Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

John Sinclair – Die Teufelsuhr (Folge 45)

Kreisch! Die Großvateruhr ist des Teufels!

Um 1908 beerdigen die Männer des Dorfes Miltonbury drei Kinder und einen Mann in ungeweihter Erde unter eine Eiche, die hinter einem Herrenhaus liegt. Die Zeit deckte den Mantel des Vergessens über den seltsamen Vorgang. Bald weiß niemand mehr von der Lage der Gräber, doch die Familie des Bürgermeisters wahrt das Geheimnis ihrer Existenz. 2008: Hundert Jahre später zeigt sich, dass der Fluch auf dem herrenhaus, dem die Dörfler nur munkelten, existiert und seine ersten blutigen Opfer fordert – die Kinder und der Mann kehren zurück, gerufen von einer Teufelsuhr im Haus…
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Frederik Pohl – Mensch+. SF-Roman

Der betrogene Marsianer

Die einzige Hoffnung auf ein Überleben des Menschen besteht darin, eine Kolonie auf dem Mars zu errichten, bevor er die Erde vollends vernichtet hat. Doch es zeigt sich: Wenn er auf dem unwirtlichen Nachbarplaneten überleben will, ohne ständig auf Hilfsmittel angewiesen zu sein, muss er auf wesentliche Teile seines Menschseins verzichten und ein anderes Lebewesen werden, ein biotechnisch angepasstes Kunstgeschöpf.

Roger Torraway ist das erste erfolgreiche Produkt des Mensch+-Programms. Man hat ihn seiner Männlichkeit beraubt und ihm ein Set neuer Sinnesorgane eingebaut. Er hat äußerlich nur noch wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen, aber innerlich – und das ist sein Dilemma – ist er durch und durch Mensch, vor allem ein normal fühlender Mann geblieben. (Verlagsinfo)
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Brian Herbert & Kevin J. Anderson – Navigators of DUNE. Book 3 of the Schools of Dune / Die Navigatoren des Wüstenplaneten

Das DUNE-Universum: Kampf der Navigatoren

Über Jahrtausende hat sich die Menschheit im All ausgebreitet und Planeten besiedelt. Nun, da der Krieg gegen die Maschinen gewonnen ist und ein neues Imperium gegründet wurde, hängt die Zukunft der Galaxis von den Navigatoren ab – genmanipulierten Menschen, die mithilfe des Gewürzes vom Wüstenplaneten gewaltige Raumschiffe durchs All manövrieren. (Verlagsinfo)

Hinweis: Diese Rezension beruht auf der englischsprachigen Originalausgabe.

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Volker Pesch – Der letzte Grund. Rostock-Krimi

Psychologischer Krimi aus Rostock

Ein versenktes Schiff, ein verschwundenes Gemälde und Spuren in die Vergangenheit. Das gesunkene Traditionsschiff Sansibar ist eigentlich kein Fall für die Mordkommission, doch unter Deck liegt eine Leiche. Handelt es sich dabei um den vermissten Bootsmann? Während die Leiche noch geborgen wird, beginnt Hauptkommissarin Doro Weskamp die Ermittlungen. Zunächst scheint die geplante Teilnahme des Seglers and der „Hanse Sail“ ein Motiv zu sein. Wollte die jemand verhindern?

Der Autor
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Arne Dahl – Rosenrot. Ein A-Team-Krimi

Dag Lundmark war Leiter einer rasch und effektiv durchgeführten Razzia. Der illegale Einwanderer Winston Modisane musste dabei sterben – aber war der Tod des Südafrikaners wirklich unvermeidlich? Paul Hjelm und Kerstin Holm vom A-Team ermitteln in einem Fall, der mehr mit ihnen selbst zu tun hat, als sie wahrhaben wollen. (Verlagsinfo)

Der Autor

Arne Dahl, geboren 1963, ist das Pseudonym des schwedischen Krimiautors Jan Arnald, der für jene schwedische Akademie arbeitet, die alljährlich die Nobelpreise vergibt. Seine Romane um Inspektor Paul Hjelm werden laut Verlag von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. 2004 wurde er mit dem wichtigsten dänischen Krimipreis ausgezeichnet, dem „Pelle-Rosenkrantz-Preis“. Mehr Infos unter http://www.arnedahl.net

Die A-Team-Krimis in chronologischer Reihenfolge:

A-Gruppe-Reihe (Intercrime series)

01 Misterioso, 1999.
Misterioso, dt. von Maike Dörries, München: Piper 2003, ISBN 3-492-23992-7
(Handlungsbezogen ist Misterioso der erste Fall der A-Gruppe)

02 Ont blod, 1998.
Böses Blut, dt. von Wolfgang Butt, München: Piper 2004, ISBN 3-492-24285-5.

03 Upp till toppen av berget, 2000.
Falsche Opfer, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2005, ISBN 3-492-27068-9.

04 Europa blues, 2001.
Tiefer Schmerz, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2005, ISBN 3-492-04714-9.

05 De största vatten, 2002.
==> Rosenrot, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2006, ISBN 3-492-04809-9.

06 En midsommarnattsdröm, 2003.
Ungeschoren, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2007, ISBN 978-3-492-04878-1.

07 Dödsmässa, 2004.
Totenmesse, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2009, ISBN 978-3-492-05018-0.

08 Mörkertal, 2005.
Dunkelziffer, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2010, ISBN 978-3-492-05350-1.

09 Efterskalv, 2006.
Opferzahl, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2011, ISBN 978-3-492-04968-9.

10 Himmelsöga, 2007.
Bußestunde, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2013, ISBN 978-3-492-04969-6.

11 Elva, 2008. (eigenständiger Roman mit den Charakteren der Intercrime series)
Der elfte Gast, dt. von Wolfgang Butt. Piper, München 2015, ISBN 978-3-492-30760-4.

Opcop-Reihe

Viskleken, 2011.
Gier, dt. von Antje Rieck-Blankenburg. Piper, München 2012, ISBN 978-3-492-05305-1.

Hela havet stormar, 2012.
Zorn, dt. von Antje Rieck-Blankenburg. Piper, München 2013, ISBN 978-3-492-05306-8.

Blindbock, 2013.
Neid, dt. von Kerstin Schöps. Piper, München 2014, ISBN 978-3-492-05537-6.

Sista paret ut, 2014.
Hass, dt. von Kerstin Schöps. Piper, München 2015, ISBN 978-3-492-05538-3.

Sam-Berger- und Molly-Blom-Reihe

Utmarker. Albert Bonniers Förlag, Stockholm 2016, ISBN 978-91-0-015497-4
Sieben minus eins, dt. von Kerstin Schöps, München: Piper 2016, ISBN 978-3-492-05770-7.

Inland. Albert Bonniers Förlag, Stockholm 2017, ISBN 978-91-0-016225-2
Sechs mal zwei, dt. von Kerstin Schöps. Piper, München 2017, ISBN 978-3-492-05811-7.

Mittvatten. Albert Bonniers, Stockholm 2017, ISBN 978-91-0-016236-8
Fünf plus drei, dt. von Ursel Allenstein. Piper, München 2018, ISBN 978-3-492-05812-4.

Friheten. Albert Bonniers, Stockholm 2020, ISBN 978-91-0-018257-1
Vier durch vier, dt. von Wibke Kuhn. Piper, München 2020, ISBN 978-3-492-05928-2.

Andere

Das dritte Auge. Hörbuch auf CD, dt. von Gabriele Haefs. Der Hörverlag, München 2005, ISBN 3-89940-608-7.
Übermacht. in Över gränsen. Albert Bonniers Förlag, Stockholm 2006 (Über Grenzen: Kriminalgeschichten aus Schweden von Arne Dahl, Åsa Larsson, Håkan Nesser u. a., dt. von Gabriele Haefs und Christel Hildebrandt. btb, München 2007, ISBN 978-3-442-73645-4)

Als Jan Arnald

Chiosmassakern, Albert Bonniers Förlag 1990.
Nalkanden, Albert Bonniers Förlag 1992.
Genrernas tyranni, 1995.
3 variationer, 1996.
Klä i ord, Albert Bonniers Förlag 1997.
Barbarer, Albert Bonniers Förlag 2001.
Maria och Artur, 2006.

Maria und Artur: Roman einer Schriftstellerliebe. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Piper Verlag, München 2008, ISBN 978-3-492-05108-8.

Intimus, 2010.
Der weiße Roman. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Piper Verlag, München 2011, ISBN 978-3-492-05432-4.

(Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Der Fall A

Dies ist die Ausgangsszene. Eines Morgens dringen schwer bewaffnete schwedische Polizisten in die Wohngemeinschaft von fünf schwarzen Asylbewerbern, die abgeschoben werden sollen, ein. Sie können vier der fünf sofort am Boden festnageln, doch der fünfte Asylbewerber, Winston Modisane aus Südafrika, wird von Polizist Dag Lundmark – seine Kollegen nennen ihn Dagge – ins Schlafzimmer gedrängt, wo das Fenster immer offensteht. Kaum dreht sich Dagge um, ergreift Modisane die günstige Gelegenheit und steigt aus dem Fenster zur Brandleiter. Er erklimmt sie und steigt aufs Dach, um von dort den üblichen Fluchtweg ins Dachgeschoss zu nehmen. Doch heute ist die Tür seltsamerweise versperrt. Er gibt keinen Ausweg. Modisane dreht sich um und hält eine Computerdiskette hoch. Dann wird der unbewaffnete Mann mit einem einzigen Schuss hingerichtet.

Diese Aktion hat nicht nur ein Nachspiel, sondern eine ganze Menge. Paul Hjelm und Kerstin Holm sind Kriminalpolizisten in Stockholm. Als Angehörige der A-Gruppe zur Ermittlung in Verbrechen mit internationalem Charakter schalten sie sich ein. Und im Fall des erschossenen Asylbewerbers haben sie sich natürlich einzuschalten. Ihr Chef ist Jan-Olov Hultin, der sich wie ein Oberlehrer aufführt. Als er sie zu sich zitiert, steht bei ihm der Chef der Inneren Abteilung, Niklas Grundström. Die Dienstaufsicht? Haben sie etwas ausgefressen, fragen sich Hjelm und Holm, die früher mal ein intimes Verhältnis hatten.

Grundström sucht Nachwuchskommissare. Er will, dass sich Hjelm und Holm bewerben. Sie können sich bewähren, am besten sofort, indem sie den Fall Modisane übernehmen. Als Holm jedoch den Namen des Schützen hört, erstarrt sie: Dag Lundmark war bis vor sieben Jahren – von 1992 bis 1994 – ihr fester Freund. Doch sie trennte sich von ihm, woraufhin er dem Alkohol verfiel. Er musste eine Entziehungskur machen, aus der er erst vor zwei Monaten entlassen wurde. Die Polizei in einem Stadtteil nahm ihn wieder auf – mit den bekannten Folgen. Holm erklärt sich für befangen und lehnt den Auftrag ab.

Doch sie lässt sich breitschlagen, dass Befangenheit nicht gegeben sei, und geht mit Hjelm ins Vernehmungszimmer. Dort sitzt bereits Dag und begrüßt seine Ex mit zynisch-schmeichelnden Worten. Doch seine weiteren Worte sind seltsam. In der späteren Auswertung des Überwachungsvideos wird deutlich, dass er eigentlich gar nicht mit Holm und Hjelm redet, sondern mit den zwei Männern hinter dem Einwegspiegel: mit Hultin und Grundström. Wieso?

Seine Angaben müssen selbstverständlich überprüft und mit den Aussagen der vier anderen Polizisten verglichen werden. Also: Modisane flüchtete plötzlich und Lundmark folgte ihm bis aufs Dach des Hauses. Dort zog der Flüchtige eine Pistole Marke Weylander und zielte auf Lundmark. Dieser schoss sofort in Notwehr und traf Modisane tödlich. Saubere Sache.

Holm wendet ein: Aber gehörte die Weylander nicht möglicherweise Lundmark? Woher sollte der Südafrikaner eine so teure Pistole haben? Sie glaubt, Lundmark habe eine illegale Waffe in die Hand seines Opfers gelegt. Und überhaupt: Warum blieb Modisane denn stehen, statt zu flüchten? Doch Lundmark erinnert Kerstin lediglich an die Inschrift in ihrem Verlobungsring, denn sie immer noch trägt: Viele Wasser können die Liebe nicht löschen – ein Zitat aus dem Hohelied Salomos. Sie wird unsicher. Als Lundmark fragt, ob man ihn festhält oder ihn dem Staatsanwalt übergibt, verneint sie. Er kann gehen. Doch Lundmark taucht unter. Er hat noch viel vor …

Im Nachhinein entdecken die Ermittler des A-Teams, dass rein gar nichts an den Angaben zum Tathergang stimmt. Die Notwehr war kaltblütiger Mord, Lundmark handelte im Auftrag eines wichtigen Pharmaunternehmens, und die Asylbewerber sind natürlich auch keine. Zu Modisane erhalten Holm und Hjelm nicht einmal Lebensdaten. Ja, der Tipp für den Einsatz kam nicht einmal von der Migrationsbehörde, sondern von einem Tonband! Der Fall wird immer rätselhafter. Unterdessen wächst Kerstins Nervosität, und sie dreht manisch an ihrem Verlobungsring: Sie fühlt etwas wie ein Schwarzes Loch auf sich zukommen, gesteht sie Paul, und bittet ihn, sie in der Not keinesfalls im Stich zu lassen. Besorgt schwört er.

Der Fall B

Ein zweiter Fall scheint nichts mit Modisane und Lundmark zu tun zu haben. Im gleichen Stadtteil wird ein stinkender Einbrecher aufgegriffen. Björn Hagmann stinkt unverkennbar nach Leiche. Nach Zusicherung eines Schlupflochs führt er Arto Söderstedt und Viggo Norlander vom A-Team in die Wohnung von Ola Ragnarsson. Dort finden sie einen Abschiedsbrief vor, doch wie sich herausstellt, wurde der Mann vor zwei Wochen mit Rattengift ermordet. Sie flüchten vor dem Gestank und den wimmelnden Maden ins Freie. Der Einbrecher nutzt die einmalige Chance und verschwindet.

Der Fall C

In seinem Abschiedsbrief gibt sich Ragnarsson als Serienmörder aus. Er habe auf einem Acker in Schonen, Südschweden, seine Opfer vergraben. Die Beamten werden nach einigem Suchen fündig. In schwarzen Plastiksäcken finden sie die sterblichen Überreste eines lokalen Bauernpaars, das seit Wochen im Urlaub geglaubt wird. Doch wo ist ihr Adoptivsohn, der siebenjährige Anders Sjöberg?

Die drei Fälle

… hängen alle auf eine Weise miteinander zusammen, die sich die Ermittler der A-Gruppe nicht hätten träumen lassen. Kerstin Holm hat immer stärker das Gefühl, dass das Schwarze Loch kurz davor ist, sie zu verschlingen. Sie ahnt nicht, dass es nicht nur um sie geht, sondern um ihre gesamte Abteilung.

Mein Eindruck

Selten bin ich auf einen derart verzwickt ausgetüftelten Krimi gestoßen – allenfalls bei Meistern wie Michael Connelly. Drei scheinbar völlig verschiedene Fälle werden aufs Engste miteinander verknüpft und zu einem immer dichteren Geflecht von bösen Vorahnungen und unheilvollen Vorausverweisen verwoben – Kerstins „Schwarzes Loch“. Schon lange vor dem Finale ist mir daher angst und bange geworden, was da wohl auf Kerstin Holm zukommen könnte. Doch dann setzt der Autor noch einen drauf, indem er die Bedrohung auf die gesamte Belegschaft der A-Gruppe ausdehnt, inklusive der schwangeren Sara Svenhagen.

Anders als der Anfang vermuten lässt, geht es nicht um Asylbewerber und wie sie von skrupellosen Geschäftemachern ausgebeutet werden. Dieses Thema hat schon Ian Rankin in seinem Krimi „So soll er sterben“ (Fleshmarket Close) zur Genüge beackert, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich hoffe, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass zwei der Asylbewerber als Industriespione nach Schweden gekommen sind. Doch ihre Spionage dient einem guten und hehren Zweck: Sie wollen ein eigenes Anti-Aids-Medikament produzieren, einen HIV-Blocker. Damit soll die extrem hohe Infektionsrate in Südafrika gesenkt werden. Ob es ihnen wohl gelingt? Es wäre ihnen zu wünschen.

Dieses Vorhaben hat nur sehr am Rande mit dem zu tun, was Dag Lundmark mit seiner Ex Kerstin Holm und ihrem Team vorhat. Es ist ein Mittel zum Zweck, um sie in seine Falle zu locken. Doch halt! Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Kerstin zu seinem Fall hinzugezogen wurde? Schuld daran ist nämlich Grundström. Und auf diesen hat es Lundmark möglicherweise abgesehen. Ich hätte erwartet, dass mindestens Grundström, wenn nicht sogar Hultin mordsmäßig Dreck am Stecken haben, wie man es zuweilen bei Rankin vorfindet. Doch leider läuft dieser Verdacht ins Leere. Diesen führungskritischen Ansatz fand ich ziemlich unbefriedigend umgesetzt. Nur einer in der polizeilichen Führungsetage findet den Tod, aber nicht in Stockholm.

|Ekel und Blut|

Bei ihren Ermittlungen stoßen Arto, Viggo, Jorge und Gunnar nicht nur auf halbflüssige Leichen, die vor Maden wimmeln. Auch Leichen in Plastiksäcken schrecken sie nicht so sehr, wie es ein abgeschlagener Kopf tut, der von der Türkante auf den werten Polizistenschädel kullert. Jorge hätte sich fast eingemacht, doch Gunnar kann ihn gerade noch beruhigen. Dieser Schädel blutet zwar, doch er beißt nicht.

|Botschaften|

Ganz im Gegenteil: Der Schädel trägt eine Botschaft – eine Zigarrenhülle steckt in der Kehle. Und wieder einmal hat der Killer, der sie an der Nase herumführt, ein Bibelzitat als Botschaft an seine Verfolger hinterlassen. Zum Glück gibt es ein paar Leute in der A-Gruppe, die genügend bibelfest sind, um die Hinweise zu entschlüsseln und auf die Psyche des Killers ein Licht zu werfen. Der Autor kann es sich nicht verkneifen, von einem netten, kleinen Bibelseminar zu sprechen.

|Humor|

Überhaupt macht er sich ein Späßchen daraus, wo immer nur möglich Aspekte des Humors und der Ironie aus seinen Szenen und Figurenbeschreibungen herauszukitzeln. Solche Humorblitze lockern die ansonsten recht düstere und beklommene Gefühlslandschaft der A-Truppe etwas auf. Im Finale legt der Autor einige makabre Aspekte an den Tag, und spätestens hier schlägt der Humor um in Bitterkeit . Das tut der Spannung aber keinen Abbruch, sondern hilft, den Leser abzulenken. Dann trifft ihn die Wucht der Bedrohung umso härter – genauso wie es den Helden der A-Gruppe ergeht.

Reichlich fragwürdig finde ich den Kniff des Autors, den Showdown mit dem Morgen des 11. September 2001 zeitlich zusammenfallen zu lassen. Die Bilder aus dem Fernseher sind so albtraumhaft, dass der Killer fragt: !Ist das echt?! Die gleiche Frage könnte man ihm stellen. Ob diese Verbindung im moralischen Sinne legitim ist, bezweifle ich. Aber die Parallele dürfte den Leser wie ein Tiefschlag treffen.

Unterm Strich

„Rosenrot“ ist ein sehr unterhaltsamer Krimi, der zwar realitätsnah erzählt wird, aber doch mit einer umso ausgetüftelteren Storyline bis zum Finale für Spannung sorgt. Splattereffekte haben ebenso ihren Platz wie der Psychohorror, der sich in Kerstin Holm entwickelt. Humoristisch-ironische Szenen sorgen für ein entspannendes Element.

Unbefriedigend sind lediglich die abgedroschenen Bibelzitate und die fehlende Darstellung der Schuld der Verantwortlichen. Auch die Parallele zum 11. September ist nicht ohne Weiteres hinzunehmen. Für mich steht jedoch fest, dass ich auch Dahls andere Krimis gerne lesen werde.

Der Autor bringt seinen Figuren spürbar Sympathie entgegen, und dieses Verständnis gilt auch für den oder die Schurken im Stück. Denn was ist es, was einen Menschen „böse“ macht? Es ist bei Dahl manchmal reine Ansichtssache. Und so kommen zwar Einbrecher recht ungeschoren davon, aber der Killer nicht. Es ist keine Schwarzweißwelt, die Dahl zeichnet, sondern eine mit vielen Grauzonen und fließenden Übergängen. Genau deshalb ist sie so interessant.

Taschenbuch: 399 Seiten
Originaltitel: De största vatten (2002)
Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt
ISBN-13: 978-3492048095

http://www.piper.de

Clive Barker – Das sechste Buch des Blutes. Horror-Erzählungen

Der Tod ist auch nicht mehr, was er mal war

„Mit diesen fünf Erzählungen setzt Clive Barker den Schlussstein zu seiner Anthologie des Grauens. Wieder schafft er eine Gegenwelt, die nur vordergründig aus Zombies, Geistern und Ungeheuern besteht, eine Welt, in der die Grenzen des Vorstellbaren aufgehoben sind und alle verborgenen Ängste, Begierden und Phantasien des Monsters Gestalt annehmen.“ (Verlagsinfo)

1. Das Leben des Todes
2. Wie Schänder bluten
3. Festungsdämmerung
4. Die letzte Illusion
5. Das Buch des Blutes (Postskriptum) Auf der Jerusalem Street

Der Autor

Clive Barker, 1952 in Liverpool geboren, ist der Autor von bislang 18 Büchern, darunter die sechs „Bücher des Blutes“. Sein erstes Buch für Kinder trägt den Titel „The Thief of Always“ (Das Haus der verschwundenen Jahre). Er ist darüber hinaus ein bekannter bildender Künstler, Filmproduzent und -regisseur („Hellraiser 1“) sowie Computerspiel-Designer. Er lebt in Beverly Hills, Kalifornien, mit seinem Lebenspartner, dem Fotografen David Armstrong, und ihrer Tochter Nicole.
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Beckett, Simon – Obsession (Lesung)

_Die Entdeckung der Anderen: Grauen und Erotik_

Als seine Frau plötzlich stirbt, ist Ben Murray am Boden zerstört. Allein Sarahs autistischer Sohn Jacob spendet ihm Trost. Aber als er die Schränke der Verblichenen ausräumt, macht Ben eine merkwürdige Entdeckung: Jacob war gar nicht Sarahs Kind, sondern wurde von ihr nach einer Fehlgeburt aus dem Krankenhaus geraubt. Sarahs Hebamme bestätigt dies. Fassungslos macht sich Ben auf die Suche nach Jacobs leiblichen Eltern – doch der Vater ist genauso von Jacob besessen wie Ben selbst …

_Der Autor_

Simon Beckett studierte Anglistik und arbeitet seit 1992 als freier Journalist. Seine Reportagen dienten ihm zum Teil als Grundlage für den Thriller „Die Chemie des Todes“. Insbesondere seine Recherchen auf der so genannten |Body Farm|, dem forensischen Trainingslager des FBI, flossen in diesen Roman mit ein. Beckett lebt mit seiner Frau in Sheffield, wo er 1968 auch geboren wurde.

Weitere Beckett-Romane:

– [Die Chemie des Todes 2355
– [Kalte Asche 4205
– [Leichenblässe 5625

_Der Sprecher_

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der auch den Text kürzte, den Ton steuerte Tobias Pfister.

_Handlung_

Erst bringt Ben Murray seinen sechsjährigen Stiefsohn Jacob zu Bett, dann kehrt er in das nunmehr leere Schlafzimmer zurück. Er trauert um seine geliebte Frau Sarah, der vor kurzem beerdigt hat. Sie starb an einem Aneurysma, einem Hirnschlag. Am nächsten Tag holt Tessa, die Frau seines besten Freundes Keith, Jacob ab, um ihn zur Schule für Autisten zu bringen. Jacob ist ein besonderes Kind, das auf besonderer Behandlung besteht. Ben liebt ihn genauso, wie Sarah es getan hat. Umso härter trifft es ihn, als er entdeckt, dass Sarah ein Geheimnis hatte.

Als Ben Sarahs Kleiderschrank und Frisierkommode aufräumt, stößt er auf eine alte Metallkassette. Der Schlüssel findet sich unter Sarahs Schmuck. In der Kassette liegt nicht nur Jacobs Geburtsurkunde, sondern auch ein Stapel Zeitungsausschnitte. Sie bilden eine Serie von Artikeln aus der „Daily Mail“, die Sarah noch nie gelesen hat. Darin ist von einem Baby die Rede, das vor sechs Jahren im März aus einer Geburtsklinik verschwunden ist. Die Serie beginnt mit Jacobs Geburtstag. Ben stockt der Atem. Könnte Jacob gemeint sein? Aber die Rede ist von einem Stephen Cole, Sohn von John und Janet Cole. John sei ein Veteran des Golfkrieges. Die Coles rufen zur Rückgabe ihres Kindes auf, ihre Gesichter sind von Leid verzerrt.

Ben stürzt mit einer Panikattacke aus dem Zimmer. Er ist versucht, die Artikel zu verbrennen. Sarah hat ihm erzählt, Jacob sei der Sohn ihres ersten Freundes Miles. Sie war immer so froh über ihr Kind. Sollte sie es wirklich geraubt haben? Undenkbar! Obwohl kurz vor Jacobs viertem Geburstag Autismus festgestellt wurde, machte Ben Sarah einen Heiratsantrag, den sie annahm. Da ruft Geoffrey an, Sarahs Vater. Er berichtet, dass Jacob eigentlich sechs Wochen zu früh auf die Welt kam, aber bei der Geburt schon ein ordentliches Gewicht auf die Waage brachte: sechs Pfund immerhin.

Um diesen Widerspruch aufzulösen, besucht Ben Jessica, Sarahs Freundin und Hebamme. Er hat kein gutes Verhältnis zu ihr, denn von Anfang gab sie ihm das Gefühl, er habe ihr Sarah weggenommen. Sie liest die „Daily Mail“, bemerkt Ben bestürzt. Die Hebamme mauert zunächst, bevor ihr Widerstand zusammenbricht und sie mit der Wahrheit herausrückt. Sarah erlitt vor sechs Jahren eine Fehlgeburt und war am Boden zerstört. Als Sarah wegging und mit einem anderen glücklich und strahlend zurückkam, hatte sie die Fehlgeburt völlig verdrängt. Was sollte Jessica tun? Sarah in den Wahnsinn treiben? Sie liebte Sarah!

Der Privatdetektiv, den Ben auf Anraten seines Freundes Keith, der Anwalt ist, engagiert hat, findet die leiblichen Eltern Jacobs: Janet Cole starb bei einem Verkehrsunfall, doch John Cole lebt in Tunford, einer kleinen Gemeinde südlichen von London. Cole sei mit Sandra, einer Pub-Bedienung, verheiratet und arbeite auf einem Schrottplatz. Doch Quiley, der Privatdetektiv, hat gründlicher recherchiert, als Ben lieb ist: Er weiß von dem Kindesraub und versucht, Ben subtil zu erpressen.

Ben fährt wenig später zusammen mit Keith nach Tunford, um sich Cole anzusehen, ganz unverbindlich. Es wird ein Desaster. Denn Quiley ist ebenfalls auf dem Schrottplatz, und als sich Ben Cole anschaut, sagt Quiley den entscheidenden Satz: Dies (Ben) ist der Mann, bei dem sich nun Stephen, Coles Sohn, befinde. Cole, der große Ähnlichkeit mit Jacob aufweist, aber als Ex-Soldat durchtrainiert und muskulös ist, geht ohne Vorwarnung auf den vermittelnden Keith los und schlägt ihn k.o. Als Cole festgehalten wird, hetzt er seinen Bullterrier auf Ben und Keith. Sie entkommen mit knapper Not. O Mann! Was für ein Irrer! Keith blutet wie ein Schwein, Ben steht unter Schock.

Drei Monate später hat das Jugendamt Ben seinen Sohn weggenommen und zu den Coles gegeben. Alle Proteste fruchten nichts. Der Gipfel der Ungerechtigkeit ist, dass Ben seinen Stiefsohn nur einmal in vier Wochen sehen darf. Beim ersten Besuchstermin öffnet eine lügnerische Schlampe: Sandra Cole. Das kleine Haus sieht ebenso ungepflegt aus wie der Vor- und der Rückgarten – überall Wrackteile vom Schrottplatz. Cole hetzt den Bullterrier wieder auf Ben, der den Zähnen des Hundes entkommt.

Doch Ben lässt zu seiner eigenen Verwunderung nicht locker. Er liebt seinen Sohn, aber er ist auch besessen von der Idee, ihn zurückhaben zu müssen. Cole ist nicht der richtige Vater für ihn, und diese Schlampe von Bardame erst recht keine Mutter. Daher verfällt Ben auf die Methode, die er als Profi-Fotograf am besten beherrscht: beobachten und fotografieren. Wenn das Jugendamt Beweise haben will, dass das Heim der Coles ungeeignet ist, dann soll es auch welche bekommen.

Aus seinem Versteck am Waldrand hinter dem Haus der Coles macht Ben schon bald Besorgnis erregende und verstörende Entdeckungen. Doch er selbst bleibt auch nicht unentdeckt.

_Mein Eindruck_

Dies ist kein Forensik-Krimi wie „Chemie des Todes“, „Kalte Asche“ und „Leichenblässe“, sondern ein viel früher (1998) entstandener Suspense-Krimi mit Human-Drama-Aspekten. Nicht um die Aufklärung eines Verbrechens geht es, sondern um das Betreuungsrecht für einen autistischen Jungen. Das klingt banaler, als es sich liest. Einen großen Teil der Geschichte macht deshalb die menschliche Seite des Dramas um Jacob alias Stephen aus. Es ist, als würden zwei verschiedene Welten aufeinanderprallen und um Jacob kämpfen.

Es ist dem Leser von vornherein klar, dass die Konfrontation zwischen Ben und Cole nur auf einen Entscheidungskampf hinauslaufen kann. Aber Ben braucht lange Zeit und durchläuft viele Stationen, bis er sich so weit entwickelt hat, dass er den Kampf aufnehmen kann. Er ist nicht nur trauernder Vater, der seine tote Frau nicht verraten will, indem er ihr Vermächtnis – eben Jacob – im Stich lässt. Er ist auch ein Mann, und als solcher für erotische Reize empfänglich.

Es mag peinlich wirken, aber dieser Aspekt wird ganz explizit an Bens Erektionsfähigkeit gemessen. Seit Sarahs Tod kriegt er keinen mehr hoch, und es ist ausgerechnet die sexuell höchst attraktive Sandra Cole, die seinen kleinen Freund wieder zum Leben erweckt. Selbstredend ist dies ein Spiel mit dem Feuer. Aber es erweist sich als notwendig, um dem sturen, gefährlichen John Cole beizukommen.

|John Cole|

John Cole ist neben Ben Murray zweifellos die wichtigste Figur. Kein Wunder, findet der Showdown doch zwischen diesen beiden Vätern statt. Cole ist ein Golfkriegsveteran, der die Erinnerung von den Panzerwracks mit nach Hause genommen hat. Sandra zeigt Ben die entsprechenden Fotos. Cole entwickelte unter dem Einfluss dieser schrecklichen Eindrücke nicht nur eine Besessenheit mit Schrott und Wracks und Unfallopfern – er fährt immer als Erster zu gerade passierten Unfällen auf der Autobahn -, sondern auch eine fixe Idee.

Coles Theorie geht von der Existenz eines „Systems“ aus, in dem alles mit allem anderen verknüpft ist. Das ist zutreffend, denn die Quanten- und Stringtheorien der Physik unterstützen diese Idee, die ansonsten als „Schmetterlingseffekt“ oder „Chaostheorie“ Verbreitung gefunden hat. Da Jacob in Coles eigenem „System“ einen zentralen Baustein darstellt, kann er nicht zulassen, dass man ihn ihm wegnimmt. Sein System würde zusammenbrechen. Dass Jacob alias Stephen ein Autist ist, stellt für Cole nur eine Prüfung seines Glaubens dar: Ist er stark genug, diese Prüfung zu bestehen, oder wird er an dem Frust über Stephens Schweigen zerbrechen?

|Finale|

Wie auch in seinen Forensikthrillern (s. o.) gipfelt der Roman in einem actiongeladenen Finale, das gar nicht recht zu dem Human-Touch-Drama der vorhergehenden Erzählung passen will, die doch stark auf Psychologie Wert gelegt hat. Nachdem John Cole Stephen alias Jacob entführt hat, fährt die Polizei, alarmiert von Ben, schweres Geschütz auf. Eine Hundertschaft umstellt den Schrottplatz, wo sich Cole mit Jacob verschanzt hat. Der Exsoldat hat Todesfallen aufgestellt, und nichts ahnende Cops werden unversehens zu Opfer. Ben sieht nur einen Ausweg: Wenn Cole Ben haben will, den er für den Verursacher all seiner Probleme hält, dann soll er ihn haben. Ben begibt sich in die Höhle des Löwen.

|Der Sprecher|

Johannes Steck legt sich hier wieder richtig ins Zeug. Er versteht es wirklich, die Figuren zum Leben zu erwecken und uns dabei vergessen zu lassen, dass es weder Geräusche noch Musik im Hintergrund gibt. Sein beeindruckendsten Figuren sind die Männer, denn mit seiner Stimmlage fällt es ihm leichter, sie zu porträtieren. Besonders die Figur des John Cole beeindruckt durch die tiefe Tonlage und den bedrohlich kontrollierten Ausdruck. Eher lächerlich wirken der durchtriebene Detektiv Quiley und der schleimige Jugendamtsmitarbeiter Carlyle. Auch der gewandte Anwalt Keith, Bens Freund, tut sich nicht gerade durch Authentizität hervor, sondern wirkt eher windig und listig. Er ist es auch, der Quiley empfiehlt.

Unter den weiblichen Figuren gibt es leider viel weniger Abwechslung. Da ist zum einen Jessica, die abweisende Hebamme, dann die stets bemühte und beflissene Hausfrau und Mutter Tessa, Keiths Ehefrau. Sie spricht in einem sehr hohen Tonfall, den ich Steck überhaupt nicht zugetraut hätte. Auch Bens Assistentin Zoe ist gelungen: stets mürrisch, eine echte Londoner Stadtpflanze. Die Hauptfigur unter den Frauen ist jedoch Sandra Cole, die eine derartige erotische Ausstrahlung vermittelt, dass man um Bens „Jungfräulichkeit“ nur bangen kann.

Hinter diesen markant gezeichneten Figuren tritt der Sprecher zurück, so dass sich der Zuhörer gut unterhalten lassen kann, selbst wenn das erzählte Geschehen noch so erotisch oder grausig ist. Geräusche und Musik würden hier nur stören.

_Unterm Strich_

Der Originaltitel deutet etwas weniger spektakulär als der deutsche Titel an, um was es geht: um den „Besitz“ eines Kindes. Zwei Prinzipien treffen dabei aufeinander: die selbstlose Liebe Ben Murrays einerseits, der das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellt, und die selbstsüchtige „Liebe “ John Coles, der Jacob als Baustein seines eigenen Welt-Systems betrachtet und eine Weiterentwicklung des Kindes weder fördert (keine Schule) noch zulässt (er schottet Jacob ab und lässt ihn auf dem Schrottplatz schuften).

Interessant ist dabei das Verhalten des Jugendamtes als Schiedsrichter: Eigentlich soll es dem Kindeswohl dienen, doch es gibt hier schwarze Schafe, die ihr eigenen Süppchen kochen. In einer dramatischen Konferenz kommt alles ans Tageslicht und führt zu einer Krise. John Cole ist unbeweglich in seinem totalen Anspruch auf Jacob. Doch Sandra erweist sich nicht als seine Stütze, sondern steht auf Bens Seite. Das betrachtet er als Hochverrat …

„Obsession“ bedeutet Besessenheit, aber es bleibt dem Leser bzw. Hörer überlassen zu beurteilen, ob diese Besessenheit nicht doch auch etwas Gutes haben könnte. Wenn alles gut ausgeht, kann man immer leicht sagen, dass Ben nur hartnäckig war, es aber Coles Obsession ist, die ihn in Gefahr bringt. Aber es hätte genauso gut Ben sein können, den das Jugendamt wegen seiner „Besessenheit“ bestraft hätte. Eltern dürften sich zweifellos auf Bens Seite stellen wollen, denn Cole ist offensichtlich verrückt. Aber Cole ist auch ein Vater mit entsprechenden Rechten. Vielleicht erzeugt Elternschaft automatisch auch eine Besessenheit, nur dass diese gutartig und notwendig ist: Liebe zu den eigenen Kindern.

|Das Hörbuch|

Johannes Steck versteht es wirklich, die Figuren zum Leben zu erwecken und uns dabei vergessen zu lassen, dass es weder Geräusche noch Musik im Hintergrund gibt. Auch vorm Brüllen und Rufen schreckt er keineswegs zurück. Doch keine Angst: Die Lautstärke bleibt stets im Normalbereich. Diese Lesung ist nicht nur spannend, sondern auch lebhaft und abwechslungsreich.

|Originaltitel: Owning Jacob, 1998
Aus dem Englischen übersetzt von Andree Hesse
472 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-618-5|
http://www.simonbeckett.com/German/home.php
http://www.argon-verlag.de
http://www.rowohlt.de

Clive Barker – Das fünfte Buch des Blutes. Horror-Erzählungen

Das Grauen irdischer Götter

Im „Fünften Buch des Blutes“ treten irdische Götter auf, die Verkörperungen von Ideen und Prinzipien sind, wie etwa dem der Sünde. Mit seinen sechs „Büchern des Blutes“ hat der britische Superstar des Horrors, Clive Barker, moderne Klassiker des Unheimlichen geschaffen. Am besten bekannt bei uns ist er für seine „Hellraiser“-Filme. Einige der Erzählungen aus den „Büchern des Blutes“ wurden ebenfalls verfilmt.

Die in diesem Band enthaltenen Erzählungen sind:

1. Das Verbotene
2. Die Madonna
3. Babels Kinder
4. Leibhaftig

Der Autor
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Clive Barker – Das vierte Buch des Blutes. Horror-Erzählungen

Der Aufstand der Hände

Mit seinen sechs „Büchern des Blutes“ hat der britische Shootingstar des Horrors, Clive Barker, moderne Klassiker des Unheimlichen geschaffen. Am besten bekannt ist er bei uns für seine „Hellraiser“-Filme. Die im Virten Buch des Blutes veröffentlichte Erzählung „Das Leibregime“ wurde ebenfalls verfilmt.

1. Das Leibregime
2. Das nichtmenschliche Stadium
3. Das Zeitalter der Begierde
4. Offenbarungen
5. Erscheine Satan!

Der Autor

Clive Barker, 1952 in Liverpool geboren, ist der Autor von bislang 18 Büchern, darunter die sechs „Bücher des Blutes“. Sein erstes Buch für Kinder trägt den Titel „The Thief of Always“ (Das Haus der verschwundenen Jahre). Er ist darüber hinaus ein bekannter bildender Künstler, Filmproduzent und -regisseur („Hellraiser 1“) sowie Computerspiel-Designer. Er lebt in Beverly Hills, Kalifornien, mit seinem Lebenspartner, dem Fotografen David Armstrong, und ihrer Tochter Nicole.
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Colfer, Eoin – Artemis Fowl III – Der Geheimcode (Lesung)

Dieser Roman ist der mittlerweile dritte in der Serie um den 13 Jahre jungen Meisterverbrecher Artemis Fowl, der ständig mit der Welt der Unterirdischen im Clinch liegt. Dieses Buch wurde nominiert für den |Deutschen Bücherpreis 2004|.

|Der Autor|

Aus dem Booklet: |“Bis zu seinem Welterfolg mit ‚Artemis Fowl‘ arbeitete Eoin [ausgesprochen: ouen] Colfer als Lehrer. Er hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet. Seine früheren Bücher für junge Leser standen in Irland, England und den USA an der Spitze der Bestsellerlisten. Colfer lebt mit Frau und Sohn im irischen Wexford und widmet sich gegenwärtig ganz dem Schreiben.“| Kein Wunder, dass die nächsten Artemis-Bände schon fertig und ebenfalls als Hörbuch zu haben sind!

|Der Sprecher|

Rufus Beck, geboren 1957, spielte im Ensemble und als Gast auf deutschsprachigen Bühnen, wurde durch Sönke Wortmanns Film „Der bewegte Mann“ populär und gilt seit seinen einmaligen Interpretationen aller Harry-Potter-Romane als einer der besten, engagiertesten Hörbuchsprecher („-leser“ kann man wohl nicht mehr sagen).

Musik und Geräusche gibt es keine. Die Hörfassung ist leicht gekürzt worden.

_Handlung_

Immer darum bemüht, das Vermögen des Fowl-Klans zu mehren, trifft sich Artemis Fowl in London mit dem amerikanischen Unternehmer John Spiro in einem Restaurant dessen Wahl. Beide Seiten sind mit ihren Bodyguards gekommen: Spiro mit Arno Blunt und Artemis mit Butler. Beide Seiten sind gut vorbereitet. Aber auf was?

Artemis hat etwas ganz Besonderes anzubieten: den C-Cube, wobei C für Control steht. Es handelt sich um einen kombinierten Minicomputer plus Handy plus Scanner, drahtlos und mit Spracheingabe. Von der erstaunlichen Miniaturisierung mal abgesehen, ist der würfelförmige und leicht tragbare C-Cube in der Lage, sowohl Satelliten anzuzapfen als auch jeden Geheimcode zu knacken. Spiro lässt sich dies gerne demonstrieren. Das Wunderding knackt den 512-Bit-Code seines Handys im Handumdrehen (dieser Code ist viermal stärker als die aktuelle Bit-Stärke für SSL-geschützte Übertragungen im Internet). Kein Wunder: Es ist aus Material der Elfen-ZUP hergestellt worden.

Spiro ist beeindruckt und will das Zauberding sofort haben. Er ist selbst Elektronikhersteller mit Schwerpunkt Kommunikation. Mit dem C-Cube könnte er seinem schärfsten Konkurrenten |Phonetix| den Garaus machen: Er braucht nur deren Forschungsergebnisse auszuspionieren.

Leider verweigert Artemis die Transaktion. Vielmehr läuft sein Deal ganz anders. Er bringt den C-Cube |nicht| auf den Markt, ruiniert Spiro nicht und bekommt dafür eine Tonne Gold für sein nettes Entgegenkommen. Spiros Deal sieht auch anders aus: Er schnappt sich den C-Cube, lässt Fowls Leibwächter Butler abknallen und verschwindet – aber nur, weil er Artemis plötzlich nicht mehr sieht.

Butler hat gerade noch Zeit, eine Schallbombe zu zünden und alle Gegner außer Gefecht zu setzen, bevor er den Löffel abgibt. Geistesgegenwärtig steckt Artemis seinen Freund ins Gefrierfach der Restaurantküche und mietet sofort ein Fach im Kryogenik-Institut von Dr. Constance Lane an. Dann erst ruft er die Unterirdischen zu Hilfe, allen voran Holly Short von der Zentralen Untergrund-Polizei (ZUP), damit sie Butler wiederbelebt.

In Haven City, der Stadt der Unterirdischen, fällt der Strom aus und sämtliche Schotts zur Außenwelt schließen sich automatisch. Nicht nur Elfen-Cop Holly Short ist beunruhigt. Ihr Vorgesetzter Root und sein Techniker, der Zentaur Foaly, sind es noch viel mehr. Eine fremde Macht versucht offensichtlich, Haven City anzugreifen. Wer ist es und was will er?

_Mein Eindruck_

So beginnt ein rasantes Abenteuer, das starke Ähnlichkeit mit einer |Mission Impossible| hat. Denn natürlich müssen Artemis Fowl und die Unterirdischen den C-Cube wiederbeschaffen. Er ist eine Bedrohung für die ganze Welt, die obere wie die untere.

Der Höhepunkt der Action ist die minutiös geschilderte Einbruchsaktion in Spiros extrem gut gesichertes Hochhaus, in dessen extrem gut gesichertem Tresorraum der C-Cube nun ruht. Mir fiel auf, dass dabei technische Einzelheiten in Hülle und Fülle erwähnt werden, so dass kein Jugendlicher unter etwa 15 Jahren damit zurechtkommen dürfte: Die oberirdische Technik ist auf dem modernsten Stand, aber die unterirdische ist noch wesentlich weiter – genau wie der C-Cube. Fans von „Mission: Impossible“ und SWAT-Team-Filmen kommen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten.

Nicht so toll, geradezu langweilig und nervend fand ich dann die dramaturgischen Aufräumarbeiten, nachdem Spiro – nach einigen Tricks – endlich besiegt ist. Denn nun geht es Artemis Fowl selbst an den Kragen. Die Unterirdischen haben endgültig genug von seinen Eskapaden auf ihre Kosten – und löschen sein Gedächtnis. Das klingt schlimmer als es ist, aber der Auszug aus Artemis‘ Tagebuch, das den Epilog bildet, ist doch recht putzig anzuhören. Wie er sich über bestimmte Dinge und Beinahe-Erinnerungen wundert. Jedenfalls ist er bereit für neue Abenteuer, soviel steht fest.

Im zweiten Abenteuer haben die Leser viele bemerkenswerte und sonderbare Figuren lieb gewonnen, so etwa den Zwerg Mulch Diggums, der nun für die Mafia arbeiten soll, und Artemis‘ wehrhaften Butler namens Butler (eigentlich Domovoi). Neu im Team ist nun Butlers junge Schwester Juliet: Sie ist eine wahre Kampfmaschine, und als Artemis sie zu Hilfe ruft, befindet sie sich gerade in einem karg ausgestatteten japanischen Trainingslager, wo sie ihre Kampfsporttechnik vervollkommnet. Sie wird sich noch als sehr nützlich erweisen.

Natürlich hat auch der Gegner neue Figuren aufzuweisen. Doch wie üblich umgibt sich der unumschränkte Herrscher – Spiro – wieder mal nur mit hirnamputierten Muskelprotzen, so dass sie für die Angreifer von der ZUP keine ernst zu nehmenden Hindernisse darstellen. Spiro verlässt sich lieber auf die Technik, aber auch in dieser Hinsicht haben die Unterirdischen bekanntlich die Nase vorn.

Nach Bezügen zur realen Gegenwart möchte ich lieber nicht suchen, denn die alten ideologischen Fronten existieren nicht mehr – jedenfalls nicht im Maße wie während des Kalten Krieges. Die eigentlichen Kriege finden zunehmend zwischen multinationalen Konzernen statt.

|Der Sprecher|

Rufus Beck schafft es wieder, jeder Figur ihre individuelle Stimme zu verleihen. Dabei scheint er mühelos tiefste Tiefen und höchste Höhen zu erreichen, selbst astreine Dialekte wie Berlinerisch sind ihm nicht fremd. So fällt es leicht, die einzelnen Figuren auseinanderzuhalten, selbst wenn man sich ihre Namen nicht merken können sollte. Und diese Charakterisierung trägt wesentlich dazu bei, aus dem Roman ein Hörspiel mit verteilten Rollen zu machen, das an Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt. Wenn nur die Story nicht entgleisen würde.

_Unterm Strich_

Der Aufbau des neuesten Fowl-Abenteuers ähnelt auffallend dem des vorhergehenden. Doch gilt es diesmal nicht, irgendwelche Aufständischen unschädlich zu machen, sondern à la James Bond einen größenwahnsinnigen Unternehmer, der die Welt zu beherrschen droht – mit Elfen-Technik, wohlgemerkt. Und das finden die Elfen gar nicht witzig. Sie schlagen ihn mit ihren eigenen Waffen, die teils recht magisch daherkommen. Für Fowl-Fans ist wohl wichtiger, dass Fowls bester Freund, sein Leibwächter Butler, stirbt – zumindest vorübergehend.

Insgesamt ist das Abenteuer wesentlich technischer ausgerichtet als etwa die Abenteuer von Fowls größtem Konkurrenten: Harry Potter. Dort herrschen Elemente aus Fantasy und Mystik (Basilisk, Phönix usw.) vor. Und bei Fowl fehlt eine Hierarchie der Gesellschaft vollständig: keine Magier, die Fowl sagen, was er zu tun hat. Aber auch kein Erzfeind, gegen den er sich profilieren könnte. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis der erste Artemis-Fowl-Film in unsere Kinos kommt.

Das Hörbuch ist sehr actionreich und flott erzählt. Allerdings sollte man sich davon, wie ich merkte, nicht allzu viel auf einmal zu Gemüte führen: Ein Sättigungseffekt tritt schon nach zwei bis drei CDs ein. Eine Pause hilft, das Gehörte zu verarbeiten. Und Rufus Beck zuzuhören, kann schon ein wenig anstrengend sein.

|Umfang: 386 Minuten auf 5 CDs|

Homepage der Serie: http://www.artemis-fowl.de/

H. G. Wells – Die Zeitmaschine

Der Zeitreisende, den H. G. Wells als erster in die Zukunft schickt, erlebt sehr viel mehr – und zugleich weniger – als in den bislang zwei Verfilmungen seines erfolgreichen Romans geschildert wird. Was aber meist weggelassen wird, sind die Gedanken, die sich der wissenschaftlich gebildete Voyageur über die Evolution von Mensch und Universum macht. Keineswegs dogmatisch verbohrt, stellt er immer wieder eine Theorie auf, nur um sie unter dem Druck neuer Phänomene sofort zu revidieren, wohlwissend, dass sie nur Modelle sein können, um eine ungewöhnliche Situation zu beschreiben. Dabei fällt er ironischerweise selbst auf die primitivste Stufe der menschlichen Kultur zurück …

|Der Autor|

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Lloyd Alexander – Taran – Das Buch der Drei

Dies ist der erste Roman eines fünfbändigen Fantasy-Zyklus, der es vielleicht nicht mit Tolkiens „Herr der Ringe“ aufnehmen kann, der aber ebenso stark auf Mythen und Fantasythemen zurückgreift. Und die Hauptfigur Taran, die im Laufe des Zyklus eindrucksvoll heranreift, lieferte wie Tolkiens „Herr der Ringe“ die Vorlage zu einem Zeichentrickfilm.

Die vorliegende Audio-CD ist das erste Hörspiel zu einem der fünf-Taran-Romane überhaupt und verdient deshalb wohl besondere Aufmerksamkeit.

Der Autor

Lloyd Alexander, geboren 1924, ist der Autor der „Chroniken von Prydain“ (= Britannien). Ähnlich wie bei Tolkien, der mit „The Hobbit“ (1937) zunächst eine Fantasy für Kinder schrieb, beginnt auch Alexander mit einer leichtfüßigen Kinder-Fantasy, um dann jedoch schnell auf tiefere, dunklere Themen zu sprechen zu kommen. Der erste und Teile des zweiten Bandes fanden Eingang in einen gleichnamigen Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1985: „Taran und der Zauberkessel“.

Der |Taran|-Zyklus „Chroniken von Prydain“:

1. „Taran und das Zauberschwein“ bzw. „Das Buch der Drei“ (engl. The Book of Three) (1964)
2. „Taran und der Zauberkessel“ bzw. „Der schwarze Kessel“ (engl. The Black Cauldron) (1965)
3. „Taran und die Zauberkatze“ bzw. „Die Prinzessin von Llyr“ (engl. The Castle of Llyr) (1966)
4. „Taran und der Zauberspiegel“ bzw. „Der Spiegel von Llunet“ (engl. Taran Wanderer) (1967)
5. „Taran und das Zauberschwert“ bzw. „Der Fürst des Todes“ (engl. The High King) (1968) – Gewinner der Newbery Medal, 1969
6. „Der Findling und andere Geschichten aus Prydain“ (engl. The Foundling) (1973) – Sammlung von Kurzgeschichten, die in Tarans Welt Prydain spielen

Die Sprecher, die Produktion

„Das Buch der Drei“ ist eine Produktion des Südwestrundfunks Baden-Baden aus dem Jahr 2004. Die Hörspielbearbeitung besorgte Andrea Otte, die Musik trug „der deutung und das ro“ bei, Regie führte Robert Schoen.

»Jürgen Hentsch gab schon mal den Herbert Wehner in einem Doku-Drama. Tim Sander spielte bei GZSZ den Lover der Figur, die Jeanette Biedermann spielt. Natalie Spinell ist die Lolita in einem Nabokov-Hörspiel. Michael Habeck spricht Ernie, Barnie Geröllheimer, Harry Potters Dobby, aber auch Danny de Vito. Und Tommi Piper ist besser als die Stimme von ALF bekannt.« (Informationen von |Ciao|-Mitgliedern – danke!)

Erzähler: Jürgen Hentsch

Taran (Waisenjunge): Tim Sander

Eilonwy (Prinzessin): Natalie Spinell (Aussprache: e’lónwi)

Dallben (Zauberer): Rolf Schult (Aussprache: da[stimmloses th]ben)

Coll (Kämpfer): Heinrich Giskes

Fflewdur Fflam (Barde): Jens Harzer (Aussprache: flodjir flam)

Fürst Gwydion (einer der Könige von Prydain): Tommi Piper

Gurgi (Waldwesen): Joachim Kaps

Doli (Zwerg): Michael Habeck (Aussprache: dolí)

Eiddileg (Zwergenkönig): Franz Josef Steffes (Aussprache (e[stimmhaftes th]íleg)

Achren (Zauberin): Anja Klein

Handlung

Der Junge Taran lebt als Hilfsschweinehirt beim Schmied Coll und einem Magier namens Dallben. Der Magier hütet das titelgebende „Buch der Drei“, das Taran nicht anfassen darf, selbst wenn der Zauberer, wie so oft, mal wieder schlafend meditiert.

Der Findling Taran kennt seine Eltern nicht, was schon mal ein gutes Zeichen ist: So fangen Heldengeschichten an. Er denkt sich aber nichts dabei. Doch seine Aufgabe als Hilfshirt der Schweine stellt sich plötzlich als ziemlich wichtig heraus, denn Hen Wen, das weiße Hauptschwein, ist ein Orakel, wie er zu seiner größten Verblüffung erfährt. Auf seiner Jagd hinter dem ausgebrochenen Schwein her gerät er tief in den Wald, stößt auf den bösen gehörnten König, wird aber von einem unscheinbaren Waldläufer vor dem Tod bewahrt.

Der Waldläufer entpuppt sich als Fürst Gwydion, der mindestens so berühmt ist wie der Hochkönig und der böse König der Anderswelt Annuvis, Arawn. Und der freundliche Gwydion klärt Taran auf, was es mit dem Orakelschwein Hen Wen auf sich hat und was er selbst, so fern von seiner heimatlichen Burg, im Wald zu suchen hat. Im schönen Prydain (= Britannien) sind die Zeiten rau geworden und es braut sich etwas zusammen.

Ein kleines Waldwesen namens Gurgi weist ihnen den weiteren Weg. Sie stoßen zwar nicht auf das Schwein, doch auch der Anblick des Heerlagers des Gehörnten Königs verschlägt ihnen den Atem: Hier sammelt sich eine Armee, um Prydain zu überfallen und alle zu unterjochen. Sogar untote „Kesselkrieger“ sind zu sehen, und von denen werden die beiden Neugierigen gefangen genommen.

Wider Erwarten landen sie nicht bei dem beobachteten Heer, sondern in Spiral Castle, dem Schloss der Zauberin Achren, deren verführerische Schönheit Taran zunächst betört, aber Gwydion keineswegs. Wenig später findet er sich eingesperrt in einer Kerkerzelle wieder. Er hat schon mit dem Leben abgeschlossen, als ihm eine goldene Kugel durchs Fenster vor die Füße fällt und eine Mädchenstimme ihn auffordert, ihr den leuchtenden Ball zurückzugeben. Es ist die geschwätzige und aufgeweckte Eilonwy, die ehrliche Nichte der bösen Zauberin. Sie kennt nicht nur den Weg aus Tarans Gefängnis, sondern auch den zu seinem Herzen.

Aber das ahnen beide noch nicht, doch es wird ihnen rechtzeitig auffallen, dass sie füreinander bestimmt sind. Doch was wird aus Prydain, das von der Bedrohung nichts ahnt?

Mein Eindruck

Der erfundene Schauplatz ähnelt jenem mythischen Wales, das dem Fantasykenner aus der Geschichtensammlung des „Mabinogion“ aus dem 14. Jahrhundert bekannt ist. Doch die Legenden beruhen auf mündlich überlieferten Erzählungen, die weit älter sind und noch aus der keltischen Kultur kommen.

Das Mabinogi

Insbesondere der vierte Zweig des Mabinogi mit dem Titel „Math Son of Mathonwy“ bietet zahlreiche Referenzen, die der Autor verwendet. Dazu gehört der gesamte Komplex, der mit dem Recken Gwydion und seinem Onkel Math in Caer Dathyl zu tun hat. Math herrscht als Hochkönig über einen Großteil von Prydain. Sein Widersacher ist Arawn, der Fürst der Unterwelt Annuvis. Leider macht der Autor aus den vielschichtigen Vorlagen zu den Figuren Gwydion und Arawn nur ein schwarz-weißes Paar aus Gut und Böse. Der Autor vereinfacht, vielleicht zu Gunsten der kindlichen Verständnismöglichkeiten. Allerdings muss der junge Hörer auch den gehörnten König dem Fürsten der Unterwelt als Vasallen zuordnen.

Achterbahnfahrt

Die Handlung hat etwas von einer Achterbahnfahrt an sich. Der Held, der zunächst als „hässliches Entlein“ vorgestellt und zwei mächtigen Gestalten, einem Schmied und einem Merlin-ähnlichen Zauberer, beschützt wird, erwirbt sich diverse Gefährten, die ihm helfen, wenn er sich mal wieder überschätzt hat. Insbesondere Eilonwy ist mit ihrer spitzen Zunge eine ständige Quelle von Freude und Witz, auch wenn sie einen Mann damit schnell in den Wahnsinn treiben könnte.

Auch Fflewdur Fflam, ein ehemaliger König, der jetzt als Barde durch die Lande zieht, ist interessant. Er hat vom Ober-Barden von Wales, dem berühmten Taliessin, eine magische Harfe erhalten, doch ihre Saiten reißen, sobald ihr Besitzer auch nur die geringste „Verschönerung der Wahrheit und Wirklichkeit“ erzählt – wozu Barden und Dichter von Natur aus neigen. Fflam hat also immer gut zu tun, seine Harfe in Schuss zu halten.

Das Waldwesen Gurgi weiß ebenfalls zu faszinieren. Dieser keltische Charakter, der auch in C. J. Cherryhs Kelten-Fantasien wie etwa „Der Baum der Träume und Juwelen“ sowie „Faery in Shadow“ zu finden ist, erweist sich im Laufe der Zeit als treuer und anhänglicher Gefährte, auch wenn er bisweilen ein wenig aufdringlich und in hygienischer Hinsicht abstoßend erscheint.

Die Feinde

Die Feinde sind nicht weniger einfallsreich gezeichnet. So verfügt der gehörnte König über einen schwarzen Kessel (der der Fortsetzung den Titel gibt), aus dem Zombiekrieger erzeugt werden können. Da sich diese nicht töten lassen, bilden sie für jeden einen Furcht einflößenden Feind. Zum Glück ist ihr Aktionsradius abhängig von der Entfernung vom Kessel, so dass es eine Chance gibt, ihnen zu entkommen.

Auch die Lüfte sind nicht sicher. Ähnlich wie die schrecklichen Reittiere, die Tolkiens Ringgeister durch die schwarzen Lüfte von Mordor tragen, suchen gefräßige Vögel, die Gwythaint, wehrlose Wanderer wie Taran heim. Doch die Gwythaint sind nicht von Geburt an so, sondern werden von ihrem Herrn Arawn dazu erzogen und ausgebildet, Fleisch zu begehren und für ihn zu spionieren. Dass Taran einen jungen Gwythaint aus einer Dornenhecke befreit und sich der Gerettete revanchiert, wurde im Hörspiel gestrichen.

Aber auch die Zwerge, das Kleine Volk, dürfen nicht fehlen. Durch einen Zauber lockt König Eiddileg ahnungslose Wanderer in sein unterirdisches Reich. Doch bei Taran & Co. gerät er an die Falschen. Er muss ihn ziehen lassen und gibt ihm einen Führer, Doli, mit. Denn Doli taugt in Zwergenaugen nicht: Er vermag sich nicht unsichtbar zu machen, zumindest nicht auf Kommando.

Die böse Zauberin, die Taran und den Recken Gwydion gefangennimmt, heißt Achren und ähnelt einer weiteren Figur aus dem Mabinogion: Arianrhod, was „Silberrad“ (= Mond) bedeutet. Leider setzt sie sich kaum mit dem jungen Taran auseinander. Doch im Hörspiel wird ihre verführerische Konfrontation Gwydions ganz direkt geschildert. Sie ist offensichtlich ganz schön durchgeknallt.

Der Auftritt Eilonwys entschädigt dafür mehr als reichlich. Sie ist nicht nur selbst eine Schülerin der Magie – weshalb sie ja ihre Tante Achren besucht -, sondern findet in den Felsenhallen unter dem Spiral Castle ein superwichtiges Zauber- und Königsschwert, Durinwyn. Selbstverständlich wird es eine entscheidende Rolle spielen.

Die Sprecher, die Produktion

Zur Einstimmung beginnt das Hörspiel mit einem keltisch anmutenden, möglicherweise walisischen Volkslied. Es wird noch des Öfteren im Hintergrund angespielt und stammt von einem Duo mit einem bemerkenswerten Namen: „der deutung und das ro“. Dabei handelt es sich um Tobias Unterberg und Robert Beckmann, die bereits die Hörspielproduktion „Schloss Draußendrin“ unterstützten und bei alternativen Bands wie |The Inchtabokatables|, |Milar Mar| oder |Deine Lakaien| mitmischen. Der Zuhörer mit ein wenig Erfahrung in keltisch inspirierter Folk-Musik fühlt sich sofort in selige Zeiten von |Clannad|-Konzerten zurückversetzt. Wo immer man in Irland, Schottland oder Wales als Tourist hingelangt, kann man diese Art von Musik finden. Denn diese ist nicht einfach Touristenattraktion, sondern ein integraler Teil der Identität der keltischen Völker.

Wir sind also schon mal auf der richtigen Baustelle. Dann erklingt das helle „Ping!“ aus der Schmiede von Coll. Sofort entspinnt sich der erste Dialog zwischen Taran, Coll und dem Magier Dallben. Wenig später tragen die Abenteuer Taran hinfort, bis zum glücklichen Ausgang. Mehr darf nicht verraten werden. Doch bei den walisischen Namen sollte man die Ohren spitzen. Sie sind für unsere Hörgewohnheiten doch recht ungewöhnlich. Siehe dazu meine Aussprachehinweise oben.

Die Stimmen der Sprecher finde ich sehr passend und angemessen. Es gibt kein Zögern, keine falschen Töne, so dass die Sätze ganz natürlich klingen und nicht, als hätte man sie ein Dutzend mal geübt. Ich war erstaunt, dass Tommi Piper, der mit einer Fernsehserie in den 70ern oder 80ern bekannt wurde, inzwischen eine derart tiefe und raue Stimme hat, dass er ohne weiteres die Autorität ausstrahlt, die einem Fürsten wie Gwydion gebührt. Am lustigsten ist sicher die Stimme der quicklebendigen Prinzessin Eilonwy, die Taran in Grund und Boden plappert.

Da dies ein Hörspiel ist, gibt es nicht nur Stimmen, sondern auch Geräusche. Dazu gehören grunzende, quiekende Schweine ebenso wie reißende Harfensaiten. Am eindrucksvollsten sind jedoch das Erdbeben unter dem Spiral Castle und die finale Schlacht gegen den Gehörnten König: Blitz und Donner kommen hier in einer beeindruckenden Kombination zusammen. Die Tonregie hat saubere Arbeit geleistet.

Unterm Strich

Insgesamt bietet dieser erste Band von Tarans Abenteuern ein enorm hohes Maß an kuriosen Einfällen und sehr viel Kurzweil für junge Leser. Die Action ist nicht zu brutal und keiner der Gefährten Tarans muss sterben oder ein größeres Opfer bringen. (Das ändert sich in den Folgebänden.) Vielmehr scheint Taran hier auf einer Art Einkaufstour für nette und hilfreiche Gefährten zu sein, mit denen er sämtliche Fährnisse überwinden und den gehörnten König besiegen kann.

Das Hörspiel, das vom Sender SWR selbst als „Taran und das Zauberschwein“ (der frühere Buchtitel) angekündigt wird, ist eine professionelle Produktion ohne irgendwelche Ausfälle oder Mängel. Vielmehr bereitet die schnelle Abfolge der Begegnungen und Abenteuer unterhaltsame Kurzweil für junge Hörer. Es mag sich aber als hilfreich erweisen, das Buch zu lesen, um die Zusammenhänge ein wenig besser zu durchschauen. Man kann aber alternativ das Hörspiel mehr als einmal anhören und sich so die Zusammenhänge selbst erarbeiten. Denn was dafür nötig ist, ist vollständig vorhanden.

Mein Fazit daher: eine hundertprozentige Empfehlung für „Das Buch der Drei“. Auch die Fortsetzung mit dem Titel „Der schwarze Kessel“ ist bereits als Hörbuch-CD erhältlich.
www.luebbe-audio.de

Michael Swanwick – Vakuumblumen. Cyberpunk-Roman

Abenteuer in einem seltsamen Sonnensystem

Dies ist die Geschichte von Rebel Elisabeth Mudlark, der geklonten „Tochter“ einer biogenetischen „Zauberkünstlerin“. Sie kommt im Auftrag ihrer „Mutter“ von den Kometenwelten der Oortschen Wolke ins Innere Sonnensystem, wo sich sehr viel verändert hat. „Vakuumblumen“ ist ein farbenprächtiger, tempo- und einfallsreicher Abenteuerroman, der die raumfahrende Menschheit in einem ganz anderen Blickwinkel zeigt als die Hochglanzprospekte der NASA und der Lagrange-Gesellschaft. (Verlagsinfo)

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Marklund, Liza – Rote Wolf, Der

Ein gesuchter schwedischer Terrorist kehrt nach 30 Jahren im französischen Exil, wo er für die baskische ETA tötete, in seine alte Heimat zurück, um hier zu sterben. Zur gleichen Zeit beginnt eine Reihe von mysteriösen Morden, die Liza Marklunds Serienheldin Annika Bengtzon, eine Reporterin, neugierig machen. Wenn sie sich mal nicht die Finger an dieser Story verbrennt.

|Die Autorin|

Liza Marklund, geboren 1962, studierte Journalismus und arbeitete bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Mehrere Jahre war sie Nachrichtenchefin des schwedischen Privatsenders „TV 4“. Diesen Traumjob kündigte sie, um Romane zu schreiben. Für ihren Debütroman „Olympisches Feuer“ (dt. 2000) erhielt sie bedeutende Literaturpreise. Auch die Nachfolgeromane „Studio 6“ und „Paradies“ wurden offenbar erfolgreiche Krimis. „Olympisches Feuer“ wurde laut Verlag fürs Kino verfilmt. Marklund lebt mit ihrer Familie in Stockholm. (Verlagsinfo)

Mehr Infos: http://www.lizamarklund.net.

|Die Sprecherin|

Judy Winters Karriere am Theater begann 1962. Die 1944 Geborene wurde von Peter Zadek ans Bremer Theater engagiert und feierte in Musicals wie „My Fair Lady“ oder „Hello Dolly“ große Erfolge. Es folgten zahlreiche TV-Filme, u. a. Simmel-Verfilmungen und der Kult-Tatort „Reifezeugnis“. Mit dem Programm „Marlene“ hat Judy Winter einen Meilenstein ihrer Kunst gesetzt. Damit ging sie im Sommer 2001 auf Japan-Tournee. Sie hat bereits Marklunds Romane:

„Olympisches Feuer“,
„Paradies“,
„Prime Time“,
„Mia. Ein Leben im Versteck“ und
„Studio 6“

gelesen, die alle als Buch und Hörbuch bei |Hoffmann & Campe| erschienen.

Winter liest die von Gabriele Gierz gekürzte Fassung. Regie führte Georg Gess.

_Handlung_

PROLOG. Ein alter Mann kehrt aus der Fremde zurück in seine schwedische Heimat, nach Luleå (ausgesprochen ‚lüvleå‘). Vorerst hat er keinen Namen, aber wir erfahren, dass er todkrank ist (Krebs?) und gegen die Schmerzen Morphium nehmen muss. In seinen Albträumen hat er dunkelrotes Blut an den Händen. Er erinnert sich an die glorreiche Zeit vor 30 Jahren, an seine früheren Kameraden in der „Bewegung“. Und unter ihnen an „Roter Wolf“. – Schon bald geschieht ein Mord in Luleå, dann, wenig später, ein zweiter …

HAUPTTEIL.

Die Journalistin Annika Bengtzon vom „Abendblatt“ – Marklunds Serienheldin – hat ihrem Chefredakteur Anders Schümann erfolgreich eine neue Serie „verkauft“: Sie will unaufgeklärte Terroranschläge zum Thema machen. Die neue, faktenorientierte Ausrichtung des Blattes, für die Schümann verantwortlich zeichnet, erlaubt es ihr.

Als sie hoch im Norden in Luleå ankommt, ist ihr Kontaktmann tot: Benni Ekland wurde am selben Morgen von einem Auto überfahren, offenbar war es ein Unfall, glaubt die Polizei. Annika wollte mit dem Reporter von der Lokalzeitung ihre Aufzeichnungen kollegial austauschen. Nun erfährt sie überrascht, dass er seinen Artikel bereits am Freitag zuvor veröffentlicht hat, und auch noch mit Infos und Formulierungen, die von ihr stammen. Saubere Arbeit, denkt sie zynisch.

Sie waren beide am gleichen Thema dran: Vor 30 Jahren erfolgte in der Nacht zum 18. November 1969 ein Anschlag auf den Fliegerhorst Norrbottn. Ein Militärflugzeug vom Typ F-21 flog in die Luft, angeblich nachdem jemand einen Eimer Restbenzin angezündet hatte. Dabei kam ein Mann ums Leben, ein zweiter wurde verletzt. Wie unwahrscheinlich diese Ursache wirklich ist, erfährt Annika nicht vom Pressesprecher des Fliegerhorstes.

Und es waren wohl auch nicht die Russen, wie er behauptet, sondern eine linke maoistische Splittergruppe, wie ihr Kommissar Suub erzählt. Deren Kopf operierte wie alle Gruppenmitglieder unter einem Decknamen; seiner war „Ragnvald“: das isländische Wort für den „Beherrscher göttlicher Mächte“. Er ging später erst nach Uppsala, kam zurück und verließ nach dem F-21-Anschlag das Land, um sich der baskischen Separatistengruppe ETA anzuschließen. Ragnvald ist offenbar Bombenspezialist.

Der Kommissar erzählt ihr dies nur, weil ihm Annika berichtet, was sie von einem jungen Augenzeugen des „Unfalls“, der ihrem Kollegen Ekland zugestoßen war, erfahren hatte. Ekland wurde von einem Mann in einem schweren Volvo mehrfach überfahren und praktisch zermalmt. Es war kaltblütiger Mord. Am Tag nach der Zeitungsveröffentlichung dieser Erkenntnis wird dem Augenzeugen, dem Jungen Linus Gustafsson, die Kehle durchgeschnitten. Annika ist von schweren Schuldgefühlen geplagt. Ihre Klaustrophobie kommt unter seelischem Stress immer stärker zum Ausbruch, wobei sie imaginäre Stimmen hört, die sie trösten wollen.

Hat die neuerliche Mordserie etwas mit dem F-21-Anschlag vor dreißig Jahren zu tun und mit Eklands Artikel darüber? Wenn ja, dann schwebt auch Annika in Lebensgefahr, die sich nun auf die Spur des Terroristen Ragnvald und seiner Freundin „Roter Wolf“ gesetzt hat, obwohl es ihr der Chefredakteur ihres Blattes verboten hat. Er glaubt nicht an Terroristen in Nordschweden, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Doch Annika hat Recht: Ein Mitglied von Ragnvalds Maoistengruppe nach dem anderen findet einen unnatürlichen Tod. In einem alten verstaubten Archiv stößt Annika auf ein brisantes Bild: Es zeigt Ragnvald neben einer jungen Frau, wie sie im November 1969 ihre Hochzeit proben. Die junge Frau ist Karina Björnlund, die gegenwärtige Kultusministerin …

_Mein Eindruck_

Wieder einmal packt Liza Marklund in Gestalt ihrer Serienheldin Annika Bengtzon ein heißes Eisen an: die früheren linken Splittergruppen der sechziger Jahren, deren Mitglieder dann entweder Normalos wurden oder in den terroristischen Untergrund gingen. Nach dreißig Jahren ist der Spuk aber nicht vorbei, sondern geht in Luleå von neuem los. Lange Zeit ist unklar, ob wirklich „Ragnvald“, mit bürgerlichem Namen Göran Nilsson, hinter der neuen Mordserie steckt – oder ob nicht ein Trittbrettfahrer sich die Rückkehr des alten Leitwolfs zunutze macht, um alte Rechnungen zu begleichen. Daher bleibt die Handlung auch bis zum Finale spannend.

|Zweites Finale|

Aber es gibt noch ein zweites Finale. Dieses schließt einen zweiten Handlungsstrang, der in meiner Inhaltsangabe nur angedeutet wird. Hier steht Chefredakteur Anders Schümann im Mittelpunkt. Sein Herausgeber und Verlagseigner Wennargren bietet ihm einen Karrieresprung an: Schümann könnte Vorsitzender des mächtigen Verlegerverbandes werden und in dieser Position die Medienpolitik der schwedischen Regierung im Sinne Wennargrens beeinflussen.

Und das ist auch dringend nötig, denn die Amerikaner drängen mit aller Macht auf den schwedischen Markt, indem sie digitales Fernsehen forcieren, das im gesamten Skandinavien zu empfängen wäre, würde es die Regierung, sprich: Björnlund, ohne Vorbehalte erlauben. Doch genau diese Vorbehalte spielt den beiden nun Annika Bengtzon in die Hand, ohne es zu ahnen: Die Tatsache, dass Björnlund eine Art „Terroristenbraut“ war, macht sie erpressbar. Schon bald stößt Annika in Björnlunds (öffentlich zugänglichen!) Briefwechsel auf seltsame Botschaften – nicht nur von einem „Gelben Drachen“ (= Ragnvald), sondern auch von Herrn Wennargren.

Im Finale dieses Handlungsstrangs hauen sich Schümann und Bengtzon gegenseitig die jeweiligen Verfehlungen um die Ohren. Schümann hat die Regierung manipuliert, doch Annika hat ihrerseits ihre journalistische Freiheit missbraucht, um die Geliebte ihres Mannes zu diffamieren und um den Job zu bringen.

|Drittes Finale|

Und so kommt es im dritten Handlungsstrang denn auch zu einem weiteren Finale. Das nimmt nicht die Form eines lautstarken Ehekrachs an, sondern vollzieht sich quasi heimlich, still und leise. Annika hat aus ihren Beziehungen gelernt. Sie hat zwei wunderbare Kinder, die sie liebt und die sie ihrerseits lieben. Doch Thomas ist frustriert über Annikas häufige dienstliche Abwesenheiten, gerade an Wochenenden. Daher kommt ihm ein weiches Weibchen, das ihn verwöhnt, gerade recht: Sofia Grenburi ist eine Kollegin, die er fast täglich in seinem Landtagsverband sieht.

Allerdings ist er so verschossen in sie, dass er auf der Straße unvorsichtig wird, wo ihn Annika eines Tages voll Entsetzen in den Armen einer anderen sieht. Der Schock sitzt tief, und sie weint sich bei ihrer besten Freundin Anne Snapfane (aus „Prime Time“) aus. Doch Anne geht es selbst nicht so gut, denn die Regierung unter Björnlund will ihren Sender |TV Scandinavia| praktisch dichtmachen. (Wir wissen, warum.) Annika kriegt auch diesmal die Kurve und packt den Stier bei den Hörnern. Drei Anrufe einer neugierigen Journalistin beim Landtagsverband genügen und Sofia Grenburri ist als rechtsextreme Steuerhinterzieherin und Betrügerin gebrandmarkt.

|Ergo|

Das wiederum bringt Annika zwar ihren Thomas zurück, spielt aber Schümann einen Trumpf gegen sie in die Hand (Sofias Vorgesetzte haben sich bei ihm über Annika beschwert). In dem beschriebenen zweiten Finale stellt Annika ihn vor eine schwere moralische Entscheidung: Entweder er geht den von Wennargren vorgezeichneten Weg die Karriereleiter hinauf und erpresst Björnlund weiterhin – oder er bringt Annikas Hintergrundartikel mit der Wahrheit über Björnlund, die Maoistengruppe und den wahren Mörder in Luleå. Es bleibt spannend bis zum Schluss.

Natürlich gibt es noch ein viertes Finale, in dem sich Annikas Konfrontation mit dem Serienmörder von Luleå abspielt, doch es wäre wirklich fies, irgendetwas darüber zu verraten.

|Nobody like you|

Thomas erkennt aufgrund des Artikels im „Abendblatt“, mit welch einer einzigartigen Ehefrau er gesegnet ist: „Es gibt einfach niemanden, der so ist wie Annika.“ Na, das ist doch schön, wenn ein Ehemann das erkennt, nachdem er fremdgegangen ist! Doch wir wundern uns von Anfang an, ob es nicht vielmehr auch die Stimmen in Annikas Kopf sind, die sie so einzigartig machen. Mehrere Male ist Annika nahe dran, aufzugeben und sich wie zu einem Fötus zusammenzukauern, weil die Gewalt, die sie bedroht, so unüberwindbar und überwältigend erscheint. Dann melden sich die Stimmen, die sie trösten und verwirren: Sie singen von Sommerabenden und Blumen und wie schön es in ihrer Jugend war, als sie die Großmutter (die in „Paradies“ starb) besuchte.

Annika muss sich immer selbst zur Ordnung rufen, um dem Sirenengesang Einhalt zu gebieten und der äußeren Welt Widerstand zu leisten. Da Annika wahrlich einzigartig zu sein scheint, ist anzunehmen, dass eine Reihe von Frauen es nicht schafft, diesen Widerstand zu leisten. In „Studio 6“ erzählte Marklund von zwei Frauen im Sexgewerbe, denen dies nicht gelang.

Annika, keineswegs der Übermensch, hat aber auch Angst vor „dem Tunnel“. Es blieb mir im ganzen Hörbuch unklar, ob ein bestimmter Tunnel gemeint ist, denn ich kenne „Olympisches Feuer“ nicht. Oder ob mit „dem Tunnel“ beziehungsweise „dem Tunnelblick“ ein ähnliches Angst- und Stressverhalten wie bei den Stimmen gemeint ist. Der „Tunnelblick“ ist ein allgemein bekanntes Phänomen, das beispielsweise bei Wut und Übermüdung auftritt. Deshalb wäre es vielleicht nützlich, doch das Buch zu lesen.

_Die Sprecherin_

Judy Winter verfügt über einen unglaublichen Stimmumfang, offenbar geschult durch ihre Schauspielausbildung und Musicalkarriere. Die Stimme reicht vom maskulinen Bass bis in die Höhen von Kinderstimmchen und Zickengekreisch. Deswegen fällt es ihr auch nicht schwer, Vertreter beider Geschlechter ebenso glaubwürdig zu sprechen wie etwa ein Kind.

Die Wirkung von Judy Winters Vortrag ist durchaus fesselnd. An spannenden Stellen liest sie langsam, an actionreichen natürlich schneller. Dennoch gehört die Mehrheit der Stimmen weiblichen Figuren, und da könnte die Charakterisierung durch unterschiedliche Stimm- oder Tonlage größer sein, um die jeweilige Figur besser unterscheidbar zu machen – eines der Hauptprobleme bei einem Hörbuchvortrag. Bei einer Handlung mit über einem Dutzend Figuren ist dies umso notwendiger.

Beeindruckend ist Winters Beherrschung des Englischen und Schwedischen, die sie gleichermaßen korrekt aussprechen kann. Ihre Aussprache des Schwedischen stellt sicher höhere Ansprüche, und wie im Englischen und Deutschen entspricht das geschriebene Wort nicht immer dem gesprochenen. Das kann besonders bei den zahlreichen Namen des Romans Verwirrung stiften, insbesondere dann, wenn die Aussprache schwankt. Die Aussprache des wichtigsten Namens, Luleå, schwankt allerdings nicht. Glücklicherweise ist Schwedisch nicht so schwierig wie das Walisische. 😉

So etwas wie Musik ist zwar ebenfalls zu hören, aber es handelt sich lediglich um einen einzelnen, bedrohlich klingenden Basston, der Anfang und Ende einer CD begrenzt. „Musik“ würde ich das nicht nennen.

_Unterm Strich_

Wieder einmal legt Marklund ein wirklich packendes Abenteuer ihrer Heldin Annika Bengtzon vor. Sie zeigt auf, dass die Vergangenheit keineswegs tot ist, sondern im Gegenteil einen langen Schatten wirft, der bis heute und in höchste Regierungskreise reicht. Welche Konsequenzen dies haben kann, zeigt die Medienpolitik auf, die Marklund von innen heraus kennt. Aber auch für Annika erweisen sich die Folgen der Rückkehr eines früheren Terroristen als verhängnisvoll – besonders dann, als sie trotz Pflicht- und Schuldgefühlen nicht aufhören will, den Spuren auf den Grund zu gehen.

Auch diesmal macht Judy Winter das Marklund-Hörbuch zu einem Hörereignis erster Güte. Dies macht sich am eindrücklichsten in jener klaustrophobischen Szene bemerkbar, als Annika mit den anderen Ex-Mitgliedern von Ragnvalds Gruppe in einem eiskalten, stockdunklen Häuschen aus Beton eingesperrt ist – und den anderen Anwesenden nacheinander die Sicherungen durchbrennen. Annika hat größte Mühe, nicht ebenfalls in Panik auszubrechen und aufzugeben. Denn das wäre ihr Ende im Kältetod. Diese Szene ist unvergesslich; das ist größtenteils Winters Verdienst.

|Umfang: 443 Minuten auf 6 CDs|

Larsson, Åsa/Asa – Bis dein Zorn sich legt

_Tödliches Geheimnis unterm Eis_

Ein unbeschwertes Liebespaar: Im Sommer haben sie beim Tauchen ein Flugzeugwrack entdeckt. Jetzt ist der Vittangjärvi-See zugefroren. Niemand stört sie, als sie ein Loch in das dicke Eis sägen und sich in die Tiefe hinunterlassen. Niemand? Plötzlich ein geisterhafter Schatten: Die Markierungsleine wird gekappt, die Öffnung ins Freie durch eine Holztür versperrt. Die beiden haben keine Chance.

Die Polizistin Rebecka Martinsson übernimmt den Fall. Schnell wird klar, dass das Paar einem Geheimnis auf der Spur war. Das Flugzeug ist nämlich eine deutsche Junkers aus dem II. Weltkrieg. Was mag sie wohl bergen? Rebecka entdeckt ein gefährliches Netz aus Schuld, Angst und Verrat, in das die Bewohner ihres Heimatortes verstrickt sind. Und eine Geschichte, die nicht vergehen will.

_Die Autorin_

Åsa Larsson wurde 1966 in Kiruna geboren. Sie arbeitete als Steueranwältin, bis sie beschloss, Autorin zu werden. Mit ihrem ersten Krimi „Sommersturm“, der 2003 ausgezeichnet wurde, machte sie in Schweden Furore. Der zweite Roman „Weiße Nacht“ erhielt den Schwedischen Krimipreis 2004 und stand lange auf der Bestsellerliste.

Mehr von Åsa Larsson auf |Buchwurm.info|:

[„Weiße Nacht“ 3918
[„Der schwarze Steg“ 4919

_Die Sprecher_

Nina Petri gab ihr Schauspieldebüt in der TV-Serie „Rote Erde“ und war seitdem in vielen Erfolgsfilmen zu sehen, unter anderem in „Lola rennt“ und „Emmas Glück“. Sie wurde mit dem Bayerischen Filmpreis und dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

Ulrike Grote spielte nach der Schauspielausbildung im Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und an der Wiener Burg. Seit 2001 ist sie in diversen Film- und Fernsehrollen zu sehen, wie etwa „Das Kanzleramt“ und „Tatort“. Seit 2003 arbeitet sie auch als Regisseurin. Für ihren Kurzfilm „Ausreißer“ gewann sie 2005 den Internationalen Studenten-Oscar in der Kategorie Bester ausländischer Film; ein Jahr später erhielt der Kurzfilm eine Oscar-Nominierung.

Stephan Schad, 1964 in Pforzheim geboren, lernte an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Danach spielte er auf verschiedenen deutschen Bühnen und gehört seit 1998 dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters an. Außerdem arbeitet Schad für Film und Fernsehen sowie als Sprecher. Für |Hörbuch Hamburg| hat er unter anderem von Alan Weisman „Die Welt ohne uns“, von Rolf Lappert „Nach Hause schwimmen“ (mit Peter Jordan) und von Anna Gavalda [„Alles Glück kommt nie“ 5414 (mit Nina Petri) gelesen.

Bei den Aufnahmen in den Eimsbütteler Tonstudios führte Gabriele Kreis Regie.

_Handlung_

Dies erfahren wir von dem schwebenden Geist, der uns die Geschichte erzählt …

Am 9. Oktober fahren sie, die 17-jährige Wilma, und ihr Freund Simon, 18, zu dem zugefrorenen See, um zu tauchen. Sie vermuten, dass im See das Wrack eines deutschen Flugzeugs der Wehrmacht liegt, das vom schwedischen Kiruna nach Norwegen wollte. Das Wrack liegt zwar in nur 17 Metern Tiefe, aber dort unten ist es stockdunkel, findet Wilma.

Nur die Sicherheitsleine verbindet sie und den ins Wrack tauchenden Simon mit Licht und Luft. Sie haben die Leine an einem Holzkreuz befestigt, das über dem Luftloch in der Eisdecke liegt. Plötzlich merkt sie, dass die Leine schlaff wird und zu ihr herunterfällt. Als sie auftaucht, liegt eine Tür über dem Luftloch und jemand steht darauf. Ihr geht der Sauerstoff aus, als der Atemregler vereist. Welcher Wahnsinnige hat ihr den einzigen Ausgang zum Leben versperrt?

Es ist Donnerstag, der 16. April, als Östen Marjavaara aus dem Eisloch im Fluss Wasser holen will und eine Leiche entdeckt. Sie steckt in einem Taucheranzug. Östen alarmiert die Polizei. Staatsanwältin Rebecka Martinsson ist in ihr Elternhaus in der Heimat zurückgekehrt und schläft wie ein Murmeltier. Bis sie um vier Uhr morgens von einem jungen Mädchen geweckt wird, dem Wasser aus Mund und Nase läuft. Es sagt: „Es war kein Unfall, ich bin nicht im Fluss gestorben, er hat mich hingetragen.“ Dann läuft die Gestalt weg. Rebecka erwacht. Nur ein Traum.

Am nächsten Tag steht Rebecka neben den zwei Polizisten Sven Erik Skolnake und Annamaria Mälla. Die Leiche der jungen Frau sei schon ziemlich angeknabbert, lag also schon lange im Wasser. Das Auto der Taucherin habe man gefunden, aber man vermisse noch ihren Begleiter. Seltsam ist nur, dass der Tank fast leer ist. Die Taucher hätten es nicht mal bis zur nächsten Tankstelle geschafft. Mälla benachrichtigt die achtzigjährige Anni, die Urgroßmutter Wilma Perssons. Rebecka erfährt bei der Obduktion, dass sich unter Wilmas Fingernägeln grüne Lackreste befinden. Als ob sie an lackiertem Holz gekratzt hätte. Der Gerichtsmediziner ist erstaunt, als sie ihn fragt, ob er feststellen könne, ob Wilma woanders als im Fluss gestorben sei. Eine Woche später kann er dies bestätigen: Wilma starb in einem See.

Von ihrem Nachbarn erfährt Rebecka , dass im Dorf, wo Wilma bei Anni lebte, die Fuhrunternehmerfamilie Kräkola eine despotische Herrschaft ausübe. Doch vor einer Woche habe Isaak, der Patriarch, einen Herzinfarkt erlitten. Von Anni erfährt Annamaria Mälla, dass Wilma eine Verwandte der Kräkolas war und sie des Öfteren besuchte. Doch die Kräkolas sind auf „Bullenbräute“ wie Annamaria überhaupt nicht gut zu sprechen. Sie zerstechen ihre Reifen und klauen ihr Handy. Rebecka verbietet ihr, Rache zu üben, sondern schaltet die Medien ein. Ein Mann meldet sich, der eine Tür auf dem Eis des Sees gesehen hat. Kein Wunder: Sie wurde ihm geklaut.

Silfors gibt ihnen den Hinweis auf Jörleifur Arnasson, einen Einsiedler, der am See lebt. Vielleicht habe der was gesehen oder gefunden? Arnasson stellt sich als freundlicher Ökobauer heraus, der einen süßen Hund hat. Doch ob er mit der Polizei reden will, weiß er noch nicht. Als sie am nächsten Tag wiederkommen, liegt Arnasson tot auf dem Boden seiner Hütte. Alles wurde so arrangiert, dass es wie ein Unfall aussieht. Doch Rebecka und Annamaria fallen mehrere Ungereimtheiten auf.

Jemand will nicht, dass sie die Wahrheit über und den wahren Grund für Wilmas und Simons Tod herausfinden. Und derjenige geht dabei über Leichen, um sein schreckliches Geheimnis zu hüten …

_Mein Eindruck_

In einer kunstvollen verschlungenen Abfolge von realer Gegenwart, Geisterpräsenz und zahlreichen Rückblenden bis ins Jahr 1943 entfaltet die Autorin vor dem geistigen Auge des Lesers (und Hörers) ein Panorama von Beziehungen sowie ein Drama der verhängnisvollen Verstrickungen. Die beiden ahnungslosen Taucher rühren an ein Geheimnis, das niemals das Licht des Tages erblicken darf.

Denn es bedeutet die bleibende Schande über eine ganz bestimmte Familie, eine ganz bestimmte Frau. Die Schande besteht vor allem in der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht und Angehörigen der SS während der letzten Jahre des II. Weltkriegs. Damals kollaborierten Schweden aus Kiruna mit den Deutschen aus Profitgier gegen die norwegische Widerstandsbewegung.

Nicht nur wiegt die Schuld am Tod der Widerständler und Flüchtlinge schwer auf dem Gewissen der Frau. Die Furcht vor den Folgen der Entdeckung ihres Geheimnisses wiegt noch viel schwerer und veranlasst sie zu Kurzschlussreaktionen. In der Folge müssen ihre beiden Söhne, die selbst in Schuld verstrickt sind, dafür büßen, indem sie immer wieder dafür sorgen, dass das Geheimnis unentdeckt bleibt.

Als Rebecka Martinsson und Annamaria Mälla in der Vergangenheit des Dorfes am See stochern, stechen sie in ein Wespennest. Schließlich geraten sie aus der Schusslinie mitten ins Visier der Mörder. Es kommt zu einem packenden und zugleich tragischen Finale an den Ufern des verhängnisvollen Sees. Mehr darf nicht verraten werden.

Zugleich ist dies wieder mal eine Geistergeschichte, wie schon „Der schwarze Steg“. Der Geist der toten Wilma Persson erzählt uns von ihrem traurigen Geschick. Doch zugleich greift der Geist der Ungerächten ins Geschehen ein, indem er sich den Schlüsselfiguren zeigt und an ihr Gewissen appelliert. Wilma verkörpert nicht nur das schlechte Gewissen, sondern auch den Schrei nach Gerechtigkeit, auf dass ihr schändlicher Tod (und der ihres Freundes Simon) endlich gesühnt werde.

Der Autorin gelingt durch die Schichtung der Zeitebenen und des Berichterstatter-Ensembles – sie braucht nicht weniger als drei – ein Gewebe aus Beziehungen, das sich aus vereinzelten Anfängen entwickelt und bis zu einer Krise verdichtet: Etwas muss nachgeben. Doch welche Figur das sein wird, ist noch völlig offen. Besonders gefiel mir die Darstellung des Hjalmar Kräkola, eines unterdrückten Mathematikgenies aus der Provinz. Auf schicksalhafte Weise an seinen kriminellen Bruder Tuure gekettet, strebt er nach Ausbruch, doch stets gibt er den Befehlen seiner Mutter und seines Bruders nach. Gibt es für ihn eine Hoffnung auf Freiheit?

|Die Sprecher|

Nina Petri, die für die Gegenwart und die realistische Schilderung zuständig ist, beschreitet einen Mittelweg aus kontrolliertem Sprechen und emotionaler Aufladung dieses Sprechens in bestimmten Situationen, so etwa besonders in heiteren Szenen. Die Charakterisierung durch besondere stimmliche Charakteristik ist Petris Stärke hingegen nicht. Nicht jeder kann ein Rufus Beck sein.

Ulrike Grotes Stärke ist die Umsetzung von Emotionen in Sprechweisen. Ihr fällt es leicht, eine Figur durch die Art, wie sie sich ausdrückt und in bestimmen Situationen verhält, zu charakterisieren. Sie ist zuständig für die Szenen, in denen die Person und der Geist von Wilma Persson auftritt.

Stephan Schad ist für die Rückblenden auf Hjalmar und Tuure Kräkola zuständig. Dabei erzählt er vor allem jene folgenreiche Episode im Jahr 1956, als Hjalmar seinen jüngeren Bruder Tuure „verlor“, wie man ihm danach vorwarf, obwohl doch in Wahrheit Tuure sich von ihm getrennt hatte. Alle weiteren Szenen zwischen den zwei Brüdern werden von Schad vorgetragen, durchaus angemessen und mit einem rechten Maß an Realismus, Innenschau und Emotion. Schad ist ein guter Erzähler mit einem Timbre in der Stimme, das mich gefesselt hat.

_Unterm Strich_

Die Wahrheit aufzudecken ist gefährlich. Das müssen die Staatsanwältin und ihre Polizisten immer wieder erfahren, als sie den mysteriösen Fall der toten Eistaucherin lösen wollen. Denn dies geht nur durch das tiefe Graben in der fernen Vergangenheit vor 60 Jahren, als hier in der Ödnis der Bergbaulandschaft um Kiruna deutsche Soldaten und SS-Offiziere Jagd auf norwegische Widerständler und dänische Flüchtlinge machten – unterstützt von schwedischen Kollaborateuren.

Ist dies ein Geheimnis, für das noch heute gemordet werden muss? Rebecka Martinsson will es herausfinden. Doch wer nun einen Thriller nach dem Vorbild von Dan Browns „Meteor“ oder Indridasons „Gletschergrab“ erwartet, ist auf dem Holzweg. Die Autorin Larsson verfügt über ganz andere Stärken und hat ein ganz anderes Interesse als die genannten Herren. Dennoch ist das Finale ebenso spannend und dramatisch.

|Das Hörbuch|

Die Sprecherin Ulrike Grote verleiht den Szenen ihre emotionale Tiefe und erweckt die Figuren zum Leben, indem sie möglichst emotional vorliest. Zum Glück nicht so, dass sie übertrieben wirkt, sondern so, dass sie hinter den Figuren zurücktritt. Nina Petri ist für die realistischen Szenen aus der Gegenwart zuständig, und Stefan Schad nimmt sich des Blickwinkels von Hjalmar Kräkola an.

Diese Aufteilung mag zwar ein wenig teurer als der standardmäßige Einfrau- oder Einmannerzähler gewesen sein, wertet das Hörbuch aber fast schon zu einem Hörspiel auf, denn es gilt ja, verschiedene Rollen zu interpretieren. Ich fand diesen Wechsel fesselnd, denn er hielt ständig meine Aufmerksamkeit wach und hielt mich dazu an, die anderen Blickwinkel zu beurteilen. Eine Geschichte, die sich über 60 Jahre erstreckt, erfährt viele Interpretationen, und das meiste wird verschwiegen. Das Erzählen bedeutet also auch Entdecken. Und das fand ich spannend.

|Originaltitel: Till dess din vrede upphör
Originalverlag: Albert Bonniers Forlag, Stockholm 2008
Aus dem Schwedischen übersetzt von Gabriele Haefs
301 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-89903-641-1|
http://www.hoerbuch-hamburg.de
http://www.asa-larsson.de

Robert A. Heinlein – Grumbles from the Grave. The Letters

Ein Denkmal aus Briefen

Robert A. Heinleins Witwe Virginia ist die Herausgeberin dieser Sammlung von Briefen des 1988 verstorbenen Großmeisters der Science Fiction. Aufgrund dieser Tatsache sollte man nicht vergessen, dass es sich hier kaum um besonders Heinlein-kritische Episteln handelt. Im Gegenteil: Wie der Titel schon nahelegt, „grummelt“ der Autor selbst noch aus dem Grab heraus.

Der Autor
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Raymond Jean – Die Vorleserin (Lesung)

Nur wenige kennen jenen verschmitzt-erotischen Film von Michel Deville aus dem Jahr 1988: „Die Vorleserin“. (Der Film wurde 1988 bei den Filmfestspielen in Montreal mit dem Großen Preis ausgezeichnet.) Aber er ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Literatur und ihre Macht, sondern auch an die Erotik, die vom Akt des Vorlesens ausgehen kann. Denn Liebe und Lesen sind Verwandte: Beide stellen eine Reise dar, sagt Raymond Jean in seinem Werk, gleichgültig, ob es sich um Film, Buch oder – wie hier – um Hörspiel handelt.

Der Autor
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Jessica Kremser – Frau Maier macht Dampf (Frau Maier Band 5)

Senioren-Ermittlungen im Wellness-Hotel

Frau Maier ist nicht gerade begeistert, als ihre Freundin Elfriede sie von einem Wellnessurlaub in der Steiermark überzeugen will. Was bitteschön soll denn die Katze eine ganze Woche lang ohne sie machen Erst, als sie erfährt, dass ­ausgerechnet in dem Hotel, in das sie fahren soll, kürzlich ­seltsame Dinge passiert sind, wird sie hellhörig und lässt sich doch überreden.Dort angekommen, muss sich Frau Maier erst ­einmal mit Bademänteln, Beautybehandlungen und Barhockern vertraut machen. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Wo Frau Maier ist, ist auch eine Leiche nicht weit. Oder zwei Ehe sie ihren ersten Aufguss genießen kann, ist Frau Maier schon wieder mittendrin in einem Strudel aus Verbrechen, Geheimnissen und Gefahr. (Verlagsinfo)

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Doyle & MacNeile – Das Haus mit den Zwingern (Sherlock Holmes Folge 38)

Gestörte Idylle im Pfarrhaus

Die junge Miss Nancy Millington wird in der Baker Street 221b vorstellig, da sie sich Sorgen wegen ihrer neuen Nachbarn macht, welche nicht nur ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legen, sondern vor allem eine Reihe Hundezwinger auf dem weitläufigen Grundstück aufgestellt haben … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 12 Jahren.

Die Serie wurde mit dem „Blauen Karfunkel“ der Deutschen Sherlock Holmes-Gesellschaft ausgezeichnet.
Doyle & MacNeile – Das Haus mit den Zwingern (Sherlock Holmes Folge 38) weiterlesen

Paul Hoffman – Die letzten Gerechten

Die Trilogie:

Band 1: [„Die linke Hand Gottes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6336
Band 2: „Die letzten Gerechten“
Band 3: „Die Stunde des Erlösers

Triumphe des Bösen: Erlöser auf dem Vormarsch

Cale ist die linke Hand Gottes, der Engel des Todes. Er ist dazu bestimmt, jeden zu vernichten, der nicht des wahren Glaubens ist. Die Erlösermönche, allen voran sein ehemaliger Mentor Bosco, glauben der Prophezeiung, die besagt, dass Cale Gottes Gesandter ist. Erst wenn er seinen Auftrag vollbracht hat, wird Gott eine neue Welt erschaffen können mit den letzten gerechten Menschen dieser Welt. Aber Cale will nur ungern von seinen ehemaligen Unterdrückern für ihre Zwecke benutzt werden und lässt die Mönche erst einmal in dem Glauben, dass er für sie arbeitet. In Wirklichkeit hat er längst einen ganz anderen Plan … (Verlagsinfo)

Der Autor

Paul Hoffman hat nach seinem Anglistik-Studium in über zwanzig verschiedenen Berufen gearbeitet, unter anderem als Buchmacher, Kurierfahrer, Lehrer und als Gutachter für den Britisch Board of Film. Teile seines ersten Romans „The Wisdom of Crocodiles“ wurden mit Jude Law verfilmt. Als Drehbuchautor hat er neben vielen anderen mit Francis Ford Coppola gearbeitet. „Die linke Hand Gottes“ ist sein erster Roman bei Goldmann und der erste Teil seiner Trilogie, „Die letzten Gerechten“ der zweite Band. (Verlagsinfo)

Der Übersetzer

Dr. Karlheinz Dürr wurde 1947 in Lörrach/Baden geboren. Er ist Leiter des Fachreferats „Europa“ bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Nebenberuflich ist er in der politischen Erwachsenenbildung tätig. Als Deutschland-Koordinator des Europarats für Demokratie-Lernen ist er häufig in anderen europäischen Ländern unterwegs. Darüber hinaus hat er bislang über 60 Bücher aus dem Englischen bzw. Amerikanischen übersetzt und schreibt Kurzgeschichten für Kinder und Jugendliche. Er hat 3 Töchter und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Tübingen. (Verlagsinfo)

Handlung

Nach dem Fall von Memphis, der Hauptstadt des Weltreiches der Materazzi, befindet sich Thomas Cale, der abtrünnige Mönch des Erlöserordens, fest in den Händen Boscos, der Nr. 3 dieses Ordens. Der Kämmerer und Stratege, Toms Lehrmeister, ist die Nummer 3, will es aber nicht lange bleiben, sondern selber Papst werden. Und selbstverständlich soll ihm der brillante Verstand seines Zöglings auf den Stuhl Petri verhelfen.

In einem langen Monolog auf einer einsamen Bergspitze macht Bosco Thomas klar, dass er ihm mit Haut und Haar gehört, nirgendwohin entwischen kann. Das sieht Tom ein, schmiedet aber wie stets einen eigenen Alternativplan. Als Erstes soll seine Aufgabe sein, eine Elitetruppe auszubilden. Durch ein blödsinniges Missverständnis kommt es zur vollständigen Exekution dieser Elitetruppe. Dumm gelaufen.

Stattdessen schlägt Tom vor, die Verdammten zu rekrutieren, die in den Kerkern der Ordensburg ihrer Hinrichtung entgegensehen. Insbesondere will er den „Naturphilosophen“ und Erfinder Gerald Hooke für seine militärischen Zwecke haben. Durch eine listige Vertauschung gelingt dies sogar.

Als Erstes soll Tom in einem Feldzug gegen die antagonistischen Folk-Rebellen im südlichen Grenzgebiet neue Taktiken entwickeln, mit denen später der Rest der Welt unterworfen – und vernichtet! – werden kann. Denn der letztendliche Zweck des Glaubens an den Gehenkten Erlöser besteht darin, nicht nur alle Andersgläubigen auszurotten, sondern auch die Erlöser selbst dem Tod und somit der Erlösung zuzuführen. Ein wahres Himmelsfahrtskommando.

Durch Hookes Erfindungen, neuartigen Drill und vor allem durch seinen persönlichen Einsatz gelingt es Tom und seinen „Purgatoren“ (Reinigern), den Folk-Rebellen eine schwere Niederlage zuzufügen. Sie können fortan ihr Stammesgebiet nicht verlassen und bekommen kaum Nachschub, folglich bringen ihnen die folgenden Wintermonate eine schwere Hungersnot. Dieses Problem wäre erledigt.

Aber das nächst folgt sogleich. Die Antagonisten haben auf den Golanhöhen, die nur 150 Meilen von Chartres, der Heiligen Hauptstadt des Papstes, entfernt liegen, ein Söldnerheer der Lakonier aufgestellt. Die Lakonier sind die Spartiaten dieser Welt: Sie leben, um Krieg zu führen. Und sie sind allesamt homosexuell. Der greisenhafte Papst bestimmt den militärischen oberkommandierenden General Van Owen als Befehlshaber der Armee, die die Lakonier vernichten soll.

Obwohl die Lakonier nur 8000 Mann aufbieten und Van Owen fast doppelt so viele, verläuft die Schlacht auf dem Hochmoor ganz anders als erwartet. Tom hat inzwischen seinen Freund Vague Henri wieder bei sich und schaut sich die Sache mit seinen Purgatoren an. Er hat bereits vorausgesagt, wie die Schlacht ausgehen wird. Doch selbst er ist überrascht, wie schlimm es dann kommt. Bosco betraut ihn anschließend mit der Aufgabe, es den Lakoniern heimzuzahlen. Leichter gesagt als getan.

Aber das Hochmoor an den Golanhöhen ist andererseits nur wenige hundert Meilen von Grenze der neutralen Schweiz entfernt – und von einer Frau, die Tom einst sehr viel bedeutet hat …

Unterdessen

Nach der verheerenden Schlacht von Silbury Hill und dem anschließenden Fall von Memphis an die Erlöser sind von den reichen und mächtigen Familien der Materazzi-Ritter nur noch rund 4000 Menschen übrig. Sie finden in Spanish Leeds Zuflucht, einer Stadt an der Grenze der Schweiz, wo auch Kitty der Hase, der Untergrundkönig von Memphis, sein Domizil hat. König Zog gewährt allen Asyl, doch Bose Ikard, sein Kanzler, will die Schmarotzer loswerden.

Unter den Flüchtlingen ist nach dem Tod ihres Vaters nunmehr Arbell Schwanenhals die Königin. Arbell ist hochschwanger, und das Kind scheint von ihrem Gemahl Conn zu sein, ihrem Cousin, der Tom sein Leben verdankt – ebenso wie Arbell übrigens. Tom hat noch eine Rechnung mit Arbell offen, denn nach dem Fall von Memphis verriet sie ihn, als sie mit Bosco sprach. Und seitdem sinnt er auf Rache.

Doch als dann Tom wirklich eintrifft, entwickeln sich die Dinge ganz anders als erwartet. Denn es ist nicht Conns Kind, das Arbell unter dem Herzen trägt …

Mein Eindruck

Dies ist Band 2 der „Cale“-Trilogie. Nach einem sehr schleppenden Anfang, der kaum durch schnelle Dialoge aufgelockert wird, kommt die Geschichte ab etwa Seite 70 allmählich in Fahrt. Da auch das Geschehen des ersten Bandes komplett rekapituliert wird, können Neueinsteiger etwas mit diesem Band anfangen. Ich halte es jedoch ratsam, den ersten Band der Trilogie gelesen zu haben. Nicht nur wegen des außerordentlichen Vergnügens, sondern vor allem, weil der Leser nur so die Gefühle nachvollziehen kann, die Tom für Arbell und Bosco hegt.

Engel des Todes

Der Anfang konzentriert sich deshalb so stark auf die Beziehung zwischen Tom und Bosco, weil nur so zu verstehen ist, wieso Tom nicht gleich wieder abhaut. Tom hat einen festen Platz in Boscos Plänen: als übermenschlichen Wesen, den Engel des Todes. Mit dieser Macht ausgestattet, könnte Tom wesentlich mehr ausrichten, als nur sich wie eine Maus zu verkriechen. Tatsächlich kann Tom praktisch fordern, was er will, und Bosco wird es ihm geben. Sogar Ketzer wie Gerald Hooke und andere Purgatoren. Durch Bosco hat Tom Zugriff auf geheime Vorgänge im Erlöserorden und Zugang zur höchsten Führungsebene. Das will er sich zunutze machen.

Action

Vorerst aber kann sich der abenteuerlustige Leser auf Toms drei Schlachten freuen: einmal gegen die Folk und zweimal gegen die Lakonier. Hier kommt der Actionfan auf seine Kosten. Immer wieder fiel mir bei der Beschreibung der Geografie auf, wie die Ortsbezeichnungen aus unserer Welt wild durcheinandergewürfelt werden, so als handle es sich hier um eine alternative Version unserer Geschichte. Die Golanhöhen liegen nicht im Libanon und Memphis nicht am Nil oder Mississippi. Auch das südafrikanische Veldt, eine Buschsavanne, ist nicht weit von der schottischen Hochmoorlandschaft der Golanhöhen entfernt.

Vorbilder

Andersherum jedoch gilt auch die Übertragung von anderen Namen auf bekannte Völkerschaften und Gruppen. Die Lakonier etwa sind eindeutig Lakedaimonier bzw. Spartiaten, also Elitekrieger, besitzen aber wie die Spartiaten als Sklaven die Heloten, genau wie im Vorbild. Lustigerweise tragen sie schottische Namen wie Jeremy Stuart-Clarke. Und aus dem Adjektiv „lakonisch“ lassen sich feine Wortspiele spinnen.

Die Schlacht gegen die Folk auf dem Veldt sind eindeutig dem Burenkrieg entnommen. Die Danksagung des Autors bezeichnet exakt die Quellen und Vorbilder für die Szene am Duffer’s Drift, einem U-förmigen Flusstal, und für das Konzentrationslager, das Cale für die Folk einrichten lässt. Die Hungersnot der Folk ist jener der Iren Mitte des 19. Jahrhunderts (und frühere) entnommen.

Nacht der Langen Messer

Das dritte Viertel des Buches schildert nicht nur Cales Sieg über die Lakonier, sondern auch den anschließenden Umsturz Boscos in Chartres: Es ist eine Nacht der Langen Messer, der Boscos politische Feinde, wie auch unwillkommene Freunde zum Opfer fallen. Mit dem für Hoffman typischen Sarkasmus werden selbst geringste Morde geschildert. Doch dann gibt es für Bosco und seine Mörderbande ein böses Erwachen: Der Papst – man wagt es kaum auszusprechen – war eine Frau! Und führte die Kirche 20 Jahre lang, ohne dass es jemand merkte! Dementsprechend drastisch fallen Papst Boscos Edikte gegen die Frauen – und ehelichen Sex generell – aus.

Parallelwelt

Es ist klar, dass der Erlöserorden dieser Parallelwelt der römisch-katholischen Kirche zu ihren finstersten mittelalterlichen Zeiten entspricht. Wer „Der Name der Rose“ gelesen hat, wird hier viele parallele Entwicklungen und Elemente finden, so etwa die Abwesenheit von Frauen, die von den jungen Mönchen als wahre Wundertiere betrachten werden – und als Eingang zur Hölle. Auch Bücher sind nur für privilegierte Eingeweihte zugänglich, etwa für Tom Cale.

Unter Räubern

Was Frauen anbelangt, so bilden die Abenteuer von Toms Freund Kleist mit Daisy, einer geretteten Räubergeisel, einen heiteren Kontrapunkt zu den meist grimmigen Abenteuern Toms. Kleist lernt mit Daisy buchstäblich die Frauen und die Liebe kennen. Als sie ihm sagt, sie sei von ihm schwanger, muss sie ihm erst einmal erklären, wo die kleinen Kinder herkommen und gemacht werden. Er hat wirklich absolut keine Ahnung, woher auch?

Mit der listigen Daisy fällt Kleist, der Bogenschütze, wirklich unter die Räuber. Sie ist die Tochter von Suveri, einer Art Räuberhauptmann, der mit seinem diebischen Volk in den Bergen lebt, die nicht weit von Memphis entfernt sind. Die Klephten, wie sie sich nennen, berauben gewohnheitsmäßig die Molosser, welche aber wiederum den Erlösern, die jetzt in Memphis herrschen, tributpflichtig sind.

Als durch Kleists Kriegskunst die Klephten den Molossern derart zusetzen, dass sie keinen Tribut mehr entrichten können, schicken die Erlöser 500 Kriegermönche, um die Klephten zu bestrafen, will heißen: auszurotten. Es kommt zu dramatischen Szenen im Gebirge: Soll die Klephten abwarten und Tee trinken, wie sie das schon immer gemacht haben – oder sollen sie fliehen, wie Kleist, der Fremdling, es dringend anrät? Sie reagieren fast schon zu spät. Der Ausgang der folgenden Schlacht ist alle andere als erfreulich …

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch Karlheinz Dürr ist von außergewöhnlich hoher Qualität. Der Text liest sich sehr flüssig und das Deutsch klingt natürlich und modern. Wieder sieht sich der junge Leser hin und wieder mit etwas ausgefallenen Ausdrücken konfrontiert, so etwa „Brayette“, einem Teil einer Ritterrüstung. Aber viel mehr gibt es diesbezüglich nicht.

Sehr gut hingegen fiel mir die etwas derbe Sprache. Da ist vielfach von, ähem, Hinterteilen die Rede und zwar in eindeutig sexuellem Kontext. Der Stil ist der heutigen Umgangssprache schon ziemlich angenähert, sodass jugendliche Leser keine Probleme damit haben dürften.

Druckfehler gibt es zum Glück nur zwei oder drei, die so geringfügig sind, dass ich sie nicht einzeln aufzuzählen brauche.

Unterm Strich

Dem schleppenden Anfang des Buches hätte ich nur drei Sterne gegeben, aber ab Seite 70 weiß sich der Autor rasch zu steigern, bis er mit drei Schlachten meinen Actionhunger zu stillen wusste. Ab Seite 130 las ich das Buch in einem Rutsch. Was nicht weiter schwerfiel, denn es passiert ständig etwas, das Spannung, Abwechslung und Unterhaltung liefert. Action, Sex, schwarzer Humor und viele neue Elemente heben diesen zweiten Band auf das Niveau des ersten Bandes.

Für seine Welt brauchte der Autor nur bei den Katholiken im finstersten Mittelalter nachzuschlagen, denn dort gab es ja auch Orden, Ketzer, Mönche, Kasteiung und vieles mehr – zumindest bis zu Reformation im 16. Jahrhundert. Der Erlöserorden ist ein ganz besonders strenger, der nur an die Vergänglichkeit des Fleisches und die Verdammtheit aller Menschen glaubt.

Die letzten vier Dinge des Originaltitels sind: Tod, Gericht, Himmel und höllische Leiden. Somit wird das Leben hienieden als nichtswürdig erachtet und nur das Jenseits ist etwas wert. Kein Wunder also, dass Bosco die Endzeit gekommen sieht – und tatkräftig an ihren Auswirkungen arbeitet. Deshalb ist Tom, sein Agent, der „Engel des Todes“, etwas Übermenschliches, das die Gläubigen um Heilung, Fürbitte und Erlösung anflehen.

Das Dumme für Tom: Er glaubt nicht an diesen Mumpitz. Dieses Dilemma macht seine Figur so interessant. Vielleicht kann er also diesem finsteren Spuk in Band 3 ein Ende bereiten. Doch Boscos Auftragsmörder sind bereits auf seiner Fährte …

Broschiert: 480 Seiten
ISBN-13: 978-3442312566
Originaltitel: The Last Four Things

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