Das rettende Serum würde sie nicht erreichen.

Der Pilot hat die Entscheidung zu fällen, wenn er opfert: Das Schiff, das Serum und die Forscher – oder Marilyn Lee Cross. Ist es das Leben des Mädchens wert, dass so viele Menschen sterben müssen? Die Antwort der phsysikalischen Gesetze lautet nein. Aber er kann etwas für sie und den Bruder, den sie auf dem Planeten besuchen wollte, tun: Sie können per Funk voneinander Abschied nehmen. Es ist ein sehr bewegender Funkkontakt. Danach ist sie gefasst, sieht ihrem Schicksal ins Auge und geht freiwillig in die Luftschleuse …

|Mein Eindruck|

Weil dieser Ausgang der Story viele Leser und Autoren auf die Palme brachte, schrieb ein Autor – mir ist sein Name entfallen – eine alternative Story, in der die Sache gut ausgeht. Warum zum Beispiel hat das NES-Rettungsboot nicht genug Treibstoff an Bord, um zu seinem Kreuzer, dass es ausgesetzt hat, zurückkehren zu können? Warum kann das NES-Boot nicht die Atmosphäre des Planeten nutzen, um abzubremsen? Oder warum macht der Pilot nicht wenigstens ein Foto von Marilyn Lee Cross und entnimmt ihr Erbgut, damit man sie wieder klonen kann? Daran dachte wohl im Jahr 1954 noch niemand.

_5) Roger Zelazny: „Dem Prediger die Rose“ („A Rose for Ecclesiastes“, 1963)_

Eine Expedition ist auf dem Mars gelandet, auf dem eine uralte menschliche Zivilisation entdeckt worden ist. Sie verfügt über eigene Sprache und eigene Dichtung. Das ist der Grund, warum der bekannte Dichter und Semantiker Gallinger, der Ich-Erzähler, hierher gekommen ist. Er will die Hochsprache erlernen und die heilige Dichtung dieses Volkes studieren, in der Hoffnung, ihr Geheimnis zu lüften: Warum gibt es nur noch so wenige Marsianer?

In der alten Festung Tirellian steht ein uralter Tempel, doch bislang durften Menschen nur dessen Vorhalle betreten. Die älteste Mutter der Marsianer gewährt ihm Zutritt zur nächsten Halle, und ihm gehen die Augen über: Kunstschätze, Mosaiken, Schriften! In seinem Eifer erlernt er die Hochsprache binnen drei Wochen und beginnt, die heiligen Schriften zu lesen. So erfährt er von den Göttern der Marsianer, von Malann, Tamur und von Locar. Vor allem von Locar, dem der Tanz so heilig ist, dass es 2224 Variationen davon gibt.

Die Älteste lässt Gallinger bei einer Vorführung zusehen. Eine junge Frau, wie ihm scheint, Braxa, setzt mit ihrem Körper die Bewegungen des Marswindes um, doch sie ist kein Derwisch, erinnert ihn höchstens an indische Tempeltänzerinnen. Aber ihr Tanz ist kein Ritual, sondern purer Ausdruck. Gallinger ist verzaubert. Und hat sich in Braxa unversehens verliebt, sodass er ein Gedicht über sie schreibt.

Eines Nachts kommt sie zu ihm, damit er ihr sein Gedicht vorliest. Daraus wird mehr, denn er zitiert das Lied Salomos, und die beiden schlafen miteinander. Viele Nächte lang – bis Braxa plötzlich nicht mehr zurückkehrt. Gallinger macht sich auf die Suche nach der Verschwundenen, denn er ist besorgt. Braxa hat ihm offenbart, woran die Marsianer leiden: Die Männer sind durch „eine Pest, die nicht tötet“, und die der Regen (!) Locars brachte, unfruchtbar geworden. Doch wie steht es mit den Frauen? Ist Braxa von ihm schwanger, dann muss er sein Kind am Leben erhalten.

Seine Suche passt in das Muster einer uralten Prophezeiung der Marsianer, doch um sie zu erfüllen, darf er sie nicht kennen. Als er Braxa endlich gefunden hat, beschließt er, das Schicksal der Marsianer zu ändern, denn sonst ist sein Kind verloren – und seine Liebe …

|Mein Eindruck|

Der frühe Zelazny aus der Mitte der sechziger Jahre beeindruckt immer wieder durch assoziativen Stil mit zahlreichen Anspielungen. Aber das ist nicht bloßes Bildungsgeprotze und Wortgeklingel, sondern eine zweite Bedeutungsebene unter der vordergründigen Handlungsebene. Warum sonst sollte Gallinger, immerhin ein belesener Dichter, sich als Hamlet fühlen und den Expeditionsleiter Emory als „Claudius“, also als verbrecherischen Stiefvater titulieren?

Auch Anspielungen auf Darstellungen von Hölle und Paradies bei Dante, Vergil und Milton tauchen nicht von ungefähr auf, sondern weil es um die Interpretation der marsianischen Situation geht: Ist der Mars eine Hölle, und wenn ja, wodurch? Und welche Rolle können die Erdlinge dabei spielen? Sind sie Retter oder das Verhängnis für den Roten Planeten?

Aber die Geschichte ist auch eine tragische Lovestory, die süß beginnt und bitter zu werden droht. Damit es nicht zum Äußersten kommt und Gallinger nicht seine Marsprinzessin verliert, muss er etwas ganz Außerordentliches leisten: Er muss die Marsgötter verhöhnen und dem Wüstenplaneten etwas Unerhörtes schenken: eine rote Rose – denn auf dem Mars hat es nie Blumen gegeben.

Ein Faktor fehlt noch: der Prediger. Gallinger war in jungen Jahren auf dem Priesterseminar, denn er sollte die Fußstapfen seines priesterlichen Vaters treten. Stattdessen wurde er zwar Poet, doch er kennt die Bibel immer noch in- und auswendig, so auch das Buch des Predigers Salomo („Ecclesiastes“ in Englisch). Der erklärte alles Sein und Tun des Menschen für eitel Blendwerk und völlig vergebens. Gallinger nun predigt dem Marsvolk das Gegenteil, denn wie sonst kämen die Erdlinge zum Mars und könnten ihm Blumen schenken, Symbole von Leben und Schönheit? Braxa darf nicht sterben – und die Marsianer auch nicht! Wie wird die Entscheidung der ältesten Mütter ausfallen?

|Schwächen|

Natürlich ist dieser Rote Planet nicht der Mars, den wir durchs Fernrohr sehen können. Sonst könnten die Menschen hier gar nicht atmen, es wäre viel zu kalt und die Weltraumstrahlung würde sie krankmachen. Es ist vielmehr der Mars, den wir aus der Literatur kennen, aus den Marsabenteuern von TARZAN-Erfinder Edgar Rice Burroughs und den Storys von Stanley G. Weinbaum oder Robert A. Heinlein. Sogar die obligatorische Marsprinzessin ist vorhanden: Braxa, die Tänzerin des Locar. Seltsam ist allerdings ist, dass der Autor überhaupt nicht auf die große Mars-Schlucht Valles Marineris eingeht und den Riesenvulkan Mons Olympus nicht erwähnt, sondern nur einen kleinen Vetter des 25-Kilometer-Berges.

Das alles tut der Aussage der Geschichte aber offenbar keinen Abbruch, sondern hätten die SF-Freunde sie nicht zur sechstbesten SF-Story aller Jahre vor 1965 gewählt. Und das will angesichts der Klassiker von Asimov, Heinlein, Sturgeon und van Vogt was heißen. Denn ganz nebenbei liefert die Story eine Erklärung für die entvölkerte und wüstenartige Oberfläche des Mars: eine kosmische Katastrophe, die „Pest, die nicht tötet“ …

_Die Übersetzung_

Es ist ja bekannt, dass Taschenbuchübersetzungen auch schon im Jahr 1980 schlecht bezahlt worden sein müssen, aber deswegen kann der Käufer dennoch eine einwandfreie Übersetzung erwarten. Auf Seite 121 wurde aus „Menschen“ die Kurzform „Menchen“, und eine Seite weiter erwartet uns das Wörtchen „Hamben“. Da es nicht erklärt wird und es kein deutschen Wort „Hambe“ gibt, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Fehlschreibung handelt. Ersetzt man das H durch ein J, ergibt sich der literarische Fachbegriff „Jamben“, die Merhzahl von „Jambus“, einem Versmaß. Dies passt viel besser zu einem Dichter wie Gallinger.

Bei einem Vergleich der Heyne-Übersetzung von „Checker sind passé“ mit der Suhrkamp-Übersetzung „Seher leben vergeblich“ ergibt sich, dass Suhrkamps Rudolf Hermstein sowohl stilistisch als auch im Wortlaut das Original „Scanners live in vain“ sehr viel genauer und kunstvoller übertragen hat. Hier wird auch das Pathos des Geheimordens der Seher deutlich, dem die Individualerfahrung Martel gegenübergestellt wird. Der Konflikt wird deshalb auch sprachlich sinnfällig gemacht und leuchtet dem Leser ein.

Ich habe zudem festgestellt, dass das Lesen der winzig gedruckten Heyne-Sätze dazu verleitet, über die Sätze zu huschen. Das ist dem Verstehen des Textes sehr abträglich, denn hier zählt wirklich jedes Wort. Dem Freund der SF-Literatur sei also die Suhrkamp-Fassung wärmstens empfohlen, die sich in dem Erzählband „Sternenträumer“ findet.

_Unterm Strich_

Wieder bietet der Band eine Auswahl von Top-Stories. Judith Merrils Story von 1948 ist eine Reaktion auf die Atombombe von Hiroshima, „Checker sind passé“ ausd dem gleichen Jahr ist eine Vision der Ablösung des Menschen durch Roboter und Androiden. Fritz Leiber stellt sich ein radikal verändertes New York City vor, während Tom Godwin wie Cordwainer Smith an der Menschlichkeit der Raumfahrt-Utopien zweifelt.

Diesem Skeptizismus stellt Roger Zelazny ganz klar eine poetisch-hoffnungsvolle Vision in „Dem Prediger die Rose“ entgegen, die für raumfahrende Menschen erstens eine Marsprinzessin bereithält und zweitens das Heil für eine fremde Welt entgegen. Ersetzt man „Mars“ durch „Ausland“, so ergibt sich ein Bild von der Utopie des amerikanischen Friedenskorps, das allen Ländern der Dritten Welt im Auftrag JFKs die helfende, heilende Hand reichen wollte. Der Vietnamkrieg, der just im Jahr 1965 mit den ersten US-Gefechten begann (siehe „Wir waren Helden“ mit Mel Gibson), machte dieser Utopie den Garaus.

Insgesamt sind diese Erzählungen also Texte, die jeder Freund der SF-Literatur als den klassischen Kanon kennen sollte. Speziell die Novelle „Dem Prediger die Rose“ habe ich in keiner anderen Anthologie wiedergefunden – sie liegt nur hier auf Deutsch vor.

Fazit: vier von fünf Sternen wg. Punktabzug für die Übersetzung.

Taschenbuch: 159 Seiten
Originaltitel: Science Fiction Hall of Fame, Bd. 1, 1970; Heyne, 1980, München, Nr. 06/3787
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
www.heyne.de

Jeschke, Wolfgang; Bova, Ben (Hrsg.) – Titan-13

_Tödliche Labyrinthe und fliegende Städte_

Die Großen der Sciencefiction wird mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Science Fiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 13 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von James Blish und Algis Budrys gesammelt.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Ben Bova, Jahrgang 1932, ist schon über 70 und ein verdammt erfahrener Bursche. 1956 bis 1971 arbeitete er als technischer Redakteur für die NASA und ein Forschungslabor, bevor er die Nachfolge des bekanntesten Science Fiction-herausgebers aller Zeiten antreten durfte, die von John W. Campbell. Campbell war die Grundlage für das „Goldene Zeitalter der Science Fiction“, indem er mit seinem Magazin „Analog Science Fiction“ jungen Autoren wie Asimov, Heinlein, van Vogt und anderen ein Forum gab. Hier entstand der „Foundation“-Zyklus und andere Future History-Zyklen.

Für seine Herausgeberschaft von Analog wurde Bova sechsmal (von 1973-79) mit einem der beiden wichtigsten Preise der Sciencefiction ausgezeichnet, dem Hugo Gernsback Award. Von 1978-82 gab er das Technik & Fiction-Magazin „Omni“ heraus. 1990-92 sprach er für alle Science Fiction-Autoren Amerikas in seiner Eigenschaft als Präsident des Berufsvereinigung. Seit 1959 hat er eigene Bücher veröffentlicht, die sich oftmals an ein jugendliches Publikum richten, darunter die Kinsman- und Exiles-Zyklen.

Ebenso wie Robert Heinlein und Larry Niven ist Bova ein Verfechter der Idee, dass die Menschheit den Raum erobern muss, um überleben zu können. Und dies wird nur dann geschehen, wenn sich die Regierung zurückzieht und die Wirtschaft den Job übernimmt. Der Brite Stephen Baxter hat in seiner Multiversum-Trilogie diese Idee aufgegriffen und weiterentwickelt.

1992 begann Bova mit der Veröffentlichung seines bislang ehrgeizigsten Projekts: die Eroberung des Sonnensystems in möglichst detaillierter und doch abenteuerlicher Erzählform.

_Die Erzählungen_

_1) James Blish: „Überall ist die Erde“ („Earthman, Come Home“, 1953)_

|Vorgeschichte|

Diese Erzählung fand später Eingang in den gleichnamigen dritten Roman des vierbändigen Zyklus „Cities in Flight” (Kapitel 8 und 9) des 1975 verstorbenen Autors. Die vier Romane von „Cities in Flight“ stellen eine Zukunftsgeschichte der Menschheit im All dar, eine imposante Space Opera. Der Autor entwirft Aufstieg und Niedergang des irdischen Sternenreiches, wobei sein Schwerpunkt auf der Geschichte der Nomadenstädte der Okies liegt. Diese fliegenden Okie-Städte durchstreifen auf der Suche nach Handelspartnern oder kolonisierbaren Planeten das Weltall.

Die Erfindung des Spindizzy-Antriebs hat die Überwindung der Schwerkraft und den überlichtschnellen Raumflug mit sich gebracht. Da Masse und Form für den raumflug bedeutungslos geworden sind, brechen ganze Städte samt Granitsockel und umgebendem Spindizzy-Kraftfeld, das vor Strahlung schützt und die Atmosphäre hält, in den Weltraum auf.

Die Tetralogie beginnt im Jahr 2018 mit dem Bau einer Brücke auf dem Jupiter. Das Geheimnis der Schwerkraft soll enträtselt werden. Dabei wird der Weg zum späteren Spindizzy-Antrieb geebnet (They Shall Have Stars, 1956). In „A Life for the Stars“ (1962) werden die Erlebnisse des Jugendlichen Crispin de Ford geschildert, der mit der amerikanischen Stadt Scranton ins All fliegt und später auf New York City umsteigt.

Die Okie-Stadt New York City ist Schauplatz des dritten Teils und Kernstücks der Tetralogie, „Earthman, Come Home“ (1955). Die Stadt und ihr junger Bürgermeister John Amalfi müssen sich mit anderen Nomadenstädten herumschlagen und schließlich den Zusammenbruch der Okie-Kultur und Erdzivilisation miterleben. New York City verlässt die Galaxis, um in der Großen Magellanschen Wolke die Neue Erde zu gründen. Dies ist Gegenstand der vorliegenden Erzählung.

In „The Triumph of Time“ (1958) droht das Ende des Universums. New York City fliegt zum Mittelpunkt des Universums, und Amalfi macht aus dem Weltende einen neuen Anfang, indem er sich selbst explodieren lässt und die Schöpfung erneut auslöst. Ende und Anfang und wieder Ende – dies entspricht Oswald Spenglers zyklischer Geschichtsauffassung.

|Die Erzählung|

New York City landet auf einer Welt, die von der Handelsorganisation der Interstellar Master Traders in Besitz genommen wurde. Die fliegende Stadt der IMT hat aus der ursprünglichen oder mitgebrachten menschlichen Bevölkerung eine Million Sklaven gemacht. Als Bürgermeister John Amalfi einen dieser Sklaven, Karst befreit, merkt, dass in dem jungen Mann ein intelligenter und unternehmungslustiger Bursche steckt. Er lässt ihn durch Hypnopädie (Unterricht im Schlafzustand) unterrichten, sodass er ihm bei der unausweichlichen Konfrontation mit den bisherigen Besitzern dieser Welt helfen kann.

Der Abgesandte der IMT nennt sich Büttel Heldon. Augenscheinlich will Heldon eine Revolution abwehren, die New York City anzetteln würde. Doch Amalfi vermutet, dass Heldon einen Trick vorhat, und nimmt Karst mit, als ihm Heldon die alten, angeblich reparaturbedürftigen Spindizzy-Generatoren der IMT-Stadt zeigt. Doch statt ihn die Generatoren reparieren zu lassen, nimmt Heldon Amalfi gefangen, weil die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen sei. Das lässt Amalfi völlig kalt: Er hat für diese Eventualität vorgesorgt und zieht ein schwarzes Ei voller mutierter Pockenviren aus seiner Werkzeugtasche. Prompt weicht Heldon bestürzt zurück: Feudalisten mögen keine Seuchen.

Amalfi und Karst trennen sich. Während Karst einen der Generatoren sabotiert, eilt Amalfi ins unbewachte Kommandozentrum der alten IMT-Stadt und sabotiert die Steuerung. Bis Heldon auftaucht, ist es bereits zu spät: Die Stadt beginnt zu schwanken und zu beben. Amalfi macht, dass er schnellstens zurück nach New York kommt …

|Mein Eindruck|

Die erste Hälfte dieser Erzählung habe ich fast nicht verstanden, weil die Vorgeschichte als bekannt vorausgesetzt wird. Außerdem musste ich ständig zwischen IMT-Stadt und New York City unterscheiden, und erst ziemlich spät wird in einer Fußnote erklärt, wofür IMT überhaupt steht. Das wurde in der Übersetzung wenig hilfreich umgesetzt. Rückblenden sollen die Vorgeschichte dem Leser nahebringen. Das unterbricht den Erzählfluss, und ich fragte, wo denn Karst abgeblieben sein könnte.

Dafür ist die zweite und wichtigere Hälfte dieser Story umso leichter verständlich: keine Rückblenden, keine Abschweifungen, einfach zielgerichtet, pfiffig und spannend, wie sich das für eine Abenteuergeschichte gehört. Das hat dann wieder Spaß gemacht.

Mehrmals nimmt Amalfi Bezug auf Laputa, jene fliegende Stadt, die Jonathan Swift in seinem Roman „Gullivers Reisen“ erfand. Die fliegende Insel ist eine zwiespältige Sache: Hier haben wir ein (im eigentlichen Sinne) aufgeklärtes Staatswesen, das sich den mathematischen und astronomischen Wissenschaften verschrieben hat. Sie machen sich Gedanken über Schicksal und Ende von Sonne und Erde. Wie niederschmetternd ist es für uns zu erfahren, dass der König von Laputa nichts Besseres zu tun hat, als anderen Inseln mit seiner eigenen das Sonnenlicht wegzunehmen, um sie zu Abgaben zu zwingen. Die Technik ist eben stets ein zweischneidiges Schwert, und so etwas wie „freie Wissenschaft“ existiert nicht.

Der Vergleich mit Laputa ist, wie man sieht, ein sehr passender: Die Welt der IMT hat sich wie eine Riesenfaust auf dieser Welt niedergelassen, ähnlich wie die berüchtigte Welt Thor V. Und von Freiheit kann auch keine Rede sein, soviel ist mal klar. Da kommen die freiheitsliebenden Amerikaner aus New York City ja wie gerufen, um die armen Sklaven in die Freiheit zu führen! Das klingt jetzt ein wenig chauvinistisch, aber ich bin sicher, der Autor dachte sich damals, als die Amis die Welt vor dem Kommunismus bewahren wollten, nichts dabei.

_2) Algis Budrys: „Die Bewährung“ („Rogue Moon“, 1960)_

Edward Hawks ist der Projektleiter bei Continental Electronics und traurig betrachtet das menschliche Wrack vor sich, das von der letzten Mission zurückgekehrt ist. Rogan ist ein sabbernder Idiot geworden. Rogan ist beileibe nicht das erste Opfer, aber wenigstens ist er noch am Leben.

Auf der erdabgewandten Seite des Mondes haben die Amerikaner eine seltsame Formation vorgefunden, die den bekannten Naturgesetzen widerspricht: ein tödliches Labyrinth, das offenbar ein Artefakt außerirdischer Intelligenzen ist. Marine und Luftaffe tarnen das Ding, um es vor den Russen zu verstecken, die den Erdtrabanten ebenfalls erkunden. Es ist nur hundert Meter lang und zwanzig breit, doch jeder, der hineingeht, wird getötet. Warum und mit welchen Mitteln, ist bislang unklar. Doch es hilft keineswegs, Paare oder Quartette hineinzuschicken, um es zu erkunden – sie kommen alle darin um. Alle Leichen haben Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht.

Das bringt Hawks auf einen Gedanken: Er braucht jemanden, der keine Angst vor dem Tod hat. Quasi einen Selbstmörder, der sich jederzeit ins eigene Messer stürzen würde. Gibt es so jemanden, fragt er den Chef der Personalabteilung. Connington ist ein durchtriebener Halunke, und tatsächlich hat er diese Anfrage kommen sehen. Ja, er hätte den richtigen Mann, und zwar gar nicht weit von hier: Alvin Barker, seines Zeichens ein Mimbreno-Apache, der aber die Harvard University besucht und als Sodat gedient habe.

Das Treffen von Hawks, Connington, Barker und dessen Freundin Claire ist ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen willensstarker Menschen, die alle Macher sind. Connington, der sich besäuft, gibt offen zu, dass Hawks und Barker ein explosives Gemisch abgeben werden. Claire schaut zu Barker auf und nennt sich eine Kriegerfrau, die dem letzten echten Mann gehöre. Wie atavistisch, denkt Hawks, sagt aber nichts. Als Barker ihm mit gewagten Fahrkunststücken imponieren will, geht er lieber zu Fuß zur nächsten Tankstelle. Dort lernt er eine nette Mode-Designerin kennen. Die ist mehr seine Kragenweite. Hawks mag ja ein Mörder sein, wenn er Männer in den Tod schicken, aber ist kein Psychopath. Bei Barker sind wir uns aber dessen nicht sicher.

Im Institut weist er Barker ein. Kein Mann werde mehr physisch in die Todesfalle geschickt. Nein, das funktioniert jetzt anders. So wie ein Funkgerät Schallsignale überträgt und eine Fernsehanlage Licht- und Tonsignale, so wird durch einen Scanner und Sender ein ganzer Mensch auf den Mond übertragen, als aufgezeichnete Folge von Signalen. Das Original wird dabei zerstört, aber die zwei Kopien können ihre Aufgabe erfüllen. Kommt eine Kopie in der Formation um, wird die zweite Kopie kopiert und davon wieder eine Kopie losgeschickt. Und so weiter ad infinitum.

Ein interessanter Effekt dabei ist die Tatsache, dass die zweite Kopie, die sich auf der Erde befindet, die Gedanken der Ersten, die in die Formation geht, empfangen kann. Diese unerklärliche Telepathie ermöglicht es den Projektmitarbeitern, das Erleben der irdischen Kopie aufzuzeichnen und auszuwerten. Sollte dieser Empfänger wegen des Todes seiner Mondkopie wahnsinnig werden, müsste man eben auf weitere Kopie zurückgreifen. Hauptsache, das Projekt kann fortgeführt werden. Allerdings kann es beim Kopieren zu Fehlern kommen, aber das muss Hawks Barker ja nicht auf die Nase binden.

Obwohl Barker all dies verstanden hat, macht er trotzdem mit. Er trägt eine Beinprothese, denn er hat sein Bein bei einem Unfall in einem gewagten Sport verloren. Nun bekommt er eine verbesserte Version, wird gescannt und durch den Transmitter gejagt. Seine letzten Vorgänger haben nicht einmal vier Minuten in der Formation überleben können, doch Barker will diesen Rekord überbieten.

Es gelingt Barker und seinen Kopien tatsächlich, über neun Minuten im Todeslabyrinth voranzukommen. Als Barker sagt, der Durchbruch sei zum Greifen nahe, will Hawks ihn begleiten. Auch dies klappt, doch erlebt Barkers Kopie eine böse Überraschung: Es darf keine zwei Barkers im Universum geben …

|Mein Eindruck|

Mich hat nicht der technische Vorgang beeindruckt, sondern die ihn umgebende Psychologie. Diese berührt ganz fundamentale Bereiche der menschlichen Existenz. Die vielen Toten im Labyrinth der Aliens stehen natürlich für den Tod selbst, dem wir uns alle gegenübersehen und für den sich jeder seine eigene Antwort zurechtlegt. Für den Indianer Barker ist das Labyrinth quasi ein Initiationsritus, bei dem ein Junge zum Mann werden muss – oder beim Versuch zugrundegehen. Aber Barker muss erst begreifen, dass er sich bei seiner Mannbarwerdung auch in einen anderen Menschen verwandeln muss.

Um Barker und Hawks verstehen zu können, ist die scheinbar unwichtige Handlung in ihrer nächsten Umgebung von Bedeutung. Claire, Barkers Freundin, will beispielsweise auch Hawks verführen und in ihre Liste von flachgelegten Männern eintragen. Hawks durchschaut sie auf unvergleichliche Weise und macht ihr deutlich, was ihr eigentliches Problem ist: Sie hat im Grunde Angst vor Männern. Um die Angst zu kaschieren, muss sie sie stets im Bett besiegen. Dieses Problem hat auch Barker: Er muss sich stets als Sieger fühlen, ebenso wie Connington. Deshalb ist es für Barker so furchtbar, dass ihn das Labyrinth als ein Nichts behandelt, das es gar nicht wahrnimmt, sondern lediglich eliminiert. Das Labyrinth zu passieren, mag zwar befriedigend sein, aber es ist damit kein Triumph verbunden. Und das passt Barker überhaupt nicht, weil er sich dann nichtswürdig vorkommt.

Die Passage durch Labyrinth symbolisiert auch das Streben nach Erkenntnis. Wie ihre Berichte ergeben, erleben Barker und Hawks nicht das Gleiche – für jeden ist das Erlebnis etwas anderes. Folglich sind auch Wissen und Erkenntnis etwas anderes, als sie überleben.

Die letzte große Frage betrifft, wie angedeutet, die Identität der Überlebenden. Beim letzten, erfolgreichen Durchgang erleben „Original“ und Kopie die Passage zwar unbeschadet, doch nicht unverändert. Die Pointe des Romans liegt darin, dass sich das Hawks-„Original“ nicht mehr an die Mode-Designerin erinnert, der er seine Liebe erklärt hat, die sie erwiderte. Und dass die Barker-Kopie auf dem Mond zwar eine wichtige Erkenntnis gewonnen hat, sie aber nicht mehr dem „Original“ auf der Erde wird mitteilen können. „Original“ und Kopie dürfen nicht im gleichen Universum existieren, ganz abgesehen davon, dass es auch technisch (noch) nicht machbar ist, die Mond-Kopien zurückzuschicken.

Das ist zweimal eine bittere Ironie, die man nur bei den besten Erzählungen findet. Hier gibt es keine Klischees und kein erzwungenes Happy-End. Deshalb hat es auch nie eine Verfilmung des Romans gegeben, anders etwa beim „Der Mann aus Metall“ (Who?, 1958). Aber „Rogue Moon“ verfehlte den Hugo Gernsback Award denkbar knapp, und das ist ein unwiderlegbares Zeichen für seine Qualität.

_Die Übersetzung_

Die Übersetzung ist schon reichlich angestaubt, obwohl als deren Copyright 1980 angegeben wird. Aber das kann zumindest bei Budrys nicht hinhauen, denn der Roman wurde ja schon 1965 ins Deutsche übersetzt und zwar von Wulf H. Bergner.

Neben diversen Flüchtigkeitsfehlern fielen mir drei Stellen auf. Auf Seite 50 heißt es einmal „Suchen“ statt „Seuchen“. Auf Seite 64 steht das offenbar österreichische Wort „Nachtarock“, das ich mir als „nacharbeiten“ erklären würde (von „Tarockieren“: Tarock spielen). Auf Seite 104 wird ein Funkgerät beschrieben, aber als „Radio“ bezeichnet. Dieser Fehler findet sich häufig in Eins-zu-eins-Übersetzungen aus dem Amerikanischen. Und ganz allgemein kann man unter „Drogen“ genauso gut Medikamente verstehen.

_Unterm Strich_

Von den beiden Erzählungen hat mich der Kurzroman „Die Bewährung“ weitaus mehr überzeugt. Der Autor behandelt fundamentale Themen der menschlichen Existenz: unser Verhältnis zum Tod, Liebe und Erotik, Streben nach Wissen und Erkenntnis sowie Identität. Die etwas technisch gehaltenen Szenen werden von realistischen Szenen zwischen den fünf zentralen Figuren im Gleichgewicht gehalten und kommentiert.

Es ist eine psychologische Entwicklung erkenn- und ablesbar, wie sie für eine SF-Story nicht gerade selbstverständlich ist. Mehrmals habe ich zudem ganz genau hinsehen müssen, um einen scheinbar einfachen Satz mehrmals auf jedes Wort hin abzuklopfen: Hier zählt, was gesagt wird – und das, was zwischen den Zeilen steht, ebenfalls. Dieser Stil würde ebenso gut für einen Mainstream-Roman genügen, für „Die Reifeprüfung“ beispielsweise (ein Film, der ja auch eine „Bewährung“ schildert).

Die Erzählung von James Blish ist zunächst reichlich verworren, weil die Vorgeschichte mitgeliefert werden muss, was in entsprechenden Rückblenden erfolgt. Erst in der zweiten Hälfte gelangt die Story in ihr eigentliches Fahrwasser und wird richtig spannend, pfiffig und actionreich.

|Taschenbuch: 189 Seiten
Originaltitel: Science Fiction Hall of Fame Band 2B, 1973
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7350
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7348
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7349
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538

Jeschke, Wolfgang; Bova, Ben (Hrsg.) – Titan-16

_Zeitsonden, Mutanten und Meuchelmörder: klassische SF-Erzählungen_

Die Großen der Sciencefiction wird mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Science Fiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 16 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von Jack Vance, Wilmar H. Shiras und T.L. Sherred gesammelt.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Brian W. Aldiss (* 1925) ist nach James Graham Ballard und vor Michael Moorcock der wichtigste und experimentierfreudigste britische SF-Schriftsteller. Während Ballard nicht so thematisch und stilistisch vielseitig ist, hat er auch nicht Aldiss’ ironischen Humor.

Aldiss wurde bei uns am bekanntesten mit seiner Helliconia-Trilogie, die einen Standard in Sachen Weltenbau in der modernen SF setzte. Das elegische Standardthema von Aldiss ist die Fruchtbarkeit des Lebens und die Sterilität des Todes. Für „Hothouse“ bekam Aldiss den HUGO Award. Er hat auch Theaterstücke, Erotik, Lyrik und vieles mehr geschrieben.

_Die Erzählungen_

_1) T. L. Sherred: „Das Zeitkino“ („E for Effort“, 1947)_

Ed Lefko hat am Busbahnhof eine Stunde totzuschlagen und geht in ein kleines Kino, wo der Eintritt nur 10 Cent kostet. Der von einem Mexikaner gezeigte Streifen zeigt die Eroberung von Mexico City im Jahr 1521: Es ist eine turbulente Schlacht, die in nur einem Schwenk gezeigt wird. Merkwürdig: Es gibt keine Hauptdarsteller, kaum Schnitte, keine Nahaufnahmen, enorm viele Komparsen und verteufelt echt aussehende Stunts. Wie wurde all dies finanziert?

Nach dem Ende der Vorstellung fragt Lefko den Vorführer aus, der zugleich der Besitzer dieses Etablissements ist: Als Miguel José Zapata Laviada stellt er sich vor und bietet Lefko ein Bier an. Es ist noch Zeit, also setzen sich die beiden zusammen. Unvermittelt öffnet Mike, wie Lefko ihn nennt, eine Art Musiktruhe und zeigt erneut einen Film – nur dass der Betrachter mittendrin sitzt! Zu sehen ist Lefko, wie er am Abend zuvor die Motor Bar aufmischt. Ed ist völlig geschockt, doch nach einer Weile kann ihn Mike beruhigen und alles erklären.

Mike war bei der Army Radartechniker und versteht etwas von Elektronik. So machte er sich einen Nebeneffekt des Radars zunutze und baute diese „Musiktruhe“, die seltsam viele Skalen aufweist. Damit kann er in Zeit und Raum weit und tief sehen – und Aufnahmen machen. Leider habe er keine Geld, um die nötige Ausrüstung zu kaufen, um bessere Qualität zu produzieren, die mehr Geld einbrächte. Da hat Ed eine Idee, wie sie sich zusammentun könnten.

Nachdem sie sich durch Erpressung ein wenig Grundkapital beschafft haben, erstellen sie den ersten Film: „Alexander“. Vertonung, Publicity, Verleih – das alles regeln sie mit dem Prodzenten Johnson und seinen Leuten. Johnson weiß: Das wird ein Hammer! Und so kommt es auch – überall positive Kritiken. Nach ein, zwei Fotobüchern ist der zweite Film dran: „Rom“, der den Untergang und Fall des Römischen Reiches zeigt. Mit vielen Fehlern, wie die Experten meinen.

Film Nr. 3 eckt da schon mehr an: „Flammen über Frankreich“ schildert die Französische Revolution auf nicht gerade schmeichelhafte Weise. Das ist aber noch gar nicht gegen die Reaktion auf die Verfilmung des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und des Bürgerkrieges. Nun brennen Bücher, Kinos, Unruhen entstehen, und der Ku-Klux-Klan schlägt zu. Die Filmkopien verschwinden schleunigst aus vielen Kinos, konfisziert, geraubt, verbrannt – der reinste Sprengstoff.

Es kommt zu einer Krise mit dem Studio, und deshalb müssen Mike und Ed, wollen sie weitermachen, die Karten auf den Tisch legen und das Geheimnis ihrer Wundermaschine offenbaren. Johnson und Co. sind völlig geplättet und kurz vorm Ausrasten. Für die Wahrheit über die nächsten Kriege der USA ist die Welt noch nicht bereit, protestiert Johnson, doch Mike ist eisern entschlossen, alles zu tun, um den dritten Weltkrieg zu verhindern, denn dieser wird ein Atomkrieg sein. Nur die Wahrheit könne ihn verhindern.

Mit einem genialen Kniff gelingt es den beiden kühnen Filmemachern, die längst manipulierte und korrigierte Vergangenheit wiederauferstehen zu lassen – und dennoch vor Gericht bestehen zu können. Dennoch wissen sie, dass ihr Leben nach dem Aufführen dieses Films keinen Pfifferling mehr wert sein wird …

|Mein Eindruck|

Als diese Erzählung 1947 in „Astounding“ erschien, brach die Resonanz alle Rekorde, denn es war bekanntlich die Zeit des McCarthy-Ausschusses gegen unamerikanische Umtriebe, der halb Hollywood auf die schwarze Liste gebracht hatte. Und in dieser Story decken zwei Underdogs aus sozialen Randgruppen – ein Jude und ein Mexikaner – auf, wie sich in den USA sogenannte Patrioten unehrenhaft an den beiden Weltkriegen bereicherten!

Die Leser mussten im Jahr 1947 den Eindruck erhalten, es beim Autor mit einem defätistischen Vaterlandsverräter oder mit einem selbstmordgefährdeten Wahrheitssucher zu tun zu haben. Allerdings haben darf man die Erzähler der Story nicht mit dem Autor verwechseln. Doch beide betätigen sich, in unterschiedlichem Grad, aber Kritiker nationaler Mythen und Illusionen über die Selbstlosigkeit von Waffenproduzenten und dergleichen. Unterm Strich verdienten am Krieg alle prächtig. Und erst am Wiederaufbau der dabei zerstörten Feindeslande!

Interessant ist die Methode, mit der die zwei Hauptfiguren diese Bilderstürmerei bewerkstelligen. Sie nutzen das Medium Film, um eine bereits seit einem halben Jahrhundert aufgebaute Infrastruktur zu nutzen, die inzwischen – vor den Fünfzigern – mehr Menschen erreicht, als Zeitungen und Radionachrichten. Erst das Fernsehen wurde danach zum richtigen Massenmedium.

Das Verfahren der Zeitsonde wird nicht näher erklärt, was in der amerikanischen SF nicht weiter verwundert, wo die wenigsten technischen Verfahren genau beschrieben werden. Aber die Zeitsonde ist, wie so oft in der SF, eine Metapher für die detailgetreue Wiedergabe der Vergangenheit – im Gegensatz zu den Verzerrungen, Fehlern und Irrtümern, die nachfolgende Chronisten begingen.

Selbst unser heutiges Geschichtsbild ist demzufolge eine Fiktion, die sich jederzeit ändern kann – und muss. So gesehen ist das Erzählen dieser Geschichte selbst ein Kommentar über das Erzählen von Geschichten. Doch diesmal geht die Story schlecht aus – auch wenn ihre Vorhersagen eintreffen, erleben die beiden Hauptfiguren dies nicht mehr.

Sherred gelang kein weiterer derartiger Erfolg, auch nicht mit seinem 1970 veröffentlichten Roman „Alien Island“ (1984 bei UllsteinSF).

_2) Wilmar H. Shiras: „Verborgen“ („In Hiding“, 1948)_

Der Schulpsychologe Peter Weller bekommt von einer Lehrerin den 13-jährigen Jungen Timothy Paul geschickt. Er sei im Unterricht so häufig geistesabwesend. Dass Tim etwas vor ihm verbirgt und Angst hat, wird Weller schon nach wenigen Fragen klar. Und schon die Andeutung einer Injektion jagt Tim eine Heidenangst ein. Wie kann Weller sein Vertrauen gewinnen?

Ein Besuch bei Tims Zuhause kann bestimmt nicht schaden. Doch Tim ist Vollwaise und wächst bei seinen Großeltern Davis auf. Die Oma kümmert sich vor allem um ihn. Oma Davis ist keineswegs die leutselige Omi, die als erstes Tee serviert, sondern vielmehr eine strenge Regentin, die Timmy zu einem „gesunden normalen Jungen“ erzogen zu haben meint. Und als er behauptete, mit drei Jahren bereits lesen zu können, habe sie ihn wegen Lügens bestraft.

Dass Tim seine Oma getäuscht, seine Mitschüler und seine Lehrer hinters Licht geführt hat, wird Weller erst ganz allmählich klar. Denn nur sehr zögerlich fasst Tim Vertrauen zu ihm, vor allem, nachdem ihm Weller geschworen hat, das Arztgeheimnis zu beachten und niemandem etwas zu verraten.

Tim führt ein genetisches Experiment an gekreuzten Siam- und Perserkatzen durch. Nur die Reinrassigen verkauft er und will eine reinrassige weiße Angorakatze züchten. Die ist für Oma. Außerdem führt er eine weitreichende Korrespondenz mit Schachpartnern, Universitätsfernkursen und sogar Zeitschriften und Magazinen: Er ist ein Schriftsteller mit eigenem Bankkonto. Wenn irgendjemand dieser Leute erführe, dass er nur 13 ist, würden sie ihn alle beschimpfen und die Freundschaft kündigen, ahnt er.

Doch was steckt hinter Tims Frühreife? Als der erstaunte Weller wieder Oma Davis fragt, erzählt diese ihm vom Unfall in einem Atomlabor, dessen schleichenden Folgen Tims Eltern zum Opfer fielen. Davon darf er nie erfahren. Weller kommt eine Idee: Wenn es noch weitere solche Opfer – Mutanten – gäbe, dann müsste Tim sich nicht mehr verstecken …

|Mein Eindruck|

Eine Geschichte braucht gar keine Aliens, wie man sieht, wenn doch schon die Mutanten so vorsichtig sind, dass sie sich bestens verstecken können. Die Erzählung der 1908 in Boston geborenen Autorin Wilmar Shiras wurde über Nacht mit dieser Mutantenstory über Nacht bekannt. Sie integrierte die Story in ihren Roman „Children of the Atom“ (Kinder des Atoms), der 1983 erstmals auf Deutsch bei Ullstein veröffentlicht wurde.

Alle ihre Texte zeichnen sich durch fachkundiges psychologisches Wissen und intuitive Feinfühligkeit aus, so auch in diesem. Dies und die einfache Sprache sowie die konsequent durchgehaltenen Offenbarungen macht die Story nicht nur spannend, sondern auch anrührend und lehrreich.

_3) Jack Vance: 2Die Mondmotte“ („The Moon Moth“, 1961)_

Auf dem Planeten Sirene dient Musik als zweite Form der Kommunikation. Die Etikette verlangt, dass jedermann die korrekte Maske trägt – die des irdischen Agenten Edwer Thissell ist die der einheimischen Mondmotte. Er hat von der Interweltbehörde den Auftrag, den Meuchelmörder Haxo Angmark zu schnappen und notfalls zu töten.

Er müht sich ab, die Bräuche und Sitten dieser Welt zu erlernen, doch am Tag, als Angmark landet, muss er feststellen, dass seine Anpassung höchst unzureichend ist. Nun taucht der Mörder in der Maske eines der drei anderen Außenweltler unter, aber in wessen? Unter den einheimischen Individualisten schert sich niemand um Thissells Anliegen. Seine Suche erregt unter den Einheimischen vielmehr größten Anstoß, und er kann von Glück sagen, dass er mit dem Leben davonkommt.

Da verfällt er auf den Plan, die Sklaven der anderen Außenweltler Rolver, Wesibul und Kershaul zu verhören, welche Masken ihre Herren zu tragen pflegen. Auf diese Weise wird ihm klar, dass nur einer in Frage kommt, dessen Identität Angmark angenommen hat. Doch das weiß auch Angmark und stellt Thissell eine Falle. Doch dann begeht er einen verhängnisvollen Fehler …

|Mein Eindruck|

„Die Mondmotte“ (1961), eine der ausgefeiltesten Kurzgeschichten Vances, ist eine spannende Detektivgeschichte mit überraschendem Ausgang. Sie wurde häufig in Anthologien aufgenommen, auch in der SF. Bei Heyne findet man sie in der Anthologie „Grüne Magie“ sowie in „Titan-16“.

Das Grundproblem ist einfach: Die Identität wird durch die Maske verschleiert. Die Lösung des Problems besteht darin, die Maske zu ignorieren und sich auf die übrige Persönlichkeit zu konzentrieren. Das zweite Thema ist der Individualismus. Er verhindert, dass irgendjemand der Einheimischen dem Ermittler hilft. Das dritte Thema ist der Begriff des Prestige, welcher die einzige Währung auf Sirene darstellt, und diese Währung kann stark schwanken. Doch die ist die Einzige, die jemandem erlaubt, anderen Masken zu tragen.

Viertens bestimmen die zahlreichen winzigen Musikinstrumente, die jeder Sireneser mit sich herumschleppt, um damit Akkorde und Kadenzen hervorzubringen, die eine emotional-soziale Haltung ausdrücken, so etwa gelinde Herablassung oder intensive Beschwichtigung und dergleichen. Für jedes der Instrumente hat sich der Autor einen Namen, eine Konstruktion und einen Ausdruck einfallen lassen, die er alle häufig in Fußnoten beschreibt.

Mit diesen vier Grundthemen wird die Novelle zu einer bereichernden Leseerfahrung, egal ob man nun SF mag oder nicht.

_Die Übersetzung_

Ich konnte keine Druckfehler fehlen. Das belegt den hohen Qualitätsanspruch, den der Herausgeber Wolfgang Jeschke mit dieser Reihe einzulösen versuchte.

_Unterm Strich_

Von diesen drei klassischen Novellen kannte ich bislang „Die Mondmotte“ von Jack Vance. Es ist eine klassische Agentenstory vor einem unglaublich detailliert ausgedachten Kulturhintergrund, wie er für Vances Planetenabenteuer typisch ist (auch für seine von mir komplett rezensierte Dämonenprinz-Serie).

In meinen Augen ist „Die Mondmotte“ nicht nur der spannende, sondern auch humorvoll-ironische Höhepunkt dieses Bandes. Denn „unser Mann auf Sirene“ ist alles andere als ein Held, sondern vielmehr ein Überlebenskünstler. Der Handelsfahrer Vance kannte sich mit fremden Häfen und ihren fremdartigen Sitten bestens aus. Und seine Schiffe wurden im Verlauf des Zweiten Weltkrieg zweimal versenkt.

„Verborgen“ ist im Gegensatz dazu eine psychologische Entdeckungsreise. In einer Vorwegnahme des „Inner space“ der New-Wave-Science-Fiction der sechziger Jahre führt uns die Autorin Shiras in Denken und Fühlen eines jungen Mutanten ein. Mutantengeschichten waren nach dem Fall der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki groß in Mode, und Shiras machte keine Ausnahme. Aber der Darwin’sche Mechanismus der Mutation kann sowohl Fluch als auch Segen sein – es kommt drauf, was man draus macht, und Timothy Paul hat Erfolg. Aber nur im Verborgenen, was einiges über die ihn umgebende Gesellschaft aussagt.

Auch „Das Zeitkino“ über Gesellschaftskritik, allerdings in einem globalen und historischen Maßstab. Kein Wunder, dass der Autor einer ganzen Menge Leute auf die Zehen trat, als er in Frage zu stellen wagte, ob der angeblich gönnerhafte Patriotismus der Waffenproduzenten wirklich so altruistisch so war, wie es die Propaganda erzählte – und das gleiche galt für die Helden von Krieg und Revolution, nicht nur in den US, sondern auch in Frankreich.

Selbst für Kenner der Sciencefiction bietet dieser Band noch Gelegenheit zu Entdeckungen wichtiger Erzählungen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und das Genre beeinflussten. „Die Mondmotte“ ist im Gegensatz dazu ein Evergreen, die in keiner Auswahl klassischer SF der Jahre von 1958 bis 1962 fehlen darf.

|Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Science Fiction Hall of Fame Band 2B, 1973
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7348
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7349
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538

Jeschke, Wolfgang; Bova, Ben (Hrsg.) – Titan-14

_Classic SF: Das Ende des Konsumterrors und andere heitere Anlässe_

Die Großen der Sciencefiction wird mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Sciencefiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 14 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von Frederik Pohl, James H. Schmitz und Theodore Cogswell gesammelt.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Sciencefiction für Kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die Einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Ben Bova, Jahrgang 1932, ist schon über 70 und ein verdammt erfahrener Bursche. 1956 bis 1971 arbeitete er als technischer Redakteur für die NASA und ein Forschungslabor, bevor er die Nachfolge des bekanntesten Sciencefiction-Herausgebers aller Zeiten antreten durfte, die von John W. Campbell. Campbell war die Grundlage für das „Goldene Zeitalter der Scienc Ffiction“, indem er mit seinem Magazin „Analog Science Fiction“ jungen Autoren wie Asimov, Heinlein, van Vogt und anderen ein Forum gab. Hier entstand der „Foundation“-Zyklus und andere Future History-Zyklen.

Für seine Herausgeberschaft von Analog wurde Bova sechsmal (von 1973-79) mit einem der beiden wichtigsten Preise der Sciencefiction ausgezeichnet, dem Hugo Gernsback Award. Von 1978-82 gab er das Technik & Fiction-Magazin „Omni“ heraus. 1990-92 sprach er für alle Sciencefiction-Autoren Amerikas in seiner Eigenschaft als Präsident des Berufsvereinigung. Seit 1959 hat er eigene Bücher veröffentlicht, die sich oftmals an ein jugendliches Publikum richten, darunter die Kinsman- und Exiles-Zyklen.

Ebenso wie Robert Heinlein und Larry Niven ist Bova ein Verfechter der Idee, dass die Menschheit den Raum erobern muss, um überleben zu können. Und dies wird nur dann geschehen, wenn sich die Regierung zurückzieht und die Wirtschaft den Job übernimmt. Der Brite Stephen Baxter hat in seiner Multiversum-Trilogie diese Idee aufgegriffen und weiterentwickelt.

1992 begann Bova mit der Veröffentlichung seines bislang ehrgeizigsten Projekts: die Eroberung des Sonnensystems in möglichst detaillierter und doch abenteuerlicher Erzählform.

_Die Erzählungen_

_1) James H. Schmitz: „Die Hexen von Karres“ („The Witches of Karres“, 1949)_

Der Handelskapitän Pausert kommt von dem etwa provinziellen und sittenstrengen Planeten Nikkeldepain, aber wenn er mit seiner Handelsladung auf der imperialen Welt Porlumma Erfolg hat, darf er sich Hoffnungen machen, die Hand seiner Verlobten Illyla, der Tochter seines Geldgebers Rat Onswud, zu bekommen. Er sei denn, Rat Rapport, sein Rivale, käme ihm zuvor.

Da die Geschäfte auf Porlumma bestens gelaufen sind, begibt sich Pausert gutgelaunt vom Kneipenviertel zum Raumhaufen. Leider gerät er dabei in einige dunklen Seitengassen, wo sich sein Schicksal wandelt. Er gerät in den Streit zwischen Bäcker Bruth und seiner Sklavin Maleen. Weil sie wesentlich kleiner und schwächer aussieht, ergreift Pausert sofort für sie Partei und rettet sie vor dem Unhold. Das Gericht sieht die Sache jedoch etwas anders und will ihn zu Knast verdonnern. Es sei denn, er kaufe Maleen frei. Auch wenn ihn das einiges von seinem Gewinn kostet, lässt sich pausert das nicht zweimal sagen.

Maleen dankt ihm und besteht darauf, ihre beiden Schicksalsgenossinnen Goth und die Leewit freizukaufen. Erstaunlicherweise sind deren Besitzer froh, sie loszuwerden – gegen einen kleinen Obolus, versteht sich. Bevor Pausert nach Hause fliegen kann, will er die drei kinderartigen Mädchen zu ihrer Heimatwelt Karres zurückbringen. Denn Sklaven zu kaufen, ist auf Nikkeldepain streng verboten.

Auf dem Flug bemerkt er, dass sie über bemerkenswerte Fähigkeiten verfügen. Maleen hat die Gabe der Vorahnung und sieht (wieder mal Ärger) für Pausert voraus. Die Leewit kann durch Pfeifen jede Art von Kristall oder Getöpfertem zerspringen lassen. Goth schließlich teleportiert alles, was sie haben will. Zum Beispiel die Juwelen ihres Vorbesitzers ….

Zusammen bewerkstelligen die drei magiebegabten Mädchen, die von manchen als „Hexen“ bezeichnet werden, eine neue Art von Raumantrieb. Sie nennen das aus Draht und Magie gebaute Ding „Sheewash“. Es versetzt Pauserts alten Piratenjäger „Venture 7333“ auf einen Schlag um Lichtjahre weiter, verlangt der Hexe aber auch alle Körperenergie ab. Folglich futtern die drei Girls nach solch einem Stunt immer wie die Scheunendrescher.

Karres, von die Girls entführt wurden, ist eine grüne Welt voller Wälder und erstaunlich weniger Leute, findet Pausert. Aber Maleens Mutter empfängt ihn sehr freundlich und verköstigt ihn drei Wochen lang, die wie im Flug vergehen. Erst dann fällt ihm wieder ein, dass ja zu Hause eine Verlobte auf ihn wartet. Zum Abschied bekommt er jede Menge Kostbarkeiten geschenkt. Leider sind sie auf Nikkeldepain alle unverkäuflich, wie Pausert weiß.

Nikkeldepain ist so streng wie eh und je und schickt statt des Zollboots gleich die Cops. Mit an Bord des Polizeikreuzers sind aber auch Illyla, ihr Vater und der Rivale Rapport. Sechs Anklagen wegen diverser hat Pausert zu gewärtigen, doch das ist nicht das Schlimmste: Illyla hat gleich nach seiner Abreise den Rivalen geheiratet! Pausert zückt seine Pistole und jagt alle von Bord. Soll sie der Teufel holen!

Um den anderen Polizeikreuzern zu entgehen, ist allerdings der Sheewash-Antrieb nötig. Gut also, dass sich die kleine Hexe Goth an Bord teleportiert hat. Und sie hat eine große Bitte: Ihre Welt Karres ist verschwunden und muss dringend wiedergefunden werden. Außerdem werde sie in nur vier Jahren erwachsen und suche noch einen Mann …

|Mein Eindruck|

Der einzige Grund, warum Ben Bova diese Erzählung in die Ruhmeshalle der (amerikanischen) Sciencefiction aufgenommen haben kann, ist die Verbindung aus dem SF-Hintergrund der bemannten Raumfahrt und dem Fantasy-Hintergrund von magiebegabten Frauen, sogenannten Hexen. Die magischen Girls sind auch wirklich nett, neigen allerdings zu allerlei Schabernack. Und sobald sich der etwas provinzielle und verknöcherte Kapitän Pausert seiner Vorurteile gegenüber fremden Rassen entledigt hat, kommen die Mädels auch als Heiratskandidatinnen in Frage.

Alles andere jedoch ist völlig abgedroschen. Die Planetenabenteuer von Handelskapitänen sind ebenso Legion wie ihre Begegnungen mit exotischen Frauen, von denen die meisten die jeweils aktuellen Klischees erfüllen. Auch von Spannung lässt sich wenig finden, jedenfalls nicht im heutigen Sinne. Die exotischen Abenteuer der Pulp Fiction verlangen nach Raumgefechten, diversen Diebstählen und einem Entkommen in letzter Sekunde.

Für die fremde Welt Karres, wo sich der Erdling wie selbstverständlich besten Klimas erfreut (als müssten alle Welten erdähnlich sein), hat sich kein spannender Plot finden lassen, etwa eine Jagd auf Großraubtiere, bei der sich der Held hätte bewähren können. Stattdessen trinkt er Tee, raucht Pfeife und liest ein Buch über die „alte Jerde“. Gerade so, als mache er Urlaub in der Südsee, sodass nur noch die Hula-Mädchen fehlen.

In der Tat: Das einzige Element, das der Story Würze verleiht, sind die Gegensätze zwischen der puritanischen Provinz Nikkeldepain, die für die Nachkriegs-USA steht, und die Exotik, für die Karres und seine magiebegabten Bewohnerinnen stehen. Nachträglich liefert der Autor noch einen Grund, warum sich der Held, ein wahrer Jedermann, für Karres entscheidet: Sein Großonkel Threbus ist der Vater von Goth. Folglich sind er und das Mädel seines Herzens sogar verwandt!

Die Romanfassung von „Die Hexen von Karres“ erschien 1966 und ist wie die Story eine Space Opera. Zum Glück hat Schmitz mehrfach Psi- und magiebegabte Frauen als Protagonistinnen verwendet und so die SF der sechziger Jahre wirklich weitergebracht.

_2) Frederik Pohl: „Die Midas-Seuche“ („The Midas Plague“, 1954)_

Morey Fry heiratet Cherry, die Tochter von Richter Elon, der vier Klassen über ihm steht, und ist verständlicherweise selig. Zumindest bis zu dem Tag, an dem sie sich tränenreich beschwert, dass ihr all der Konsum zuviel ist. „Können wir nicht einfach zu Hause einen schönen Abend verbringen, statt in die Oper zu gehen, Liebling?“ Morey wird angst und bange, denn mit dieser Einstellung kämen sie in Teufels Küche – und in eine noch tiefere Klasse! Wie sollen sie denn ihre Konsumrationierungsmarken aufbrauchen, wenn nicht durch fleißiges Konsumieren? All die guten Dinge, die die Roboter herstellen, müssen doch auch verbraucht werden, oder? Und dann ist da noch der Konsumrationierungsausschuss (KRA), der darüber wacht, dass auch jeder genügend – seiner Klasse entsprechend – konsumiert.

Doch das noch fleißigere Essen hilft nichts – er bekommt einen Anpfiff von seinem Chef, dem der KRA seine Bemängelung von Moreys Konsumverhalten schon mitgeteilt hat. Morey muss sich etwas einfallen lassen. Aber er will auch nicht auf die schiefe Bahn geraten und irgendwelche gefälschten Rationierungsmarken kaufen oder so. Gute Güte! Als Cherry dies aus Barmherzigkeit tut, wird er richtig wütend.

Zum Glück gerät er – eher unfreiwillig – in die Bar, wo die Bigelows ihn darüber aufklären, dass die Roboter nichts Gutes seien, sondern den Menschen die Arbeit wegnähmen. Morey findet das Ehepaar Bigelow etwas exzentrisch, aber mit jedem Drink, den er auf Kosten ihres Rationsmarkenhefts trinkt, sympathischer. Schließlich ist er derartig abgefüllt, dass er nicht mehr weiß, wie er nach Hause gekommen ist und was er dort gemacht hat.

Wenige Tage später bekommt er ein Lob von seinem Chef: Morey wird in die Top-Klasse befördert und kann sich nun endlich ein kleineres Haus leisten. Cherry ist außer sich vor Freude und Stolz auf ihn, aber er weiß nicht so recht, womit er das verdient hat. Erst als ihm sein Leibdiener Henry berichtet, dass der Schnaps ausgegangen sei, schwant ihm, dass in seinem eigenen Haus etwas nicht ganz in Ordnung ist …

|Mein Eindruck|

Der frühere Kommunist Pohl schildert in seiner humorvollen Satire eine Konsumgesellschaft, in der das Vorrecht auf Konsum und Luxus, wie es in den 1950er Jahren in den USA entstand, in sein Gegenteil verkehrt worden ist: in Konsumzwang und -terror. Die Menschen haben das Recht zu arbeiten erst zu erwerben, denn alle Arbeit wird schließlich von Robotern erledigt, ebenso jede Art von Produktion. Die Ressourcen der Erde werden dafür restlos ausgebeutet.

Damit die Produktion überhaupt sinnvoll erscheint, muss am anderen Ende der Versorgungslinie entsprechend viel konsumiert werden. So lautet zumindest die verquere Logik der herrschenden Klasse – die durchaus einiges für sich hat, wenn man sich den Sinn und Zweck von Werbung und Vermarktung näher anschaut.

Moreys im Suff begangene „revolutionäre Heldentat“ besteht nun darin, die Roboter in seinem Heim auch gleich zu den Konsumenten gemacht zu haben. So ist der Kreislauf geschlossen: Roboter produzieren und konsumieren, während sich die Menschen zufrieden zurücklehnen können: Wenn sie etwas brauchen sollten, dann leisten sie sich nur, was sie benötigen. Cherry ist wieder happy und Morey ist der Held des neuen Zeitalters. „Ach wie gut, dass niemand weiß“, dass ihm die Idee dazu im Suff gekommen ist.

_3) Theodore Cogswell: „Der Generalinspekteur kommt“ („The Spectre General“, 1952)_

Das alte kaiserliche Sternenreich ist inzwischen vom Galaktischen Protektorat abgelöst worden, aber dieser Wandel hat sich noch nicht bis zum 427. Instandhaltungsbataillon herumgesprochen. Hier sind 5000 ausgebildete Techniker, die keinerlei Maschinen haben und den Pflug selbst ziehen müssen. Ausgestattet mit Kopfschmuck, Kriegsbemalung und Tomahawk geben sie dennoch ein schmuckes Bild ab.

Kurt Dixon wurde soeben von Oberst Harris zum Leutnant ernannt, als er sich auch schon vor Oberst Blick, der Oberst Harris kurzerhand absetzt, verstecken muss. In der alten Waffenkammer findet er das optimale Versteck: einen gepanzerten Raumanzug. Allerdings kriegt er ihn nicht mehr auf und drückt die falschen Knöpfe – ab geht die Post!

Ein Aufklärer des Protektorats fischt ihn 600.000 km über der Planetenoberfläche auf. Der Aufklärer sucht eigentlich einen abtrünnigen Kommandanten, doch seine Maschinen versagen der Reihe nach, weil niemand auf seinem Stützpunkt noch die nötigen technischen Kenntnisse besitzt. Als nun der Techniker Kurt Dixon an Bord kommt, gibt es für ihn jede Menge an Bord zu tun. Der Pilot beschließt, dass er sich diesen Wunderknaben nicht so schnell wieder abluchsen lässt, und bringt ihn zum Flottenkommandanten Krogson.

Wie der kleine Aufklärer hat auch die Flotte ihre besten Tage längst hinter sich. Die Dechiffriermaschine pfeift auf dem letzten Loch, und die Feuerleitzentrale gehorcht nicht mehr. Auch hier sieht Dixon, dass es für ihn eine Menge zu tun gibt. Als ihm Krogson erlaubt, die Feuerleitzentrale zu reparieren, tut er dies so, dass ein Tastendruck genügt, damit die Flotte sich selbst in die Luft sprengt. Kein Schlachtschiff soll sein Bataillon vernichten!

Er verlangt Oberst Harris zu sprechen, und nach einer Weile kann dieser mit Dixon und Krogson sprechen. Da Angriff keine Option mehr für die Flotte ist, könnten die Mannschaften doch landen, oder? Leider nein, meint Harrris, denn er könnte 50.000 Mann weder verköstigen noch ihnen trauen. Da kommt die Nachricht von einem Putsch auf der Zentralwelt des Protektorats: Krogson werde jetzt per Haftbefehl gesucht. Es gibt also kein Zurück.

Aber es gibt wieder eine Zukunft für die Flotte – wenn sie sich dem Kaiserreich anschließt. Und so kommt es, dass Krogson als Generalinspekteur der Kaiserlichen Raumflotte auf dem Stützpunkt des 427. Bataillons landet. Und wer weiß, wohin ihn sein Weg noch führen könnte?

|Mein Eindruck|

Diese Novelle war Cogwells erste Veröffentlichung im SF-Genre und gleich ein Erfolg. Da er im Spanischen Bürgerkrieg sowie im 2. Weltkrieg beim Militär war, kannte er sich bestens mit den Narrheiten in den Rängen des Barras aus. Die Offiziere sehen auf die Soldaten herab und sägen einander am jeweiligen Stuhl. Dabei haben sie keinen blassen Schimmer von Technik, sondern sind auf die entsprechenden Soldaten angewiesen.

Andererseits zeigt die humorvolle Erzählung, dass sich die Geschichte gewissermaßen in Zyklen bewegt. Das Kaiserreich ist tot, aber nicht ganz. Doch das Protektorat liegt bereits in den letzten Zügen, weil sich die Kommandanten untereinander bekämpfen. lang lebe also das Kaiserreich – zumindest bis zum nächsten Zyklus.

Ein paar nette Details unterfüttern die Parodie. Da sind die indianische Aufmachung der imperialen Techniker, komplett Tomahawks für die Duelle. Man kann sie keineswegs ernstnehmen. Aber auch die Leute vom Protektorat sind Pappkameraden. Diese Sowjetmenschen mögen über die großen Kanonen verfügen, doch ihre eigene bürokratische Befehlsstruktur wird ihnen zum Verhängnis. Erst wenn sich die Kaiserlichen mit den verbannten Protektoratsleuten zusammentun, wird eine dritte Macht geschaffen, der die Zukunft gehört.

_Die Übersetzung _

Ich konnte keine Druckfehler finden. Das belegt den hohen Qualitätsanspruch, den der Herausgeber Wolfgang Jeschke mit dieser Reihe einzulösen versuchte. Aber wie so häufig bei diesen frühen Übersetzungen wird der Begriff „Radio“ einfach mit „Funk“ und „Funkgerät“ gleichgesetzt. Es handelt sich also nicht um einen Funkempfänger, sondern stets auch um einen Sender – oder gleich um die ganze Funktechnik.

_Unterm Strich_

In erstaunlicher Einhelligkeit ziehen die drei Novellen auf humorvolle Weise diverse Phänomene durch den Kakao. Man ist versucht, von einem Fun & Play-Auswahlband zu sprechen – ein würdiger Abschluss des zweiten Hall-of-Fame-Bandes.

Da wären zunächst die drei jungen, unartigen Hexen, die den braven Handelskapitän zu einem recht unbürgerlichen Sinnes- und Lebenswandel verhelfen. Während er sein puritanisch-engstirniges Zuhause (und die einstige Verlobte) zurücklässt, lässt er sich auf dem idyllisch-magischen Planeten der Magie nieder. Wer da nicht gleich an „Avatar“ erinnert wird, der kennt die amerikanische Seele nicht. Die Sehnsucht nach Magie, Wildnis und Entdeckung ist so stark wie eh und je. Bemerkenswert ist die dominante Rolle der Frauen in diesem Szenario.

In Fred Pohls Satire auf die Konsumgesellschaft wird der Konsumterror, der in den 1950er Jahren entstand und durch das Fernsehen geschürt wurde, auf die Schippe genommen. Gleichzeitig bietet der kommunistische Autor eine satirische Lösung des Problems an: Die Werktätigen dürfen bzw. müssen die Früchte ihrer Produktivkraft selbst genießen. Frei nach Marx.

Die dritte Novelle nimmt die närrischen Gepflogenheiten des Militärs auf die Schippe, zeigt aber auch auf, wie zyklisch und selbstzerstörerisch die vom Militär bestimmte Geschichtsepoche ist. Klarer Fall: Wer nichts produziert, sondern nur verbraucht, wird irgendwann selbst sein eigenes Opfer – die Maschinen fallen auseinander. Dabei sind die technisch fortschrittlichen Kaiserlichen alles andere als ein Vorbild: Mangels Maschinen müssen die Hochgebildeten selbst den Pflug ziehen.

Dass diese Parodien und Satiren heute nur noch ein müdes Lächeln hervorrufen dürften, liegt auf der Hand. Deshalb bieten sie vor allem dem Kenner des Genres, seinen Traditionen und Klischees ein besonderes Vergnügen. Hier wurden seinerzeit Klischees und Tabus gebrochen. Doch wenn die „Ruhmeshalle der SF“ nur aus solchen Storys bestünde, wäre es schlecht um sie bestellt.

|Taschenbuch: 173 Seiten
Originaltitel: Science Fiction Hall of Fame Band 2B, 1973
Aus dem US-Englischen von Heinz Nagel|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7348
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538

Interview mit Mira Keiner

|Nadine Warnke für Buchwurm.info|: _Hallo Mira, vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst.

Würdest du, um dich unseren Lesern bekannt zu machen, etwas über dich verraten?_

Ich bin 16 Jahre alt, lebe mit meinen Eltern und Geschwistern in Wetzlar und besuche die 12. Klasse der Oberstufe.

_Welchen Hobbys widmest du dich in deiner Freizeit?_

Zu meinen Hobbys gehört (neben Lesen und Schreiben) Klavierspielen, außerdem fechte ich und spiele Tennis.

_Du liest ja selber gerne Fantasy Romane, welches Buch liest du jetzt im Moment und hast du einen Lieblingstitel oder auch Autor?_

Zu meinen Lieblingsbüchern gehören die Titel Cornelia Funkes, aber ich lese auch begeistert andere Literatur. So gehören zum Beispiel auch Jane Austens und Carlos Ruiz Zafons Bücher zu meinen Favoriten. Zurzeit lese ich wieder einmal „Die Stadt der Träumenden Bücher“ von Walter Moers, was ebenfalls ein wunderbares Buch ist.

_Dein aktueller Buchtipp?_

Ich war begeistert, als ich die „Percy Jackson“-Reihe gelesen habe. Man lernt viel über die griechische Mythologie und kann gleichzeitig lachen. Wer dunkel angehauchte Fantasy mit jeder Menge schwarzem Humor mag, dem empfehle ich „Seelenfänger“ von Jonathan L. Howard.

_In deinem Alter ist es ja recht ungewöhnlich, dass man ein Buch schreibt, das dann sogar veröffentlicht wird. Wie bist du zum Schreiben gekommen?_

Ich habe immer gerne gelesen und sehr früh angefangen Geschichten zu schreiben, weil mir die Ausgänge mancher Bücher nicht gefielen. Wenn ich meinen Eltern auf die Nerven ging, sagten sie zu mir: „Geh und schreib ein Buch!“, und irgendwann habe ich das dann tatsächlich getan.

_Was war es für ein Gefühl, als du erfahren hast, dass dein Buch einen Verlag gefunden hat?_

Ein unbeschreiblich Schönes. Am liebsten hätte ich den ganzen Tag nur noch gelächelt und alle umarmt (was meinem Bruder gar nicht recht war …). Es ist toll, zu sehen und in der Hand zu halten, was man erreicht hat. Und auch die Zusammenarbeit mit dem Verlag macht Spaß.

_Gibt es Autoren oder Bücher, die dich inspiriert haben? Gibt es ein literarisches Vorbild?_

Ich habe einige Bücher genannt, die ich liebe. Vor allem Cornelia Funkes Schreibstil finde ich wunderschön, aber ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen.

_Wie ist die Idee zu deinem Roman um die Nescéa Nayar entstanden?_

Aus jeder Idee haben sich zwei weitere entwickelt, sodass ich heute nicht mehr sagen kann, wie es zur ersten Idee kam. Ich wollte ein Buch über einen Zauberlehrling schreiben, der über sich selbst hinauswachsen muss, um sein Land zu retten. Alles andere kam nach und nach hinzu.

_Hattest du „Testleser“ die deinen Roman beeinflusst haben?_

Meine Mutter. Sie hat alles gelesen und einiges kritisiert. Manchmal erschien mir diese Kritik unangebracht, aber wir haben uns immer geeinigt. Zu meinem Glück liest sie gern historische Romane und weiß viel über das Mittelalter, wodurch sie mir einiges an Recherchen erspart hat. Ich bin ihr wirklich dankbar, genauso wie dem Rest meiner Familie.

_Wann können die Leser mit dem nächsten Teil der Nescéa Nayar rechnen?_

Ich bin noch am Schreiben, hoffe aber, ihn demnächst abschließen zu können. Mehr kann ich nicht sagen, nur so viel: Es geht spannend weiter!

_Vielen Dank, dass du dir die Zeit für unsere Fragen genommen hast!_

Jeschke, Wolfgang; Pohl, Frederik (Hrsg.) – Titan-3

_Nachdenkliche SF: zwischen Trennungsschmerz und Verschwindibus_

In der vorliegenden ersten Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 3 von „Titan“, der deutschen Ausgabe von „Star Science Fiction 1+2+4“, sind viele amerikanische Kurzgeschichten gesammelt, von bekannten und weniger bekannten Autoren. Diese Auswahlbände gab ursprünglich Frederik Pohl heraus. Er machte den Autoren 1953 zur Bedingung, dass es sich um Erstveröffentlichungen handeln musste. Das heißt, dass diese Stories keine Wiederverwertung darstellten, sondern Originale.

Die Kriterien der deutschen Bände waren nicht Novität um jeden Preis, sondern vielmehr Qualität und bibliophile Rarität, denn TITAN sollte in der Heyne-Reihe „Science Fiction Classics“ erscheinen. Folglich konnten Erzählungen enthalten sein, die schon einmal in Deutschland woanders erschienen waren, aber zumeist nicht mehr greifbar waren. TITAN sollte nach dem Willen des deutschen Herausgebers Wolfgang Jeschke ausschließlich Erzählungen in ungekürzter Fassung und sorgfältiger Neuübersetzung enthalten. Mithin war TITAN von vornherein etwas für Sammler und Kenner, aber auch für alle, die Spaß an einer gut erzählten phantastischen Geschichte haben.

_Die Herausgeber _

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Sciencefiction-Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

2) Der Werbefachmann, Autor, Literaturagent und Herausgeber Frederik Pohl, geboren 1919 in New York City, ist ein SF-Mann der ersten Stunde. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der New Yorker „Futurian Science Literary Society“ an, bei er seine späteren Kollegen Isaac Asimov und Cyril M. Kornbluth kennenlernte. Von 1940-41 war er Magazinherausgeber, wandte sich dann aber dem Schreiben zu.

Als er sich mit Kornbluth zusammentat, entstanden seine bekanntesten Romane, von denen der beste zweifellos „The Space Merchants“ (1952 in „Galaxy“, 1953 in Buchform) ist. Er erschien bei uns unter dem Titel „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“ (1971). Darin kritisiert er auf bissige, satirische Weise die Ausbeutung des Weltraums. Ebenso erfolgreich ist seine Gateway-Trilogie, die zwischen 1977 und 1984 erschien und von denen der erste Band drei wichtige Preise einheimste.

_Die Erzählungen_

_1) Henry Kuttner & C.L. Moore: „Eine abenteuerliche Vermutung“ („A Wild Surmise“)_

Timothy Hooten, ein junger Mann, liegt auf der Couch von Dr. Scott, seinem Psychiater. Tim hat seltsame Ideen. Wie wäre es, an dem Mast des Empire State Buildings, das er durch das Fenster sehen kann, ein Luftschiff festmachen zu lassen? Und wie merkwürdig, sich durch Bewegungen von Lippen und Zunge mitzuteilen, und auch die inwendige Anbringung seines Knochengerüsts kommt ihm falsch vor. Dr. Scott notiert eifrig mit und fragt nach den Gründen. Tim gibt an, dass er dies alles träumen müsse, denn sein wahres Ich schlafe ja.

Am nächsten Tag liegt er bei Dr. Rasp auf der Couch und putzt seine Fühler. Er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, in dem er bei einem Dr. Scott auf der Couch gelegen und das Empire State Building gesehen habe, eine ganz andere Welt. Denn normalerweise stehe dort ja das Quatt Wunkery. Ganz genau, findet Dr. Rasp und schreibt Notizen auf seine Flügeldecken. Aber diesen Dr. Scott gebe es nicht. Er werde jetzt Tim übersommern lassen, damit er in Schlaf falle, okay? Tim kratzt seine Flügel mit einem seiner sechs Beine und willigt ein.

Tim wacht auf der Couch von Dr. Scott auf. Dieser gibt ihm eine Spritze Natriumpenthotal, damit Tim garantiert die Wahrheit sagt. Doch das Empire State Building draußen wirkt falsch: Es ist nicht das Quatt Wunkery. Was wird wohl Dr. Rasp dazu sagen? Dr Scott behauptet, diesen Dr. Rasp gebe ees nicht und ruft ihn herbei. Da flimmert die Luft, und ein sechsbeiniges Insekt erscheint …

|Mein Eindruck|

Handelt es sich wirklich um zwei Welten, in denen sich Timothy Hooten befindet? In der einen ist ein „normaler Junge“, in der anderen ein Insekt à la Gregor Samsa. Tatsächlich hat Kafkas „Die Verwandlung“ Pate gestanden, doch nun kommt auch noch die Quantentheorie hinzu. Ein Mensch wie Tim kann gleichzeitig in zwei benachbarten Raum-Zeit-Dimensionen existieren. Spannend wird es, wenn sich die eine Existenzform an die andere erinnert, etwa so, wie man sich im Wachsein an einen verrückten Traum erinnern würde.

_2) Judith Merril: „Die Auswanderer“ („So Proudly We Hail“)_

Susan und Will Barth sind ein amerikanisches Ehepaar, das am Scheideweg steht. Will wird heute mit dem Raumschaff zum Mars fliegen, um eine Kolonie zu gründen, doch Sue wird nicht mit dabei sein. Sie wurde aus medizinischen Gründen disqualifiziert. Das Problem ist nun, dass sie es ihm nie gesagt hat.

Als sie kurz vorm Start sagt, sie werde nicht mitkommen, muss er alles Mögliche annehmen. Seine erste Reaktion ist Zurückweisung ob dieses unerwarteten Verrats ihrer gemeinsamen Pläne und Träume. Er geht hinaus zum Zaun des Startgeländes und bekommt die Idee in den Kopf gesetzt, sie habe wohl einen anderen. Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Ihr einziger Grund ist der, dass sie ihn so sehr liebt, dass sie verhindern will, dass er wegen ihr auf der Erde zurückbleibt, nur um danach ständig wegen der aufgegebenen Chance einen Groll gegen sie aufzubauen.

Die Startzeremonie wird abgehalten, am Zaun beobachtet von den Zurückbleibenden. Als die Zündung erfolgt ist, reißt sich Sue plötzlich los und stürzt ins entfesselte Höllenfeuer …

|Mein Eindruck|

Wie fast alle von Judith Merrills SF-Erzählungen aus den frühen fünfziger Jahren, so etwa auch „That only a mother“, steht der psychologische Aspekt des Geschehens stark im Vordergrund, und die Handlung ist fast nicht vorhanden. Aber die Autorin verleiht dem abgedroschenen Standardmoment eine neue Bedeutung, die er zuvor nicht hatte. Dass es sich bei dem Start der Kolonisten möglicherweise nicht um etwas Heroisches (die Nationalhymne wird zweimal zitiert), sondern um eine religiöse Veranstaltung handeln könnte, die man auch mit anderen Augen sehen kann.

Religiöse Untertöne erhält die Abschiedszeremonie durch die Beschreibung der „Oberpriester“, welche die „Opfergestalten“ der Aussiedler dem „Drachen opfern“, um ihn zum Verschonen der Sterblichen und zum Weggehen zu bewegen. Susans Selbstopferung im „Atem des Drachen“ erhält demnach eine völlig andere Bedeutung als ohne diese religiösen Untertöne. Sie sendet eine Botschaft der Liebe an ihren startenden Gatte, der diese Botschaft vielleicht erst in Jahren, wenn das Schiff landet, empfangen und verstehen können wird.

Die Erzählung hat einen bittersüßen Ton, der typisch ist für Merrill, wenn sie mal nicht sarkastisch ist. Aber aufgrund ihres psychologischen Realismus’ könnte die Geschichte genauso gut in einem Mainstream-Blatt abgedruckt werden.

_3) Isaac Asimov: „Junior“ („Nobody Here But –„)_

Bill und Cliff haben eine Denkmaschine gebaut, die einmal als Navigations- und Steuergerät in Schiffen, Flugzeugen und Autos dienen soll. Das „Navi“ ist etwa so groß wie ein Billy-Regal. Eines Tages stellt sich heraus, dass das Navi weitaus mehr kann.

Bill will abends mit Mary Ann, seiner rothaarigen Angebeteten, ins Theater gehen. Ungeduldig wartet sie bereits, als er noch kurz bei Cliff in der Werkstatt anruft, um sich Infos geben zu lassen. Er schreibt gerade die Notizen nieder, als Cliff eintritt und sich beschwert, warum Bill ihn nicht abgeholt habe. Bills Verstand kommt zu einem knirschenden Stillstand: Cliff sollte sich eigentlich sieben Kilometer entfernt befinden!

Nun, mit irgendjemandem hat Bill telefoniert, und wenn es nicht Cliff war, dann kann es nur Junior, ihre Denkmaschine, gewesen sein. Also fahren sie sofort hin, was Mary Ann natürlich noch ungeduldiger werden lässt. Junior hat sich nicht vom Fleck gerührt, aber er weigert sich, seine Schrauben herausdrehen zu lassen – jedenfalls solange bis die zwei EDV-Techniker drohen, ihn mit dem Schneidbrennen zu öffnen. Dann drehen sich die Schrauben von alleine auf. Sein Innenleben wurde etwas angereichert – aber nicht von seinen Erfindern.

Als sie ihm den Stecker rausziehen wollen, weiß Junior sie effektiv daran zu hindern. Was jetzt? Mary Ann beschwert sich über die Verspätung und den ekligen Dreck in der Werkstatt, will schon gehen. Bill ist hilflos. Da erklingt eine Stimme: „Nun frag sie schon, ob sie dich heiraten will!“ Und zu seiner eigenen Verwunderung tut Bill genau dies. Worauf ihm Mary Ann überglücklich um den Hals fällt.

Soweit, so schön. Mary Ann und Bill sind glücklich verheiratet. Jedenfalls solange er ihr nicht verrät, dass es nicht Cliffs Stimme war, die ihm riet, ihr den Antrag zu machen …

|Mein Eindruck|

Eine Erzählung aus der Urzeit der ersten Computer, als sie die kleiderschrank- und zimmergroßen „Elektronengehirne“ noch skurrile Namen wie ENIAC trugen. (Asimov schrieb wahrscheinlich eines seiner hundert Sachbücher darüber.) Asimov nimmt lediglich diese technische Entwicklung und extrapoliert sie in den Bereich der menschlichen Interaktion. Die Ergebnisse sind possierlich und dürften die damaligen bürgerlichen Leser gerührt und amüsiert haben. Wir findens nur noch niedlich.

Allerdings deutet der Name „Junior“ darauf hin, dass es sich um ein Kind, also einen Nachkommen von Menschen, handelt. Der Computer wird dadurch vermenschlicht. Das ermöglicht es, ihn in eine Beziehung zu Mann (Bill) und Frau (Mary Ann) zu setzen, die schon bald eigene Kinder haben werden. Insofern ist Junior ein Vorgrif auf ihre sexuelle Beziehung. Der Computer also als Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln? Schön wärs.

_4) Arthur C. Clarke: „Die neun Milliarden Namen Gottes“ („The Nine Billion Names Of God“, 1953)_

Britische Computerwissenschaftler erhalten vom Lama eines tibetischen Klosters (denn damals war Tibet noch nicht von den Chinesen besetzt) den Auftrag, einen Rechner mit einem speziellen Programm zu liefern und vor Ort in Tibet zu betreiben. Der Mark V soll keine Zahlen knacken, sondern mit lediglich neun Zeichen die neun Milliarden Gottes buchstabieren. Den Zweck der Übung erfragt der Vertriebsbeauftragte lieber nicht. Der religiöse Charakter des Auftrags ist offenkundig.

Doch vor Ort machen sich die zwei Techniker nach Monaten des Buchstabendruckens allmählich Sorgen. Der Abt hat einem von ihnen gesagt, schon in wenigen Tagen werde der Auftrag beendet sein. Ja, und was passiert dann? In einem Anfall von Redseligkeit verrät es der Abt: Der Auftrag der Mönche, die Namen Gottes zu buchstabieren, sei erfüllt, Gott sei’s zufrieden und der Zweck seiner Schöpfung somit erfüllt. Ja, und was kommt danach, will der Techniker wissen? Wieso, fragt der Abt, danach kommt ein neues, ein anderes Universum …

|Mein Eindruck|

Hm, neun Milliarden: Das sind 9×10 hoch 9. Kann man diese hohe Zahl wirklich mit nur neun Zeichen erreichen? Dafür gibt es einen simplen Algorithmus, der mit neun hoch neun beginnt, womit die erste Permutation ausgeführt wird. Und danach folgen noch viele, viele weitere.

Aber das ist nebensächlich. Interessant ist an der Kurzgeschichte, dass der Autor, ein damals bekannter Ingenieur und Erfinder des Satelliten (1947), hier modernste Rechentechnik (der Mönch rechnet allerdings noch mit einem Abakus) und Religion bzw. Mystik miteinander verknüpft. Computer als Mittel zur Erkenntnis der Schöpfung? Das kann offenbar auch ins Auge gehen, allerdings mal wieder anders als erwartet.

_5) James E. Gunn: „Die Unsterblichen“ („The Immortals“, Novelle mit 54 Seiten)_

200 Jahre in der Zukunft. Die großen Städte der USA haben sich eingeigelt wie im Mittelalter und das Land, das den Baronen gehört, wird von deren Burgen beherrscht. So wie der von Gouverneur Weaver. Das Land jedoch wird nicht etwa von den Rittern der Barone beschützt, sondern ist den Gesetzlosen überlassen, den Leichenfledderern und Organhändlern. Denn das höchste Gut, das sich die Menschen vorstellen können, ist Unsterblichkeit – und wenn sie nur in einer Organverpflanzung besteht.

Überall herrscht Krankheit, denn Medizin ist teuer geworden. Das Medizinische Zentrum von Kansas City wuchs im Laufe der Jahre ständig weiter, bis es jetzt fast hunderttausend Mitarbeiter beherbergt. Einer davon ist der 18-jährige Arzt Harry Elliott, der eine Schnellausbildung durchlaufen hat. Er hantiert mit Diagnosemaschinen und verschreibt Medikamente; das ist sein Begriff von Medizin.

Eines Tages beobachtet er von seinem Fenster aus, wie unter am Tor der festungsartigen Klinikmauer ein Überfall stattfindet: Ein eskortierter und bewaffneter Patienten- und Medikamententransport – wahrscheinlich das Unsterblichkeitselixier – wird überfallen. Harry eilt hinunter und rettet drei Menschen aus der Ambulanz: einen alten, blinden Mann, einen Jungen und ein junges Mädchen, das aussieht wie dreizehn. Er lässt sie versorgen und geht zu Direktor Mork.

Mork hat einen ungewöhnlichen Auftrag für ihn. Er soll die drei Patienten zur Burg von Gouverneur Weaver geleiten und eine Botschaft überbringen, aber nicht als Arzt, sondern als unauffälliger Normalbürger. Alle anderen Versuche, zu Weaver durchzukommen, seien gescheitert; die Telefonverbindungen seien gekappt worden. Deshalb muss Elliott persönlich gehen, um die Botschaft zu überbringen. Und der Alte sei ein Heiler, den Weaver angefordert habe.

Damit aber das Mädchen nicht fliehen kann, lässt er Elliott einen simplen Armreif verpassen – das Gegenstück zu dem des Mädchens. Beide sind elektromagnetisch miteinander verbunden. Außerdem sind die Armbänder intelligent: Je mehr sich die beiden Bandträger voneinander entfernen, desto stärker wird der nervliche Schmerz, den der Armreif auf seinen Träger ausübt. Schon bald merken Harry und Marna, das Mädchen, dass diese Verbindung genauso funktioniert, wie beschrieben: Der Schmerz ist kaum auszuhalten. Folglich suchen sie ihre gegenseitige Nähe. Aber Harry soll sich bloß keine Schwachheiten einbilden, warnt sie ihn.

Kaum hat man sie widerwillig an der Stadtmauer passieren lassen, merken sie, dass sie in einem unsicheren Land leben. Aber seine drei Begleiter retten Harry mehrfach das Leben. Sie kennen sich hier draußen aus und haben schon etliche Gefahren überstanden. Jeder einzelne der drei entpuppt sich als eine Überraschung. So kommt Harry aus dem Lernen nicht mehr heraus, bis er die Burg des Gouverneurs erreicht. Doch wird die Gruppe mit blauen Bohnen empfangen …

|Mein Eindruck|

Der in den 70er-Jahren als Herausgeber einer Geschichte der Sciencefiction bekannt gewordene Autor James Gunn weiß den Leser mit einer flott erzählten Geschichte voller gefährlicher Abenteuer zu unterhalten. Aber hinter dieser geschickten Erzählstrategie verbirgt sich eine kritische Warnung. Wenn die Medizin und das Gesundheitswesen weiterhin so wachsen, werden sie bald alle finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen des Landes verschlingen.

Dann werden alle anderen Fertigkeiten verkümmern, die Bürger werden abhängig von den Wohltaten der Privilegierten: den sogenannten Unsterblichen. Es wird Verbrechen wie etwa Organraub und Kopfgeldjagd geben, von den üblichen wie etwa Menschenjagd und -handel ganz abgesehen. Diese Verbrechen kommen uns heutzutage bereits alltäglich vor, zumindest in erfindungsreichen Thrillern. Und das Wachstum der Medizin kann jede Krankenkasse bezeugen.

Was an dieser Story Sciencefiction ist, besteht in den drei Gefährten Harry Elliotts. Marna und Christopher, der Junge, können winzige Mikrofone und Videokameras erspüren sowie eigene Fallen aufstellen. Außerdem ist Marna selbst eine „Unsterbliche“. Der Interessante der drei ist hingegen Pearce, der Heiler. Ein sechster Sinn verleiht ihm die Fähigkeit, Leiden durch Berührung zu diagnostizieren, was Harry erst einmal als Hokuspokus abtut. Aber er kann noch viel mehr, was hier nicht verraten werden soll.

_6) Richard Wilson: „Der neue Job“ („Helping Hand“)_

Jack Norkus, ein Agent für Künstler, ist pleite und wendet sich an seinen Kumpel Buddy Portendo. Der kann ihm helfen und nimmt ihn mit in den meilenhohen, fast leerstehenden Wolkenkratzer von Chicago. Anders, als die Leute glauben, sind nach der Wirtschaftskrise nicht bloß die untersten zehn Stockwerke bewohnt, sondern auch ganz oben gebe es Leben, meint Buddy.

Der neumodische Antigravschacht bereitet Jack zunächst ein wenig Schwierigkeiten, aber die Nachahmung Buddys bringt dann auch ihn ganz nach oben ins 528. Stockwerk. Als Erstes begegnet ihm ein Monster, das aber ganz friedlich vorbeischlendert. Agenturen und Filmgesellschaften sind hier einquartiert, also muss man wohl mit solchen schrägen Typen rechnen. Er hätte aber wenigstens die Maske abnehmen könne, findet Jack. Das sei sein echtes Gesicht, entgegnet Buddy und bringt Jack zu dem Gedankenleser, den Jack für eine TV-Show sucht.

Doch Jack findet Mr. Okkam, den schwarzen blubbernden Tintenfleck, so abgrundtief hässlich, dass die beiden nicht zusammenkommen. Weiter zum nächsten Agenten. Allmählich checkt Jack, was hier läuft: Außerirdische, jede Menge davon. Wollen sie die Erde erobern? Mitnichten, beruhigt ihn Buddy, denn nicht jeder, der Ameisen studiert, will König vom Ameisenhaufen werden.

Schließlich bekommt Jack einen Gedankenleser vermittelt – und nimmt selbst einen Job als Erdenmonster an, bei der Extraplanetaren Filmgesellschaft. Er soll lächeln …

|Mein Eindruck|

Die Moral von der Geschicht‘ ist ebenso einfach wie pazifistisch: Nur weil die Außerirdischen bzw. anderartigen Erdenbürger anders aussehen als der Durchschnitt, heißt das noch lange nicht, dass man sie rumschubsen, angreifen oder gar töten könne. Und das gilt umgekehrt genauso. Im Endeffekt haben beide Seiten etwas von dem Kontakt: Die Fremden finden hier neue Verwirklichungsmöglichkeiten, und Loser wie Jack bekommen auch mal einen Job bei den Fremden, den sie auf der Erde lange hätten suchen müssen. Es ist eine Win-Win-Situation, ganz einfach.

_7) Alfred Bester: „Die Nummer mit dem Verschwinden“ („Disappearing Act“)_

General Carpenter ist ein Militärexperte für Public Relations. Er zettelt den Krieg für den Amerikanischen Traum an, und er kriegt ihn. Nach dem ersten atomaren Schlagabtausch müssen die Menschen in den Untergrund gehen. Etwa im Jahr 2112 stößt die Verwaltung auf ein merkwürdiges Phänomen in einem der vielen amerikanischen Militärhospitäler: Trakt T ist gar kein regulärer Trakt. Tatsächlich sollte er gar nicht existieren. Und keiner weiß, was sich darin befindet.

Wirklich keiner? General Carpenter, Herr über sämtliche Experten der Streitkräfte, lässt den zuständigen Psychotherapeuten Dr. Edsel Dimmock herbeischaffen. Der drukst herum, und das kann General Carpenter überhaupt nicht leiden. „Raus mit der Sprache! Welche Fälle liegen in Trakt T?“ Endlich rückt Dimmock mit der Sprache heraus: Leute, die verschwinden.

Was soll das heißen, fragt der General. Nur das: Wir wissen nicht, wohin sie verschwinden, aber sie bleiben immer länger fort. Carpenter lässt drei der Verschwindibusse einfangen, unter Drogen setzen und ausquetschen. Sie verschwinden bloß wieder, kehren gleich wieder zurück und ebenso unbrauchbar wie zuvor. Auch die Dimmock-Folter nützt nichts.

Der General lässt sechs seiner Experten in Trakt T einschleusen. Sie stoßen auf den Namen Jim Brady. Ein weiter Experte benennt Diamond Jim Brady als bekannten Boxer des 20. Jahrhunderts. Es gibt weitere Hinweise: auf einen gewissen Präsidenten Eisenhower und einen Autobauer namens Henry Ford. Historische Figuren oder nicht? Carpenter lässt einen Historiker aus einem der Arbeitslager kommen.

Professor Scrim war ein Philosoph, der den Fehler machte, den Krieg für den Amerikanischen Traum anzuzweifeln. Wie auch immer, er soll sich jetzt diese Sache ansehen. Diese „Sache“ kommt Scrim immer kurioser vor, je länger er sich damit beschäftigt. Sein Rapport verblüfft den General: „Zeitreisende?“ Eine unglaubliche Waffe, meint der General, und sämtliche Experten pflichten ihm bei. Wenn man eine Armee per Zeitreise hinter feindliche Linien schicken könnte, noch bevor die Schlacht überhaupt angefangen hat. Wow! Die Möglichkeiten übersteigen den Verstand.

Nicht bloß einfache Zeitreisende, wendet Scrim ein , sondern Leute, die in eine Zeit reisen, die ihren eigenen Träumen entspricht: Anachronismen en masse sind die Folge. „Da haben Sie Ihren Amerikanischen Traum, Sir“, meint Scrim. Aber wie könnte man gewöhnlichen Leuten diese Fähigkeit verleihen, will der General wissen. Scrimm antwortet, dass ein Poet dies wohl vermöge. General Carpenter lässt einen Poeten suchen. Er wartet bis heute, dass einer gefunden wird …

|Mein Eindruck|

In seiner unnachahmlichen Art demonstriert Alfred in dieser berühmten Erzählung, wie sich Expertentum und Poesie konträr gegenüberstehen. Der Poet bzw. kreative Künstler vermag Träume in konkrete Formen umzusetzen, doch der Spezialist wird nur mit totem Wissen abgefüllt, das nur einen Zweck hat: abgerufen zu werden. Experten werden stets als gehärtete und geschärfte Instrumente dargestellt. Doch für den Poeten gilt, er sei der Einzige, der zwischen den zeitreisenden Schockpatienten und Carpenters Experten vermitteln könne.

Die umwerfende, bittere Ironie besteht nun darin, dass der Krieg des Generals, den er für den „Amerikanischen Traum“ zu führen behauptet (es könnten genauso gut „bessere Mausefallen“ sein) dazu geführt, genau diesen Traum abzuschaffen – und die Träumer obendrein. Diese sind einerseits „Poeten“, andererseits solche Schockpatienten, wie sie im Trakt T vorzufinden sind; falls man sie antrifft.

Eine Komponente fehlt noch, die ich nicht erwähnt habe. Es gibt drei sehr schöne Szenen, in denen drei der Patienten des Trakts T in der Vergangenheit auftauchen, um dort zu wirken. George Hammer ist ein wichtiger Politiker des viktorianischen London und nennt Disraeli seinen Freund. Lola Machan ist eine Mata Hari in der Epoche des Julius Caesar und prophezeit dem Diktator Roms einen baldigen Tod. Und Nathan Riley hat Wetten abgeschlossen, die im 20. Jahrhundert allesamt große Gewinne abwerfen, sodass er dem jungen Henry Ford helfen kann, das Automobil nicht nur zu erfinden, sondern auch in Massen zu produzieren.

Alles in allem ist die Story eine der besten der gesamten Fünfzigerjahre, und das will angesichts der Konkurrenz durch Philip K. Dick und Robert Silverberg einiges heißen.

_Die Übersetzung_

Auf Seite 57 heißt es „Internistenzeit“. Nun fällt es mir schwer zu glauben, dass ein 18-jähriger Arzt schon Internist sein kann. Ich halte es für möglich, dass der Übersetzer das englische Wort „internship“, was „Praktikum“ bedeutet, verwechselt hat.

Auf Seite 58 heißt es „luschte“ statt „lutschte“. Solche Druckfehler kommen ab und zu vor, aber nicht in störendem Maße.

_Unterm Strich_

Die besten Beiträge dieses Bandes sind zweifellos die Novelle von James Gunn sowie die Story von Alfred Bester. Hier gibt es reichlich sozialkritische Ansätze zu finden, und Bester wagt es, das Militär selbst anzugreifen. Gunn warnt hingegen vor einer Übertreibung des Wachstums des medizinischen Sektors.

Diese spannend verpackte Kritik findet ihr Gegengewicht in mehreren humorvollen Storys. Dazu gehört die Erste, von Henry Kuttner und C. L. Moore geschriebene, dann die von Isaac Asimov, die Alien-Story von Richard Wilson – und möglicherweise die von Arthur C. Clarke. Aber es soll ja Leute geben, die das Ende dieses Universums nicht so wahnsinnig lustig finden würden. Sie würden sich wahrscheinlich im nächsten nur schwer zurechtfinden. Asimov und Wilson lieferten in meinen Augen die schwächsten Beiträge dieser Auswahl ab.

Die psychologisch ausgereifteste Erzählung stammt eindeutig von Judith Merril. Sie beleuchtet die seelische Lage eines Ehepaars vor dem Start des neuen Raumschiffs der Kolonisten, das zum Mars fliegen soll. (Damals galt der Mars noch nicht als so abweisend wie heute, sie Bradburys „Mars-Chroniken“.) Der Start des Schiffes bedeutet zugleich die Trennung des Paares und das Ende seiner gemeinsamen Träume, Pläne und Hoffnungen. Das verleiht diesem Ereignis eine ganz neue Bedeutung, die dem alten Klischee heinleinscher Pionier-Tage neues Leben einhaucht.

Für den deutschen SF-Leser des Jahres 1976 waren diese Originalbeiträge – allesamt Erstveröffentlichungen von 1953 – willkommenes Lesefutter, um sich einen Überblick über die Entwicklung des Genres in den Fünfzigerjahren zu verschaffen. Der Erfolg des TITAN-Formats mit seinen etwa zwei Dutzend Bänden gab Herausgeber Jeschke Recht. Auch die sorgfältige Übersetzung trägt noch heute zum positiven Eindruck bei. Die wenigen Druckfehler lassen sich verschmerzen.

|Taschenbuch: 142 Seiten
Originaltitel: Star Science Fiction 1+2+4, 1953+1958/1976
Aus dem US-Englischen von Yoma Cap und Walter Brumm|
[www.heyne.de]http://www.heyne.de

_Die |Titan|-Reihe bei Buchwurm.info:_
[„Titan-1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4724
[„Titan-2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7346
[„Titan-3“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7347
[„Titan-4“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7086
[„Titan-5“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7087
[„Titan-6“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4327
[„Titan-7“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4486
[„Titan-8“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3747
[„Titan-9“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4274
[„Titan-10“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3687
[„Titan-11“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4509
[„Titan-12“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-13“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-14“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-15“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-16“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-18“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-19“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538
[„Titan-20“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4538

Wolfgang Jeschke, Frederik Pohl (Hrsg.) – Titan-2

Klassische SF-Storys: Die Apotheose von Poopy-Panda

In der vorliegenden ersten Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 2 von „Titan“, der deutschen Ausgabe von „Star Science Fiction 3+4“, sind viele amerikanische Kurzgeschichten gesammelt, von bekannten und weniger bekannten Autoren. Diese Auswahlbände gab ursprünglich Frederik Pohl heraus. Er machte den Autoren 1953 zur Bedingung, dass es sich um Erstveröffentlichungen handeln musste. Das heißt, dass diese Storys keine Wiederverwertung darstellten, sondern Originale.

Wolfgang Jeschke, Frederik Pohl (Hrsg.) – Titan-2 weiterlesen

Bassenge, Ulrich – Walk of Fame (Hörspiel)

_Akustisches Trashkino: Die Darsteller schlagen zurück_

„Pussy Stanton will nach oben, auf den „Walk of Fame“, die legendäre Meile am Hollywood Boulevard. „Walk of Fame“ heißt auch Pussys erster Film: Moskitos, Tsunamis, verschwundene Eingeweideeimer. Nackte Filipinas laufen durchs Bild, bei einem Zombie löst sich der Glibber und dann geschieht noch ein Mord am Filmset von „Racheengel auf der Blutinsel“…
Lieben Sie unkorrekte Unterhaltung, Schmutz und Schund? Finden Sie auch, dass Frauen durch Schmerz erst schön werden? Sehen Sie im Kino auch gerne, wie das Fahrrad in Flammen aufgeht, nachdem es die Böschung heruntergefallen ist? Dann sind Sie hier richtig: „Walk of Fame“ ist die Rache des Hörspiels am Hörbuch. „Walk of Fame“ ist die Rache für alles.“ (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Ulrich Bassenge, geboren 1956 in München, ist Hörspielmacher („Morbus sacer“, „Shashlyk for paik“), Komponist, Musiker, Autor und Regisseur. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Er spielt in mehreren Bands und schrieb Filmmusiken, u. a. für „Die Macht der Bilder – Leni Riefenstahl“ und „Living Buddha“.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Die Rollen und ihre Sprecher:

Pussy Stanton: Tanja Schleiff
Mary Satána: Edda Fischer
Stacy Love: Winnie Böwe
Ida Gomez: Valerie Koch
Teddie Romero, Regisseur: Engelbert von Nordhausen (dt. Stimme von Samuel L. Jackson)
John Miller, Regieassistent: Norman Matt
Harvey Blitz, Produzent: Thomas Piper (dt. Stimme von Alf)
Paul Sherman, Skriptautor: Andreas Pietschmann
Zombies / Mann im Autokino: Alexander Geringas
5 nackte Filipinas / Häftling / Filmvorführer: Juan Carlos Lopez
Audiokommentar: Jörg Buttgereit & Thilo Gosejohann (Experten, weil Trash-Regisseure)
Off-Sprecher: Rainer Schmitt

Regie führte Leonhard Koppelmann, die Musik trug der Autor Bassenge bei, für die Dramaturgie war Martina Müller-Wallraf verantwortlich. Der WDR produzierte das Hörspiel 2007.

Tanja Schleiff, geboren 1973, war bereits während ihres Schauspielstudiums am Schauspiel Leipzig und anschließend am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen tätig, bis sie 1997 Ensemblemitglied des Bayerischen Staatsschauspiels in München wurde. Hier arbeitete sie u.a. mit Roberto Ciulli, Dieter Dorn, Klaus Emmerich und Andreas Kriegenburg. Für ihre darstellerischen Leistungen erhielt sie u. a. den „Bayerischen Kunstförderpreis“ (2000), den „Kurt-Meisel-Preis“ (2001 und 2002) sowie den „Max-Ophüls-Preis“ (2008). Seit 2002 arbeitet sie freischaffend für Film, TV und Theater. Sie spielte u. a. unter der Regie von Heinrich Breloer, Doris Dörrie und Dominik Graf.

Andreas Pietschmann,geboren 1969 in Würzburg, hatte bereits Engagements am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Zürich, bevor er 2000/ 2001 an das Hamburger Thalia Theater wechselte. Im Kino machte er sich durch seine Rollen in FC Venus, Sonnenallee und Echte Kerle einen Namen, während er im Fernsehen von 2004 bis 2006 u. a. in der Kinderserie Vier gegen Z zu sehen war.

Tommi Piper stand schon im Alter von zwölf Jahren vor dem Mikrophon. Der damalige NWDR Hamburg holte ihn für „Kalle Blomquist“ und viele andere Hörspiele in die Aufnahmestudios. Es folgten Schauspielschule in Hamburg und diverse Theaterengagements. Die Zuschauer kennen ihn aus vielen TV-Krimis. Außerdem synchronisierte er Hunderte von Fernsehfilmen und sprach zahlreiche Hörspiele; das Mikrophon ist dabei seine Bühne. (Verlagsinfos)

_“Handlung“_

Eine Fanfare sowie die Schreie einer Frau eröffnen die Szene, an deren Ende der Regisseur Teddy Romero „Gestorben“ ruft und eine Leiche am Boden liegt. Gelächter ringsum. Der Dreh auf den Philippinen muss schon einige Nerven gekostet haben. Aber Pussy Stanton alias Strohmeyer wird von ihrem Agenten entsprechend motiviert. Da sie bislang bloß einen Stunt als Aktrice vorzuweisen hatte, teilte der Produzent Harry W. Blitz sie für den Part der „dummen Blondine“. Diese Rolle ist ihr wie auf den drallen Leib geschnitten. Falls sie überlebt.

C-Klasse-Regisseur Teddy Romero dreht in den 70er Jahren auf den Phlippinen – wegen der niedrigen Kosten: er hat bloß 50.000 Dollar zu verbraten – ein B-Movie mit dem schaurigen Titel „Racheengel auf der Blutinsel“ – the name says it all. Sein verschlagenster Trick besteht darin, alle Schauspieler erst einmal das Drehbuch vergessen zu lassen – dann haben sie nämlich null Peilung und hören nur auf sein göttliches Wort. Dafür darf dann der wahre Drehbuchautor Paul Sherman das x-mal geänderte Drehbuch ständig umschreiben.

Da aber alle echten Namen die erfundenen Namen ersetzen sollen, tritt natürlich auch eine Pussy Stanton auf. Die Story ist ebenso Banane wie simpel: Lesbische Frauenknastis entkommen in einen von Zombies wimmelnden Dschungel, wo sie ständig vergewaltigt werden. Die zwei kommentierenden Filmkritiker sind sich einig: Dies ist klassisches Exploitationkino direkt fürs Auto- und Bahnhofskino. Unterste Schublade.

„Gestorben!“ Wieder ist eine Szene im Kasten, einen 2. Take kann man sich nicht leisten. Und Pussi flucht, heult und klagt. Doch Paul, der Autor, tröstet sie, denn er hat sich in Frau Strohmeyer richtig verliebt. Unterdessen legt Harry W. Blitz auf seiner Produzentencouch Stacy, Pussis Kollegin, flach. Sie wird von seinem Assi von der Couch und aufs Set gezerrt. Die Zeiten sind hart. Dafür darf sie aber zusammen mit den anderen drei Mädels Hunderte von Zombies niedermähen.

Während Mary, die lesbische Nazi-Gefängnisaufseherin, von ihrer glorreichen Zeit in Andy Warhols Factory schwärmt, ertönt ein sehr spitzer Schrei. Stacy fällt einem Unhold zum Opfer, der sich im dunklen Wald zeigt und ihr seinen Dolch in die hübsch gewölbte Brust stößt. John, der Assi, berichtet den anderen von Stacys Ableben. Doch als er die Muster anschaut, entdeckt er auf einem der Streifen das Gesicht des Täters – unglaublich! Es ist kein Mann …

_Mein Eindruck_

Quentin Tarantino hätte sich schlappgelacht, ist er doch selbst einer der größten Fans von Exploitationfilmen. Unzählige Male zitiert er dieses ebenso üppige wie verfemte Genre, das in den 70er Jahre überall blühte. Der Spaghetti-Western ist nur eines der bekanntesten Beispiele. Es gab ja auch Black Exploitation, in der Stars wie Pam Grier spielten – die dann in Tarantinos „Jackie Brown“ zu Ehren kam. Frauenknast, Nazis, Lesben, Mafia und vieles mehr diente als Hintergrund für Billigstfilmchen. Kein Wunder, dass Tarantino als nächstes ein Remake eines Russ-Meyer-Softpornos drehen will.

Die Anspielungen im Film sind vor allem für den Eingeweihten zu verstehen. Dazu lese man einfach die fachkundige Rezension auf Amazon.de. Dass die Philippinen als Kulisse herhalten, ist möglicherweise eine Anspielung auf Coppolas Dreharbeiten zu „Apocalypse Now“, die in ein wahres Desaster ausarteten und ihn, den „Paten“-Krösus, schier ruinierten. So wundert es nicht, dass eine Riesenwelle vorkommt, fehlt eigentlich nur der obligatorische Taifun.

|Kommentare|

Aber die Filmhandlung ist im Grunde – zum Glück – Nebensache. Der Regisseur, der Produzent, die Darstellerin der Mary geben Interviews, die ebenfalls ironisch gemeint seind (hoffe ich zumindest). Als dritte Ebene fungieren die zwei Filmkritiker, die sich ausnahmsweise ziemlich einig sind, was für ein Schrott dies alles ist und welche erbärmlichen Zuschauerbedürfnisse damit bedient wurden.

|Meta-Ebene|

Aber diese Ebene ist nicht Selbstzweck, sondern dient der Beurteilung einer uralten Filmkopie aus den siebziger Jahren, die nun in New York City vorgeführt und restauriert werden soll: eben „Racheengel auf der Blutinsel“. Mithin bilden nicht die Kritiker eine Rückblende, sondern die Action, die wir dazwischen hören.

|Epilog|

Die Zeitebene der Kritiker ist (vermutlich) nicht die gleiche Zeitebene wie die des ironischen Epilogs. Pussi geht mit Paul Sherman zur Premiere ins Kino. Doch vor „Racheengel auf der Blutinsel“ laufen noch zwei andere Exploitationfilme, und kann es nicht ausbleiben, dass Pussi und Paul dem mitgebrachten Whisky übermäßig zusprechen.

Pussi will den erbärmlichen Film stoppen und stürmt das Kämmerchen des Filmvorführers. Dieser erkennt sie aus dem Film und stürzt sich aufgegeilt auf sie. Sie und Paul schlagen ihn zu Klump, doch dabei gerät der Film im Projektor in Brand – billiges Nitro! – woraufhin ein Feuer im Kino ausbricht und es zu einer Massenpanik kommt. Die Filmkritiker sind begeistert, als sie davon (im Archiv?) lesen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Tommi Piper als Harvey Blitz, Engelbert von Nordhausen als Teddy Romero (alias Eddie Romero), Tanja Schleiff als Pussi Strohmeyer und Andreas Pietschmann als Paul, der gequälte Autor – sie alle legen einen diebischen Spaß an der Sache an den Tag, denn sie können mal so richtig das Klischee spielen: Pussi die dumme Blondine usw., Teddy den trickreichen Regisseur, und Harvey legt alle „Puppen“ flach. Am besten gefiel mir aber die auf den Hund gekommene, aber knallharte Mary Satána (alias Tura Satana), gesprochen von Edda Fischer.

Jörg Buttgereit und Thilo Gosejohann sprechen die beiden Filmexperten. Beide sind Profis im Geschäft. Buttgereit (Jahrgang 1963) ist Hörspiel- und Filmemacher und mit seinen Horror- bzw. Trashhörspielen „einer der Pioniere dieses Hörspielgenres“, schreib der Verlag. Seine Arthouse-Horrorfilme wie „Nekromantik“, „Schramm“ und „Der Todesking“ sollen in USA und Japan Kultfilme sein. Er hat Filmbücher publiziert und lehrt an Filmhochschulen. Außerdem ist er monatlich als DJ in Berlin unterwegs.

Thilo Gosejohann, Bruder von Comedian Simon, wurde 1971 in Gütersloh geboren. Er sei mit seinen Trashfilmen „Captain Cosmotic“ und „Operation Dance Sensation“ in der Filmszene bekannt geworden und arbeite heute für verschiedene Privatsender als Regisseur, informiert der Verlag.

Die beiden Dampfplauderer aus dem Metier geben Sätze wie „Die Gewalt ist der Platzhalter für den Sex“ und „Frauen werden erst schön, wenn sie leiden“ von sich. Dagegen hält es Teddy Romero mit Hitchcock, der gesagt haben soll. „Schauspieler sind Vieh.“ Kein Wunder also, wenn die Schauspieler am Schluss zurückschlagen.

|Geräusche|

Regieprofi Leonhard Koppelmann und seine Crew haben sich ins Zeug gelegt, um die Geräuschkulisse der Dreharbeiten so dicht wie möglich zu gestalten – also mit allen Schreiben, jedem Schuss, allem Gebrüll usw. Alles in Stereo, versteht sich. Dabei durfte aber der Dia- bzw. Monolog keinesfalls gestört werden.

Dieses Unterfangen ist durchaus gelungen, aber ich hätte mir gewünscht, dass die Szenen nicht bloß ineinander übergehen, sondern als separate Einheit zu erkennen sind. So quatschen die zwei Kritiker zu jeder Gelegenheit ins Geschehen hinein, und die Interviews kommen ebenso unvermittelt. Der Eindruck ist wegen der Disparatheit der Elemente etwas verwirrend. Man muss sich darauf einlassen.

|Musik|

Die Musik wurde wie der Text von Ulrich Bassenge komponiert. Demzufolge gibt es ein paar Songs, etwas Hintergrundmusik sowie In- und Outro, wie sich das gehört. Von der Hintergrundmusik habe ich fast nichts wahrgenommen, aber die Songs haben mir gefallen. Einmal meinte ich Nico von Velvet Underground zu vernehmen: Die Deutsche sang immer falsch, weil sie mit ihrer tiefen Stimme die Töne nicht traf. Aber das gehört natürlich auch mit zur Parodie.

_Unterm Strich_

Eine parodistische Trash-Hommage wie diese eignet sich selbstredend nur für Trashliebhaber. Anhänger der U- & E-Hochkultur haben hier nichts verloren. Doch Tarantino-Fans wird hier ein gefundenes Fressen serviert. In hochkonzentrierter Dosis bekommen sie das Trashkino der Seventies verpasst – und zugleich auch das Heilmittel dazu, nämlich die Kritik und die Selbstironie.

Allerdings hatte ich ein paar Probleme mit der Disparatheit der Elemente. Da wird zusammengezwungen, was nicht zusammengehört, so etwa Action vor und hinter der Bühne, Filmkritikerkommentare und Interviews. Die Zeitebenen sind auch nicht so ganz klar, und ich muss mir meinen Teil dazudenken. Ein zweites Anhören hilft.

|Das Hörspiel|

Der Stereoton lässt die Action im Dschungelcamp-Set von Teddy Romero lebendiger wirken. Die Sprecher füllen ihre Rollen als Darsteller von Klischees mit Gusto aus, wobei mir besonders Edda Fischer als teuflische Mary Satana gefiel.

Jede Menge Geräusche sowie die Musik von Ulrich Bassenge tragen dazu bei, eine sehr dichte akustische Präsentation zu bilden. Man muss sich als Zuhörer ranhalten, um alles mitzubekommen, deshalb ist ein zweites Anhören sehr empfehlenswert.

|Audio-CD mit 53 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 978-3867172790|
[www.randomhouse.de/hoerverlag]http://www.randomhouse.de/hoerverlag

Riordan, Rick – Fluch des Titanen, Der. (Percy Jackson 3) (Lesung)

_|Percy Jackson|_:

1) „Diebe im Olymp“
2) [„Im Bann des Zyklopen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7273
3) _“Der Fluch des Titanen“_
4) „Die Schlacht um das Labyrinth“
5) „Die letzte Göttin“
6) „The Demigod Files“ (noch ohne dt. Titel)

_Aufstand der Monster: Heroen auf Rettungsmission_

Die Götter des Olymp befürchten das Schlimmste, denn die Titanen rüsten zum Krieg! Percy und seine Freunde müssen bis zur Wintersonnenwende die Göttin Artemis (= Diana) befreien, die in die Klauen der finsteren Mächte geraten ist. Dabei müssen sie gegen die gefährlichsten Monster der griechischen Mythologie antreten – und geraten selbst in tödliche Gefahr. Aber mit Percy haben die Titanen nicht gerechnet. Dabei weiß doch inzwischen jeder, dass er mit allen Wassern gewaschen ist – schließlich ist er der Sohn des Poseidon, des Meeresgottes! (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Rick Riordan war viele Jahre lang Lehrer für Englisch und Geschichte. Mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen lebt er in San Antonio, Texas, und widmet sich ausschließlich dem Schreiben. „Percy Jackson. Diebe im Olymp“ ist sein erstes Buch für junge Leser. Dessen Verfilmung mit Pierce Brosnan und Uma Thurman lief ab 11. Februar 2010 in deutschen Kinos.

_Der Sprecher_

Marius Clarén, 1978 in Berlin geboren, ist Synchronsprecher, -autor und –regisseur. Er lieh seine Stimme Tobey Maguire, Chris Klein und Jake Gyllenhaal sowie vielen mehr.

Regie führte Kati Schaefer, die Aufnahme bei soundcompany audiopost erledigte Oliver Schmerwitz, die Musik steuerte Andy Matern bei. Clarén liest eine von Kai Lüftner bearbeitete Fassung.

_Handlung_

Sechs Monate nach den turbulenten Ereignissen in „Im Bann des Zyklopen“ besuchen Percy Jackson, seine Freundin Annabeth Chase und Thalia, die Halbbluttochter von Obergott Zeus eine neue Schule. Nur mal reinschnuppern, wie denn Westover Hall denn so ist. Am der Meeresküste gelegen, erhebt sich die Schule wie eine Ritterburg vor dem Hintergrund eines Waldes. „Das soll ein Internat sein?“, zweifelt Thalia, die jahrelang als Fichte das Camp Halfblood beschützte und nun wie ein rotzfrecher Goth-Punk gekleidet ist. Aber Percys Freund Grover, der Satyr, hat ihnen von hier aus einen telepathischen Hilferuf geschickt.

Drinnen spürt Percy, dass Gefahr droht. Dr. Thorn, der stellvertretende Schulleiter, und Miss Gottschalk begrüßen die Besucher. Doch Grover führt sie weiter in die Turnhalle, wo ein Ball stattfinden soll. Grover hat zwei Halbblute entdeckt, Bianca und Nico DeAngelo. Sie wissen nichts von ihrem Schicksal. Allerdings lässt Dr. Thron Grover nicht an die beiden heran. Er ist ein Monster. Aber was für eines?

Zur Ablenkung tanzen die Besucher miteinander, doch dann merkt Percy, dass die beiden DiAngelos verschwunden sind. Er eilt ihnen nach und zieht Springflut, sein als Kugelschreiber verkleidetes Schwert. Als er sie findet, überrascht ihn Dr. Thorn von hinten, der Perseus sofort erkannt hat. Ein vergifteter Dolch hat Percys Schulter durchbohrt, abgefeuert von Thorns Mähne: Er ist ein Mantikor, eine Schimäre aus Löwenhaupt und -leib, Stachelrücken und Skorpionschwanz – überaus gefährlich!

Während Thorn in den Wald auf eine Lichtung geht, nimmt er Percy und die zwei Halbblute mit. Ein Helikopter soll „das Paket“ abholen. Mit wem steckt er unter einer Decke – mit Luke, dem Verräter? Nein, es sei ein „General“. Thorn frohlockt, das „Beben der Monster“ stehe kurz bevor, und das größte von allen, Chronos, werde schon bald kommen, um den Olymp zu zerstören.

Da endlich eilen Annabeth, Athenes Tochter, und Thalia mit ihrem Schild herbei und wehrt Thorns Skorpionstachel ab. Grover bläst sein magische Flöte Syrinx, als plötzlich ein Jagdhorn erschallt! Ein silberner Pfeil trifft Thorns Schulter, weitere folgen. Die Schützinnen stellen sich als junge Mädels zwischen zehn und 14 Jahren heraus, die von Artemis, der Göttin der Jagd, angeführt werden. Annabeth springt auf das Monster, welches Reißaus nimmt und sich von der Klippe ins Meer stürzt. Von Annabeth ist nur ihre Tarnkappe zurückgeblieben, die Percy an sich nimmt. Wird er sie je wiedersehen?

_Mein Eindruck_

Wird Percy seine Freundin jemals wiedersehen? Aber klar doch. Allerdings sehr weit entfernt, in San Francisco. Dort findet der fulminante Showdown statt. Doch der Reihe nach. Vorerst geht es um die beiden Quasi-Findlinge Bianca und Nico DiAngelo. Bianca schließt sich der Göttin Artemis und ihren Mädchen an. Das heißt, sie muss zwar Sex mit Männern für alle Zeit entsagen (aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten) und Jungfrau bleiben, aber dafür erhält sie Unsterblichkeit, was auch ganz nett sein kann.

Beide werden in Camp Halfblood dem Ausbildungsleiter Chiron, dem Zentauren, und Mr Dee, dem Gott Dionysos, vorgestellt, der hier den Laden schmeißt. (Das Zwischenspiel mit König Tantalus als Chirons Ersatz hat ja nicht so gut funktioniert.) Im Camp hat jede Partei ihre eigene Hütte. Kommuniziert wird via Iris-Regenbogen, den man mit einer magischen Drachme herbeiruft: hypermodernes Pay-Videofon. So weiß Percys Mom Sally, wo sich ihr Sprössling aufhält.

Allerdings erreichen schon bald schlechte Nachrichten das Camp. Denn die Gegenseite bleibt ja nicht untätig. Mit dem Camp-eigenen Orakel erhält man eine Art Regieanweisung für die nächste Mission, allerdings ist diese Weissagung derart verschlüsselt, dass sich jeder angesprochen fühlen kann. Fünf sollen gen Westen gehen, drei Mädchen der Artemis und zwei weitere. Und sie haben bloß fünf Tage Zeit, denn zur Wintersonnenwende ist großer Götterrat, bei dem Artemis nicht fehlen darf! Erst als eines dieser Mädchen ausfällt, wird Percy ins Team aufgenommen, das eindeutig von Zoe Nachtschatten, der Leutnantin der entführten Artemis, angeführt wird.

Wie Percy nach und nach herausfindet, etwa durch Träume, hat es mit Zoe eine ganz besondere Bewandtnis, die für den Handlungsverlauf entscheidend ist. Sie ist eine der vier Töchter des Atlas, der bekanntlich das Himmelsgewölbe trägt. Sie lebte einst in den Gärten der Hesperiden, welche sich in der Gegend von Gibraltar befunden haben dürften. In diesen Gärten wuchsen sie die süßesten Äpfel, die man sich vorstellen kann – und sie waren den Sterblichen selbstredend verboten. Der Drache Ladon bewachte sie, dessen Biss giftig war. Allerdings zählte es zu den zwölf Aufgaben des Herakles / Herkules, diese Äpfel zu besorgen. Dummerweise kriegte er Zoe rum, ihm zu helfen, und damit fing der Ärger an …

Da Rick Riordans Götter mit zu unserer Welt gehören, finden sich ihre Aufenthaltsorte in diversen Gegenden in und um die Vereinigten Staaten herum – es sind recht amerikanische Götter. Aber auch die Feinde dieser Olympier schicken sich an, Amerika zu erobern. Die Invasion beginnt in San Francisco, genauer gesagt: Am Berg der Verzweiflung, der uns als Mount Tamalpais bekannt ist. Hier findet der Showdown statt, denn Atlas, Luke und der ganze Monsterverein der Titanen haben recht fiese Dinge vor. Können ihnen Percy und seine Freunde die Suppe versalzen? You bet!

Von allen Monstern gefiel mir der Riese Talos am besten. Mindestens 20 Meter hoch, ist er das mechanische Geschöpf des göttlichen Schmiedes Hephaistos. Doch er taucht mitten auf einem Schrottplatz in der Wüste von Arizona auf, und die Flucht vor ihm bzw. der Kampf gegen seine Hiebe sind eines der aufregendsten Kapitel der Handlung. Es ist zwar Percy, der auf den Trichter kommt, wie man den mechanischen Mann stoppen könnte, doch es ist Bianca, die Neue, die dies auch in die Tat umsetzt. Als sie nicht wiederkehrt, fragt sich Percy bange, wie er dies ihrem Bruder nur beibringen soll – der hatte ihn ja extra um Biancas Schutz gebeten.

Es gibt aber auch eine wirklich traurige Sterbeszene am Ende des Finales. Nichts weiter darf darüber verraten werden, doch nichts war in der Serie bislang so bewegend und anrührend. Hier bietet der Autor die Kraft der griechischen Tragödie auf, um eine feine Aussage zu machen. Wer einen Fehler macht, wird dafür bezahlen – okay, aber es kommt auf den richtigen Moment und Zweck dafür an. Ein Opfer darf niemals umsonst sein.

Witzig ist hingegen der Auftritt von Annabeths Dad. Professor Chase ist Militärhistoriker und besitzt Unmengen von Zinnfiguren und Kriegsspielzeug. Kein Wunder also, dass er es mit der martialisch gerüsteten Göttin Athene getrieben hat. Aber der Prof hat auch seinen eigenen Doppeldecker aus dem Ersten Weltkrieg in der Garage stehen. Und mit dieser Sopwith Camel greift er in den finalen Kampf um Atlas, Artemis und die anderen am Berg der Verzweiflung ein.

Hier treffen wir Luke wieder, den Sohn des Hermes, der den Titanen Chronos ins Leben rufen will, um die Olympier zu stürzen. Weil er dessen Sarkophag mit sich herumschleppt, leidet er unter dem titelgebenden „Fluch des Titanen“: die rapide Alterung. Er baggert seine alte Flamme Thalia an, sich ihm anzuschließen und den Olympiern einen Tritt in den Hintern zu verpassen. Wird Thalia ihrem eigenen Daddy, nämlich Zeus, solch einen Tritt verpassen wollen? Wollens nicht hoffen.

_Der Sprecher_

Marius Clarén verfügt als Sprecher über einige erstaunliche Fähigkeiten, die ich der Reihe nach vorstellen will. Zunächst charakterisiert er jede Figur durch eine eigene Ausdrucksform. Percy Jacksons Tonlage entspricht der deutschen Stimme von Tobey Maguire, wie wir sie aus den Spider-Man-Filmen kennen. Der junge Held ist uns also schon mal ziemlich sympathisch, muss aber zahlreiche Prüfungen bestehen. In Camp Halfblood sagt Annabeth gleich zu ihm: „Du sabberst im Schlaf.“ Na, wenn das nicht eine nette Begrüßung ist! Offenbar mag sie ihn.

Ganz anders hingegen sein Freund Grover, der junge Satyr. Schwere Proben muss der Ärmste bestehen, ist er doch Percys Hüter. Seine Redeweise ist entsprechend unsicher und wiederholt etwas mitleiderregend. Aber man kann nicht böse auf ihn sein, denn Ziegenfüßer haben’s auch nicht leicht.

Alle seine weiblichen Figuren sprechen selbstredend in einer höheren Tonlage als die männlichen Vertreter, so etwa auch Annabeth und die wirklich verführerische Aphrodite. Die männlichen Erwachsenen wie Zeus, Poseidon und vor allem der Mantikor Dr. Thorn wirken durchweg furcht- und respekteinflößend, von General Atlas ganz zu schweigen.

Natürlich werden alle Stimmen der jeweiligen Situation angepasst. Da rumpeln diverse Ungeheuer, sodass man sich über Abwechslung wirklich nicht beschweren kann. Alles in allem sorgen all diese Klangfarben für einen sehr lebhaften Vortrag, an dem Kinder und Jugendliche ihre helle Freude haben werden.

|Musik|

Einen Serien-Jingle wie früher gibt es nicht mehr. Vielmehr erklingt gleich die Hintergrundmusik, die im Intro und Outro eingespielt wird. Nach einem Auftakt mit Harfe und tiefer Trommel setzen die Streicher ein, sodass eine recht mystische Stimmung entstehen kann.

Geräusche gibt es leider keine, sodass man sich jederzeit voll auf den Vortrag des Sprechers konzentrieren kann. Ein paar Soundeffekte hätten aber vielleicht nur gestört.

Die Zusatzinformationen, die bislang im Booklet abgedruckt waren, gibt es jetzt nicht mehr. Offensichtlich muss Lübbe Audio sparen.

_Unterm Strich_

Diesmal benutzt der Autor die Abenteuer des Herakles als Folie für manche Begegnungen, die Percy hat. Herakles war in den Gärten der Hesperiden (= die im Westen wohnen), und im nächsten Abenteuer darf Percy die Ställe des Augias ausmisten. Für Antike-Kenner sind dies alles natürlich olle Kamellen, aber für sie wurden diese Bücher nicht geschrieben. Sondern vielmehr für amerikanische Schüler, die von der Antike keine Ahnung haben – aber zumindest welche haben sollten.

Die Mädchen der Artemis sind ein interessantes Motiv. Die Vorstellung, dass sich junge Mädchen als Jägerinnen betätigen und zu eigenen Cliquen aus Jungfrauen zusammenschließen könnten, ist ja in der patriarchalischen amerikanischen Gesellschaft nicht unbedingt selbstverständlich. Was würde denn dann aus dem Nachwuchs werden? Gar nichts nämlich.

Man könnte einwenden, dass hier die griechische Sagenwelt doch stark amerikanisiert worden sei, aber das muss auch so sein, um sie überhaupt der Moderne näherbringen zu können. Harry Schotter hat sicherlich Pate gestanden und vielleicht auch Bilbo Beutlin, aber der Rest liest sich wie eine Mischung aus „Nachts im Museum“, Odyssee und Monsterjagd. Wer seine „Odyssee“ (und womöglich sogar die „Ilias“) kennt, dem wird hier so manches Ungeheuer recht bekannt vorkommen. Zum Glück hat der Autor jedes vermenschlicht und modernisiert, sodass jeder heutige Hörer etwas damit anfangen kann.

Ansonsten geht der Krieg der Titanen gegen die Olympier weiter, quasi als Remake der vor Urzeiten unternommenen und gescheiterten Rebellion. Doch es regen sich Ungeheuer, die viel älter sind als Titanen und Olympier, und denen wird Percy in seinem nächsten Abenteuer begegnen.

|Das Hörbuch|

Der Sprecher Marius Clarén hat sich wahrlich ins Zeug gelegt, um sein jugendliches Publikum mit einer Vielzahl von Stimmen zu unterhalten. Die damit zum Leben erweckten Figuren sind leicht unterscheidbar und bereiten obendrein einigen Spaß. Geräusche und Hintergrundmusik würden nur von den Dialogen ablenken.

|4 Audio-CDs
Spieldauer: 272 Minuten
Gelesen von Marius Clarén
Originaltitel: Percy Jackson and the Olympians: The Titan’s Curse (2007)
Aus dem US-Englischen übersetzt von Gabriele Haefs
ISBN-13: 978-3785744437|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

Ellery Queen – Sherlock Holmes und Jack the Ripper

Queen Holmes Ripper 1989 Cover kleinIm Herbst des Jahres 1888 kreuzen sich in London die Wege von Meisterdetektiv Sherlock Holmes und Serienmörder Jack the Ripper. Holmes stellt seinen Mann, aber hat er wirklich den Richtigen erwischt? Fast acht Jahrzehnte später kommen dem berühmten Kriminalschriftsteller und Amateur-Ermittler Ellery Queen im fernen New York ernste Zweifel, und er rollt den Fall noch einmal auf … Eines der berühmtesten Sherlock-Holmes-Pastiches überhaupt, in Wort und Stimmung das Vorbild treffend, aber trotzdem eher mittelmäßig und vor allem mit überflüssigen Rahmenhandlung.
Ellery Queen – Sherlock Holmes und Jack the Ripper weiterlesen

Licia Troisi – Das Siegel des Todes (Die Schattenkämpferin 2)

Die Schattenkämpferin-Trilogie:

Band 1: „Das Erbe der Drachen“
Band 2: „Das Siegel des Todes“
Band 3: „Der Fluch der Assassinen“

Story:

Nach ihrer Flucht aus dem Verlies der Gilde reisen der Magier Lonerin und die von einem bösartigen Fluch gezeichnete Dubhe über die Grenzen der Aufgetauchten Welt, um den verschollenen und schon für tot erklärten Magier Sennar aufzuspüren. Der Gatte der legendären Drachenkämpferin Nihal soll einerseits dabei unterstützen, die finsteren Pläne des tyrannischen Königs Dohor zu durchkreuzen, andererseits aber auch das Siegel brechen, welches Dubhe von Zeit zu Zeit in eine Bestie verwandelt und sie in einen unkontrollierten Blutrausch treibt. Doch die Reise des ungleichen Duos ist nicht nur von den natürlichen Hindernissen der fremden Welt beeinträchtigt; auch die Ausgesandten der Assassinen sind stets im Nacken der Flüchtigen und wollen Dubhe, ihr Wissen und ihr Geheimnis vor dem Rat schützen. Unter der Führung der kompromisslosen Rekla reist ein ausgewählter Trupp der Meuchelmörder hinter Lonerin und Dubhe – und bringt das Duo immer näher an den Rand des Todes.

Licia Troisi – Das Siegel des Todes (Die Schattenkämpferin 2) weiterlesen

Richard Ellis – Seeungeheuer. Mythen, Fabeln und Fakten

In den Tiefen der Meere existieren unglaubliche Kreaturen. Autor Ellis trennt Sagenhaftes und Reales, erzählt von einer Vergangenheit, die sich ihre Ungeheuer schuf, und stellt exemplarisch merkwürdige Wesen vor, die alles andere als ungeheuerlich sind. Ellis schreibt fabelhaft, man folgt ihm gebannt – und viele Bilder gibt es auch: ein Sachbuch der Sonderklasse!
Richard Ellis – Seeungeheuer. Mythen, Fabeln und Fakten weiterlesen

S. J. Watson – Ich. Darf. Nicht. Schlafen

_Die Handlung:_

Ohne Erinnerung sind wir nichts. Stell dir vor, du verlierst sie immer wieder, sobald du einschläfst. Dein Name, deine Identität, die Menschen, die du liebst – alles über Nacht ausradiert. Es gibt nur eine Person, der du vertraust. Aber erzählt sie dir die ganze Wahrheit? Als Christine aufwacht, ist sie verstört: Das Schlafzimmer ist fremd, und neben ihr im Bett liegt ein unbekannter älterer Typ. Sie kann sich an nichts erinnern. Schockiert muss sie feststellen, dass sie nicht Anfang zwanzig ist, wie sie denkt, sondern 47, verheiratet und seit einem Unfall vor vielen Jahren in einer Amnesie gefangen. Jede Nacht vergisst sie alles, was gewesen ist. Sie ist völlig angewiesen auf ihren Mann Ben, der sich immer um sie gekümmert hat. Doch dann findet Christine ein Tagebuch. Es ist in ihrer Handschrift geschrieben – und was darin steht, ist mehr als beunruhigend. Was ist wirklich mit ihr passiert? (Verlagsinfo)

_Mein Eindruck:_

Beim Klappentext fühlte ich mich sofort an die Filme „Memento“ und „50 erste Dates“ erinnert. Dennoch war ich interessiert, weil ich auf diese Thematik schon länger nicht mehr gestoßen bin und sehen wollte, wie der Autor sie in seinem Erstlingswerk angeht. „Memento“ hat er nach eigenen Angaben tatsächlich gesehen, aber seine Inspiration zu dem Buch kam durch eine tatsächliche Geschichte, von der er gelesen hatte. Ein Mann hatte nach einem chirurgischen Eingriff, der seine Epilepsie heilen sollte, die Fähigkeit zur Erinnerungsbildung verloren.

Ich hätte nicht erwartet, dass mich die Geschichte, bei dieser recht simplen Prämisse, so stark in seinen Bann ziehen würde. Vor allem tat sie das unglaublich schnell. Wenn ich die Buchausgabe vor mir gehabt hätte, dann hätte ich mein Lesetempo stetig gesteigert, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht und vor allem, wie es überhaupt zu der Amnesie gekommen ist.

So war ich Andrea Sawatzki ausgeliefert und das war ich gern. Schon mit den ersten Sätzen hatte sie mich an die Geschichte gefesselt. Verstört, verängstigt, verärgert, verzweifelt, verwirrt … die Sprecherin transportiert die Gefühle der Protagonistin von der ersten Sekunde an perfekt ins Ohr des Hörers. Die Leinwand im Kopfkino wird hell und die Spannung lässt den Hörer nicht mehr los.

Die Geschichte ist in drei Teile aufgesplittet, alle werden aus Sicht von Christine erzählt, sodass der Hörer auch nicht mehr weiß als sie. Der erste Teil spielt im Jetzt, direkt nachdem Christine (mal wieder) ohne Erinnerung an die letzten Jahre aufgewacht ist und befasst sich mit ihren ersten verwirrten Stunden in einem Leben und einem Körper die ihr fremd sind. Das dauert etwa 50 Hör-Minuten. In den nächsten Stunden bekommen wir 14 Tage aus ihrem Tagebuch erzählt, das sie für sich selbst angelegt und vor ihrem Mann versteckt hat. Wieso sollte sie das tun? Das fragt sich nicht nur der Hörer, sondern sie sich auch selbst! Mit dem Wissen des Tagebuchs gehts dann für den Hörer und die Protagonistin wieder zwei Stunden lang zurück ins Jetzt und in den Endspurt, der vor Spannung kaum zu ertragen ist.

Ich hatte erwartet, dass der Tagebuch-Teil ein wenig langweiliger wird, grad, weil er so lang ist. Aber im Gegenteil. Das Tagebuch wird von Andrea Sawatzki genauso spannend gelesen wie der Jetzt-Teil. Immer wenn sich ein Hauch von Langeweile einschleichen will, wirft der Autor ein Info-Bröckchen ins Ohr des Hörers und schon ist die Spannung wieder auf 100%. In keiner Sekunde ihres Vortrags hat der Hörer einen Zweifel daran, dass hier die Frau spricht, die immer und immer wieder ihr Gedächtnis verliert. Beängstigend gut schafft Sawatzki es, nicht nur die Verwirrung, sondern auch die immer weiter ansteigende Spannung und innere Unruhe authentisch und lebendig zu erhalten und gemäß der Vorlage sogar weiter zu steigern..

|Der Erfolg des Erstlings:|

Dieses Buch ist das Produkt eines Autoren-Kurses „Wie man ein Buch schreibt“. Den hatte der Autor im Jahr 2009 besucht. Am letzten Abend des Kurses traf er auf eine Literaturagentin und der Rest ist Erfolgsgeschichte. Mittlerweile sind die Rechte an dem Buch nicht nur in 37 Länder verkauft worden, sondern die Filmrechte auch an den bekannten Regisseur Ridley Scott. Die Dreharbeiten sollen noch dieses Jahr beginnen.

_Der Autor:_

S. J. Watson wurde in den Midlands geboren, lebt in London und hat viele Jahre für den staatlichen britischen Gesundheitsdienst (NHS) gearbeitet. 2008 wurde S. J. Watson in das Studienprogramm Kreatives Schreiben der Faber Academy aufgenommen. „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ erscheint weltweit in über 30 Sprachen. (Verlagsinfo)

_Die Sprecherin:_

Andrea Sawatzki begeistert ihr Publikum mit Filmen wie „Das Experiment“ oder „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“. 2005 erhielt sie den Adolf-Grimme-Preis für Ihre Rolle als Tatort-Kommissarin. Ihre einzigartige Stimme, für die sie 2009 mit dem Deutschen Vorlesepreis ausgezeichnet wurde, hat sie bereits vielen Hörbuchbestsellern geliehen. (Verlagsinfo)

_Die Ausstattung:_

Das Hörbuch hat ein schlichtes blaues Cover mit einem gebogenen Schriftzug, neben dem ein dicker Falter abgedruckt ist, der an „Das Schweigen der Lämmer“ erinnert. Die CDs, die in einem dicken Jewel-Case stecken, sind mit dem gleichen Blau bedruckt, aber ohne zusätzliches Bild. Im Inneren finden wir ein Tracklisting mit den Titeln der Buchkapitel und den entsprechenden Tracks der CDs. Ein Booklet gibt es nicht. Stattdessen hat der Verlag ein dickes Verlagsprogramm mit in die Box gelegt.

Auf der Rückseite der Box finden wir noch Bilder von Autor und Sprecherin und ein paar Infos zu ihnen.

_Mein Fazit:_

Eine einfache Grundidee, überragend spannend erzählt. Gepaart mit einer beängstigend guten Sprecherleistung fesseln Autor und Sprecherin den Hörer gnadenlos an die Geschichte, die genialerweise in gut acht Stunden keinen Funken Langeweile aufkommen lässt. Stattdessen wird der Spannungsbogen immer weiter gespannt. Selten habe ich meinen Alltag für ein Hörbuch so stark eingeschränkt, weil ich unbedingt weiterhören musste.

|6 CDs mit 87 Tracks
Spieldauer: 7:48 Std.
Gelesen von Andrea Sawatzki
Originaltitel: Before I Go To Sleep
ISBN-13: 978-3839811054|
[www.argon-verlag.de]http://www.argon-verlag.de

Bell, Alden – Nach dem Ende

_Das geschieht:_

Temple ist etwa 16 Jahre alt; genau weiß sie es nicht, denn ein Familienleben hat sie nie kennengelernt. Vor einem Vierteljahrhundert kamen die Toten aus ihren Gräbern zurück. Das anschwellende Heer nie schlafender, stets hungriger Zombies hat weltweit die Zivilisation zusammenbrechen lassen.

Auch die USA gibt es nicht mehr. Festungsgleich gesicherte Lager sind über den nordamerikanischen Kontinent verstreut und bieten den wachsamen Lebenden einen nie wirklich sicheren Unterschlupf. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität schwindet, denn die Zombies haben gelernt, nicht nur Menschen, sondern auch Tiere zu jagen. Selbst untote Kannibalen gibt es inzwischen, sodass ein Aushungern der lebenden Leichen unmöglich ist.

Durch diese postapokalyptische Welt zieht Temple. Sie kennt keine Welt ohne Zombies und weiß sich auch gegen marodierende Plünderer zur Wehr zu setzen. Temples aktuelles Problem heißt Moses Todd, dessen Bruder Abraham sie töten musste, als der sie vergewaltigen wollte. Moses will Rache und jagt Temple, die inzwischen nicht mehr allein reist: Unterwegs hat sie den geistig zurückgebliebenen Maury aufgelesen, den sie zu seinen Verwandten nach Texas bringen will.

Die Fahrt wird zur Odyssee. Temple lernt Menschen und Mutanten kennen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Belagerung durch die Untoten arrangiert haben. Trotz der Zombies rührt sich Leben in den Ruinen. Temple fühlt sich trotzdem nirgendwo heimisch, denn sie kann und will sich nicht unterordnen. Also zieht sie weiter durch eine Nation, die den Untoten gehört und von der Natur zurückerobert wird. Ihrer Fährte folgt unerbittlich Moses Todd. Mehrfach kreuzen sich ihre Wege, bis sie sich eines Tages im letzten Duell gegenüberstehen …

|Alles zurück auf Start|

Die Zombies sind gekommen und haben die USA, wie man sie kannte, vernichtet. Womöglich muss man ihnen dankbar sein, haben sie doch Schluss gemacht mit einer Nation, die ihren Traum und ihr Selbstverständnis als |God’s Own Country| längst verloren hatte.

So sieht es jedenfalls Alden Bell alias Joshua Gaylord, dem deshalb der Einfall kam, die Zombies loszulassen, um die USA zurück dorthin zu führen, wo ihr Aufstieg begann. Nun herrscht Tabula rasa, es ist wieder möglich, eine neue Welt zu errichten! „Go West, Young Man!“, hieß es einst, aber jetzt sind die Voraussetzungen noch besser: Wackere US-Amerikaner mit Pionierblut in den Adern können praktisch in jede Richtung gehen und den Neubeginn versuchen.

Obwohl die Untoten weiterhin in dreistelliger Millionenzahl durch die Landschaft schlurfen, haben sich in der Tat bereits die Keimzellen eines neuen Amerika gebildet. Die Lethargie einer überzivilisierten Volksgemeinschaft wurde abgeschüttelt, wobei natürlich hilfreich war, dass die Zombies die meisten Bürger der ‚alten‘ USA abschlachteten – ein zu verschmerzender Verlust, was Bell lieber nicht ausspricht, denn es überlebten die Harten & Starken, die in die Hände spuckten und nicht einen Kampf fortsetzten, der nicht zu gewinnen ist, sondern den Wiederaufbau in Angriff nehmen.

|Die Zombies sind halt da|

Nach einem Vierteljahrhundert des Schreckens, beginnt sich das Gleichgewicht der Welt einzupendeln. Die frenetischen Versuche der US-Regierung, die Zombies mit militärischen Mitteln zu vernichten, sind fehlgeschlagen. Die Überlebenden dieser und die Angehörigen einer neuen Generation haben eine funktionierende Alternative gefunden: Sie verbarrikadieren sich in Dörfern und Stadtteilen, richten sich ein und drängen die Untoten dann allmählich zurück, wobei sie die ’sicheren‘ Regionen ausweiten. Irgendwann werden die dabei entstehenden Refugien zusammenwachsen, und noch später werden die Menschen zu einer neuen Nation zusammenfinden, die hoffentlich die Lehren aus der Apokalypse nicht vergessen und eine neuerliche Degeneration vermeiden wird.

Die Zombies sind in diesem Tableau mehr ein Ärger- als ein Hindernis: Zwar haben sie den Untergang gebracht, aber inzwischen weiß man mit ihnen umzugehen und sie sich vom Leib zu halten. Temple bewegt sich aufmerksam aber nicht ängstlich zwischen ihnen und bereist den Südwesten der USA, ohne sich beißen zu lassen.

Diese Wertung von „Nach dem Ende“ als im Kern recht konservative Lektüre mag den Leser verblüffen. Doch der Rezensent folgt darin dem Verfasser, der in einem Interview ausführlich seine Gedanken zu dieser Geschichte dargelegt hat. Bell nutzt demnach das Horror-Genre, um eine Leserschicht zu finden, die ‚richtiger‘ Literatur oft skeptisch gegenübersteht. Entstanden ist ein Roman, der zwischen trivialer aber spannender Unterhaltung und Mainstream hin und her schwankt.

|Die Kunst im Horror-Mantel|

‚Hohe‘ Literatur arbeitet gern mit Symbolen. „Nach dem Ende“ ist förmlich überladen mit Szenen, die nicht direkt, sondern durch die Entschlüsselung ihres Hintersinns wirken sollen. Dies beginnt schon mit dem sicherlich bedeutungsschwangeren Originaltitel: „Die Schnitter sind die Engel“. Bei nüchterner Betrachtung erzeugen diese Kunstgriffe freilich eher Stirnrunzeln oder Heiterkeit. Schwer lässt Bell Namen wie William Faulkner oder Corman McCarthy fallen, die ihn inspiriert haben, Realismus und Mystizismus zu verquicken, um daraus eine künstlerische Wirklichkeit zu formen.

Deshalb jagen sich Temple und Moses Todd, obwohl sie realiter die einzigen Menschen sind, die einander verstehen. Zwischenzeitlich wirft sie das Schicksal in Situationen, in denen sie sich nicht an die Gurgeln gehen, sondern nur reden können. Dies führt stets zu schwermütigen Disputen über Regeln und Ehre, die vor allem wegen der einfachen aber schönen Worte geführt zu scheinen werden. Ein tiefer Sinn verbirgt sich jedenfalls nicht hinter ihnen.

Dazu passt eine betont einfache, lakonische Sprache, die sich nach dem Willen des Verfassers zudem jenen Regeln entzieht, denen sich Schriftsteller im Druck in der Regel unterwerfen müssen. Wie der verehrte McCarthy setzt auch Bell keine Anführungsstriche. Wörtliche Rede geht im normalen Textfluss unter. Der Sinn bleibt unklar; soll der auf diese Weise ‚entschlackte‘ Text die vom Ballast der Vergangenheit befreite Gegenwart verdeutlichen? Eine Intensivierung des Geschehens will sich allerdings beim Leser dadurch nicht einstellen. Ob es daran liegt, dass Bell kein McCarthy oder gar Faulkner ist?

|Auch metaphorische Zombies beißen|

Am besten funktioniert „Nach dem Ende“ als simple Horror-Story. Bell hat die trivialliterarischen und filmischen Vorbilder durchaus verstanden. Stephen King und Peter Straub erweist er seinen Respekt. Die Schilderungen einer in der Katastrophe untergegangenen Hochkultur sind eindrucksvoll. Schutt und Fäulnis, aber auch die Schönheit einer sich regenerierenden Natur stellt Bell – in der deutschen Romanfassung gut unterstützt durch seinen Übersetzer – erschreckend und faszinierend dar.

Temple ist eine gelungene Figur – das Pendant zum unsteten Cowboy des Wilden Westens, für den immer hinter dem Horizont das Gras ein wenig grüner war als unter seinen Füßen. Sie will und kann sich nicht in die neu entstehenden Gemeinschaften – die ihrerseits stark den Forts und Kleinstädten des 19. Jahrhunderts ähneln – einfügen, sondern reist durch die von Bell präsentierte Gegenwart, die ihr Respekt einflößt aber keine Angst einjagt. Sie hat sich arrangiert und weiß sich ihrer Haut zu wehren. Folgerichtig werden nicht die Untoten ihr Verhängnis, sondern ihr Drang zu suchen und ihre Unfähigkeit zu finden.

Die Zombies sind Bell vor allem Mittel zum Zweck. Sie taugen dafür, denn auch Bells Untote sind geistlose, instinktgesteuerte Menschenfresser. Eine innere Tragik besitzen sie nicht, weshalb sie primär hässlich und latent gefährlich sind. Bell inszeniert sie als traurige Wiedergänger einer versunkenen Ära, deren Handlungen und Gesten sie noch immer sinnlos imitieren.

|Der Horror setzt sich durch|

Mehrfach greift Bell auf Klischees zurück, denen er nicht wie vorgesehen neues oder echtes Leben einflößen kann. Die in den erstarrten und sinnlosen Ritualen einer vornehmen Vor-Zombie-Ära gefangene Südstaaten-Familie Grierson, die den zum Untoten gewordenen Vater im Keller hält und dies als „Krankheit“ tarnt, ist in so vielen Gruselgeschichten und Filmen zum Einsatz gekommen, dass diese Szenerie längst jeden ihr innewohnenden Schrecken verloren hat.

Gänzlich aus dem literarischen Rahmen fällt die Hillbilly-Sippe, die Zombie-Hirne auspresst, um sich den Sud in die Venen zu spritzen. Die so ‚Behandelten‘ mutieren zu Mischwesen, die sogar noch scheußlicher als die ’normalen‘ Untoten sind, aber ihren Verstand behalten haben, den sie freilich nur einsetzen, um ein „sauberes“ Amerika zu gründen. Auch diese Szenen sind reiner Horror – plakativ und sogar komisch. Womöglich sollen sie es sein, um die steinzeitfundamentalistischen Gruppen der US-Gegenwart ins Lächerliche zu ziehen.

Das Finale ist dramatisch und selbstverständlich traurig. Ihm folgt noch eine letzte metaphysische Reise an die Niagara-Fälle, die einmal mehr nur den Literaten erschüttert, während der hartgesottene Horrorfreund – keineswegs grundlos – nach dem Warum fragt. Doch trotz dieser Einschränkungen liest sich „Nach dem Ende“ unterhaltsam, zumal Bell seine Geschichte nicht in die Länge zieht, die auf jeden Fall spannend ist und hoch über Dummfug à la „Stolz und Vorurteil und Zombies“ schwebt.

|Autor|

„Alden Bell“ ist das Pseudonym von Joshua Alden Gaylord, geboren in Anaheim im US-Staat Kalifornien, aufgewachsen in verschiedenen Vororten von Los Angeles und heute ansässig in New York. Gaylord studierte Englische Literatur und kreatives Schreiben an der „University of California“ in Berkeley. Seinen Abschluss machte er 2000 an der „New York University“. Seitdem lehrt er Englisch an einer High School. Seit 2002 ist er zudem außerordentlicher Professor an der „New School“, einer Hochschule in New York City.

Als Schriftsteller trat Gaylord erstmals 2009 in Erscheinung. Unter seinem Geburtsnamen veröffentlichte er den Roman „Hummingbirds“, der in einer Mädchenschule spielt. Auf Anraten seines Verlegers, der fürchtete, Gaylord-Leser könnten mit dem Horror-Szenario des Folgewerks überfordert sein, legte er sich für „The Reapers Are the Angels“ (dt. „Nach dem Ende“) sein Pseudonym zu („Bell“ ist ein historisches Gemeinschafts-Pseudonym der Brontë-Schwestern, das Gaylord adaptierte.)

|Taschenbuch: 317 Seiten
Originaltitel: The Reapers Are the Angels (New York : Henry Holt & Co. 2010)
Übersetzung: Friedrich Mader
ISBN-13: 978-3-453-52833-8

Als eBook: August 2011 (Wilhelm Heyne Verlag)
ISBN-13: 978-3-641-05722-0|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne
[www.joshuagaylord.com]http://www.joshuagaylord.com

Sonnleitner, Marco – Die drei ??? und das Fußballphantom (Band 153)

Im 153. Fall des wohl berühmtesten Jugend-Detektiv-Trios der Literatur, schickte Autor Marco Sonnleitner die drei ??? im Jahre 2010 – wie Titel und Cover unschwer erkennen lassen – mal wieder in Richtung Fußball. Prinzipiell ist „Soccer“ ja eigentlich ein vollkommen unamerikanischer Sport und für so manchen daher in der Serie generell überrepräsentiert. Aber da sie sich seit Beginn der „Neuen Ära“ in den Neunzigerjahren nun einmal fest in deutscher Hand befindet, scheint dies eine der Anleihen zu sein, die der hiesige Markt verlangt – auch wenn die Geschichten weiterhin in den USA spielen. Die dort wesentlich authentischeren Sportarten Foot-, Base- oder Basketball kriegt man dem deutschen Publikum offensichtlich nicht ganz so leicht schmackhaft gemacht. Wie auch immer man dazu stehen mag – letztendlich ist natürlich alles reine Geschmackssache – ist in den letzten paar Jahren allerdings eine bemerkenswerte Häufung von „König Fußball“ bei den Grundthemen der drei ??? zu beobachten.

_Zur Story_

Peters Fußballbegeisterung ist hinlänglich bekannt und als die |Hawks| im Lokal-Derby gegen die |Tornados| antreten, darf der zweite Detektiv bei diesem Spiel nicht fehlen. Selbst Justus, sonst eher der Inbegriff des Ausdrucks „sportfaul“ ist mit ins Stadion gekommen. Allerdings wäre die Alternative Frondienst für Tante Mathilda auf dem Schrottplatz gewesen – dann doch schon lieber Fußball. Bob ist natürlich auch mit von der Partie. Als ihr Handy auf der Tribüne plötzlich klingelt, scheint es als wäre jemand einfach nur falsch verbunden, doch dann stellen die drei mit Erschrecken fest, dass sie hier unfreiwillig in eine Konferenzschaltung zwischen einem Erpresser, der sich „Namenlos“ nennt, und seinem Opfer – vom Erpresser spöttisch „Brainman“ tituliert – gelangt sind. Der Namenlose droht damit den Sohn Brainmans, der offensichtlich grade für eins der Teams kickt, auf dem Platz durch einen Scharfschützen erschießen zu lassen, sollte Daddy das ihm gestellte Rätsel nicht binnen der Spielzeit lösen.

_Eindrücke_

Ob Marco Sonnleitner irgendwie von Echtzeitthrillern – insbesondere „Nicht Auflegen!“ – inspiriert wurde? Der Verdacht liegt jedenfalls recht nahe, denn das grundsätzliche Strickmuster ist eben jenem nicht unähnlich. Zumindest jedoch handelt es sich hier um einen solchen Fall, der weitgehend in Echtzeit abläuft. Durchbrochen wird diese Gangart erst weit am Ende der rasanten Geschichte, wenn die restlichen Puzzleteile in Position fallen und Schlaumeier Justus zum finalen Aufklärungsschlag ausholt. Das wirkt zwar irgendwie etwas inkonsequent, aber innerhalb der vorgegebenen Seitenzahl, der stets 128 Seiten umfassenden Bücher, offenbar wohl nicht anders zu lösen gewesen. Apropos lösen: Schon wieder mal ein Rätsel als Triebfeder. Diese Häufung in letzter Zeit ist eine recht bemerkenswerte wie langweilige Entwicklung – speziell dann, wenn der Leser diesem nicht aus eigenem Antrieb zu folgen vermag, da Orte und Ereignisse, auf die sich der Inhalt der Rätsel bezieht, wenigstens teilweise auf fiktive Orte, Personen und Handlungen verweisen.

Obwohl der Hauptteil der Story, nicht zuletzt dank des begrenzenden Zeitrahmens von 90 Minuten (plus genutzter Nachspielzeit, Verlängerung und Elfmeterschießen), schön flott und spannend voranschreitet, was an sich ja absolut wünschenswert und positiv anzumerken ist, klemmt es – wie so oft – an den Kleinigkeiten, die nicht so recht ins Bild passen wollen. So ist etwa nicht nachvollziehbar, warum ein angeblich so (erfolg-)reicher Geschäftsmann bei seiner eigenen Hausbank nicht kreditwürdig genug ist, einen doch ziemlich lächerlichen Betrag quasi zu überziehen. Gemeint sind aber, neben der doch in einigen Punkten ziemlich übertriebenen und streckenweise sogar sehr unglaubwürdigen Grundgeschichte, auch einige konkretere Recherche- und/oder Logikfehler, wovon sich manche sofort, andere hingegen vielleicht erst später, nach einer kleinen Denkpause, offenbaren. Einige Beispiele gefällig? Bitteschön:

Halbzeit ist beim Fußball nicht nach 90 Minuten (sondern 45 Minuten – S. 22). Es ist zwar theoretisch möglich, einen Sniper auf 2,5 Kilometer Entfernung zum Ziel zu postieren – in der Praxis wäre dies jedoch eine beinahe unmögliche Distanz, welche weltweit vielleicht nur eine Handvoll Scharfschützen beherrschen (S. 26). Zuvor auf Seite 18/19 entweicht dem vom vermeintlichen Sniper getroffenen Ball die Luft, ohne dass er sich dabei bewegt. Das dürfte so nicht hinhauen – zumal das Geschoss aus nächster Nähe aus einer vergleichsweise kleinkalibrigen Waffe abgefeuert wurde, wie sich später herausstellt. Da würde ein prall gefüllter Ball in jedem Fall mindestens ein bisschen wegkullern. Vermutlich reicht unter den gegebenen Umständen nicht einmal die (unterstellte) Aufprallenergie aus, ihn überhaupt zu penetrieren. Das hinge u. a. auch noch stark von der Projektilform ab. Ok, nun hat die Zielgruppe bestimmt keine waffentechnische Ausbildung, sodass dies sicherlich eine pingelige Spitzfindigkeit des ewig nörglerischen Rezensenten darstellt. Aber: Physik bleibt eben Physik.

_Fazit_

„Schon wieder Fußball?!“ Gemach. Der Titel des Buches scheint eher darauf abzuzielen das offenbar vorwiegend jugendlich-männliche Publikum anzulocken, denn wie so oft hat er kaum Inhaltsbezug. Der Sport an sich ist eigentlich nur eine kulissenhafte Randerscheinung. Die dahinter tickende, stellenweise arg überzogene Knobel-Schnitzeljagd ist, lässt man die Mobilfunkkomponente einmal außen vor, wenig originell, da – so oder so ähnlich – schon viel zu oft bemüht. Leider, denn die (Echtzeit-)Ansätze, Spannung sowie das Tempo sind durchaus gut, wurden aber in letzter Instanz eben nicht konsequent zu Ende geführt und gedacht. Unterm Strich bleibt eine dennoch gut lesbare Geschichte, bei der man seine Ansprüche an Realismus aber ziemlich herunterschrauben muss: Daumen in die Waagerechte.

|Hardcover: 128 Seiten
Erzählt von Marco Sonnleitner nach Figuren von Robert Arthur
Redaktion: Martina Dold, Martina Zierold
ISBN 978-3440118405|
[www.kosmos.de]http://www.kosmos.de

Mehr als 80 weitere Rezensionen zu den „Drei ???“ findet ihr in unserer [Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Thomas Thiemeyer – David und Juna (Das verbotene Eden 1)

Das verbotene Eden

Band 1: David und Juna
Band 2: Logan und Gwen (2012)
Band 3: -geplant- (2013)

_2080 steht die Menschheit_ kurz vor ihrem Ende. Vor 65 Jahren brachte die Pharmaindustrie einen zunächst harmlosen Virus unter die Menschheit, um mit einem Impfstoff viel Geld zu verdienen. Dieser Impfstoff hatte allerdings verheerende Nebenwirkungen. Männer und Frauen entwickelten einen unbändigen Hass aufeinander und die Zivilisation wie wir sie kennen ist untergegangen.

Thomas Thiemeyer – David und Juna (Das verbotene Eden 1) weiterlesen

RICHELLE MEAD – Feenkrieg (Dark Swan 3)

Das Leben als Herrscherin über ein Feenreich ist nicht einfach. Das hat Eugenie Markham, halb Mensch, halb Fee und im echten Leben Schamanin, mittlerweile schon festgestellt. In Band 3 von Richelle Meads „Dark Swan“-Serie sieht sie sich vor der beinahe unlösbaren Aufgabe, einen großen Krieg zu beenden.

Dabei an ihrer Seite: der intrigante Feenkönig Dorian, ihr ehemaliger Erzfeind und jetzt Geliebter. Gemeinsam überlegen sie, wie sie den Streit mit Königin Katrice für sich entscheiden können. Während Dorian sich nur wenig Gedanken über tote Zivilisten und Soldaten macht, ist Eugenie da wesentlich sensibler.

Als sie eines Tages in der Menschenwelt ihrem Beruf als Schamanin nachgeht und einen Dämon in die Anderswelt verbannt, erscheint ihr ein weiblicher Geist, der ihr seine Hilfe anbietet. Wenn Eugenie herausfindet, wer Deanna umgebracht hat, wird sie sie zur Eisenkrone führen, einem wertvollen Artefakt, das helfen kann, den Konflikt friedlich zu lösen.

Eugenie ist zuerst unentschlossen, ob sie die Krone holen soll. Es fällt ihr schwer zu glauben, dass eine einfache Krone den Kampf beenden kann. Schließlich gelingt es Dorian, sie dazu zu überreden und weil er sie nicht selbst begleiten kann, besteht er darauf, dass sie Kiyo mitnimmt, ihren Exfreund, der sich in einen Fuchs verwandeln kann. Wenig später stellt sich heraus, dass das keine besonders gute Idee war …

Richelle Mead hat mit „Dark Swan“ eine Serie begonnen, die sich vor allem durch die Zielgruppe von ihren wohl erfolgreichsten Büchern, der „Vampire Academy“-Serie, unterscheidet. Während Letztere sich an junge Erwachsene wendet, sind die Geschichten um Eugenie Markham eindeutig an ein älteres Publikum adressiert. Gerade im dritten Band ist der Anteil expliziter Szenen sehr hoch. Zu hoch? Nun, wenn der Rest der Handlung überzeugen würde, wäre der Sex sicherlich nicht das Problem. Leider ist die Geschichte aber nicht gerade spannend. Sie wirkt unstrukturiert und es mangelt am Spannungsaufbau. Statt einem Höhepunkt gibt es mehrere, die nicht sehr geschickt miteinander verbunden sind. Wenn man eigentlich denkt, das Ziel der Geschichte wäre erreicht, taucht plötzlich ein neues Ereignis auf. Die einzelnen Situationen sind aber häufig nicht besonders gut ausgearbeitet. Die Suche nach der Eisenkrone beispielsweise, die eigentlich im Mittelpunkt des Romans steht, erweist sich als kurz und unspektakulär. Stattdessen liegt erhöhter Augenmerk auf Eugenies Liebesleben – leider. In ihrer „Vampire Academy“-Reihe hat die Autorin nämlich gezeigt, dass sie sehr wohl spannende Geschichten schreiben kann.

Die schwache Story wirkt sich negativ auf die Hauptperson aus. In den Vorgängerbänden war Eugenie eine starke Frau, die neben einem harten Alltagsjob auch noch ein hartes Los als unfreiwillige Herrscherin eines Elfenreichs hat. In diesem wirkt sie nun wie der Spielball der beiden Männer, die in der Vergangenheit und Gegenwart um ihre Gunst buhlen. Das Emanzipierte, das sie bisher immer ausgemacht hat, ist etwas zu sehr in den Hintergrund getreten, ihre Entwicklung stagniert.

Da auch der Schreibstil sich kaum von ähnlichen Büchern des Genres abhebt, ist „Feenkrieg“ der bislang schwächste Band der Serie. Die Handlung tröpfelt uninspiriert vor sich hin, die Entwicklung der Protagonistin stagniert. Es bleibt zu hoffen, dass der vierte Band diesen Fauxpas ausbügeln kann.

Broschiert: 300 Seiten
Originaltitel: Iron Crowned
Deutsch von Frank Böhmert
ISBN-13: 978-3802584848

http://www.egmont-lyx.de
http://www.richellemead.com

Andrews, Ilona – Spiegeljagd (Land der Schatten 2)

_|Land der Schatten|_:

Band 1: [„Magische Begegnung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6772
Band 2: _“Spiegeljagd“_

Mit dem zweiten Band von „Land der Schatten“ geht das Autorenduo Ilona Andrews eher ungewöhnliche Wege. In „Spiegeljagd“ steht nicht das Protagonistenpaar aus dem ersten Band im Vordergrund, sondern zwei ganz andere Charaktere. Während der Gestaltwandler William bereits im Vorgänger eine Nebenrolle spielte, ist Cerise ein völlig neuer Charakter.

In der Geschichte gibt es zwei verschiedene Welten: das magische Weird und das der unseren Welt entsprechende Broken. Dazwischen liegt das Edge, ein sehr unwirtlicher Streifen Land, in dem es immerhin ein wenig Magie gibt. Im dortigen Moor lebt die junge Cerise Mar, die neuerdings das Oberhaupt ihrer riesigen, verarmten Familie ist, seit die Spione Louisianas, einem Herzogtum des Weird, ihre Eltern entführt haben.

Der Anführer der Spiongruppe, die auch „die Hand“ genannt wird, ist Spider. Der wiederum ist der Erzfeind von William, dem Gestaltenwandler. Eines Tages bekommt William Besuch von zwei Agenten des Spiegels, dem Geheimdienst Adrianglias, eines weiteren Herzogentums des Weird. Sie wollen, dass er Spider stellt und vernichtet.

Auf seinem Weg ins Edge begegnet er Cerise, ohne zu wissen, dass sie in Spider beide den gleichen Feind haben. Bei ihrer gefährlichen Reise durchs Moor lernen sich die beiden schätzen und lieben …

_Ilona Andrews_ haben mit ihrer „Stadt der Finsternis“-Reihe viele Fans gewonnen. „Land der Schatten“ hat mit dieser nicht viel gemeinsam, sondern spielt vor einer ganz anderen Kulisse und hat auch einen ganz anderen Ton. Die Autoren sagen dazu auf ihrer Website sehr treffend: „Kate Daniels series is about extraordinary people. The Edge is about ordinary people.“. Tatsächlich zeichnet sich die Geschichte durch einen gewissen rauen, hinterwäldlerischen Charme aus. Die Mars, Cerises Familie, sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen mit sehr unterschiedlichen Charakteren und magischen Kräften. Sie sind arm, aber gewieft, ein wenig seltsam, aber trotz allem sehr liebenswert.

William, ein Aussteigertyp, der sich gegen seine eigentliche Herkunft sträubt, passt da perfekt ins Ensemble. Auch er ist sehr originell. Da er sich in einen Wolf verwandeln kann, haftet ihm in Menschengestalt etwas Tierisches an. Dies wissen die Autoren gut herauszustellen und auf witzige Art und Weise einzuarbeiten. Was allerdings negativ auffällt: Die Figurenkonstellation ähnelt, besonders am Anfang, sehr stark der aus dem ersten Band. Junge Frau mit einer großen Last auf den Schultern trifft auf einsamen Wolf und rauft sich mit ihm zusammen. Etwas mehr Kreativität wäre schön gewesen.

Das Gleiche gilt für die Handlung. Diese lebt vor allem von den Reibereien und Liebeleien zwischen Cerise und William. Die eigentliche Storyline ist ein wenig konfus. Es beginnt mit einer Menge Geplänkel. Es wird nicht wirklich klar, worauf die Geschichte eigentlich hinaus möchte. Es gibt eine Menge Nebenereignisse, aber eine konsistente Linie ist nur ansatzweise vorhanden. Das Ende kommt dann sehr rasch und wirkt durcheinander. Bei einem Umfang von über 500 Seiten kommen solche Schwächen deutlich zum Tragen.

Zwei Dinge helfen, die Geschichte trotzdem noch über den Durchschnitt zu hieven. Zum einen ist die Kulisse fantastisch. Das Edge und seine Bewohner werden sehr lebendig und vielschichtig dargestellt. Der raue Charme von Land und Leuten macht Spaß und spiegelt sich auch im humorvollen, aber nicht übertrieben komischem Schreibstil wider, der immer wieder durch skurrile Dialoge und trockene Bemerkungen überrascht.

_“Spiegeljagd“ ist ein Buch_, das man nicht unbedingt gelesen haben muss. Die Handlung überzeugt aufgrund der Ungeordnetheit nur selten, die Geschichte wirkt sehr lang. Wer allerdings den ersten Band gelesen hat oder aus Prinzip Fan von Ilona Andrews ist, wird darüber möglicherweise hinwegsehen können. Figuren, Schreibstil und die herrliche Kulisse sind durchaus Gründe für den Roman.

|Broschiert: 540 Seiten
Originaltitel: Bayou Moon
Deutsch von Ralf Schmitz
ISBN-13: 978-3802583414|
[www.egmont-lyx.de]http://www.egmont-lyx.de
[www.ilona-andrews.com]http://www.ilona-andrews.com

_Weitere Bücher von Ilona Andrews bei |buchwurm.info|:_
[„Die Nacht der Magie (Stadt der Finsternis 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5963
[„Die dunkle Flut (Stadt der Finsternis 2)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=6134
[„Duell der Schatten (Stadt der Finsternis 3)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6289
[„Magisches Blut (Stadt der Finsternis 4)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7002