Lumley, Brian / Festa, Frank / Lueg, Lars Peter / Matern, Andy – Necroscope 7 – Blutlust

_Action in der Wamphyr-Welt_

1989 im russischen Uralgebirge. Der britische Spion wurde durch ein Dimensionstor in eine andere Welt gestoßen. Während in seiner Welt die Vampire versuchen, erneut auf der Erde Fuß zu fassen, erforschen Simmons, seine telepathische Gefährtin Zak und sein Verfolger Karl die fremde Welt, aus der die Vampire stammen. Steile Felstürme mit mächtigen Festungsanlagen, eine Sonnen- und eine Sternseite, Krieger auf Drachenschwingen greifen an. Aus den Schatten versuchen die Fangarme der Wamphyri nach den Eindringlingen zu haschen. Ist ein Überleben unter diesen Bedingungen möglich?

_Der Autor_

Brian Lumley wurde 1937 in England geboren. 1981 beendete er mit 44 Jahren seine Militärkarriere. Seither arbeitet er als freier Schriftsteller. Seine ersten Veröffentlichungen standen ganz unter dem Einfluss von H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Mythos. 1986 schuf Brian Lumley mit seiner Vampir-Saga „Necroscope“ eine der erfolgreichsten Horror-Serien der Welt.

Alleine in den USA haben sich seine Bücher weit über zwei Millionen Mal verkauft. So wie Brian Lumley den Vampir darstellt, hat es noch kein Autor zuvor gewagt. Mittlerweile hat Brian Lumley mehr als 50 Bücher veröffentlicht und schreibt fleißig weiter. Er und seine Frau Barbara Ann leben in Devon im südwestlichen England. (Verlagsinfo)

Band 1: [Erwachen 779
Band 2: [Vampirblut 843
Band 3: [Kreaturen der Nacht 2371
Band 4: [Untot 2963
Band 5: [Totenwache 3000
Band 6: [Das Dämonentor 4368
Band 7: Blutlust
Band 8: Höllenbrut

_Der Sprecher_

Lutz Riedel ist ein hochkarätiger Synchron-Regisseur und die deutsche Stimmbandvertretung von „James Bond“ Timothy Dalton. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspielserie. Ich schätze besonders seine Interpretation von H. P. Lovecrafts Schauergeschichten wie etwa [„Das Ding auf der Schwelle“. 589 Er zeigt hier seine herausragenden Sprecher-Qualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern.

Der Berliner Schauspieler hat u. a. Timothy Dalton (James Bond) und Richard Hatch (Kampfstern Galactica) synchronisiert. Auch Richard Gere, Samuel L. Jackson und Christopher Walken hat er schon gesprochen. Lutz Riedel ist mit seiner Kollegin Marianne Groß verheiratet.

Riedel liest einen von Frank Festa bearbeiteten und gekürzten Text. Für Regie, Produktion und Dramaturgie zeichnet Lars Peter Lueg verantwortlich, für Schnitt, Musik und Tontechnik Andy Matern.

_Der Regisseur Lars Peter Lueg_

Der Verlag in eigenen Worten: „Nach 10 erfolgreichen Jahren in der Musik- und Medienbranche als Musikproduzent, Künstlermanager, Leiter von Multimediaprojekten und Tontechniker in verschiedenen Tonstudios war es an der Zeit die vorhandenen Kontakte und Erfahrungen zu nutzen, um eine vollkommen neue und andersartige Firma zu gründen.

Ein kompetentes Netzwerk von ca. 20 spezialisierten Unternehmen lässt LPL sehr effektiv und unabhängig arbeiten. Durch eine Passion für Filme, (Hör)Bücher und (Hör)Spiele, die sich dem Thema Horror verschrieben haben, sind Lars Peter Lueg und seine Partner mit viel Herzblut dabei. LPL stellt ausschließlich Produkte her, hinter denen der Verlagsleiter auch zu 100 % steht.“

_Der Komponist_

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde [„Der Cthulhu-Mythos“ 524 zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Seine Arbeit zum Hörbuch „Illuminati“ erreichte 2007 zweifachen Platinstatus. Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

_Vorgeschichte (Necroscope 6)_

Michael „Jazz“ Simmons ist ein britischer Spion, der es bis ganz tief ins Herzland der Sowjetunion geschafft hat. Mit Hilfe von ein paar ukrainischen Dissidenten, die sich als Pelztierjäger und Fischer im Ural durchschlagen, ist es ihm gelungen, bis auf den Pass zu gelangen, der in die radioaktiv strahlende Schlucht hinunterführt, in der das ominöse Perchorsk-Institut liegt. Es verbirgt sich seit rund fünf Jahren hier, hineingebaut in den Untergrund, und ein Staudamm versorgt es mit Elektrizität. Doch zu welchem Zweck? Kam von hier wirklich jenes Objekt, das die Amerikaner über der Hudson Bay abschossen?

Leider ist auch Simmons‘ Glückssträhne zu Ende. Den ersten Angreifer kann er zwar noch erwischen, doch der zweite ist zu schnell. Und die Annäherung des dritten bekommt er schon gar nicht mehr mit. Wochen später, tief unten im Perchorsk-Institut. Jazz erwähnt die Monster, die von hier kämen. Sicherheitschef Tschingis Kuf entgegnet: Nein, sie kommen von einer anderen Welt! Er führt ihn ins verbotene, abgeschottete und schwer bewachte Innerste des Perchorsk-Instituts. Hier unten muss eine Kernschmelze oder dergleichen stattgefunden haben. Der Fels ist nämlich zu Magma erstarrt. Hier entwickelte ein genialer Kernphysiker einen Energieschirm gegen aus den USA anfliegende Raketen. Doch der Test ging schief und erzeugte ein Dimensionstor in einer andere Welt. Das Tor liegt in der schwer bewachten Lichtkugel, die Kuf Simmons zeigt.

Woher man denn wisse, dass es sich um ein Tor handle? Ganz einfach, meint Kuf, etwas ist durchgekommen. Und zwar nicht ein- oder zweimal, sondern fünfmal in drei Jahren. Von vier „Begegnungen“ bekommt Simmons Filme gezeigt, doch einen „Besucher“ bekommt er live zu sehen. In einem Glaskäfig schlängelt und windet sich ein schwarzes Ding, das Formen von irdischen Wesen wie Wolf, Fledermaus usw. nachahmen kann. Und es ernährt sich ausschließlich von blutigen Fleischabfällen. Nach dem zu urteilen, was der Krieger, der fünfte Besucher, geschrien hat, steht es in Zusammenhang mit den „Wamphyri“. Ist es ein Vampir? Der Verdacht liegt nahe.

Was soll Tschingis Kuf nur mit seinem britischen Gast anfangen? Er verfällt auf eine hübsche Methode, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Mr. Simmons wird eine Reise ohne Rückfahrschein antreten. Jazz bleibt keinerlei Wahl, als ihm Kufs baumstarker Gorilla Karl Vjotsky einen Rucksack mit Camping-Ausrüstung auf den Rücken packt. Natürlich will er wissen, wohin die Reise gehen soll. Dreimal darf er raten …

_Handlung_

Jazz Simmons marschiert unter einer sengenden Sonne, die sich ungewöhnlich langsam bewegt, auf eine Bergkette zu. Er befindet sich immer innerhalb der Sphäre, als Karl Vjotsky ihn einholt, und zwar auf einem Motorrad. Doch als Karl und Jazz aufeinander feuern, bewegen sich ihre Waffen sehr ungewöhnlich, und damit hat Karl nicht gerechnet. Er wird vom Motorrad geworfen, das sich Jazz sofort schnappt und davonrast.

Nach wenigen Minuten gelangt er an den Rand der Sphäre und betritt die eigentlich Anderwelt. Leider hat Jazz nicht mit dem Höhenunterschied an der Schwelle gerechnet. Der Sturz verbeult das Vorderrad und weil das Bike kein Werkzeug an Bord hat, muss Jazz es aufgeben und zu Fuß weitergehen. Auch sein Walkie-Talkie ist nach einem Kommunikationsversuch nichts mehr wert, und er wirft es weg.

Karl hat ein wenig mehr Glück. Er kann das Bike mit seinem Werkzeug reparieren, und mit seinem Walkie-Talkie erhält er sogar Empfang mit einem weiteren Menschen, der aus seiner eigenen Welt kommt. Es ist Zekyntha Föner, genannt Zek, eine Telepathin des russischen E-Dezernats, die man hierher verbannt hat. Wie es ihr wohl geht, kann Karl nicht herausfinden, denn die Verbindung reißt ab. Karl fährt auf Jazz‘ Spur, bis er an einen Wall gelangt und südwärts muss. Die Landschaft ist karg und von felsigen, kahlen Bergen beherrscht. Da erspäht er etwas, das sich von den Felsen erhebt und auf ihn zufliegt. Er kennt dieses Vieh von den diversen Begegnungen am Dimensionstor. Es ist ein Riesendrache, und ein Reiter lenkt das Flugwesen genau auf Karl zu …

|Die Nomaden|

In der Nähe einer Bergfestung, die einen Pass über den zentralen Gebirgszug bewacht, stößt auch Jazz auf Zek Föner. Sie hat einen großen Wolf bei sich, der ihr aufs telepathische Wort gehorcht. Zek erklärt dem Neuankömmling ein paar Dinge über diese Welt, gesteht aber auch, dass sie gerade in der Tinte sitzt. Ihr Beschützer und der Nomade, mit denen sie lebt, ein gewisser Lardis, ist auf eine Expedition aufgebrochen, und nun will dessen zweiter Mann, ein gewisser Arlek, Zek an einen der Wamphyri-Fürsten verkaufen, die über das Land herrschen und mit ihren teuflischen Kräften jeden Unbewaffneten in einen zombiehaften Untergebenen verwandeln.

Kaum gesagt, sind die beiden auch schon von Arleks Leuten umzingelt und bedrohen sie mit Armbrüsten. Jazz muss seine Waffen abgeben und wird niedergeschlagen. Als er wieder erwacht, ist er gefesselt. Später trifft ein Unterhändler Arleks ein, mit einer Botschaft des Wamphyri-Lords Saitis. Saitis wisse bereits vom Eintreffen Michael Simmons‘ in dieser Welt. Aber woher? Diese Frage klärt sich gleich darauf, als Zeks Walkietalkie zum Leben erwacht. Es ist Karl Vjotsky. Er wurde von Lord Saitis‘ Krieger gefangen genommen. Gleich darauf ist Saitis selbst zu hören. Arlek verlangt im Austausch für die beiden „Magier“ – er meint Zek und Jazz -, künftig von Saitis in Ruhe gelassen zu werden. Saitis ist einverstanden, kann aber nicht für die zwanzig anderen Wamphyri-Lords sprechen. Und er will auch die Waffen des Eindringlings. Arlek ist einverstanden.

Es dauert nicht lange, und drei Gestalten tauchen in der Nacht auf, um sich Zek und Jazz zu nähern, die Arlek als Beute für Saitis zurückgelassen hat. Die drei sind Saitis selbst sowie zwei seiner furchterregenden Krieger. Jazz erinnert sich an ein Video, das ihm Kuf gezeigt hat. Ein solcher Krieger brach einmal durch das Dimensionstor, und die Wächter hatte erheblich Mühe, ihn zur Strecke zu bringen. Die drei nähern sich vorsichtig und kreisen ihre Beute ein.

Zeks Wolf gelingt es, Jazz‘ Fesseln durchzubeißen, so dass er gleich darauf Zek befreien kann. Jetzt muss er nur noch an seine Maschinenpistole gelangen. Und schon bald wird die Sonne aufgehen. Doch da ist auch schon einer der Krieger heran und bedroht Jazz mit seinem klingenstarrenden Kampfhandschuh. Vielleicht sollte Jazz doch lieber auf die Sonne warten …

_Mein Eindruck_

Bislang bewegte sich der neue Unterzyklus um Michael Simmons auf dem relativ festen Boden der sattsam bekannten Spionageromane und Agenten-Action. Mit dem Einführen der Sphäre und dem Dimensionstor betrat die Geschichte das Terrain der Science-Fiction, mit dem schwarzen Wamphyrwesen in Perchorsk das des Horrors. Nun kommt jedoch noch ein weiteres Genre hinzu: Fantasy.

Denn wofür sonst sollen wir die Wamphyr-Fürsten sonst halten als für Kollegen jedes Unterweltherrschers, der je die Seiten von Conan-Geschichten, des walisischen Mabinogion oder des „Herrn der Ringe“ zierte? Der Herr von Annwn, der walisischen Unterwelt, kann kaum grausamer sein als Lord Saitis, erzeugt er doch selbst mit einem schwarzen Kessel eine Armee von Zombiekriegern – man schlage in Lloyd Alexanders TARAN-Zyklus nach. Lord Saitis erschafft aus normalen Menschen durch Infektion mit seinem Wamphyr-Parasiten entsprechende Zombiekreaturen. All dies erklärt die Telepathin Zekyntha ihrem neuen Lover Jazz Simmons in allen Einzelheiten.

Saitis und seinesgleichen reiten nicht auf Motorrädern, sondern selbstredend auf Drachen. Sie bewegen sich von Festung zu Festung, als wären sie Nazgûl auf der Pirsch. Aber anders als die Neun sind sie untereinander zerstritten und neiden einander das Territorium und die Untergebenen. Zu diesen zählen hünenhafte Krieger, aber auch Höhlenbewohner und andere unterlegene Wesen.

Kein Wunder, dass sie auch an Magie glauben. So bezeichnen sie Telepathie und andere Künste wie etwa das Weissagen. Das Einzige, was sie vereint, ist der Hass auf einen Eindringling, den Zek als den „Herrn des westlichen Gartens“ bezeichnet. Wie es scheint, steht dieser mysteriöse Mann in Verbindung mit Berlin in der DDR (man schreibt das Jahr 1989). Das bedeutet wohl, dass es noch ein Dimensionstor auf dieser Welt geben muss …

|Action|

Nach dem anfänglichen Kampf gegen Karl Vjotsky sieht sich Michael Simmons etwa zur Halbzeit den oben genannten drei Wamphyri-Gestalten gegenüber. Diese Art von Action durchzieht erfreulicherweise die ganze Geschichte, wobei es wie zu erwarten am Schluss zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage unserer beiden Helden Zek und Jazz kommt. Nur durch eine überraschende Wendung gelingt es ihn, mit heiler Haut davonzukommen. Wie es zu dieser Wendung kommt, macht den Leser bzw. Hörer gespannt auf die Fortsetzung (s. u.).

Die Action kann aber auch nur ein simpler Sparringkampf sein. Jazz hat offenbar im Verlauf seiner Agentenausbildung auch einige Trainingsstunden in Kampfsport investiert, doch leider wird uns nicht verraten, in welcher Disziplin. Da er Handkantenschläge einsetzt, tippe ich mal auf Karate, denn sie kommen in verteidungsorientierten Disziplinen wie Aikido und Jiu-Jitsu nicht vor.

|L’amour|

Weibliche Leser und Hörer kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Es wird sie freuen zu erfahren, dass Zekyntha nicht nur eine amouröse Beziehung zu Jazz anfängt, sondern auch des langen und breiten von ihrer Bekanntschaft mit der Wamphyri-Lady Karén erzählt. Dieser diente sie mit Hilfe ihrer Gedankenleserei, bei der sie herausfand, dass die männlichen Wamphyri-Lords ein Komplott gegen die Lady planen. Zum Dank ließ die Lady Zek wieder frei.

|Der Sprecher|

Lutz Riedel liefert wieder eine beachtliche Leistung ab. Er ruft, wenn es angebracht ist, dramatische Aktion oder Anspannung darzustellen. Flüstern deutet Geheimniskrämerei an. Doch als er die Sprechweise des autoritären Lord Saitis umzusetzen hat, muss Riedel seine tiefste und kräftigste Stimmlage hervorkramen, um sowohl Majestät als auch Unerbittlichkeit und Grausamkeit auszudrücken. Und dies nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Das direkte Gegenteil dazu ist die Stimmlage Zeks, die ein klein wenig höher angesiedelt ist als die von Michael Simmons, der ganz „normal“ spricht.

Am Anfang der Handlung gilt es, einen Befehl so langsam auszusprechen, wie dies durch die Zeitdilatation im Dimensionstor verursacht wird. Da ruft Riedel ganz langsam – eine besondere Leistung, die eine gute Atemtechnik erfordert. Für einen geübten Sprecher wie Riedel allerdings ein Kinderspiel.

|Die Musik|

Geräusche gibt es keine, aber dafür eine gut abgemessene Menge an Musik. Diese ist nicht in den Hintergrund verbannt, sondern dient (außer als Intro und Extro) der Abgrenzung der einzelnen Kapitel wie auch deren Unterabschnitte. Diese Abschnitte sind aufgrund der nichtlinearen Erzählstruktur oftmals mit Rückblenden durchsetzt. Die Musik Andy Materns tritt sehr selten im Hintergrund in Erscheinung, höchstens als Übergang zur Pause.

In meinen Notizen habe ich überall das Auftreten von Pausenmusik eingetragen, und dabei stellt sich ein deutliches Muster heraus. Sobald eine Szene ihren Höhepunkt erreicht hat, wird sie oftmals abgebrochen, damit sie sich in der Vorstellung des Lesers bzw. Hörers fortspinnen lässt. Sofort setzt Musik ein, die diesen Vorgang auf emotionaler Ebene steuert und stützt. Auf einer geistigen Ebene tritt hier allerdings eine kleine Verschnaufpause ein …

Man sollte auch bedenken, dass wir es diesmal mit einer gekürzten Fassung zu tun haben. Statt der vorherigen sechs CDs sind es diesmal nur noch vier. Abgebrochene Szenen sind zwar mitunter sehr wirkungsvoll, aber wer weiß, was dabei alles verschwiegen wird.

_Unterm Strich_

Während mich die Grundstory in „Necroscope 6: Dämonentor“ stark an Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ erinnerte und entsprechend kalt ließ, so eröffnet das Dimensionstor nach dem Muster von „Stargate“ ein paar aufregende Möglichkeiten, einen ordentlichen Actionplot zu beginnen. Der Kampf mit dem Krieger aus der Anderwelt, eine Szene in „Dämonentor“, war schon mal ein guter Anfang. Die Action wird in Band 7 noch einmal ordentlich ausgebaut, ohne jedoch zu einem bestimmenden Element zu geraten. Ebenso wichtig ist es für Jazz, mehr über die Verhältnisse auf dieser Welt zu erfahren, auf der die Wamphyri eine dominierende Bedrohung darstellen.

Alles in allem gibt es hie und da gute Action, die in einem spannenden Finale gipfelt. Das bedeutet einen klaren Schnitt mit den vorangegangenen Bänden, was auch durch die zeitliche Kluft von acht Jahren ausgedrückt wird. Dass die Sowjetunion immer noch existiert, legt die Vermutung nahe, dass sich die Ereignisse vor dem Jahr 1989 abspielen, in dem das Buch erstmals veröffentlicht wurde. Damals begann der Untergang des Sowjetregimes und die Entstehung der heutigen GUS-Staaten. „Interessante Zeiten“ also, real wie auch fiktiv.

Der Sprecher Lutz Riedel stellt wieder einmal seine Engagiertheit für die Horrorliteratur unter Beweis, ebenso wie die Flexibilität seines Sprechorgans und seiner Darstellungskraft. Am Schluss wendet er sich direkt an den Hörer, um die Fortsetzung „Höllenbrut“ anzukündigen.

|300 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Englischen übersetzt von Hans Gerwien|
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Drizzt – Im Zeichen des Panthers (Die Saga vom Dunkelelf 4)

Folge 1: „Der dritte Sohn“
Folge 2: „Im Reich der Spinne“
Folge 3: „Der Wächter im Dunkel“

Story

Nach seiner Verbannung aus der Stadt der Tiefengnome setzt Drizzt seine Reise durch die Unterwelt fort. Doch auf der Flucht vor seiner rachsüchtigen, grausamen Mutter hat er Verstärkung bekommen. Belwar Dissengulp, der Höhlenvater der Tiefengnome, hat sich dem verhassten Sohn des Hauses Do’Urden angeschlossen und streift an der Seite des Dunkelelfen und seines Panthers Guenhwyvar durch die finstersten Regionen des unterirdischen Raumes. Auf ihrer Flucht durch die unergründeten Labyrinthe erlebt Drizzt dann eine herbe Überraschung; sein einstiger, längst totgeglaubter Mentor Zaknafein steht ihm plötzlich wieder Angesicht zu Angesicht gegenüber, dieses Mal jedoch verzaubert und fest entschlossen, den ausgesiedelten Dunkelelfen zu töten.

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Vaughan, Brian K. / Henrichon, Niko – Löwen von Bagdad, Die

_Story_

Es liegt etwas in der Luft in den Gehegen des Zoos in Bagdad. Die Tiere sind nervös, befürchten Schlimmes und lassen sich von der anhaltenden Ruhe mitreißen. Besonders die Löwin Safa lässt sich von dieser Laune anstecken und versucht erfolglos, die anderen Tiere zum Ausbruch aus den Käfigen zu motivieren. Kurze Zeit später erfolgt die Befreiung auf unerwünschte Art und Weise. Eine Schwadron von Kampfbombern umkreist und bombardiert die Stadt und trifft auch die Bestallungen im Zirkus. Safa, Noor, Zill und der kleine Ali entkommen als einzige Löwen dem kriegerischen Treiben und laufen fortan hilflos durch die Straßen der Stadt. Getrieben vom Wunsch, auch nur ein einziges Mal, so wie in Zills Beschreibungen, den Horizont zu sehen, kämpfen sie sich durch persönliche Aggressionen und Fehden, erlegen einen Bären und schaffen es tatsächlich auf die Spitze eines Daches. Dann jedoch bemerken sie die wahre Grausamkeit des Krieges …

_Persönliche Meinung_

Das neue Meisterstück von Starautor Brian K. Vaughan beruht in diesem Fall auf einer wahren Begebenheit, die sich im Jahre 2003 auf irakischem Boden zutrug. Nach einem verheerenden Angriff der amerikanischen Fliegerstaffeln wurde das Gelände des Zoos stark beschädigt und entließ die Tiere in die unsichere Freiheit. Unter den vielen Exemplaren, die nie zuvor in freier Wildbahn gelebt hatten, waren auch vier Löwen, die es schafften, dem Bombardement zu entkommen und sich vorerst in Sicherheit zu bringen. Kurz darauf wurden sie von den amerikanischen Truppen völlig ausgehungert entdeckt und schließlich erschossen.

Jene tragische Geschichte hat den Autor dazu bewogen, eine recht eigenwillige Erzählung zu kreieren, in der es weder tatsächliche Helden noch Recht und Unrecht in der uns bekannten Ausprägung gibt. Im Krieg gilt das Gesetz des Stärkeren, ebenso wie im Reich der Tiere, damit also auch in der Hierarchie der vier Protagonisten, die sich in ihrer zoologischen Umgebung ihren Mitinsassen überlegen fühlten. Dennoch wurde der Versuch gestartet, sich zusammenzurotten und vorzeitig das Weite zu suchen, da die Stimmung der letzten Tage nichts Gutes verhieß. Doch sinnbildlich für die menschlichen Rassenunterschiede konnten auch die Tiere keine Einigung erzielen und waren sich nach kurzen Annäherungsversuchen wieder spinnefeind. Hass und Verzweiflung machte sich folglich in den Gemütern der Löwinnen breit, die ihre letzte Hoffnung auf ein Leben in Freiheit nun wahrscheinlich aufgeben müssen, weil sie erneut durch den Einfluss der Menschheit in ihrem instinktiven Wunsch, in der heimischen Natur ausgesetzt zu werden, beeinträchtigt werden. Freiheit bedeutet in diesem Falle Flucht, ähnlich wie in so vielen Landstrichen in Nahost und Afrika, der Herkunft der Tiere, und wer sich dennoch der Konfrontation stellt, hat gegen die größeren Mächte, vertreten durch die Geschwader der Vereinigten Staaten, letztendlich doch keine Chance.

Natürlich schwingt eine ganze Menge Pathos in der Story mit, allerdings umschifft Vaughan die drohende Pseudo-Dramatik recht geschickt durch die hitzigen Dialoge zwischen den tierischen Protagonisten. Man ist sich selbst innerhalb der eigenen Rasse nicht friedlich gesonnen und neidet dem anderen Erfahrungen und Bedürfnisse, ist nicht bereit zu geben, aus Angst, man könne selber nicht ausreichend befriedigt werden. Infolge dessen sind Streitereien untereinander an der Tagesordnung; statt sich gegenseitig zu bestärken, heizt man den Krieg intern weiter an und gefährdet sich und seine Begleiter schlussendlich sogar selbst. Dies mag zwar in diesem Sinne nichts grundlegend Neues sein, jedoch wird es vom Autor von „Die Löwen von Bagdad“ derart außergewöhnlich und fantastisch inszeniert, dass es einem manchmal die Spucke verschlägt. Die Story hat gehörigen Symbolcharakter und ist bisweilen auch stark politisch motiviert, durch den versteckten Biss aber noch zusätzlich reizvoll und brisant. Echte Spannung will zwar im vorbestimmten Verlauf der Handlung nicht aufkommen, jedoch liegt hierin auch nicht die Intention des Autors. Vaughan beabsichtigt einen genaueren Fokus auf die unbewussten Nebenschauplätze der allgegenwärtigen Kriege und hat sich hierzu ein empfindliches Thema ausgesucht, um die enormen Auswirkungen in einer nüchternen, allerdings sehr bewegenden Ausarbeitung nahe zu bringen. Der Effekt ist bemerkenswert; die Geschichte um die vier Löwen geht unter die Haut und sensibilisiert auf eine Art und Weise, wie man Krieg noch nie erleben und erfahren musste. Vaughan bleibt ein Eigenbrötler und Individualist in der Comic-Welt; doch so gehaltvoll und tiefgreifend wie seine Geschichten immer wieder konstituiert sind, ist dieser Status nur absolut willkommen. „Die Löwen von Bagdad“ ist ein weiterer Geniestreich eines richtungsweisenden Comic-Autors.

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Schröder, Tanja – Hirudo – Dunkles Erbe

Hirudo – das klingt irgendwie exotisch und fremd. Tatsächlich ist Hirudo die lateinische Bezeichnung für den medizinischen Blutegel, und wenn das dem Titel von Tanja Schröders Roman auch ein wenig den Glanz nimmt, so ist die Anspielung doch zumindest treffend. Schließlich hat Tanja Schröder mit „Hirudo – Dunkles Erbe“ einen Roman über Blutsauger geschrieben.

Karen Grant ist auf der Suche nach ihrem Vater Lucas Vale. Zwar hat sie ihn nie kennengelernt, doch weiß sie aus den Geschichten ihrer Mutter sehr viel über Lucas. Dieser ist ein Vampir und hat Karen offenbar ein paar Extragene vererbt. So ist sie in der Lage, die Gedanken anderer Menschen zu lesen oder die Stimmung eines Gegenstandes zu erfühlen. Das ist eine durchaus praktische Gabe, hilft sie ihr doch bei ihrer Suche nach Lucas. Nacht für Nacht durchstreift sie die Stadt, in der Hoffnung, in den Gedanken eines Passanten den Namen ihres Vaters aufzuschnappen.

Die Ausweglosigkeit ihrer Suche ist Karen durchaus bewusst, allerdings bekommt sie unerwartet Hilfe. Jarout, ein junger Hirudo – also ein Vampir -, kennt Lucas und ist willens, Karen zu ihm zu bringen. Was die junge Frau zunächst nicht ahnt, ist die Tatsache, dass Jarout nicht aus Nächstenliebe handelt, sondern seine eigene Agenda verfolgt.

Jarout nimmt Karen mit in Lucas‘ Haus in der Nähe von Genf, doch der Hausherr ist nicht da. Stattdessen sieht sich Karen einer ganzen Familie von Vampiren gegenüber, die mal freundlich und mal hungrig gestimmt sind. Nachts schließt sie also Freundschaft mit Teilen von Lucas‘ Familie und versucht, nicht vom Rest verspeist zu werden. Und tagsüber, wenn die Hirudo schlafen, durchstreift sie das riesige Haus auf der Suche nach Hinweisen auf ihren Vater.

Tanja Schröders erster Roman ist ein seltsamer Hybrid. „Hirudo“ ist weit davon entfernt, ein schlechter Roman zu sein, aber gleichzeitig vermag er auch nicht durchgehend zu fesseln. Dazu kommen einige Kinderkrankeiten, die verhindern, dass der Roman sein volles Potenzial ausschöpft. Da wäre zum einen der hauchdünne Plot: Frau sucht ihren Vater. Daraus ließe sich selbstverständlich einiges machen: Durchwachte Nächte in staubigen Bibliotheken, das Durchwühlen alter Kirchenregister, das Streuen von Informationen und das Finden von überraschenden Helfern. Wie man eine derartige Geschichte genüsslich ausschmückt, hat Elisabeth Kostova in [„Der Historiker“ 2000 gezeigt. Tanja Schröder entscheidet sich für das Gegenprogramm. Karens Suche ist nicht mehr als die Exposition des Romans – bevor sie richtig losgegangen ist, übernimmt Jarout die Bühne und präsentiert Karen ihren Vater quasi auf dem Silbertablett. Über die Hälfte des Buches besteht dann aus Warten, nämlich dem Warten darauf, dass Karens Vater endlich von seiner Geschäftsreise heimkehrt. Schröder nutzt diese Zeit ausgiebig, um Karen das Haus durchstöbern zu lassen (da sie kaum etwas Nennenswertes findet, hält sich der Mehrwert in Grenzen) und die Mitglieder von Lucas‘ Familie vorzustellen. „Vorstellen“ ist dabei das zentrale Wort. Mehr passiert nicht, es gibt keinen Konflikt und über lange Strecken keine Bewegung in diesem Roman. Nachdem der Leser dann über hundert Seiten auf die Begegnung zwischen Karen und ihrem Vater gewartet hat, wirkt das groß erwartete Ereignis in seiner tatsächlichen Schlichtheit wie ein Antiklimax.

Dazu kommt, dass die Charaktere nicht völlig ausgearbeitet sind. Einzig Denis bleibt dem Leser in Erinnerung: Der geistig zurückgebliebene Hirudo ist offensichtlich Schröders Lieblingsfigur. Sie verwendet viel Zeit auf die erste Begegnung von Karen und Denis, der ein talentierter Maler ist und Karen in sein kleines Refugium entführt. Schröder schildert dies in einem wirklich schönen Kapitel, das letztendlich aber ins Leere läuft, da es nichts zur eigentlichen Romanhandlung beiträgt. Ähnliches wiederholt sich mit allen Bewohnern des Hauses. Sie werden dem Leser vorgestellt, ohne dass sie dann im Gesamtzusammenhang etwas zu tun bekämen. Einzige Ausnahme ist hier wohl Jarout, der seine eigenen Pläne verfolgt. Aber auch seine Motivation bleibt im Dunkeln. Schröder ist selten in der Lage, ihre Figuren für den Leser zu erhellen.

Viele dieser Kritikpunkte dürften der Tatsache geschuldet sein, dass „Dunkles Erbe“ nur der erste Teil eines Romanduos um die Hirudo ist. Vieles wird nur angedeutet – so z. B. der Ursprung der Hirudo und wie sie in unsere Welt kamen. Es ist davon auszugehen, dass all diese kleinen Appetithäppchen im Folgeroman „Blut der Finsternis“ wieder aufgegriffen werden, doch führt diese Taktik dazu, dass sich „Dunkles Erbe“ über weite Strecken wie ein Prolog liest. Wer nur den ersten Teil in der Hand hält, wird das Buch unbefriedigt zuklappen, da nichts gelöst und eigentlich auch noch kein Problem in den Raum gestellt wurde. Der Roman plätschert dahin, mehr nicht.

Einem wirklichen Lesevergnügen steht leider auch der technisch schlechte Text gegenüber, wobei unklar bleibt, ob die Schnitzer hier von der Autorin selbst oder vom Lektorat kommen. Tanja Schröder gelingen durchaus stilistisch schöne Passagen und überzeugende Bilder. Leider stehen diese in ständigem Kontrast zu so unausgewogenen Formulierungen wie „die übliche Schwelle war nicht vorhanden und leicht zu überwinden“ (Karen versucht hier gerade, in Denis‘ Geist einzudringen). Hinzu kommt, dass Tanja Schröder ein Problem mit richtigen Fallendungen hat und die Genitiv-s-Regel einfach ignoriert. Bei einem Roman mit drei Charakteren, die auf -s enden (nämlich Lucas, Denis und Seamus) ist das ein Fallstrick, den ein Lektor hätte ausbügeln müssen.

Die Hirudo sind faszinierende Geschöpfe. Schröder lehnt ihre Vampire weniger am klassischen Dracula als am modernen Lestat an. Lucas, das Familienoberhaupt, lehnt es beispielsweise ab, zu töten. Er ist empfindsam, von Schuldgefühlen geplagt und erpicht darauf, sich in die Welt der Menschen zu integrieren, auch wenn er nicht wirklich dazugehören kann. Darüber hinaus erlaubt Schröder dem Leser flüchtige Blicke auf den Ursprung der Hirudo. Ein anderer Planet? Eine andere Wirklichkeit? Eine andere Zeit? Das wird man wohl nur erfahren, wenn man sich den zweiten Band, „Blut der Finsternis“, zu Gemüte führt.

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Nick Stone – Voodoo

stone-voodoo-cover-kleinPrivatermittler Max Mingus sucht auf der Karibik-Insel Haiti nach dem verschollenen Sohn eines reichen Mannes. Er gerät in eine düstere Welt, in der sich das Verbrechen mit dem Übernatürlichen mischt und ausschließlich das Recht des Stärkeren regiert; lästige Fragensteller werden hier entsetzlich einfallsreich zum ewigen Schweigen gebracht … – Bedrückend realistischer Thriller, der die Hölle in der menschlichen Seele zum Schauplatz hat. Die Story ist spannend, der Spannungsbogen bruchfest, die Figurenzeichnung hervorragend: „Voodoo“ ist ein Roman, der über die gesamte Distanz fesselt.
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Kern, Claudia – Anno 1701: Kampf um Roderrenge

Nach den Adaptionen zahlreicher Ego-Shooter und Fantasy-Spiele folgt nun endlich auch der Strategie-Bereich in einer lebendigen Roman-Aufarbeitung. „Anno 1701“, neben den berüchtigten „Siedlern“ der wohl erfolgreichste Genre-Beitrag des endenden Jahres, lieferte Claudia Kern die Inspiration für einen überraschend spannenden Abenteuerroman, der sich sphärisch dicht an die PC-Welt anlehnt und dennoch als eigenständiger Plot abseits gewohnter Schemen funktioniert. „Anno 1701“ – scheinbar nicht nur am Bildschirm ein Hit!

_Story_

Der junge Arbor schlägt sich nach dem Tod seiner Eltern als Handlanger des Piraten Rodriguez mehr schlecht als recht durchs Leben. Derzeit hat er an Bord der |Windemeer| des wohlhabenden Gouverneurs Marten von Rallingen angeheuert, um dort zu intrigieren und die Besitztümer des Adligen in die Hände seiner Auftraggeber zu befördern. Da er jedoch nicht imstande ist, für seine Ziele zu töten, entgeht er Rodriguez und dessen Häschern und sticht mit von Rallingen in See.

Als die |Windemeer| Tage später einem heftigen Sturm ausgesetzt ist, fliehen ihr Besitzer und Jon als letzte Überlebende auf das Beiboot des Seglers, jedoch gelingt es nur dem jungen Matrosen, sich zu retten. Gemeinsam mit der Schatztruhe des Gouverneurs wird er von einem Händler entkräftet aufgefunden und nach Roderrenge, eine Kolonie von Rallingens, gebracht und dort tatsächlich für den verstorbenen Schiffseigner gehalten. Jon lässt sich alsbald auf das Spiel ein und schlüpft in die Scheinrolle des Gouverneurs, erlernt die Geschicke seiner Position und verändert das negative Gesamtbild, das die arme Bevölkerung Roderrenges von ihrem Regenten hat.

Doch just in dem Moment, in dem das Leben und der Handel auf Roderrenge florieren wie schon lange nicht mehr, sieht sich Jon einer neuen Bedrohung ausgesetzt; die Insel wird von Unbekannten angegriffen, die Ernte ruiniert und die Behausungen der meisten zerstört. Dies lässt der Inselherr aber nicht lange auf sich sitzen; auf der Suche nach den Urhebern lässt er sich auf einen unmoralischen Deal ein, enttarnt die unverhofften Betrüger in seinen Reihen und schwört, seine dahingeschiedenen Freunde zu rächen. Doch je weiter seine Reise führt, desto unschlüssiger ist sich der einstige Pirat, wer nun tatsächlich hinter den Anschlägen auf Roderrenge steckt …

_Persönliche Meinung_

Die Aufgabe, sich sowohl an den Vorgaben des Spiels als auch an den Erwartungen der kritischen Fans zu orientieren, war mitunter die schwierigste, die die Autorin zu meistern hatte. Einerseits galt es sicherlich, die Atmosphäre des Insel-Strategie-Klassikers aufrechtzuerhalten, andererseits war aber sicher auch eine gewisse Distanz vonnöten, damit die Story auch als eigenständig und zumindest im Rahmen des Möglichen als innovativ erachtet werden darf. Diesen Balanceakt hat Claudia Kern im Laufe der relativ knappen Story jedoch weitestgehend überzeugend gemeistert, wobei die stringente Linearität des Plots manchmal noch ein wenig mehr Detailfülle verlangt hätte. Gerade im zweiten Teil, als sich die Szenen geradezu überschlagen und die Geschichte mit vielen raschen Wendungen fortschreitet, fehlt es an Entfaltungsspielräumen, die gerade im Bezug auf Jons obskure Planungen etwas besser ausstaffiert hätten sein müssen. So nämlich steuert die Erzählung auf ein allzu flott überwundenes Finale zu, welches leider nicht gänzlich das Potenzial der eigentlichen Handlung auszuschöpfen vermag.

Dass Kern indes durchaus in der Lage ist, ein spannendes, umfassendes Abenteuer-Setting zu kreieren, beweist die Autorin besonders auf den ersten hundert Seiten, die einerseits nicht weniger wechselfreudig sind als die zweite Halbzeit, andererseits aber jeglichen Freiraum nutzen, um die Charaktere und ihre Motivationen etwas näher zu beleuchten. Außerdem ist der Plot zu diesem Zeitpunkt noch von einigen Mysterien umgeben, die sich vor allem um die Personen auf Roderrenge ranken, allesamt Leute, die nicht weniger zu verbergen haben als der falsche Gouverneur Jon Arbor. Speziell dieser Aspekt heizt die Spannung im Gesamtverlauf immer wieder deutlich an und ermöglicht eine Vielzahl überraschender Begebenheiten, die selbst die erprobte Spürnase nicht dringend durchschaut hätte. In diesem Sinne ist „Kampf um Roderrenge“ auch ein erstklassiger Roman!

Derweil zehrt die Story weiterhin von den zahlreichen Lügen und Intrigen, von Täuschungen und Scheinrealitäten, wobei schlussendlich wirklich niemand mehr um die wahre Identität des jeweils anderen weiß. Bedingt dadurch wird das Erzähltempo auf einem gewissen Höchstmaß festgehalten und erst auf den letzten, leider nicht ganz so befriedigenden Seiten rapide abgesenkt. Auch diesbezüglich gilt der Autorin ein deutliches Lob, da die Materie definitiv nicht jederzeit das Potenzial bietet, diesen Geschwindigkeitslevel fortwährend zu halten.

Der einzige Kritikpunkt dieses überraschend starken Buches bezieht sich auf die teils zu kompakte Schreibweise und den mangelnden Facettenreichtum. „Kampf um Roderrenge“ verdient etwas mehr Ausschmückung bzw. ein kleines bisschen mehr Liebe zum Detail in den jeweiligen Szenensprüngen. Ansonsten darf man dem Projekt eine durchaus gelungene, nicht nur für eingeschworene Fans empfehlenswerte, alles in allem überzeugende Umsetzung attestieren, die direkt nach einer Fortsetzung verlangt. Entsprechende Voraussetzungen liefert das PC- und Konsolenspiel jedenfalls ausreichend!

http://www.paninicomics.de/anno-1701-s10512.html

Parker – Monopoly Banking

_Die Monopoly-Revolution_

Es ist vielleicht das am heißesten umstrittene Spiel in der langen Tradition der „Monopoly“-Serie, möglicherweise richtungsweisend, andererseits aber auch ein rauer Bruch mit dem klassischen, innig geliebten System. In „Monopoly Banking“ wird die klassische Geldverwaltung gänzlich abgeschafft und zugunsten eines leicht zu bedienenden Kreditkartensystems aufgegeben. Die teils lästigen Schiebereien mit den eigenen Finanzen scheinen vorbei, ebenso die Rechnerei und Spekulation. Das Lesegerät bringt nämlich knallharte Fakten auf den Tisch, umgeht dabei auch die oft drohende Endlospartie, scheint aber letzten Endes auch ein großes Wagnis: Zum ersten Mal wurde nämlich ein wesentlicher Mechanismus des Grundspiels ausgetauscht – und ob dies allen Hardlinern recht ist, steht auf einem anderen Blatt …

_Die Unterschiede im Banking-Zeitalter_

Die gesamte „Banking“-Edition ist äußerst nobel aufgemacht und erstrahlt im durchgängigen Hochglanz-Design; die Häuser und Hotels wurden der Moderne angepasst, die angebotenen Straßen und Bereiche orientieren sich ebenfalls am heutigen Zeitgeist, und da man nun auch wirklich klotzen möchte, rechnet man nicht mehr mit Kleinbeträgen, sondern wirbt und spekuliert hier im Millionenbereich. Auch die Spielfiguren zeigen Institutionen des 21. Jahrhunderts; Rollerblades, ein Hamburger, ein rassiger Sportwagen und natürlich das Handy sind zugkräftige Trademarks, die dem Spiel bzw. der allgemeinen Atmosphäre die nötige Authentizität verschaffen. Zu guter Letzt macht auch der Spielplan optisch einiges her und damit zumindest den visuellen Bereich der bargeldlosen Spielvariante zu einem echten Hochgenuss.

Die Veränderungen es Spielsystems hingegen erscheinen ebenfalls revolutionär, entwickeln sich aber immer mehr zur Belastung. Es bedarf einer längeren Anlaufzeit, um sich an die neuen Zahlungsmethoden zu gewöhnen und sie letztendlich auch zu akzeptieren. Die Beträge gestalten sich gänzlich neu, die Bedienung des Kartenlesegeräts will erst einmal erlernt sein und das Gefühl ist schließlich ein gänzlich anderes als im Standardspiel. Daher kann man die scharfen Kritiken an „Monopoly Banking“ mit fortschreitender Spieldauer immer besser verstehen. Das Handling des Lesegeräts ist mit der Zeit doch ziemlich anstrengend, zumal man teilweise nur noch damit beschäftigt ist, die Maschine weiterzureichen und zu warten, bis der Buchungsvorgang abgeschlossen ist. Die Dynamik leidet hierunter sehr, da man sich nicht mehr bloß auf das eigentliche Spiel konzentriert, sondern viel zu sehr mit den Vorgängen am neuen – übrigens vom Kreditkarten-Giganten VISA gesponserten – Hilfsmittel beschäftigt ist. Jenes reißt den Spielfluss gerade für erfahrene Spieler, die ein höheres Tempo pflegen, ein Stück weit auseinander und hemmt die Motivation Runde für Runde mehr – bis schließlich der Zeitpunkt eintritt, an dem man sich die geliebten Scheinchen zurückwünscht. Projekt gescheitert? Mitunter schon …

_Persönlicher Eindruck_

„Monopoly“ kartenlos, dies scheint ein lang ersehntes Szenario zu sein und zudem eine tatsächliche Erleichterung für die spielende Zunft. Daher durfte man „Monopoly Banking“ vorab auch mit großer Spannung entgegensehen, zumal die leidigen Rechnereien auch dazu beitragen sollten, dass die Zielgruppe auf eine noch jüngere Generation ausgebaut werden könnte. Das Resultat bzw. das eigenartige Gefühl, welches die nun vorliegende Edition allerdings vermittelt, widerlegt aber überraschenderweise alle positiven Aspekte dieser Neuerung recht deutlich. Das Handling ist eher umständlich als hilfreich und auf Dauer auch extrem nervig, da man eine halbe Ewigkeit damit beschäftigt ist, eine Buchung vorzunehmen und einen möglichen Tippfehler wieder auszubügeln. Auch die Spielübersicht ist deutlich schlechter, da es schlichtweg an Transparenz und Handfestem mangelt. Dies mag zwar auch im realen Leben nicht anders sein, doch da man in „Monopoly“ standesgemäß wichtige und vor allem schnelle Entscheidungen treffen muss, ist die Spielgeld-Variante im Großen und Ganzen doch deutlich von Vorteil – auch im Bezug auf Felder wie ‚Frei Parken‘.

Positiv hingegen lässt sich vermelden, dass man in Windeseile seinen Kontostand überblicken kann. Die umständliche Scheinchenzählerei entfällt, ebenso die ständigen Wechsel bei unpassenden Zahlungsbeträgen.

Summa summarum sind dies jedoch auch schon die einzigen vorteilhaften Aspekte beim mechanischen Wandel des Grundspiels und sicherlich kein ausreichendes Argument, um eine bereits vorhandene Edition gegen die Banking-Variante auszutauschen. Interessanter wäre vielleicht gewesen, dem Käufer beide Alternativen zu offerieren, also zusätzlich zum Lesegerät auch noch Bargeld in die Schachtel zu packen, um so das ultimative Spiel zu formen. Aber andererseits sollte das Spiel ja auch in der aktuellen Form überzeugen können, was es aufgrund der genannten Gründe jedoch nur sehr bedingt kann. Bei einem Preis von ungefähr 50 € (peinlicherweise übrigens ohne Batterien für das Lesegerät …) braucht man daher auch nicht lange diskutieren; die Idee mag nett und innovativ sein, das Spielmaterial noch so fortschrittlich – aber das echte Spielfeeling will einfach nicht aufkommen!

http://www.hasbro.de/

|Siehe ergänzend dazu:|
[„Monopoly express“ 3330
[„Monopoly Heute 2006“ 4036

Moehringer, J. R. – Tender Bar

Der siebenjährige JR lebt mit seiner Mutter in Manhasset auf Long Island im Haus seines Großvaters, einem meist mürrischen alten Mann, mit dem schwer auszukommen ist. JRs Mutter versucht immer wieder, sich und ihren Sohn alleine zu versorgen und auszuziehen, kehrt jedoch früher oder später aus Geldmangel zurück. Seinen Vater, einen Radio-Moderator aus New York, hat sie wegen dessen Gewalttätigkeiten bereits kurz nach seiner Geburt verlassen. JRs Vater weigert sich, Unterhalt zu zahlen und nimmt keinen Anteil an seinem Sohn. Dafür verfolgt JR seine Radiosendungen als Ersatz für die väterliche Zuwendung.

Ein wichtiger Punkt in JRs Leben ist sein Onkel Charlie. Nachdem Charlie als junger Mann durch eine Krankheit sämtliche Kopf- und Körperhaare verloren hat, zieht er sich in die Bar zurück, in der er hinter der Theke arbeitet. Im „Dickens“ treffen sich Männer, um über bei Alkohol über Frauen, Wetten, Sport und das Leben an sich zu reden. Bereits als Kind ist JR fasziniert von diesem Ort. Mit neun wird sein Traum war und er darf das „Dickens“ betreten und wird sofort von der Atmosphäre gefangen genommen. Später nimmt ihn sein Onkel regelmäßig mit seinen Kumpels zu Ausflügen an den Strand und zu Baseballspielen ins Stadion mit.

Während JRs Mutter zum Geldverdienen nach Arizona zieht, um sich endlich ein wenig Unabhängigkeit zu verschaffen, besucht er die High School und arbeitet nebenbei in einem Buchladen. Die skurrilen Betreiber, Bud und Bill, unterstützen JRs Wunsch, an der Universität von Yale zu studieren. Wider Erwarten wird JR angenommen, die Freude durch die harte Arbeit in Yale aber gedämpft. JR begegnet hier seiner ersten Liebe und dem ersten Liebeskummer. Nach dem College zieht es ihn als Journalist zur Zeitung. Und immer wieder findet er Halt im „Dickens“, wo er sein erstes Bier trinkt, sein erstes Baseballspiel sieht, Sinatra hört und die Gesellschaft der Männer sucht, die ihm wie Ersatzväter sind …

Ein Junge und kein Vater, dafür eine gemütliche Bar und ein Haufen trinkfester Männer, welche die Vaterrolle gerne übernehmen – das ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Werkes, das in den USA wie mittlerweile auch in Deutschland gefeiert wird und bereits zu einem der am höchsten gelobten Werke des frühen Jahrhunderts aufgestiegen ist.

|Eindrucksvolle Charaktere|

JR berichtet von seinem Leben, angefangen von seiner Kinderzeit bis er Mitte zwanzig ist und New York verlässt. In kleinen Episoden erzählt er von den Menschen, die ihn auf diesem Weg umgeben. Da ist sein knurriger Opa, der sein Vermögen gekonnt hinter seinem reparaturbedürftigen Haus und schmuddeliger Kleidung verbirgt und nur selten mal Anwandlungen von Zärtlichkeit für JR zeigt, die sich ihm dafür intensiver einprägen. Da ist Onkel Charlie, ein kahlköpfiges Abbild von Humphrey Bogart, mit Sonnenbrille und Hut vermummt, der sich in Opas Haus krankhaft zurückzieht und erst abends aufblüht, wenn er seiner Arbeit im Dickens nachgeht, den Gästen vorsingt, ihnen Spitznamen verpasst und lakonische Bemerkungen abgibt.

Da ist Joey D, ein liebenswerter Riese mit Muppet-Gesicht, der seine Worte in Hochgeschwindigkeit stets an seine Brusttasche zu richten scheint, was JR als Kind zur Überzeugung bringt, dass dort eine kleine Schmusemaus wohnt, mit der er sich unterhält; der Hausmeister „Fuckembabe“, der eben jenen Ausdruck bei jeder Gelegenheit in sein Kauderwelsch einflechtet; der Vietman-Veteran Cager, der vom Schrecken des Krieges erzählt; Bob the Cop, der Polizist mit dem dunklen Geheimnis, das er JR eines Tages anvertraut, und nicht zuletzt Steve, der rotgesichtige Besitzer der Bar, der jedem Gast sein herzliches Lächeln schenkt und dem „Dickens“ sein Herzblut opfert.

JR wird früh zu einer Sympathie- und Identifikationsfigur für den Leser. Durch sein ganzes Leben zieht sich ein permanenter Wechsel von Licht und Schatten. Wünsche, Hoffnungen und Träume wechseln sich mit Erfolgen und schmerzlichen Niederlagen ab. Mit dem Studiumsplatz in Yale scheint JR zunächst das Glück gepachtet zu haben, bis er feststellt, dass er weder zu den elitären Kreisen seiner Kommilitonen gehört noch die Professoren mit seinen Arbeiten beeindrucken kann. In Yale begegnet JR der bildhübschen Sidney, einer reichen Oberschichtstochter mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein, die ihn gekonnt um den Finger wickelt und ihm den Kosenamen „Trouble“ verpasst – mit Recht, denn Sidney verschafft JR den ersten ernsthaften Schmerz und Kummer in seinem Leben, und wieder ist es das Dickens mit den Männern darin, das er als Zuflucht wählt. In Yale trifft er auch auf seinen verehrten Frank Sinatra, der einen Vortrag über Kunst hält und plötzlich so viel greifbarer und menschlicher erscheint als auf Plattencovern und im Fernsehen und gleichzeitig nichts von seinem Charisma einbüßt. JRs Bewunderung für den Sänger ergibt sich fast von selbst, denn seine eigene Geschichte gleicht den melancholischen Sinatra-Songs, die von Liebe und Leid erzählen, ohne sich dabei in Selbstmitleid zu suhlen, sondern Würde und Haltung bewahren.

Mehr schlecht als recht quält sich JR durch das Studium, ohne sich darüber im Klaren zu werden, welchen Beruf er wählen soll. Schreiben möchte er, beschließt er schließlich, aber keine Gedichte oder Belletristik, sondern als Journalist arbeiten. Wieder scheint ihm das Glück zu winken, als er für ein Volontariat bei der |New York Times| genommen wird. Monatelang besteht sein Leben, abgesehen von den unvermeidlichen Ausflügen ins „Dickens“, aus Sandwichholen für die Reporter und kleinen Büroarbeiten. Seine erste Story wird ein blamabler Reinfall, der sich als Ente entpuppt, und auch in seiner Probe-Reporterzeit leistet er sich einen kapitalen Ausrutscher, der an seinem Selbstbewusstsein nagt. JR ist beileibe kein Gewinner, aber auch kein blasser Verlierer, sondern ein Kämpfer, der sich immer wieder aufrappelt, wenn alles verloren zu sein scheint.

Ein besonderes Schmankerl ist das Nachwort, in dem Moehringer eine kurze Bilanz seines Lebens nach seiner Zeit in New York zieht und den 11. September als traurigen Aufriss wählt, denn bei den Anschlägen starben auch Menschen, die er aus seiner Zeit im „Dickens“ kannte. Der Leser erfährt die weiteren Schicksale der Figuren, die er zuvor begleitet hat, manche stimmen froh, andere fanden leider kein glückliches Ende, aber in jedem Fall ist es schön zu erfahren, dass hier keine Romanfiguren, sondern echte Charaktere agierten. Erfreulich ist auch das anhängende Glossar, das die wichtigsten Namen und Anspielungen kurz erläutert, manche wie „Popey“ sicher populär genug, um nicht notwendig zu sein, andere dagegen eine nette Bereicherung.

|Kleine Längen|

„Tender Bar“ ist ein autobiographischer Roman, was in der deutschen Ausgabe, die auf die Originalbeigabe „A Memoir“ verzichtet, nicht sogleich offensichtlich ist. Moehringer gibt an, nichts als die nackte Wahrheit aufgeschrieben zu haben, sogar nur drei Namen wurden geändert, wie er im Epilog erklärt. Darin liegt einerseits der Reiz des Buches, die besondere Zusatzfreude, wenn man weiß, dass es all diese originellen Figuren tatsächlich gab und überwiegend heute noch gibt. Allerdings ist der autobiographische Stil auch dafür verantwortlich, dass „Tender Bar“ nicht frei von Längen ist. Manche Episoden sprühen vor Charme und leisem Humor, andere bewegen und berühren, aber manchmal ziehen sich belanglose Schilderungen allzu zäh über die Seiten und man wünscht, Moehringer würde der Lesefreundlichkeit zuliebe ein wenig straffen, denn nicht alle eigenen Erlebnisse sind für den Leser genauso interessant wie für den Autobiographen. Vor allem zu Beginn ist Geduld gefordert, denn Moheringer ist ein sehr gemächlicher Erzähler, der sich Zeit für seine Schilderungen nimmt, so unspektakulär sie manchmal auch daherkommen.

_Als Fazit_ bleibt ein ruhiger und bewegender autobiographischer Entwicklungsroman und zugleich eine liebevolle, nostalgisch-verklärte Hommage an die Bar, die den Erzähler von klein auf durch sein Leben begleitet. Vor allem die Vielfalt der faszinierenden Charaktere vermag zu überzeugen, ebenso wie die gelungene Mischung aus Humor und Melancholie. Kleine Abstriche gibt es für die manchmal ausufernden Abschweifungen und Längen, denen ein paar Straffungen gutgetan hätten.

_Der Autor_ J. R. Moehringer wurde 1964 in New York geboren, studierte in Yale und arbeitete als Reporter für die |Rocky Mountain News| und die |New York Times|. Heute schreibt er für die |Los Angeles Times|. 2000 wurde er für eine Reportage mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sein autobiographisches Werk „Tender Bar“, der 2005 erschien, ist sein erster Roman.

http://www.tenderbar.com
http://www.fischerverlage.de

John Dickson Carr – Die Schädelburg

Carr Schaedelburg Cover 1991 kleinDas geschieht:

Trutzig ragt Burg Schädel unweit von Koblenz hoch über dem Rhein auf, wo sie vor einem halben Jahrtausend ein gefürchteter Hexenmeister errichten ließ. Der verrufene Ort wurde zum idealen Heim für den großen Bühnenmagier Maleger, der privat ein Ekel und Sonderling. 1913 – vor 17 Jahren – ist er während der Anreise zur Burg angeblich in den Fluss gestürzt, aus dem man seine ebenso angebliche Leiche zog.

Burg Schädel ging an Myron Alison, den berühmten Schauspieler, und seinen Freund, den Finanzmagnaten Jérôme D’Aunay. Viel Freude bereitete ihnen das Erbe nicht. Alison fand man kürzlich unterhalb der Mauern; man hatte ihn angeschossen, mit Benzin übergossen und angesteckt. Als lebende Fackel taumelte er über die Zinnen, während ein gespenstischer Schatten dies beobachtet haben soll. John Dickson Carr – Die Schädelburg weiterlesen

Stevens, Cat (Islam, Yusuf) – Cat Stevens / Yusuf Islam – Das kleine schwarze

Yusuf Islam – für viele nach wie vor ein Fremdling, dessen religiöser Wandel wohl nur den wenigsten richtig begreiflich scheint. Der Mann, der einst als Cat Stevens (bürgerlich: Steven Demetre Georgiou) zu einem der bedeutendsten und einflussreichsten Singer/Songwriter avancierte, wird bereits seit längerer Zeit von Medien und politischen Instanzen äußerst skeptisch betrachtet. Mehrere Skandale überschatteten seine jüngste Karriere, darunter auch der vorläufige Negativ-Höhepunkt im Jahre 2004, als ihm wegen vehementer Bedenken über eventuelle Verbindungen zum islamischen Terrornetzwerk die Einreise in die USA verweigert wurde. Aber auch eine angebliche frauenfeindliche Attitüde wird ihm wegen einiger markanter Aussagen und Vorfälle nachgesagt, so dass der Fokus im Laufe der vergangenen vier Dekaden immer weiter von der Musik wegrückte und der Mensch Yusuf Islam mit all seinen unkonventionellen Einstellungen in den Medien präsent war.

Dennoch bleibt unbestritten, dass der Mann unter seinem ersten Künstlernamen Cat Stevens einige der wichtigsten Beiträge zum politisch engagierten Rock der späten Sechziger und frühen Siebziger geleistet hat und somit maßgeblich daran beteiligt war, dass die internationale Friedensbewegung deutlichen Einzug ins Musik-Business hielt. Zwischen 1967 und 1977 verkaufte er in seiner Zeit als aktiver Musiker immerhin 41 Millionen Alben, bevor dann seine Hingabe zum Islam sein Leben völlig auf den Kopf stellte und den Rockmusiker Stevens auslöschte.

Sein geistiges Fundament, darunter auch Material seiner zweiten Karriere als Yusuf Islam, wird nun in einem weiteren exklusiven Songbook im |Bosworth|-Verlag festgehalten. In „Das kleine schwarze“ ist das Gesamtwerk des bemerkenswerten Künstlers in Text und Notation aufgeführt, angefangen bei seinen stürmischen Anfangstagen über internationale Volltreffer wie ‚Wild World‘, ‚Morning Has Broken‘ und ‚Father And Son‘ bis hin zu aktuellen, weniger bekannten Stücken wie ‚The Beloved‘ und ‚Maybe There’s A World‘. Insgesamt sind es beinahe 150 Tracks, die in diesem schmucken Taschenbuch zusammengefasst sind und mit allen Akkorden für die Gitarrenbegleitung ausgestattet wurden. Außerdem werden im Anhang noch einige Kniffe zum Stimmen der typischen Stevens-Gitarre verraten, um einen möglichst authentischen Sound zu erzielen und die Begleitung der zahlreichen Originale so stimmig wie nur eben möglich zu gewährleisten.

Ähnlich wie schon bei den Büchern zu den |Ärzten| oder den |Toten Hosen| setzt der Verlag auf das bewährte Kompaktformat, welches sich einmal mehr als sehr praktisch erweist. Lediglich die Handhabung der Gitarrenbegleitung ist ein wenig umständlich, da die Seiten aufgrund des Kleinformats schnell umschlagen, was aber mit ein bisschen Feingefühl wieder umgangen werden kann. Viel wichtiger ist indes die Vollständigkeit dieses Werkes, welche von der ersten bis zur letzten Seite in alphabetischer Reihenfolge garantiert ist und „Das kleine schwarze“ zu einem unverzichtbaren Werk für jeden Fan des viel zitierten, wenn auch merkwürdigen Musikers macht. Man kann zum Menschen Yusuf Islam respektive Cat Stevens alias Steven Demetre Georgiou stehen, wie man mag – seine Musik allerdings ist ein unumstößliches, geschichtsträchtiges Monument, welches auch etliche Jahre nach seiner größten Zeit immer noch von immenser Bedeutung ist. In diesem schmucken Begleitheft zur Karriere des Künstlers wird dies sehr eindrucksvoll notiert und reflektiert.

http://www.bosworth.de

Sandemo, Margit – Hexenjagd (Die Saga vom Eisvolk 2)

Band 1: [„Der Zauberbund“ 4365

_Story_

Obwohl sie ihr Familienglück in den Gebirgen des Eisvolks gefunden haben und von der Hatz des Vogts zunächst verschont bleiben, sind Silje, Tengel und ihre drei Sprösslinge in argen Problemen. Siljes zweite Schwangerschaft, die sie vorerst vor ihrem Gatten verheimlicht, macht das junge Mädchen unsicher, und während sie sich noch Gedanken macht, wie sie Tengel beibringen soll, dass möglicherweise ein neuer Dämon in ihr heranreift, wird ihre Familie auch schon in die Flucht geschlagen, nachdem der hinterlistige Heming seine ehemalige Sippe verraten hat.

Als letzte Überlebende fliehen sie aus ihrem neuen Heimatdorf und retten sich in die Berge. Als der Hunger jedoch immer größer wird und die neue Situation zur echten Bedrohung reift, fasst Silje einen folgenschweren Entschluss. Sie begibt sich auf den Sitz der Baronsfamilie von Meiden und konfrontiert Dags leibliche Mutter mit der bitteren Wahrheit, dass ihr ausgesetzter Sohn nach wie vor lebt. Charlotte von Meiden, die unglückliche Tochter des Barons, schenkt ihr im Gegenzug für den unermüdlichen Einsatz Sicherheit und sorgt dafür, dass Tengel und Co. auf einem neuen, noblen Landstrich ein neues Leben beginnen können – mit Charlotte und deren Mutter als beste Freunde.

Die neue Etappe im Leben der Nachfahren des Eisvolks beginnt sehr friedlich und gefahrlos; Tengel reift zum angesehenen Heilpraktiker und steigert das Ansehen seiner Familie enorm. Dennoch ahnt das Hexengericht von den verborgenen Geheimnissen des Oberhaupts und entsendet einen Späher, um Tengel hinters Licht zu führen. Viel schlimmer trifft Silje und ihre Liebsten jedoch Sols Entwicklung. Das nunmehr 14-jährige Mädchen ist von der Hexe Hanna intensiv in die magischen Künste eingewiesen worden – und scheint bisweilen nicht mehr kontrollierbar …

_Persönlicher Eindruck_

Der zweite Band der „Saga vom Eisvolk“ beinhaltet einige unverhoffte Wendungen, aber auch eine recht rasche inhaltliche Entwicklung. In diesem Zusammenhang ist vor allem erstaunlich, welches Zeitfenster Margit Sandemo hier eingeplant hat. Fast eine ganze Dekade vergeht auf den 300 Seiten von „Hexenjagd“, und berücksichtigt man den quantitativen Output, den die Autorin zur Serie im Original beigesteuert hat, hätte man schon erwartet, dass die Geschichte um Silje und Co. etwas gediegener voranschreitet. Dem ist aber sichtlich nicht so!

Dementsprechend sind die Fortschritte der Handlung enorm. Der Nachfolger zu „Der Zauberbund“ beschreibt gleich mehrere abgeschlossene, aber dennoch zusammengehörige Stränge, begonnen mit Siljes heimlicher Schwangerschaft über die Flucht aus dem Gebirge bis hin zur Verzweiflungstat, der Audienz bei Charlotte von Meiden, Dags leiblicher Mutter. Doch auch das ’neue‘ Leben der Familie Tengelssohn wird in aller Ausführlichkeit beschrieben; die unerkannt verurteilte Ketzerei, die Entwicklung von Sols zunehmenden Begabungen, aber auch das stete Familienglück, das vor allem durch die Geburt des ersten gemeinsamen Sohnes Are noch einmal bestärkt wird. All diese Geschehnisse verteilen sich über einen recht langen Zeitraum, werden von Sandemo sehr detailliert ausgeschmückt, bleiben aber dennoch spannend und kurzweilig – und das ist die wahre Kunst hinter diesem Roman.

Gerade die Tatsache, dass hier komplette, abgeschlossene Episoden aus dem Leben der Protagonisten quasi aneinandergereiht werden, ohne dabei die wesentliche Dynamik, also den Fluss der Story, zu beeinträchtigen, macht „Hexenjagd“ auf Anhieb zu einem kleinen Meisterwerk, begünstigt außerdem durch die märchenhaften Beschreibungen der Figuren und Szenarien. Es sind eben vor allem die kleinen Helden der Geschichte, diese einprägsamen, ungewöhnlichen Gestalten, die einem sofort ans Herz wachsen. Stand zuletzt noch Silje ganz deutlich im Mittelpunkt einer durchaus emotionalen Entwicklung, wird die Familie, die Verbliebenen des Eisvolks, nun etwas differenzierter betrachtet, so dass vor allem der liebevolle Tengel und die unberechenbare Sol mehr zur Geltung kommen. Sie sind die weniger transparenten Komponenten des Buchs, auf ihren unsteten Handlungen beruht schließlich auch die Spannung und generell die tolle Atmosphäre.

Hinzu kommt weiterhin diese liebevolle Stimmung, diese Harmonie, die von der Story und ihren tragenden Charakteren ausgestrahlt wird. Daher lässt sich „Hexenjagd“ auch noch weniger als „Der Zauberbund“ einem spezifischen Genre zuordnen, da die Elemente der Liebesgeschichte und auch des klassischen Dramas in den entscheidenden Passagen deutlich zugenommen haben. In dieser besonderen Mischung liegt aber auch der Reiz der bisher veröffentlichten Bände der Serie. „Hexenjagd“ ist weder klassische Fantasy noch purer Historienroman, geschweige denn eine typische Lovestory in einem opulenten Setting. Stattdessen hat Sandemo die schönsten Versatzstücke der einzelnen Genres zu einem modernen Märchen zusammengetragen, dieses in Teil zwei noch einmal in eine ganz andere Richtung gelenkt und sich insgesamt sogar durch die homogene Vielschichtigkeit der Story noch einmal steigern können. Ergo: Wer den ersten Band schon toll fand, wird den zweiten lieben!

|Originaltitel: Sagan om Ísfolket 2: Häxjakten
Originalverlag: Boknöje ab 1982
Aus dem Norwegischen von Dagmar Lendt
Taschenbuch, 304 Seiten|
http://www.blanvalet.de
http://www.margitsandemo.se/

Carey, Diane / Golden, Christie – Star Trek Voyager: Endspiel

Zum zehnten Mal jährt sich der Tag, an dem das Föderations-Raumschiff „Voyager“ unter dem Kommando von Captain Kathryn Janeway nach einer Irrfahrt, die 26 Jahre währte, aus dem Delta-Quadranten zur Erde zurückkehrte. Längst ist scheinbar der Alltag eingekehrt. Janeway ist zur Admiralin der Sternenflotte aufgestiegen. Harry Kim führt inzwischen ein eigenes Schiff. Der Holo-Doktor konnte seinen Status als ‚echte‘ Lebensform wahren und ist inzwischen sogar Ehemann geworden. Tom Paris hat seinen Abschied genommen und sich als Schriftsteller einen Namen gemacht. B’Elanna Torres, seine Gattin, ist ebenfalls aus dem aktiven Flottendienst ausgeschieden, während beider Tochter Miral in die Fußstapfen der Eltern trat.

Die junge Pilotin wird zur Schlüsselfigur in Janeways geheimen Privatkrieg gegen die Zeit und das Schicksal. Die Heimkehr der „Voyager“ musste bitter erkämpft werden; viele Mitglieder der Besatzung, darunter Commander Chakotay und Seven of Nine, verloren ihr Leben. Wissenschaftsoffizier Tuvok konnte von einer Nervenkrankheit nicht rechtzeitig geheilt werden und dämmert in einer Anstalt dem Tod entgegen.

Janeway beschließt, allen Direktiven der Föderation zum Trotz die Geschichte nach ihrem Willen umzuschreiben: Sie will eine Zeitreise unternehmen und ihrem jüngeren Ich mit Hilfe der inzwischen weit vorangeschrittenen Technik die Chance bieten, eine ‚Abkürzung‘ nach Hause zu finden und so der Zukunft ein neues und erfreulicheres Gesicht zu geben. Nach großen Anlaufschwierigkeiten glückt der Sprung zurück. Captain Janeway ist zwar entsetzt über ihr desillusioniertes und zynisches Alter Ego, erklärt sich aber doch bereit, die „Voyager“ umrüsten zu lassen für die Reise durch ein Wurmloch, das just im All entdeckt wurde.

Aber die Admiralin hat dem Captain verschwiegen, dass am Eingang des Wurmlochs alte, ungern gesehene Bekannte lauern: die Borg, die hier an einem Portal arbeiten, das endlich die Invasion des Alpha-Quadranten ermöglichen soll. Dies ist das größte Geheimnis der Borg, und so ist es kein Wunder, dass die prominenteste Vertreterin der assimilierfreudigen Gesellen die Arbeiten leitet: die Königin der Borg, Einzige ihrer Art, die sich ihre Individualität erhalten hat, was sie unberechenbar und damit doppelt gefährlich werden lässt. Die „Voyager“ könnte sich trotzdem durch das Wurmloch mogeln, doch Captain Janeway fragt sich, ob man die Chance verstreichen lassen darf, das Borg-Portal zu sabotieren. Die Admiralin ist strikt gegen diesen Plan und versucht, die Besatzung der „Voyager“ gegen den Captain aufzuwiegeln. Dieser Konflikt verschafft der Königin die Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten, die sich borgtypisch als sehr wirkungsvoll erweisen …

Es ist so weit: Nach sieben Jahren in den Weiten des TV-Äthers kehrt die „Voyager“ heim. Die große Odyssee endet roddenberrysch, d. h. von Bord gehen durch Erfahrung geläuterte, klüger, sogar weise gewordene oder doch wenigstens miteinander verbandelte Männer und Frauen, die zuvor noch des dramaturgisches Verzögerungseffektes wegen ein zwar ziemlich unglaubwürdiges, aber leidlich spannendes Abenteuer erleben mussten.

Diane Carey ist keine von echtem Unterhaltungsgeschick beseelte Schriftstellerin, wie schreckliche „Star Trek“-Abenteuer belegen, die sie sich selbst aus dem Hirn gewrungen hat. Lässt man sie jedoch nach Drehbuch schreiben, drechselt sie termingerecht und wahrscheinlich nach Tariflohn leidlich lesbare „Romane zum Film“, die es dem „Star Trek“-Franchise ermöglichen, einen nicht exorbitanten, aber doch respektablen und vor allem schon vorab kalkulierbaren Gewinn einzustreichen. Die Summe könnte höher sein, wenn man z. B. einen wirklich talentierten Autoren beschäftigte, aber dieses Risiko ist in der Kosten-Nutzen-Planung nicht vorgesehen, und daher reicht es, Diane Carey anzuheuern.

Das Ergebnis entspricht solchem nüchternen Geschäftsdenken. „Endspiel“ ist formal wie inhaltlich jederzeit Mittelmaß; ohne Überraschung, ohne Feuer, lebendig höchstens durch die Vorgeschichte der hier nun zum vorerst letzten Mal agierenden Figuren und die (sich freilich auch in Grenzen haltende) Spannung durch die Frage, wie diese denn nun ins (TV-)Nirwana entlassen werden.

Nicht verantwortlich zu machen ist Carey indes für die gewaltigen Löcher, die durch das lieblos zusammengeschluderte Drehbuch in die Handlung geschlagen werden. Nun sind logische Bocksprünge seit jeher typisch für „Star Trek“, was einer Science-Fiction-Serie auch gut zu Gesichte steht. Das enthebt jene, die sich über die TV-Apokalypse der Woche den Kopf zermartern, jedoch nicht der Verantwortung, für eine gewisse Stimmigkeit der erfundenen Welten Sorge zu tragen. „Endspiel“ verkauft sein Publikum schlicht für dumm; was dem Zuschauer vor einem Wirbel eindrucksvoller Spezialeffekte im Fernsehen womöglich nicht so bewusst wird, bleibt dem (des Denkens zumindest in Ansätzen fähigen) Leser nicht lange verborgen. Hier nur eine Auswahl offener Fragen:

Was treibt eigentlich die „Abteilung für Temporale Ermittlungen“ der Sternenflotte, deren gestrenge Repräsentanten wir in früheren „Star Trek“-Episoden kennengelernt haben, während Admiralin Janeway offenbar nach Belieben im Zeitstrahl herummurkst?

Was würden wohl jene Besatzungsmitglieder zu Janeways ‚Korrektur‘ der Vergangenheit sagen, die nicht nur die Reise der „Voyager“ überlebt, sondern sich in den vergangenen zehn Jahren ein neues und offensichtlich glückliches Leben aufgebaut haben? Wohl weil sie die Antwort kennt, fragt die Admiralin lieber erst gar nicht …

In den alten „Frankenstein“-Filmen der 1930er Jahre gab es im Labor des guten Doktors stets einen Hebel, der, einmal umgelegt, das Labor samt Monster in Rauch und Flammen aufgehen ließ. Realistisch ist ein solcher Mechanismus nicht, aber im Film lässt er sich weiterhin prima einsetzen, um wie hier nach 90 Minuten ein spektakuläres Ende heraufzubeschwören. Drehbuch-Autoren spart besagter Hebel eine Menge Hirnschmalz. Das haben sie sich gut gemerkt und lassen ihn seither immer wieder auftauchen. In unserem Fall treffen wir also auf der einen Seite die Borg in ihrer ganzen Pracht und Übermacht, seit Jahr und Tag emsig damit beschäftigt, eine planetengroße Bosheit zusammenzuschrauben. Dann kommt von der anderen Seite die „Voyager“ mit den Janeways im Doppelpack, halst den Borg einen ‚Virus‘ auf, und siehe da: Die Wurmloch-Wundermaschine löst sich samt böser Königin binnen weniger Augenblicke (und gerade noch rechtzeitig vor dem großen Finale) in ihre Einzelteile auf.

Keine Kritik, sondern eher eine ketzerische Frage: Welches notorisch harmoniesüchtige Franchise-Seelchen hat sich bloß die Last-Minute-Romanze zwischen Chakotay und Seven of Nine einfallen lassen? Sie wirkt nicht nur an den Haaren herbeigezogen, sondern einfach lächerlich in ihrem Bemühen, auf Biegen und Brechen ein Happy-End aus dem Hut zu zaubern.

Fazit: Ein Kann, aber kein Muss, dieses nach Schema F weniger verfasste als konstruierte „Star Trek“-Abenteuer; für das Ende einer Ära ein schwacher Abgesang, aber für den Fan natürlich Pflichtlektüre, die immerhin eher langweilt als offen ärgert.

Kiesling, Michael – Wikinger

_Der Sommer der Drachenboote_

In der aktuellen Spielsaison stehen die legendären Nordmänner scheinbar hoch im Kurs. Bereits im |Pro Ludo|-Verlag erschien jüngst ein Spiel um die Helden der ersten Jahrtausendwende; kurz darauf erschien ein gleichnamiger Titel auch beim |Schmidt|-Ableger |Hans im Glück|, welcher jedoch von Beginn an mit den besseren Voraussetzungen ausgestattet war.

In „Wikinger“ von Michael Kiesling schlüpfen zwei bis vier Spieler in die Rolle eines Stammesfürsten und gehen in insgesamt sechs Spielrunden auf Entdeckungsreise durch die angrenzenden Meere. Die Männer siedeln auf nahe liegenden Inseln Handwerker und Adlige an, steigern derweil ihre Kampfkraft, um feindlichen Schiffen zu trotzen, und errichten schließlich auf den unterschiedlichen Eilanden Siedlungen, Dörfer und einzelnen Monumente. Ruhm und ein reicher Goldschatz sind die Folge und helfen dabei, das Siedlungsgebiet Runde für Runde auszudehnen. Doch am Ende siegt nicht zwangsläufig derjenige mit den größten, eroberten Flächen, sondern der Spieler, der die ganz neuen, recht ideenreichen Spielmechanismen des aktuellen Kiesling-Titels am besten beherrscht. Jene nämlich sind der eigentliche Clou an diesem starken Neuling und Vorzeigetitel des |Hans im Glück|-Verlags!

_Spielmaterial_

• 1 Spielplan mit Drehrad
• 8 Spielersteine
• 1 Startspielerfigur
• 4 Festland-Winkel
• 45 Goldstücke
• 1 Stoffsack
• 78 Figuren, je 13 in sechs Farben
• 76 Plättchen
• 25 Sonderplättchen
• 4 Wertungstafeln
• 1 Regelheft
• 1 Beiblatt mit Regeln für Fortgeschrittene

Beim Spielmaterial haben der Autor respektive der Verlag sich einiges einfallen lassen. In der Mitte des Spielplans haftet nämlich ein Drehrad, welches im Spiel die Preislage für einzelne Inselteile und zu verschiffende Bürger bestimmt und letztendlich einen hervorragenden strategischen Mechanismus einführt. Aber auch die zunächst unspektakulären Winkel sind bezogen auf das Spielsystem im weitesten Sinne fortschrittlich und bieten dem Spieler während der Partie eine ganze Reihe ungeahnter Möglichkeiten. Des Weiteren setzt man erneut auf massive Holzfiguren und hat diesbezüglich auch an der Optik gefeilt. Die behörnten Personensteine jedenfalls machen visuell einiges her und sind ganz individuell auf dieses Spiel zugeschnitten.

Lediglich die Grafik ist ein wenig zu bemängeln; Kiesling setzt auf recht spartanische Illustrationen und relativ simple Kost. Die Skizzen auf dem Spielplan passen sich dem Thema zwar noch an, doch irgendwie trägt die zeichnerische Aufarbeitung nicht ganz zu einer dichten Spielatmosphäre bei. Hier wäre eventuell mehr herauszuholen gewesen!

Insgesamt ist das materielle Resümee jedoch positiv, vornehmlich wegen der neuartigen Strukturen und der dadurch initiierten Mechanismen.

_Der Spielplan_

Das Spielfeld gliedert sich allgemein in den Winkel des Spielers, auf dem er seine Inseln vom Festland aus erweitert, und das Brett mit dem Drehrad, auf dem sich das aktive Spielgeschehen abspielt. Letzteres ist noch einmal unterteilt in Ablagestapel für die regulären Plättchen sowie Felder für Sonderplättchen. Außerdem wird es von der Siegpunktleiste umrundet.

Der interessanteste Part des Spiels besteht nun sicherlich in der Manövrierung des Drehrads; in jeder Spielrunde werden angrenzend an dieses Rad Plättchen und Figuren positioniert, die jeweils im Verbund erworben werden können. Man unterscheidet dabei immer in unterschiedliche Farbgruppen bei den Spielfiguren, die systematisch sortiert und um das Rad nach einem gewissen Schema aufgereiht werden, beginnend mit den Fischern bis hin zu den Bootsmännern. Diese Figuren werden nun einzeln von den Wikingerfürsten angeworben und nach Möglichkeit direkt auf das zugehörige Plättchen in der Region des Winkels angebracht. Jedes Mal, wenn nun die preisgünstigste Figurengruppe ‚ausverkauft‘ ist, bewegt sich das Drehrad im Uhrzeigersinn fort, das heißt, die anderen Figuren werden im Laufe einer Runde immer billiger und können am Ende eventuell sogar umsonst erworben werden.

Der Winkel hingegen misst ein Feld von drei mal sechs Plättchen, welches aber entgegen der Marschrichtung weiter ausgebaut, also beliebig erweitert werden kann. An der Längsseite sind nun Adlige und Handwerker jeglicher Couleur abgebildet, was bedeutet, dass man nur parallel zu ihnen auch gleichfarbige Figuren absetzen kann. Wenn man also im Laufe des Spiels Figuren erwirbt, muss man immer darauf achten, dass man seine Plättchen auch so anbauen kann oder angebaut hat, dass auch Platz für die erworbenen Figuren bleibt. Im Laufe des Spiels legt man nun in jeder Runde ein Plättchen an diesen Winkel an, baut somit seine Inseln aus, vergrößert die Siedlungen und sorgt dafür, dass eine ausgewogene Mischung aller Figuren die Inseln bevölkert. Voraussetzung aber: Alle Inselplättchen müssen miteinander harmonieren, ansonsten stockt der Ausbau und wirft den Stammesfürsten mächtig zurück.

_Spielvorbereitung_

Vor jeder Partie erhalten die Spieler einen teilnehmerabhängigen Goldbetrag, einen Winkel, ein Startplättchen sowie eine Übersichtstafel. Des Weiteren werden die beiden Spielersteine der ausgewählten Farbe jeweils auf den eigenen Winkel und die Position 10 auf der Siegpunktleiste gesetzt. Man beginnt also schon mit einer gewissen Punktzahl, die man im Laufe des Spiels aber ständig gegen neues Gold eintauschen kann.

Der Spielplan wird anschließend befestigt und mit Plättchen ausgestattet. Im herkömmlichen Spiel werden lediglich sechs Stapel mit jeweils zwölf Plättchen auf die dafür vorgesehenen Felder gelegt. Fortgeschrittene nutzen zusätzlich die Sonderplättchen und legen pro Runde jeweils vier auf die Sonderfelder. Als Letztes wird der Stoffsack mit allen Figuren gefüllt. Der Startspieler erhält anschließend das Wikingerschiff und legt los.

_Spielablauf_

Die Partie besteht aus insgesamt sechs Durchgängen, die individuell gewertet werden. Nach der ersten, dritten und fünften Runde erfolgt eine kleine Wertung, bei der lediglich die Goldschmiede zum Erfolg kommen, in der zweiten, vierten und sechsten Runde werden hingegen alle Figuren gewertet und entsprechend mit Gold und Siegpunkten belohnt.

Jeder Durchgang setzt sich schließlich aus drei untergeordneten Phasen zusammen, nämlich dem Angebot, dem Erwerb des Angebots und der Wertung. Konkreter sieht dies wie folgt aus:

|a) Angebot|

Der Startspieler nimmt den obersten Plättchenstapel vom ersten Feld und deckt die Plättchen der Reihe nach um das Drehrad aus. Plättchen, auf denen eine Insel abgebildet ist, werden aufsteigend vom Feld mit der 0 ausgelegt, Drachenschiffe hingegen werden absteigend ab der 11 positioniert. Anschließend werden ebenso zwölf Figuren aus dem Stoffbeutel gezogen und nach einem vorgegebenen Muster an jeweils ein Plättchen angelegt. Nun steht das Angebot und zeigt die Preise für die Kombinationen aus Figur und Plättchen, die im folgenden Schritt verkauft werden.

|b) Erwerb des Angebots|

Beginnend mit dem Startspieler dürfen die Spieler nun reihum um die Kombinationen am Drehrad buhlen und diese zu flexiblen Preisen kaufen. Bedingung hierbei ist, dass man niemals beim Feld mit der 0 zugreift, es sei denn, es handelt sich bei der dort stehenden Figur um die letzte ihrer Art im aktuellen Angebot. Sollte dies der Fall sein, wird das Rad nach Erwerb der zugehörigen Kombination bis zur nächsten Figurengruppe vorgeschoben, so dass sich nachhaltig die Preise für alle noch ausliegenden Figuren/Kombinationen verringern. Allerdings sollte man hier immerzu schauen, dass man sich selbst einen Gefallen tut, gleichzeitig aber die Mitspieler nicht in eine allzu vorteilhafte Ausgangssituation bringt.

Sobald man ein Set aus Figur und Plättchen erworben hat, besteht die Möglichkeit, es direkt an seinen Winkel anzulegen. Inselplättchen müssen aber jederzeit passend angelegt werden und dürfen nur an den Winkel bzw. zu einem schon bestehenden Inselplättchen befördert werden. Sollte nun auch noch die Möglichkeit bestehen, die gerade erworbene Figur in der passenden Reihe unterzubringen, also parallel zum Standpunkt auf dem Winkel, darf man dies jetzt tun. Ansonsten wandert die Figur auf das Feld des Bootsmanns, der sie nachher vor jeder großen Wertung auf eigenen Wunsch noch in die entsprechende Region versetzen kann.

Schiffsplättchen indes werden in die oberste Reihe gesetzt und stellen eine Bedrohung für alle darunter befindlichen Figuren und Siedlungen dar. Jedes Schiff ist farblich unterschiedlich markiert und beschreibt somit die eigene Reichweite. Sollte man keinen Kämpfer in dieser Reihe besitzen, sind alle Figuren innerhalb dieser Reichweite bedroht und können in der Wertung nicht berücksichtigt werden. Für jedes Schiff sollte man also definitiv einen Kämpfer haben!

|c) Wertung|

Sobald alle Plättchen und Figuren neben dem Drehrad vergeben sind, kommt es zu einer Wertung. In den kleinen Wertungen werden ausschließlich die vorhandenen Goldschmiede gewertet; jeder von ihnen bringt drei weitere Goldstücke. Die große Wertung indes berücksichtigt alle Figuren und verteilt Siegpunkte für Adlige und Späher, eventuell auch noch für Goldschmiede und Fischer. Darüber hinaus bekommt man den Gegenwert für ein abgewehrtes Schiff in Gold oder Siegpunkten und erhält wiederum drei Dublonen vom Goldschmied.

Nach sechs Runden ist das Spiel vorbei; die letzte große Wertung wird vorgenommen, und ähnlich wie bei den vorherigen großen Wertungen werden nun Figuren auf dem Abstellfeld des Winkels von den Bootsmännern auf die Inseln befördert. Im Gegensatz zu vorher ist dies aber nun verpflichtend, das heißt, man darf keine Figuren, die unterkommen könnten, stehen lassen. Dies ist insofern sinnvoll, als es am Ende noch eine Wertung für die meisten noch vorhandenen Bootsmänner (insgesamt satte zehn Punkte) gibt, die ansonsten nach jedem Transport abgegeben werden müssen. Außerdem wird die größte Insel mit fünf und der Spieler mit den meisten Inseln mit sieben Siegpunkten belohnt. Übrige Goldstücke werden im Kurs fünf zu eins gegen Siegpunkte getauscht. Danach kommt es noch zur Kontrolle der Versorgung durch die Fischer. Jeder von ihnen kann, sich selbst ausgenommen, vier weitere Personen mit Nahrung versorgen. Jede unterversorgte Person kostet einen Siegpunkt; sollte hingegen eine Überversorgung bestehen, bekommt man zwei Zusatzpunkte für jeden potenziell Versorgten, der real nicht existiert.

Wie gehabt werden alle Siegpunkte auf der Leiste festgehalten und miteinander verglichen. Derjenige mit den meisten Siegpunkten führt seinen Wikingerstamm schließlich zum Sieg.

_Die Fortgeschrittenen-Variante_

Eine etwas taktischere Variante offerieren die Zusatzregeln auf dem Beiblatt. Hier werden weitere alternative Spielideen angeboten, so zum Beispiel eine eigenständige Anordnung der Spielfiguren im Angebot sowie die Versteigerung der Startspieler-Figur. Im Gegensatz zum Standardspiel sind zudem die Möglichkeiten des Bootsmanns eingeschränkt. Durfte er zuvor noch eine komplette Farbgruppe oder von jeder Farbe eine Figur fortbewegen, muss nun jeder einzeln verschifft werden. Die größte Bereicherung stellen allerdings die Sonderplättchen dar. Pro Runde werden vier Plättchen offen ausgelegt und erweitern das Angebot. Jedes Mal, wenn nun ein Spieler die teuerste Kombination im Angebot erwirbt, darf er ein Sonderplättchen aus der Auslage an sich nehmen und von den zusätzlichen Möglichkeiten zehren. So gibt es möglicherweise zusätzliche Siegpunkte für verschiedene Gruppen von Handwerkern und Adligen, Unterstützung für den Bootsmann oder neue Bauwerke, die ihr ganzes Umfeld mit Siegpunkten bestücken. Auch ein besserer Wechselkurs des Golds in der Schlusswertung befindet sich im Angebot. Der grundsätzliche Mechanismus ändert sich weiterhin nicht; nach sechs Runden ist ebenfalls Schluss, und auch die Punkte werden nach dem gleichen Schema verteilt.

_Persönlicher Eindruck_

„Wikinger“ ist eines dieser Spiele, welche von der ersten Minute an vollends begeistern und immer wieder dazu animieren, die Schlacht unter den maximal vier Stämmen ein weiteres Mal auszutragen. Der neue Titel von Michael Kiesling bietet ein sehr schönes Spielsystem und sehr individuelle, abwechslungsreiche Aktionsmöglichkeiten, ist aber dennoch recht leicht verständlich und in Sachen Komplexität auf einem eher niedrigen Level anzusiedeln. Bereits der Aufbau ist wohl überlegt und spannend, wobei die Komponente Glück gerade im Standardspiel eine wesentliche Rolle spielt. Je nachdem, welche Position man beim Erwerb der Kombinationen am Drehrad einnimmt, ist man aufgrund ungünstiger Auslagen schon einmal schnell im Nachteil und bekommt eventuell Figuren und Inselteile vor der Nase weggeschnappt, ohne dies in irgendeiner Form beeinflussen zu können. Im Fortgeschrittenen-Spiel wird dies aber wieder durch die Ersteigerungsoption ausgehebelt. Taktik, Planungsvermögen und Intuition sind insgesamt aber die wesentlichen Spielkomponenten und entscheiden schon in den ersten Runden, inwiefern die Besiedlung der Inseln erfolgreich verlaufen wird. Man muss die Auswahl seiner Mitspieler sehr gut im Auge behalten, auch schon einmal einen destruktiven Zug spielen oder übermäßig viel Geld opfern, gleichzeitig aber auch jederzeit dafür sorgen, dass man brauchbare Figuren sammelt. Der unnötige Einsatz des Bootsmannes in den großen Wertungen kann nämlich letztendlich spielentscheidend sein. Jedoch ist unbestritten, dass gerade im Spiel zu viert dem jeweils Letzten im Bunde bei seinem Zug oftmals kaum Optionen bleiben und er ein wenig ins Hintertreffen gerät.

Derartige Defizite gleicht die Profi-Regel jedoch spielerisch aus; die Entscheidungsmöglichkeiten werden noch einmal potenziert, das Spiel in seiner gesamten Ausprägung indes fülliger. Außerdem wird das Glück alleine schon dadurch eingeschränkt, dass man auf jeglichen Verlauf und Aufbau größeren Einfluss hat, hierzu aber auch ein geschicktes Händchen bei der Durchführung riskanter Schritte beweisen muss. Dies wird jedoch dadurch erschwert, dass man irgendwann keinen exakten Überblick mehr über die bereits erzielten bzw. noch möglichen Siegpunkte hat, was letztendlich auch die einzige echte Schwäche von „Wikinger“ ist. Es fehlt ein wenig an Orientierung, so dass die Schlusswertung oftmals ein überraschendes, nicht ganz so genau kalkulierbares Element ist. Es geschieht nicht selten, dass zuvor weniger berücksichtigte Komponenten das Spiel drehen oder entscheiden, so zum Beispiel Anzahl der Inseln oder diverse Sonderplättchen, denen man beim Fokus auf den Aufbau seiner Inseln zunächst nur eine untergeordnete Bedeutung zuspricht. Erst mit ein wenig Übung bekommt man hierfür ein gewisses Gespür, das aber dennoch keine vorausschauende Übersicht gewährleistet. Andererseits scheint eine Eingrenzung der Wertungsaspekte widersinnig, da die Vielschichtigkeit des Spiels summa summarum erst den großen Reiz ausübt – begünstigt durch die mehrfach gelobten Mechanismen, die dem Spiel zugrunde liegen.

Schlussendlich besticht „Wikinger“ vor allem durch Individualität, Abwechslungsreichtum und einen tollen Aufbau, der einen früher oder später zur reizvollen Fortgeschrittenen-Version führen und dort fesseln wird. In diesem Sinne ist es schon höchst merkwürdig, dass der Titel bei der Vergabe der lukrativeren Auszeichnungen selten oben mitmischen durfte. Ein dritter Platz beim Deutschen Spielepreis erscheint in Relation zum anhaltenden Spielspaß ein wenig mager, was aber keinesfalls zu viel über den wahren Inhalt der Schachtel aussagen soll. Dieser ist nämlich bis auf die letzten Endes nahezu unbedeutenden, kleinen Abstriche fantastisch!

|Spielerzahl: 2-4
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 60 Minuten|

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Interview mit Thomas Finn

_Martin Schneider:_
Hi Tom, unser [letztes Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=59 haben wir zu „Der Funke des Chronos“ gemacht, das war vor fast zwei Jahren. Wie ist es dir seitdem ergangen?

_Thomas Finn:_
Danke, ich kann nicht klagen. Die letzten Jahre waren zwar sehr arbeitsreich, woran sich wohl auch in Zukunft nichts ändern wird, aber dafür übe ich einen Job aus, der mich wirklich zutiefst erfüllt. Es gibt für mich wirklich kaum etwas Schöneres als möglichst spannende Geschichten zu verfassen.
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Finn, Thomas – Letzte Flamme, Die (Die Chroniken der Nebelkriege 3)

Band 1: [„Das unendliche Licht“ 2646
Band 2: [„Der eisige Schatten“ 3610

_Handlung_

Nachdem Kai die letzten Abenteuer überstanden hat, kehrt er nach Colona zurück, denn Morgoyas Armee belagert die Stadt am Rhyn. Mitten in einem der ersten Scharmützel taucht das fliegende Schiff der Universität zu Halla auf und entscheidet diesen ersten Kampf für die Verteidiger. Doch die Freude dauert nur kurz, denn der Erzmagus Hallas, Aureus von Falkenhain, zwingt Kai dazu, dessen Lehrling zu werden, um ihm seinen „dunklen Kern“ auszutreiben, und bindet ihn mit einem Sklavenring an sich. Zudem hat er die Mitglieder des Hermetischen Ordens versteinern lassen, beginnt mit Hexenverbrennungen und hat Magister Eulertin auf eine Expedition geschickt, die fast sicher dessen Tod bedeutet. Kai kann zwar entkommen, doch seine Wege führen ihn direkt nach Albion in die „Höhle des Löwen“ vor die Klauen Morgoyas …
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Hurwitz, Gregg – Sekte, Die

Neben den vielen großen Religionen auf unserer Welt gibt es noch zahlreiche Gruppierungen von Gläubigen, die sich abspalten und abgrenzen vom etablierten Glauben. Die Sekten unserer Zeit versuchen, durch eine ganz eigene Botschaft Mitglieder für ihre Idee und Überzeugung zu gewinnen. Gerade labile Menschen, die durch Schicksalsschläge ihre Grundlage, vielleicht sogar ihren Glauben verloren haben, die sich im Stich gelassen fühlen oder einfach menschlich enttäuscht wurden, sind anfällig, sich sich auch einer der zweifelhafteren dieser Gruppierungen anzuschließen.

Längst schon versuchen Sekten, ihre Machtstellung innerhalb der Gesellschaft zu festigen. Religion und Glauben, Ideologie und Überzeugung bedeuten zugleich immer, auch Macht auszuüben, Menschen zu lenken und zu kontrollieren; oftmals unterwandern derlei Gruppierungen auch die Gesetze oder nutzen deren Lücken, damit sie durch den Staat nicht angreifbar werden. Die wirtschaftlichen Interessen gehören immer zu den wichtigsten ideologischen Überzeugungen einer solchen Gruppe.

Mit Nächstenliebe und Respekt gegenüber ihren Mitmenschen, mit Meinungsfreiheit und Entfaltung der eigenen Person haben diese Vereinigungen meistens ein recht großes Problem. Es entstehen eher richtiggehende und gefährliche Personenkulte, die autoritär auf die Gruppe einwirken und diese auch mit disziplinarischen Strafen einschüchtern. In solchen Sekten leben die Mitglieder meistens nach ihren eigenen Gesetzen und Geboten, und genau hierin besteht die Gefährlichkeit.

Der Autor Gregg Hurwitz zeichnet seinen Lesern in seinem Roman „Die Sekte“ ein recht gutes Bild von den Organisationen und Strukturen, den Wegen der Gewinnung neuer Mitglieder und deren Kontrolle und wirtschaftlichen Ausbeute.

_Inhalt_

Tim Rackley hat nach dem gewaltsamen Mord an seiner sechsjährigen Tochter nicht nur seine Anstellung als US Marshal verloren. Durch seine eigensinnige Selbstjustiz wurde er vom Dienst suspendiert und der Schmerz über den Verlust lässt ihn und seine Frau Andrea, genannt Dray, auch privat nicht zur Ruhe kommen. In ihren Träumen, ihren Gedanken verfolgt sie die Tragödie noch immer.

Eines Tages bekommen Tim und Dray Besuch von einem erfolgreichen Filmproduzenten und seiner Frau, die verzweifelt um Hilfe bitten. Der einflussreiche Produzent Will Henning übergibt Tim ein Foto. Auf diesem posiert ein junges Mädchen, das gerade die Highschool abgeschlossen und ein Studium begonnen hat. Sie sieht hübsch aus, vielleicht ein wenig linkisch, traurig graugrüne Augen, schulterlanges Haar. Eine Person, an die man sich aufgrund ihrer Aura erinnert. Tims Augen schweben über das Foto seiner toten Tochter auf dem Kaminsims, er nimmt an, dass das Mädchen auf dem Foto auch umgebracht wurde.

Doch sie ist nicht tot. Will Henning, der Stiefvater, erklärt, dass die 19-jährige Leah quasi vermisst wird. Die junge Studentin ist einer Sekte beigetreten und hat den Kontakt zur ihren Eltern komplett abgebrochen. Die Polizei kann nicht eingreifen, weder das FBI noch die CIA sehen eine Möglichkeit bzw. ein Verbrechen, gegen das sie vorgehen könnten.

Tim soll, wenn es nach ihren Eltern geht, die junge Frau aus dem Kreis dieser Sekte entführen, denn von der Außenwelt hat sich diese Sekte fast völlig abgeschlossen, so dass kaum eine legale Möglichkeit für die Ermittler übrig bleibt. Vorübergehend wird Tim wieder in den Rang eines US Marshal eingesetzt und nimmt als Erstes Kontakt zu einem Universitätsprofessor und Experten für Sekten auf.

Trotz seiner psychologischen Vorkenntnisse, die Tim innerhalb der amerikanischen Streitkräfte erhalten hat, gibt Dr. Bedermann dem Beamten wertvolle Tipps, um sich vor psychologischen Praktiken der Bewusstseinskontrolle wehren zu können. Auch übergibt Dr. Bedermann Tim die Adresse eines Patienten, der den Fängen der Sekte entkommen konnte, nicht jedoch, ohne dabei zu Schaden gekommen zu sein. Doch dieser ist nur noch ein Schatten seiner selbst, ein seelischer und psychologischer Krüppel mit irreparablen Schäden, und der Versuch Tims, etwas über die Sekte herauszufinden, endet in einem nervlichen Zusammenbruch des Mannes.

Eine weitere Adresse führt Tim zu einem ebenfalls ausgestiegenen Sektenmitglied. Auch dieser Mann reagiert panisch und denkt, dass man ihn ausschalten möchte; nur mit äußerste Vorsicht gelingt es Tim, ein wenig Zugang zu dem verstörten Mann zu finden. Doch dieser beantwortet die Fragen des Ermittlers nur zaghaft und möchte mit dieser Vereinigung nichts mehr zu tun haben. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben …

Wenige Tage später bietet der Mann Tim doch noch seine Hilfe an und berichtet, wie er zu der Sekte kam und wie eine solche Veranstaltung, die unter dem Motto „Das Programm“ organisiert ist, abläuft. Bewusstseinskontrolle wird von der Sekte und ihrem charismatischen Führer durch psychologische Erniedrigung, medikamentös durchsetzte Getränke, Schlafmangel und Temperaturdifferenzen innerhalb des Raumes erreicht. Es findet eine völlig Deprogammierung ihres Ich statt, bis man zu guter Letzt nur noch an die Grundsätze, die Gebote, das Weltbild der Sekte glaubt. Eine Marionette auf einem Spielfeld mit fest definierten Regeln.

Die labilen Menschen werden angeworben, wenn sie sich in einer persönlichen Krisensituation befinden – Beerdigungsinstitute, Jobmessen, Kennlernpartys in Kirchen, Selbsthilfegruppen usw. sind die Orte einer solchen ersten Begegnung. Die Kriterien, nach denen sie angeworben werden: Sie müssen über Geld verfügen, zugänglich sein und auch auf sexueller Basis dem „Meister“ gefallen. Leben und wohnen findet auf einer abgelegenen Farm statt, und nur auf dieser. Neue Mitglieder – so genannte „Neos“ – werden von den älteren Sektenmitgliedern kontrolliert und durch den Tag begleitet – eine völlige und gerichtete Abhängigkeit.

Tim sieht seine einzige Chance darin, dass er versuchen muss, sich selbst in diese Sekte einzuschleusen. Mit seiner neuen Identität als reicher Firmeninhaber, der gerade seine Tochter durch ein Verbrechen verloren hat, gelingt es ihm bei einem Seminar von „Das Programm“, innerhalb der Sekte für ein weiteres Kolloquium eingeladen zu werden. Bei diesen Veranstaltungen spielt er seine Rolle überzeugend und kann die psychologischen Tricks zwar durchschauen, aber da er auch psychisch durch den Tod seiner Tochter angeschlagen ist, muss er seine ganze Konzentration aufbringen, um nicht selbst und tatsächlich zum Opfer zu werden.

Leah findet er wenig später, aber trotz aller Versuche, die junge Frau mit Argumenten davon zu überzeugen, dass diese Sekte lediglich auf ihr Vermögen aus ist und kriminell handelt, lässt sie sich anfänglich nicht überzeugen. Doch aufgeweckt, wie sie ist, bekommt ihr suggestiv verabreichtes „Programm“ erste Risse. Tim offenbart sich ihr als US Marshal und schildert die Ängste und Sorgen, die ihre Eltern durchmachen, und Leah deckt Tims Identität anschließend sehr bewusst.

Tim Rackley untersucht derweil die „Ranch“, um legale Beweise zu finden, welche die Staatsanwaltschaft nutzen kann, um gegen die Sekte ermitteln zu können. Eines Tages beobachtet Tim aus der Ferne, wie eine junge Frau, die der Meister fallen gelassen hat, bettelnd vor ihm steht und damit droht, „Das Programm“ durch ihr Wissen auffliegen zu lassen. Wenig später wird sie von zwei „Beschützern“ in den Wald geführt und Schüsse fallen. Wenig später wird Tims falsche Identität entdeckt und nicht nur er, sondern auch Leah befinden sich jetzt in Lebensgefahr, denn die Sekte duldet keine „Aussteiger“ …

_Kritik_

Gregg Hurwitz hat mit seinem Thriller „Die Sekte“ (englisch „The Program“) einen imposanten und psychologisch sehr dichten Thriller verfasst. Über Sekten und ihren inneren Aufbau, ihre Motivation und, was noch wichtiger ist, ihre psychologische Vorgehensweise bei der Gewinnung neuer Mitgliedern hat der Autor authentisch und transparent beschrieben.

Es gibt sicherlich diverse Vorurteile und eine gewissen Negativbehaftung des Begriffes der Sekte, aber auch hier schafft es der Autor gekonnt und bewusst, entweder mit diesen Pauschalisierungen aufzuräumen bzw. aufzuklären. Besonders gefallen haben mir die Erklärung und Schilderung des „Eröffnungsseminars“ der Vereinigung, die suggestiven, psychologischen Mittel, um die Teilnehmer erst mental brechen und sie dann unter Mithilfe der gleichen Mittel wieder gezielt nach den Grundsätzen der Sekte aufbauen zu können. Erschreckend, wie gezielt und raffiniert so etwas organisiert sein kann.

Die Geschichte wird aus Sicht von dem Ermittler Tim Rackley und seinem Schützling, der Studentin Leah, erzählt, die er aus dem engen Netz der Sekte befreien möchte. Tim Rackleys Charakter ist dabei nachvollziehbar und sehr menschlich dargestellt. Er liegt nicht immer richtig und man merkt, dass er sich trotz seiner Ausbildung bei der Armee und der Polizei ab und an mal überschätzt. Noch schmerzt in ihm der Verlust seiner Tochter, doch in dieser Schwäche liegt auch seine ganz persönliche Stärke. Er hat keine Angst davor, sich dem Schmerz zu stellen, und zusammen mit seiner selbstbewussten Frau Dray besteht gute Hoffnung, dass er dieses Trauma übersteht. Mit jeder Faser seiner Persönlichkeit versucht er, vielleicht auch aus Schuldbewusstsein heraus, Leah ein guter Freund, ein Beschützer zu sein.

Leah hingegen wirkt in sich nicht ruhend, auch wenn sie sich selber versucht einzureden, dass die Sekte ihr neues Zuhause ist und ihr alles das geben kann, was sie in ihrem Elternhaus vermisst hat. Trotzdem kommen in ihr immer wieder Zweifel auf, und in verschiedenen Situationen merkt man ihr an, dass sie nicht ganz den Parolen und Theorien des Meisters folgen kann. Psychosomatisch wirkt dies sich bei ihr als Form eines Hautausschlags aus.

Der Spannungsbogen wird von Gregg Hurwitz gekonnt und plausibel immer weiter entwickelt. Angefangen von der theoretischen Vorgehensweise, erklärt durch den Universitätsprofessor und Experten Dr. Bedermann, bis in die persönliche Indoktrinierung hinein und zur späteren Konfrontation, die Tim Rackley bewältigen muss. Wertvoll sind auch hier die sehr negativen Erfahrungen, die von dem ehemaligen Mitglied der Sektegeschildert werden; seine Ängste bilden zusammen mit den Erklärungen von Dr. Bedermann das Grundgerüst der psychologischen Dramaturgie.

Der negative Part fällt ganz klar dem „Meister“, dem Denker und Führer der Sekte zu. Er wird sehr berechnend, aber auch mit einer intelligenten Grausamkeit ausgestattet dargestellt, die ihm einen charismatischen Charakter verleihen. Die Selbstüberschätzung ist wohl dann der große Fehler in seinem eigenen Weltanschauungssystem.

Es gibt in dem Roman keine Nebenschauplätze, keine inhaltlich unwichtigen Parallelen zur Haupthandlung. Die Story konzentriert sich hingebungsvoll auf Tim und Leah; es gibt zwar ein paar Rückblenden in die Vergangenheit von Tim Rackley und seiner Frau, die in dem Debütroman [„Die Scharfrichter“ 3295 ihre Wurzeln hat, doch ist es kein Muss, jenes Buch vor diesem gelesen zu haben.

Gregg Hurwitz verrennt sich in keinem Moment in logischen Fehlern und Lücken oder unglaubwürdigen Theorien. Auch kombiniert er den Glauben nicht mit der Botschaft der Sekte. Die Sekte ist nicht religiös, sondern nur darauf aus, die Persönlichkeit des Menschen umzuprogrammieren; ganz klar und unmittelbar wird hier Macht über den Einzelnen ausgeübt, aber es folgt keine metaphysische Drohung mit dem Fegefeuer, sondern nimmt als Bestrafung ganz andere und unmittelbarere Formen an.

_Fazit_

Für Außenstehende und Menschen, die noch keinen Kontakt zu Sekten und ihren Beweggründen hatten, birgt dieser Roman viel Interessantes und ein wenig prophylaktische Vorsicht gegenüber solchen Vereinigungen mit doch recht merkwürdig anmutenden Glaubensgebilden.

Nach [„Die Scharfrichter“ 3295 ist dies der zweite Roman mit den Figuren Tim Rackley und seiner Frau Andrea. „Die Sekte“ empfinde ich als weitaus fundierter und spannender aufgebaut als den ersten Roman. Die Charaktere haben an Stärke zugenommen, sind positiver entwickelt worden und auch die Story wirkt authentischer und eingegrenzt.

Was bleibt, ist ein sehr spannender Roman mit zudem positivem Lerneffekt. In unserer heutigen Zeit und Gesellschaft gibt es vielerlei Vereinigungen, die ähnlich strukturiert werden, wie es der Autor beschreibt; um so wichtiger ist es, dass man einen kurzen Blick hinter den Vorhang werfen kann. Abschließend kann ich den Roman bedenkenlos weiterempfehlen und freue mich schon auf eine Fortsetzung.

_Autor_

Gregg Hurwitz ist Mitte dreißig und wuchs in der Nähe von San Francisco auf. Er studierte Englisch und Psychologie an der Harvard University sowie in Oxford/Großbritannien, wo er seine Magisterarbeit über Shakespeares Tragödien schrieb. Er hat Aufsätze in akademischen Zeitschriften publiziert, Drehbücher verfasst und bereits mehrere Spannungsromane veröffentlicht, die von der US-Kritik und Schriftstellerkollegen einhellig gelobt wurden. Gregg Hurwitz lebt in Los Angeles.

http://www.knaur.de/

Jackson, Steve / Kovalic, John – Super Munchkin

_Marvel oder Munchkin?_

Nach dem durchschlagenden Erfolg der nimmer endenden „Munchkin“-Reihe schien es nur eine Frage der Zeit, bis auch das allseits beliebte und gerne durch den Kakao gezogene Superhelden-Genre von Steve Jackson sein Fett wegbekommen würde. Pünktlich zur letztjährigen Messe war es schließlich soweit: Eine der unzähligen neuen Editionen des Spiels befasste sich mit denjenigen Helden, die vor allem durch das jüngste Comic-Hoch auch hierzulande wieder ein breiteres Publikum erhalten haben – oder vielmehr mit dem, was sich hier am bestem humoristisch verarbeiten ließ. „Super Munchkin“ versammelt all die zweifelhaften Helden, ihre beispiellos freakigen Kontrahenten und all das, was garantiert noch kein Starzeichner und –autor je zu Gesicht bekommen hat. Vorhang auf für Jacksons spielerisches Äquivalent zu Marvel, DC und Co.!

_Superhelden gleich Ideallösung_

Ja, ja, die Philosophien über das wohl beste, möglicherweise perfekte „Munchkin“-Spiel haben schon so manchen Freak einige hitzige Diskussionen beschert. Regelmodifikationen sind diesbezüglich sicher kein gültiger Maßstab mehr, da prinzipiell kaum mehr einbezogen, jedoch auch nach ca. 20 Publikationen der Rollenspiel-Persiflage auch nur noch von den wenigsten erwünscht. In „Munchkin“ geht es darum, wie themenbezogene Ideen zeichnerisch gestaltet und inhaltlich umgesetzt werden, und daher liegt der Fokus auch bei „Super Munchkin“ einzig und allein darauf, inwiefern sich der Spielautor in diesem Zusammenhang mit witzigen Ideen und umwerfend komischen Illustrationen profilieren darf. Und er darf …

Alleine die vielen zweifelhaften Helden, die der Mann in dieser Edition zum Leben erweckt hat, rechtfertigen schon einen genaueren Blick ins Schachtelinnere, orientieren sie sich doch zumeist an schon bestehenden Figuren und Persönlichkeiten, die wiederum in der zeichnerischen Nachahmung kaum mehr ernst genommen werden können. Institutionen wie der F.I.S.K.U.S und die Schleimschleuder messen sich mit pflanzlichen Mutanten wie Ent-setzlich (köstlich, Tolkien wird sich im Grabe umdrehen) oder Doktor Todeshauch, während der Held der ehemaligen Sowjetunion den Kommunismus mit aller Macht propagiert. Die Hilfsmittel sind hingegen größtenteils dem klassischen Superhelden-Repertoire entnommen. Ein Allzweckgürtel sowie die schießenden Stiefel kennt man nicht zuletzt aus Batmans Schatzkiste, der Strahlenring und die Lizenz zum Verwüsten kennt man ebenfalls aus den einschlägigen Waffenkammern der Bösewichte. Fast noch witziger ist die Wahl der Handlanger ausgefallen. Voila, hier kommt der Affe im gleichen Kostüm, vielleicht sogar die gelungenste Darstellung im ganzen Spiel, die den langsam nervigen Trend bekämpft, dass auf einen Original-Helden gleich ein Dutzend verwandte Nachahmer kommen. Und wenn diese Figuren dann auch noch Vorgeschichten wie ‚In mysteriösen Energien gebadet‘ oder ‚Von radioaktivem Chihuahua gebissen‘ erzählen können, kann im Grunde genommen nichts mehr anbrennen.

Ansonsten orientiert sich der Designer der „Munchkin“-Serie fast ausschließlich am Alltagsgeschehen der weltweit bekannten und populären Multiversen. Außergewöhnliche Waffen werden teilweise sogar eins-zu-eins aufgegriffen, um die Trivialität noch deutlich herauszustellen, und diesbezüglich noch einmal mit den üblichen, bissigen Kartentexten untermalt. Dies schien indes auch erforderlich, da eine zu krasse Abgrenzung letztendlich wahrscheinlich das Thema verfehlt hätte und zudem auch der Witz mitunter auf der Strecke geblieben wäre. In diesem Sinne hat Jackson ergo den richtigen Weg eingeschlagen, ihn mithilfe seines ständigen Sidekicks John Kovalic erneut farbenfroh inszeniert und mit begeisternd ulkigen Beispielen ausgemalt. Eben so, wie wir es von Dr. Munchkin kennen und lieben.

_Persönlicher Eindruck_

Ist „Super Munchkin“ nun also die ultimative Lösung? Nun, zumindest für diejenigen Interessenten, bei denen Superman und Co. tagtäglich gastieren, scheint dies definitiv der Fall zu sein. Dabei muss noch einmal betont werden, dass der Autor dieses Mal nicht ganz so frei agieren konnte und fast schon gezwungen war, populäre Charaktere in seine Spielinterpretation mit aufzunehmen. Schließlich wäre die Würze sicherlich abgeflaut, würde man diverse alte Bekannte in „Super Munchkin“ nicht wiedertreffen. Von einer befriedigenden Lösung dieses ‚Problems‘ zu reden, wäre letztendlich jedoch noch stark untertrieben, da es dem Spielentwickler vorzüglich gelungen ist, den Balanceakt zwischen themenbezogener Persiflage und seiner persönlichen künstlerischen Freiheit angemessen zu meistern. Zudem steigt der Humor bereits nach wenigen Minuten wieder gen Siedepunkt. Originelle Klassen (u. a. Techno), feine Anti-Helden und erneut einfallsreiche Begleiterscheinungen und Hilfsmittel bereichern das Spielprinzip um einen weiteren, herrlichen Kartenschatz und die Reihe um einen neuen erfrischenden Titel. Eine Fortsetzung ist mittlerweile auch schon auf dem Markt, bei der durchgehenden Klasse aber auch mehr als verständlich. „Super Munchkin“ gehört ganz klar zu den besten Beiträgen in der endlosen Kartenspiel-Reihe!

http://www.pegasus.de/

|Siehe ergänzend dazu:|

[„Munchkin“ 3628
[„Munchkin Impossible“ 3644
[„Star Munchkin“ 3827
[„Munchkin beißt!“ 3828
[„Munchkin Cthulhu“ 3884

Danielewski, Mark Z. – Haus, Das. House of Leaves

Der junge, leichtlebige Kalifornier Johnny Truant gerät an die hinterlassenen Schriften eines verstorbenen alten Mannes namens Zampano, der im gleichen Haus wie Johnnys Kumpel Lude wohnte. Es handelt sich um eine riesige Blättersammlung, die sich mit Analysen und Interviewabschriften zu einem Dokumentarfilm mit unheimlichen Ereignissen befasst, dem „Navidson Report“. Je mehr sich Truant in diese Schriften vertieft, desto stärker wird er selber von der erschreckenden Geschichte gefangen genommen, die sich ihm darbietet.

Der Pulitzer-Preisträger Will Navidson, ein Fotograf, zieht mit seiner Freundin Karen und ihren beiden Kindern Chad und Daisy in ein altes Haus in Virginia. Die Familie erhofft sich in der ruhigen Gegend eine ländliche Idylle. Bald stellt sich heraus, dass mit dem Haus etwas nicht stimmt – denn seine Maße ergeben, dass es innen größer sein muss als außen. Das Haus scheint ein Eigenleben zu führen, es lässt Gegenstände verschwinden und verändert seine Räumlichkeiten. Navidson ruft seinen Zwillingsbruder Tom zu Hilfe und installiert Kameras, welche die Vorkommnisse dokumentieren sollen.

Wie aus dem Nichts erscheint plötzlich ein Flur, von dem niemand weiß, wohin er in die Dunkelheit führt. Navidson ist besessen von dem Gedanken, das Haus zu erforschen. Gemeinsam mit ein paar Höhlenforschern steigt er in die labyrinthische Tiefe des Korridors hinab, immer mit Kameras ausgestattet, die alles festhalten, was ihnen geschieht. Navidson und seinen Freunden steht ein Grauen bevor, das ihr aller Leben für immer verändern wird …

Ein Buch im Buch im Buch – das ist die äußerst komplexe Form, die Mark Danieleswki für seinen Kultroman, der sieben Jahre nach seinem Erscheinen in den USA nun auch in Deutschland veröffentlicht wurde, wählt. Auf (mindestens) drei Ebenen erzählt das Werk die Geschichte des Fotografen Will Navidson, zusammengestellt vom verstorbenen Zampano und überarbeitet von Johnny Truant.

|Außergewöhnliche Form|

Schon ein flüchtiges Durchblättern dieses Mammutwälzers, der trotz DIN-A-4-Format immer noch knapp 800 Seiten umfasst, zeigt, worin seine Besonderheit liegt. Es handelt sich um ein Sammelsurium verschiedener Schrifttypen und unkonventioneller Anordnungen, gespickt mit ausschweifenden Fußnoten, um den Charakter so authentisch wie möglich zu halten. Den äußeren Rahmen bildet Johnny Truants Geschichte aus der Ich-Perspektive. Er berichtet vom Fund der Schriften und kommentiert zwischendurch abschnittweise das Manuskript – und wird hin und wieder von den Herausgebern wiederum selber noch kurz kommentiert. Dem Leser werden Abhandlungen aus Interviews, Briefe, Zitate aus Sekundärliteratur und Zeitungsartikel präsentiert, fein säuberlich mit Angaben von Verfasser und Datum.

Hin und wieder stößt man auf Auslassungen im Text, die beispielsweise damit erklärt werden, dass durch Truants Verschulden manche Passagen durch Tinte geschwärzt und unleserlich wurden, oder Durchstreichungen und Korrekturen. Im Anhang sind Skizzen und Fotos beigefügt, um den Eindruck der Geschichte zu vervollständigen und sogar prominente Zeitgenossen wie Anne Rice, Stephen King, Stanley Kubrick oder Jacques Derrida melden sich angeblich zu Wort und kommentieren (fiktiv) den „Navidson-Report“, jeder in einem für sich typischen Tonfall. Erinnerungen werden wach an den Pseudo-Dokumentarfilm „Blair Witch Project“, der bei ahnungslosen Zuschauern den Eindruck einer echten Hexenjagd mit mörderischen Folgen erweckte und auch „Das Haus“ könnte uneingeweihten Lesern beinah als Tatsachenwerk verkauft werden.

|Subtiles Grauen|

Bücher über Spukhäuser gibt es zuhauf, allerdings nicht in dieser unkonventionellen Form. Wichtig ist vor allem, dass der Schrecken des Hauses und seine Ursachen hier bis zum Schluss kaum beleuchtet werden. Der Leser erfährt zwar, dass das Haus unheilvolle Veränderungen an den Menschen bewirkt und dass manch einer in seinen Tiefen verschollen bleibt, doch es gibt keine Monster, keinen greifbaren Schrecken. Es ist unklar, was das Haus eigentlich will und was es macht, was bleibt, sind die Resultate. Da ist der joviale Tom, den das Haus nach jahrelangem Kontaktabbruch wieder mit seinem Bruder zusammenführt und der seinen Einsatz für Will Navidson teuer bezahlen muss. Da ist Karen, die unter der Besessenheit ihres Freundes leidet und sich von ihm zurückzieht. Da ist der Expeditionstrupp mit dem Forscher Holloway Roberts, dem schüchternen Jed Leeder und dem abenteuerlustigen Bergsteiger Wax Hook, der zerstört wieder zurückkehrt, einer von ihnen dem Wahn verfallen und im Haus verschollen, ein anderer tot, der dritte verletzt.

Selbst Johnny Truant wird über das Manuskript hinweg in den Sog des Hauses hineingerissen. Zu Beginn ist er ein leicht abgewrackter Tattoo-Zeichner, dessen Alltag vorwiegend aus Drogen und Sex besteht. In schnodderigem Tonfall und mit grammatischen Fehlern durchflochten erzählt er sein halbseidenes Leben, das durch den Manuskriptfund auf den Kopf gestellt wird. Vor allem das Ende mit den angefügten Briefen von Johnnys Mutter, aber auch Johnnys seitenweise Abschweifungen, die sich hinterher als Lügengespinst entpuppen, fordern den Leser heraus, sich seine eigene Interpretation zu bilden. Wahrheit und Fiktion fließen ineinander, weder der verstorbene Zampano noch der unstete Johnny sind zuverlässige Herausgeber und es darf munter spekuliert werden, wie viele ihrer Hinterlassenschaften erlogen oder einem wirren Verstand zuzuschreiben sind.

|Schwere Lektüre|

Man ahnt es bereits beim Anblick des Buches: Hier ist Durchhaltevermögen gefragt. Ohne Frage hat Danielewski ein anspruchsvolles Werk erschaffen, das sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt mehr als opulent geworden ist. Der Autor jongliert mit der Sprache, dass Ullysses-Fans das Herz aufgeht, bringt Mythen und visuelle Spielereien hinein, etwa Querverbindungen zur Sage von König Minos und dem Ariadnefaden oder zu geometrischen Formen angeordnete Textspalten und Rückwärtsschrift. Das Analysematerial für den Leser ist enorm, allerdings auch anstrengend zu bewältigen. Nur wenige Sequenzen sind wirklich spannend, beispielsweise wenn die Expedition im Haus in akute Gefahr gerät oder Tom sich alleine im Zelt verschanzt und tagelang nur per Funk mit seinem Bruder und Karen kommuniziert, während sein Verstand auf eine harte Probe gestellt wird. Diese Szenen können jedoch nicht die vielen Längen, die durch ausufernde Fußnoten und Johnnys Schwafeleien entstehen, ausgleichen. Will man das Buch konsequent vollständig lesen, muss man etliche Längen in Kauf nehmen, die gewiss so manchen Leser verprellen werden. „Das Haus“ ist ein Kunstwerk voller Originalität, aber alles andere als eine konsumfreudige Schöpfung. Die eigentliche Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen, und hat man sich erst einmal an die merkwürdige Form gewöhnt, verliert sich der Reiz des Buches ein wenig. Ein weiteres Manko ist das Fehlen einer durchgängigen Bezugsperson, mit der sich der Leser identifizieren kann. Weder der obsessive Navidson noch der oberflächliche, auf Sex und Drogen versessene Johnny eignen sich dazu, die restlichen Personen kommen entweder früh um oder werden nicht intensiv genug dargestellt.

_Als Fazit_ bleibt ein äußerst komplexes Werk mit mehreren Ebenen, das sich bis in ellenlange Fußnoten hinein als Dokumentation präsentiert und sich um ein Haus voller gefährlicher Mysterien dreht. Wahrheit, Lüge und Einbildung verschwimmen ineinander und öffnen den Raum für mannigfaltige Spekulationen beim Leser, zu kurz kommen allerdings Spannung und Identifizierung mit den Charakteren. Ein schwer zu konsumierendes und gleichzeitig höchst originelles Buch für geduldige Leser.

_Der Autor_ Mark Z. Danielewski, Jahrgang 1966, ist Sohn eines polnischen Filmregisseurs. Er studierte Englische Literatur in Yale und arbeitete danach im Film- und Verlagswesen. An seinem Debütwerk „Das Haus“ arbeitete er zehn Jahre lang, ehe es 2000 in den USA erschien und dort schnell zum Kultroman aufstieg. Sein zweites Buch, „Only Revolutions“, ist bisher nicht auf Deutsch erscheinen.

http://www.hobbitpresse.de
http://www.danielewski.de/

|Ergänzend dazu:|
[Bericht zur Lesung und erste Eindrücke zum Autor und seinem Werk]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=84

Doctorow, Cory – Backup

_Das Internet und seine Kinder._

Cory Doctorow ist eines davon, immer auf dem aktuellen Stand der Technik, in zahlreichen Weblogs unterwegs, Mitverantwortlicher von vielen Infoboards und nach eigenen Worten sehr findig darin, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, um seinen eigenen (Verkaufs-)Profit via kostenlos verteilter eBooks zu optimieren. Desweiteren ist er Journalist und hat in Kanada das Licht der Welt erblickt.

Bücher hat er bisher vier veröffentlicht: die Kurzgeschichtensammlung „A Place so foreign and Eight more“, den aktuellen Roman „Someone comes to Town, Someone leaves Town“ (2005), „Eastern Standard Tribe“ (2004) und „Down and out in the Magic Kingdom“ (2003), welches als einziges übersetzt wurde und als „Backup“ vor mir liegt.

_Woppel, Disney und Unsterblichkeit._

Julius, der Ich-Erzähler, geleitet den Leser in eine nicht allzu ferne Zukunft, irgendwo im 22. Jahrhundert. Es gibt keinen Tod mehr, die Menschen sind interaktive Multimedia-Stationen, die sich allerorten ein Backup machen können, eine Kopie ihres gesamten Erfahrungs- und Erinnerungsschatzes, die schlicht und einfach in einen neuen Klon-Körper geladen wird, sollte dem aktuellen Körper irgendeine Scheußlichkeit zustoßen. Krankheiten haben ihren Schrecken verloren, dem dahinsiechenden Körper wird einen Todesspritze verpasst und schon erwacht man am nächsten morgen in einem taufrischen Klon seiner selbst. Langeweile ist die schlimmste Geißel dieser Zeit, aber auch dem kann Abhilfe verschafft werden: Wer des Lebens überdrüssig geworden ist, kann entweder im Kälteschlaf darauf warten, bis interessantere Zeiten angebrochen sind, oder sich einfach die finale Spritze reinjagen lassen.

Das allerdings kommt selten vor, die Menschheit lebt nämlich in einer Zeit des Überflusses, Energie und Nahrung sind keine Mangelware mehr und deswegen wurde auch das Finanzwesen abgeschafft und so etwas wie Armut gibt es nicht mehr. Die einzige Währung, die zählt, ist der Ruf, den man genießt, gemessen in sogenannten „Woppel“. Da jeder Mensch ja eine wandelnde Multimediastation ist, kann man die Woppel seiner Mitmenschen ständig abrufen und man behandelt sein Gegenüber dann auch gemäß dieses Woppelstandes.

Organisiert ist die Gesellschaft jener Zukunft über kleine Interessengruppen, sogenannte Ad-hocs, die jeweils ihre eigene Hierarchie haben. Julius jedenfalls ist Teil eines solchen Ad-hoc, das sich in Disneyland befindet und sich samt und sonders dem „Spukschloss“ verschrieben hat. Alles läuft wunderbar, Julius (über 100 Jahre Lebensalter) lebt in einer glücklichen Beziehung mit seiner Freundin Lil (gerade mal 20 Jahre Lebensalter) und beide widmen sich voller Inbrunst der Optimierung des Spukschlosses und verfügen über einen ordentlichen Woppel-Stand.

Am Anfang der Geschichte beginnt dieses Glück allerdings zu bröckeln. Julius‘ Kumpel Dan steht plötzlich auf der Matte, einstiger Woppelmillionär und Lebenskünstler, aus irgendwelchen Gründen hat er jedoch sein komplettes Ansehen verspielt. Aber damit nicht genug, jemand hat ein Attentat auf Julius ausgeübt, ihn umgebracht, und die Indizien deuten auf die Ad-hoc-Gruppe einer gewissen Debra. Debras Lebensziel scheint es zu sein, ganz Disney World zu übernehmen, und selbstverständlich ist das Spukhaus ein besonders leckerer Happen; da Julius ihr schon immer dabei im Weg stand, sich diesen einzuverleiben, liegt es nahe, dass sie sein Ableben beabsichtigt hat.

Julius steigert sich immer übler in diesen Verdacht hinein, er geht Wagnisse ein, entwickelt eine regelrechte Paranoia und zettelt einen Krieg gegen Debra an, der weder seiner Freundschaft zuträglich ist noch seiner Beziehung noch seinen Woppel. Als er einen Sabotageakt gegen Debras „Halle der Präsidenten“ zu verüben versucht, schießt es ihm plötzlich die Lichter aus, die Multimediaschnittstelle im Hirn versagt ihm kurzzeitig den Dienst und plötzlich befindet er sich wieder in der technologischen Steinzeit …

_William Gibson und die Inflation._

Auf dem Klappentext prangt es: „Der beste Debüt-Roman seit William Gibsons Neuromancer“, so behautet es jedenfalls der |Austin Chronicle| und löst damit selbstverständlich erst mal eine gewaltige Prise Skepsis aus. So beeindruckend wie [„Neuromancer“? 521 So gut wie ein Roman, der 1987 auf einer mechanischen Schreibmaschine geschrieben wurde, der ein ganzes Genre begründete, noch heute Autoren aller Altersklassen beeinflusst und kein bisschen von seiner visionären Kraft verloren hat? Mal ehrlich, welcher Leser lässt sich von derartigen Übertreibungen noch hinter dem Ofen hervorlocken? Einen Cent für jeden Roman, der von größenwahnsinnigen Werbeleuten als das „nächste große Ding nach Tolkien“ verkündet wurde, und ich könnte meinen Brotjob an den Nagel hängen.

Also, liebe(r) Leser(in), natürlich ist „Backup“ nicht so beeindruckend wie Gibsons „Neuromancer“, aber das hat wohl auch keiner wirklich erwartet, oder? Im Gegenteil, das futuristische Setting ist relativ klassisch und die entscheidende Idee von der Unsterblichkeit via „Backups“ hat Richard Morgan in seinem [„Unsterblichkeitsprogramm“ 464 bereits wesentlich praller, bunter und abgefahrener umgesetzt, als es Doctorow in „Backup“ tut.

Das Buch deswegen zu schmähen, wäre dennoch nicht gerecht, denn unterhaltsam ist „Backup“ allemal. Es hat schon was, einem besessenen Disney-Fanatiker dabei zuzusehen, wie er sein gesamtes Lebensglück von einer Themenpark-Attraktion abhängig macht, wie er einen Krieg anfängt und alle möglichen Tricks anwendet, um sich „Woppel“ zu organisieren. Man fiebert auch mit Julius mit, wenn er sich mal wieder einen richtig riskanten Schachzug ausgeklügelt hat und ihn durchziehen will, man kann sich geradezu ausmalen, welche Auswirkungen ein Fehlschlag haben wird.

Auch hat Doctorow mit Julius die richtige Erzählperspektive gewählt; mit locker ironischem Ton führt er den Leser durch die „Bitchun-Society“ jener Zukunft und bringt ihm die Feinheiten dieser Welt sehr unterhaltsam nahe. Die Erzählperspektive sorgt dabei für Spannung, weil sie sich auf Julius beschränkt und dem Leser ausschließlich dessen paranoide Wahrnehmung übermittelt. Ständig fragt man sich, wie viel dran ist an dieser Wahrnehmung, immerhin könnte es auch sein, dass Julius‘ Freunde Recht damit haben, dass Julius einfach spinnt.

Aber über ‚unterhaltsam‘ geht das Ganze dann doch nicht wirklich hinaus; nach 285 Seiten hat man einfach das Gefühl, einen interessanten Blick geworfen zu haben in das interessante Leben einer interessanten Person in einer interessanten Zukunft. Klar, die Geschichte der Hauptfigur ist spannend, auch sein Kampf um das Spukhaus, um seine Beziehung und um seine Woppel nehmen den Leser gefangen. Trotzdem habe ich etwas Größeres erwartet als diesen Streifzug durch ein Lebenskapitel von Julius, nicht nur, weil mich der Klappentext mit „Neuromancer“ gelockt hat. Mir persönlich fehlt hier das faszinierende Element, das wirklich Visionäre. „Backup“ ist ein kluges soziologisches Gedankenexperiment, zeigt die Zukunft aber hauptsächlich im Mikrokosmos von Disney World. Wie die Welt außerhalb dieses Mikrokosmos aussieht, wird nur angerissen, und das meiste bleibt der Fantasie des Lesers überlassen. Um es also auf den Punkt zu bringen: „Backup“ ist unterhaltsam und spannend, aber keine Pflichtlektüre.

|Originaltitel: Down and out in the Magic Kingdom, 2003
287 Seiten
Aus dem US-Englischen von Michael K. Iwoleit|
http://www.heyne.de

Robert Charles Wilson – Darwinia

Das geschieht:

Im März 1912 ereignet sich das „Wunder“: Der Kontinent Europa verliert sein bekanntes Gesicht. Während die Topografie erhalten bleibt und alle Flüsse oder Berge noch dort zu finden sind, wo man sie seit jeher kannte, verschwinden Tiere, Pflanzen und Menschen spurlos. Die Städte, Industrielandschaften oder Felder Europas werden ersetzt durch eine bizarre, außerirdische Wildnis, bevölkert von seltsamen, meist sechsbeinigen und in der Regel giftigen Kreaturen.

„Darwinia“ wird das neue Land genannt; ein halb spöttischer Versuch, jenes auf seine Weise völlig ausgewachsen aus dem Nichts entstandene Land zu begreifen, das Charles Darwins epochale, gerade erst halbwegs akzeptierte Lehre von der allmählichen Entstehung und evolutionären Veränderung der Arten Lügen zu strafen scheint. So ist denn auch der alte, halb wissenschaftliche, halb religiöse Streit zwischen den Darwinisten und den „Naochiten“, nach deren Überzeugung Darwinia wie einst die Welt überhaupt in einem einzigen Schöpfungsakt entstand und sich seither nicht mehr verändert hat, wieder aufgeflammt. Die Evolution wird bestritten, Fossilien gelten als göttliche Spielerei, und da die Naochiten nicht nur über eine kopfstarke Anhängerschar verfügen, sondern die Darwinisten fanatisch verfolgen, droht die Forschung auf ein totes Gleis zu geraten.

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