Niemann, Sebastian (Regie) / Alexander-Burgh, Eberhard (Buchautor) – Hui Buh – Hörspiel zum Film

Seit dem weltweiten Kinoerfolg der Bully-Produktion „Der Schuh des Manitu“ drehen die Medien immer völlig durch, wenn sich ein weiteres Comedy-Megaereignis anbahnt bzw. Herr Herbig wieder in einer solchen Produktion seine Finger im Spiel hat. Nach „Traumschiff Surprise“, der zweiten gefeierten Klamauk-Stafette des beliebten Entertainers, folgt nun drei Jahre später der nächste Film mit Bullys Beteiligung, und wieder ist der Rummel unheimlich groß. Dieses Mal hat man sich jedoch nicht an die Adaption eines cineastischen Kassenschlagers herangewagt, sondern stattdessen die beliebte Hörspiel-Reihe „Hui Buh“ mit einem frechen Kinostreifen bedacht. Parallel zum immer noch sehr angesagten Film erscheint über Hui Buhs Hauslabel |Europa| auch das zugehörige Hörspiel, womit sich der Kreis wiederum schließt.

_Story_

Hui Buh führt auf Schloss Burgeck ein herrliches Leben. Ungestört spukt er innerhalb der märchenhaften Gemäuer, wenn er nicht gerade seinen einzigen Weggefährten, den alten Kastellan, mit seinen Künsten beeindrucken will. Allerdings ist Hui Buh über sein Leben dennoch nicht sonderlich glücklich; zwar ist das Schlossgespenst das einzige seiner Art mit der Lizenz zum Spuken, aber aus unerfindlichen Gründen sind seine Aktionen bislang noch nie gruselig gewesen. Auch wenn der Kastellan sich Mühe gibt, sich von den zahlreichen Manövern des Geistes beeindruckt zu zeigen, erschrocken hat er sich in seiner gesamten Laufbahn als Königsdiener von Burgeck noch nicht.

Als eines Tages König Julius der 111. auf Burgeck auftaucht, ergibt sich für Hui Buh eine neue Chance, endlich doch noch seine Talente unter Beweis zu stellen, zumal das Gespenst überhaupt keine Sympathien für den Monarchen übrig hat. Dieser plant die Verlobung mit der liebreizenden Gräfin Leonora von Etepetete, und das schon bald, doch ausgerechnet das Schlossgespenst macht ihm hier einen Strich durch die Rechnung. Quasi als Racheakt verbrennt Julius die Lizenz seines neuen Feindes, ist sich allerdings nicht bewusst, was er damit anrichtet. Der unheimliche Daalor erscheint nämlich auf Burgeck und bedroht alle Bewohner des Schlosses. Nur mit vereinten Kräften kann es Hui Buh und Julius gelingen, den bösen Kontrahenten abzuwehren. Doch hierzu müssen sie erst einmal ihre Feindseligkeiten dem jeweils anderen gegenüber ablegen …

_Meine Meinung_

Bei der Betrachtung der Schauspieler, die an diesem modernen Märchen Anteil haben, kann man eigentlich schon davon ausgehen, dass die Kinofassung von „Hui Buh“ ein echter Knaller ist. Christoph Maria Herbst, Bully Herbig, Heike Makatsch und nicht zuletzt der mittlerweile verstorbene Hans Clarin haben sich bemüht, dem gruseligen Spaß ihren Stempel aufzudrücken, sind dabei aber leider (zumindest partiell) gescheitert. Nennen wir das grundlegende Problem direkt zu Beginn: „Hui Buh“ ist einfach nicht so lustig, wie man es eigentlich erwartet hätte. Hier ein flotter Spruch, dort ein paar fallende Gegenstände und der leider viel zu klischeegetriebene Aufguss einer „Gut vs. Böse“-Handlung sind die hauptsächlichen Merkmale des düsteren Familienkinos und enttäuschen die sehr hohen Erwartungen dann doch enorm.

Für meinen Geschmack liegt dies vor allem an der fehlenden Harmonie unter den Protagonisten. Damit meine ich jetzt nicht, dass die Schauspieler beim Dreh keinen Spaß hatten, das hatten sie nämlich ganz sicher, sondern eher, dass die Besetzung in dieser Form nicht so recht funktioniert. Zu viele starke Charaktere säumen das Bild, und jeder fordert seine Daseinsberechtigung. So ist die Produktion zum einen sehr stark auf Bully Herbig in der Doppelrolle Balduin/Hui Buh zugeschnitten, will aber auch dem trockenen Humor von Christoph Maria Herbst und dem kessen Auftreten einer Heike Makatsch gerecht werden. Und außerdem sind da ja auch noch Rick Kavanian und die Legende Hans Clarin, die ebenfalls Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Und leider Gottes funktioniert das nicht, wobei ich Herrn Herbst auch für eine Fehlbesetzung halte. Vielleicht sehe ich das zu engstirnig, aber für diesen Schauspieler sind derbe Rollen wie die des Büromiesmachers Stromberg tausendmal besser geeignet als die des jugendlichen Spaßmachers.

Nun, auf jeden Fall hat mich der Film schon im Kino nicht überzeugt, zum einen, weil die Story selbst für die vorgesehene Zielgruppe zu durchsichtig ist, und zum anderen, weil der Geist (nomen est omen) der bekannten Hörspiel-Serie hier in groben Zügen verfälscht wurde. Von der seltsamen Darstellung des Gespenstes mal ganz zu schweigen …

Damit wären wir beim Hörspiel angelangt, bei dem es sich um eine leicht gekürzte Fassung des Films handelt. Der Unterschied besteht hier weitestgehend darin, dass sämtliche Nebenschauplätze der Geschichte entfernt wurden, so zum Beispiel die bildliche Situationskomik oder die für die Entwicklung des Plots eher zweitrangigen Dialoge. Die Handlung wurde in 68 Minuten auf den Punkt gebracht, und dies von dem wunderbaren Erzähler Andreas Fröhlich (z. B. Dialogregie beim „Herr der Ringe“ und dort die Stimme von |Gollum| sowie |Bob Andrews| in „Die drei ???“), der seine Aufgabe hier entgegen des allgemeinen Gesamteindrucks wirklich fantastisch löst.

Ansonsten: Eine durchschnittliche Geschichte kann man kaum dadurch aufwerten, dass man sie kürzt, und da man im Film zumindest noch mal lachen durfte, wenn Hui Buh in alberner Manier durchs Bild huschte, gehen auch noch die wenigen wirklich guten Lacher verloren. Zurück bleibt lediglich eine sehr künstlich aufgebauschte, nicht allzu spektakuläre Geschichte, die auch von den großen Namen nicht gerettet werden kann. Gerade im Hinblick auf Bullys letzten beiden Leinwand-Volltreffer ist dies hier eine einzige Enttäuschung, bei der ich mir selbst beim ganz jungen Publikum vorstellen kann, dass sie nicht wirklich ankommt.

Schade drum, denn das Hörspiel ist an sich gut aufgemacht, enthält ein paar kurze Hintergrundinfos zu den einzelnen Figuren und fängt zumindest die Atmosphäre prima auf. Aber ebenso wenig wie Hui Buh zu spuken vermag, haut der Inhalt einen um. Weder im Kino noch auf dem silbernen Datenträger.

http://www.natuerlichvoneuropa.de/

Graf, Ric – iCool. Wir sind so jung, so falsch, so umgetrieben

Jedes Jahr beglückt uns die deutsche Literaturlandschaft mit einem neuen Gesicht in den Zwanzigern. Was mit Alexa Hennig von Lange und Benjamin von Stuckrad-Barre Ende der Neunziger seinen Anfang nahm, ist Leserealität geworden. Die jungen Wilden bestechen immer mit frechen Büchern zu letztendlich belanglos gewordenen Themen. Sie wecken auch Hoffnungen, die dann bitter enttäuscht werden. Erinnert sich noch jemand an Benjamin Lebert?

Ein ähnliches Buch wie dessen „Crazy“ hat jetzt ein einundzwanzigjähriger Berliner geschrieben. Ric Graf heißt er. Vor zwei Jahren hat er sein Abitur gemacht und vertrieb sich die Zeit danach mit Praktika, unter anderem bei Christoph Schlingensief, sowie mit zahllosen Partys. Ein Buch hat er auch geschrieben: „iCool“. In diesem kann man von Grafs Erfahrungen aus dem Zeitraum von Silvester 2004 bis Ende 2005 lesen. Es ist also kein Roman, vielmehr ein autobiografischer Text geworden. Nach der Lektüre von „iCool“ muss man allerdings feststellen, dass er nicht allzu viel erlebt hat.

Ric Graf nimmt uns mit in die pulsierende Partymetropole Berlin: Wir sitzen in den In-Cafés am Prenzlauer Berg und schlürfen Latte Macchiato oder stürzen in irgendwelchen Elektroclubs ab. Es wird viel geplaudert, geschluckt und die Nase hochgezogen. Ric Graf versucht, eine Generation zu portraitieren, der es an nichts mangelt, außer an Entscheidungsfreudigkeit und Idealismus. „Generation Praktikum“ nennt er sie in einem der besseren Momente des Buches, das sich insgesamt wie die Kolumne eines Berliner Szenemagazins liest.

Doch was bedrückt diese Generation? Während der Latte-Macchiato-Gespräche kommen viele Freunde Grafs zu Wort. Man redet vom Wunsch, berühmt zu sein, seinen Weg im Leben zu finden, über Sex und die nächste Party. Doch es ist nicht alles oberflächlich. Es zeigt sich, dass die Generation Praktikum trotz aller Mobilität und Möglichkeiten sich letztendlich nach Liebe und Sinn sehnt. Die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen am Leben (wenn man denn welche hat) und den Erwartungen der Eltern macht schwer zu schaffen und führt auch zum Scheitern: Ein Freund Grafs begeht nach abgebrochener Entziehungskur Selbstmord.

Es gibt aber auch Momente, an denen man glaubt, dass dieses Buch gar nicht für diese Generation geschrieben wurde. Zwar nimmt Ric Graf selbstbewusst das Wort „uns“ in den Mund und signalisiert damit, für sie zu sprechen, aber wenn er Begriffe wie Metrosexualität, Klingeltöne, Reality TV und Idole wie Shakira oder Pete Doherty erklärt, dann verstärkt sich der Eindruck, dass Graf eher zu der Elterngeneration spricht. Diese wird schockiert sein: Orientierungslosigkeit, Drogen und Sex in allen Lebenslagen werden auf offene Ohren stoßen.

Ebenfalls negativ auffallend ist das zum Teil altkluge Daherreden Grafs. Die Weisheit, dass jeder seine Jugend genießen sollte, und die Erkenntnis, dass Menschen unter dem Druck der Medien leiden und auf ihr Äußeres reduziert werden, ist längst nicht neu. Die Erzählweise könnte auch frischer, eben jugendlicher sein. Die Dialoge mit den Altersgenossen wirken doch sehr geschliffen und längst nicht so spritzig, wie man sie bei Hennig von Langes „Relax“ bestaunen durfte. Richtig ärgerlich wird das Buch dann, wenn ein Besuch bei Benni angekündigt wird und schließlich nur von Dennis geredet wird. Hier hat nicht nur der Autor, sondern auch das Lektorat schlampig gearbeitet.

Nun sollte ich als Rezensent nicht verschweigen, dass ich wie Graf zum Jahrgang 1985 gehöre. In der Gesamtheit der 200 Seiten habe auch ich mich wiedergefunden. Graf schafft es, wesentliche Probleme dieser Generation anzuschneiden. Es fehlt an Initiative und Idealismus, von einer Jugendbewegung ist keine Spur. Er vermisst diese ebenso wie ich. Doch für die präsentierten Erkenntnisse muss ich dieses Buch nicht lesen. Schön ist jedoch, dass Andere im selben Dilemma zwischen Party und Zukunft stecken. Leider unterhält mich das Buch auch nicht, weshalb ich eine Empfehlung für all jene aussprechen kann, die Eltern dieser Generation sind oder Zwanziger, die dringend nach Identifikation suchen. Vielleicht werden sie fündig werden, denn sicher ist auch, dass Graf bei der sich in unzählige Subkulturen teilenden Jugend nicht für alle sprechen kann.

http://www.rowohlt.de

Miller, Frank (Autor) / Mazzucchelli, David (Zeichner) – Batman (Das erste Jahr)

_Story_

Bruce Wayne ist seit dem Mord an seinen Eltern Vollwaise. Gleichzeitig ist er aber auch der reichste Mann der Stadt, was ihm sowohl zahlreiche Freunde als auch Feinde beschert. Bei seiner Rückkehr in die Verbrechermetropole Gotham City schwört er eines Tages Vergeltung für das Attentat auf seine Familie. Verkleidet als Dunkler Ritter Batman macht er schon bald Schlagzeilen, wird aber ebenfalls zum größten Feind des Police Departments, denn Batmans rätselhaftes Auftreten ist nicht zwingend der guten Seite zuzuordnen. Vor allem der neue Lieutenant Gordon beschäftigt sich ausführlich mit dem Phänomen Batman; er macht Jagd auf den Mann im Fledermauskostüm und versucht, mehr über seine Motivation in Erfahrung zu bringen. Erfolglos. Sowohl die Cops als auch die höherrangigen Beamten sind machtlos gegen Waynes zweites Gesicht, und obwohl sie einen dringenden Verdacht haben, wer hinter der Maske steckt, können sie dem Millionär nichts nachweisen.

Währenddessen hat Gordon aber auch noch mit seinen familiären Problemen zu kämpfen; seine Frau Barbara liegt von Depressionen gequält kurz vor der Entbindung schwanger im Hospital und gerät andauernd mit ihrem Mann aneinander. Der wiederum kann der Versuchung einer Affäre kaum noch widerstehen und gerät in einen moralischen Zwiespalt. Sein Leben scheint ihn zu überfordern, doch Gordon wehrt sich vehement dagegen. Schließlich gilt es, Batman dingfest zu machen und die korrupten Elemente innerhalb der Polizei zu entlarven …

_Meine Meinung_

Vor genau 20 Jahren, 1986, hatte Comic-Legende Frank Miller die Idee, Batmans Ursprungsgeschichte neu zu verfassen, und schrieb in Kooperation mit Zeichner David Mazzucchelli eine Art Tagebuch des Dunklen Ritters mit dem Titel „Das erste Jahr“. Im Original entstand dabei ein Vierteiler, der nun, wo eben jene Geschichte wieder mehrfach in den Fokus der aktuellen Ereignisse im DC-Universum gerät, nach etlichen Jahren neu aufgelegt wurde. In Deutschland erscheint die Serie sogar direkt als Sammelband und bildet als solcher eines der Highlights der diesjährigen Verlagssaison.

Miller konzentriert sich in seiner Fassung der Erzählung zugleich auf zwei verschiedene Charaktere, die sich in ihrer Zerrissenheit allerdings sehr ähnlich sind. Zum einen ist da natürlich Bruce Wayne, millionenschwerer Erbe mit unheimlich großen, bislang versteckten Kräften und einem arg zweifelhaften Ruf. Sein Geld ist beliebt, hält für den reichen Waisen aber auch alle Nebenerscheinungen bereit, die ein solch schweres Vermögen im ungünstigsten Fall mit sich bringt. Wayne ist ein arroganter Schnösel, hält sich für unantastbar und glaubt auch in seiner zweiten Haut als Batman, vollkommene Freiheit zu genießen. Er ist seinen Verfolgern zwar auch immer einen Schritt voraus und kann ihnen im direkten Kräftemessen auch immer Paroli bieten, lernt aber in seiner anderen Verkörperung auch seine Grenzen kennen und muss akzeptieren, dass er trotz seines Reichtums vor der Bedrohung der Unterwelt nicht sicher ist.

Fehlende Sicherheit ist auch eine Misere, von der Lieutenant Gordon befallen wird, sobald er seinen Job in Gotham City angetreten hat. Er ist ein Workaholic und als solcher von seinen Kollegen auch gefürchtet. Seine übergenauen Ermittlungen und der Erfolg im Kampf gegen das Verbrechen machen ihn auch in den Medien zum gefeierten Helden, senken seinen Status bei der Chefetage aber in gleicher Weise. Dort sind nämlich korrupte Persönlichkeiten an der Macht und decken die schmierigen Geschäfte ihrer Untergebenen, so dass Gordon trotz mehrfacher Beweise gegen Windmühlen ankämpft. Außerdem leistet er sich einen groben Fehler, als er seine Frau mit einer Kollegin betrügt, was natürlich nicht unbeobachtet bleibt und fortan als Druckmittel gegen ihn benutzt wird.

Das Leben dieser beider Männer wird in chronologischer Folge innerhalb eines Jahres beschrieben, und damit sowohl ihr Aufstieg als auch ihr Schicksal. Miller nimmt dabei jeweils die Perspektive der Protagonisten ein, schildert ihr Handeln und beschreibt ihre meist sehr persönlichen Gedanken, angefangen bei der stetigen Skepsis des Beamten bis hin zum immer kompromissloseren Erscheinungsbild Batmans. Dabei dringt er sehr tief in ihr Innerstes ein und entwickelt eine sehr dramatische Geschichte mit unsicherem, spannendem Verlauf und vielen genialen Ideen. Im Gegensatz zu Millers neueren Werken ist der Plot auch relativ simpel gestrickt und basiert auf einem temporeichen, stringenten Aufbau.

Unnötige Komplexität weicht einem Mehr an Action, die in diesem Fall sogar teilweise recht brutal ist, allerdings nie übertrieben dargestellt wird. Mazzucchelli konzentriert sich in den Zeichnungen nämlich auch auf das Wesentliche und erweist sich dabei als die perfekte Ergänzung zu Millers basischem Stil. Das düstere Gesamtbild, Millers Charakteristikum Nummer eins, prägt die Geschichte unheimlich und zehrt sehr stark von den oftmals enorm finsteren Zeichnungen. Diese sind ein perfekter Spiegel der Atmosphäre des Inhalts; bedrückt, düster, pessimistisch, aber doch sehr lebendig, oder um es auf den Punkt zu bringen: Hier ist alles miteinander im Einklang, weshalb man auch mit Fug und Recht von einem Klassiker reden darf.

Einer von vielen aus Millers reichhaltig bestückter Biografie, der nun endlich auch als gesammeltes Werk in Deutschland erhältlich ist. Fans des Autors erzähle ich sicher nichts Neues mehr, wenn ich sage, dass seine Geschichten durchweg genial sind. Wer den Autor solcher Serien wie „Sin City“ und „300“ indes noch immer nicht kennen und lieben gelernt hat, bekommt mit diesem Comic eine optimale Chance, Verpasstes nachzuholen und sich von Millers eigenwilliger Eleganz vereinnahmen zu lassen. Eine Chance, die man sich meines Erachtens keinesfalls entgehen lassen sollte!

http://www.paninicomics.de

Bill Curtsinger – Unter Wasser

Seit Jahrzehnten taucht Fotograf und Biologe Curtsinger vor allem in die kalten, dunklen Meere und Seen dieser Welt. Ihm gelangen Bilder von Tieren, die so noch niemand in ihrer natürlichen Umgebung sah. Haie, Wale und Robben aber auch scheinbar unspektakuläre Wesen wie Quallen, Schwämme oder Seeflöhe mutieren vor seiner Linse zu atemberaubenden Fabeltieren, die in kurzen, informativen Texten (Autor: ebenfalls Curtsinger) als integrale Bestandteile ihrer speziellen Ökosysteme beschrieben werden: sowohl ein Augenschmaus als auch ein Lesevergnügen.
Bill Curtsinger – Unter Wasser weiterlesen

Kuhn, Krystyna – Fische können schweigen

Was haben Fische und Tote gemeinsam? Sie können nicht reden. Und wer das nicht glaubt, der sollte Berit fragen, die Heldin aus Krystyna Kuhns Debüt „Fische können schweigen“.

Berit ist eine junge Illustratorin, die in Frankfurt wohnt und ihre Zeit momentan damit verbringt, ein dickes Fischlexikon mit Bildern zu versehen. Ein wenig Ablenkung von Fischmäulern und glitzernden Schuppen bietet eine Nobelparty bei ihrer Freundin Marlene. Deren Mann ist Leiter des Instituts für Biotechnologie Rhein-Main und dementsprechend sieht die Gesellschaft auf der Feier aus. Berits einziger verbündeter ist Ron, der so gar nicht wie ein Polizeikommissar wirkt, aber tatsächlich einer ist. Schwarze Haare, grüne Augen und ein Körper wie ein Gott – zu gerne lässt sie sich nach der Feier von ihm nach Hause chauffieren.

Doch auf halbem Wege bekommt Ron die Nachricht, dass am Mainufer eine Leiche gefunden wurde, und sie fahren dort vorbei. Berit kennt den Toten nicht, aber dieses Erlebnis lässt sie nicht los. Um ihren Frieden zu finden, fertigt sie eine Zeichnung des Toten an. Ron ist begeistert von ihrem Talent und benutzt das Bild, um es potenziellen Zeugen zu zeigen. Dadurch wird Berit in die Lösung des Mordfalls praktisch involviert. Zuerst hält sie es für eine nette Abwechslung (mit netten Nebenwirkungen namens Ron), doch als Ewa, Marlenes Hausmädchen, mit dem Berit sich angefreundet hat, ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wird, wird aus Spaß Ernst. Ewa hat Berit vor ihrem Tod noch ein paar rätselhafte Bilder anvertraut, und auch wenn Ron anderer Meinung ist, aber Berit glaubt, dass diese Bilder der Schlüssel zum Täter sind …

Kuhns erster Kriminalroman, dem mittlerweile weitere gefolgt sind, ist eine echte Überraschung. Die Protagonistin hat Tiefgang und ist sehr interessant. Man trifft schließlich nicht alle Tage jemanden, der ein Fischlexikon illustriert. Berit ist frech, neugierig und hat einen Hang, ihre Bilder zu spät abzugeben. Das alles macht sie sehr sympathisch, genau wie ihre Schwäche für Ron, der dafür, dass er Nebencharakter ist, auch sehr schön ausgearbeitet wurde.

Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass Berits Persönlichkeit dem Leser so nahe gebracht wird, dass man sie bereits vermisst, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Dass ein Charakter so beeindruckt, ist selten und sollte der Autorin hoch angerechnet werden.

Zu diesem Phänomen trägt sicherlich der kesse Schreibstil bei, der stellenweise etwas an die einschlägige Frauenlektüre à la von Kürthy erinnert. Allerdings bringt Kuhn einen so schwarzen Humor ins Spiel, dass dieser Eindruck schnell verfliegt. Sicher und mit vielen Metaphern, von denen allerdings leider nicht alle gelungen sind, schreibt die Autorin, auch wenn sie sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr mit unnötigen Einzelheiten aufhält, wie der Art und Weise, wie Berit ihre Zeitung liest.

Die Handlung weiß trotz der Dichte an Ereignissen und Spannung nicht ganz zu überzeugen. Gerade am Ende fährt sie doch etwas zu sehr in den Gewässern des Banalokrimis. Berit findet heraus, wer der Täter ist, und als sie nach Hause kommt, steht er in ihrem Zimmer, natürlich bewaffnet, und sie muss ihn so gut wie möglich ohnmächtig schlagen. So einen Abschluss hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankfurt gewesen? Ich bin mir sicher, dass sie sehr spektakulär geworden wäre, denn Kuhn lässt eine Menge Lokalkolorit in die Geschichte einfließen, was dem Buch einen authentischen Sockel verpasst.

Krystyna Kuhns Debüt macht Hunger auf mehr. Eine hochsympathische Protagonistin, frech und mit einer guten Portion Humor ausgestattet, trifft auf eine Kriminalhandlung, die spannend, gegen Ende aber ein wenig unglaubwürdig ist. Gewürzt mit dem Flavour Frankfurts entwickelt „Fische können schweigen“ einen Charme, dem man sich trotz der kleinen Schönheitsfehler nicht entziehen kann.

Fallon, Jennifer – Erbin des Throns (Die Chroniken von Hythria 1)

Elezaar ist gerade knapp einem Massaker entronnen. Was nicht heißt, dass er in Sicherheit wäre! Zwar ist es ihm gelungen, das Haus des Sklavenhändlers Venira zu erreichen, doch so lange er nicht an eine neue Familie verkauft ist, hat er keinen Beschützer. Da kommt es ihm gerade recht, dass Großfürst Lernen Wulfskling just eine passende Heirat für seine Schwester Marla aushandelt. Nur dumm, dass Marla auf ihrer Suche nach einem geeigneten Court’esa ausgerechnet Alija Aarspeer dabeihat …

Marla Wulfskling legt keinerlei Wert auf den Kauf eines Court’esa, denn der Mann, den ihr Bruder für sie ausgewählt hat, ist leider nicht der, in den sie sich gerade frisch verliebt hat. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – weckt Elezaar ihr Interesse, denn er hat offenbar mehr zu bieten als die üblichen Schönlinge, die nur fürs Bett gut sind. Zu Alijas Entsetzen entscheidet sie sich für den Zwerg …

Deshalb macht Alija ihrer naiven, dummen, romantischen, kleinen Nichte einfach den Court’esa Corin zum Geschenk. Sie braucht dringend einen Spion in Marlas Umgebung. Da von Marlas Bruder kein Nachwuchs zu erwarten ist, wird Marlas Erstgeborener der Erbe des Großfürsten sein. Wenn es nach Alija geht, wird Marla keinen Sohn haben, denn nur dann hat ihr eigener Mann Barnardo Aussichten, sich selbst den Thron zu sichern. Zu dumm, dass der Großmeister der Magiergilde von dieser Aussicht überhaupt nicht begeistert ist und mit allen Mitteln gegen sie arbeitet …

Kagan Palenovar ist zwar von der Aussicht, Marla mit dem König von Fardohnja zu verheiraten, keineswegs erbaut, doch ist ihm bisher kein besserer Gedanken gekommen, um den unfähigen Lernen auf dem Thron zu halten. Das aber will er unbedingt, denn die Alternative für Hythrias Thron wäre ein schwacher Dummkopf mit einer ehrgeizigen Zauberin an seiner Seite, und das erscheint ihm als das größere Übel …

Da stirbt Glenadal Ravenspik, der Kriegsherr der Provinz Morgenlicht, und setzt zu aller Überraschung seinen Stiefsohn Laran, den Kriegsherrn von Krakandar, zu seinem Erben ein. Plötzlich gibt es eine hythrische Alternative zu Hablet von Fardohnja! Doch die Partei Alijas weigert sich, einer solchen Machtkonzentration zuzustimmen …

Auch Larans Familie macht Schwierigkeiten. Seine selbstsüchtige Halbschwester Darilyn und sein Halbbruder Mahkas fühlen sich durch Glenadal Rabenspiks Entscheidung übergangen und zurückgesetzt. Um auf irgendeine Weise zu Geld zu kommen, liefern sie ihre jüngste Schwester Riika, die Marla Wulfskling ähnlich sieht, gegen Lösegeld an Fardohnja aus. Allerdings erkennt der Obereunuch Hablets auf den ersten Blick, dass die Ausgelieferte nicht Marla ist. Da er nicht weiß, daß sie statt dessen Larans Schwester ist, lässt er sie kurzerhand töten! Als Mahkas von Riikas Tod erfährt, ist ihm sofort klar, dass, wenn er am Leben bleiben will, Laran keinesfalls von dem Verrat seiner Geschwister erfahren darf. Doch Darilyn verliert die Nerven …

|Themen und Charaktere|

In „Erbin des Throns“ geht es um dieselben Themen wie in der Dämonenkind-Trilogie: Macht, Intrigen, Mord. Nur der Kampf gegen einen übermächtigen Gott fehlt diesmal, die Bedrohung durch Xaphista ist lediglich eine Randerscheinung, was ich nicht unbedingt als Manko empfand. Auch spielt die Geschichte fast ausschließlich in Hythria, während R’shiel hauptsächlich in Medalon unterwegs war. Karien wird lediglich mal erwähnt … Das macht aber überhaupt nichts! Hythria allein bietet genug Stoff für Ränke und Verwicklungen!

Elezaars einziges Ziel ist, sich seiner Herrin so unentbehrlich zu machen, dass sie ihn keinesfalls irgendwann verkauft, denn das wäre sein Todesurteil. Alija will unbedingt ihren Mann auf dem Thron sehen und dann an seiner Statt herrschen. Kagan will auf jeden Fall Alija vom Thron fernhalten, gleichzeitig aber irgendwie erreichen, dass der Thronerbe aus Hythria stammt. Laran will einfach nur das Beste für Hythria. Mahkas will nicht immer nur Larans Gefolgsmann sein, sondern eine eigene Aufgabe. Darilyn will ein eigenes Vermögen. Und Marla will zunächst einfach nur den Mann heiraten, den sie liebt, und mit ihm bis an ihr Ende glücklich sein. Völlig klar, dass das alles nicht unter einen Hut zu bringen ist!

Am meisten hat Marla unter all den Machtkämpfen zu leiden. Kaum hat sie sich in Naschan Falkschwert verliebt, erfährt sie, dass sie Hablet von Fardohnja heiraten soll. Damit will und kann sie sich nicht abfinden. Als Nasch auf der Burg ihrer Tante auftaucht, wo Marla sich aufhält, flammt neue Hoffnung in ihr auf, doch einziges Ergebnis ist, dass sie nun auf einmal Laran heiraten soll! Der Ärger darüber, dass sie von den Männern lediglich als politisches Mittel benutzt wird, ärgert sie maßlos und macht sie zugänglich für Elezaars politische Lehren. Von ihm lernt sie, die geringen Möglichkeiten zu nutzen, die ihr in einer patriarchalischen Gesellschaft zur Verfügung stehen. Aus dem naiven, romantischen Kind wird eine erwachsene Frau. Natürlich kann Elezaar nicht verhindern, dass seine Herrin hartes Lehrgeld zu zahlen hat. Doch Marla, angetrieben von dem Wunsch, ihr Schicksal künftig selbst zu entscheiden und vor allem ihre Kinder zu beschützen, geht gestärkt aus diesen Kämpfen hervor und wird zu einem echten Machtfaktor in Hythria.

Ihre Gegenspielerin Alija zeichnet sich vor allem durch Machtgier und Skrupellosigkeit aus. Ursprünglich mit Laran Krakenschild verbandelt, hat sie ihm den Laufpass gegeben, weil sie glaubte, eine Ehe mit Barnardo Aarspeer böte ihr mehr Möglichkeiten, an die Macht zu gelangen. Neben ihrem Mann, den sie lediglich benutzt, hat sie noch eine Menge Liebhaber, die sie genauso benutzt. Überhaupt ist ihr jedes Mittel recht. Spionage, Lüge und Hinterlist sind dabei noch die harmlosen Varianten. Abgesehen davon liest sie Gedanken und manipuliert den Willen anderer, ihre Mordmethoden reichen von bezahlten Killern über Gift bis hin zur Magie.

Kagan Palenovar wirkt gegen Alija ziemlich fad. Da er auf der Seite der „Guten“ ist, darf er natürlich keine krummen Touren drehen. Aber obwohl er politisch hochaktiv ist und zwangsläufig auch Personen für seine Zwecke benutzt – zum Beispiel Marla und Laran -, wirkt er ansonsten fast ein wenig verschlafen. Sein Lehrling Wrayan hat mehr Zugriff auf die Macht der Götter als jeder andere in der Magiergilde, doch Kagan macht sich nicht die Mühe, ihn auch nur ansatzweise im Gebrauch seiner Fähigkeiten auszubilden. Seinen Aufgaben als Gildenmeister kommt er nur widerwillig nach. Fast scheint es, als würden ihn die Belange der Götter und Harshini langweilen.

Mahkas dagegen wirkt fast aktivistisch. Einerseits neigt er zur Oberflächlichkeit, andererseits ist er ziemlich ehrgeizig und durchaus nicht unfähig. Hätte er einen Kriegsherrn zum Vater gehabt, hätten sich seine Charaktermängel womöglich gar nicht ausgewirkt. Irgendwann hätte er seine eigene Provinz geerbt und alles wäre in Butter gewesen. So, wie die Dinge liegen, macht er allerdings eine eher klägliche Figur: ein Mann mit dem Willen zur Macht, aber zu wenig kaltschnäutzig, um zu den Bösen zu gehören, und zu schwach, um zu den Guten zu gehören, geplagt von Gewissensbissen und einer rasenden Angst vor Entdeckung. Stellenweise tat er mir regelrecht leid.

|Gesamteindruck|

Die Charakterzeichnung gefiel mir in diesem Band besser als in der Dämonentrilogie. R’shiel war in ihrem Zorn manchmal regelrecht blindwütig, und sie war fast ständig zornig. Auch Marla hat so manchen Grund, zornig zu sein, aber sie ist beherrschter als R’shiel, überlegter und damit wahrscheinlich gefährlicher, obwohl sie nicht über Magie verfügt. Alija kann mit Frohinia durchaus mithalten, auch wenn ihre Mittel gelegentlich etwas plumper sind als die der ehemaligen Ersten Schwester. Und während in der Dämonentrilogie Frohinia zu meinem großen Bedauern bereits am Ende des ersten Bandes außer Gefecht gesetzt wurde, bleibt Alija dem Leser noch erhalten, zumindest vorerst.

Auch der Handlungsverlauf lag mir mehr. Zwar scheinen die ständigen Enttäuschungen, die Marla nacheinander mit den verschiedenen Männern erlebt, sich auch irgendwann zu wiederholen, jedoch nicht so auffällig und nicht so oft wie es in „Kind der Magie“ der Fall war. Die Harshini tauchen nur in äußerst geringem Maß auf, was ich allerdings auch nicht sonderlich vermisste. Da sie nicht nur unfähig sind, Gewalt anzuwenden, sondern offenbar auch sonst in keinerweise Einfluss auf irgendetwas nehmen außer dadurch, dass sie mit jemandem ins Bett steigen, bleiben sie ziemlich farblos und eindimensional.

Was ich allerdings immer noch vermisse, ist ein stärkerer Ausbau der Magie. Alija wendet sie an, Brakandaran und Wrayan wenden sie an, R’shiel wandte sie an, aber der Leser weiß immer noch nicht, was genau in einem solchen Fall passiert. Jennifer Fallon kommt in diesem Punkt einfach nicht über Andeutungen hinaus. Sie erklärt nicht einmal, was genau ein Angeborener ist.

|Unterm Strich|

Alles in allem hat die Autorin in diesem Fall einen besseren Start gehabt als bei ihrer Dämonentrilogie. Marla hat sich zu einer willenstarken, klugen und mutigen Frau entwickelt, was ein interessantes Duell mit Alija verspricht. Auch Wrayan ist ein interessanter Charakter: Der von Kagan hauptsächlich in Diplomatie und Politik geschulte junge Mann hat offenbar von seinem Aufenthalt bei den Harshini etwas über Magie gelernt – wenn auch mit keinem Wort erwähnt wird, von wem und wie! – und durch seine Rückkehr auf die Straße noch zusätzlich an Potenzial gewonnen. Und auch Mahkas dürfte noch für einigen Wirbel sorgen, und sei es nur durch die Entdeckung seiner Schandtaten. Keine schlechte Ausgangsposition für die Fortsetzung „Retter des Throns“, die im Februar nächsten Jahres erscheinen soll.

Jennifer Fallon stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Die Trilogie |DemonChild| war ihre erste Veröffentlichung. Außerdem stammt die Trilogie |Second Sons| aus ihrer Feder.

http://www.jenniferfallon.com/
http://www.heyne.de

_Jennifer Fallon bei |Buchwurm.info|:_

[„Kind der Magie“ 1328 (DemonChild Band 1)
[„Kind der Götter“ 1332 (DemonChild Band 2)
[„Kind des Schicksals“ 1985 (DemonChild Band 3)
[„Ritter des Throns“ 3327 (Die Chroniken von Hythria 2)

Vargas, Fred – schöne Diva von Saint-Jacques, Die

Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.

Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.

In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.

Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …

Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.

Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.

|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)

Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.

Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.

Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …

http://www.aufbau-verlag.de

Appelfield, Aharon – Geschichte eines Lebens

„Geschichte eines Lebens“ – welch bescheidener Titel für die fragmentierte Wiedergabe einer Biografie voller erlebter Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten. Der Autor, Erwin (Aharon) Appelfield, Jahrgang 1932, hat am eigenen Körper all die Gräuel des Kriegs erleben müssen, begonnen in seiner rumänischen Heimat, in der Marschall Antonescu als Adäquat zu Adolf Hitler den Holocaust vorantrieb, über seine schmerzvollen Reise in die Ukraine und die Zwischenstation Ghetto bis hin zu seiner Flucht ins Exil an die Adria und schließlich nach Palästina, wo Appelfield nach jahrelangem Überlebenskampf endlich den lang ersehnten Frieden gefunden hat.

Doch wie schreibt man eine solche Geschichte, ohne dabei Gefühle wie Hass und Verbitterung zu sehr an die Oberfläche dringen zu lassen? Wie kann eine quasi wertfreie Aufarbeitung stattfinden, quasi neutral und faktisch, aber nicht emotionsgeladen und aggressiv? Gar nicht möglich. Jedenfalls sollte man dies vermuten, wenn man sich zu Gemüte führt, was der junge Appelfield damals in der Ära des Krieges hat durchmachen müssen. Schon von Kindesbeinen an führte er ein Leben als Verfolgter, verlor dabei seine Mutter und seine Großeltern schon zu Beginn des Krieges, musste mit ansehen, wie sein Vater den Todesmarsch in die Ukraine mit seinem Leben bezahlte und wurde gleichzeitig noch dazu gezwungen, sich mit etlichen weiteren Menschenschicksalen auseinander zu setzen, während er gerade erst zum Knaben heranreifte. Es gibt wohl kaum Worte, um die Gefühle zu erfassen, die Appelfield nicht nur in dieser niederträchtigen Zeit, sondern auch in den Erinnerungen, die ihn auch heute noch plagen, hat durchleben müssen, doch man ist sich fast schon sicher, dass der Autor sein Leben aus einer sehr feindseligen Perspektive betrachten wird. Aber er tut es nicht, geht schon beinahe souverän mit den prägenden Abläufen um und ist mit sich und seiner Vergangenheit schon lange im Frieden.

Dabei ist es allzu erschreckend, was Appelfield in den vielen gesammelten Ausschnitten und Eindrücken verarbeitet, aber auch, wie emotionslos er die verschiedenen Gedanken aufarbeitet. Ja, es ist die Geschichte seines Lebens, und sie besteht oberflächlich betrachtet nun einmal ausschließlich aus Fakten, aber ist es eben nicht nur irgendeine Geschichte, sondern die eines gedemütigten Kriegsopfers. Appelfield berichtet dennoch relativ trocken (natürlich immer im Hinblick auf die Brutalität der Ereignisse) davon, wie er seine Heimat aufgeben musste, seine Familie verlor, wie er unschuldigen Menschen beim Sterben zusah und dies irgendwann als gegeben hinnahm, und wie er den Tod zu akzeptieren lernte, ohne jemals darauf vorbereitet zu werden. Es ist die Geschichte eines Jungen, der vor seinem eigentlichen Leben bereits aus diesem herausgerissen wurde, der im Alter von sieben Jahren bereits Entscheidungen treffen musste, die nicht einmal ein Erwachsener zu entscheiden imstande gewesen wäre, der aber auch mit der schrecklichen Situation abstumpfte und irgendwann nur noch für sich selber kämpfte – und überlebte.

Grotesk ist dabei, dass er selbst bei den grausamsten Erfahrungsberichten meist die positiven Dinge hervorhebt. Beginnend bei der Ankündigung der drohenden Veränderung, als er mit seiner Familie ganze Massen an Erdbeeren vertilgte, bis hin zu den Arbeiten bei einer Prostituierten, die ihn ausnutzte und missbrauchte, bei der Aharon aber dennoch hauptsächlich die guten Eigenschaften hervorhebt. „Geschichte eines Lebens“ ein optimistisches Buch zu nennen, läge mir zwar fern, doch der Autor zeigt im Grunde genommen sehr oft eine zuversichtliche Grundhaltung, wobei natürlich berücksichtigt werden muss, dass der Krieg für Appelfield ein versöhnliches (soweit man dies so sagen kann) Ende hatte.

Doch wo für den Autor die positiven Eindrücke eine tragende Rolle spielen, bleiben beim Leser fast ausschließlich die Gemeinheiten haften. Babys, die aus purer Lustbefriedigung Hunden zum Fraß vorgeworfen wurden, der brutale Marsch in die Ukraine, die erzählten Ausschnitte des Ghettolebens, und, und, und. Die Liste ist ewig lang und kann im Detail kaum noch wiedergegeben werden, derart massiv häufen sich die gedanklichen Schreckensbilder.

Daher keimt auch ständig die Frage auf, wie Appelfield es bewältigt hat, all diese Erlebnisse mit einer relativen Gelassenheit zu dokumentieren, wie es ihm gelungen ist, sich von den depressiv stimmenden Bildern adäquat zu distanzieren. Wenn man bedenkt, wie genau die Erinnerungen noch in ihm leben und wie detailgetreu er all dies wiedergeben kann, fällt es für den Außenstehenden schwer, überhaupt zu verstehen, aus welcher vergleichsweise neutralen Position er seine eigene Geschichte erzählt. Dies ist für mich persönlich der zentrale Punkt; nicht nur die Auseinandersetzung mit der zerrüttet dargestellten Biografie, sondern vor allem auch die fokussierte Betrachtung des Menschen, der sein erschütterndes Leben in einer nach außen durchweg wertfreien Dokumentation vorstellt. Es sind leider nur 200 Seiten, die einem hierzu Gelegenheit geben, aber die Schilderungen während dieser 20 Seiten sind so umfassend, dass sie Gedankenstoff für mehrere Wochen liefern. Was Appelfield hier beschreibt, lässt den Leser nicht mehr los, und das vor allem, weil er sich nicht auf eine spezifische Beschreibung des Lebens mit dem Holocaust beschränkt, sondern vermehrt die Entwicklung seiner Persönlichkeit in der Zeit des Antisemitismus beschreibt.

„Geschichte eines Lebens“ ist daher auch ein absolut empfehlenswertes Werk, das trotz seiner – und das soll man bitte immer in Relation zu vergleichbaren Schilderungen/Autoren dieser Zeit betrachten – nüchternen Erzählweise emotional zutiefst berührt. Mir fällt momentan kein weiterer Zeitzeuge ein, der die Betroffenen-Szenarien des Zweiten Weltkriegs derart bewegend beschrieben hat wie Aharaon Appelfield in diesem Buch.

http://www.rowohlt.de

Brandis, Katja – Feuerblüte (Band 1)

Der „Kampf um Daresh“ ist mittlerweile beendet, doch Katja Brandis, die die gleichnamige Triologie geschrieben und in der |Ueberreuter|-Reihe „Meister der Fantasy“ veröffentlicht hat, ist noch nicht fertig mit der Welt, in der sich die Menschen in vier Gilden gruppieren. Mit „Feuerblüte“ beginnt sie einen neuen, dreibändigen Zyklus um die junge Schwertkämpferin Alena, die Tocher der verstorbenen Alix, eine der Protagonisten in „Kampf um Daresh“.

In Daresh teilen sich die Menschen in vier Gilden, die nach den vier Elementen benannt sind, auf. Die fünfzehnjährige Alena ist Mitglied der Feuergilde, das heißt, sie kann Schwerter schmieden und im Kampf sehr gut mit dieser Waffe umgehen. Sie steht gerade vor einem wichtigen Schritt, denn obwohl sie noch keine siebzehn ist, wird sie zur Meisterprüfung zugelassen. Ihr ungestümes Temperament verhindert allerdings, dass sie die Prüfung zur Meisterin besteht. Trotzdem beschließt sie, ihr Meisterschwert widerrechtlich zu tragen, was auch dringend notwendig ist, denn in Daresh treiben sich Gestalten herum, denen man nicht schutzlos gegenüber stehen möchte.

Ein Mann, der sich der „Heiler vom Berge“ nennt, zum Beispiel, und der seine mitreißende Predigt über die Liebe in der Handelsstadt Ekaterin hält, als sich Alena zusammen mit ihrer Tante Rena dort befindet. Rena erkennt in dem Heiler ihren Erzfeind Cano wieder, Alenas Onkel, der in Renas Jugend versucht hatte, Daresh unter seine Gewalt zu bringen. Beunruhigt meldet sie ihre Beobachtung dem Rat, doch dort nimmt man sie nicht ernst.

Zur gleichen Zeit ereilt Alena die Nachricht, dass ihr Vater im Koma liegt, nachdem er einen weißen Panther gesehen hat. Nachdem auch Renas Gefährte von dem Tier verzaubert wird, sehen die beiden ein, dass sie handeln müssen. Doch Cano, den sie verdächtigen, ist den beiden immer einen Schritt voraus und sorgt dafür, dass sie aufgrund seiner Intrigen in Ekaterin zu Geächteten werden. Nachdem er ihnen einen Mord angehängt hat, geht es nicht nur darum, Alenas Vater und Renas Gefährten zu retten, sondern auch Cano zu vernichten und ihren Namen reinzuwaschen …

Die Fantasywelt von Daresh begeistert vielleicht nicht gerade durch Originalität, aber sie ist schön ausgearbeitet, und die Idee mit den unterschiedlichen Gilden weiß zu gefallen. Trotzdem wird man mehr als einmal ein wenig an die Bücher von Tamora Pierce erinnert, allerdings gelingt der Weltentwurf hier nicht ganz so gut, da an der einen oder anderen Stelle noch ein wenig der Feinschliff fehlt. Ekaterin ist zwar hübsch dargestellt, doch es fehlt an wirkungsvollen Beschreibungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Selbiges gilt für die Personen. Alena ist eine wunderbar kratzbürstige Pubertierende, doch auch ihr fehlt es an einigen Ecken und Kanten, die ihr die nötige Tiefe verliehen hätten. Das Gleiche gilt für Rena, die leider ein wenig oberflächlich bleibt. Die beiden wechseln sich mit den Perspektiven ab, doch leider werden sie teilweise sogar im selben Absatz vermischt, was ein wenig verwirrend ist.

Oben genannte Kritikpunkte könnten auch damit zusammenhängen, dass der Schreibstil an und für sich kaum Zauber entwickelt. Er erzählt flüssig und ohne Stolpersteine, aber auch ohne besondere Sogwirkung. Dabei hätte der an und für sich durchaus spannenden Handlungen mit einem schönen Aufbau und überraschenden Wendungen ein wenig Absorbationskraft nicht geschadet.

Katja Brandis‘ „Feuerblüte“ hat einen netten Hintergrund und eine nette Handlung, doch leider ist der etwas unmotivierte Sprachstil schuld daran, dass kaum wirkliche Spannung aufkommt, die den Leser so sehr in den Bann zieht, dass er das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

Home

|Siehe ergänzend dazu die Rezension zu Band 2:| [„Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ 2887

Hacke, Axel – kleine Erziehungsberater, Der. Mit Bildern von Michael Sowa

Auf den ersten Blick: ein Buch über eine bundesdeutsche Familie, die ein Reihenhaus in einem Vorort von München bewohnt … Der Kulturschock ist vorprogrammiert, gerade auch deshalb: Es soll um Erziehung gehen!

Doch der erste Blick trügt, denn Axel Hacke, ein auf allen Ebenen überforderter Vater, den man wohl früher ein „stolzes Familienoberhaupt“ genannt hätte, weiß seinen Alltag in über einem Dutzend kurzen Anekdoten ganz vortrefflich zu beschreiben. Da bleibt kein Auge trocken!

„Der kleine Erziehungsberater“ liefert jedoch nicht nur Anlass zur köstlichen Unterhaltung, sondern malt ein ausgesprochen realistisches Bild von Kindererziehung. Eines, das die Rolle „Kind“ und „Erziehungsberechtigter“ mitunter stark zu verwischen in der Lage ist. Im nervenaufreibenden Spannungsfeld aus Autorität, Laissez-faire, Resignation und der schmerzlichen Erfahrung seitens der Eltern, dass die illusionäre Vorstellung eines unfehlbaren Vaters endlich überwunden ist, wachsen Hackes Kinder in einem reflektierten und liebevollen Familienumfeld auf – so scheint es zumindest.

„Der kleine Erziehungsberater“ ist eine unterhaltsame Lektüre, die im Gegensatz zu Super Nanny & Co. einen lohnenden Beitrag zu Kindererziehung leisten kann. Denn Lachen hat noch nie geschadet!

http://www.kunstmann.de/

Corder, Zizou – Lionboy: Die Entführung

_Handlung_

Charlie Ashanti lebt in London und ist ein ganz besonderes Kind, denn er spricht die Sprache der Katzen: Katz. Als er eines Tages nach Hause kommt, sind seine Eltern, beide bekannte Wissenschaftler, spurlos verschwunden. Von der Nachbarskatze erfährt er, dass seine Eltern entführt worden sind.

Wie sich herausstellt, wurden sie von einer Organisation entführt, die an einem von ihnen entwickelten Mittel gegen Asthma interessiert ist. Mit Hilfe seiner vierbeinigen Helfer nimmt Charlie die Verfolgung auf. Dabei landet er auf dem Zirkusschiff Circe, welches auf dem Weg nach Paris ist. Der Zirkusdirektor und Kapitän Major Maurice Thibaudet nimmt ihn als Teil der Besatzung auf.

Schon nach kurzer Zeit unter den Akrobaten, Clowns, Seiltänzern und exotischen Tieren wird er zum Assistenten des Löwendompteurs Maccomo. Er ist jetzt der Lionboy. Natürlich weiß keiner, dass sich Charlie mit den Löwen unterhalten kann, und so schmieden Charlie und die Könige des Tierreichs schon bald einen tollkühnen Fluchtplan …

_Der Autor_

Zizou (französisch: weiße Katze) Corder ist ein Synonym für die Schriftstellerin Louisa Young („Sehnsucht nach Kairo“, „Engel in Schwierigkeiten“) und ihre zum Schreibzeitpunkt zehnjährige Tochter Isabel Adomakoh. Die beiden haben die Geschichte von Charlie Ashanti gemeinsam entwickelt und geschrieben. Die beiden leben in London, und „Lionboy: Die Entführung“ ist ihr erstes Kinderbuch und der erste Band einer Trilogie über den Katz sprechenden Charlie Ashanti.

_Mein Eindruck_

„Lionboy: Die Entführung“ ist für mich das beste Kinder/Jugendbuch seit „Harry Potter“. Nicht umsonst hat sich kein Geringerer als Stephen Spielberg die Filmrechte für dieses Buch bereits gesichert.

Aber was macht das Buch so erstklassig? Zuerst einmal ist das sicher die Autorenkombination aus erfahrener Schriftstellerin und ihrer Tochter. Auf jeder Seite kann man die kindliche Phantasie bestaunen und saugt sie förmlich ein. Dabei wird der Plot aber niemals undurchsichtig oder verwirrend, was ganz klar auf die ordnende Hand der Mutter zurückzuführen ist. Genauso ist es mit verschiedenen Erklärungen und Beschreibungen innerhalb des Textes. Man merkt, dass hier ein Kind bei der Entstehung quasi Pate gestanden hat, denn die Erklärungen sind genau richtig gestreut und gut formuliert, so dass auch schon jüngere Leser ihren Spaß an der „Lionboy-Reihe“ haben werden. Dabei sind sie aber keinesfalls in einer lehrerhaften Formulierung gehalten, sondern sehr interessant und liebevoll, damit sie auch die älteren Semester nicht stören.

Die Story an sich spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Erdölvorkommen beinahe erschöpft sind, wobei hier natürlich auch der Lerneffekt für die jungen Leser nicht zu übersehen ist. Auch dass Charlie einen Vater aus Afrika und eine Mutter aus Europa hat, vermittelt genau den richtigen Umgang mit der immer wieder aufflackernden Rassismusdebatte, wobei hier sicher auch autobiografische Züge der Autorinnen enthalten sein dürften. Die Geschichte ist sehr bunt und bildhaft erzählt, ohne dabei kitschig oder aufgesetzt zu wirken. Der junge Charlie wird äußerst intelligent und gewitzt dargestellt, was natürlich eine gewisse Identifikation mit dem Protagonisten herstellt.

Den Mittelpunkt des Buches bilden aber sicherlich einmal, dass Charlie Katz spricht, und sein Aufenthalt auf dem Zirkusschiff Circe. Hinter der Gabe steckt nämlich auch noch, dass zu dieser Zeit fast alle Menschen an Asthma und an einer Allergie gegen Katzen leiden, wobei es ja in unserer Zeit wirklich immer mehr asthmakranke und allergische Kinder gibt. Charlies Eltern suchen dafür einen Impfstoff und werden dann von einem Syndikat entführt, um für sie zu arbeiten. Dadurch, dass die Katzen nicht gewohnt sind, dass Menschen sie leiden können, helfen sie natürlich dem kleinen Charlie, auch wenn da sicher noch etwas mehr dahinter steckt.

Charlies Zeit beim Zirkus ist so bunt und unterhaltsam geschildert, dass man sich wirklich in seine Kindertage zurückversetzt fühlt. Bunte Farben, fremde Gerüche und die Faszination Zirkus können wirklich so hautnah miterlebt werden, dass man das Buch gar nicht mehr beiseite legen will. Hierzu tragen auch die vielen sehr gelungenen Illustrationen bei. Überhaupt ist die Gestaltung des Bandes äußerst vorbildlich ausgefallen. Das Cover mit einem Löwenkopf ist passend gewählt, und wenn man das Buch etwas ins Licht hebt, scheinen einen die Augen wirklich anzufunkeln – toll! Ebenso sind die Noten für die verschiedenen Lieder, über die im Buch erzählt wird, enthalten, so dass sie problemlos von etwas musikbegabten Lesern nachgespielt werden können.

Das Finale der Geschichte bildet dann Charlies Flucht mit den Löwen in den Orientexpress, wo sie den König von Bulgarien treffen. Selbstverständlich ist die Handlung teilweise etwas unrealistisch, aber darüber muss man einfach hinwegsehen und sich auf diese schöne Phantasiewelt einlassen. Schließlich ist es ja hauptsächlich ein Kinderbuch, aber ich möchte hier noch einmal betonen, dass auch ältere Leser ihre wahre Freude an „Lionboy: Die Entführung“ haben werden.

_Fazit_

„Lionboy: Die Entführung“ ist eine tolle Geschichte, die wirklich fesselt – für mich das beste Kinder/Jugendbuch seit „Harry Potter“. Wenn die beiden nachfolgenden Bände auch nur annähernd das Niveau des ersten Bandes halten können, haben die Autorinnen damit eine wirklich wundervolle Trilogie geschaffen.

http://www.dtv.de

Jones, Gail – Traum vom Sprechen, Der

Australische Literatur kommt einem in Europa bekanntermaßen eher selten zwischen die Finger. Nachdem aber nun vor kurzem schon Steven Carroll mit seinem Roman [„Die Kunst des Lokomotivführens“ 2853 Eindruck schinden konnte und dafür auch von Elke Heidenreich in ihrer Sendung „Lesen!“ gelobt wurde, steht mit Gail Jones eine weitere literarische Hoffnung Australiens in den Startlöchern.

Ihr Roman „Der Traum vom Sprechen“ stand zusammen mit Autoren wie Curtis Sittenfeld [(„Eine Klasse für sich“) 2772 und Zadie Smith (die letztendlich auch gewann) auf der Longlist des |Orange Prize| 2006. Ausreichend Vorschusslorbeeren, um mal einen näheren Blick auf die Autorin und ihr Werk zu riskieren.

„Der Traum vom Sprechen“ erzählt die Geschichte von Alice Black. Schon seit Kindheitstagen hegt Alice eine Faszination für Maschinen und Technik. Während ihre Schwester Norah das allseits beliebte Mädchen mit der künstlerischen Ader ist, verbringt Alice ihre Tage mit ihrem Vater – guckt mit ihm zusammen Football und lebt ihre Technikbegeisterung aus.

Die erwachsene Alice ist es aber, der Jones im weiteren Verlauf des Buches den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit schenkt. Alice hält sich im Rahmen eines Studienaufenthaltes in Paris auf. Sie schreibt ein Buch über die Poetik der Moderne. Von ihrem Freund Stephen hat sie sich gerade getrennt, als sie auf einer Bahnfahrt einen älteren Herrn kennen lernt – Mr. Sakamoto.

Wie sich schon bald herausstellt, teilt Mr. Sakamoto die Begeisterung für moderne Technik, Erfindungen und Erfinder. Mr. Sakamoto ist ein Überlebender des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, und obwohl beide Personen einen so unterschiedlichen Horizont haben, knüpfen sie schon bald die zarten Bande einer Freundschaft. Mr. Sakamoto lockt Alice aus ihrer selbstgewählten Isolation und füttert sie mit Anekdoten über diverse Erfinder, die ihr bei ihrer „Poetik der Moderne“ helfen.

„Der Traum vom Sprechen“ skizziert in erster Linie die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Alice und Mr. Sakamoto. Beide Lebenswege könnten unterschiedlicher kaum sein, und wie Jones diese zwei so unterschiedlichen Persönlichkeiten auf so behutsame Art zusammenschweißt, macht inhaltlich das Besondere an der Geschichte aus. Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto öffnen sich für Alice ganz ungeahnte Möglichkeiten. Sie beginnt langsam, sich einem anderen Menschen zu öffnen, lernt endlich jemanden kennen, der ihr wirklich viel bedeutet und der ihr fernab der Heimat ein Gefühl von Zuhause gibt.

Vor dem ersten Aufeinandertreffen mit Mr. Sakamoto wirkt Alices Leben irgendwie zerstreut, fast so, wie sie selbst das Aufkeimen ihrer Technikbegeisterung schildert: |“Es gab keinen Anfang. Nur Fragmente. Nur Geschichten“| (S. 47). Dementsprechend wirkt auch Jones‘ Erzählweise sprunghaft und unstet und man tut sich etwas schwer damit, richtig mit der Handlung warm zu werden.

Mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto strömt erstmals auch mehr Ruhe in die Erzählweise und damit auch in Alices Leben ein. War die Geschichte im ersten Romandrittel auch eher weniger fesselnd, so gewinnt sie zunehmend an Fahrt, entwickelt einen gewissen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Ähnlich wie Alice erliegt auch der Leser der Faszination, die von einer Figur wie Mr. Sakamato ausgeht. Trotz all der traumatischen Erfahrungen aus Kindertagen, trotz all der schmerzhaften Verluste durch den Atombombenabwurf, wirkt Mr. Sakamoto ruhig und in sich gekehrt. Dazu beigetragen hat vor allem die Erfindung, die Mr. Sakamoto am meisten fasziniert und der er nun sein Leben gewidmet hat: Das Telefon.

Mr. Sakamoto schreibt eine Biographie über Alexander Graham Bell, den Erfinder des Telefons – der Erfindung, die es ihm ermöglicht hat, mit seinem eigenen Kummer fertig zu werden. Es war in den langen Telefonaten mit seinem Onkel Tadeo, dass er seinen Kummer erstmals einem Menschen anvertraut hat. Einfühlsam und geradezu diskret geht Jones mit Mr. Sakamotos unbeschreiblich traumatischen Erlebnissen um. Vieles lässt sie den Leser selbst erfühlen, ohne zu viele Worte machen zu müssen.

Überhaupt liegt ein großer Teil der Faszination des Romans auf sprachlicher Ebene. Jones‘ Sprache ist zwar durchaus eigenwillig, aber auch stets sehr akkurat und wohlakzentuiert. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, erzeugt lebhafte Bilder und greifbare Emotionen. Obwohl sie zu den Figuren eine gewisse Distanz bestehen lässt, sie leise beobachtend aus der Ferne betrachtet, schafft sie es, dem Leser ihre Figuren näher zu bringen. Ein Stück weit bleiben sie dabei rätselhaft, einen Teil ihrer Persönlichkeiten kann man auch nach vollendeter Lektüre noch nicht ausloten, dennoch schafft Jones es, dem Leser bestimmte Gefühle und persönliche Eindrücke plastisch zu vermitteln.

Sprachlich ist das Ganze auf teils durchaus etwas gehobenem Niveau verpackt. Manche Sätze sind von faszinierender Bildhaftigkeit, so dass man bewusst langsam lesen möchte, um sie sich auf der Zunge zergehen zu lassen. So übt das Buch insgesamt betrachtet eine stille Faszination aus. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein leisetretender Roman – intelligent geschrieben und mit Figuren (vor allem Mr. Sakamoto), die eine gewisse Faszination ausüben. Auch wenn die Geschichte weitestgehend eher handlungsarm ist (nacherzählbare Handlung gibt es eher wenig), so zeichnet Jones dennoch intensive Stimmungen, die in scheinbarem Widerspruch zur dennoch offensichtlichen Distanz zu den Figuren steht.

Bleibt unterm Strich ein Buch im Gedächtnis, das sich am ehesten als literarischen Kleinod titulieren lässt. „Der Traum vom Sprechen“ ist ein Roman, der sicherlich nicht gerade große Wellen schlagen wird, aber dennoch mit einer faszinierenden Sprache und einer deutlich wahrnehmbaren Kraft erzählt ist – einfühlsam und diskret zurückhaltend zugleich.

Mag Jones‘ sprunghafter Erzählstil anfangs noch etwas unsortiert wirken, so wird die Geschichte mit dem Auftauchen von Mr. Sakamoto zunehmend faszinierender. Wer die Muße hat, Figuren für sich wirken und sich bei der Lektüre von der feinakzentuierten Sprache tragen zu lassen, der wird den Figuren sicherlich einige Sympathien entgegenbringen und auch aus der Lektüre an sich einiges Positives mitnehmen.

[www.edition-nautilus.de]http://www.edition-nautilus.de/

Manfredi, Valerio M. – etruskische Ritual, Das

_Handlung:_

Eigentlich will Fabrizio Castellani nur eine seltsame Kerbe an einem etruskischen Jungenbildnis untersuchen, doch in dem kleinen Ort, in dessen Museum sich die Statue befindet, überschlagen sich die Ereignisse. Ein unheimliches Heulen in der Nacht, und kurz darauf wird ein stadtbekannter Grabräuber gefunden, ermordet, zerfleischt. Was anfangs noch nach einem Racheakt an Grabräubern aussieht, zeichnet sich allmählich als Gefahr für das ganze Dorf ab.

_Schreibstil:_

Ein archäologischer Horror-Thriller, ob sowas gut gehen kann? Es kann, wie „Das etruskische Ritual“ eindrucksvoll beweist. Mit kleinen, über das Buch verteilten Infos lernt man vieles über das Leben der Etrusker, die vor den Römern Kultur nach Italien brachten. Vor allem über ihre Begräbnisrituale, deren bekanntestes in den römischen Gladiatorenspielen gipfelte, kann man hier eine Menge lernen.

Auch was den Horror betrifft, gelingt es Valerio M. Manfredi hervorragend, von Zeit zu Zeit wohlige Schauer über den Rücken des Lesers zu jagen, da das Grauen, das in der Stadt umgeht, auch des Öfteren über den Protagonisten herfällt und dieser sich jedes Mal nur knapp retten kann. Diese Szenen sind hervorragend beschrieben und wissen auch genau dann zu enden, wenn es zu viel des Guten werden könnte.

Zu guter Letzt sind auch die Teile des Buches, in denen Geheimnisse aufgebaut werden und den Leser während der gesamten Lektüre nicht loslassen, hervorragend geschildert, und das nervenzehrende „Was hat das zu bedeuten?“-Gefühl bleibt über die gesamte Distanz erhalten. Bis zur letzten Seite wird die Spannung aufrecht gehalten und zwingt dazu, das Buch am Stück durchzulesen.

Sprachlich gibt es nichts einzuwenden; flüssig, einfach und mit vereinzelten, gut angebrachten Beschreibungen wird der Roman erzählt, und lange, sich unnötig streckende Passagen kommen nicht vor.

_Fazit:_

Ein angenehmer Genremix, der mit seinem Schauplatz Italien auch noch einige exotische Bonuspunkte einheimsen kann, wobei das italienische Flair von Nichtitalienern wie zum Beispiel Donna Leon interessanterweise besser eingefangen wird. Einzig negativ sehen kann man die doch sehr vorhersehbare Liebesgeschichte, die in den Roman eingebaut wurde. Das gibt dem Buch zwar unweigerlich diesen Hollywoodfilm-Touch, wird dafür aber lustlos und klischeehaft erzählt. Ansonsten ist die Story schön überraschend, und auch die einzelnen Rätsel werden nachvollziehbar aufgelöst. Ein lesenswerter Roman für alle, die sich für frühitalienische Geschichte interessieren oder sich einfach mal ein bisschen gruseln wollen.

http://www.piper.de

Feiler, Marion – Faron – König von Callador (Band 1)

Zumeist wird in Fantasyromanen das Zusammenspiel von Gut und Böse thematisiert und das aus der Sicht des Guten. Marion Feiler wagt den Schritt, mit „Faron – König von Callador“ einmal aus der Sicht des Bösen zu schreiben.

Faron ist der Sohn des milden und erfolgreichen Königs Adrónis, doch bereits bei der Geburt wird klar, dass mit Faron etwas nicht stimmen kann. Er scheint durch und durch böse zu sein, deshalb wird er mit zehn Jahren in den Tempel gegeben, wo er zum Priester ausgebildet werden soll. Allerdings dient der Priester Nathon nicht der Friedensgöttin Jishta, die in Callador verehrt wird, sondern dem Kriegsgott Ashtor, der seine Hand über Faron hält und ihn zur Erde geschickt hat, um die Überlegenheit über Jishta zu gewinnen. Dadurch bekommt Faron eine Extrausbildung in Kampfkunst und schwarzer Magie.

Durch mysteriöse Umstände kommen der König und der rechtmäßige Thronfolger Garwin, Farons Bruder, auf der Jagd ums Leben und die Krone geht an Farador. Mit seinem Charme und seiner Ausstrahlung schafft er es, das Volk um den Finger zu wickeln, und er verbannt Jishta aus dem Tempel, um Ashtor dort seinen Platz zu geben. Mit dessen Hilfe und seinem kriegerischen Geschick schafft er es, die Nachbarreiche zu unterwerfen, doch plötzlich ergeht die Kunde, dass Garwin noch lebt und seinen rechtmäßigen Thronplatz einfordert …

Was sehr interessant klingt, nämlich die Sicht des Bösen, wird auch erfüllt. Faron ist tatsächlich böse und besitzt doch noch die Gefühle eines Menschen. Trotzdem hätten ihm ein paar Tiefen nicht geschadet, wobei er der noch am besten ausgearbeitete Charakter ist. Sämtliche Nebendarsteller sind sehr blass neben ihm, abgesehen von der trotzigen Amazone Naira, die unsterblich in Faron verliebt ist, wobei er diese Gefühle auch bei sich entdeckt.

Was aber noch viel schwerer wiegt, sind die Kritikpunkte an der Handlung. Es fehlt ein linearer Strang mit einem erkennbaren Ziel. Außer der Unterwerfung des gesamten Reichs Soramenis scheint Faron kein Ziel zu haben, und das wirkt sich negativ auf die Spannung aus. Selbige kommt beinahe gar nicht auf, da es, wie gesagt, keinen Handlungsstrang gibt, der eine konstante Steigerung beinhaltet.

Ansonsten bietet Feiler soliden Fantasystoff, der nicht gerade besonders innovativ ist. Die Welt, in der sie ihre Geschichte einbettet, ist mittelalterlich angehaucht und wirkt eher wie schmückendes Beiwerk denn als Grundlage für einen Roman.

Allerdings gewinnt das Buch durch den ausbaufähigen Schreibstil an Fahrt. Feiler schreibt sehr einfach und stringent, ohne Ausschweifungen oder großartige Nebenhandlungen. Das Buch lässt sich flüssig herunterlesen, auch wenn es am Anfang wegen der einen oder anderen Unsicherheit, die zumeist in fantasytypischem Geschwülste mündet, etwas hakt. Die ständige Verwendung von archaischen Wörtern, Satzstellungen und Zeiten (Imperfekt) machen es manchmal nicht einfach, Zugang zu finden, doch hat man sich erstmal zurecht gefunden, kann man „Faron – König von Callador“ in einem Zug herunterlesen.

Marion Feilers Fantasygeschichte ist sicherlich nicht der große Wurf. Besonders in der Ausarbeitung des Reiches Soramenis und der Handlung besteht noch Verbesserungsbedarf, aber der Schreibstil präsentiert sich als sehr ausgereift, auch wenn er am Anfang ein wenig gewöhnungsbedürftig ist.

http://www.marion-feiler.de/

Heitz, Markus – Sanctum

_Handlung_

„Sanctum“ ist die Fortsetzung von [„Ritus“ 2351 und schließt inhaltlich nahtlos am Ende des Vorgängerromanes an.

|1767|

Jean Chastel ist noch immer auf der Suche nach der wirklichen Bestie, dem Sohn des Marquis de Morangies. Auf seiner Suche findet er auch seine große Liebe, die Äbtissin Gregoria, wieder, die den Flammen des brennenden Klosters wie durch ein Wunder entkommen ist. Doch steckt hinter diesem Wunder ein merkwürdiges Pulver: das Sanctum.

Jean hat den Hinweis erhalten, dass sich die Bestie nach Rom abgesetzt hat, und folgt dieser. Gregoria, die eigentlich in ihrem Versteck bleiben sollte, macht sich ebenfalls auf den Weg nach Rom, um dort dem Papst von den Machenschaften des Legatus zu erzählen, und natürlich auch, um ihr Mündel Florence aus dessen Händen zu befreien. Sie wird allerdings nicht zum Pontifex durchgelassen, doch ein geheimnisvoller Bischoff nimmt sich ihrer an: Sie soll im Geheimen einen Orden aufbauen, um die Bestien zu jagen und ein Gegengewicht zu den Jesuiten zu bilden. Dafür will man ihr helfen, Florence wiederzubekommen, und ihr mehr von dem geheimnisvollen Sanctum zu beschaffen.

Auch Jean hilft beim Aufbau des Ordens, indem er die „Seraphim“, eine „Anti-Werwolf-Kampfeinheit“, die nur aus Jungfrauen besteht, ausbildet. Diese dürfen auch gleich ihr Können beweisen, denn die Jagd nach dem Comte de Morangies geht schon bald weiter. Dabei sehen sich die Jäger aber mit einigen weiteren Problemen konfrontiert, denn es gibt noch ein weiteres Werwesen, und der Orden des Lycaon sowie die Politik des Vatikans hinterlassen ihre Spuren …

|2004|

Auch Eric von Kastell macht sich auf den Weg nach Rom, und zwar, um seine große Liebe Lena, die ja mit Lykantropie infiziert ist, aus den Händen der geheimnisvollen Schwesternschaft des Blutes Christi zu befreien. Doch erweisen sich die Schwestern zur Kooperation bereit: Wenn er den Welpen der Bestie aus den Händen der Lycaoniten befreit, werden sie Lena und ihn von dem Fluch befreien. Eric macht sich in Begleitung einer der Schwestern auf nach Kroatien, wo er den Welpen das letzte Mal gesehen hat. Doch die Nonne ist nicht das, was sie zu sein scheint. Und auch Eric hat die Bestie in sich immer schlechter unter Kontrolle …

_Der Autor_

Markus Heitz, geboren 1971, arbeitete als Journalist bei der Saarbrücker Zeitung, ehe sein erster Roman „Schatten über Ulldart“ mit dem deutschen Phantastik-Preis ausgezeichnet wurde. Dem folgten nicht nur einige Fortsetzungen der „Ulldart“-Reihe und einige SHADOWRUN-Romane, sondern auch die Bestseller „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“ sowie inzwischen auch „Die Rache der Zwerge“. Damit ist er zu einem der erfolgreichsten Fantasy-Autoren Deutschlands geworden. „Sanctum“ ist sein neuester Roman und bildet das Ende der in „Ritus“ begonnenen zweiteiligen Saga.

_Mein Eindruck_

„Sanctum“ ist einer der Romane, auf deren Erscheinen ich sehnlich gewartet habe, denn das Ende des Vorgängerromanes „Ritus“ war doch alles andere als zufrieden stellend. Eines vorweg: „Sanctum“ ist ein würdiger Nachfolger und Abschluss der Geschichte.

Trotzdem unterscheiden sich die beiden Romane sehr deutlich voneinander. „Ritus“ hat hauptsächlich von der düsteren Stimmung und Spannung im Gevaudan gelebt sowie von der Action von Eric von Kastell. Dies ist bei „Sanctum“ gänzlich anders. Zum einen spielt nur noch ein ganz kleiner Teil der Geschichte im Gevaudan, denn die Handlung hat sich nach Rom verlagert. So stehen nicht mehr die Spannung und die Stimmung im Vordergrund, sondern eher die Intrigen und der Aufbau der Schwesternschaft des Blutes Christi.
Und auch in der Zukunft dreht sich nicht mehr alles nur noch um die Stärken von Eric von Kastell, denn Heitz hat es geschafft, aus dem „Superhelden“ des ersten Teils einen tragischen Helden zu machen, der weitaus sympathischer und charakterlich ausgereifter wirkt, aber auch einiges einzustecken hat.

Durch diese beiden Maßnamen wird die Geschichte auf ein neues Level gehoben, ist doch jetzt nicht nur eine Provinz in Südfrankreich betroffen, sondern Rom, das Zentrum der Christenheit. Dass die beiden Stränge diesmal beide größtenteils in Rom spielen, erzeugt eine parabelgleiche Homogenität, da ja Erics Vorfahren den Orden gründen, mit dem er jetzt, gut 230 Jahre später, so manches Gefecht auszutragen hat. Hier gleicht „Sanctum“ seinem Vorgänger, denn der Kontrast der beiden Epochen ist auch hier wieder hervorragend dargestellt. Zudem hat Heitz auch die in „Ritus“ schon angekündigten unterschiedlichen Rassen der Werwesen diesmal wirklich auch eingebaut, was zusätzlich etwas Abwechslung erzeugt, da vor allem der Werpanter, der in der Frühen Neuzeit auftaucht, einen interessanten Charakter und ebensolche Beweggründe hat.

Alles in allem entwickelt sich der Roman in die Richtung eines Verschwörungsromanes mit Werwölfen, wohingegen „Ritus“ eher die Werwölfe an sich in den Mittelpunkt gestellt hatte. Heitz‘ Erzählstil ist mal wieder knallhart. Da wird nicht beschönigt, und auch dem Leser ans Herz gewachsenen Figuren werden nicht mit Samthandschuhen angefasst. Als klar, schnell und kompromisslos könnte man den Schreibstil beschreiben, allerdings würde man dem Autor hier auch wieder Unrecht tun, denn teilweise wird das Tempo auch gedrosselt und genaue Beschreibungen und Spannung als Stilmittel gebraucht. Diese Vielfältigkeit macht das Lesen ungemein kurzweilig und fesselnd, zumal einige (wirklich) unerwartete Ereignisse den Leser schon etwas schockieren können – perfekter Lesespaß.

Auch die Enden der jeweiligen Epochen, sind sehr stimmungsvoll erzählt und schon einigermaßen tragisch, auch wenn hier natürlich endlich der Bogen geschlagen wird, der die beiden Handlungsstränge miteinander verbindet.
Die Aufmachung des Buches ist hier ebenfalls nur als sehr gelungen zu bezeichnen.

_Fazit:_ Starker und vor allem würdiger Nachfolger und Abschluss der in „Ritus“ begonnenen Saga um die Bestie von Gevaudan.

Home

|Markus Heitz bei Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[„Schatten über Ulldart“ 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[„Trügerischer Friede“ 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[„05:58“ 1056 (Shadowrun)
[„Die Zwerge“ 2823
[„Die Rache der Zwerge“ 1958
[„Die dritte Expedition“ 2098
[„Ritus“ 2351

Miller, Frank / Varley, Lynn – 300

_Story_

Leonidas war nie ein Mann der großen Worte; bereits seit Kindestagen ließ er stattdessen Taten sprechen, so zum Beispiel als er vollkommen ausgemergelt siegreich gegen eine überlegene Bestie focht und bereits dadurch zur Legende wurde. Dies ist nun vierzig Jahre her, und Leonidas ist inzwischen zum König Spartas aufgestiegen. Eine unglückliche Rolle, denn das Land wird bedroht und scheint dem Untergang geweiht.

Zu groß sind die persischen Truppen um den göttlichen Xerxes, die schnurstracks auf Griechenland zusteuern, um das Land zu erobern und sein Volk zu unterwerfen. Doch noch ist Sparta frei. Noch steht zwischen dem Überfall der Perser eine Armee von 300 tapferen Spartanern, angeführt von niemand Geringerem als Leonidas selber, einem Motivationskünstler sondergleichen, der seine Soldaten wider die Ermahnung durch das Orakel in den Krieg schickt. In einen Krieg, in dem es nicht nur um Ehre, Ruhm und Macht geht, sondern vor allem um Stolz. Lieber nämlich würde Leonidas sterben, als Xerxes den Frieden durch einen symbolischen Kniefall zu bescheren. Und so ziehen die Spartaner in den Krieg; 300 Mann, stolz und kampferprobt, aber gleichzeitig auch dem Tode geweiht.

_Meine Meinung_

Frank Miller ist derzeit wohl der meistgefragte und vielleicht auch beste Autor, den die amerikanische Comic-Szene ihr Eigen nennen darf. Spätestens mit der cineastischen Adaption der von ihm geschaffenen Serie „Sin City“ hat sich der Mann unsterblich gemacht, behält seinen arbeitsreichen Kurs aber weiterhin strikt bei. So folgt bereits kurze Zeit nach dem durchschlagenden Erfolg des Kinofilms ein weiterer Höhepunkt in Millers Karriere, nämlich die Geschichte der 300 Männer, die mit letzter Kraft ihr Heimatland Sparta verteidigten.

Und wie es sich für Miller gehört, wird das Ganze auch wieder in einer sehr edlen Fassung veröffentlicht, deren Aufmachung wohl zum Opulentesten gehört, was der gesamte Bereich aufzubieten hat. „300“ erscheint als DIN-A4-Hardcover mit luxuriösem Einband und der mittlerweile schon berüchtigten hochwertigen Papierqualität im |Cross Cult|-Verlag und stellt wohl auch für das junge Label das bisherige Highlight des eigenen Katalogs da. Der Haken: „300“ kostet in dieser Form knapp 30 €, ist also nicht wirklich erschwinglich, aber auf inhaltlicher Basis absolut jeden einzelnen Cent wert.

Bei Leonidas’ Kampf gegen die Perser greift Miller auf sein gesamtes stilistisches Repertoire zurück und überzeugt einmal mehr mit einer atmosphärisch enorm dicht illustrierten Geschichte, die zudem von der Eindringlichkeit des übergeordneten Erzählers geprägt wird. Seine Worte wirken zunächst wie Metaphern, ihre ständigen Wiederholungen gar heroisch, doch ihre Wirkung ist schlichtweg atemberaubend. Man wächst als Leser selber in die Rolle des griechischen Anführers hinein, fühlt seinen Stolz (der auch von den Zeichnungen spitzenmäßig eingefangen wurde), spürt seinen eisernen Willen und fühlt sich seinen Zielen verbunden. Seine Worte sind Gesetz und werden trotz ihrer bedenklichen Folgen als solches akzeptiert und verinnerlicht. Er leitet die Geschichte, er bestimmt den Verlauf, und in ihm alleine lebt Miller auf.

Obwohl der Autor die Handlung in die Hände von Leonidas’ Sprachrohr Dilios legt, wächst der Autor immer stärker in die Rolle des heldenhaften Kriegsherrn hinein und entwickelt ihn zu seinem Alter Ego, zum unnahbaren Helden und sicherlich auch zu einem ideologischen Vorbild, dessen Grundzüge rückblickend auch in manchen von Millers anderen Geschichten zu finden sind. Auch er ist ein stolzer Vertreter seiner Zunft, dabei ein echter Eigenbrödler und in seinem Handeln erfolgreich – hier bestehen tatsächlich massive Ähnlichkeiten zwischen Autor und Protagonist, vielleicht auch gewollt, aber auf jeden Fall sehr auffällig.

Doch im Mittelpunkt stehen natürlich nicht diese Vergleiche, sondern die exzellente Story, und diese fesselt einen von Beginn an. Obwohl der Leser ganz genau weiß, wohin sich die Sache entwickeln wird, und auch schon gezielt erahnen kann, welches Ende Miller in Betracht zieht, bleibt die Story spannend bis zum Schluss, weil sie eben nicht nur auf die kriegerischen Akte zielt, sondern auch einen sehr dominanten Fokus auf die einzelnen Hauptakteure wirft. Zwischenzeitlich gerät die Verteidigung Spartas sogar ins Hintertreffen, weil vorrangig wichtig ist, was mit den führenden Personen, aber auch mit den einprägsamen Charakteren in ihrer Umgebung geschieht. Aber trotzdem ist diese Spannung nicht vergleichbar mit den herkömmlichen Erklärungen dieses Begriffes. Vielmehr ist es die Spannung, die nur auf eine endgültige Explosion wartet, quasi auf den vorbestimmten und nur zeitmäßig nicht festgelegten Knall, der – wie soll es anders sein – erst zum Schluss eintritt. Dafür aber umso majestätischer!

„300“ ist zweifelsohne ein echter Glanzakt und mit Abstand Millers elegantestes Werk. Nichts wurde dem Zufall überlassen, denn alles scheint strikt durchgeplant. Das gibt der Handlung Sicherheit und den Aktionen Bestimmung und Richtung. Eigenschaften, die der Autor auch auf die tragenden Figuren übertragen hat, um ihnen so ein vergleichbares Profil zwischen den individuell so unterschiedlichen Eigenheiten zu schaffen. Und das wäre dann schon wieder eine weitere von vielen, noch ungenannten Besonderheiten, die dieses edle Stück (wenn auch nicht auf den ersten Blick) auszeichnen.

Wie bereits erwähnt, das noble Comic-Paket ist mit 30 € ein sehr kostspieliges Unterfangen und prinzipiell auch nur dann zu empfehlen, wenn man Stil und Stärken des Autors bereits anderweitig kennen gelernt hat. Denn auch wenn „300“ ohne Wenn und Aber ein echtes Meisterwerk der illustrierten Buchkunst geworden ist, so ist es noch immer Voraussetzung, dass man den bizarren, finsteren Stil des Urhebers mag. Sollte dies der Fall sein, und davon ist prinzipiell auch auszugehen, ist das Geld für diesen Comic echt gut angelegt. Sehr gut sogar!

http://www.crosscult.de/
[Offizielle Website zum Film]http://300themovie.warnerbros.com/

Rafik Schami – Märchen aus Malula

„Märchen aus Malula“ ist eine Auswahl von sechs Erzählungen, die seit vielen Generationen in Rafik Schamis Heimatdorf Malula in Syrien erzählt werden. Wenngleich sie auch inhaltlich sehr unterschiedlich sein mögen, verbindet alle sechs Märchen eine ähnliche moralische Botschaft. Auf verschiedenste Weise beschäftigen sich die Erzählungen mit den Vorstellungen von Gerechtigkeit und von Respekt und Dankbarkeit gegenüber Mitmenschen.

Rafik Schami – Märchen aus Malula weiterlesen

Charles Stross – Accelerando

Nahe Zukunft:

Die irdische Zivilisation hat sich merklich gewandelt. Die uns bekannten politischen Verhältnisse sind weitgehend in Auflösung begriffen oder regressiv, so gibt es im Osten eine Neuauflage des Kommunismus mit KGB, und die USA haben ihren Status als führende Weltmacht eingebüßt.

In der Gesellschaft ist ein ausgeprägter Trend zum Cyberspace zu bemerken; so hat jeder fortschrittliche Mensch ständig Zugriff auf das Internet, sei es über Konsolen oder Brillen, die ihre Informationen direkt in das Sichtfeld des Benutzers einblenden. Microsoft ist aus dem Rennen, nur die russischen Kommunisten setzen noch auf ihre Software, nach dem Motto „Was ich bezahlen muss, ist auch höchster Standard“. Doch ansonsten überwiegt die open source und es bilden sich idealistische Gruppierungen, die auch das Leben zu einer echten open source machen wollen. Ihr Vorreiter ist Manfred.

Manfred besitzt eine Datenbrille von höchster Bandbreite, die ihn ständig mit den aktuellsten Informationen konfrontiert. Aus diesem Brei filtert er für sich Interessantes heraus und fügt es seinem externen Speicher hinzu, der sein Gedächtnis erweitert. Er ist ein Infonaut, der seine Informationen an Kunden verschenkt, die es möglicherweise interessieren könnte. Außerdem entwickelt er aus dem Gehalt seiner Recherchen ständig profitable Ideen, die er sofort patentieren lässt und einer Stiftung für freies Gedankengut zur Verfügung stellt, die alle neuen Ideen zu open source macht.

Manfred besitzt sozusagen keinerlei Zahlungsmittel. Aber seine genialen Ideen, die er weltweit verschenkt, um andere Leute reich zu machen, verschaffen ihm eine Kreditwürdigkeit, die allgemein kaum noch zu übertreffen ist. Daraus folgt für ihn, dass er ständig und an jedem Ort der Welt von irgendeinem durch ihn reich gewordenen Menschen oder einer Firma gesponsort wird.

Mit dem Upload einer Hummerspezies in den Cyberspace nimmt die Entwicklung eine neue Richtung an: Im Netz existiert nun eine künstliche Intelligenz, basierend auf den Neuronen der Hummer, die sich an Manfred wendet. Er kann auch ihr zu Menschenrechten verhelfen und schafft damit einen Präzedenzfall, der in der Zukunft der Menschheit noch eine bedeutende Rolle spielen wird, denn im Zuge ihres Strebens nach einem Leben nach dem Tod nehmen ab nun immer mehr Menschen die Möglichkeit eines Uploads in Anspruch.

Damit erhält auch die Raumfahrt neuen Aufwind. Durch die Möglichkeit, Massenspeicher in Form von Miniaturraumschiffen zu den Sternen schicken zu können – als Passagiere hochgeladene Zustandsvektoren von den betreffenden Menschen – erhält diese Form der Reise mehr Effizienz als bis dato vorstellbar. Manfreds geschaffener Präzedensfall bezüglich der Menschenrechte einer KI treibt einen Rückgang der realen Bevölkerung voran und fördert den Zuwachs künstlicher Intelligenzen. Um die Informationsdichte des Sonnensystems bestmöglich auszunutzen, beginnt eine neue Art der Eroberung: Die solaren Planeten werden – beginnend mit Merkur – abgebaut und zu Nanorechnern umstrukturiert, die in einer Wolke um die Sonne kreisen. Damit steigt die Informationsdichte – MIPS, Millionen Informationseinheiten pro Sekunde – rapide an. Die innerste Schale der Wolke nutzt die direkte Sonneneinstrahlung als Energie, ihre Abwärme wird von der nächsten Schale genutzt und so weiter: Eine Dyson-Sphäre entsteht.

Manfreds Tochter macht sich derweil auf, einer außerirdischen Form von systemumfassender Dysonsphäre auf die Spur zu kommen, und lädt sich mit ihren Freunden in das System eines galaxisumspannenden Netzwerks hinein. Sie stellt fest, dass dieser Weg eine ebensolche Sackgasse ist wie die Beschränkung auf einen Planeten …

„Accelerando“ erzählt die Geschichte einer Familie auf dem Weg in die Zukunft, eine Zukunft, die rasanter auf die Menschheit zugestürmt kommt als für möglich gehalten wird. Stross schreibt von einer Singularität, einem Ereignis, nach dem sich die Menschheit in eine Richtung entwickelt, die ein Mensch vor Eintreten des Ereignisses nicht hätte vorhersehen können. Er lässt seine Protagonisten auch darüber spekulieren, zu welchem Zeitpunkt diese Singularität anzusiedeln ist. Möglichkeiten findet er einige: Die Inbetriebnahme des Internet, den erfolgreichen Upload der Hummer und weitere, nicht nur aus seiner Fantasie entspringende Ereignisse aus der Geschichte der Menschheit.

Die beobachtete Familie erlebt diese Entwicklung aus verschiedenen Perspektiven mit, ist unterschiedlich involviert. Manfred zum Beispiel ist in hohem Maße mitverantwortlich für Teile des Geschehens, und ihm, als äußerst schnelllebigem Mann, immer auf der Jagd nach Informationen, fällt ein großer Teil der Last des Fortschritts zu, des Zukunftsschocks, den diese Entwicklung mit sich bringt. Zu einem Zeitpunkt, als er noch auf seine Brille beharrt, hat sich in der Bevölkerung bereits der Einsatz von Implantaten durchgesetzt, die ihr eine viel größere Bandbreite bieten, als es äußeren Hilfsmitteln ohne direkten Zugang zum Hirn eines Menschen möglich ist.

Es ist ein Fortschritt, der nicht einmal vergleichbar ist mit dem Fortschritt von der ersten bewussten Feuermachung bis zum alltäglichen Gebrauch des Internet, denn er richtet sich nicht nur auf die äußeren Lebensbedingungen, sondern in größter Weise auf das Innere, den Informationsgehalt der Seele eines Menschen. Und im Hintergrund steht immer die Idee, dass es eine intergalaktische Sphäre, einen Cyberspace gibt, in dem sich die hochstehenden Zivilisationen tummeln. Trotzdem stimmt diese Idee den Autor nicht optimistisch, sondern er nutzt sie, um den absoluten Weg in den Cyberspace ad absurdum zu führen. Denn wie oben erwähnt, ist Stross klar, dass der eigentliche Weg der Menschheit nicht vorhersehbar ist, durch eine Singularität vom Vorstellungsvermögen der präsingularen Menschen getrennt. Er führt die Idee der Dyson-Sphäre bis zum apokalyptischen Ende und sägt damit an einer Vorstellung, die in vielen Science-Fiction-Lesern vorherrscht: Die Erde als Heimat der Menschheit fiele diesem Fortschritt zum Opfer und geht in seiner Vision sogar weitgehend unbeachtet den Weg in ihre Einzelteile.

Was bei diesem Roman noch stärker als bei den anderen beiden in Deutschland veröffentlichten Romanen deutlich wird, ist Stross‘ umfassende Recherche und seine ebenso umfassende Allgemeinbildung. Er handhabt kulturelle und gesellschaftliche Details aus vielen verschiedenen Ländern und Bereichen mit einer Selbstverständlichkeit, die zumindest suggeriert, dass sie zu seinem Wortschatz und seinem Wissensspeicher gehören. Das macht es dem Leser in manchen Fällen natürlich schwer, seinen Gedanken zu folgen. Es bleiben immer Details, die ohne eigene Recherche nicht einordenbar sind, aber im Grunde sind all diese Dinge ohne Belang für das Verständnis der eigentlichen Geschichte, die sich sehr spannend und unterhaltsam vor dem Leser ausbreitet. Relevante Begriffe benutzt er dagegen entweder sehr häufig oder erklärt sie im Folgenden ausreichend, um zumindest eine Vorstellung vom Sachverhalt zu vermitteln, die den Leser zufrieden stellt und dem Lesefluss nicht im Weg steht.

Natürlich ist der Roman schon an sich für Leser, die entweder ganz andere Interessengebiete haben oder deren erster Ausflug in das utopische Genre dieser Roman ist, schwer verdaulich. Glücklicherweise hat es diese Thematik auf der Kinoleinwand zu einem breiteren Publikum gebracht als auf Papier; gerade in diesen Jahren wurden einige hochwertige SF-Romane verfilmt. Es fällt also kaum jemand völlig unbedarft ins kalte Wasser, denn gerade die Cyberspace-Thematik ist spätestens seit „Matrix“ allgemein zugänglich.

Bemerkung

Durch die Gestaltung des Layouts suggeriert Heyne, „Accelerando“ wäre ein weiterer Roman aus dem Universum des Eschaton und würde in irgendeiner Weise in Verbindung zu „Singularität“ und „Supernova“, den beiden vormals erschienenen Romanen von Charles Stross, stehen. Hier muss gewarnt werden, denn trotzdem durchaus das Eschaton erwähnt wird, steht „Accelerando“ völlig eigenständig da und hat keinerlei Beziehung zu den oben genannten Romanen. Marketing.

„Accelerando“ ist meiner Meinung nach der bisher beste Roman von Stross und ein Highlight des Jahres 2006. Er birst vor Ideen und zieht den Leser in seinen Bann. Er leidet weder unter seiner Komplexität, die auch nur den Hintergrund der Geschichte bildet, noch wirkt er überladen. Es scheint ein Merkmal Stross’scher Schreiberei zu sein, dass jeder seiner Romane fast unter Ideenüberschuss leidet. Charles Stross schreibt einen Roman mit einem Hintergrund, auf dem andere Autoren ihre gesamte Karriere aufbauen würden – und das macht er jedes Mal so.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Rochels, Tim C. – Schwarze Szene

Endlich hat er es geschafft! Lange hörte ich Tim C. Rochels schon von einem Bildband reden, doch endlich ließ sich ein Verlag dazu hinreißen, das Werk auch tatsächlich zu veröffentlichen. Schon lange vorher bin ich mit den Bildern aufgrund der Bekanntschaft mit dem Fotografen selbst in Berührung gekommen, doch bezeichnete er mich immer wieder als einen seiner größten Kritiker und das ist auch der Grund, warum ich diese Rezension verfassen wollte.

Der Bildband enthält sortierte Bilder von diversen Künstlern, die zum größten Teil aus der Gothic-Ecke stammen, aber auch Bilder aus den sparten Rock und sogar Black Metal sind hier zu finden. Alle Bilder sind direkt auf der Bühne entstanden, und so reflektieren sie eine große Dynamik, halten aber dennoch nur einen Augenblick fest. Das war für mich auch immer die Faszination an den Bildern von Tim C. Rochels – ein Stillleben, klar und deutlich festgehalten, aber dennoch nur ein Augenblick und in manchmal schon fast unmöglichen Momenten einer Bewegung.

Ich werde hier keine Liste der Bands aufführen, die im Bildband enthalten sind, dazu habe ich eine kleine Übersicht am Ende der Rezension angeführt, vielmehr möchte ich auch auf die Technik und den Druck eingehen, was ja bei einem solchen Bildband von immenser Bedeutung ist. Tim versucht stets, den Künstler ohne Abstriche ins Zentrum seiner Fotografie zu rücken, spielt dabei sehr oft mit harten Lichteffekten und arbeitet auch sehr gern mit starker Körnung. Dadurch gewinnen die Bilder enorm an Intensität. Wenn von einem Bühnenscheinwerfer eine Hälfte des Gesichtes erleuchtet ist, während sich die andere gänzlich im Dunkeln befindet, dann ist das genau der Moment, auf den der Fotograf gewartet hat und uns hier in einer Auswahl seiner besten Bilder präsentiert. Es wird auch sehr viel Wert auf Details gelegt, so dass manches Mal sogar jede noch so kleine Pore eines Ville Vallo zu erkennen ist.

Die 750 Abbildungen sind auf sehr starkem Papier gedruckt, alle Bilder springen dem Leser mit ihrem sehr hohen Kontrast geradezu entgegen. Es macht wirklich Spaß, in diesem zugegebenermaßen nicht gerade billigen Bildband zu blättern. Trotz des hohen Preises gibt es hier |value for money| und man schmökert ab und zu gern wieder in diesen wunderschön festgehaltenen Erinnerungen. Außerdem sei noch die Verpackung erwähnt – so kommt der Band in einem Schuber aus Holz, mit schwarzem Hochglanz überzogen, und das Ganze wiegt unglaubliche zwei Kilogramm!

Allen, die ein Live-Konzert von unten genannten Künstlern ohne Ton, aber dafür mit umso schöneren Bildern in den heimischen vier Wänden erleben wollen, sei dieser Bildband ans Herz gelegt.

Die Fotografien stammen von folgenden Künstlern:
ALIEN SKULL PAINT, ANDI SEX GANG, ANGELZOOM, ANNE CLARK, ANNE CLARK & DAVID HARROW, ANTIWORLD, APOCALYPTICA, APOPTYGMA BERZERK, ASP, ASSEMBLAGE 23, ATROCITY, AUSGANG, BLOODY DEAD & SEXY, BLUTENGEL, CATASTROPHE BALLET, CHAMBER, CINEMA STRANGE, COMBI CHRIST, COVENANT, CULTUS FEROX, CYBER AXIS, DAS ICH, DEATHSTARS, DECODED FEEDBACK, DEINE LAKAIEN, DEVILISH PRESLEY, DIARY OF DREAMS, DIVA DESTRUCTION, ELIS, ENTWINE, ESCAPE WITH ROMEO, EXILIA, FAITH AND THE MUSE, FIXMER/MCCARTHY, FLIEHENDE STÜRME, FRANKENSTEIN, FUNKER VOGT, GOD MODULE, GOETHES ERBEN, GOLDEN APES, GOTHMINISTER, HAGGARD, HIM, HOCICO, ICON OF COIL, IN EXTREMO, IN STRICT CONFIDENCE, JUSTIN SULLIVAN, LACRIMAS PROFUNDERE, LACRIMOSA, LACUNA COIL, L‘ÂME IMMORTELLE, LONDON AFTER MIDNIGHT, MILÙ, MORTIIS, MY DYING BRIDE, NEUROTIC FISH, NEW DAYS DELAY, NICK CAVE, ORDEAL BY FIRE, ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO, PHILLIP BOA, PILORI, PINK TURNS BLUE, PROJECT PITCHFORK, PSYCHE, QUÍDAM, RED LORRY YELLOW LORRY, ROTERSAND, RUN LEVEL ZERO, SALTATIO MORTIS, SAMSAS TRAUM, SCARY BITCHES, SCHANDMAUL, [:SITD:], SKELETAL FAMILY, SPETSNAZ, STATEMACHINE, SUBSTANCE OF DREAM, SUBWAY TO SALLY, SUICIDE COMMANDO, SYSTEM SYN, TERMINAL CHOICE, THE 69 EYES, THE BEAUTIFUL DISEASE, THE BREATH OF LIFE, THE CASCADES, THE CHAIN, THE COLD, THE CRÜXSHADOWS, THE DEEP EYNDE, THE ETERNAL AFFLICT, THE FAIR SEX, THE HOUSE OF USHER, THE KLINIK, THE LAST DANCE, THE LAST DAYS OF JESUS, THE MISSION, THE OTHER, THE VISION BLEAK, THERION, TRAIL OF TEARS, TRISTANIA, UMBRA ET IMAGO, UNHEILIG, VENENO PARA LAS HADAS, VNV NATION, VOODOO CHURCH, WAYNE HUSSEY, WELLE:ERDBALL, WHISPERS IN THE SHADOW, WITHIN TEMPTATION, WITT, WOLFSHEIM, XANDRIA, ZADERA, ZERAPHINE, ZOMBINA AND THE SKELETONES.

|544 Seiten mit ca. 750 Abbildungen
Premium-Hardcover mit Schutzumschlag im Großformat 24 x 30 cm, fadengeheftet
schweres Bilderdruckpapier, durchgehend duplex gedruckt, im Schmuckschuber|

http://www.angst-im-wald.com
http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de

_Robby Beyer_

Kröhnert, Steffen / Medicus, Franziska / Klingholz, Reiner – demografische Lage der Nation, Die

Wollten wir nicht alle schon mal wissen, wie es um unseren Heimatort steht? Steht er kurz vor dem Kollaps oder vor seiner Blüte? Sind unsere Arbeitsplätze sicher und lohnt es sich, hier Kinder zu kriegen?

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beziehungsweise das Autorenteam Steffen Kröhnert, Franziska Medicus und Reiner Klingholz gibt in „Die demografische Lage der Nation“ Antworten. Wie der Titel schon andeutet, geht es hier etwas trockener zur Sache. Man beschäftigt sich mit einzelnen Bundesländern und ihren prosperierenden oder absterbenden Landkreisen und zeigt interessante Entwicklungen auf in Bezug auf Demografie, Wirtschaft, Integration, Bildung, Ab- und Zuwanderung und Kinderfreundlichkeit. Am Ende jedes Bundeslandkapitels gibt es dann eine Trendtabelle, in der diese Faktoren anhand im Anhang erklärter, empirischer Maßstäbe bewertet und mit einer Trendnote versehen werden. Dadurch ist es möglich, Vergleiche anzustellen, wobei dies schon dadurch erleichtert wird, dass verschiedene Farbabstufungen für verschiedene Notenbereiche benutzt werden. Der Anfang des Buches ist schließlich das Ende des Buches. Statt einer Zusammenfassung der Ergebnisse im letzten Kapitel nimmt man diese vorweg und macht daran zwölf Punkte fest, die auffällig waren. Beispiele dafür sind die fehlenden Frauen im Osten oder natürlich die Überalterung der Gesellschaft.

Der Inhalt des Buches gebärdet sich dabei weit interessanter, als man denkt. Schließlich ist einem als deutscher Staatsbürger der eine oder andere Landstrich bekannt und die umfassenden Informationen, die man in dem Buch darüber bekommen kann, sind sehr interessant. Aufgelockert wird das eigentlich trockene Thema der Demografie durch das Einstreuen kleiner Anekdoten, wie zum Beispiel dem Versagen verschiedener Regierungen in bestimmten Punkten, was man als normaler Bürger vielleicht gar nicht so mitbekommt.

Geschrieben wurde glücklicherweise auf eine unterhaltsame, aber dennoch wissenschaftliche Art. Leichtfüßig und in Alltagssprache, aber nüchtern und wertfrei, dafür ab und an mit einem kleinen Augenzwinkern widmen sich die Autoren „Daten, Fakten, Analysen“, wie das Buchcover verspricht. Mit viel Fachwissen und doch leicht verständlich erklären sie die zahlreichen Tabellen und Schaubilder in vier Farben, die den Inhalt anschaulich und vergleichend darstellen.

Präzise und ohne Ausschweifungen fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen und bescheren dem Leser dabei einen guten Überblick über die deutsche Lage und inwiefern welche Umstände für den jeweiligen Heimatort gelten. Klare, aber nüchterne Sprache, viele Abbildungen und eine sorgfältige Auswahl in Bezug auf den Inhalt halten das Interesse des Lesers wach. Auf der einen Seite gibt es Fakten, auf der anderen wird auch die eine oder andere lockerere, nicht besonders wissenschaftliche Anekdote zum Besten gegeben. Empfehlenswert für den, der einen guten Überblick über das Thema haben möchte, ohne überfordert zu werden.

Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
http://www.dtv.de