Archiv der Kategorie: Rezensionen

Ubukata, To – Implosion (Mardock-Trilogie 3)

Band 1: [„Kompression“ 2695
Band 2: [„Expansion“ 3363

_Das Geheimnis der 1800 Seiten._

Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, hieß es stets, und da es die deutschen Übersetzungen gerade mal auf gute 1000 Seiten bringen, stellt sich dem neugierigen Leser natürlich die Frage: Wo ist der Rest abgeblieben? Von |Heyne| gekürzt? Bei der Übersetzung verloren gegangen? Cora Hartwig, die Übersetzerin der Mardock-Trilogie, hat das Geheimnis dann gelüftet: Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, wurde dann aber u. A. vom Autor selbst kräftig gekürzt, ehe es überhaupt veröffentlicht wurde.

Außerdem muss bei solchen Seitenangaben beachtet werden, dass die japanische Normseite 17 Zeilen und 40 Anschläge umfasst, während es bei der deutschen Normseite 30 Zeilen und 60 Anschläge sind (eine Normseite entspricht der Standardformatierung, in der Manuskripte bei Verlagen einzureichen sind, wie jede(r) Nachwuchsautor(in) gequält nickend zu bestätigen weiß). Auch diese Information verdanke ich Frau Hartwig und möchte mich an dieser Stelle nochmals herzlich bei ihr bedanken!

_Showdown A-go-go Baby!_

Nun denn, zurück nach Mardock, wo der Leser in „Kompression“ und „Expansion“ eine rasante Achterbahnfahrt durchlebt hat: Im ersten Band durfte der geneigte Leser Rune Balot kennenlernen, die minderjährige Zwangsprostituierte; man war dabei, als sie von Shell Septinos beinahe umgebracht wurde, als sie von zwei Rechtsanwälten aufgegriffen wurde, als sie zu einer biotechnologischen Kampfmaschine umgebaut wurde, als sie ihre Fähigkeiten zu beherrschen lernte, als sie von Shell Septinos und seinen brutalen Häschern gejagt wurde, als Action im Buch eine neue, vorstellungssprengende Dimension erreicht hat.

Im zweiten Band dann begab man sich mit Rune Balot auf die Suche nach Motiven: Wer ist Shell Septinos, ihr Beinahe-Mörder? Wer ist Dimsdale Boiled, die schier unüberwindliche Kampfmaschine im Dienste von Septinos? Was treibt die beiden an? Was hat die October Company damit zu tun? Ein vergeistigter Trip war das, bis zu dem Punkt, da Rune Balot das Casino von Shell Septinos betritt, um dort einen wahren Glücksspiel-Thriller zu erleben, der eine völlig neue Spannungserfahrung vermittelt hat.

Die Spannung ist also groß – wie wird sich das alles im abschließenden Band der Mardock-Trilogie auflösen? Noch immer befinden wir uns im Casino von Shell Septinos, noch immer muss Rune Balot durch geschicktes Glücksspiel an die wichtigen Eine-Million-Dollar-Chips herankommen, da auf diesen die Erinnerungen von Septinos gespeichert sind – seine Motive, seine Verbindungen zur October Company und seine ganze schmutzige Vergangenheit. Wo Rune im zweiten Band noch beim Poker und beim Roulette bestehen musste, gilt es nun, die statistischen Geheimnisse des Black Jack zu ergründen und gegen das Casino einzusetzen.

Außerdem muss Balot gegen die Anwälte der October Company bestehen und natürlich ein letztes Gefecht mit der irrsinnigen Kampfmaschine Dimsdale Boiled austragen. Die perfekte Gelegenheit also, um an der Action des ersten Bandes anzuknüpfen und die angedeuteten Tiefgründigkeiten des zweiten Bandes auszuloten.

_Schwacher Schluss einer starken Trilogie._

Auch in „Implosion“ hat es Ubukata geschafft, dem unkundigen Leser einen völlig neuen Blickwinkel auf das „Glücksspiel“ zu gewähren, und es macht einen Heidenspaß, Rune Balot beim Black-Jack-Spielen zuzusehen. Aber diesmal hat es Ubukata überstrapaziert, denn ein Kartenspiel von 213 Seiten bei einer Story von 342 Seiten ist definitiv zu lang. Natürlich bekommt Rune einen würdigen Gegner, natürlich werden ihre Fähigkeiten ausgereizt und ohne jeden Zweifel war es ganz und gar nicht einfach, dieses Kartenduell zu choreographieren, ohne die Regeln der Wahrscheinlichkeit allzu schwer zu verletzen. Aber irgendwann liest man nur noch Zahlen, liest „Hit“, „Stay“, „Bust“, „Split“ oder „Double Down“, ohne dass man Runes Strategie tatsächlich noch folgen könnte. Trotzdem reißt es einen noch mit, keine Frage, aber die Ermüdungserscheinungen bleiben nicht aus.

So freut man sich denn, dass sich während der letzten Seiten ein actionbetonter Showdown abzeichnet, aber – leider – auch dieser kommt nicht ohne Ermüdungserscheinungen aus. Wo in „Kompression“ Rune Balots Kampf gegen die fürchterliche Bandersnatch-Gang Maßstäbe gesetzt hat, mit einem atemberaubenden Actionspektakel, wie ich es in einem Buch nicht für möglich gehalten hätte, schleppt sich „Implosion“ mit einem konventionellen Zweikampf zum Ende. Noch immer ist es beeindruckend, wie Ubukata Geschwindigkeit vermittelt, wie er die Explosionen förmlich spürbar macht, aber es bleibt dennoch bei einem blassen Nachbild der Action des ersten Bandes.

Eigentlich hätte „Implosion“ ein gewaltiger Schlussakkord sein können, der einen neuen Blickwinkel auf die Ereignisse der ersten beiden Bände erzeugt, der mit neuen Ideen den Leser erneut verblüfft, der wiederum mit den Konventionen spielt und sich über sich selbst erhebt. Stattdessen erfährt der Leser nichts brüllend Neues, der Tauchgang in die Erinnerung von Septinos liefert einem nichts, was man nicht ohnehin schon vermutet hätte, und anstatt im Showdown mit den Konventionen zu brechen, liefert Ubukata schlicht und ergreifend Action-Standard.

Es ist überaus schade: Wo die ersten beiden Bände noch Hunger auf mehr machten, bricht in „Implosion“ sämtliche aufgebaute Spannung zu einem Sammelsurium aus Klischees zusammen und hinterlässt den faden Eindruck einer Story, die sich tatsächlich auf einem Bierdeckel zusammenschreiben ließe. Natürlich hat Ubukata auch hier gute Ideen verarbeitet, seine Szenen sind spritzig, rasant und kompakt – es ist nicht sein Stil, dem die Puste ausgeht, sondern die Story. Auf der Zielgeraden macht sie schlapp. Die Erwartungen werden nicht erfüllt. Unter dem Strich bleibt dennoch ein solides Zukunfts-Abenteuer, das man sich durchaus zulegen kann. Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen, denn die ersten beiden Bände sind und bleiben unbedingt empfehlenswert! Und, na ja, schwache Trilogie-Schlusspunkte hat die Phantastik-Anhängerschaft ohnehin schon längst zu verkraften gelernt: Matrix, Fluch der Karibik, Spider-Man …

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Kim, Sung-Jae / Kim, Byung-Jin – Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins 1

_Story_

Seit Jahr und Tag kämpft Chonchu bereits ums nackte Überleben in einer Welt, in der das Gesetz dem Chaos und der Gewalt gewichen ist. Dabei schien sein Schicksal bereits bei der Geburt besiegelt; als Zwilling zur Welt gekommen, vermuteten seine Eltern hinter ihm die prophezeite Ausgeburt der Hölle, einen Dämon, den es sofort zu töten galt. Doch sein Vater beugte sich dem Willen der Gattin und ermöglichte beiden Söhnen ein herkömmliches Leben und irgendwann in ferner Zukunft einen natürlichen Tod.

Allerdings ist Chonchu in Wahrheit derjenige Bruder mit der reinen Seele; erst ein Attentat seines Zwillings Ulpasso hat ihn in die missliche Lage gebracht, in der er sich nun befindet, seit Ulpasso ihm den Teufelsstein in die Brust gerammt hat. Vom Blutdurst beherrscht, zieht Chonchu nun durch die Lande und trotzt auf seinem Rachefeldzug mehrfach dem Tod. Als Dämon ist Chonchu nämlich unsterblich und verschafft sich an der Seite Mirmidons Respekt und Ehre. Als er schließlich auf Lady Fasa, das Oberhaupt des Volkes der Koma, trifft und ihr bei einem Angriff des Stammes der Yung zur Seite steht, scheint sich sein Schicksal zu wenden. Fasa wurde nämlich einst Ulpasso versprochen – und mit dem hat Chonchu seit frühester Kindheit noch eine Rechnung offen.

_Persönlicher Eindruck_

Mit „Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins“ erweitern |Tokyopop| dieser Tage ihren Fantasy-Katalog um ein relativ blutiges Spektakel. Bereits der Auftakt offeriert ein hohes Maß an derber Gewalt und lässt keinen Zweifel daran, dass die 15+-Einstufung ihre volle Berechtigung hat. Davon mal abgesehen, gestaltet sich der erste Band schon recht viel versprechend, wenngleich man den Verlauf der Handlung in groben Zügen schon im Voraus erahnen kann und der Weg der Serie – oder zumindest der ersten Episoden – schon grob vorgezeichnet scheint.

Zunächst einmal jedoch erzählt Autor Sung-Jae Kim in kurz eingeworfenen Flashbacks von den Ereignissen aus der Kindheit des Protagonisten. Nach und nach erfährt man vom Schicksal der Zwillinge, dem Verrat von Chonchus Bruder Ulpasso und schließlich den verdrehten Entwicklungen, die die beiden mittlerweile verhassten Brüder durchgemacht haben. Und darauf aufbauend steigt Kim schließlich in die eigentliche Story ein und bringt uns bereits die entscheidenden Charaktere nahe – nicht jedoch ohne zunächst einmal so richtig die Schwerter klirren zu lassen. „Chonchu – Der Erbe des Teufelssteins“ mangelt es nämlich zu keiner Zeit an Action, und immer wieder wird die Szenerie folglich durch gewaltsame Schlachten und blutige Kämpfe erschüttert. Dabei gelingt es dem Autor jedoch sehr gut, ein authentisches Profil des zum Dämonen manipulierten Titelhelden zu erstellen und unmissverständlich klarzumachen, dass die Geschichte von einer grundsätzlichen Härte dominiert wird, die sich vorerst nur in den dynamischeren Szenen widerspiegelt, sicher aber künftig noch auf die Dialoge übergehen wird. Und auch die Entwicklung der ersten Züge der Handlung sind durchaus ansprechend und offenbaren ein gesteigertes Potenzial, welches sich von der Erschaffung der Charaktere über den flotten Aufbau der Story bis hin zu der einen oder anderen plötzlichen Wendung durchzieht. So viel zu den überwiegend positiven Eindrücken der neuen Fantasy-Serie.

Ein wenig ungeschickt erweist sich indes die Tatsache, dass der Autor schon zum Auftakt der Reihe die Karten sehr offen auf den Tisch legt und erstmal nur wenig Raum für spontane Überraschungen oder gar revolutionäre Einschnitte lässt. Der Leser bekommt schnell ein Gespür für die meines Erachtens zu transparente Rollenverteilung und kann sich gewissermaßen denken, inwieweit sich die Handlung im Zuge dessen fortentwickelt. Zwar ist bekannt, dass derartige Reihen nicht immer ein klassisches Happy-End haben werden – und darauf zu diesem frühen Zeitpunkt überhaupt zu spekulieren, wäre ja eigentlich auch müßig – aber dass der derzeit noch blutrünstige Chonchu schon recht bald die Sympathien erobern wird, während der äußerliche Saubermann Ulpasso garantiert seinen bösartigen Gegenpart übernehmen wird, steht wohl außer Frage.

Aber man sollte der Serie Gelegenheit geben, diese Vorab-Vermutungen zu bestätigen oder zu widerlegen und sich erst einmal auf diesen ersten Band beschränken, der inhaltlich durchaus gelungen ist, sich eventuell dabei ein wenig zu brutal darstellt, insgesamt aber sicher Lust auf mehr macht – selbst wenn die vorliegende Idee alles andere als unkonventionell ist. Aber wie „Chonchu“ zumindest im ersten Teil unterstreicht, müssen sich Qualität und Originalität nicht zwangsläufig bedingen.

http://www.tokyopop.de/buecher/manga/chonchu__der__erbe__des__teufelssteins/index.php

Neil Gaiman, Dave McKean – Mr. Punch

|“Nun, Mister Punch,
sollt Ihr am Hals
aufgehängt werden, bis zum
Tod –
Tod –
Tod!

Was,
dreimal soll ich
sterben?“|

So das morbid komische, naiv sarkastische, gewitzt hintergründige Epigramm zu Neil Gaimans Erzählung über immer wiederkehrende Familientragödien, verschüttete Kindheitstraumata, uralte Puppenspielertraditionen und die stets neu entstehende Kraft der Phantasie. Aber zurück zum einleitenden Spruch: Was auf den ersten Blick bloß ein oberflächlicher Küchenwitz zu sein scheint, entpuppt sich im weiteren Verlauf als (Über-)Lebensprinzip des bauernschlauen Mr. Punch, der sich doof und naiv gibt, um noch naivere Leute aufs Kreuz legen zu können – was ihn in den Augen der „kleinen Leute“ sympathisch werden lässt, wenn es gegen die Obrigkeit geht. Dass er nicht nur ein durchtriebener, sondern ein geradezu mieser Charakter ist, für den die Bezeichnung Arschloch noch milde gewählt ist, tritt darüber schon mal in den Hintergrund. Gaiman greift diese – in zunehmend politisch korrekter werdenden Zeiten immer weiter in den Hintergrund gedrängte – düstere Seite wieder auf und zeichnet so ein ambivalentes Bild vom Mythos der „Judy And Punch“-Profession (im angelsächsischen Sprachraum das Äquivalent zum deutschsprachigen „Kasperletheater“).

Im christlich geprägten Abendland galt das Schauspiel, und insbesondere das für den Pöbel, seit jeher als unschicklicher Beruf, zugleich stellte es aber einen wichtigen Faktor im sozialen Leben dar. Gleichsam erfüllten die mündlich überlieferten Geschichten – Bänkelsänger, Moralstücke, und eben auch das Puppenspiel – die Funktion, mehr oder weniger zeitlose, allgemeingültige Alltagsmythen von Generation zu Generation weiterzutragen und immer wieder zu aktualisieren. Dies nur nebenbei, so wie es Gaiman auch ganz beiläufig in seine Geschichte einfließen lässt, für die er übrigens auch „die Geschichte [s]einer Familie so rücksichtslos geplündert“ habe, dass er ihr in der Danksagung eine eigene Widmung zukommen lässt. Geschichte, die zum Leben erwacht, Geschichten, die ein Eigenleben entwickeln – da sind wir auch schon bei einem zentralen Thema seiner Erzählung: Denn Gaimans Erzähler in „Mr. Punch“ ist einer, der sich zurückerinnert, an die Zeit seiner Kindheit, wobei er im Trüben fischt; im Trüben fischen muss, weil er einerseits Klarheit über seine Herkunft gewinnen will, und weil er zum anderen als Kind die Welt noch anders – mythischer – erlebte. Und somit verwischen in der Erinnerung, und damit auch im kindlichen Erleben aus der erwachsenen Rückschau, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie, zwischen erwachsen gedeuteter Geschichte, kindlicher Fiktion und ewigem Mythos. Und damit sind wir beim anderen großen Thema: Dem Mythos von „Mr. Punch“ – jener ambivalenten Puppenspielgestalt, die immer wieder als Parabel auf die reale Welt, oder zumindest als damit zusammenhängendes Paralleluniversum, ins teils wortwörtliche Spiel kommt. Denn – ohne hier zu viel zu verraten – das Puppenspiel spielte in der Familie des Erzählers eine besondere Rolle …

So langsam ist es denn auch an der Zeit, die Geschichte in ihren Grundzügen vorzustellen: Ein namenloser Erzähler erinnert sich zurück an seine Kindheit, hauptsächlich an die Zeit, als er sieben Jahre alt war und bei seinen Großeltern lebte, während seine Mutter ein weiteres Kind erwartete. Dort trifft er auf einen alten Bekannten seines Großvaters, der ein Puppenspieler ist. Die Geschichte von Mr. Punch, der das Kind seiner Judy aus dem Fenster wirft, von ihr zur Rede gestellt wird, auch sie totschlägt und einen Polizisten dazu, danach den Henker austrickst sowie den Teufel persönlich erschlägt, verstört ihn und übt gleichermaßen eine seltsame Faszination aus. Jahre später besucht er abermals eine Punch and Judy Show, die ihm übel werden lässt. Er macht sich geistig auf die Reise in seine Vergangenheit und versucht die Puzzlestücke seiner Erinnerung zusammenzutragen, zu ordnen, und zu verstehen. Dabei kommt er einigen Familiengeheimnissen auf die Spur. Die erzählte Gegenwart und das heutige Wissen des Protagonisten über die Geschichte des Puppenspiels verschwimmen mit dem Erlebten zu verschiedenen Zeitpunkten in seiner Vergangenheit und den Ängsten seiner Kindheit, aus der einige unschöne Erinnerungen zum Vorschein kommen. Eine zentrale Erkenntnis aus seinen Erinnerungen ist der Satz „Die Hilflosigkeit Erwachsener zerstört Kinder oder zwingt sie, selbst kleine Erwachsene zu werden.“ Doch wie soll er mit dieser Erkenntnis umgehen?

Damit dürfte klar sein, dass „Die tragische Komödie oder komische Tragödie des Mr. Punch. Eine Romanze“ (so der vollständige Titel) ein vielschichtiges Unterfangen ist. Da erscheint es nur angemessen, dass Neil Gaiman sich mit seinem langjährigen professionellen Partner Dave McKean zusammentat (ihre wohl bekannteste Zusammenarbeit dürfte „The Sandman“ gewesen sein; McKean illustrierte außerdem Grant Morrissons Batman-Geschichte „Arkham Asylum“), um diese Thematik ebenso vielschichtig bearbeiten zu können. Bereits für „Violent Cases“ hatten die beiden Künstler sieben Jahre zuvor gemeinsam an einer Geschichte über Kindheitserinnerungen mit unzuverlässigem Erzähler gearbeitet. Neu ist hierbei die Verschmelzung der kindlichen Phantasiewelt mit der Welt des Puppenspiels, wobei dessen Tradition – als Bindeglied zwischen realer und rein phantastischer Welt – der Erzählung eine weitere Sinnebene hinzufügt. Das Grenzland zwischen Wirklichkeit und Mythos war für Gaiman spätestens seit seiner Comic-Serie „The Sandman“ kein Neuland mehr. Doch eine derart vielschichtiges Thematik in geschlossener Form zu behandeln, wie es ihm und Dave McKean mit der Graphic Novel „Mr. Punch“ gelungen ist, das ist schon eine besondere Leistung.

Um diese Leistung ausreichend zu würdigen, genügt es nicht, Geschichte und Illustration getrennt zu betrachten, denn beides greift ineinander, und erst im Verbund entsteht die außerordentliche Vielschichtigkeit dieser multimedialen Erzählung: Gedrucktes Wort, Photographien und Zeichnungen kommen da zum Einsatz und fügen sich in collagenartiger Abfolge zu einer ganz besonderen Erzähltechnik, bei der Rückblenden, Gedankenstrom und Off-Kommentar genauso zum Einsatz kommen wie Parallelmontage verschiedener Motive, Expressionismus und Surrealismus.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, die graphische Gestaltung durch Dave McKean zu loben. Ihre Exzellenz reicht von so banalen Dingen wie dem Lettering (unterschiedliches Schriftdesign für die Erzählerstimme, die menschlichen Charaktere, die gespielten Puppen) über die virtuose Panelgestaltung (flüssig lesbar bei zugleich oft genug hintergründig den Text ergänzender Fernwirkung ganzer Seiten) bis hin zur selbst in Details noch psychologisch durchdachten und suggestiven Bildkunst, die uns das Erleben eines kleinen Jungen inmitten einer ihm fremden Erwachsenenwelt nahebringt.

Ebenso wirkungsvoll ist Neil Gaimans Erzählkunst, wenn er verschiedene – teils, und das macht den besonderen Reiz aus, nur angedeutete – Erzählstränge geschickt miteinander verknüpft, ihre Vorder- bzw. Hintergründigkeit wieder ganz am kindlichen Erleben seines rückblickenden Erzählers orientiert, hier und da kleine Hinweise streut, aus denen sich der Leser schließlich einiges zusammenreimen kann, was die Familiengeschichte des Protagonisten betrifft. Andeutungen, Vorwegnahmen, Rückblicke und Parallelen sorgen für ständige Beschäftigung des Lesers sowohl auf der emotionalen Ebene (hoher Identifikationsfaktor mit dem Erzähler/Protagonisten), wie auch auf der Intellektuellen (die ganze Geschichte ist als detektivistisches und intertextuelles Puzzlespiel angelegt). Einiges wird bewusst offengelassen, sodass auch die eigene Vorstellungswelt des Lesers ständig gefragt ist. Zugleich wird sie ein ums andere Mal neu angeregt durch die Puppenspielstücke aus der Welt des Mr. Punch, jenes selbst mit Kindermord davonkommenden Bösewichts, der schließlich sogar den Teufel höchstpersönlich besiegt. Hintergrundwissen darüber ist sicherlich hilfreich, fließt aber auch automatisch in die Erzählung ein, da einiges bereits über die Dialoge und Kommentare des Erzählers vermittelt wird.

Besonders gelungen ist Gaiman und McKean – bei aller solistischen Virtuosität beider Künstler – jedoch das Ineinandergreifen von Bild und Text. Beispiele gefällig? Bitteschön:

Da gibt es eine Szene, in der sich der Junge an seine verstorbenen Großeltern erinnert, während er alte Fotos betrachtet (Erzähler: |“Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie: erstarrte Augenblicke, die die Toten festhalten in winzigen Bewegungsschleifen. // Ich stelle sie mir vor: / 1972: Mein Großvater am Tag seiner Entlassung aus dem Irrenhaus, am Strand von Southsea, dicken grauen Schleim in ein Papiertaschentuch hustend, seine Stimme ein tiefes Brummen.“|). Dazwischen (hier im Text mit „/“ markiert) sehen wir ein Foto des Großvaters (in realistischem Fotodruck), das offensichtlich älter ist als die Erinnerungen des Jungen. Überblendet (als kolorierte Zeichnung), wie eine Spiegelung auf der Glasscheibe der Fotografie, das Gesicht des sich erinnernden Jungen. Die Figur des Großvaters scheint direkt aus seiner Stirn zu erwachsen. Während weitere Figuren seiner auf weiteren Fotos sich spiegelnden Stirn entspringen, sinniert der Erzähler: |“Ich sollte nicht so brüten. Der Pfad der Erinnerung ist weder gerade noch sicher, und wir bereisen ihn auf eigene Gefahr. Kurze Reisen in die Vergangenheit sind leichter. Erinnerungen an Miniaturen. Im Kopf entworfene winzige Puppenspiele.“| Weit später in der Geschichte werden wir das vom Jungen zuvor erinnerte Husten seines Großvaters als „erstarrte[n] Augenblick“, als „winzige [ ] Bewegungsschleife“ tatsächlich zu sehen bekommen – doch erst, wenn wirklich dieser Moment und nicht die Erinnerung daran vom Erzähler geschildert wird. Als Gegenstück zu dieser Erinnerung an den Großvater ist noch vor Beginn der eigentlichen Geschichte – und zunächst ohne jeglichen erkennbaren Zusammenhang zu ihr – eine Bildfolge zu sehen, in der ein Apfel geschält wird. Später werden wir erfahren, dass das eine der lebendigsten Erinnerungen des Erzählers an seine Großmutter ist. Wir erinnern uns mit ihm an das zuvor Gesehene. Die scheinbar sinnlose Bildsequenz erhält plötzlich einen Sinn als „winzige Bewegungsschleife“, über die hinaus der Zugang zur Vergangenheit des Protagonisten verstellt bleibt. Da ist nur mehr dieses einstmals eingeprägte Muster, das ihm so vertraut geworden ist. Doch genau darüber kommen wir als Leser und Betrachter dem Erzähler nahe und können sein Empfinden von Distanz nachvollziehen. Zugleich haben auch wir uns ein Muster eingeprägt: Nämlich eben den grafischen Stil, in dem später die Sequenz mit dem am Strand hustenden Großvater dargestellt werden wird, die wir aufgrund dessen sofort als weitere Erinnerung identifizieren können; doch inwieweit dieser „erstarrte Augenblick“ überhaupt jemals real war oder ob er nicht vielmehr einem selbstkonstruierten Erinnerungsklischee des damaligen Jungen entsprungen ist (–>“Im Kopf entworfene, winzige Puppenspiele“) – diese Frage hätten wir uns nie gestellt, ohne das Lesen |zwischen| Bild und Text. Es sind solche kunstvollen Details, die das Lesen eines guten Comics anspruchsvoller machen können als das eines schlechten Romans.

Immer wieder gibt es eindrucksvolle Szenen, in denen der Text die Erlebniswelt des Kindes aus der (teilweise) erklärenden Rückschau eines Erwachsenen schildert, die Bilder aber die kindliche unmittelbare Gefühlswelt metaphorisch unterstreichen. Zugleich wird dabei stets ein Bezug zur Welt des Puppenspiels hergestellt.

– So etwa, wenn es um die Unverständlichkeit der Erwachsenen aus der Perspektive des Kindes geht: |“Erwachsene sind bedrohliche Wesen. // Soll ich dich ins Wasser werfen? // Ich steck dich in den Mülleimer. / Ich freß dich auf. / Ich bring dich zurück und hol mir einen anderen Jungen. // So reden sie. Wie sehr man sich auch sagt, daß sie lügen oder täuschen: Es gibt immer die Möglichkeit, daß sie die Wahrheit sagen.“| Der Kleine erscheint hier als winzige nackte Drahtfigur mit gespaltenem Kopf, die wie eine Puppe an kaum sichtbaren Fäden hängt, gespielt von einer Hand, neben der die Aussprüche der Erwachsenen zu lesen sind. Eine Tante, die ihm seltsame Geschichten erzählte, erscheint dagegen als bekleidete und mit Stroh gepolsterte Figur ohne Fäden. Neben ihr liegt eine Maske des klassischen Dramas.

– Wenn der Erzähler sich erinnert, dass der Großvater nach einem Autounfall nicht mehr derselbe war, aggressiv wurde und schließlich ganz dem Wahnsinn verfällt, dann zeigen die Illustrationen den Alten so unheimlich, wie ihn der Junge erlebt haben muss: Unverständlich, fast schon unmenschlich, wie ausgetauscht; mit einer riesigen maskenhaften Fratze und leeren Augen anstelle des vertrauten Kopfes.

– In der Familie des Protagonisten gibt es einige unausgesprochene Tabus und Halbwahrheiten, blinde Flecken der Familiengeschichte, bedrohliches Schweigen und andere Unverständlichkeiten. Hinzu kommt, dass er als Junge noch in einer gewissermaßen magischen Welt lebt, seine eigenen phantasievollen Erklärungen sucht und ansatzweise auch findet. Seine Ungewissheit bezüglich der Kindheit einiger Familienmitglieder, einige düstere Ahnungen sowie die grausamen Geschichten von Judy & Punch kulminieren in einem blutigen Alptraum, in dem eine riesige Hand aus Mr. Punchs abgelegter Geliebten Pretty Polly hervorkommt und von einem Doktor verstümmelt wird. Die graphische Umsetzung ist eine der drastischsten im gesamten Buch und wirkt besonders gruselig vor den realen Hintergründen der Erzählung im Text (welche freilich vom kindlichen Protagonisten noch nicht durchschaut werden).

Gaiman & McKeans „Mr. Punch“ ist eine Geschichte über Verunsicherung und Ungewissheit, über das Gefühl der Fremdheit und des Befremdens, über den Verlust der Unschuld und das Erwachsenwerden, über ewig sich wiederholende Dramen und nicht zuletzt über das Puppenspiel als verschlüsselte Ausdrucksform unliebsamer Wahrheiten sowie als Mittel, mit ihnen umzugehen. Zugleich ist es die Geschichte einer Suche nach der Wahrheit, die letztlich zurück ins Ungewisse führt, und doch zu einem (zumindest erstweiligen) Abschluss mit der Vergangenheit. Die Erzählweise ist äußerst interessant, fesselnd, verstörend, kafkaesk, vielschichtig und gruselig. Ein Comic für Kinder ist dies keineswegs – vielmehr eine anspruchsvolle Graphic Novel für Erwachsene, die sich nicht scheuen, über schwierige Themen zu lesen und dabei ihren eigenen Verstand zu bemühen. Gerade die zahlreichen Verschachtelungen und Querbezüge machen die Lektüre jedoch zu einem besonderen Vergnügen und lassen sie auch beim wiederholten Lesen nicht langweilig werden.

Neil Gaiman bei Buchwurm.info:
„Sandman: Ewige Nächte“
„Sandman 1 – Präludien & Notturni“
„Sternwanderer“
„American Gods“
„Anansi Boys“
„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“
„Die Bücher der Magie 5 – Verlassene Stätten“
„Die Bücher der Magie 6″ – Abrechnungen“
„Die Messerkönigin“
„Die Wölfe in den Wänden“
„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch Galaxis“

Heumann, Hans-Günter – German Songs

Hans-Günter Heumann hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder einen Namen mit seinen zahlreichen Sonderausgaben und Veröffentlichungen im Bereich der Klaviermusik gemacht. Nicht nur das klassische Piano, sondern vor allem auch der Gebrauch der Tasten im Popsektor haben es ihm dabei angetan, so dass der vielseitige Instrumentalist in seinen Büchern sicherlich immer wieder Inspirationen und Fingerübungen zur Begleitung weltbekannter Klassiker finden wird. Räumlich etwas eingeschränkt ist indes seine jüngste Veröffentlichung „German Songs“, die – wie der Name schon sagt – sich ausschließlich mit Kompositionen aus dem hiesigen Gebiet beschäftigt, in diesem Fall aber in einer Spanne von Traditionals über klassische Adaptionen bis hin zu bekannten Pop-Klassikern der deutschen Musikgeschichte mehrerer Dekaden.

So mag es zunächst einmal seltsam erscheinen, dass ständig wiedergekäute Kompositionen wie ‚Durch den Monsun‘ neben traditionellem Liedgut wie ‚Muss i denn, muss i denn‘ oder ‚Guten Abend, gut‘ Nacht‘ auftauchen, doch dem Anspruch, eine möglichst facettenreiche Noten-Kompilation aufzubieten, kann der Autor mit dieser ungewöhnlichen Wahl natürlich gerecht werden. Und dennoch stößt man unwiderruflich auf Kopfschütteln; einmal natürlich wegen der etwas berechnenden Aufnahme des Tokio-Hotel-Songs, dann aber auch, weil sich Heumann in „German Songs“ das in englisch vorgetragene ‚Wind Of Change‘ der Scorpions ausgesucht hat. Zumindest vor dem Titel des Büchleins ist dies ein ziemlich inkonsequenter Schritt.

Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass der instrumentale Anspruch zwischen den einzelnen Stücken gehörig schwankt; der ‚Brautchor‘ aus Wagners „Lohegrin“ fordert definitiv mehr vom Nachahmer als das Gros der erwählten Popsongs, so dass trotz des vergleichsweise gering professionellen Niveaus schon teils ganz verschiedene Anforderungen an den Klavierschüler gestellt werden. Damit ist auch die Zielgruppe für „German Songs“ nicht eindeutig definiert, was letztendlich dadurch verstärkt wird, dass der lose thematische Zusammenhang wohl kaum jemanden ansprechen wird, der nicht auf alle drei hier abgehandelten Genres schwört. Zusammengehalten wird das Buch letztendlich lediglich durch den deutschen Ursprung der Künstler, und so eignet sich „German Songs“ einzig als schmale Ansammlung deutschen Liedguts, wohl kaum aber als Lehrbuch für den bereits erprobten Virtuosen. Wäre das Ganze etwas spezifischer und mitunter auch liebevoller zusammengestellt worden, hätte man sich hingegen einiges an Kritik sparen können. In dieser Auflage jedoch ergibt der Aufbau der Notensammlung nicht sonderlich viel Sinn.

|Inhalt:|

_Traditionals_
Der Mond ist aufgegangen
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
Freut euch des Lebens
Muss i denn, muss i denn
Am Brunnen vor dem Tore
Die Gedanken sind frei
Guten Abend, gut’ Nacht
Du, du liegst mir im Herzen
Komm, lieber Mai, und mache
Sah ein Knab ein Röslein stehen

_Classics_
Jesus bleibet meine Freude (Bach)
Freude, schöner Götterfunken (Beethoven)
Halleluja (Händel)
Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen (Lortzing)
Im wunderschönen Monat Mai (Schumann)
Brautchor (Wagner)
O, du mein holder Abendstern (Wagner)
Abends, will ich schlafen gehen (Humpendinck)
Wir winden dir den Jungfernkranz (Weber)
Durch die Wälder, durch die Auen (Weber)

_Pop Hits_
Marmor, Stein und Eisen bricht (Drafi Deutscher)
Über sieben Brücken musst du gehen (Karat / Peter Maffay)
Aber bitte mit Sahne (Udo Jürgens)
Er gehört zu mir (Marianne Rosenberg)
Flugzeuge im Bauch (Herbert Grönemeyer)
Wind Of Change (Scorpions)
Liebe ist (Nena)
Du erinnerst mich an Liebe (Ich + Ich)
Das Spiel (Annett Louisan)
Durch den Monsun (Tokio Hotel)

http://www.bosworth.de/

Jordan, Sherryl – Avala – Die Zeit des Adlers

Seit Avala denken kann, ist ihr Stamm auf der Flucht vor den Soldaten des Kaiserreichs Navora. Das Einzige, was die Menschen der Shinali aufrechthält, ist ihr unerschütterliches Vertrauen in eine alte Prophezeiung, die die Zeit des Adlers vorhersagt. Eine Zeit, in der sich die bisher verfeindeten Stämme der Igaal und der Hena mit den Shinali versöhnen werden, um gemeinsam das verlorene Land für die Shinali zurückzugewinnen. Als Avala an ihrem sechzehnten Geburtstag ihr Erwachsenwerden feiert, eröffnet ihr der Stammespriester, dass sie dazu bestimmt ist, die prophezeite Einheit zwischen den Stämmen der Steppe herbeizuführen!

Avala scheut vor diesem Gedanken zurück. Denn die Einigung der Stämme und die Forderung nach der Rückgabe ihrer alten Weidegründe bedeutet Krieg gegen Navora. Avala aber ist Heilerin, und der Gedanke, Schmerzen zuzufügen anstatt zu lindern, ist ihr ein Gräuel. Sollte sie sich jedoch der Prophezeiung verweigern, bedeutet das den Untergang für ihr eigenes Volk und auch für das der Hena und Igaal … Avala muss sich entscheiden!

Sherryl Jordan hat ihre Geschichte in der Ich-Form erzählt und in vier Teile gegliedert, von denen der letzte im Vergleich recht kurz ausgefallen ist und deshalb eher einem langen Epilog gleicht als einem eigenständigen Erzählteil. Der erste Abschnitt berichtet von Avalas Herkunft und ihren ersten Bemühungen bei den Igaal, der zweite von ihrem Aufenthalt in Ravinath, der dritte von ihrer Rückkehr zu den Igaal und dem Aufstand.

Avala steht – schon aufgrund der gewählten Erzählform unvermeidlich – im Zentrum der Ereignisse. Sie ist bereits mit einem gewissen Erwartungsdruck aufgewachsen, das liegt an ihrer ungewöhnlichen Herkunft. Ihr Vater war ein navoranischer Heiler, der sich um der Shinali – und einiger anderer Missstände – willen mit seinem Kaiser überworfen und dafür mit dem Leben bezahlt hat. Von ihm hat Avala nicht nur ihre Gabe des Heilens, sondern auch gewisse seherische Fähigkeiten geerbt. Allerdings sind ihre Gaben zunächst nur grob geschult. Sie ist noch jung und trotz ihres guten Willens und ihrer Begabung nicht gegen Rückschläge und Enttäuschungen gefeit. Größere Sicherheit gewinnt sie erst, als ihre Fähigkeiten in Ravinath gezielt ausgebildet werden. Rhetorik gehört allerdings nicht dazu; Avala beeindruckt ihre Umgebung vor allem durch ihre schonungslose Ehrlichkeit.

Mudiwar, der Häuptling der Igaal, ist trotz allem ein harter Brocken, an dem Avala sich beinahe die Zähne ausbeißt. Er glaubt, wenn er sich dem Kampf gemäß der Prophezeiung anschließt, wird er sein Volk unnötig in Gefahr bringen. Vor der Tatsache, dass sein Volk längst massiv unter den Angriffen und Sklavenjagden der kaiserlichen Soldaten zu leiden hat, verschließt er die Augen. Diesem Dickschädel hat die junge, unerfahrene Avala nicht viel entgegenzusetzen, erst der gereiften und selbstbewussten Avala gelingt es, mit ihm fertigzuwerden.

Der eigentliche Bösewicht der Geschichte, Kaiser Jaganath, gehörte einst zu den weisen Männern, die Avala ausgebildet haben. Er kann ungeheuer echte Illusionen erschaffen, so echt, dass die Menschen, die in diese Illusionen hineingeraten, sogar daran sterben können, allein weil sie glauben, die Trugbilder seien echt. Das scheint aber seine einzige Fähigkeit zu sein, denn außer ihr und einer lügnerischen Zunge setzt er keinerlei Waffen gegen Avala ein. Letztlich besiegt Avala ihn quasi mit einem Fingerschnippen, einem einfachen, aber in seiner Wirkung brillanten medizinischen Kniff.

Die Methode war in der Tat so hervorragend einfach, dass ich mich fragte, warum Avala sich zuvor überhaupt Jaganaths Sermon angehört hat! Selbst der Dramaturgie hat dieses Zögern nicht gedient, denn die Zeit, die Jaganath dadurch gewinnt, vertut er wie gesagt mit wirkungslosen Tricks und Lügen. Das Duell zwischen den beiden, das der Höhepunkt der gesamten Handlung hätte sein können und sollen, ragt in keiner Weise aus dem übrigen Geschehen heraus.

Spannung ist ohnehin etwas, das dem Buch fehlt. Zwar sind Avalas erste Bemühungen erfolglos, da sie aber nicht unter Zeitdruck steht, wirkt sich dieser Aspekt nicht auf den Spannungsbogen aus. Dasselbe gilt für die Ausbildung in Ravinath, die sich um ein halbes Jahr verzögert. Erst, als Avala Mudiwar überzeugt hat, sich dem Aufstand anzuschließen, kommt die Sache in Fahrt. Dann aber läuft alles so reibungslos und glatt, dass der Leser, anstatt mitzufiebern, sich mit einem trägen Lächeln zurücklehnt und gelangweilt zuschaut, wie alles unausweichlich ins Happy-End mündet.

Nun ist ein Happy-End ja nicht unbedingt etwas Schlechtes. In diesem Fall jedoch erfüllt es sämtliche Klischees, die Hollywood zu bieten hat.
Außer einem bisschen Neid dreier Gleichaltriger Avala gegenüber scheint es bei den Shinali keinerlei Konflikte zu geben, und selbst davon ist bei Avalas Rückkehr zu ihrem Volk nichts mehr zu spüren. Alle haben sich ach so lieb.

Ähnliches gilt für die Meister, die Avala in Ravinath unterrichteten. Alle sind sie unendlich gütig, weise und liebevoll. Im schlimmsten Fall sind sie traurig oder bekümmert. Keiner von ihnen zeigt jemals Regungen wie Zorn oder auch nur Bitterkeit angesichts der Tatsache, dass sie sich bereits seit siebzehn Jahren vor dem Kaiser verstecken müssen. Auch hier gibt es keinerlei Konflikte.

Das alles wird noch übertrumpft von dem, was nach der Rede eines Meisters auf dem großen Platz der navoranischen Hauptstadt geschieht. Tatsächlich fallen sich da – nicht einmal eine Woche nach den Kämpfen! – alle Angehörigen der vier bis dahin verfeindeten Völker in einem großen Akt der Vergebung gegenseitig um den Hals. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Kaiser bei seinem Volk höchst unbeliebt war und ein Teil seiner Anhänger nach der Niederlage geflohen ist, ist das unglaubwürdig. Immerhin wurden im Zuge des Umsturzes auch sämtliche Sklaven befreit. Irgendwo muss es einfach so etwas wie Unzufriedenheit oder Gemurre gegeben haben. Und in einem Heer von zwanzigtausend Steppenkriegern und vor allem unter den Sklaven muss es einfach ein paar gegeben haben, deren Hass auf die Navoraner zu groß war, um einfach so in der Versenkung zu verschwinden.

Dazu kommt, dass die Geschichte in einer ziemlich schmalzigen Art geschrieben ist. Das gilt vor allem für den Abschnitt über Ravinath. Ständig geht es darum, wie liebevoll und gütig ihre Familie, ihre Freunde, die Meister sind, wie behütet und geliebt Avala sich fühlt, wie sie ständig gesegnet, liebevoll berührt und umarmt wird. Selbst auf dem Weg durch die unterirdischen Tunnel des Kaiserpalastes fühlt Avala sich von einer liebevollen Gegenwart geführt, mit der wohl ihr verstorbener Vater gemeint ist. Selbst im Hinblick auf Avalas seherische Fähigkeiten war das doch etwas dick aufgetragen! Stellenweise ist es vor lauter klebrigem Zucker fast unmöglich, die Seiten umzublättern.

Logische Ungereimtheiten taten ein Übriges. Mudiwar ist Häuptling des Klans der Elche, eines recht kleinen Klans innerhalb des Volkes der Igaal. Wie kommt es, dass die Igaal sich dem Kampf nicht anschließen, solange er nein sagt, und es dann doch tun, sobald er ja sagt? Haben die anderen Klane der Igaal keine Häuptlinge, und haben die nichts mitzureden? Avalas Strategie sieht vor, durch ein Täuschungsmanöver vor den Stadttoren einen Teil der kaiserlichen Soldaten von der Stadt abzuziehen, damit sie nicht zur Stelle sind, um den geplanten Sklavenaufstand niederzuschlagen. Gleichzeitig aber wird der Zeitplan für den Umsturz so festgelegt, dass der Sklavenaufstand im Palast und der Hauptstadt losgehen soll, bevor die Feldtruppen vor den Stadttoren auftauchen, zu einem Zeitpunkt also, an dem sich das kaiserliche Militär noch in der Stadt befindet. Als der Sklavenaufstand dann losbricht, rennen die einzelnen Soldaten nach Hause zu ihren Familien, um diese zu verteidigen, anstatt unter dem Kommando ihrer Vorgesetzten geschlossen gegen die Aufständischen vorzugehen, wie man es von einer Armee erwarten würde.

Mit anderen Worten: Wenn es sich bei diesem Buch um einen Film gehandelt hätte, dann hätte ich es als Soap bezeichnet: inhaltlich eher seicht, spannungsarm und furchtbar kitschig. Logische Brüche sowie die rosaroten Brille, hinter der sich alles abspielt, bewirken, dass sowohl Handlung als auch Charaktere – selbst diejenigen, die nicht so enttäuschend ausgefallen sind wie Jaganath – völlig ins Unglaubwürdige abgleiten. Sherryl Jordan hat schon Besseres geschrieben.

_Sherryl Jordan_ lebt in Neuseeland und hat bereits eine ganze Anzahl Jugendbücher verfasst, von denen auch einige ausgezeichnet, aber nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden. Erschienen sind bei uns außer „Avala – Die Zeit des Adlers“ und [„Jing-Wei und der letzte Drache“ 1464 unter anderem „Tanith, die Wolfsfrau“, „Flüsternde Hände“ und „Der Meister der Zitadelle“, wo die Vorgeschichte zu den Ereignissen in „Avala“ erzählt wird.

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Knizia, Reiner – Sudoku Kids – Das brisante Kinderspiel

_Fieberwahn im Kinderzimmer_

Nicht nur in den Tageszeitungen, Wochen- und Rätselblättern grassiert seit nunmehr einigen Jahren mit wachsender Anzahl Infizierter das Sudoku-Fieber, auch auf dem Brettspielmarkt haben sich seit dem vorletzten Jahr etliche Firmen an Produkten versucht, die dem Klassiker noch etwas Neues abgewinnen sollten, ohne dabei das traditionelle Spielsystem zu vernachlässigen.

Seltsamerweise scheiterten damals besonders die Großverlage mit ihren teils recht mageren und langweiligen Beiträgen, darunter auch |Kosmos|, deren Sudoku-Brettspiel zu den mit Abstand schwächsten seiner Art zählt. Zeit also, ein wenig Rehabilitation zu leisten und Versäumtes mit der Variante für die kleineren Brettspieler(innen) noch nachzuholen. Und siehe da: „Sudoku Kids“ ist in der Tat eine erfreulich frische Version, die nicht nur mit viel Witz, sondern auch mit viel Liebe gestaltet wurde.

_Spielmaterial_

• 4 Spielpläne
• 15 Kärtchen
• 14 Chips
• 1 Spielanleitung

Die Spielmittel der Junior-Variante sind überaus nett und ansprechend illustriert und auch einigermaßen stabil konstruiert. Die Spielpläne zum Beispiel bestehen aus jeweils zwei Puzzleteilen aus härterem Karton und lassen sich beliebig zusammensetzen, so dass sich gleich mehrere Alternativen ergeben. Außerdem wird durch diese Systematik eine Unterteilung in unterschiedliche Schwierigkeitsgrade möglich, was vor allem für diejenigen Kids, die mit dem Sudoku-Prinzip noch nicht vertraut sind, eine spürbare Erleichterung darstellt, denn so können sie das Spiel von der Pieke auf lernen.

Die recht bunte Farbgebung sorgt schließlich für eine gute Übersicht und Spielbarkeit, denn dadurch, dass die Farben im Spiel eine übergeordnete Rolle spielen, bedarf es schon einer deutlichen Differenzierung, um spätere Unklarheiten zu vermeiden – und diese ist hier auf jeden Fall gegeben.

Insgesamt also ein Lob an das zwar schmächtig bestückte, aber zweckdienlich und ansehnlich gestaltete Material.

_Der Spielverlauf_

Natürlich ist eine Partie „Sudoku Kids – Das rasante Kinderspiel“ nicht mit der Erwachsenenvariante und deren komplexer Suche nach passenden Zahlen zu vergleichen. Außerdem ist ein Spielplan statt 9×9 lediglich 4×4 Felder groß, soll heißen pro Reihe und Kästchen sind auch nur vier statt neun Symbole (in diesem Fall Tiere) erlaubt.
Nachdem zu Beginn einer der Spielpläne ausgewählt wurde, werden zunächst die Tier- und Farbkärtchen und schließlich die Chips für jeden Spieler greifbar und ersichtlich in die Mitte gelegt. Anschließend darf der älteste Spieler den ersten Zug machen.

Folgendermaßen läuft nun ein Spielzug ab: Der jeweils aktive Spieler deckt einen der verdeckt abgelegten Chips auf. Nun betrachten alle Spieler gleichsam die Farbe des Chips, vergleichen sie mit einem eventuell noch freien, gleichfarbigen Feld auf dem Spielplan und suchen nun das Tierkärtchen, welches unter Berücksichtigung der Sudoku-Regeln auf das Feld in der aufgedeckten Farbe passt. Derjenige, der es als Erster gefunden hat, legt es nun auf das noch freie Feld und erhält als Lohn den soeben gezogenen Chip. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass ein Tier noch doppelt zur Auswahl steht und es potenziell zwei richtige Lösungen gibt. In diesem Fall gibt es eine deutliche Rangordnung, nach der man im Zweifelsfall immer das Tier mit dem weißen Hintergrund suchen muss, sofern beispielsweise noch zwei Krokodile, zwei Löwen oder zwei Affen verfügbar sind.

Weiterhin ist es möglich, dass auf dem Spielplan kein freies Feld mehr in der Farbe des gezogenen Chips ist. In diesem Fall halten die Spieler Ausschau nach dem Farbkärtchen der gleichen Farbe und suchen dieses ersatzweise. Der Schnellste erhält anschließend ebenfalls den Chip. In beiden Fällen beginnt anschließend derjenige, der in der vorherigen Runde den Chip gewonnen hat, bis schließlich das Rätsel gelöst ist und das Spiel zu Ende geht.

_Ende des Spiels_

Sobald alle farbigen Felder auf dem Spielfeld (richtig) belegt sind, ist das Spiel zu Ende. Der Spieler mit den meisten Chips gewinnt; sollten mehrere Spieler gleich viele Chips haben, gibt es auch mehrere Gewinner.

_Persönlicher Eindruck_

Ich war ehrlich gesagt erstaunt und überrascht, wie spannend dieses Spiel auch für die ältere Generation ist. „Sudoku Kids“ ist richtig temporeich, zu allen Gelegenheiten spielbar und um einiges kniffliger als erwartet. Gerade die ersten Züge einer jeden Partie sind enorm prickelnd, weil alle Beteiligten nicht nur damit beschäftigt sind, die richtige Lösung für das ausgewählte Feld zu finden, sondern auch noch das geeignete Kärtchen zu finden. Und da man immer die Mitspieler im Nacken hat, kann man sich auch in keiner Runde Auszeiten gönnen oder auf Zeit spielen, weil diese quasi nicht vorhanden ist. Der Übertrag auf das jüngere Publikum verspricht also definitiv ein noch fulminanteres, gleichsam schnelles Spiel mit maximalem Spaßfaktor.

Im Gegensatz zur Version für das erwachsene Publikum wird hier gleich auf mehrere Aspekte Wert gelegt. Schnelle Reaktionen sind gefragt, die Zuordnung von Farben und Symbolen sowie das anschauliche Denken werden geschult, Kognition und Wahrnehmung getestet und letztendlich auch im gewissen Sinne die Grobmotorik gefördert, schließlich haut man im Eifer des Gefechts auch gerne mal auf das falsche Kärtchen und scheidet so in der aktuellen Runde aus. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass das Spielsystem völlig unverkrampft und der Aufbau keinesfalls nüchtern ist, so dass man sich immer wieder gerne zu einer weiteren Partie aufrafft und nicht plötzlich wieder entnervt die Segel streicht.

Alles in allem zeigen die Kinder der älteren Generation also ganz deutlich, wo es langgeht in der riesigen Welt des Sudoku. Zum einen bleibt „Sudoku Kids“ im Vergleich zum größeren Pendant beim |Kosmos|-Verlag deutlicher Punktsieger, und zum anderen ist es ausgerechnet in diesem vergleichsweise kleinen Rahmen sehr schön gelungen, dem Grundspiel neue Aspekte abzugewinnen und die daraus geschöpften Ideen adäquat umzusetzen. Nicht zuletzt, weil davon auszugehen ist, dass diese kleine Schachtel recht erschwinglich sein wird, kann ich diesen Titel für die regelmäßige Familienunterhaltung nur wärmstens empfehlen.

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Birbaek, Michel – Beziehungswaise

Lasse liebt Tess. Tess liebt Lasse. Seit sieben Jahren schon. Doch das scheinbare Traumpaar hadert mit den Tücken einer langwierigen Beziehung, die im Hin und Her des beruflichen Alltags zu ersticken droht. Lasse ist ein abgehalfterter Comedian, der mittlerweile nur noch Seniorennachmittage auf Kreuzfahrten moderiert. Tess dagegen macht bei VW groß Karriere und hat daher noch weniger Zeit für Lasse, als Lasse für Tess hat.

Dennoch scheint das Paar nach außen glücklich zu sein – im Innern hingegen rumort es kräftig. Die mittlerweile zweijährige Sexflaute nagt am Selbstwertgefühl und wirft so manche Sinnfrage auf. Ist das noch eine Beziehung oder nur noch Freundschaft? Als Tess dann ein Jobangebot in China bekommt, können die beiden ihre Probleme nicht länger ignorieren. Sie müssen sich entscheiden, was sie wollen. Bedeutet ihnen die Beziehung noch genug, um sie aufrecht zu erhalten? Wollen sie Liebe oder Karriere, Freundschaft oder Sex?

Als wenn das nicht schon genug wäre, entpuppt sich dann auch noch Lasses Vater als schwerkrank. Lasse pendelt zwischen Castingterminen mitten im Kölner Karneval und dem Krankenbett des Vaters in Dänemark hin und her. Und der fordert von Lasse dann auch ausgerechnet einen ganz speziellen letzten Wunsch: Er soll Tess endlich einen Heiratsantrag machen …

„Beziehungswaise“ ist ein Roman, der schon dem Titel nach Wortwitz und Humor verspricht. Ein Comedian als Hauptfigur, da darf man wohl zu Recht so einiges erwarten. Michel Birbæk wird dieser Erwartung durchaus gerecht. Schon im ersten Kapitel, das Lasses Erlebnisse beim Besuch der Hochzeit eines Freundes in Amerika schildert, gibt viel Anlass zu Lachen und zu Schmunzeln.

Doch wer aufgrund dieser Tatsache auch in allen folgenden Kapiteln ein nicht enden wollendes Gagfeuerwerk erwartet, der sei gewarnt. Bei Birbæk jagt nicht über die gesamten knapp 500 Seiten eine Pointe die nächste. Dafür entwickelt die Geschichte eine zunächst unerwartete Tiefe, die die vielseitigen Facetten der Gefühle auslotet.

Birbæks Roman dreht sich um die großen Fragen, die rund um Beziehung, Trennungsschmerz, Familienleben, Freundschaft aber auch um Krankheit, Trauer, Tod und Abschied auftauchen. „Beziehungswaise“ wird dadurch zu einem Wechselbad der Gefühle – mal heiter, charmant und unkompliziert, mal voller Ernsthaftigkeit, Schwermut und Traurigkeit. Der Balanceakt, sowohl die Tragik, als auch die Komik, die das Leben von Lasse widerspiegelt, unter einen Hut zu bringen, gelingt Birbæk ausgesprochen gut.

Lasse wirkt als Protagonist durchaus glaubwürdig. Er zweifelt an seinem Job, zweifelt an der Sinnhaftigkeit seiner Beziehung zu Tess und während in Dänemark sein Vater dem Tod ins Antlitz schauen muss, versucht Lasse irgendwie die Freude an dem wiederzufinden, was er tagein, tagaus tut. Die Entwicklung, die er dabei innerhalb der Geschichte durchläuft, ist größtenteils durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar, nur mit Lasses erwecktem Interesse an der Umweltschutzarbeit seines Mitbewohners Arne und seinem Wunsch, sich zu engagieren, scheint Birbæk irgendwie ein bisschen über das Ziel hinauszuschießen. Das ist dann doch ein bisschen viel der Charakterwandlung.

Überhaupt sind die Mitbewohner in Lasses Kölner WG der einzige Knackpunkt in Sachen Glaubwürdigkeit. Mag man Arne den schweigsamen, kraftraumgestählten Ökoterroristen noch halbwegs im Rahmen des Möglichen ansiedeln, so sprengt Frauke, die dauerbekiffte Rechtsanwältin, dann doch ein bisschen das Vorstellungsvermögen. Solche Anti-Klischees wirken dann eben doch etwas überzeichnet, wenngleich sie sicherlich einen gewissen Unterhaltungswert versprechen.

Dabei sind die Figuren und ihre Verhaltensweisen ansonsten durchaus nachvollziehbar. Vor allem Lasses emotionale Lage lässt sich gut mitfühlen, egal ob es um den Umgang mit seiner scheiternden Beziehung geht oder um die Auseinandersetzung mit dem zu befürchtenden Tod seines Vaters oder seine Gedanken um Freundschaft und Familie ganz allgemein. „Beziehungswaise“ enthält viele Gedanken, in die man sich gut hineinfühlen kann und die sich unter Umständen auch auf das eigene Leben projizieren lassen.

Sprachlich kann Birbæk auf ganzer Linie punkten. Er schreibt gewitzt und höchst unterhaltsam und jongliert seine Sätze mit einer Prise Wortwitz, die den Lesegenuss besonders würzt. „Beziehungswaise“ macht so gesehen mit jeder Seite Spaß, ohne dass es Birbæks Gedanken an der nötigen Tiefe mangeln lassen.

Ironische Seitenhiebe auf den Medienbetrieb gibt es stets dann, wenn Lasse im Casting darum bangt, in die nächste Runde zu kommen und gegen die mal mehr und mal weniger witzige Konkurrenz antritt. Diese Episoden bilden einen ziemlich drastischen Kontrast zu den Episoden in Dänemark, in denen Lasse sich um die Familie kümmert und mit seiner Schwester zusammen um das Wohlergehen des Vaters bangt. Dennoch ergibt sich aus diesem Kontrast ein durchaus stimmiges Ganzes, das sowohl einfühlsam als auch unterhaltsam erzählt daherkommt.

Bleibt unterm Strich also ein durchaus positiver Eindruck zurück. Trotz der etwas überspitzt wirkenden Anti-Klischees in Form von Lasses Mitbewohnern Frauke und Arne und einer etwas zu weit vollzogenen Charakterwandlung von Lasse weiß „Beziehungswaise“ gut und überzeugend zu unterhalten. Ein lockerer, gewitzter Erzählstil, viel Stoff zum Schmunzeln und Lachen, aber nicht minder Gedanken, die bewegen und anrühren und dem Buch eine gewisse Tiefe verleihen, die man anfangs nicht vermuten mag – so ist „Beziehungswaise“ ein ausgewogener und unterhaltsamer Lesegenuss, den man gerne weiterempfiehlt.

http://www.luebbe.de

|Siehe ergänzend auch unsere [Rezension 714 zu „Wenn das Leben ein Strand ist, sind Frauen das Mehr“.|

Gray, Justin / Palmiotti, Jimmy / Simone, Gail / Walker, Brad – Êin Jahr danach. Monster Edition 1 – Ein Jahr nach der Infinite Crisis

_Inhalt_

|“Die Schlacht um Blüdhaven“|

Nachdem Chemo über Blüdhaven explodiert war, erreichte die Infinite Crisis in der nunmehr verseuchten Stadt ihren Höhepunkt. Innerhalb der bewachten Stadtmauern scheint kein Leben mehr möglich, und diejenigen, die die schwere Katastrophe überlebt haben, leben in verwahrlosten Camps außerhalb der Befestigungen. Selbst den Teen Titans scheinen die Hände gebunden, obwohl die Zweifel an den Machenschaften der Regierung, welche die Einreise nach Blüdhaven verwehrt, immer größer werden.

Erst als sie von Father Time und dessen geheimnisvoller Organisation Shade erfahren, die in der Stadt einige zweifelhafte Experimente durchführen sollen, greift die junge Superheldentruppe ein und stellt sich der offenkundigen Bedrohung. Als sich ihnen Shade unter der Führung des Psychopathen Major Force in den Weg stellen, droht der Konflikt zu eskalieren. Doch dann geschieht etwas vollkommen Unerwartetes …

|“Sechs Stufen der Verwüstung“|

Während der Infinite Crisis haben sich die Secret Six von der Society gelöst und agieren nun als stete Unbekannte. Doch damit hat die Truppe auch erheblich ihre Sicherheit gefährdet, was sich in zahlreichen Attacken widerspiegelt. Lediglich Catman kommt ungeschoren davon und mobilisiert einen Schurken, an seiner Seite zu kämpfen. Doch derweil sind Vandal Savage und Dr. Psycho bereits am Ende ihrer Rachepläne angelangt. Eine Gruppe brutaler Killer wird ausgesandt, um den Secret Six endgültig den Garaus zu machen.

_Persönlicher Eindruck_

Die berüchtigten |Monster Editions| sind nach wie vor eine schwierige Sache, weil es sich bei den für den deutschen Markt zusammengestellten Sammelbänden meist um Mini-Serien aus der zweiten Reihe handelt, die zwar in direktem Zusammenhang zu einer übergeordneten, etablierten Reihe stehen, aber im Einzelfall wohl nur selten wirkliche Chancen hätten, losgelöst die erforderlichen Mindestverkaufszahlen zu erzielen. Und dennoch scheint eine derartige Anschaffung immer wieder aufgrund der üppigen Gestaltung attraktiv, was mit einem Blick auf die entsprechende Ausgabe zu „Infinite Crisis – Ein Jahr danach“ auch leicht verständlich ist, schließlich bekommt man hier für einen verhältnismäßig erschwinglichen Preis zwei ganze Serien auf immerhin 276 Seiten. Allerdings beschreibt eben dieser Band auch leider die Misere, die leider häufig mit diesen Editionen verbunden ist, denn leider muss man zumindest für den ersten Abschnitt der Handlung sagen, dass es sich dabei vorwiegend um das Prädikat ‚Masse statt Klasse‘ handelt.

Nach einer viel versprechenden Einleitung verzettelt sich die Story zu schnell in einer unübersichtlichen Ansammlung von unentwirrbar komplexen Inhalten. Wie leider allzu oft, ist die Geschichte von einer deutlich übertriebenen Zahl tragender Charaktere geprägt, deren individuelle Motivationen selbst eingeschworenen Fans oft erst im Nachhinein deutlich werden, so dass es partiell bereits zu Verständnisproblemen kommt, weil die einzelnen Interaktionen kaum mehr überschaubar sind. Dabei scheint die Idee der beiden Autoren noch recht interessant und im Hinblick auf die nicht gerade versteckt eingebrachte politische Thematik auch brisant, wird aber letzten Endes leider mit sehr vielen berechnenden Klischees und einer überstrapazierten Kritik am Machtgefüge ausgeführt, was der Entwicklung der Storyline natürlich ganz und gar nicht zuträglich ist. Der Weg des überladenen Bombasts, den die Handlung in der endgültigen Schlacht um Blüdhaven beschreitet, wirkt in diesem Zusammenhang auch äußerst ungünstig, zumal sich das Handeln der Hauptakteure in Relation zu ihren eigentlichen Aussagen nicht nur einmal widerspricht. Bedenkt man, dass das Ganze auf der Grundidee der viel umjubelten „Infinite Crisis“ fußt, kommt man daher keinesfalls umhin, bei diesem ersten von zwei Plots von einer absoluten Enttäuschung zu sprechen – und das sowohl inhaltlich als auch grafisch!

Gottlob erfährt diese erste Monster Edition aus der Reihe „Ein Jahr danach“ in der Folge noch einen überraschend rasanten Qualitätsanstieg, denn zumindest in „Sechs Stufen der Verwüstung“ bekommt der Leser auf gleichwohl höherem Niveau so ziemlich all das geboten, was er sich von einer Serie aus dem Hinterhalt erhofft. Die Charaktere zum Beispiel erfahren eine viel kompakter und harmonischer ausgeprägte Zeichnung, die Story vergeht nicht im Rahmen von unzähligen, kaum verständlichen Action-Overkills und der gesamte Aufbau genießt eine stringente, nachvollziehbare Haltung. Dass der Spannungsaufbau daher eigentlich nur noch Formsache ist, versteht sich fast wie von selbst, doch genau dieser Umstand beschreibt auch ganz gut, wie kontrastreich und ambivalent das Gesamtbild dieses enorm dicken Wälzers im Gesamtüberblick ist. Von ‚ziemlich mies‘ bis ‚ansatzweise genial‘ ist die Spanne in der ersten Monster Edition zu „Infinite Crisis – Ein Jahr danach“ doch recht groß, so dass die Überlegungen zur Anschaffung des Sammelbandes berechtigt von Zweifeln geprägt sind. Vor dem Hintergrund, dass nur „Sechs Stufen der Verwüstung“ tatsächlich lesenswert ist, sind 24 € nämlich dann doch wieder sehr viel Geld!

http://www.paninicomics.de

Masino, Susan – Let there be Rock. Die AC/DC-Story

Mit diesem Buch erscheint ein weiteres Werk über die Erfolgsgeschichte der australischen Rocker. Verfasst wurde es von Susan Masino, einer amerikanischen Journalistin für Rockmusik. Auf rund 300 Seiten erfährt der Leser sehr viele Details zur Bandgeschichte. Der Fakt, dass die Autorin AC/DC persönlich kennt und mit ihnen befreundet ist, lässt teilweise eine sehr emotionsreiche und private Erzählung entstehen. Zudem kann sie mit vielen Erlebnissen in ihrem Buch aufwarten, die so niemand außer ihr kennt und demzufolge auch noch nicht veröffentlicht wurden.

Der Weg zur Band AC/DC und die Geschichte der einzelnen Mitglieder werden sehr ausführlich erzählt. Der Leser erfährt unter anderem, dass Angus Young nicht unbedingt ein Freund der Schule war, sich dafür aber stundenlang mit der Gitarre beschäftigen konnte, dass Bon Scott die Angewohnheit hatte, bei einem Umzug sein Zimmer immer rot zu streichen und er sogar mal als Postbote arbeitete. Zudem wird darüber berichtet, dass sie in ihren Anfangsjahren bei der Hochzeit eines Freundes mit ‚Zorba The Creek‘ den wohl ungewöhnlichsten Song in ihrer Geschichte spielten.

Eindrucksvoll wird beschrieben, wie sie im Laufe der Jahre unzählige Konzerte gaben, um bekannt zu werden, wie sich langsam der Erfolg einstellte und der Bekanntheitsgrad stieg. Aber auch, welche Schwierigkeiten und Rückschläge es gab. Den größten Hieb in ihrer Karriere war der tragische Tod von Sänger Bon. Darüber wird sehr emotionsvoll und ausführlich berichtet, ebenso, wie die Band fast daran zerbrach. Weiterhin erfährt der Leser, wer sie trotz diesen herben Verlustes alles ermutigte weiterzumachen und wie sie mit Brian Johnson einen würdigen Nachfolger fanden.

Im Buch kommen die Bandmitglieder sowie zahlreiche Freunde, Kollegen und Fans zu Wort, die ihre Eindrücke und Begebenheiten mit der Band schildern. Die Erzählung erfolgt häufiger aus einem anderen Blickwinkel und wird dadurch nie langweilig. Auch der Humor kommt natürlich nicht zu kurz und lässt dem Leser ab und an ein Schmunzeln über die Lippen gleiten, schon allein deshalb, weil sich die Autorin oft einen lustigen oder etwas zynishen Kommentar nicht verkneifen kann. Aufgelockert wird das Ganze mit zahlreichen Schwarzweiß-Bildern, die teilweise lustige Motive beinhalten.

Am Ende findet der Leser eine sehr umfangreiche Diskografie und Bibliografie, die in einzelne Rubriken aufgeteilt ist. Wünschenswert wäre noch eine Übersicht gewesen, wer im Laufe der Jahre alles in der Band gespielt hat. Es wird zwar ausführlich über die Besetzungswechsel berichtet, aber zur besseren Übersicht der Bandgeschichte wäre dies von Vorteil gewesen. Ein Manko, eigentlich auch das einzige, ist, dass man an manchen Stellen im Buch regelrecht mit Informationen zugeschüttet wird, gerade, was Personen angeht. Der nicht so belesene AC/DC-Fan verliert dann etwas den Überblick, von wem gerade die Rede ist, beziehungsweise welche Funktion diejenige Person hatte.

Für jeden AC/DC-Fan dürfte das Buch, neben vielen Dingen, die er bereits kennt, einige interessante Neuigkeiten ans Tageslicht bringen. Durch die persönliche Erzählung und die ganz eigenen Begebenheiten zwischen der Autorin und der Band hebt sich das Werk sehr gut von anderen Büchern über die australischen Rocker ab. Aber auch für jeden anderen, der sich für Rockmusik und deren Geschichte interessiert, ist das Buch empfehlenswert. Denn schließlich gehören AC/CD nach wie vor zu den ganz Großen, die mit ihrer Musik den Rock nachhaltig geprägt und Meilensteine gesetzt haben.

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Poehl, Henning – Null Bock!

_Brunft in der Arena_

Mit „Null Bock“ präsentiert der |Sphinx|-Verlag unter Regie von Henning Poehl ein weiteres ausgefallenes Spielkonzept, welches mal wieder gekonnt Strategie und Spaß miteinander verknüpft. In diesem Falle handelt es sich beim sinnbildlichen Titel um ein reines Stichspiel, welches zwar einerseits nicht ganz so originell ausgestattet ist wie vergleichbare Produkte aus dem gleichen Haus, dafür aber mindestens genauso gut fürs zwischenzeitliche Lachmuskeltraining sorgt.

Thematisch wird dabei die Hirschbrunft nachempfunden, dies aber natürlich auf recht unkonventionelle Art und Weise. Insgesamt 30 Hirschböcke kämpfen um ebenso viele Hirschkühe und versuchen, einen möglichst großen Harem zu erobern. Hierzu werden sie in die Arena ausgesandt, in der sich ihre Konkurrenten gemeinsam mit den ersehnten Weibsbildern tummeln und bereits kräftig um ihren Anhang rangeln. Doch am Ende kann immer nur einer der Platzhirsch sein – und das ist zum Ende des Spiels derjenige, der mit dem größtem Harem das Spiel gewinnt.

_Spielmaterial_

• 30 Hirschkuhkarten
• 30 Hirschbockkarten

Das Spielmaterial ist mal wieder der eigentliche Clou des Spiels. Henning Poehl hat sich einiges einfallen lassen, um seine Hirsche auch formidabel in Szene zu setzen. So präsentieren sich die Hirschkühe sehr aufreizend in Bikini, Dirndl und Abendkleid, während sich unter den Böcken Skateboardfahrer, Leichtathleten und stolze Ritter verbergen, über die man doch immer wieder schmunzeln muss. Darüber hinaus ist das Spiel dank der einfach strukturierten Karten sehr übersichtlich aufgebaut und bedarf keiner großen weiterführenden Erklärung. Schlicht und effektiv – das scheint auch dieses Mal zu funktionieren.

_Spielaufbau_

„Null Bock“ ist im Prinzip ein sehr leicht verständliches Spiel, das schon halb erklärt ist, sofern man die Begrifflichkeiten verstanden hat und einordnen kann. Das Spiel ist untergliedert in die beiden Schauplätze Abseits und Arena. Ersteres ist die Spielfläche vor jedem einzelnen Spieler, während in der Arena um den Harem gekämpft wird.

Zu Beginn eines jeden Spiels bekommt jeder Spieler (abhängig von der Spielerzahl) jeweils fünf oder sechs Böcke und Kühe ausgehändigt. Anschließend entscheidet er sich für eine Karte, die er nun vor sich ins Abseits legt. Es empfiehlt sich, in diesem Fall einen Bock auszuwählen, weil ein Verlust seiner Zunft dem Gegner später keine Punkte in der Wertung einbringt. Nachdem der Startspieler auf beliebige Weise ermittelt wurde, geht der Kampf um den Harem schließlich los.

Der Spieler, der an der Reihe ist, muss auf jeden Fall eine Karte spielen. Dabei kann er entweder eine Hirschkuh in die Arena jagen oder aber eine Karte ins Abseits legen. Letzteres funktioniert allerdings nur, wenn dort momentan eine Karte des anderen Geschlechts liegt. Lohnenswert ist in dieser Hinsicht, einen Bock auf eine Kuh zu spielen, denn in diesem Fall darf man die Kuh als Stich einbehalten und den Bock im Abseits des Spielers, der zuvor die Kuh beherbergte, zurücklassen. Die Werte der Böcke und Kühe sind dabei unerheblich, so dass unter Umständen auch der ‚Null Bock‘, also einer der Böcke mit dem Wert 0, dort getauscht bzw. abgelegt werden kann. Auch ein umgekehrter Zug ist möglich, allerdings bringt es im Endeffekt keine Punkte, wenn man eine Kuh ins Abseits legt, denn Böcke zählen in der Wertung nicht. Im Bedarfsfall kann aber auch dies ein kluger Zug sein; dann nämlich, wenn man nur noch über Böcke mit relativ niedrigen Werten verfügt oder gar überhaupt keinen mehr in der Hand hält.

Richtig abgeräumt wird aber natürlich erst in der Arena; hier spielen nun auch die Werte der Kühe und Böcke eine Rolle. Als Erstes liegt dort immer eine Kuh aus; nun können die Spieler reihum Kühe mit höheren Werten auf dieser ablegen und so den Wert des ‚Potts‘ immer weiter steigern. Wer indes keinen höheren Wert aufbringen kann, hat noch die Möglichkeit, eine Kuh mit einem Pluszeichen auszuspielen. Dies sind die Damen, die sich für etwas Besseres halten und deshalb immer gespielt werden können. Wenn der Harem schließlich als groß genug empfunden wird, kann man ihn nun mit seinen Böcken einkassieren. Dazu legt man einen Bock, egal mit welchem Wert, auf den Stapel der Hirschkühe in der Arena. Nach dem bekannten Steigerungsprinzip können die übrigen Spieler nun mit wertvolleren Böcken die Auktion erhöhen. Dies geschieht so lange, bis ein Bock über eine ganze Runde am obersten Stapelende bleibt und kein Spieler mehr erhöhen kann. Der Besitzer jenes Bockes bekommt nun den gesamten Harem und legt ihn als Stich vor sich ab.

Eine Sonderregelung besteht jedoch: Wer einen ‚Null Bock‘ hat, darf ihn auf jeden anderen Bock auflegen und diesen damit übertrumpfen. Eigentlich ist der 10er-Bock derjenige mit dem größten Werk; jedoch kann er mit dem ‚Null Bock‘ geschlagen werden. Dies ist auch insofern wichtig, als man am Ende der Partie für jeden ‚Null Bock‘, der sich noch auf der Hand befindet, 15 Minuspunkte gutgeschrieben bekommt. Sollte es indes tatsächlich gelingen, mit jenem ‚Null Bock‘ einen Stich zu landen, wird die gleiche Punktzahl später hinzugerechnet. Die kluge Verwendung des insgesamt dreimal vertretenen ‚Null Bocks‘ kann also spielentscheidend sein.

_Spielende und Wertung_

Das Spiel ist genau dann zu Ende, wenn kein Spieler mehr eine Kuh in die Arena legen kann oder ein Spieler keine Karte mehr auf der Hand hat. Der Spieler, der den letzten Bock ausgespielt hat, bekommt anschließend noch die Hirschkühe aus der Arena. Danach tritt die Wertung in Kraft. Alle Kühe werden mit ihren individuellen Werten addiert und somit der Spieler mit der höchsten Gesamtpunktzahl ermittelt. Eventuell kommen Zusatzpunkte durch besagten ‚Null Bock‘-Stich hinzu. Nun werden die Punkte addiert und die Karten neu gemischt. Endgültig gewonnen hat man nämlich erst mit 150 Punkten. Und so wird weitergespielt, beginnend mit dem Sieger der aktuellen Runde, bis jemand dieses Optimalziel erreicht hat.

_Persönlicher Eindruck_

Nach den ersten Runden dieses Kartenspiels bestanden durchaus gemischte Gefühle, weil man insgeheim doch ein etwas anspruchsvolleres Spiel erwartet hatte. Gerade beim |Sphinx|-Verlag ist man mittlerweile gewohnt, dass die jeweiligen Titel auf einer homogenen Verknüpfung aus thematischem Hintergrund und diesbezüglicher Umsetzung fußen und man sich mit dem Spiel auch sehr gut in die jeweilige vom Spiel vorgegebene Situation hineinversetzen kann. Letzteres ist jedoch bei „Null Bock“ nur bedingt der Fall, weil das Thema eigentlich nur über die witzige Gestaltung der Karten vermittelt wird, es indes aber einer größeren Phantasie bedarf, sich alleine über die grafische Gestaltung in die Phase der Hirschbrunft hineinzudenken. Der Autor benennt zwar die einzelnen Schlagwörter und lässt seine Hirschböcke stilecht in der Arena um ihre Gefolgschaft kämpfen; da es sich dabei aber lediglich um ein simples Stichspiel handelt, wird die Atmosphäre dessen nur bedingt vermittelt.

Andererseits, und damit losgelöst von dieser Verknüpfung, bringt „Null Bock“ von Runde zu Runde mehr Spaß. Es hängt zwar im Verlauf des Spiels sehr viel vom Glück ab – schließlich sind Böcke mit hohen Werten schon die halbe Miete für den Sieg – aber sobald man sich selber einige Taktiken ausgeklügelt hat, wird das Spiel dennoch ein bisschen strategischer, und es kommt in der Tat zum erhofften offenen Schlagabtausch, bei dem letztendlich nicht einzig das Glück, sondern auch das zwingend erforderliche Geschick benötigt wird, um den besten Harem zu angeln. So bedarf es immer wieder einer konzentrierten Entscheidung, ob man nun in die Arena schreitet oder im Abseits herumwildert, denn zum Ende hin können es auch die hier gelandeten kleinen Stiche sein, die in ihrer Summe eine aussichtsreiche Punktzahl garantieren.

Wirklich erquickend ist „Null Bock“ schließlich bei völliger Ausreizung der Spielerzahl; bei 5 bzw. 6 Spielern kommen nämlich alle Karten ins Spiel, und alleine schon durch die Einbeziehung der ganz niedrigen Werte entsteht eine ganz andere Dynamik, bei der ein weiterer Spannungsanstieg garantiert ist. Im direkten Vergleich hat man ganz klar gemerkt, dass diese Variante die mit Abstand günstigere ist, weil einerseits die Interaktion noch viel intensiver ist. Daher wäre „Null Bock“ im Falle einer überlegten Anschaffung auch am besten dann auf den Tisch zu bringen, wenn man einen größeren Spielerkreis anheizen möchte, um im späteren Verlauf des Spieltags auf etwas komplexe Varianten umzusteigen. Empfehlenswert ist das Spiel aber letztendlich allemal, wenn man etwas Nettes zur Eröffnung sucht, denn stimmungsvoll und heiter ist das Spiel ganz klar. Nur die thematische Verknüpfung, die ist meines Erachtens dieses Mal nicht ganz so gut geglückt.

Zu ergattern ist das Spiel für einen relativ kostengünstigen Preis im Shop des Verlags unter http://www.sphinxspiele.de.

Catherine Webb – Satan – Retter der Welt

Band 1: „Lucifer – Träger des Lichts“

Nachdem Seth, Odin und Jehova am Ende des ersten Bandes tatsächlich die drei Schlüssel gefunden haben, hat Sam alias Lucifer ein ernstes Problem. Zwar können die befreiten Pandora-Geister ihm nicht direkt etwas anhaben, wie sich jedoch nur zu bald herausstellt, brauchen sie das auch gar nicht. Stattdessen konzentrieren sie sich auf seine bisherigen Verbündeten und schneiden Sam damit von jeglicher Unterstützung ab. Ein harter Schlag für jemanden, der zwar seine unmittelbaren Kämpfe stets allein ausgetragen hat, bei den Vorbereitungen derselben allerdings auf ein Netzwerk an Kontakten zurückzugreifen pflegte. Schnell gerät Sam in immer größere Bedrängnis.

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Barclay, James – Drachenlord (Die Legenden des Raben 5)

|Die Chroniken des Raben|:
[„Zauberbann“ 892
[„Drachenschwur“ 909
[„Schattenpfad“ 1386
[„Himmelsriss“ 1815
[„Nachtkind“ 1982
[„Elfenmagier“ 2262

|Die Legenden des Raben|:
[„Schicksalswege“ 2598
[„Elfenjagd“ 3233
[„Schattenherz“ 3520
[„Zauberkrieg“ 3952

_Story_

Noch während der Rabe sich dazu entschließt, endgültig in den Ruhestand zu treten, greifen die Wesmen nach jahrelanger Abwesenheit wieder an und führen einen vernichtenden Schlag gegen das geschwächte Kolleg von Xetesk aus. Dessen Anführer Dystran sieht sich in verzweifelter Lage dazu genötigt, einmal mehr die Dimensionsmagie zu bemühen, und öffnet in einer letzten Defensivmaßnahme das Portal zur Dimension der Dämonen.

Zwei Jahre später: Ganz Balaia wird von Dämonen heimgesucht; die letzten Überlebenden der Kollegien verschanzen sich in Kalträumen, die sie vor den Seelenräubern schützen und ihnen einen letzten Hort vor der drohenden Vernichtung bieten. Doch die Dämoen werden von Tag zu Tag stärker und konzentrieren das balaianische Mana, um das Land in Kürze zu unterwerfen und die dort lebenden Menschen und Elfen auszurotten.

Hirad, der mit den Elfen nach Calaius gegangen war, erfährt als Erster von der Bedrohung. In einem Traum begegnet er Ilkar und erfährt über dessen Bruder Rebraal vom Schicksal, das selbst der Welt der Toten droht, wenn die Dämonen die Dimension von Balaia übernehmen. Sofort wird ihm klar, dass nur eine Maßnahme zur Rettung Balaias ergriffen werden kann: Der Rabe muss rekrutiert werden und in seiner sicherlich letzten großen Schlacht alle Kräfte des Landes an sich binden, um die Dämonen auszurotten.

_Meine Meinung_

James Barclay vollführt im fünften Band der „Legenden des Raben“ ähnliche Winkelzüge wie einst zur Zeit der sechsteiligen „Chroniken des Raben“. Kurz vor Ende der Serie und in direkter Folge an einen sinngemäß abgeschlossenen Handlungsstrang beginnt er eine Geschichte auf einer gänzlich anderen Ebene und sucht mitunter auch ein wenig künstlich – so scheint es zunächst – nach verbliebenem Futter für die Anhänger seiner berüchtigten Söldnertruppe.

Allerdings schließt sich von nun an endgültig der Kreis, den zu zeichnen der Autor bereits in seinem allerersten Raben-Roman begonnen hatte. Die ersten Begegnungen mit den anderen Dimensionen, die meist nur kurz angedeuteten Mysterien um die Welt der Dämonen, dazu die zuletzt noch unbefriedigende Unordnung im Streit der Kollegien untereinander und natürlich die (hier erst vollzogene) abrupte Auflösung der Rabentruppe verlangten nach weiterer Aufklärungsarbeit, um das gesamte Konstrukt rund zu bekommen.

Jedoch ist der Einstieg dieses Mal besonders schwer; der Rabe scheint seinen Frieden gefunden zu haben und distanziert sich vom Chaos in Balaia. Während Thraun und Hirad den Elfen nach Calis gefolgt sind, ist der unbekannte Krieger gemeinsam mit Darrick, Erienne und Denser in den Schoß seiner Familie zurückgekehrt, wo Erienne erfolgreich mit der Magie des Einen arbeitet und langsam aber stetig lernt, sie zu beherrschen. Als Hirad dann plötzlich auftaucht und von der neuen Bedrohung berichtet, ist man sich uneins, ob man ein letztes Mal für die Rettung Balaias kämpfen soll. Der Wille ist gebrochen, die Routine verblasst und die Ausstrahlung trotz der scheinbar kurzen Zeit von gerade mal zwei Jahren völlig glanzlos abgestumpft.

Doch in der Not bleibt den Rabenkriegern keine Wahl – und so geht es in eine weitere Schlacht, der die Truppe ebenso skeptisch gegenübersteht wie der Leser. Denn dieses Mal kämpft nur noch eine kleine Bastion der Menschen gegen einen schier übermächtigen Feind. Und auch wenn man insgeheim auf die Unterstützung der Drachen hofft und vertraut, so ist das Chancenverhältnis selbst dann, wenn die Kollegien sich doch noch ein letztes Mal vereinen sollten, äußerst schlecht.

Über die Entwicklung des neuen Plots findet man somit langsam wieder zum Glanz alter Tage zurück. Zwar fällt die Identifikation mit dem spürbar gealterten Raben diesmal ungleich schwerer, und darüber hinaus ist die Story in diesem Fall auch ein ganzes Stückchen komplexer, aber sobald der Funke übergesprungen ist und man erst einmal wieder die Tragweite all dessen, was Barclay hier aufgezäumt hat, erkannt hat, ist die Begeisterung sofort wieder geweckt. Und trotzdem: Ein wenig Skepsis bleibt, weil unterschwellig die Meinung haften bleibt, der Autor klammere sich hier an seinen letzten Rettungsanker, um die Faszination um seine nunmehr legendären Söldner aufrechtzuerhalten. Kurz vor Ende der Serie holt er nämlich noch einmal weit aus und kramt einige Ideen hervor, die potenziell Stoff für eine ganze weitere Chronik aufbieten, aber schlussendlich doch in gerade mal zwei Büchern aufgearbeitet werden müssen.

Der bezeichnende Titel des nächsten und bislang letzten Romans „Heldensturz“ lässt daher auch Schlimmes vermuten. Erst einmal gilt es nämlich schon in Kürze, Abschied von den Helden zu nehmen; weiterhin liegt die Furcht nahe, dass es kein schöner Abschluss für die Truppe sein wird, und als Letztes fragt man sich, ob Barclay tatsächlich diesen inhaltlich radikalen Weg einschlagen musste, um das endgültige Finale einzuläuten. Im Grunde genommen verbaut er nämlich somit jegliche Hoffnung darauf, dass der Rabe auch später noch literarisch existieren kann. Und dies nun Schwarz auf Weiß zu erkennen, ist für den seit nunmehr drei Jahren faszinierten, begeisterten Anhänger wahrscheinlich die schlimmste Erkenntnis eines schwer verdaulichen, zu Beginn etwas zwiespältig zu betrachtenden Buches. Aber viel wichtiger ist dennoch die überwiegend positive Seite des mit dem etwas irreführenden Titel „Drachenlord“ bezeichneten Romans, nämlich dass James Barclay einmal mehr beweist, dass er in Sachen phantastischer Dramaturgie nach wie vor unschlagbar ist. Die Art und Weise, wie sich das aktuelle Werk nämlich entwickelt, ist nämlich einfach nur phänomenal!

http://www.heyne.de/

Atkins, Charles – Gift

„Schuster, bleib bei deinen Leisten!“, dachte sich wohl Charles Atkins, als er den Thriller „Gift“ schrieb. Der Autor ist Psychiater, und anscheinend liegt es da nahe, sich auch literarisch mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen.

Dr. Peter Graininger ist Psychiater in der psychiatrischen Notfallaufnahme der New Yorker Universitätsklinik. Obwohl er es weit gebracht hat, lässt ihn die Erinnerung an den Unfall, bei dem seine Frau Beth ums Leben kam, immer noch nicht los. Mithilfe seines Sohns Kyle und seines Vaters, der ebenfalls Psychiater ist, versucht er wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Sein alter Studienfreund Ed Tyson, der mittlerweile ein hohes Tier an der Universität ist, hat ihm seinen Posten und auch die Wohnung, in der Peter lebt, beschafft.

Doch das hat Ed nicht nur aus Eigennutz getan. Er verfolgt Pläne, um Peter für eine Sache zu bestrafen, die bereits einige Jahre zurückliegt. Peter hat davon keine Ahnung, als er eines Tages Ann Walsh, Studentin, Gelegenheitsprostituierte und Geliebte von Ed, nach einem Selbstmordversuch behandeln soll. Wenig später wird Ann ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Peter war an diesem Abend bei Ed und seiner Familie zum Essen eingeladen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, muss er feststellen, dass seine Erinnerungen an diese Nacht bei der Verabschiedung an Eds Haustür aufhören. Wo war er danach? Ist der Filmriss eine Nachwirkung des Traumas von Beths Tod oder geht es hier um etwas ganz anderes? Peter merkt schnell, dass er in einem perfiden Spiel gefangen ist …

Es ist nicht nur der Beruf, den Autor und Protagonist teilen. Auf seiner [Website]http://www.charlesatkins.com erläutert Atkins, dass er in „Gift“ auch eine persönliche Tragödie verarbeitet – genau wie Dr. Graininger. Aus dieser Verbindung resultiert eine sehr authentische Hauptfigur, die die Abgründe der menschlichen Seele aus eigener Erfahrung kennt. Immer wieder blendet Peter Erinnerungen an frühere Zeiten ein und gibt sich mehr als einmal der Schwäche hin, sich selbst gehen zu lassen.

An und für sich steht aber die rasante, geradlinige Thrillerhandlung im Vordergrund. Bis auf Peters persönliche Erinnerungen gibt es kaum Abschweifungen. In großen, abgestuften Schritten geht die Geschichte voran. Atkins verzichtet auf großartige Action und Blut oder weitläufige Plots. Er hält die Handlung im kleinen Rahmen, was sie sehr bodenständig wirken lässt. Sie enthält Bewegung, haarsträubende Ereignisse, aber dennoch bezieht sie ihre Spannung mehr aus der leisen, stillen Art und Weise der Manipulation, deren Opfer Peter wird.

Die Handlung besteht hauptsächlich aus einem Strang. Es gibt kaum Nebenhandlungen und auch die Nebencharaktere haben zumeist keine große Aufgabe, wenn sie nicht direkt in die Gesamtgeschichte verwickelt sind. Dadurch wirkt das Buch sehr kompakt, lässt an einigen Stellen aber etwas an Originalität missen. Das flotte Erzähltempo verhindert, dass sich bestimmte Charaktere entfalten können und Atkins Schreibstil ist ebenfalls nicht wirklich bemerkenswert.

Er arbeitet sowohl mit einer Perspektive aus der ersten als auch mit Perspektiven der dritten Person. Der Ich-Erzähler ist natürlich Peter, dem es dadurch besonders gut gelingt, seine traumatischen Erinnerungen zu beschreiben. Die anderen Perspektiven beschränken sich auf wenige Personen und unterscheiden sich untereinander kaum vom Schreibstil her.

Atkins schreibt flüssig und mitreißend. Er benutzt einen gehobenen Wortschatz und schafft es, klare Sätze zu bauen, die sich zu einem fließenden Text verbinden. Während Peters Perspektive durch die starke Subjektivität hervorgehoben wird, wirken die anderen jedoch etwas beliebig. Sie sind zu gleichförmig, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt „Gift“ insgesamt nicht unbedingt, dafür aber erstaunt hochgezogene Augenbrauen während der Lektüre. Der Thriller sprüht nicht vor Originalität, aber der Amerikaner Charles Atkins liefert saubere Handarbeit ab. Besonders positiv sind dabei der gut ausgearbeitete, sympathische Protagonist und vor allem die flotte und schnörkellose Handlung, die eine Menge Spannung aufzubauen vermag.

http://www.bastei-luebbe.de

Reginald Hill – Das Fremdenhaus

Das geschieht:

Illthwaite ist ein kleines Dorf in der englischen Provinz Cumbria. Seit Jahrhunderten lebt hier eine nicht unbedingt harmonische doch verschworene Gemeinschaft, die es gewohnt ist, Probleme intern zu lösen und der Außenwelt die kalte Schulter zu zeigen. Dabei ist es im Verlauf der Zeit mehrfach zu definitiv illegalen Aktivitäten gekommen, auf die man zum Teil stolz ist, während man weniger schmeichelhafte Ereignisse sorgfältig geheim zu halten sucht.

Nun kommen gleich zwei Besucher von sehr weit her nach Illthwaite, wo sie Nachforschungen über ihre Familien bzw. einen bestimmten Kirchenmann anstellen möchten. Samantha Flood, eine Mathematik-Studentin, reist aus Australien an, weil sie feststellen möchte, wieso ihre Großmutter, die hier im Ort ansässig gewesen sein soll, vor mehr als vier Jahrzehnten und noch als Kind davongejagt wurde. Reginald Hill – Das Fremdenhaus weiterlesen

Jeanne Kalogridis – Leonardos Geheimnis

Die Mona Lisa, die zurzeit im Louvre in der französischen Hauptstadt Paris ausgestellt ist, ist wohl auch das bekannteste Werk Leonardo da Vincis. Immer noch ranken sich Theorien um das wohl berühmteste Gemälde der Welt. Das magische Lächeln der Porträtierten ist unergründlich, fast schon mystisch. Leonardo da Vincis Feingefühl für sanfte Übergänge in den Farbregionen ist meisterhaft und für diese Zeit einmalig. Genauso verhält es sich mit dem Spiel von Licht und Schatten, das sich durch die Kleidung der jungen dargestellten Frau zeigt.

Wer war diese junge Frau? Es gibt verschiedene Spekulationen. War das Modell gar keine lebende Person, sondern nur den Phantasien des Meisters entsprungen? Welche Rolle spielte diese geheimnisvolle Frau mit ihrem sanften aber doch scheinbar humorvollen Blick im Leben des Künstlers? Leonardo da Vinci hat dieses Gemälde bei seinem zweiten Aufenthalt in Florenz gemalt (1503 – 1506) – ist diese Frau eine sehr bekannte Dame des florentinischen Adels?! Da Vinci hat dieses Geheimnis mit ins Grab genommen, Abschriften oder Erklärungen existieren zwar zur Genüge vom genialen Meister, aber nichts davon erklärt die Figur der Mona Lisa.

Eines ist jedenfalls sicher: Das Lächeln der Mona Lisa nahm Leonardo da Vinci auf all seinen späteren Reisen mit. Eine stumme Geliebte, eine treue Gefährtin und ein Angelpunkt in seinem künstlerischen Schaffen, doch eine Frage stellt sich immer wieder: Wer war diese unergründliche Frau?

„Leonardos Geheimnis“ von Jeanne Kalogridis erzählt die Lebensgeschichte der Mona Lisa und von ihrem geheimnisvollen Bezug zum größten Genie seiner Zeit – Leonardo da Vinci.

_Die Geschichte_

Florenz im 15. Jahrhundert. Die Stadt wird regiert von der Familie Medici und ist dadurch ein wichtiger kultureller, wirtschaftlicher und politischer Standort geworden.

Ein Jahr vor der Geburt der Mona Lisa wird Giuliano di Medici Opfer einer Verschwörung der Familie der Pazzi. Ein Attentat bereitet seinem Leben ein vorzeitiges Ende. Lisa di Antonio Gherardini Giocondo, genannt Mona Lisa, bekommt zu ihrem zwölften Geburtstag ein Medaillon von ihrer Mutter geschenkt, auf dem ebendieser Mord dargestellt ist. Damit verändert sich das Leben der wohlbehüteten Tochter eines Florentiner Wollhändlers. Der Bruder des Ermordeten schwört Rache, denn ein Verschwörer und Mörder ist nach der Tat entkommen. Zeuge dieser Tat ist der inzwischen schon berühmte Künstler Leonardo da Vinci, den Mona Lisa schon seit ihrer Kindheit kennt.

In den folgenden Jahren begegnet sie da Vinci immer wieder und eine tiefe Freundschaft beginnt. Mona Lisa verliebt sich in einen Medici, den Neffen des toten Giuliano, und gerät mitten in die politischen Auseinandersetzungen. Sie erlebt die Verbannung der Familie aus Florenz, Krieg und Seuchen sowie den traurigen Tod ihres einzigen Kindes. Leonardo begleitet sie als treuer Freund durch die harten Zeiten.

Er arbeitet unablässig an ihrem Portrait, ein perfektes Abbild ihrer Person. Ein dunkles und großes Geheimnis vertraut er seinem Modell an. Nicht nur die Hintergründe des Mordes werden aufgeklärt, sondern dieses Geheimnis wird das Leben der Mona Lisa auf immer verändern.

_Kritik_

Die Autorin Jeanne Kalogrids geht einer der zahlreichen Theorie um die berühmte Gestalt Mona Lisas nach. Seit dem frühen 16. Jahrhunderts versuchen viele Kunstliebhaber, das berühmteste Lächeln der Welt zu analysieren. Ebenso verhält es sich mit der historischen Person der jungen Frau. Die Identität und die Umstände, unter denen sie gemalt wurde, bleiben ein Geheimnis.

Die wahrscheinlichste Kandidatin unter den Anwärterinnen auf die Person Mona Lisas ist wohl die Protagonistin dieses Buches, Lisa di Antonio Gheradini, Tochter eines wohlhabenden Seidenhändlers. Als junges Mädchen wird Lisa in den luxuriösen Haushalt der Medici eingeführt und lernt die mächtigste Familie Florenz kennen. In den politischen Verwirrungen und dem Niedergang der Familie verliebt sie sie in den jüngsten der drei Söhne des Familienoberhauptes Lorenzo de Medici, Giuliano. In der gleichen Zeit tritt auch Leonardo da Vinci in ihr Leben, der ein geförderter Wissenschaftler der kunstbegeisterten Familie ist.

Nach dem Tode Lorenzo de Medicis erlebt Lisa die Vertreibung seiner Nachkommen aus dem toskanischen Florenz. Leonardo da Vinci erhält kurz vor dem Tode seines Förderers Lorenzo de Medici den Auftrag, heimlich ein Portrait von Mona Lisa zu erschaffen …

Jeanne Kalogridis Roman lebt einzig und allein von seiner Perspektive und der ihrer Protagonistin Lisa de Gheradini. Ihre Entwicklung vom unschuldigen, naiven Mädchen zur starken und leidenschaftlichen Frau ist der rote Faden der Erzählung. Ihre Erlebnisse um und mit der Familie der Medici eröffnen dem Roman eine ungeahnte Tiefe. Inwieweit diese Person noch über eine historische Genauigkeit verfügt, sei dabei erst einmal dahingestellt. Mona Lisa ist eine der wenigen geschichtlichen Gestalten, deren Bildnis die meisten Leser vor Augen haben. Gleichzeitig ist über diese Figur zu wenig bekannt, und die Geheimnisse laden die Autorin geradezu ein, eine Theorie zu entwerfen.

So dicht, wie sie ihre Protagonistin beschreibt, lenkt sie die Aufmerksamkeit, die man den anderen Persönlichkeiten widmen sollte, leider ab. Viele Beschreibungen der Nebencharaktere fallen dadurch viel zu simpel und unglaubwürdig aus. Einzig und allein die erzählerische Gestalt Leonardo da Vincis ist interessant und vielseitig. Seine Loyalität und seine geheimnisumwitterte Persönlichkeit verleihen dem Roman eine spannungsvolle Struktur. Allerdings birgt der erste Teil von „Leonardos Geheimnis“ ziemliche Längen, da dieser nicht aus Lisas Sicht geschildert ist. Die Waage zwischen Lisas Entwicklung und der politischen Situation balanciert die Autorin jedoch geschickt aus.

Jeanne Kalogridis verleiht dem historischen Florenz zur Zeit der Renaissance ein vielfältiges Bild mitsamt der politischen und künstlerischen Aufgeschlossenheit und zugleich dem schon frühzeitigen religiösen Fanatismus. Die Autorin nimmt sich jedoch für einen historischen Roman allzu viele Freiheiten heraus und verfälscht damit die Genauigkeit der recherchierten Gegebenheiten. Historischen Quellen nach zu urteilen, gab beispielsweise nicht Lorenzo de Medici da Vinci den Auftrag, sondern dies geschah auf Wunsch ihres Ehemannes.

Zwar gibt die Autorin interessant die verschiedenen Legenden um die Identität der Mona Lisa wider und schafft damit das Sinnbild einer perfekten Frau, aber alles in allem gelingt es Kalogridis nicht, wahre Lesefreude zu wecken. Zu unglaubwürdig und schwammig sind ihre Theorien mit den Fakten verknüpft.

„Leonardos Geheimnis“ ist ein historischer Frauenroman mit wenig wirklich historischem Hintergrund. Für Leser, die einen unterhaltsamen Roman mit einer starken „Frau“ lesen möchten, ist dieser Roman zu empfehlen. Wer allerdings etwas über das Leben und Wirken Leonardo da Vincis erfahren möchte und sich auch für das Gemälde der Mona Lisa interessiert, dem ist hier eher abzuraten.

http://www.ullsteinbuchverlage.de/listhc/

Busiek, Kurt / Anderson, Brent Eric – Astro City 1: Der gefallene Engel

_Story_

Kiefer Square, ein hoffnungsloser, verruchter Ort, an dem sich das niederträchtige Gesindel von Astro City herumtreibt: Hier stammt er her, Carl Donewicz, besser bekannt als Steeljack, ein ehemaliger Ganove, der trotz seiner Begeisterung für die Riege der Superhelden einst die Fronten gewechselt und infolge seiner Jahre als Mitläufer eines Tages einen Jugendlichen im Bandenkrieg erschossen hat. Nach wie vor bedeckt der Schatten dieser schweren Sünde den mittlerweile langzeitinhaftierten Donewicz. Auch er war einst gefürchtet und schien mit seiner Stahlrüstung unverwundbar; doch die Jahre im Gefängnis haben ihn gezeichnet, und nun, wo der Tag der Entlassung bevorsteht, schwört er sich, niemals wieder in den Sumpf des Verbrechens abzutauchen.

Doch Kiefer Square zieht ihn bei der vergeblichen Suche nach einem stattlichen Leben wie ein Magnet an; er kehrt zurück in sein altes Viertel und gerät unwiderruflich an den zweifelhaften Donelly Ferguson. Dort erfährt er, dass derzeit ein unbekannter Gangster einen Schurken nach dem anderen ermordet, darunter auch ehemalige Kollegen Carls. Im Widerstreit mit seinem Gewissen entschließt sich Donewicz, zumindest den Versuch zu starten, diesem Grauen ein Ende zu machen und sich für seine alten Freunde, so unanständig sie auch immer gewesen sein mögen, einzusetzen. Doch damit gerät er auch wieder mit dem Gesetz in Konflikt, denn jeglicher Kontakt mit der dunklen Seite verstößt gegen die Auflagen. Doch Carl sieht die Gelegenheit, einmal im Leben etwas Wertvolles zu tun und zumindest einen Teil seiner währenden Schuld zu begleichen. Aber als hoffnungsloser Versager ohne jegliches Selbstvertrauen ist man in Astro City beinahe schutzlos ausgeliefert.

_Persönlicher Eindruck_

„Astro City“ ist in vielerlei Hinsicht einer der unkonventionellsten Comics, die der amerikanische Markt je hervorgebracht hat, und dies einzig und allein, weil das Schema Helden vs. Schurken hier auf ganz ungewöhnliche Weise durchbrochen, dennoch aber auf vergleichbarer Ebene ausgetragen wird. Autor Kurt Busiek hat vielmehr den Versuch unternommen, anhand einer schicksalhaften Geschichte das Portrait eines klassischen Verlierers nachzuzeichnen, eines Mannes, der stets auf der Gegenseite der gefeierten Persönlichkeiten gestanden hat, dabei aber eigentlich niemals Böses im Sinn hatte.

In diesem Sinne ist Steeljack alias Carl Donewicz zwar sicherlich kein gewöhnlicher Superschurke, doch da er sich beharrlich gegen das Gesetz gestellt hat, um seinem Leben überhaupt einen Sinn zu geben, gerät er ins Kreuzfeuer seiner einst verehrten Gesetzesvertreter und landet schließlich in der Abgeschiedenheit eines Spezialgefängnisses, dem er selbst mithilfe seiner Stahljacke nicht entfliehen kann. So weit, so gut. Diese Rahmenhandlung greift der Autor anschließend auf, um die Emotionen, die Donewicz beherrschen, zu analysieren und damit in gewissen Ansätzen die Wesenszüge eines klassischen Comic-Verbrechers aufzuzeigen. Nun mag Steeljacket aufgrund seiner pessimistischen Ausstrahlung und seiner spürbar depressiv gestörten Persönlichkeit kein üblicher Klassiker unter den Ganoven sein, doch an seinem Beispiel lässt sich die Motivation aller üblichen Schurken sehr gut ablesen. Blind folgen sie einem Scheinidealismus, lassen sich in ihrer persönlichen Misere leichtfertig von den günstig erscheinenden Angeboten, die ihren Überlebenstrieb bestärken, auf die falsche Seite ziehen und sind schließlich bereit, in ihrer als einzige oder letzte Aktion propagierten Scheinheiligkeitstat für einen Moment die Misere zu durchbrechen und ihrem Leben eine Kehrtwende zum Positiven hin zu verpassen.

Nun, Ziel dieser kurzen Übersicht soll sicher nicht sein, das bekannte Bild des Bösewichts in einem eindeutigen Profil wiederzugeben, sondern schematisch zu überblicken, womit sich Busiek im Wesentlichen in „Astro City“ beschäftigt. Nun geht es hier aber nicht nur um das ‚Was?‘, sondern ganz eindeutig um das ‚Wie?‘, und genau in dieser Sparte offenbart der Autor nun seine ganze, individuelle Klasse. Die Art und Weise, wie er diesen zerrissenen, von seiner stetigen Pein gefolterten Menschen bzw. Helden/Schurken namens Steeljacket beschreibt, grenzt sich von sämtlichen herkömmlichen Charakterzeichnungen in diesem Genre ab und resultiert in einem weitestgehend traurigen, bisweilen auch ergreifenden Gesamtbild. Die Krux ist derweil, dass man sich trotz ihres Versagerdaseins sofort mit der Hauptperson identifizieren kann; nicht etwa, weil sie so Mitleid erregend ist, sondern einfach nur, weil sie in der von außergewöhnlichen Figuren gesäumten Welt von „Astro City“ trotz aller vergangenen Schatten so menschlich erscheint. Er ist ein Niemand, ausgestoßen und verbannt, immer wieder unfair aufs Kreuz gelegt und insgesamt hilflos ausgeliefert. Er gibt gleich mehrfach die Hoffnung auf, verliert sämtlichen verbliebenen Idealismus und den Glauben an das, was ihm einst Kraft verliehen hat. Und zu guter (oder schlechter) Letzt kehrt er dann auch noch zurück in das Rattenloch, das ihm vor mehr als 20 Jahren den Verstand geraubt und ihn verraten hat, weil Leute wie er es nicht verdienen, eine Chance zur Anbiederung an die akzeptierte Gesellschaft zu bekommen. Frei von Klischees, überwiegend surrealistisch, bedrückend und beklemmend, eiskalt und doch emotional treibt die Atmosphäre der Handlung ein Spielchen mit dem Leser, der desto mehr Sympathie für Carl entwickelt, je tiefer er in seinen persönlichen Exitus eintaucht, führt ihm dabei aber auch Seite für Seite vor Augen, dass Stelljacks Lebensgeschichte ein Unikat in der heutigen Comicwelt ist. Eine besondere Ausgabe, ganz individuell und anders, so pessimistisch und gleichzeitig innovativ, so melancholisch und bewegend und permanent an die Grenzen stoßend.

Busiek hat sich etwas getraut, das im Fundus der Möglichkeiten der Comicgestaltung eigentlich als eine der offenkundigsten Alternativen zur klassischen Rollenverteilung zur Auswahl steht, aber aus unerfindlichen Gründen bislang nie verwirklicht wurde. Er hat das Schurkentum hinterfragt und seine Opfer zu wahren (Anti-)Helden geschliffen, die einem unerwartet ans Herz wachsen. Dank der präzisen Ausschöpfung aller verfügbaren menschlichen Wesenszügen ist ihm dabei eine sehr facettenreiche, umfassende Arbeit gelungen, die von der ersten Idee bis zur detailreichen Umsetzung reiflich durchdacht wurde. „Der gefallene Engel“ mit den Originalbänden 14-20 aus der Reihe „Astro City“ ist daher nicht nur eines der außergewöhnlichsten Comics in diesem Genre, sondern zweifelsohne eines der bislang ambitioniertesten Werke, das der internationale Markt bislang hergegeben hat. Wer sich jemals in der Welt von |Marvel|, |DC|, |Vertigo| oder |Wildstorm| aufgehalten hat, sollte alleine schon wegen des inhaltlichen Hintergrunds nicht lange zögern und diesen Meilenstein abgreifen!

http://www.paninicomics.de/?s=Wildstorm

Gloge, Andreas / Sassenberg, Volker – Gabriel Burns: Verehrung

Band 1: [„Die Grauen Engel“ 3892

Menschengenerationen sterben aus, ganze Bevölkerungen gehen zugrunde und einstige Hochkulturen werden Geschichte. Neue Zivilisationen entstehen, größer und mächtiger, und müssen eines Tages auch wieder zerbrechen. Nur etwas überdauert die Zeiten, überlebt die Epochen in anderer Gestalt zwar, doch ist stets allgegenwärtig: das Grauen, das die Menschen anzieht, sie das Fürchten lehrt und schließlich vernichtet.

1135 vor der aktuellen Zeitrechnung: Ein junger Priester opfert seine Schwester am Platz der Tränen, tief im Dschungel Südamerikas. Die Lehren der Priester der Schlange verlangen es so. Doch als der Mann in sein Dorf zurückkehrt, um seine Tat zu verkünden, wirkt es wie ausgestorben. Dort, wo vor wenigen Stunden noch emsiges Treiben herrschte, hat sich die Stille des Todes über den Ort gelegt. Hat er seine Schwester umsonst im Auftrag jener getötet, denen das Schicksal seines Dorfes gleichgültig ist?

Nach Antworten suchend, findet er einen kleinen Jungen, der am Fuße der nahen Tempelpyramide steht. In sein hart gezeichnetes Gesicht hat sich ein wissendes Lächeln geschlichen. Und er berichtet dem jungen Mann, dass er nun Letzter seines Volkes sei. Und nach seinem Tod würde sich die Prophezeiung endlich erfüllen.

_Vom Hörspiel zum Roman_

Mit „Verehrung“ liegt der zweite Roman vor, der vor dem Hintergrund des Gabriel-Burns-Universums angesiedelt ist. Gabriel Burns, das ist ein Hörspiel im Stil eines Mystery-Thrillers, der von der Konzeption her nah an den Verschwörungsgehalt von Akte X angelehnt wirkt, wenngleich die thematische Ausrichtung eine völlig andere ist. Produzent Volker Sassenberg, der sich durch |Point Whitmark| bereits einen Namen gemacht hat, hat |Gabriel Burns| zum einen durch die stellenweise brutale und blutige Erzählweise, zum anderen aber auch durch eine äußerst komplexe Metahandlung, die den Hintergrund der Serie umspannt, auf ein erwachsenes Publikum hin ausgerichtet. Die Folgen sind zwar in sich abgeschlossen, verfolgen jedoch einen Hauptstrang, dessen erste Phase mit Folge 22 abgeschlossen wurde. Ein Ende ist jedoch noch lange nicht in Sicht.

Während der erste Roman „Die Grauen Engel“ die Vorgeschichte erzählte und das Leben von Protagonist Steven Burns als erfolglosem Schriftsteller und Taxifahrer schilderte, spielt der zweite Roman „Verehrung“ zur selben Zeit wie die Hörspielreihe. „Verehrung“ schließt also nicht an die Geschehnisse des Romandebüts an, sondern greift einen Nebenplot auf, der irgendwo in die ersten 20 Folgen integriert werden kann. Da die Verknüpfungen zur Haupthandlung nur lose sind, lässt sich dieses Buch problemlos ohne großartiges Vorwissen lesen und bietet zugleich eine abgeschlossene Handlung. Natürlich nicht, wie es die Gabriel-Burns-kundige Hörerschaft bereits kennt, ohne einige Fragen offen zu lassen, die Spekulationen und Fortsetzungen aller Art erlauben. Doch wenn alle Fragen geklärt wären, wäre es ja auch kein Mystery-Thriller mehr.

_Inhalt_

Das Team um Steven Burns, Bakerman, Joyce Kramer und Larry Newman trifft sich im Fairmont Hotel, direkt gegenüber dem Flughafen von Vancouver gelegen. Bakerman, der Kopf der kleinen Gruppe, die sich mysteriöser Erscheinungen auf der ganzen Welt angenommen hat, präsentiert auf wie immer verschwörerische Weise seinen neuesten Auftrag. Es geht um Calakmul, eine Maya-Sieldung tief im mexikanischen Urwald, die 1931 entdeckt worden ist. Zurzeit arbeitet Bakermans Bekannte, eine gewisse Dr. Yolanda Fuentes, in der Ausgrabungsstätte (wobei das Verhältnis zwischen Bakerman und Fuentes mehr ist als bloß ein rein freundschaftliches).

Dass der Maya-Tempel gut verborgen und nur selten von Touristen aufgesucht wird, liegt nicht nur an dessen versteckter Lage: Viele Mythen ranken sich um diesen Ort, von denen einige grausame Opferungen und blutige Rituale beinhalten. Kein Ort, der für Touristenführungen prädestiniert ist. Und ein Ende der Verschwörungstheorien ist dabei noch nicht abzusehen, zumal ein Großteil der heutigen Ruinenstadt noch verborgen liegt und etlicher weiterer Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte bedarf, um vollständig freigelegt und erforscht zu werden.

Der Grund, warum die Forschungsleiterin Bakerman um Hilfe gebeten hat, ist jedoch anderswo zu suchen. In der letzten Woche sind vier Mitarbeiter bei den Ausgrabungsarbeiten verschwunden. Aber die Polizei zu kontaktieren, wäre zu riskant. Schließlich weisen die Funde von Skulpturen und Figuren, die bisher gemacht worden sind, auf eine Epoche hin, in der die Maya-Kultur noch gar nicht existiert haben kann. Viele Abbildungen weisen nämlich erschreckende Ähnlichkeiten mit Dinosauriern auf. Doch wie konnten die Ureinwohner, die vor 2500 Jahren diese Figuren anfertigten, Dinosaurier darstellen, die vor Millionen von Jahren ausgestorben sind? Und noch erschreckender, einige Funde weisen sogar Ähnlichkeiten mit Grauen Engeln auf, jenen Gestalten, die Burns und sein Team schon mehrfach mit den zehn fahlen Orten in Verbindung bringen konnten – weltweiten Plätzen, an denen das Böse in unsere Welt dringt.

Die Zeit drängt, und so reisen Burns und Bakerman nach Mexiko, um sich die Ausgrabungsstätte genauer anzusehen. Kramer und Newman hingegen werden von Bakerman beauftragt, eine dieser Grauen-Engel-Figuren nach Toronto zu Jean-Paul Legrand, einem Experten für alte Kulturen, zu bringen, damit dieser ihnen neue Hinweise geben kann, die zu einer Erklärung der seltsamen Zufälle führen.

Doch sowohl in Mexiko als auch Toronto trifft das Team auf eine Mauer aus Schweigen. Niemand will mehr als nötig über die Figur und die Zwischenfälle in dem Expeditionscamp berichten. Als die wahren Hintergründe endlich ans Licht kommen, ist es für Burns und Co. schon fast zu spät. Denn sie werden längst von den Nachfahren der untergegangene Maya-Kultur beschattet. Und diese sind nicht gewillt, ihr Geheimnis zu offenbaren, bei dem Steven Burns eine entscheidende Rolle spielen soll.

_Bewertung_

„Verehrung“ kommt als kurzweilige Zwischenepisode daher, die den Gabriel-Burns-Hauptplot um eine exotisch angehauchte Geschichte um die Geheimnisse eines Maya-Tempels erweitert. Im Gegensatz zum Romandebüt „Die Grauen Engel“ sind Autor Andreas Gloge und Gabriel-Burns-Erfinder Volker Sassenberg als Co-Autor dieses Mal für diejenigen Leser, die die Hörspielreihe nicht kennen, behutsamer vorgegangen. Denn trotz vieler Anspielungen lässt sich der Roman auch ohne Hintergrundwissen verständlich nachvollziehen und bietet eine solide, in sich abgeschlossene Handlung. Als hätten sie einen neuen Weg beschreiten wollen, präsentiert sich auch der Buchumschlag in leicht verändertem Layout. Nur schade, dass |Ullstein| sogar das Buch um rund einen Zentimeter länger gemacht hat und der Sammler bereits nach nur zwei Romanbänden kein einheitliches Bild im heimischen Bücherschrank vorfindet.

Ungeachtet dieser Ungereimtheiten präsentiert sich „Verehrung“ aber wesentlich ausgereifter als sein Vorgänger. Der Plot ist, wenn auch aufgrund der Kürze von nur 190 großzügig bedruckten Seiten nicht sonderlich tiefgründig, klar strukturiert und schlüssig aufgebaut. Die Spannung muss nicht aus schnellen Perspektivwechseln und abgespeckten Dialogen aufgebaut werden, sondern entfaltet sich durch die Geschichte selbst. Die beiden Erzählstränge werden ab der Mitte der Handlung zusammengeführt und laufen auf ein Finale zu, das jeden Gabriel-Burns-Fan zufriedenstellen wird. So viel sei verraten: Die Möglichkeiten, die ein alter Maya-Tempel und eine untergegangene Kultur bieten, werden gut genutzt und zu einem spektakulären Finale gebracht.

http://www.ullsteinbuchverlage.de
http://www.gabrielburns.de/

Welch, Chris – Genesis – Story und Songs kompakt

Aus heutiger Sicht scheint die Geschichte von GENESIS eher unspektakulär zu sein. Keine ausufernden Exzesse, wenig Glanz und Glamour, null Eskapaden und nicht ein einziger nennenswerter Skandal. Selbst die Trennung von Original-Sänger Peter Gabriel und das Ende der Karriere mit Phil Collins am Mikro wurden einst als Tatsache hingenommen, aber eben nicht vor den klassischen Hintergründen hinterfragt. Dies mag sicherlich auch einer der wesentlichen Gründe sein, warum beinahe vier Dekaden nach dem Release des Debütalbums „From Genesis To Revelation“ gleich drei vollwertige Generationen vollkommen hinter dem jüngst ausgerufenen, eigentlich nicht mehr erwarteten Comeback stehen.

Als die Band am 7. November 2006 öffentlich die Rückkehr in der kommerziell wohl erfolgreichsten Triobesetzung verkündete, fühlten sich nicht nur diejenigen verzaubert, die bereits damals zu Zeiten von „Nursery Crime“, „Foxtrot“ und natürlich „The Lamb Lies Down On Broadway“ das Potenzial der Musiker erkannten, sondern sicher auch der Teil der Fangemeinde, der erst über die berüchtigten Videoclips zu ‚I Can’t Dance‘ und ‚Jesus He Knows Me‘ seine ersten Kontakte mit der Band knüpfte und sie seither innig liebt. Ein guter Zeitpunkt also, um die Karriere parallel zur hierzulande gerade beendeten Tournee Revue passieren zu lassen und die Karriere sowohl historisch als auch musikalisch genauer zu analysieren.

In der Reihe „Story und Songs kompakt“ erscheint daher dieser Tage treffenderweise auch eine Ausgabe zu den britischen Progressive-Rock-Pionieren, in der die gesamte Geschichte der Legende über knapp vier Dekaden Album für Album aufgearbeitet und die unheimlich innovative Entwicklung über diese lange Periode dokumentiert wird. Begonnen mit den ersten eher schlechten als rechten Erfolgen über das Trio Infernale, die Alben zwei bis vier, bis hin zum Ausstieg von Peter Gabriel, dem ein internes wie musikalisches Zerwürfnis infolge des von ihm entworfenen Konzeptalbums „The Lamb Lies Down On Broadway“ vorausgegangen war, lernt der Leser vor allem einiges zur heute nur noch von beinharten Proggies aufgesogenen Frühphase der Band, bevor dann der Schwenk zum Pop-Rock der Achtziger mit Phil Collins am Mikro und Platten wie „Abacab“ und „Invisible Touch“ folgt, dank derer die Band auch in den erfolgstechnisch mageren Zeiten der progressiven Musik locker bestehen konnte, ohne sich dabei in irgendeiner Weise anzubiedern. Dass die Band selbst mit eingängigen Hitproduktionen wie dem zu dieser Zeit stilistisch radikal erscheinenden ‚I Can’t Dance‘ innovative Weg beschritt, rechneten Fans ihr damals wie heute mit größtem Respekt an, was wiederum in der ungeheuren Nachfrage zum Comeback mündete, der Rutherford, Banks und Collins dieser Tage endgültig und gottlob Rechnung trugen.

Diese musikalische Chronik wird im vorliegenden Dokumentarwerk sehr gut nachgezeichnet. Fundiert, wenn insgesamt auch ein wenig unkritisch, werden die zahlreichen Highlights der langen Karriere hervorgehoben und selbst die Soloalben der Musiker einer genaueren Betrachtung unterzogen. Gleich ein Drittel des Buches gilt den von der Band unabhängig veröffentlichten Scheiben, unter denen sich sogar die Veröffentlichungen des einstweiligen Collins-Nachfolgers Ray Wilson befinden – und dies bis zum heutigen Zeitpunkt.

Dementsprechend wird der 180 Seiten starke ‚Wälzer‘ dem Anspruch auf Komplettierung der Historie uneingeschränkt gerecht, wenngleich es sich – und auch das sagt der Titel – um eine sehr kompakte Abhandlung handelt. Aber um einen Überblick über das Schaffen der beliebten Superstars zu bekommen und besonders die wohl wichtigste Anfangsphase zu erfassen, ist dieses Werk gerade für den jüngeren Fan unentbehrlich und folgerichtig auch absolut empfehlenswert. Aufgewertet wird das Ganze schließlich noch mit einigen raren Bildern aus allen Schaffensphasen der Briten, die das Mysterium um diese Combo wohl am treffendsten erfassen. Gewöhnliche Menschen, aber unberechenbare Musiker!

http://www.bosworth.de/

Maria Hilz – Audie Murphy. Eine Bio- und Filmografie

Hilz Audie Murphy Cover kleinEin kurzes, dramatisches, tragisches Leben

Ein Leben als Kampf: 1924 wird Audie Murphy als Sohn armer Wanderarbeiter in Texas geboren. Er wächst in schwierigen Familienverhältnissen auf, muss schon früh auf eigenen Füßen stehen und dabei manchen Tiefschlag einstecken. Sobald er volljährig ist, tritt Murphy in die Armee ein. Der Zweite Weltkrieg führt ihn über Nordafrika nach Sizilien und – den zurückweichenden deutschen Truppen folgend – quer durch ganz Europa. Dabei entpuppt sich der blutjunge Mann als Paradesoldat, der immer wieder durch gewagte Erkundungsgänge, gefährliche Kommandounternehmen und tollkühne Attacken auffällt. Als der Krieg endet, ist Murphy der höchstdekorierte Angehörige der US-amerikanischen Streitkräfte und ein Nationalheld. Maria Hilz – Audie Murphy. Eine Bio- und Filmografie weiterlesen

Barclay, James – Zauberkrieg (Die Legenden des Raben 4)

|Die Chroniken des Raben|:
[„Zauberbann“ 892
[„Drachenschwur“ 909
[„Schattenpfad“ 1386
[„Himmelsriss“ 1815
[„Nachtkind“ 1982
[„Elfenmagier“ 2262

|Die Legenden des Raben|:
[„Schicksalswege“ 2598
[„Elfenjagd“ 3233
[„Schattenherz“ 3520

_Story_

Der Rabe entkommt dank mehrerer Schicksalswendungen den Katakomben von Xetesk und hinterlässt in den geheimen Räumen des Kollegs eine Spur der Verwüstung. Nichtsdestotrotz ist sich der Oberste Magier des dunklen Kollegs der baldigen Alleinherrschaft über Balaia sicher, da die Forschungen zur Dimensionsmagie derart fortgeschritten sind, dass man bereits in Kürze einen Spruch wirken kann. Die Generalprobe hinterlässt dabei ein Bild der Grausamkeit; mit einem Sturm werden die angreifenden Truppen aus Lystern und Dordover fast gänzlich ausgelöscht.

Siegessicher treibt Dystran seine Armeen nach Julatsa, um dort die Bergung des Herzens, des Kerns des julatsanischen Manas, zu verhindern und das Gleichgewicht zugunsten der xeteskianischen Magie zu verändern. Doch auch der Rabe reitet in seinem möglicherweise letzten Gefecht nach Julatsa, fest entschlossen, Ilkars letzten Wunsch zu erfüllen und das Kolleg neu zu beleben. Doch die Zeit verrinnt, denn Xetesk marschiert mit neuen magischen Waffen, und die Defensive Julatsas scheint völlig unvorbereitet. Und währenddessen ringt der Rabe außerdem noch mit dem Schicksal von Erienne, die der Kraft der Magie des Einen mehr und mehr unterworfen wird.

_Meine Meinung_

In einem seiner letzten Romane um den Bund des Raben entwirft James Barclay bereits ein Szenario, welches bis zur letzten Seite einem opulent ausgemalten Finale gleicht und einem solchen auch völlig würdig erscheint. Wieder einmal mischt der Autor rührende menschliche Emotionen mit den treffendsten Stilmitteln der modernen Fantasy und setzt einmal mehr auf die Aussagekraft eines mit magischen Waffen ausgetragenen Krieges. Anders jedoch als bei der letzten großen Schlacht in „Himmelsriss“ bekämpfen die Balaianer sich in diesem Fall gegenseitig.

Unter der Herrschaft Dystrans versucht vor allem Xetesk, endgültig die Vormachtstellung zu erlangen, und treibt die Forschungen um die Dimensionsmagie mit ungeheurem Tempo voran. Denser, einst selber im dunklen Kolleg tätig, ahnt bereits, welche Mächte sich in den Katakomben seiner ehemaligen Heimat regen, ist aber zu sehr mit dem Schicksal seiner Gattin Erienne beschäftigt, um die ersten Warnzeichen richtig zu deuten, so dass der ultimative Schlag unmittelbar bevorsteht, vom Raben aber nicht als solcher wahrgenommen wird.

Unterdessen planen auch die Kollegien in Lystern und Dordover, gemeinsam an die Macht zu gelangen, und machen nicht nur Jagd auf den Raben und Erienne, sondern versuchen derweil auch, Xetesk vorzeitig auszuschalten. Allerdings erahnen weder Heryst noch Vuldaroq, die beiden Anführer der Kollegien, die Pläne des jeweils anderen und bilden infolge dessen keine verschworene Gemeinschaft. Doch ihre Chancen stehen sowieso denkbar schlecht, denn ihre erste Angriffswelle, die noch stattfinden soll, als der Rabe in Xetesk für Chaos sorgt, endet in einer Katastrophe. Die Dimensionsmagier des dunklen Kollegs wirken den blauen Sturm und zerstören um die Mauern der Stadt herum alles und jeden, der die Gefahr nicht rechtzeitig erkennt.

Erst hier wird dem Raben bewusst, wie schlecht es bereits jetzt um Balaia steht. Sollte schließlich auch noch Julatsa erobert werden, käme das dem Untergang des gesamten Kontinents gleich. Aus dieser Motivation heraus und im Bestreben, Ilkars letzten Willen zu berücksichtigen, stürmen sie gemeinsam mit den Elfen nach Julatsa. Doch bereits auf dem Weg dorthin realisieren Denser, Hirad, Thraun, Darrick, der unbekannte Krieger und die gescholtene Erienne, dass ihre neue Aufgabe schier unmöglich erscheint – selbst für den kampferprobten, legendären Raben.

„Zauberkrieg“ ist bis dato sicherlich das spannendste und somit auch beste Buch in der Reihe der „Legenden des Raben“ und bringt darüber hinaus ganz klar auf den Punkt, warum Barclays Fantasy schlichtweg magisch ist. Die Art und Weise, wie er Schicksale beschreibt, ganz unerwartete Wendungen in die Handlung integriert, Situationen völlig aussichtslos erscheinen lässt und selbst die waghalsigsten Schlachtszenarien absolut glaubwürdig aufbaut, ist auf obersten Niveau gehalten und problemlos auf eine Stufe mit legendären Autoren wie Tolkien und Martin zu setzen. Hinzu kommt diese faszinierende Charakterisierung der einzelnen Protagonisten, die Darstellung ihrer gänzlich individuellen Motive und schlussendlich ihr gesamtes Handeln, welches jede(n) einzelne(n) von ihnen zu unvergleichlichen Identifikationsfiguren avancieren lässt, denen man auf jedem Pfad und auf jeder noch so gefährlichen Reise folgen möchte. Natürlich lassen sich auf diesem Wege Parallelen zu den Gefährten um den Ring nicht ausschließen, doch legt Barclay viel mehr Wert darauf, jeden einzelnen Charakter als ganz besonderes Unikat innerhalb dieser Serie auftreten zu lassen und eben nicht nur als Teil der Gruppe – in „Zauberkrieg“ phasenweise deutlicher denn je zuvor.

Dies evoziert andererseits jedoch auch einen Zustand des Bedauerns, was die Nachlese betrifft. Die Geschichte des Raben geht mit den nächsten beiden Büchern vorerst zu Ende und damit auch die Historie der meines Erachtens faszinierendsten, beeindruckendsten Fantasy-Kompanie, die auf diesem Gebiet ein Autor hervorgebracht hat. Mit „Zauberkrieg“ bekommt man bis hierhin noch einmal ein Gourmetstück des hochwertigen Epos‘ geboten, ein Buch, das mit allen elementaren Versatzstücken der gesamten Geschichte garniert wurde. Und einen Roman, der fesselt wie nur wenige andere Bücher in diesem Genre!

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