Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Koontz, Dean – Seelenlos (Odd Thomas)

_Kampf gegen die Todesgöttin_

Odd Smith, ein Koch in einer Frittenbude in Südkalifornien, hat eine einzigartige Fähigkeit: Er kann die Toten sehen. Nur sehr wenige Mitmenschen wissen davon, doch einer seiner Freunde hat einem Außenseiter davon erzählt. Dieser Außenseiter ist gekommen, um sich Odds Fähigkeit anzueignen. Wenn er sie nicht bekommt, wird Odds bester Freund dafür mit dem Leben bezahlen. Odd muss nicht nur seinen übernatürlichen Spürsinn einsetzen, sondern auch sein Köpfchen, um Danny aus dieser Patsche zu helfen.

„Seelenlos“ ist die direkte Fortsetzung von [„Die Anbetung“, 3066 in dem Odd Thomas seinen ersten Auftritt hatte.

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“ -, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des schärfsten Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 300 Millionen Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

Der |Odd|-Zyklus bislang:

1) Odd Thomas (2004, deutsch 2006 als „Die Anbetung“)
2) Forever Odd (2005)
3) Brother Odd (2006)
4) Odd Hours (Mai 2008)
5) In Odd We Trust (Juli 2008, Graphic Novel)

|Dean Koontz auf Buchwurm.info:|

[„Irrsinn“ 4317
[„Todesregen“ 3840
[„Frankenstein: Das Gesicht“ 3303
[„Die Anbetung“ 3066
[„Kalt“ 1443
[„Der Wächter“ 1145
[„Der Geblendete“ 1629
[„Nacht der Zaubertiere“ 4145
[„Stimmen der Angst“ 1639
[„Phantom – »Unheil über der Stadt«“ 455
[„Nackte Angst / Phantom“ 728
[„Schattenfeuer“ 67
[„Eiszeit“ 1674
[„Geisterbahn“ 2125
[„Die zweite Haut“ 2648

_Handlung_

Odd Thomas lebt in Pico Mundo, irgendwo in Südkalifornien unweit einer Luftwaffenbasis, und arbeitet hier in einer besseren Frittenbude als Garkoch. Eines Tages musste er sehr zu seinem Leidwesen feststellen, dass er die Fähigkeit besitzt, die Toten zu sehen. Jedenfalls diejenigen, die sich noch an irdische Dinge klammern, so etwa Elvis Presley. Doch als im letzten August ein Irrer ein Massaker in einem Einkaufszentrum anrichten wollte, da war es Odd, dem es gelang, die meisten der Eingesperrten vor der Lastwagenbombe in Sicherheit zu bringen. Bei 41 gelang ihm dies nicht, und 19 von ihnen starben, darunter auch seine Freundin Stormy.

Odd Thomas ist es inzwischen gelungen, sowohl dank seiner Freunde den Verlust zu verwinden als auch von den Medien unbehelligt zu bleiben, was er vor allem der Unterstützung durch Sheriff Wyatt Porter zu verdanken hat, der ihn wie einen Sohn behandelt. Sein bester Freund ist Danny Jessup, doch dieser intelligente junge Mann ist mit Glasknochen (vgl. „Unbreakable“) gestraft, die nicht nur leicht brechen, sondern ihn, nachdem viele Knochen ungleich zusammengewachsen sind, wie einen Krüppel aussehen lassen. Die Schmerzen, die er hat, wenn er sich bewegt, sieht man ihm natürlich nicht an.

In dieser Nacht weckt Odd Thomas die Erscheinung von Dannys Ziehvater, des Radiologen Dr. William Jessup. Der Umstand, dass Jessup nichts sagt, macht Odd klar, dass es sich um einen Geist handelt. Aber wo ist der dazugehörige Tote? Ein Gang zu Jessups Haus zeigt ihm den vermissten Körper, der übel zugerichtet ist. Von Danny jedoch keine Spur. Wurde er entführt? Nach einer kurzen Verfolgung durch die Nacht und den anbrechenden Morgen weiß Odd, wohin die Leute verschwunden sind, die Danny entführt haben. Denn Odd hat einen übernatürlichen Spürsinn für Lebende – er nennt dies seinen psychischen Magnetismus.

Die Spur führt durch ein gigantisches Wasserabflusssystem unter dem Luftwaffenstützpunkt hin zu den Hügeln, in denen die Panaminta-Indianer ein Spielcasino errichtet hatten. Ein Erdbeben ließ hier vor fünf Jahren ein Feuer ausbrechen, das aber Hotel und Spielhölle keineswegs einäscherte. Aufgrund des nachfolgenden Prozesses sind Instandsetzung und Nutzung des Komplexes unterblieben, ja, sogar untersagt. Die psychomagnetische Spur führt hierher.

Aber garantiert wird Odd bereits von Dannys Entführern erwartet. Die Geister der Toten im Casino schrecken ihn nicht, nur die lauernden Leibwächter Dannys – es müssen zwei sein – und deren Anführer, möglicherweise eine Frau, denn Odd hat ihre Fußspuren im Schwemmsand der Kanalröhren gelesen. Sein sechster Sinn warnt Odd vor den Schützen, und so nimmt er den Weg durch einen Aufzugschacht – ins zwölfte Stockwerk.

Die gute Nachricht: In Zimmer 1242 sitzt Danny tatsächlich. Odd ist froh, ihn lebend wiederzusehen. Die schlechte Nachricht: Danny sitzt auf einer Bombe und kann sich nicht davon entfernen. Die Bombe kann von der Anführerin der Kidnapper ferngezündet werden. Dieses Problem kann Odd trotz seiner vielen Talente nicht beheben. Bleiben nur das Gespräch mit der Frau, die wie Odd Thomas die Geister sehen will – und das Hoffen auf eine günstige Gelegenheit …

_Mein Eindruck_

„Odd“ bedeutet im Englischen „ungleich, schräg, sonderbar“. Doch das ist das Letzte, das Odd Thomas sein will. Denn es bedeutet, einsam zu sein und jede Hoffnung zu verlieren. Er ist auf seine Freunde angewiesen, und das ist der Hauptgrund, warum er Danny Jessup retten will. Doch dies stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Odd kann zwar viel Humor aufbringen, aber bei dieser Gegnerin ist Humor glatter Selbstmord.

Datura, so nennt sich die Frau, war mal Pornodarstellerin, bis sie von ihrem verstorbenen Mann eine Firma für Telefonsex erbte. Über diese lernte sie Danny kennen. Weil sie ein intensives Interesse an allem Okkulten hat, fand sie die Gespräche mit Danny erst dann interessant, als er ihr von Odd Thomas, seinem Freund, erzählte. Doch wo Odd seine übernatürlichen Fähigkeiten stets nur zum Guten einsetzt, will Datura mit solchen Kräften nur ihre Macht vergrößern. Sie hat bereits zwei Muskelmänner zu ihren Zombies gemacht, die ihr aufs Wort gehorchen, aber nie selbst ein Sterbenswörtchen sagen.

Als die ehemalige Pornoqueen mit einem der Totengeister des Casinos spricht, die Odd gerufen hat, enthüllt sie ihre grenzenlose Bosheit. Odd wird geradezu schlecht davon. Glücklicherweise befindet sich unter den Geistern auch ein Poltergeist, der in der Lage ist, unbelebte Objekte zu bewegen. Der von ihm entfachte Sturm aus Trümmern bringt Datura zur Räson – ein wenig. Odd hat endlich die Gelegenheit, sich abzusetzen. Später muss Datura feststellen, dass es noch einen Bewohner des Casinos gibt, und dieser betrachtet es als sein Jagdrevier und Datura demzufolge als seine Beute. So wie Datura kennt die Natur kein Erbarmen – aber auch keine Bosheit.

Wieder einmal hat Koontz sein Urthema umgesetzt: Der Kampf gegen das Böse fordert Freundschaft und Menschlichkeit gleichermaßen heraus. Diesmal haben die „Guten“ aber auch die Toten und die Natur auf ihrer Seite.

|Vorbilder|

Manche Elemente der Geschichte erinnerten mich an die Hauptfigur Christopher Snow aus „Geschöpfe der Nacht“ und „Im Bann der Dunkelheit“. Dazu gehören der sonderbare männliche Hauptdarsteller, das unterirdische Tunnelsystem, die mysteriöse Luftwaffenbasis und natürlich die Auseinandersetzung mit übernatürlichen Phänomenen. Hier ist also nichts Neues zu erhalten.

Doch von Zeitreisen und dergleichen Scherzen hat sich Koontz, der in den 1970er Jahren selbst mal Sciencefiction veröffentlichte, längst verabschiedet. Außer psychischem Magnetismus, Totengeistern und zombieähnlichen Muskelmännern kommen in den Odd-Romanen keine außergewöhnlichen Phänomene vor. Dadurch eignen sie sich auch für Leser von Mainstream-Unterhaltung, die sonst nur einen Krimi in die Hand nehmen würden.

|Autor|

Wie in vielen seiner Romane kommt auch hier ein Schriftsteller vor. Zu allem Überfluss ist der fettleibige Ozzie Boone auch noch ein Autor von Krimis (die im Englischen „Mystery“ heißen, aber nichts mit Mysterien zu tun haben). Mit Odd versteht sich Ozzie ausgezeichnet, und die Unterhaltung, die sie an Ozzies Frühstückstisch führen, ist eine der vergnüglichsten, schrägsten Lektüren, die ich in den letzten Jahren genießen durfte. Nur Ozzies Kater „Terrible Chester“ bereitet Odd wirklich Sorgen, weil er ihn unverwandt anstarrt.

|Ritter|

Odd ist ein Ausbund an Selbstironie. So entschuldigt er sich einmal, dass er nicht der Ritter sei, der den schrecklichen Jabberwock erlegt. Das ist ein Hinweis auf das gleichnamige Nonsensgedicht „Jabberwocky“ von Lewis Carroll, dem Schöpfer von Alice im Wunderland (es steht im zweiten Band). Warum sollte sich ein junger Mann mit einem Ritter vergleichen, den sowieso niemand ernst nehmen kann? Das ist ja gerade der Witz.

|The King|

Auch die Begegnungen mit Elvis „The King“ sind einerseits ironisch, andererseits von echtem Mitgefühl geprägt. Odd hat wie der King seine Mutter verloren und kann nachfühlen, wie es Elvis geht. Wie jeder, der Elvis‘ Biografie gelesen hat, weiß, liebte er seine Mutter Gladys über alles, doch sie starb, bevor er noch den Gipfel seines Ruhm erklommen hatte, und er geriet – wie sie gesagt hätte – auf Abwege, indem er Drogen missbrauchte und von Medikamenten abhängig wurde. Daher starb er bereits mit 42 Jahren. Der Geist des toten Elvis kann nicht von der Erde lassen, weil er hofft, durch Odd noch einmal seine Mutter sehen zu können – oder weil er fürchtet, was seine Mutter zu ihm als Tadel sagen würde, würde er ihr in die jenseitige Welt folgen. Dem Lesepublikum des Autors dürfte diese Geschichte ganz besonders nahegehen.

|Die Übersetzung|

Die Übersetzung durch Bernhard Kleinschmidt zeugt von großer Sorgfalt und einem breitgefächerten wie auch tiefreichenden Verständnis der amerikanischen Sprache (die sich deutlich von der britischen unterscheidet). Wie ich an dem Originaltext von „Seelenlos“ nachgelesen habe, ist Koontz ein äußerst präzise beschreibender Stilist, der selbst für die ausgefallensten Tätigkeiten und Dinge stets das einzige genau passende Wort findet.

Das stellt hohe Anforderungen an jeden Übersetzer, denn manchmal ist die deutsche Sprache nicht präzise genug, um die genaue Entsprechung liefern zu können. Dann muss sich der Übersetzer einen Ersatz einfallen lassen, der nicht plump und nach Umgangssprache klingt. Kleinschmidt ist dies durchweg überzeugend gelungen.

_Unterm Strich_

Ich habe den Roman in zwei Tagen gelesen, denn wie alle Koontz-Romane seit „Dunkle Flüsse des Herzens“ liest sich das Buch leicht, flüssig, amüsant und vor allem spannend. Das Buch ist eine Abrechnung mit den Auswüchsen des Okkultismus, der gerade auch in den Vereinigten Staaten, wo es bekanntlich viele Sekten gibt, verbreitet ist.

Datura, die den Helden stark an die hinduistische Todesgöttin Kali erinnert, ist eine abgebrühte Sektenführerin, und sie ist deshalb so furchteinflößend, weil sie die Macht besitzt, ihre Anhänger in willenlose Zombies und Henkersmaschinen zu verwandeln. Das Gleiche versucht sie natürlich auch bei Odd, doch da beißt sie auf Granit.

Wird es einmal so spannend, dass der Leser an den Nägeln zu kauen beginnt, dann legt der Ich-Erzähler wieder einmal eine seiner Denkpausen ein – und macht als Nächstes etwas ganz anderes als das, was man erwartet hat. So benutzt Odd Thomas beispielsweise Schusswaffen nur im äußersten Notfall und muss sich häufig mit einer alternativen Strategie aus der Patsche helfen.

Das fand ich sehr sympathisch, denn es zeigt Waffenfetischisten (von denen es in Koontz‘ Heimat jede Menge gibt), dass man sich auch auf andere Weise verteidigen kann. Überhaupt ist Odd bzw. Koontz in der Lage, die Amerikaner auch von außen in ihren Eigenarten anzusehen, was bei einem amerikanischen Unterhaltungsschriftsteller ein seltenes Phänomen ist. Vielleicht hat ja seine deutsche Frau Gerda dazu beigetragen.

Auch wenn der Roman für den Krimifan ein paar Längen bereithält und mir einige Elemente schon bekannt vorkamen (siehe oben), so wusste mich die Geschichte von Odd Thomas‘ zweitem Abenteuer zu fesseln und zu unterhalten. Ich werde auf jeden Fall noch sein erstes Abenteuer lesen.

|Ausblick|

Am Schluss entschließt sich Odd, sich von all den Aufregungen erholen zu wollen und einen „ruhigen“ Ort aufzusuchen. Er erhält die Erlaubnis der katholischen Kirche, der er angehört, als Laie ein Jahr lang in einem Kloster wohnen zu dürfen. Diesen Aufenthalt schildert die Fortsetzung „Brother Odd“, die bereits im Original veröffentlicht wurde.

|Originaltitel: Forever Odd, 2005
368 Seiten, Hardcover
Aus dem US-Englischen von Bernhard Kleinschmidt|
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Håkan Nesser – Der Kommissar und das Schweigen (Van Veeteren 5)

Die Erotik hinter den Mauern

Ein neuer Fall für Hauptkommissar Van Veeteren: Zwei Mädchen aus einem Ferienlager verschwinden spurlos und werden wenig später tot aufgefunden. Steckt ein obskurer Sektenführer hinter den Morden? Oder hat man es mit einem unbekannten Psychopathen zu tun? Vor allem aber: Kann Van Veeteren ihn stoppen, bevor er ein weiteres Mal zuschlägt? (Verlagsinfo)
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Die Nominierten für den Kurd-Laßwitz-Preis 2020

Logo des Kurd Laßwitz Preises (c) KLP
Kurd Laßwitz

Vor zehn Tagen ist die Nominierungsfrist für die Wahl des diesjährigen Kurd-Laßwitz-Preises 2020 zu Ende gegangen. In etwa sieben Wochen endet am 31. Mai die Frist für die Stimmabgabe. Die Preisverleihung soll am 19. September 2020 im Rahmen des 15. ElsterCons stattfinden, eines SF-Kongresses, in Leipzig im Haus des Buches statt. Möge die heilige Corona , Schutzpatronin der Schatzsucher, mit den Veranstaltern sein!

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Interview mit Andreas Eschbach: das Corona-Update

Andreas Eschbach
Andreas Eschbach (c) Olivier Favre

Das Leben in den Zeiten von Corona…

… mit Andreas Eschbach

1.) Wie hat sich Ihr Alltag in der Bretagne in den letzten Wochen verändert?

Eigentlich nicht sehr. Sich hauptsächlich zu Hause aufzuhalten ist ja der alltägliche Lebensstil aller Schriftsteller. Wenn mal eine Epidemie ausbräche, die es erforderlich machte, sich den ganzen Tag in großen Gruppen im Freien aufzuhalten – das wäre hart!

2.) Wo schreiben Sie aktuell – Schreibtisch, Sofa, Küchentisch, Balkon, Garten?

Wie üblich an meinem Schreibtisch. Der ohnehin mein Lieblingsplatz ist.

3.) Wer leistet Ihnen zu Hause Gesellschaft?

Meine Frau.

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Stanley G. Weinbaum – Mars-Odyssee. SF-Erzählungen

Evolution auf Speed, die Über-Frau und andere Schrecken

Stanley G. Weinbaum hat in nur ca. 18 Monaten in der Science Fiction neue Maßstäbe gesetzt. Als erster baute er ab 1934 in seine Erzählungen eine einfühlsame Schilderung fremder Lebewesen in ihrer natürlichen Umwelt ein. Er war einer der ersten Autoren überhaupt, der sich ernsthaft mit Exobiologie und fremdartigen Ökologien beschäftigte. (aus der Verlagsinfo)
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Anstiftung zum Selberdenken. Interview mit Ralf Isau

Ralf Isau (c) Isabelle Grubert
Ralf Isau (c) Isabelle Grubert

Buchwurm.info: Lieber Ralf, wie geht es Dir? Wo bist Du?

Ralf Isau: Danke, mir geht es gut. Ich bin gerade überall und nirgendwo. Kürzlich hat mich das „Haus der Technik“ in Essen zum Botschafter für den Deutschen Weiterbildungspreis ernannt. Mitte März ging es zur Buchmesse nach Leipzig. Und im Mai fliege ich nach Südkorea. Ich darf am Changwon International Children’s Literature Festival 2013 teilnehmen. An der Uni von Changwong halte ich eine Vorlesung zur deutschen Kinder- und Jugendliteratur im Allgemeinen sowie der Phantastik von Michael Ende und Ralf Isau im Besonderen. Anschließend geht es zum Goethe-Institut nach Seoul. Du siehst, ich bin ein Globetrotter in Sachen Literatur.

Manche Leser kennen Dich und Deine zahlreichen Werke noch nicht. Stell Dich doch bitte ein wenig selbst vor.

Ich bin Baujahr 1956, in Berlin geboren. Seit 30 Jahren lebe ich mit meiner Frau Karin in der Nähe von Stuttgart. (Eine ausführliche, mit Fotos dokumentierte Biografie findet sich unter der URL http://www.isau.de/vita.html.) Bücher der Phantastischen Literatur veröffentliche ich seit 1994. Alles begann mit dem „Drachen Gertrud“, einem Kinderbuch, das ich Michael Ende schenkte. Es hat ihm gefallen und er empfahl mich seinem Verlag. Seitdem sind fast 40 Bücher entstanden, fast alle im Genre der Phantastik. Viele davon wurden ins Ausland verkauft, in 14 verschiedene Länder. Mein neuer All-age-Roman „Die Masken des Morpheus“ erscheint am 18. März beim Verlag CBJ. (Mehr zum Roman ist unter http://www.isau.de/werk/masken.html nachzulesen.)

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Keith Roberts – Drachenpiloten. SF-Roman

Tollkühne Drachenflieger über Englands Küsten

In einer Parallelwelt bewachen Krieger auf großen Papierdrachen eine isolierte Insel, die sich vor Dämonen fürchtet. Bis es eines Tages zur Invasion kommt. Dies ist einer der besten Science Fiction-Romane des britischen Erzählers und Illustrators Keith Roberts. „Drachenpiloten“ ist ein Episodenroman aus acht Kurzgeschichten und längeren Erzählungen, der bereits 1985 in England erschien.
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Stephen King – Der Musterschüler (Lesung)

Diese Geschichte erzählt nicht nur von der seltsamen „Hassfreundschaft“ zwischen einem alten Nazi und einem jungen Amerikaner. Sie beschreibt, wie sich der Geist des Rassenwahns und der Unmenschlichkeit aufgrund der Faszination, die er auf unvorbereitete Menschen ausübt, fortpflanzen kann. Der Autor warnt davor, wozu die entsprechende Indoktrination führt: Zuerst müssen die Hilf- und Wehrlosen dran glauben – und dann?

_Der Autor_

Stephen King, geboren 1947 in Portland/Maine, begann schon in jungen Jahren mit dem Schreiben. Inzwischen ist sein Name gleichbedeutend mit guter, wirkungsvoller Horrorliteratur. Fast jedes seiner Bücher ist verfilmt worden, angefangen bei „Carrie“ bis hin zu „Der Sturm des Jahrhunderts“ und „Dreamcatcher/Duddits“. Die Novelle „Der Musterschüler“ {– die ebenfalls verfilmt wurde, und das als recht eindrucksvolles Kammerspiel mit einigen inhaltlichen Abwandlungen, Anm. d. Lektors –} wird hier ungekürzt gelesen.

_Die Sprecher_

Oliver Rohrbeck ist als Theaterschauspieler und Synchronsprecher bekannt geworden. Er machte sich v.a. in der Hörspielreihe „Die drei ???“ einen Namen. Er leiht dem Musterschüler Todd Bowden seine Stimme.

Till Schult, ein erfolgreicher Schauspieler und Sprecher, interpretiert hintergründig und flexibel den Lagerkommandanten Kurt Dussander: Man brüllt er demütigend, mal flüstert er einschmeichelnd. Er ist der ideale Gegenspieler, der den Hörer in seinen Bann zieht. Seine Stimme ist weitaus tiefer als die für „Todd Bowden“.

_Handlung_

Das Böse übt auf Todd Bowden eine gewisse unheilvolle Faszination aus. Der nette, aufgeweckte Junge von 13 Jahren sucht den Kontakt zu einem ehemaligen Lagerkommandanten der Nationalsozialisten, den er nach dem Durchstöbern von Zeitungsberichten zufällig auf der Straße erkennt. Er erpresst den alten Mann: Wenn er ihm nicht zu Willen sei, werde er ihn an die Nazijäger aus Israel und Wien verraten. Der Alte muss zähneknirschend einwilligen, doch er wartet auf seine Chance.

Von Kurt Dussander alias Arthur Denker lässt sich Todd die Verbrechen im Konzentrationslager des ehemaligen Kommandanten haargenau schildern. Er bekommt davon Alpträume, die auch erotischer Natur sind. Seine Schulzensuren gehen in den Keller. Immer mehr gerät er in den Strudel der Sucht nach Macht und in die Gedankenwelt des Dritten Reiches. Bis er selbst zu morden beginnt.

Inzwischen hat Dussander eine Handhabe gegen Todd gefunden. Er werde ihn nach seinem Tod verraten, weil er der Polizei nichts von dem gesuchten Kriegsverbrecher Kurt Dussander erzählt habe, wie es Todds Pflicht gewesen wäre. Und Dussander geht noch weiter: Er rettet Todds Zensuren durch strenge Anleitung zum Lernen und durch ein Gespräch mit dem zuständigen Rektor, Ed French. Hier tritt Dussander sogar als Todds Großvater auf.

Die Jahre vergehen. Todds Bekanntschaft mit Dussander begann im Jahr 1974. Mehrere Jahre später hat er nun einen guten Schulabschluss hingelegt und soll in die Footballmannschaft von Santo Donato, seinem Heimatort, aufgenommen werden, eine besondere Ehre. Doch sein Foto in der Zeitung bringt gewisse Leute auf seine Fährte.

Denn was soll man von der anhaltende Mordserie an Pennern und Landstreichern in der Gegend um Santo Donato halten? Als Dussander einen Herzinfarkt erleidet, bricht das unsichtbare Geflecht aus Erpressung und Schutz, das Todd und Dussander aneinander band, zusammen. Todd, der eine glänzende Karriere nach einem Collegeabschluss vor sich gesehen hatte, sieht seine Zukunft gefährdet. Als auch noch Polizei, Nazijäger und Ed French bei ihm auftauchen, brennen bei ihm die Sicherungen durch.

_Mein Eindruck_

Mit 511 Minuten Länge ist diese Erzählung schon keine Story mehr, sondern ein ausgewachsener Roman. Dafür spricht auch, dass hier nicht nur die Perspektive von einer oder zwei Figuren im Mittelpunkt steht, sondern auch Nebenfiguren wie Todds Eltern oder Ed French mit langen Szenen bedacht werden. Das kommt in Kurzgeschichten recht selten vor und ist eher das Vorrecht eines Romans.

Gespannt verfolgt der Zuhörer, wie sich die beiden Hauptfiguren kennen lernen, sich eine psychische Bindung entwickelt und wie sie sich schließlich gegenseitig erpressen: ein klassischer „double-bind“, der eine stabile kriminelle Partnerschaft gewährleistet. Doch als eine der beiden Seiten (Dussander) geschwächt wird und ausfällt, beginnt das auf dieser Konstruktion errichtete Leben von Todd Bowden auseinander zu fallen.

Es ist dies das Leben eines Serienkillers. Todd hat seine Opfer, die Landstreicher und Obdachlosen, das Äquivalent zum „lebensunwerten Leben“ der Nazis, systematisch umgebracht, um ein Ventil für seine Gewaltfantasien und seinen Hass auf den alten Lagerkommandanten zu finden. Dass der alte Knacker schlauer und skrupelloser ist als er, der amerikanische, wohlausgebildete Junge, wurmt Todd ganz besonders.

Obwohl er sich selbst für clever genug hält, um die am Ende bei ihm aufkreuzende Polizei zu überlisten, macht er doch kleine Fehler, die den Polizisten stutzig machen. Sein Selbstbewusstsein, das ihm erlaubt, Hilflose abzustechen, ist zu übersteigert, um ihn daran zu hindern, vorsichtig zu sein. Seine Überheblichkeit, die er wie ein echter Nationalsozialist oder Lagerkommandant entwickelt und kultiviert hatte, wird ihm doch noch zum Verhängnis.

Denn Todd ist ein Nazi geworden. Nicht dem Namen nach natürlich, aber im Geiste. Und das bedeutet, dass die Ideologie der Nazis, ihr Rassenwahn und ihre Überheblichkeit, prinzipiell überall in den Vereinigten Staaten Wurzeln schlagen können. Sie haben dies in der Tat bereits getan: Die meisten „arischen“ Publikationen im Internet stammen laut Dokumentationen aus den USA. In Oregon und Idaho existieren rechtsgerichtete Gruppierungen und sogar bewaffnete Milizen, die vom FBI (angeblich) scharf beobachtet werden. (Der Roman „Ausgeliefert“ von Lee Child beschreibt ein solches Milizenlager ausführlich als Schauplatz der actionreichen Handlung.)

_Die Sprecher_

Till Schulte spricht die Szenen, in denen die Perspektive des Alten, Kurt Dussanders, bestimmend ist. Es kommen also auch andere Figuren zu Wort, besonders Todd. Seine tiefe Stimme ist beeindruckend, fein moduliert und der jeweiligen Figur angemessen. Das, was er ruhigen Tones schildert, lässt einem manchmal die Haare zu Berge stehen.

Oliver Rohrbeck, der die Perspektive Todds spricht, ist ein ganz anderes Kaliber. Nicht nur ist seine Stimme angemessen höher, aber es fehlt ihm auch hörbar an Erfahrung (oder ausreichend Übung), um jeden Satz optimal zu betonen. Außerdem hat er Mühe, französische und spanische Wörter korrekt auszusprechen (aber das ist bei vielen Sprechern so, selbst noch bei englischen Wörtern).

_Unterm Strich_

„Der Musterschüler“ ist ein Hörbuch für die Geduldigen. Wie eingangs gesagt, beinhaltet die romanartige Erzählung eine Warnung des Autors an den Leser/Hörer, gewissen Ereignisse der jüngsten Geschichte nicht zu vergessen. Sonst werden sie unweigerlich wiederholt.

Die Qualität der Sprecher erscheint mir höchst unterschiedlich. Während Till Schulte eine erfahrener Profi ist, so muss Oliver Rohrbeck noch hart an seinem zweifellos vorhandenen Können arbeiten, um die gleiche Meisterschaft zu erlangen.

Hinweis: Die Beschreibungen von gewalttätigen und sexuellen Szenen machen die King-Hörbücher „Der Musterschüler“ und „Die Verurteilten“ {ebenfalls herausragend gut verfilmt – Anm. d. Lektors} in diesem Doppelpack „Frühling und Sommer“ nicht für Jugendliche unter 16 Jahren geeignet.

Laufzeit von 511 Minuten auf 7 CDs

_Michael Matzer_ © 2002ff

Harris, Robert – Pompeji. Das Hörspiel

_Vesuvausbruch: die Riesenfaust des Höllenfürsten_

Im Sommer des Jahres 79 n. Chr. kommen wie eh und je die Reichen und Schönen aus Rom in ihre Villen am Meer, um Urlaub zu machen. Attilius, ein neu eingesetzter Wasserbaumeister, ist jedoch wegen der Arbeit hier. Er ersetzt in Misenum, Pompeji und Herculaneum den kürzlich spurlos verschwundenen Vorgänger Exomnius. Diese und andere Unstimmigkeiten an der lebenswichtigen Wasserleitung Aqua Augusta scheinen kriminellen Ursprungs zu sein.

Als der Vesuv ausbricht, der den Anwohnern jahrhundertelang so friedlich erschien, dass sie seine Existenz kaum noch wahrnahmen, muss Attilius um seine neue Freundin Corelia bangen, die von ihrem korrupten Vater Ampliatus eingesperrt wurde. Kann er sie rechtzeitig erreichen und aus der Apokalypse, die sich nun entfaltet, retten?

Inzwischen hat der |Hörverlag| aus dem Bestseller von Robert Harris ein Hörspiel produziert, das sich durch mit den Produktionen der Rundfunkanstalten messen kann. In der Machart erinnert es zuweilen an [„Otherland“. 603

_Der Autor_

Robert Harris wurde 1957 im britischen Nottingham geboren. Nach seinem Geschichtsstudium in Cambridge war er als BBC-Reporter und politischer Redakteur des „Observer“ tätig. Die historischen Hintergründe seiner Romane recherchiert Harris als Historiker exakt. Trotzdem schreibt er keine Sachbücher: Er will die Leser gleichzeitig unterhalten und informieren, schreibt der Verlag.

Mit seinem Roman „Vaterland“ gelangte er 1992 in die internationalen Bestsellerlisten, danach folgten das ebenfalls verfilmte „Enigma“ sowie „Aurora“ (1998). Nach „Pompeji“ wurde bei uns sein antik-historischer Roman [„Imperium“ 2916 veröffentlicht. Harris ist heute ständiger Kolumnist der Tageszeitung „The Times“. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einem alten Pfarrhaus in Kintbury bei London.

_Die Sprecher / Die Inszenierung_

Die Rollen und ihre Sprecher:

Erzähler: Peter Fricke
Attilius: Patrick Bach
Ampliatus: Christian Redl
Corelia: Céline Fontanges
Corax: Lutz Herkenrath
Plinius: Gerd Baltus
Torqzatus: Sebastian Faust
Tiro: Tammo Kaulbarsch
Und andere, darunter Helmut Zierl.

Als LEXIKON: Andreas Fröhlich

Peter Fricke (Erzähler), geboren 1940, stand auf fast allen bekannten Bühnen Deutschlands und spielte in mehr als 120 TV-Produktionen mit, natürlich auch in „Tatort“ und „Derrick“. Er lebt heute in München. Für den Hörverlag wirkte er bereits an vier Hörbuchproduktionen mit.

Patrick Bach (Attilius), geboren 1968 in Hamburg, trat bereits mit drei Jahren im Fernsehen auf. 1981 wurde er für die Weihnachtsserie „Silas“ entdeckt. Danach spielte er in drei weiteren Weihnachtsserien mit: „Jack Holborn“ „Anna“ und „Laura und Louis“. Für die „Herr der Ringe“-Trilogie von Peter Jackson lieh er seine Stimme Sean Astin als Samweis Gamdschie.

Hörspielbearbeiter und Regisseur Sven Stricker, Jahrgang 1970, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften in Essen. Nach einem Volontariat bei einem Kinder- und Jugendbuchverlag kümmerte er sich drei Jahre lang um das dortige Hörspiel- und Liederprogramm. Seit 2001 lebt und arbeitet er als freier Regisseur und Bearbeiter in Hamburg. Seine Produktionen wurden u. a. mit dem Deutschen Hörbuchpreis und dem Publikumspreis („Hörspielkino unterm Sternenhimmel“ ausgezeichnet. Für den |Hörverlag| inszenierte er Mankell, Donna Leon sowie diverse Klassiker der Jugendliteratur (Crusoe, Schatzinsel usw.).

Die Musik steuerte Jan-Peter Pflug bei. Der einzigartige Gesang im römisch-antiken Stil stammt von Etta Scollo. Die technische Realisation lag in den Händen von Kay Poppe.

_Handlung_

Der Flottenstützpunkt Misenum, 22. August 79, noch zwei Tage bis zum Ausbruch des Vesuv. Bereits zwei Stunden vor Sonnenaufgang quält sich ein kleiner Arbeitertrupp die Hänge des Vulkans empor. Der neue Wasserbaumeister Attilius ist erst drei Tage im Amt, nachdem sein Vorgänger Exomnius spurlos verschwand. Daher nehmen ihn seine Arbeiter ob seiner Jugend – er ist erst 27 – nicht für voll und murren. Vor allem Corax, der Aufseher, scheint etwas gegen Attilius, den Römer, zu haben. Was genau das ist, wirst erst später klar, aber dann ziemlich eindeutig. Corax steht nicht nur in Diensten des römischen Staates.

|Die Lebensader Kampaniens|

Attilius hat die Aufgabe übernommen, die Aqua Augusta instand zu halten und mit diesem 60 Kilometer langen Aquädukt die gesamte Region Kampanien rings um den Vulkan mit Wasser zu versorgen. Es ist die längste Wasserleitung der Welt, eine architektonische Meisterleistung. Kein Wunder, dass sich durch die optimale Wasserversorgung zahlreiche Reiche in ihren Villen angesiedelt haben und ihre Gäste mit raffinierten Wasserspielen unterhalten. Nur das Erdbeben, das Pompeji vor 17 Jahren schwer beschädigt hat, erscheint auf ihrer inneren Landkarte als kleine Störung. Die Stadt hat sich nämlich inzwischen davon erholt.

Als Attilius mit seinen Arbeitern eine Grube ausgehoben hat, um eine neue Quelle anzulegen, ist er nicht wenig erstaunt, als das Wasser sofort wieder versiegt. Doch dies ist nur der Anfang vom Ende. Binnen weniger Stunden versiegt das Wasser der gesamten riesigen Wasserleitung: Acht Gemeinden sind abgeschnitten. Attilius hat so etwas noch nie erlebt und kann es sich nicht erklären. Ist die Wasserleitung gebrochen?

|Ampliatus und Corelia|

Zwei Frauen holen ihn aus dem Wasserreservoir der Stadt zur Villa Hortensia in Misenum. Sie wollen, dass er die Wasserqualität in den Fischzuchtbecken der Villa, die Ampliatus gehört, prüft. Das Wasser kommt aus dem noch vollen Reservoir, nicht aus der versiegten Aqua Augusta. Weil sich diese Qualität eventuell verändert hat, sind vor wenigen Stunden die empfindlichen, aber als Luxusspeise beliebten Meerbarben gestorben. Dafür macht Ampliatus aber nicht das Wasser, sondern den zuständigen Sklaven verantwortlich. Die junge Corelia, Ampliatus‘ Tochter, ist entsetzt über die Rohheit, mit der er den Sklaven gefräßigen Muränen vorgeworfen hat.

Der Sklave ist bereits tot, als Attilius eintrifft und dem Wasser einen hohen Schwefelanteil attestiert. Er kann sich den Grund dafür zwar nicht denken, empfiehlt Ampliatus aber, die Leitung sofort zu sperren. Er selbst werde die Brunnen der Stadt sperren lassen. Schließlich soll kein Bürger Wasser trinken, das nach faulen Eiern stinkt. Als er Ampliatus verlässt, geht ihm Corelia nicht aus dem Kopf. Sie sieht seiner fünf Jahre zuvor im Kindbett gestorbenen Frau Sabina sehr ähnlich.

|Plinius|

Der Naturforscher Gaius Plinius, ein unglaublich korpulenter, aber intelligenter und gebildeter Soldat, ist Befehlshaber der römischen Kriegsflotte, die in Misenum ihren Stützpunkt im westlichen Mittelmeer hat. Bei einem Experiment wundert er sich, dass die Flüssigkeit in einem Weinglas nicht zu zittern aufhört – Erdbeben? (Plinius wird später, während des Ausbruchs, eine zentrale Rolle in der Handlung spielen.)

Attilius muss ihm melden, dass er die Brunnen sperren und das Wasser der Flotte rationieren lässt. Inzwischen haben Boten ein Bild vom Ausmaß der Wasserkatastrophe geliefert: Acht von neun Gemeinden haben kein Wasser mehr. Warum aber hat ausgerechnet Pompeji noch Wasser? (Das hat Attilius von einem Augur erfahren, der von dort gerade in Misenum eingetroffen ist.)

Um dies herauszufinden, erbittet Attlius als Beamter des Kaisers von Plinius ein schnelles Schiff. Es wird ihm gewährt, und Attilius ist am selben Tag noch in der vor 17 Jahren von einem Erdbeben zerstörten Stadt. Er staunt, wie rasch hier der Wiederaufbau vorangegangen ist, so dass sogar das Forum, der Marktplatz, fast wieder fertig ist. Woher kam das Geld dafür? Und warum lässt die Stadt frisches Wasser ins Meer laufen – gibt es hier denn Wasser im Überfluss?

|Pompeji|

23. August, noch ein Tag bis zum Ausbruch. Um die Unterstützung der Stadtverwaltung bei der Untersuchung und eventuellen Reparatur der Wasserleitung zu erhalten, sucht Attilius die zwei zuständigen Magistrate auf. Er findet sie in der Villa eines alten Bekannten: Ampliatus. Die Stadtväter sind keineswegs geneigt, Attilius ihre Unterstützung zu gewähren, denn sie glauben seinen Theorien von drohendem Unheil nicht.

Es ist vielmehr Ampliatus, der ihm zwölf Arbeiter anbietet, gegen einen kleinen Gefallen, versteht sich. Attilius, der weiß, wie schnell aus einem Gefallen eine Schuld werden kann, ist jedoch ein wirklich ehrenwerter Mann, und weigert sich rundweg, irgendeine Gegenleistung zu gewähren – er hat das Recht, die zwölf Sklaven zu requirieren. Ampliatus ist nicht amüsiert. Gegen ehrenwerte Männer gibt es für ihn nur ein Mittel: einen Dolch in den Rücken.

Während Attilius allmählich gegen Ampliatus und seinen Vorgänger Exomnius einen schweren Verdacht hegt, begegnet ihm Corelia erneut, die heute noch besser aussieht. Kein Wunder, denn sie trägt nur eine leichte Tunika fürs Schwimmen. Selbst als er noch in der gleichen Nacht mit den Sklaven und einigen Ochsengespannen die Hänge des Vulkans erklimmt, geht sie ihm nicht aus dem Kopf.

Corelia ist wütend darüber, dass ihr Vater sie vor Attilius wegsperren will, schleicht sich in den Garten und belauscht den Mordauftrag, den ihr Vater erteilt. Sie stibitzt wichtige Dokumente und macht sich noch am Abend auf den Weg, Attilius zu warnen. Eine junge Frau, die ganz alleine auf einem Pferd durch die Wildnis am Fuße des Berges reitet – ein gefährliches Vorhaben. Doch sie hat ihr Schicksal an das des jungen Wasserbaumeisters geknüpft. Sie will keinen alten Knacker heiraten, der sie unter Verschluss hält, sondern wünscht sich eine Zukunft als freie Frau eines jungen, aufstrebenden Mannes.

Ihnen beiden bleiben nur noch wenige Stunden bis zum Ausbruch des Vesuv, der zwei volle Tage dauern wird. Werden sie der Apokalypse entgehen? Oder wird man sie fast 2000 Jahre später als versteinerte Mumien aus der Asche graben?

_Mein Eindruck_

Insgesamt ist „Pompeji“ eine rundum gelungene Kombination aus Krimi, historischem Drama und Katastrophenthriller. Harris hat saubere Arbeit geleistet.

|Der Krimi|

Ein Mann ist verschwunden, und zwar nicht bloß irgendein Mann, sondern der Wasserbaumeister der wichtigsten Wasserleitung für Kampanien. Sein eilig herbeigeholter Nachfolger Attilius muss sich daher nicht nur mit den Problemen des Alltags eines Wasserbaumeisters beschäftigen, sondern dringend dieses Verschwinden aufklären. Schließlich könnte er der Nächste sein. War es ein Verbrechen, so hat jemand Exomnius umgebracht oder entführt. War es ein Unfall, so könnte Attilius die gleiche Gefahr drohen. In beiden Fällen liegt es in seinem ureigensten Interesse, den Fall schnellstens aufzuklären.

Doch so etwas wie eine Wasserpolizei gibt es offenbar ebenso wenig wie eine normale städtische Polizei, die für Attilius ermitteln könnte. Er muss sich selbst darum kümmern und begibt sich in die verrufensten Viertel von Pompeji, dorthin, wo man bis heute die Graffiti für Gladiatoren und einschlägigen Werbesprüche für Bordelle und Huren finden kann.

Und tatsächlich wird er fündig: Doch in Exomnius Zimmer fehlt etwas, ein Kästchen mit Dokumenten. Es sind die Dokumente, die Corelia ihrem Vater stibitzt, um sie Attilius zu bringen. Dadurch stößt er auf ein lange Jahre praktiziertes Verbrechen, das Exomnius zu einem reichen Mann gemacht haben muss. Doch wo befindet sich sein beiseite geschafftes Vermögen? (Banken wurden erst im Mittelalter erfunden.)

Kaum hat Attilius diese Erkenntnisse erhalten, sieht er sich an den Hängen des Vulkans verfolgt. Es ist Ampliatus‘ Auftragskiller.

Obwohl der grundlegende Drama-Plot zwischen Attilius und Corelia recht einfach aufgebaut ist, trifft dies für den Krimiteil nicht zu. Attilus‘ Ermittlungen mögen vielleicht nicht so kompliziert und wendungsreich sein wie die in Romanen von Patricia Cornwell oder Michael Connelly, doch sie müssen mit Sachverstand und einem Gespür für Menschen geführt werden, um erfolgreich zu sein. Wenn es auch nicht Attilius ist, der Exomnius‘ Schatz findet, so deckt er doch das Verbrechen auf.

|Der Katastrophen-Thriller|

Andere Dokumente, die Corelia ihm bringt, beschäftigen sich mit Vulkanismus. Dazu zählen bekanntlich sehr viele Phänomene: Gase, Fumarolen, heiße Tümpel, Krater, Auswurf aller Art. Exomnius war Sizilier und kannte sich mit den Phänomenen an den Hängen des Ätna aus. Wusste er, worauf die verstärkte unterirdische Tätigkeit des Berges Vesuv hindeutete? Diese Fragen stellt sich Attilius selbst noch am Morgen direkt vor dem Ausbruch. Dann findet er die traurige Wahrheit heraus

Der Hörer fragt sich natürlich die ganze Zeit, warum erstens die Dokumente des Exomnius so wichtig sind, und zweitens, warum niemand sonst in Kampanien die Vorzeichen für den bevorstehenden Ausbruchs des Vulkans richtig zu deuten vermag. Offensichtlich verhält es sich so, dass der Vulkan Vesuv seit Jahrhunderten nicht mehr ausgebrochen und das Wissen über Vulkanologie verloren gegangen ist – außer in Gegenden wie Sizilien, wo Vulkanausbrüche praktisch an der Tagesordnung sind.

Wenn Plinius & Co. registrieren, wie der Wein im Glas zittert, so führen sie dies entweder auf Wind, Götter oder ein entferntes Erdbeben zurück. Da 17 Jahre zuvor Pompeji durch ein Beben verwüstet wurde, ist das eine naheliegende Erklärung. Der Naturforscher Plinius ist daher vom Ausbruch des Vesuv, als er erfolgt, nicht so sehr überrascht, dass er handlungsunfähig wäre. Vielmehr ist er als Flottenkommandeur in der Lage, Befehle zum koordinierten Einsatz von Kriegsschiffen zu geben, die den bald zu erwartenden Opfern Hilfe bringen sollen, so etwa zwecks Evakuierung.

Es ist ein erstaunlicher Effekt, wenn Plinius am Vulkan vorbeischippert und dabei seinem Sekretär diktiert, was er beobachtet: Sein geradezu klinischer Blick beschreibt eine aufsteigende Rauch- und Aschewolke, die wie die Faust eines Höllenfürsten ungeheuer hoch in den Himmel ragt. Bisher dachten Gelehrte, der von den Göttern bewohnte Himmel begönne ungefähr drei, andere meinten elf Kilometer (in Stadien gemessen) über der Erde. Aber diese ungeheure Wolke scheint diese Theorien zu widerlegen: Sie steigt 33 Kilometer weit auf. Plinius‘ detaillierte Beschreibung führt dazu, dass solche Vulkanausbrüche noch heute „plinianisch“ genannt werden.

Richtig bizarr wird es dann, als Plinius‘ Galeere von einem Regen von Bimsstein zuerst zugedeckt und dann gestoppt wird. Da die gesamte Wasseroberfläche von leicht schwimmendem Bimsstein meterhoch bedeckt ist, gibt es kein Vorwärtskommen mehr. Steine regnen tonnenweise und stundenlang aufs Schiffsdeck, unter dem Besatzung und Passagiere Zuflucht gesucht haben. Das Ende der Welt scheint nicht nur nahe zu sein – es ist bereits angebrochen.

Als Attilius von der Küste nach Pompeji marschiert, um Corelia zu suchen, wandert er durch eine finstere Alptraumlandschaft, die es mit jeder jemals ersonnenen Version der Hölle aufnehmen kann. Doch Pompejis Schicksal ist noch nicht besiegelt.

|Das historische Drama|

Ich bin vor etlichen Jahren einmal stundenlang durch die Ruinen von Pompeji gegangen: das gewaltige Forum mit den Säulen des zentralen Tempels, die kleinen Häuser der umliegenden Viertel, die mit bunten, kostbaren Wandfresken ausgemalten Villen (z. B. die „Villa der Mysterien“) – all dies beherbergte einstmals Menschen und viele andere Lebewesen. Die unter der heißen Asche zu Stein erstarrten „Mumien“ stammen nicht nur von Bürgern, sondern auch von Hunden und anderen Haustieren. Es sind tausende solcher „Mumien“ gefunden worden – und das nur in einer der neun Städte am Fuße des Vulkans.

Dem Autor gelingt es, ein vielschichtiges Bild des damaligen Daseins mit Leben zu füllen. Dies ist aber kein statischer Querschnitt, sondern verfügt über eine historische Tiefe. Viele Entwicklungen haben dazu geführt, dass Attilius diese Gegend so blühend vorfindet und vor allem in Pompeji auf einen Überfluss an Wasser stößt. Offenbar blüht hier nicht nur der Oleander, sondern auch das Verbrechen. Vielleicht eine frühe Form der neapolitanischen Camorra? Ampliatus ist der „Pate“ der Stadt, und zwar in mehr als nur einer Hinsicht.

Für die Reichtümer, die die Adeligen in ihren Villa angesammelt haben, steht stellvertretend die Villa Calpurnia des Senators Cascus. Als Plinius seine Schiffe ausschickt, weiß er um die kulturellen Schätze, die hier in Gefahr sind, vernichtet zu werden. Die Villa ist Aufenthaltsort zahlreicher Philosophen, und der Senator hat aus Griechenland sämtliche 120 (!) Dramen des Sophokles herbeigeschafft. Alles verloren. Von den Dramen sind uns heute nur eine Handvoll überliefert.

Der Autor hat jede seiner Hauptfiguren mit Leben gefüllt: mit Zielen, Motiven, Erinnerungen, Wünschen und Ängsten, so dass aus dem historischen Roman durch das Aufeinandertreffen dieser Figuren ein Drama wird. Dies ist der eigentliche Motor der Handlung. Und dadurch stellt uns der Roman auch auf einer menschlichen Ebene zufrieden. Krimi und Katastrophen – das ist schön und gut, würde aber nur für oberflächliche Unterhaltung ohne Bedeutung für uns ausreichen. Erst das Drama hat Bedeutung, denn es behandelt Themen, mit denen wir uns noch heute identifizieren können: Liebe, Furcht und Schrecken, auch Tragik und möglicherweise sogar Heldentum.

|Humor|

Wie könnte ein Katastrophenthriller auf irgendeine Weise humorvoll sein, mag sich der Leser bzw. Hörer fragen. „Es gibt nichts Lukrativeres als Besitz in Pompeji“, sagt Ampliatus an einer Stelle. Allerdings gibt es bestimmte Einschränkungen, wie er erfahren muss. So etwas nennt man tragische Ironie.

|Die Sprecher & Die Inszenierung|

Das Hörspiel beginnt jedoch nicht mit der Handlung, sondern mit dem Zitieren aus einem LEXIKON, das extra für diese Textfassung eingeführt wurde. Daraus erfahren wir von den unsichtbaren Vorgängen unter dem Vesuv und von der Geschichte der Vulkanausbrüche. Die Sprache entspricht jener der modernen Wissenschaft, aber ich nehme an, dass Begriffe wie Lava, Magma, Gas, Schwefel und sogar Tephra (Bimssteinauswurf) schon damals den Experten bekannt waren, Leuten wie Exomnius beispielsweise. Die Begriffe stammen aus dem Griechischen und dem Lateinischen. Möglich, dass manche erst erfunden wurden, um Ausbrüche wie den des Vesuvs überhaupt angemessen beschreiben zu können.

Wie auch immer: Das Lexikon ist notwendig. Doch eine ganz andere Frage ist es, wie es zu präsentieren ist, damit es sowohl mit der Handlung zu tun hat als auch sich wie ein antiker Chor über dieselbe erhebt und sie kommentiert. Der Sprecher des Lexikons ist Andreas Fröhlich, einer der Top-5-Sprecher Deutschlands (Synchronstimme von John Cusack, „Gollum“ usw.). Doch nicht nur seine Stimme ist zu hören, sondern mindestens zwei oder drei weitere, die ähnlich klingen wie er: Es sind durch Filter verfremdete Versionen Fröhlichs. Der Eindruck eines Teams von Autoren des Lexikons entsteht. Das Lustige dabei: Sie sind gerade dabei, den Lexikoneintrag über den Vesuvausbruch zu schreiben, probieren noch an der Formulierung herum. Dadurch kommt ein gewisses Reportage-Feeling auf. Wir wissen nie, was als Nächstes kommt. Ein schlauer, wenn auch notwendiger Einfall, dieses Lexikon.

|Der Gesang|

Was wir nach dem Lexikonzitat hören, ist immer noch nicht der erste Sprecher. Es ist vielmehr die einführende Hintergrundmusik, deren hervorstechendstes Merkmal der Gesang von Etta Scollo ist. Ich bin zwar kein Experte für antiken römischen Gesang, aber der Eindruck, den ich von Scollos Gesang erhielt, stimmt mit dem überein, was unter anderem in den antikisierenden „Carmina Burana“ des Carl Orff zu hören ist. Die Tonleitern sind ebenso unvertraut wie die Kadenzen und die Tonlage.

Diese „echte“ Antike hat nichts mit Ridley Scotts „Gladiator“ zu tun, der reines Hollywoodkino darstellt. Allenfalls ganz am Schluss hört man einen Anklang an das echte Rom, wenn die Stimme von Lisa Gerrard den Abgang von Maximus beklagt. Dass die Instrumentierung ebenfalls zu den Kadenzen, die die Scollo vorträgt, passen muss, versteht sich von selbst, denn sonst könnte ihr Gesang nicht authentisch wirken. Nach einer Weile achtet der Hörer nicht mehr so stark darauf, aber am Anfang scheint sich der Gesang doch unziemlich in den Vordergrund zu drängen. In den Intermezzi darf er das natürlich.

Dass die Geräusche von größtmöglichem Realismus sind, darf man heutzutage erwarten. Dies ist filmische Qualität, wie sie von einem Hörspiel erwartet wird. Da rauschen die Wellen, und der Wind weht schier unablässig, doch zunehmend scheint sich ein fernes Rumpeln und Beben bemerkbar zu machen – der Ausbruch des Vulkans ist nahe. Der Realismus lässt sich aber auch zu weit treiben. Als Attilius die Villa Hortensia betritt, hört er sofort die Schreie des sterbenden Sklaven. Weil diese gar nicht mehr verstummen wollen, gehen sie entweder auf die Nerven oder an die Nieren, je nach Konstitution des Hörers. Abrupt brechen sie – endlich ist der Schreihals tot, seufzt man erleichtert auf.

Wenn es zu wichtigen Szenen kommt, verweisen sowohl Geräusche als auch Musik auf die dafür angemessene Emotion. Als Ampliatus, der „Pate“ von Pompeji, Attilius eine Angebot macht, das dieser „nicht ablehnen kann“, grummeln zuvor tiefe Bässe, um anzudeuten, dass Gefahr droht. Wir hätten uns um den rechtschaffenen Attilius keine Sorgen machen müssen. Das müssen wir erst tun, als ihm der Attentäter auf dem Vulkangipfel nachstellt.

Dies ist eine höchst gespenstische Szene und wohl die einzige, in der wir an Attilius selbst zu zweifeln wagen. Sie findet auf dem Gipfel des noch nicht ausgebrochenen Vulkans statt, und der Beamte stolpert durch eine menschenfeindliche Wüstenei aus Schlacke, giftigen Gasen und Asche. In einem der kleinen Krater hat sich ein Tümpel giftigen Gases – vermutlich Kohlenmonoxid oder Stickoxid – gebildet, und Attilius bekommt die Auswirkungen am eigenen Leib zu spüren. Sein Geist wird verwirrt, als das Gift seine Wahrnehmung beeinträchtigt. Noch unheimlicher fühlt er sich, als er über eine Leiche stolpert. Dieser Szenerie der Unterwelt und des Todes wird schließlich die Krone aufgesetzt, als der Mörder auftaucht, den Ampliatus auf Attilius angesetzt hat

Wieder ertönen Schreie der Todesqual, und nicht zu wenige. Irgendjemandem im Sounddesign machte es offenbar Spaß, möglichst viele Schreie einzuflechten, besonders wenn sie so realistisch wie möglich klingen. Auch Hall und Filter werden gerne eingesetzt, allerdings nicht zum Nachteil, sondern zur Betonung des Geschehens.

Am massivsten ist der Filtereinsatz bei den LEXIKON-Zitaten zu hören, und direkt davor erklingen sehr moderne Sounds des Splitterns und Brechens, wie ich sie bislang nur in den „Otherland“-Hörspielen des |Hörverlags| vernommen habe. Diese Parallele ist verblüffend, aber naheliegend. Denn Andreas Fröhlich tritt in den Otherland-Hörspielen ebenfalls auf, und zwar ebenfalls als eine Art Kommentator. Obwohl „Otherland“ in der Zukunft spielt und „Pompeji“ in der fernen Vergangenheit, wird sich der Hörspielkenner also sofort in beiden zurechtfinden.

_Unterm Strich_

Der Autor hatte mit [„Vaterland“ 1485 und „Enigma“ große Erfolge, doch sein dritter Roman „Aurora“ („Archangel“) ging bei uns ein wenig unter. „Pompeji“ hingegen könnte man keinen größeren Erfolg wünschen, als es eh schon hat. Es ist ein auf drei Ebenen hervorragend funktionierender Roman und stellt jeden Leser zufrieden: Krimi, Katastrophenthriller und menschliches Drama.

Die Unterschiede, die das Hörspiel im Vergleich zur Lesung und zur Buchvorlage aufweist, sind Legion. Sie aufzuzählen, wäre daher recht müßig. Sinnvoller erscheint es mir, die Vor- und Nachteile zusammenzutragen, die das Hörspiel bereithält.

Am auffälligsten ist die Ausgliederung der wissenschaftlichen Erläuterungen in ein Lexikon, das auf eigenwillige Weise von Andreas Fröhlich gestaltet wurde. Das nächste Element ist der antik-römisch anmutende Gesang von Etta Scollo, der den Filmkenner an Lisa Gerrards Gesang in „Gladiator“ erinnern könnte. Die Hintergrundmusik ist entsprechend auf antik getrimmt, aber dennoch recht melodiös. Sie stört den Vortrag der Dialoge überhaupt nicht. Am Schluss entlässt uns ein Ensemble aus Piano, Geigen und Scollo-Gesang auf die entspannteste Weise. (Merke: Die Geschichte hat ein Happyend.)

Ich fand lediglich die sehr kleine Rolle, die Corelia spielt, ein wenig schade, denn offenbar wurde die Rolle sehr stark gekürzt. Und zwar so sehr, dass es sehr unerwartet kommt, als sie ihrem Geliebten die Geheimpapiere ihres Vaters anvertraut. Das ist zwar nobel von ihr, und es bringt die Handlung voran (erst deshalb besteigt Attilius den Gipfel), aber wieso tut sie das, wenn sie ihn doch erst zweimal gesehen hat?

Ein Höhepunkt im Buch, in der Lesung wie auch jetzt im Hörspiel ist die Expedition, die Plinius mit seiner Flotte – immerhin 4000 Soldaten – nach Pompeji unternimmt. Der wissenschaftliche Vortrag des Autors Plinius steht dabei in haarsträubendem Kontrast zu der höllischen Szenerie, die er da beschreibt und die garantiert Tod und Vernichtung über Kampanien bringt. Letzteren Aspekt übergeht Plinius jedoch geflissentlich, wodurch er ein ganz klein wenig an den wahnsinnigen Kaiser Nero gemahnt. Den Hörer jedoch schaudert’s. Doch Plinius erfährt ein höchst nobles Ende, das wir zwar ebenfalls als Wahnsinn abtun würden, das aber innerhalb seines damaligen Ehrenkodex absolut okay war: Er stellt sich dem Vulkan wie einem Feind, bis zum bitteren Ende. Wohingegen Attilius das tut, was jeder andere „normale Mensch“ täte: Er schnappt sich Corelia und sucht mit ihr den sichersten Ort in ganz Pompeji …

|Originalveröffentlichung: Pompeji, 2003; ersch. bei Heyne 2003
Übersetzt von Christel Wiemken
133 Minuten auf 2 CDs|
http://www.hoerverlag.de
Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezensionen zur Buchausgabe. 274

Kolarz, Henry – Gentlemen bitten zur Kasse, Die (Hörspiel)

_Rasanter Räuber-Krimi, genau wie im Film_

Es war der spektakulärste Postraub der britischen Kriminalgeschichte. Europa hielt den Atem an, als eine maskierte Gangsterbande Anfang der 60er Jahre beim Überfall auf einen englischen Postzug 2,5 Millionen Pfund erbeutete. Von Drahtziehern und Diebesgut fehlte jahrzehntelang jede Spur. Nicht nur der listige Plan, sondern vor allem der ausgeprägt galante Stil des Überfalls machte die Gangstergeschichte zum Kult. Die erste Verfilmung des Coups von 1966 brachte das Gentlemen-Flair in Millionen deutscher Wohnzimmer.

Der Norddeutsche Rundfunk produzierte den Film 1966 und lieferte so die Vorlage fürs Hörspiel.

Die Wikipedia bietet ausführliche, deutschsprachige Informationen unter [dieser Adresse]http://de.wikipedia.org/wiki/Postzugraub an.

_Die Sprecher/Die Mitwirkenden_

Erzähler: Hans-Günter Martens und Peter Weis
Michael Donegan: Horst Tappert
Patrick Kinsey: Hans Cossy
Archibald Arrow: Günther Neutze
Geoffrey Black: Karl-Heinz Hess
Dennis McLeod: Siegfried Lowitz
Jennifer Donegan: Grit Boettcher
Und viele weitere.

Regie führten beim Film John Olden & Claus Peter Witt, beim Hörspiel Günter Merlau. Das Drehbuch stammt von Henry Kolarz.

_Handlung_

Am 7. August 1963 fuhr der Postzug von Glasgow um 18:50 Uhr ab und sollte wie stets um 3:40 Uhr in London eintreffen. Doch in der Nacht zum 8. August wurde er bei der Bridego-Eisenbahnbrücke in Ledburn nahe Mentmore in der Grafschaft Buckinghamshire in England ausgeraubt.

Die Beute von exakt 2.631.684 Pfund war damals 29,5 Millionen D-Mark wert – eine gigantische Summe für westdeutsche Nachkriegsverhältnisse. Das entspricht heute einem Wert von etwa 39 Millionen Pfund oder 46 Millionen Euro, also nicht gerade Peanuts. Im Laufe der Ermittlung und der Festnahmen tauchte nur ein Achtel der Beute wieder auf (rund 330.000). Wo ist der Rest?

|Der Tipp|

Archibald Arrow, ein stilvoll gekleideter Betreiber eines Friseursalons, den seine Frau Susie Frost führt, erhält im Klub von gerald Williams einen heißen Tipp. Der abgehalfterte Gauner Twinkie gibt ihm den Tipp für den Postzug von Glasgow nach London. Der Zug karre jede Nacht gebrauchte Banknoten in Millionenwert von A nach B. Archie ist skeptisch, doch wenn was draus werden sollte, kriegt Twinkie die üblichen zehn Prozent.

|Der Major|

Archie braucht einen Mann, der so ein Riesending beurteilen und im Ernstfall auch organisieren kann. Der Mann dafür ist Michael Donegan, ein ehemaliger Major der Armee, der anno 1944 in Südfrankreich mit dem Widerstand gegen die Nazis kämpfte, um die Invasion vorzubereiten. Seine Spezialität: Eisenbahntunnel. Mit einem Trick stoppte er einen Nachschubzug der Nazis nach dem anderen, immer in Tunneln und Unterführungen. Der Major: Das Ding kann gemacht werden. Wenn man es richtig vorbereitet und finanziert.

|Probelauf|

Donegan ist klar, dass er für die Vorfinanzierung eines Stabes von über einem Dutzend Helfern mindestens 50.000 Pfund braucht (über 5 Mio. D-Mark). Woher nehmen und nicht stehlen? Eben. Wenig später stürmen vier maskierte Gentlemen in das Büro der Fluggesellschaft BOAC auf dem Londoner Flughafen und greifen bei einer Geldübergabe zu. Die Beute von 62.000 Pfund reicht, um die Vorbereitungen voranzutreiben.

Aber der Überfall ruft auch Kriminalkommissar Dennis McLeod auf den Plan, der von seinen Kollegen nur „Mister Mac“ genannt wird, weil er so eine sanfte und ruhige Art hat, dass der Normalbürger ihn für einen von ihnen hält. Weit gefehlt! Wenig später steht McLeod vor Archies Haus auf der Matte. Archies Neffe hat sich verplappert: Er führ den Fluchtwagen. Doch Archie bleibt kühl wie stets, und McLeod muss wieder abziehen. Man wird sich wiedersehen.

|Die Farm|

Archie kauft mit Hilfe des Anwalts Peter Masterson und dessen deutscher Frau Inge eine abgelegene Farm auf dem Lande. Der einzige Vorteil des leerstehenden Gemäuers: Es ist nur 30 Meilen vom geplanten Tatort entfernt. Nach und nach treffen hier die Männer ein, die das Ding ihres Lebens drehen wollen. Rennfahrer, Elektriker, Lokführer, Maler und vieles mehr. Der wichtigste Mann für Donegan ist der Elektriker, der das Stoppsignal manipulieren soll: Walter Lloyd. Eigentlich eine ehrliche Haut, gehört er aber doch zu den Fulham Boys, Londoner Gauner. Er holt zwei davon mit ins Boot, was den Major verärgert.

Die Fenster sind verhängt, die Fahrzeuge geklaut und umgespritzt, die Alibis etabliert, die Gattinnen eingeweiht. Es kann losgehen. Doch am 6.8. ruft Twinkie an: Der Postzug heute Nacht ist nur halb voll, das lohnt sich nicht. Morgen wird dafür doppelt so viel Geld Transport. Also alles zurück auf Anfang auf der Farm. Donegan ist das Saufen, Spieln und Feiern der Arbeitertypen zuwider. Auf Wache wimmelt er einen neugierigen Nachbarn ab, der ein Feld pachten will. Dieser Mann wird sich später genau an die Farm erinnern.

|D-Day|

Die Nacht der Tat ist da! Rund 14 Mann brechen um Mitternacht, um rechtzeitig an der Unterführung Sears Crossing bei Lindsdale zu sein. Doch sie müssen den schwerbewachten Zug schon fast einen Kilometer davor an einem Haltesignal stoppen. Dieses manipuliert Walter Lloyd wie vorgesehen. Der Zug aus Glasgow hält mit kreischenden Bremsen an. Sofort überwältigen die Räuber die beiden Lokführer. Trotz des strikten Befehls des Majors, keine Gewalt anzuwenden – keine einzige Pistole ist im Spiel – , wird einer der Lokführer schwer am Kopf verwundet. Gleich hinter der Lok ist der Waggon mit dem Geld. Beide werden abgekoppelt und zur Unterführung gefahren. Die Wachmannschaft in den anderen Waggons kriegt nichts davon mit.

Bei der Unterführung stehen die Lieferwagen bereit, die Geldsäcke aufzunehmen. Doch zuerst müssen die Wachen im Geldwaggon überwältigt werden. Auch das geht ruckzuck. Keiner der Beamten riskiert Gesundheit oder Leben für ein paar alte Scheine. Nach weniger als einer Stunde ist der Spuk vorbei. Als die Wachmannschaften in den abgekoppelten Waggons auf einer Farm Alarm geben können, sind die Posträuber bereits zurück auf ihrem Stützpunkt. Wird man sie entdecken?

|Die Ermittlung|

Die Nachricht vom Postzugraub versetzt nicht nur die Britischen Inseln in helle Aufregung, sondern auch den rest der westlichen Welt. Die Beute ist einfach zu gigantisch: Die größte in der gesamten Kriminalgeschichte! Für die Presse ein gefundenes Fressen. Und Kommissar Dennis McLeod hat mit seinen zwei Leuten einen schweren Stand gegen die peinlichen Fragen der Reporter. Es hilft ihm auch wenig, dass die Bevölkerung gegenüber den Gentlemanräubern eine positive Haltung einnimmt. „Wow, das war generalstabsmäßige Arbeit, Hut ab! Es gibt noch Hoffnung für England, wenn es solche Männer hat!“

Aber es gibt reichlich Spuren am Tatort, die sorgfältig katalogisiert werden. Die Räuber halten sich drei Tage versteckt, bevor sie im Radio hören, dass die Polizei den Radius der Durchsuchungen auf 30 Meilen (ca. 48 km) ausgeweitet hat: Das betrifft auch ihre Farm. Sie müssen weg. Die Luft wird dünn.

|Die Trennung|

Jetzt kommt es zum Bruch zwischen Donegan und Arrow, den zwei Anführern. Archie will das geld nehmen und sofort aufteilen, natürlich mit der Maßgabe, es nicht gleich zu verjubeln – das würde auffallen und Verdacht auf die Täter lenken. Donegan ist strikt dagegen, denn er weiß, wozu Gauner neigen: Sie leben für den Tag und wollen ihren plötzlichen Reichtum genießen. In einer Abstimmung werden der Major und seine Getreuen überstimmt. Archie übernimmt das Kommando.

Schon machen sich die Fulham Boys auf Fahrrädern aus dem Staub, als Archie und seine Leute aufbrechen. Erst jetzt können der Major und seine Leute die Spuren beseitigen und ihren beträchtlichen Anteil begraben. Wer würde schon auf dem Friedhof nachsehen? „Ruhe in Frieden“ – wohl wahr. Danach versteckt sich Donegan, während die beiden anderen, Black und Kinsey, das Unschuldslamm spielen.

|Der Anfang vom Ende? |

McLeod braucht nicht lange zu warten, bis die ersten Zeugenmeldungen eintreffen und die Spurensicherung auf der verlassenen Farm reiche Beute einfährt: Finderabdrücke, Farbspritzer, Stoffreste. Wunderbar. Doch wo sind die beiden Anführer Archie Arrow und Michael Donegan, fragt er sich. Und wie sich herausstellt, muss seine Truppe hart arbeiten, um wenigstens einen der beiden zu schnappen …

_Mein Eindruck_

„Die Gentlemen bitten zur Kasse“ wurde nach dem Drehbuch von Henry Kolarz, der den „Tatsachenbericht“ schrieb, fürs Fernsehen und als Hörspiel inszeniert. Die drei Teile der Filmserie waren in der tristen, von Schwarzweißsendungen geprägten TV-Landschaft Westdeutschlands ein echter Knaller. Ein ähnlicher Straßenfeger wie später die Durbridge-Krimis und die Edgar-Wallace-Verfilmungen.

Ich weiß noch genau, dass die drei Filme mehrfach wiederholt wurden. Damals sah ich erstmals das Gesicht von Horst Tappert (Donegan), Günter Neutze (Arrow) und Siegfried Lowitz (McLeod). Ich hätte aber nicht gedacht, dass auch die TV-Hörspiele eine ähnlich spannende Wirkung entfalten könnten wie die Fernsehfassung.

Die Story entfaltet aber gemäß der Aufbereitung durch Kolarz ihre unvermeidliche Wucht. Die Vorbereitung, die Durchführung, die Ermittlung, die Trennung, der Untergang – alles wie in einem klassischen Drama. Der Witz bei der Geschichte ist jedoch nicht die gigantische Beute oder die ausgefuchste Ermittlung McLeods, sondern die überraschende Sympathie, die den Gentlemen-Räubern bis heute entgegengebracht wird.

Es waren eben keine gewöhnlichen Ganoven, die den Coup ausbaldowerten, sondern ein ehemaliger Offizier, Michael Donegan. Seine Figur wirkt auf uns zwiespältig: Wir können zwar seine Beherrschtheit und Coolness bewundern, müssen aber mit Bedauern hinnehmen, dass er nicht gerade dem Lustprinzip frönt – dafür ist er in seiner Pedanterie viel zu uncool. Die Vorstellung davon, was „cool“ ist, hat sich eben im Lauf der knapp fünfzig Jahre grundlegend gewandelt.

Da ist uns Nachgeborenen doch Archie Arrow, der stilvolle Lebemann, viel sympathischer. Sicher, er lebt für den Tag, aber tun wird das nicht auch? Und wer würde wirklich auf 30 Millionen hocken, als wärs ein Gelege von goldenen Eiern, während sich die anderen einen schönen Lenz machen? Eben! Dumme Sache also, dass Archie dennoch geschnappt wird – und Donegan nicht.

Zum Erstaunen des Zuhörers geht die Story nämlich nach der Gerichtsverhandlung eine ganze Zeitlang weiter – mit zwei Updates auf „den neuesten Stand der Ermittlungen“ bis 1965. Es ist nicht Archie, sondern Donegan, der einen der Verurteilten nach dem anderen aus dem Knast befreit, zuerst natürlich seinen getreuen Kinsey. Er verliert seine Frau, die den Stress des Versteckens nicht mehr aushält und mit den Kindern auf die Bahamas zieht, macht aber dennoch weiter. Ein moderner Held?

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Erzähler und Sprecher|

Es gibt erstaunlicherweise zwei Erzähler, einen aus dem Original-Hörspiel bzw. -Film und einen aus der aktuellen Produktion. Der Erste ist für die Fakten zum Kriminalfall zuständig, der Zweite für Hintergrundinformationen und Übergänge zwischen Szenen.

Die Sprecher sind selbstredend jene aus den Filmen. Tappert spielt den Ex-Militär Donegan, der überstimmt wird, Neutze den Lebemann Archie Arrow und Siegfried Lowitz den täuschend sanften Kommissar (den er dann auch später in „Der Alte“ verkörperte). Es gibt für einen Kriminalfilm erstaunlich viele Frauenfiguren, so etwa Susie Frost, Arrows Frau, gesprochen von Grit Boettcher, die damals recht bekannt war.

Daneben tauchen noch weitere Gattinnen und Liebchen auf. Archie betrügt seine Frau nämlich – McLeod schreckt nicht davor zurück, Arrow in flagranti delicto, nämlich beim Ehebruch, zu ertappen und zu verhaften. Auch Donegan scheint mit Ehebruch beschäftigt – doch das ist alles nur gespielt, um die Cops, die einen Einbrecher suchen, zu täuschen. Wer hätte gedacht, dass in diesem Kriminalstück so viel witzige Würze steckt!

|Geräusche|

Die Geräusche sind allesamt die eines realistischen Films. Wir holen also jede Menge Motoren, Schritte, Sirenen, Radionachrichten, Durchsagen, Rufe, sogar Gesang. Doch das Einzige, was wir nicht hören, ist das, was wir von jedem Krimi erwarten würden: Schüsse.

|Musik|

Die Musik stammt von der damals für einen Krimi standardmäßigen Jazz-Combo, was ja bekanntlich nicht jedermanns Geschmack ist. Aber der Jazz-Rhythmus ist so flott und eingängig, dass man gleich fasziniert ist. Obendrein wird dieses Motiv an jedem Ende und jedem Angang einer CD wiederholt.

|Booklet|

Von einem Booklet kann keine Rede sein. Alle Infos über die Sprecher und die Macher sind auf der Innenseite des Hörbuchs abgedruckt.

_Unterm Strich_

Ich habe jede Minute dieses über drei CDs verteilten Hörspiels genossen. (Zumindest da, wo die jeweils einleitenden Recaps nicht die Namen und Handlungsabläufe wiederholen.) Die Story ist straff erzählt, folgerichtig aufgebaut und in manchen Szenen spannend geschildert, manchmal sogar amüsant. Etwas ironisch sind die beiden Aktualisierungen auf den „neuesten Stand der Ermittlungen“ bis zum Jahr 1965.

|Der Fall Ronald Biggs|

Was mich etwas verblüfft hat: An keiner einzigen Stelle wird Ronald Biggs erwähnt, jener „Posträuber“, der nach Brasilien flüchtete und sich dort einen schönen Lenz machte. Er wird im [Wikipedia-Artikel]http://de.wikipedia.org/wiki/Postzugraub erwähnt, einer der Ausbrecher, der nach nur 15 Monaten Haft nach Rio entkam. „1991 nahm Biggs mit der Deutschen Punk- und Rockband Die Toten Hosen die Single „Carnival In Rio (Punk Was)“ für deren Album „Learning English – Lesson One“ auf und feierte mit ihnen seinen 62. Geburtstag.“

|Das Hörbuch|

Die größte Herausforderung an den Audio-Verlag bestand sicherlich in der Sicherstellung einer hohen Tonqualität. Dieser Transfer von der Filmtonspur ist erstaunlich gut gelungen. Es gibt keine Mängel. Die CDs sind in einem Stapel untergebracht, der zwar etwas wirkt, aber funktioniert, wenn man vorsichtig ist.

|3 Audio-CDs mit 178 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 978-3862310166|

_Henry Kolarz bei |Buchwurm.info|:_
[„Nachts um 4 wird nicht geklingelt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=2235

Jerry Yulsman – Elleander Morning oder Der Krieg, der nicht stattfand (SF-Roman)

SF-Thriller: Der Zweite Weltkrieg fand nicht statt

Wien, Österreich im Jahre 1913: Die junge Britin Elleander Morning erschießt in einem Café einen jungen Kunststudenten namens Adolf Hitler. Die Frau wird wegen Mordes verhaftet und vor Gericht gestellt. Das Gericht verlangt von ihr eine Erklärung für den Mord, aber sie schweigt, worauf sie zum Tode verurteilt und später hingerichtet wird.

1983: Lesley Baumann, die Enkelin der Elleander Morning, will herausfinden, warum ihre Großmutter den jungen Kunststudenten erschossen hat, und beginnt Nachforschungen anzustellen. Bei der Suche nach der Wahrheit findet sie zwei seltsame Ausgaben des Magazins „Time Life“. Das Merkwürdige an den Zeitschriften ist, dass sie detailliert den Zweiten Weltkrieg beschreiben. Doch es hat nie einen derartigen Krieg gegeben. Hat Elleander Morning diesen Krieg verhindert, indem sie Adolf Hitler ermordete? (Wikipedia.de)
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Mark Haddon – Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone

Anrührend & radikal: Der Held, der bellt

Christopher Boone ist 15 Jahre, drei Monate und zwei Tage alt, kennt alle Primzahlen bis 7507 und verabscheut Unordnung und Überraschungen. Das Mathegenie hat jede Menge Zwangsneurosen, denn der Autist leidet unter dem Asperger-Syndrom. Als eines Tages Wellington, der Pudel, ich Nachbars Garten einem Attentat zum Opfer fällt, erhält Christopher Gelegenheit, seinem großen Vorbild Sherlock Holmes nachzueifern. Er muss den infamen Täter ermitteln.
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Margaret Peterson Haddix – Schattenkinder (Schattenkinder-Zyklus 1)

Die verbotenen Kinder: vor dem Aufstand

Der zwölfjährige Luke existiert, obwohl es ihn nicht geben darf: Er ist ein drittes Kind – in einer Gesellschaft, die nur zwei Kinder pro Familie erlaubt. Die ersten zwölf Jahre seines Lebens verbringt er in einem Versteck, verborgen vor der Bevölkerungspolizei. Bis er eines Tages entdeckt, dass er nicht alleine ist… (Verlagsinfo)
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Gilbert Adair – Alice und das Land im Nadelöhr

Der englische Filmkritiker, Rundfunkreporter und Schriftsteller Gilbert Adair ist ein genauer Kenner der Werke Lewis Carrolls. Mit dem vorliegenden Buch lieferte er eine poetische Fortsetzung der beiden ersten beiden Alice-Bücher „Alice im Wunderland“ und Alice hinter den Spiegeln“. Etwas zeitgemäßer ist allerdings das neue Buch „Finsternis im Wunderland“ von Christina Henry.
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Harry Harrison – Jim diGriz, die Edelstahlratte (Stahlratte 4)

Agenten-Abenteuer unter verliebten Ekel-Aliens

Jim diGriz, die Edelstahlratte, ist kaum von seinem letzten Auftrag, die Welt zu retten, nach Hause zurückgekehrt, um in den Armen seiner schönen Angelina wohlverdiente Ruhe zu finden, da sieht er sich einer noch größeren Aufgabe gegenüber: Es geht um die Rettung der Galaxis.

Schleimige, tentakelbewehrte Monster haben einen ganzen Satelliten mit Admirälen entführt und so die Raumflotte lahmgelegt. Jim lässt sich ein Schwabbelkostüm anmessen, um sich unerkannt unter die Invasoren zu mischen – und hat Mühe, ihrem Liebeswerben zu entgehen… (Verlagsinfo)
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Dan Brown – Sakrileg

Religiöse Schnitzeljagd

Der Museumsdirektor des Louvre wird in der weltberühmten Galerie kaltblütig erschossen. Er stellt sich als Oberhaupt eines uralten Geheimbundes heraus, denn mit seinem letzten Atem hat er eine Geheimbotschaft geschrieben: den Da-Vinci-Code. Zur selben Zeit setzt eine Gesellschaft des Vatikans alles daran, die größte Macht in der Christenheit zu erlangen. Ein Wettlauf gegen die Zeit und eine rasante Schnitzeljagd durch die Symbolkunde des Abendlandes beginnen.

Warnung: Keinesfalls vor einer Prüfung oder ähnlich wichtigen Ereignissen anfangen – man kann das Buch kaum aus der Hand legen!

Der Autor

Dan Brown war genau wie Stephen King zuerst Englischlehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. „Als Sohn eines mehrfach ausgezeichneten Mathematikprofessors und einer bekannten Kirchenmusikerin wuchs er in einem Umfeld auf, in dem Wissenschaft und Religion keine Gegensätze darstellen“, meint die Verlagsinformation. „Diese Kombination ist es auch, die den weltweiten Erfolg des Autors begründet. ‚Illuminati‘, der erste in Deutschland veröffentlichte Roman von Brown, gelangte innerhalb kürzester Zeit auf Platz 2 der Bestsellerliste.“ Auf welche, wird nicht verraten. Vielleicht weiß Ford Prefect mehr. „Brown ist verheiratet und lebt mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, in Neuengland.“ Na, das klingt doch direkt nach einer Co-AUTORIN!

Jeder darf nun online ein Sakrileg begehen: Mehr Infos sowie ein „Sakrileg“-Online-Spiel gibt’s auf der deutschen Homepage http://www.dan-brown.de

Handlung

Robert Langdon, ein Symbolkundler der Harvard University, weilt gerade in Paris, um dort an der Amerikanischen Universität einen Vortrag über sein Fachgebiet zu halten. Er freut sich, endlich den Museumsdirektor des Louvre kennen zu lernen, der die höchste Autorität in Sachen heidnische Verehrung der göttlichen Weiblichkeit sein soll. Da reißt ihn ein nächtlicher Anruf aus dem Schlaf.

Die Chef der Staatspolizei wünscht Langdons Anwesenheit im Louvre. Dort steht Langdon wenig später reichlich erschüttert: Die Leiche des Museumsdirektors Jacques Saunière liegt verrenkt und ermordet unweit der „Mona Lisa“. Er wurde in den Bauch geschossen und hatte noch 15 bis 20 Minuten Zeit, eine Geheimbotschaft mit Schwarzlichtschreiber auf den Boden zu kritzeln, die nur bei UV-Licht sichtbar wird – eine übliche Praxis in Museen.

War diese Botschaft schon rätselhaft, so ist die Leiche auch noch so angeordnet, dass sie aussieht wie da Vincis berühmteste Skizze: die der Proportionen des Menschen in einem Kreis. Gleich darauf taucht Sophie Neveu, die Kryptografin der Staatspolizei, am Tatort auf und warnt Langdon indirekt, dass der Hauptmann der Staatspolizei, ihn, Langdon, als Hauptverdächtigen betrachte. Klar, dass unser Mann aus Boston reichlich von den Socken ist: Sophie scheint nicht viel von Gehorsam gegenüber ihrem Chef zu halten. Außerdem zeigt sie ihm noch, dass man ihn verwanzt hat. Und verrät ihm, dass der Ermordete ihr Großvater war.

Zusammen knobeln die beiden heraus, dass der Museumsdirektor der Großmeister einer Bruderschaft war, der Prieuré de Sion, die 1099 gegründet wurde. Sie kämpft gegen die Verdammung und Diffamierung der Maria Magdalena, Jesu Ehefrau (!), durch die römisch-katholische Kirche, die zu den Hexenjagden führte. Auch das Renaissance-Genie Leonardo da Vinci, der Maler Sandro Botticelli, der Romancier Victor Hugo und der Künstler Jean Cocteau waren Großmeister der Bruderschaft.

Doch der Erzfeind der Bruderschaft, ein Bischof des mächtigen katholischen Ordens Opus Dei, schläft auch nicht. Er holt in derselben Nacht zum entscheidenden Schlag aus. Und deshalb mussten der Museumsdirektor und drei seiner Hauptleute in der Bruderschaft sterben. Aber vielleicht gibt es auf beiden Seiten noch weitere Hintermänner. Saunière hat jedenfalls seiner Enkelin und Alleinerbin eine Reihe von verschlüsselten Hinweisen hinterlassen – schließlich hatte er ihre Ausbildung zur Codeknackerin in die Wege geleitet.

Wer nun wem welches Geheimnis wo, wann und wie abjagt, darum drehen sich die restlichen 450 Seiten. Wer aus dieser Schnitzeljagd lebend hervorgeht und wie die Lösung des Rätsel lautet, erfährt man (natürlich) erst ganz am Schluss. Wie es sich gehört.

Mein Eindruck

Ich habe diesen spannenden und sehr leicht zu lesenden Roman in nur wenigen Tagen ausgelesen. Sehr einfach zu lesen ist das Buch deshalb, weil die doch recht vielschichtige geschichtliche Materie, um die es geht, stets fein säuberlich erklärt wird. Was der Symbolologe Langdon nicht versteht, erklärt ihm die Codespezialistin Sophie Neveu. Und umgekehrt.

Als beide zu einem Spezialisten fahren, den Langdon kennt, kommen noch tiefe historische Dimensionen hinzu. Wenn alle drei nicht mehr mit ihren Entschlüsselungsversuchen weiterkommen, gibt es ja immer noch Spezialbibliotheken, auch solche auf dem modernsten technischen Stand.

Und wenn selbst das nicht mehr hilft, um die Rätselsprüche, die Jacques Saunière hinterlassen hat, aufzuklären, muss die gute alte Eingebung und Intuition herhalten. Denn nicht jeder Freund, der sich als solcher ausgibt, stellt sich am Ende auch als solcher heraus. Und wenn man in die Mündung einer Pistole schaut, bringt das die kleinen grauen Zellen ungemein auf Trab.

Die Akteure

Auch die Charakterisierung der drei oder vier Hauptfiguren ist recht schlicht gestrickt. Langdon ist unser ganz normal naiver Harvardprofessor mit einer Phobie vor engen Räumen – Fahrstühlen beispielsweise. Sophie lernen wir am besten kennen, denn ihre Familiengeschichte und ihre Ausbildung stellen sie an eine ganz besondere Position innerhalb des Themas, das ich bislang noch nicht verraten habe und auch nicht werde.

Schließlich sind da noch die Schurken: Der körperlich außergewöhnliche Mörder des Museumsdirektors, ein Albino, ist ein williges Werkzeug zweier Meister. Der eine davon ist der Opus-Dei-Bischof, doch der andere ist lediglich als „der Lehrer“ bekannt. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, bleibt dessen wahre Identität lange Zeit im Dunkeln, nur um dann umso stärker zu schockieren. Das ist sauber ausgetüftelt.

Good old Europe

Ohne nun das zentrale Thema zu verraten, kann man doch sagen, dass einem amerikanischen Leser der alte Kontinent Europa wie das reinste Kuriositätenkabinett dargeboten wird. Dies erfolgt in Form einer Schnitzeljagd: ein gelöstes Rätsel führt zum nächsten und so weiter, immer tiefer in die Vergangenheit: von der Kreuzigung über die Kreuzzüge und Tempelritter bin hin zu modernen Geheimbünden.

Der Autor macht den Leser selbst zum Codeknacker, Symbolkundler, Rätsellöser – kurzum: zum Geheimdienstler à la NSA oder CIA. Wir sind dann alle kleine oder große Spykids, genauso wie es die Großmeister der Bruderschaft stets waren. Leonardo da Vinci, auch ein Spykid, verschlüsselte seine Botschaften, wie es schon die alten Juden zu Jesu Zeiten taten. Und der Museumsdirektor des Louvre, in da Vincis Nachfolge, baute die codegeschützten Nachrichtenbehälter da Vincis nach.

Donald Rumsfelds spitzes Wort gegen „das alte Europa“, auf das die europäische Intelligentsia so hochmütig selbstbewusst reagierte – hier, in Dan Browns Roman, nimmt es für jeden Amerikaner Gestalt an. Und wenn wundert’s da noch, dass es am Schluss der Ami Langdon ist, dem doch noch die Lösung des Rätsels in den Schoß fällt. Wenigstens erweist er der Offenbarung seine Reverenz. Na, das ist doch schon mal was.

Unterm Strich

Als hätte ihm seine werte Gattin, die Kunsthistorikerin, die geistige Feder geführt, liefert Dan Brown zwar wieder mal einen routinierten Mystery-Thriller ab. Doch dieser spielt mit so vielen geschickt verpackten Hinweisen aus der Kunstgeschichte, dass sich der Leser nicht wie in einem Seminar vorkommt, so wie bei einer sehr anschaulichen Führung durch die Museen und Bibliotheken Europas. Dass dabei noch Mörder, Geheimbünde und die Polizei sowieso hinter den Helden herjagen, tut der Spannung gut, die bis fast zum Schluss aufrechterhalten bleibt. Übrigens finde ich die Übersetzung mit den zahllosen Übersetzungen aus Latein, Englisch, Französisch, Hebräisch usw. sehr gelungen.

In jedem Fall lautet das Motto dieser literarischen Schnitzeljagd „Einer wird Millionär“. Und dreimal dürfen wir raten, wer das wohl sein wird.

Michael Matzer © 2004ff
www.luebbe.de

King, Stephen – Trucks

_Hard Rock Café: Die Belagerung der Maschinen_

Führerlose Trucks handeln wie intelligente Wesen und versetzen die Besucher einer Raststätte in panischen Schrecken. Es kommt zu überraschenden symbiotischen Begegnungen der, wie sich denken lässt, unangenehmsten Art. (Verlagsinfo)

Dieses Hörbuch erschien erstmals im Dezember 1998.

_Der Autor_

Was kann man noch über Stephen King, einen der erfolgreichsten Autoren der Welt, sagen, was nicht schon jeder weiß? Er hat 1973 seinen ersten Roman, „Carrie“, verkauft, den er nachts in einem Wohnwagen auf einer alten Schreibmaschine tippte, während er tagsüber als unterbezahlter Englischlehrer arbeitete. Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt.

Von seinem Magnum Opus, dem Epos um Roland und den Dunklen Turm, ist nach „Wolfsmond“ und „Susannah“ auch der letzte Teil erschienen: „Der Dunkle Turm“. So wird den King-Junkies der Lesestoff vorerst wohl nicht ausgehen. Und dann gibt es ja immer noch Richard Bachman … Zwischenzeitlich erschien seine Novelle „Colorado Kid“, zudem im März 2006 sein erster Roman nach längerer Pause: „Puls“.

_Der Sprecher_

Joachim Kerzel, 1941 in Hindenburg/Oberschlesien geboren, erhielt seine Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Als gefragter Synchronsprecher leiht er Jack Nicholson, Dustin Hoffman, Dennis Hopper und vielen anderen Stars seine sonore Stimme. Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist mir seine Beteiligung an der Hörbuchfassung von Stephens Kings „Das Mädchen“, die er zusammen mit Franziska Pigulla bestritt. Seine charismatische Stimme macht aus jedem Gegenstand etwas Grandioses.

_1) Handlung von „Trucks“_

Der Ich-Erzähler sitzt im Imbiss einer Raststätte unweit der Interstate-Autobahn, irgendwo an der Ostküste der USA. Ihm fallen am Parkplatz einige merkwürdige Dinge auf. Ein totes Mädchen liegt in der Nähe des Parkplatzes, und zwei Pkw wurden zertrümmert: sein eigener Camaro (noch nicht abbezahlt) und der Fury des jungen Pärchens, das im Imbiss Zuflucht gesucht hat. Draußen stehen jede Menge Laster, die ihre Motoren brummen lassen. Am Steuer sitzen keine Fahrer: Die Trucks steuern sich selbst …

Snodgrass, der Handelsvertreter, hat lang genug mit dem Pärchen gestritten und verliert die Nerven: Er rennt aus dem Imbiss, in der Absicht, den Abwassergraben zu erreichen und dort auf die Felder zu entkommen. Doch die Trucks habe seine Absicht offenbar sofort durchschaut. Sofort wird er von einem Laster verfolgt und in den Graben geschubst. Der Aufprall ist nicht schwer, und Snodgrass stirbt auch nicht daran, aber er ist bewegungsunfähig. Und was noch schlimmer ist: Niemand kann seinen Bitten um Hilfe Folge leisten, denn sonst wäre der Helfer dem gleichen Schicksal ausgeliefert. Das Mädchen ist sehr traurig.

Aber es kommt noch heftiger. Um 20:30 Uhr fällt der Strom aus. Das bedeutet, dass die Lebensmittel vergammeln werden. Und da die Pumpen ausgefallen sind, gibt es auch kein Wasser. Nichts war’s mit der vierwöchigen Belagerung. Der Erzähler und der Junge, Jerry, wagen einen Ausfall zum Toilettenhäuschen. Sie schaffen es unbemerkt, doch der Rückweg ist umso schlimmer: Ein Truck schrammt an der Außenwand entlang und reißt die Tür des Seiteneingangs komplett weg. Sie müssen sich verbarrikadieren.

Am nächsten Morgen hebt ein seltsames Hupkonzert an. Jerry, der bei den Pfadfindern war, erkennt einen Morsecode. Die Trucks stellen eine Forderung: Ein Mensch soll sie betanken, und ihm soll nichts geschehen. Wenn ihre Bitte nicht erfüllt wird, dann … rückt die Planierraupe an und beginnt, den Imbiss zum Einsturz zu bringen.

Das ist das Äußerste, finden die belagerten Menschen. Sich zum Sklaven der Maschinen machen? Kommt nicht in die Tüte! Sie fertigen Molotow-Cocktails an und gehen zum Gegenangriff über.

_Mein Eindruck_

Durch eine einfache Inversion der bestehenden Verhältnisse schafft Stephen King eine bedrohliche Situation: Die Maschinen übernehmen die Herrschaft. Bislang beliebten wir zu denken, es wäre andersherum. Falsch gedacht, findet der Erzähler der Geschichte. Haben wir nicht über jede halbwegs attraktive und zugängliche Landschaft eine Asphaltpiste gelegt? Haben wir nicht Schneisen durch Gebirge geschnitten und Brücken über Täler gelegt, damit wir Autobahnen für die lieben Maschinen verlegen konnten? Haben wir nicht ganze Ölfelder leer gepumpt, um Treibstoff für die hungrigen Maschinen zu beschaffen? Und wurden nicht ganze Städte wie etwa Wolfsburg aus dem Boden gestampft, nur um Maschinen – Fahrzeuge zumal – bauen zu können?

Und wenn dann ab und zu mal ein Menschlein von einer Maschine zu Tode gebracht – sagen wir mal: überfahren oder eingequetscht – wurde, haben wir dann nicht unser Gewissen mit der Ausrede beruhigt, wir seine auf die Maschinen angewiesen? Wie hoch der Preis wirklich ist, zeigt der einfache Erzählkniff Kings: Stecke ein paar Leute in eine Schachtel von Imbiss und lasse die Maschinen auf sie los.

Natürlich gibt es da ein paar Schwächen: Wie verständigen sich die Trucks untereinander – CB-Funk? Wie können sie sehen oder hören? Wie man sieht, ist eine gewisse Vermenschlichung und Dämonisierung nötig, um die Geschichte völlig glaubhaft zu machen. Aber sie soll ja auch nur als eine Metapher für die oben beschriebene Abhängigkeit dienen. Und wir sind fleißig dabei, uns selbst überflüssig zu machen …

2) Handlung von „Der Rasenmähermann“_

Harold Parkette ist nicht nur stolz auf seinen Rasen, sondern auch auf seinen Rasenmäher. Für einmal Rasenmähen zahlt er dem Jungen stattliche fünf Dollar. Das ging jahraus, jahrein gut, bis der Hund des Nachbarn Castenmeyer die Katze von Smiths nebenan unter den Mäher jagte. Es gab eine Riesensauerei. Sicherheitshalber brachte er seinen chromblinkenden Superrasenmäher weg. Das war im Oktober.

Der Frühling ins Land, der Sommer strahlt. Doch Harold rührt keinen Finger, um seinen Rasen zu mähen. Ganz besonders dann nicht, seit der Mäherjunge weggezogen ist. Es wächst eine wunderschöne Wiese auf seinem Grundstück. Dort versteckt sich erst ein Mädchen, dann entdeckt Harold dort ein Waldmurmeltier. Ein Warnsignal, das er nicht ignorieren kann. Wenn hier erst einmal die Wildnis einzieht, wieso wohnt er dann noch hier?

Als Antwort auf die Annonce der Firma Pastoral fordert er einen menschlichen Rasenmähermann an. Dieser kreuzt auch alsbald auf, der leutselige und burschikos auftretende Fettwanst ist Harold nicht ganz geheuer. Und dass er „Bei Circe!“ ausruft, findet er ebenfalls recht sonderbar. Was hat der Typ mit legendären Zauberinnen zu schaffen?

Aus seinem Nachmittagsschlummer weckt Harold ein infernalisches Dröhnen. Der Rasenmäher fegt durchs Gras, das ist okay. Aber niemand schiebt ihn! Und gleich dahinter trabt ein Wesen, bei dem Harold Mühe hat, es als den Rasenmähermann zu identifizieren. Er hat sich nackt ausgezogen und frisst das frisch geschnittene Gras in sich hinein! Auch vor einem frisch getöteten Maulwurf machen seine mahlenden Kiefer nicht Halt. Harold kotzt zuerst und wird dann ohnmächtig. (Rockstars machen es umkehrt und gehen dabei drauf. Nicht so Harold.)

Als der Rasenmähermann ihn weckt, ist der Rasen picobello gemäht. Womit Harold aber ein Problem hat, sind die gespaltenen Füße des Helfers und seine grüne Behaarung …

_Mein Eindruck_

Auch hier treffen wieder Natur, Mensch und Maschine aufeinander. Das erfolgt auf recht groteske Weise. Harolds Welt ist ein suburbanes Nimmerland, wo nur die Baseballspiele und Aktiennotierungen eine Rolle spielen. Sein Familienleben ist längst zerrüttet, und nach dem Unfall mit Smiths Katze geht eh alles den Bach runter. Der moralischen Verwilderung folgt die florale. Seine Wiese ist eine Einladung an die Wildnis zurückzukehren. Sein Ruf nach dem Rasenmähermann wird folglich nicht von den Kräften der US-Kultur beantwortet, sondern von einer weitaus älteren Macht: dem Großen Gott Pan. (Daher die Verbindung zur Zauberin Circe.)

Die Folgen sind für Harold, der sich nun gegen die Geister, die er rief, wehrt, recht drastisch. Götter mögen es nicht, wenn man die Polizei auf sie hetzt. Die Sergeants und Deputys finden Harolds sterbliche Überreste im Vogelbad, der Schnittstelle der Begegnung zwischen Mensch und Natur. Etwas ist hier für Harold offenbar schlecht gelaufen. Seine Lektion: Die Natur immer schön kurz halten, wenn man in der Vorstadt wohnt. Sie könnte sonst zurückschlagen.

_Der Sprecher_

Joachim Kerzel bewältigt zwei ganz unterschiedliche Aufgaben mit Bravour. „Trucks“ ist moderner Horror pur, doch „Der Rasenmähermann“ ist eine Fantasygroteske. Mit seiner tiefen Stimme gelingt es Kerzel, die Gefahr in „Trucks“ ziemlich deutlich zum Ausdruck zu bringen. Die Expedition zum Toilettenhäuschen ist in dieser Hinsicht ein Höhepunkt, so seltsam das auch klingen mag.

In „Der Rasenmähermann“ ist stattdessen Humor gefragt. Auf der einen Seite haben wir den auf Bequemlichkeit bedachten Antihelden Harold Parkette, der auf einmal aufgescheucht und – in seinen Augen – maximalem Horror ausgesetzt wird. Auf der anderen Seite haben wir den ein wenig zu leutselig und hemdsärmelig wirkenden Rasenmähermann (der nie seinen Namen nennt), der Harolds heiligen Rasen mit seiner etwas unorthodoxen Methode traktiert. Und wer seinen Boss beleidigt, der bekommt seinen Zorn zu spüren – und den seiner Maschine … Auch diese Attacke liest Kerzel mit wundervoller Energie vor, so dass man sich Harolds Not lebhaft vorstellen kann.

_Die Musik_

Die Musik spielt eine wichtige Rolle, aber diesmal besteht sie nicht aus den gewohnten Streichermotiven, sondern aus richtig gutem Hard-Rock-Sound. „Trucks“ hat ein Intro, das jedes Heavy-Metal-Albums würdig wäre. Immer wieder ist die E-Gitarre zu hören, und vielleicht drängt sie sich auch ein wenig zu sehr in den Vordergrund. In „Der Rasenmähermann“ erschallt eine Kombination aus Hard Rock und funkigen Bläsern, die geradezu in die Beine geht.

_Unterm Strich_

Die beiden Storys passen gut zusammen. Sie sind sowohl grotesk als auch von einem Horror vor Maschinen erfüllt. Inhaltlich scheinen sie grundverschieden zu sein, doch in beiden wird dem Menschen das Recht auf seine Herrschaft auf Erden streitig gemacht: einerseits von den Trucks, dann wieder von Pan, dem Gott der wilden Natur. (Es gibt eine schöne Gruselgeschichte über Pan von dem Briten Arthur Machen, die King als Kenner garantiert kannte, bevor er diese Story schrieb. Mit „Danse Macabre“ hat er ja selbst eine Literaturgeschichte des Gruselgenres verfasst.)

Der Sprecher erweckt die Handlung zum Leben und die Hard-Rock-Musik bringt die Figuren quasi zum Tanzen. Dieses Hörbuch ist ein Höhepunkt der neuen Reihe „Bastei Lübbe Stars“, die Lübbe derzeit zu einem besonders günstigen Preis auf den Markt bringt. Die Tiefpreis-Konkurrenz darf sich warm anziehen.

|74 Minuten auf 1 CD
Aus dem US-Englischen übersetzt von Harro Christensen|

_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):

[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum “ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45

Wolfgang Hohlbein – Nemesis 4: In dunkelster Nacht (Lesung)

Nemesis: Entscheidung auf dem Turm

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Craisfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft kommen bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

Wer hat in der Küche den wehrlosen Ed Krause als Opfer Nr. 2 getötet? Und was hat es mit der seltsamen Kinderstimme auf sich, die Carl, der Hausmeister, gehört haben will? Kinder scheinen in der düsteren Vergangenheit von Burg Crailsfelden in der Eifel mehrfach eine Rolle gespielt zu haben. Und zwar nicht nur in den letzten Jahrzehnten, als das Gemäuer ein Internat unter der Leitung des verstorbenen Rektors Klaus Sänger beherbergte, sondern schon früher. Sind Marias Behauptung über Menschenversuche in der Nazizeit nicht doch etwas weit hergeholt? Außerdem ist sie seit dem Mord an Ed verschwunden. Und so richtig hatten ihr die anderen Überlebenden auch nicht getraut …

Der Autor

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

Der Sprecher

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

Vorgeschichte

Die Erben: Frank Gorresberg (der Erzähler), Stefan, Eduard Krause
Die Erbinnen: Maria Gärtner, Judith, Ellen
Der Hausmeister: Claus Zerberus
Der Rektor: Klaus Sänger (tot)
Der Burgbesitzer: von Thum (verschwunden)

Sechs potenzielle Erben werden auf Burg Crailsfelden eingeladen, doch die Umgebung ist der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Erst haben alle sechs den gleichen üblen Albtraum, dann verschwindet der Gastgeber auf rätselhafte Weise in einem Brunnenschacht. Ein erster Fluchtversuch mit einem Auto scheitert auf spektakuläre Weise: Der Wagen wird von einem herunterrauschenden Fallgatter fast zweigeteilt.

In den mittelalterlichen Säulengängen unter der Burg sind nicht nur Kerkerzellen zu besichtigen. Hinter einem Kanisterstapel entdeckt der scharfsinnige Stefan auch einen geheimen Raum. Hier finden sich nicht nur ein Dolch der Napola (einer nationalsozialistischen politischen Anstalt), sondern auch Zeitungsartikel über Nazigold. War unser braver Hausmeister hinter diesem Zeug her? Er erzählt, im Dritten Reich seien in der Burg nicht nur Nazis untergebracht gewesen, sondern auch ein Kinderheim und eine Klinik, wo Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen konnten.

Frank, der Erzähler, fragt Maria Gärtner wegen der von ihm im Rektorzimmer gefundenen Fotos, denn sie stammt aus dem Dorf Crailsfelden. Nun, sagt sie, eines steht fest: Die sonderbaren Runen auf den Fahnen dieser Pfadfinder sind keine Hakenkreuze. Es sind die Runen, die für den Lebensborn reserviert waren. Der „Lebensborn“ war eine reichsweite Organisation, in der SS-Angehörige und andere „rassische Eliteangehörige“ mit ausgewählten Frauen Kinder zeugen konnten, um die arische Rasse zu verbessern und ihren Fortbestand zu sichern. Eine Zuchtanstalt. Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Auto, vor dem die Pfadfinder auf dem Foto stehen, wurde erst ab 1953 gebaut …

Als Stefan, der Hüne, sich über die Burgmauer abseilen will, wird er von gierigen Fledermäusen attackiert. Doch nicht an den Bissen stirbt Stefan, sondern an dem Nazi-Dolch, der in ihm steckt. Nach einem weiteren Ausflug in die Katakomben der Nazi-Forschungslabore kehren die Überlebenden in die Küche zurück, nur um dort Ed Krause mit durchschnittener Kehle vorzufinden …

Handlung

Nach einigem ergebnislosen Rätselraten, wer für den blutigen Mord an Eduard Krause verantwortlich sein könnte, raffen sich die drei überlebenden Erben wieder auf, um zusammen mit Carl, dem Hausmeister, die Wunden zu behandeln. Und wo ist überhaupt Maria Gärtner abgeblieben? In drei Stunden sollte die Sonne aufgehen.

Die Chirurgin Ellen vernäht Judiths Oberarmwunde fachgerecht, dann geht sie in die Dusche, die zuvor von Frank und Judith benutzt worden ist. Während Ellen weg ist, denunziert Carl sowohl sie als auch Judith. Das löst in Frank, der sowieso einen Hass auf Carl schiebt, einen Angriff aus, den nur Judith in letzter Sekunde abwenden kann. Frank würde Carl am liebsten umbringen. Als Ellen wieder zurückkehrt, ist sie so aufreizend gekleidet, dass sich Judith und Frank provoziert fühlen. Ellen verachtet die hausbackene Judith.

Nachdem man allgemein erkannt hat, dass es keinen Ausweg aus dieser Burg gibt und eine Handyverbindung wegen Funkloch nicht zustande kommt, fragen sich alle, wo Maria ist. In ihrem verwüsteten Zimmer ist nur ihr Koffer. Als Carl ihn umdreht und auch die Geheimfächer durchsucht, gibt es ein paar Überraschungen: Maria ist Journalistin, die das Naziprojekt „Lebensborn e. V.“ erforscht: Menschenzucht, Bordelle für SS-Offiziere, aus ganz Europa verschleppte Frauen, arischer Nachwuchs usw. In Brandenburg, so besagen Marias Unterlagen, wurden 1940 Kinder vergast und seziert. Und was war dieses ominöse „Projekt Prometheus“?

Carl weist dies alles weit von sich. So ein Ort sei Burg Crailsfelden in der schönen Eifel nie gewesen! Und es war strategisch so unwichtig, dass die Amis Anfang 1945 hier einfach durchgerollt seien. Die Burg sei ein einfaches Mütterheim gewesen, nichts weiter. Aber warum schloss dann Rektor Sänger 1986 sein Internat, als er bereits siebzig war? Eine seiner Internatsschülerinnen brachte sich um. (An dieser Stelle bekommen Frank und Judith wieder Kopfschmerzen.) Im Koffer finden sich auch Patronen für eine Pistole vom Kaliber .38: Maria Gärtner, die sie alle für eine graue Maus und harmlose Bibliothekarin hielten, ist bewaffnet!

Dieser Fund löst einen Stress aus, der wiederum in dem labilen Frank einen Schub schizophrener Dissoziation auslöst. Nicht nur begibt sich sein Geist wieder auf Zeitreise in die Vergangenheit. Nein, diesmal zieht sich sein Ego in einen kleinen Winkel seines Bewusstseins zurück und schaut zu, wie eine andere Ebene seines Wesens, die ihm bislang unbekannt war, das Kommando übernimmt.

Im Traum sieht er sich nun als Kind im Körper eines Erwachsenen. Wieder steht er auf den Zinnen des Zentralturms Miriam gegenüber. Aber da sind nun auch Maria, mit einer Pistole, sowie Ellen und die anderen Erben. In der folgenden Auseinandersetzung erklingen das Lied „Lili Marleen“ und ein Schrei, der in der Tiefe verhallt …

Mein Eindruck

In dieser Episode scheint Sex eine große Rolle zu spielen. Doch während sich Frank und Judith durch ihr Liebesspiel nur enger aneinander binden, versucht Ellen durch ihr sexy Outfit unter den übrig gebliebenen drei Gefährten Zwietracht zu säen, indem sie sexuelle Übergriffe provoziert. (Man sollte berücksichtigen, dass keiner aus der Zwangslage in der Burg entkommen und ihr aus dem Weg gehen kann.)

Im zweiten Teil der Episode führt der Autor den parallel geführten Handlungsstrang um die geheimnisvolle Miriam zu Ende. In dieser Traumhandlung erkennt Franks verändertes Ich, dass alle wie an Marionettenfäden hängen und dementsprechend agieren. Sigmund Freud hätte an solchen Szenen sicher seine helle Freude.

Ohne mehr verraten zu wollen: Wieder einmal gilt das Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip, das vorschreibt, dass ein weiterer Erbberechtigter das Zeitliche segnet. Die Art und Weise, wie dies herbeigeführt wird, ist völlig zusammenhanglos und hätte sich ebenso gut auf andere Weise zutragen können. Zunehmend wirken die Szenenwechsel völlig unmotiviert und lassen sich nur mit Franks Dissoziation erklären, die keinen Zusammenhang in Wahrnehmung und Erleben zulässt.

Dass dies alles nur mäßig spannend ist, braucht wohl kaum extra betont zu werden. Das Kaleidoskop an Eindrücken, die dem Zufallsprinzip gehorchen, mutet eher wie ein Panoptikum an, das mit immer neuen Sensationen aufzuwarten hat. Sexszenen wechseln auf diese Weise mit Kampf ab, dieser wiederum mit einem geistigen Zusammenbruch, worauf wieder eine Traumsequenz folgt und so weiter ad infinitum.

Zeitreise: stets etwas knifflig

Immerhin gelingt dem Autor etwas, woran sich schon viele Autoren die Zähne ausgebissen haben: eine psychologische Begründung für die Zeitreise. Da das menschliche Gehirn bekanntlich die beste Zeitmaschine ist, die uns zur Verfügung steht (versetzen uns Träume nicht jede Nacht in die Vergangenheit?), liegt es nahe, das Bewusstsein so zu beeinflussen, dass es sich in eine andere Zeit versetzt fühlt. Diese Anderzeit wird subjektiv dann als Realität erfahren. So geschieht es – ganz geplant – in Jack Finneys fabelhaftem Roma „Das andere Ufer der Zeit“, und in „Nemesis 4“ erfolgt dies im Zuge eines geistigen Zusammenbruchs eher passiv und erleidend.

Der Sprecher

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Allerdings gehen ihm langsam, aber sicher die Rollen aus, die es noch zu interpretieren gibt: Stefan und Ed sind bereit abserviert, und in Episode 3 und 4 taucht Maria gar nicht mehr auf. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings viel zu selten. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin, aber zunehmend hart am Abgrund der Hysterie.

Einige gute Szenen liefert die Interpretation von Carls Wandlung. Der Hausmeister und Wirt und Althippie, der sonst immer etwas schleppend spricht, windet sich unter der Folter, die Frank ihm androht, fleht und bettelt zum Steinerweichen. Doch als Frank wegen seines Zusammenbruchs ausfällt, ist kein ernst zu nehmender Gegner mehr übrig und Carl kann endlich das Kommando übernehmen. Am Ende hat er Marias Pistole Kaliber .38 in der Hand und sagt, wo’s langgeht.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.


Unterm Strich

Sechs kleine Negerlein – drei gingen drauf dabei, nun sind es nur noch drei. Erben will sowohl gelernt als auch verdient sein. Doch was die sechs Erben auf der Burg durchmachen müssen, ist weit mehr als das übliche Spießrutenlaufen beim Nachlassverwalter. Hier wird mehr als Geld und Vermögen vererbt. Hier werden auch Altlasten weitergegeben: Erinnerungen, Konditionierungen, wohl auch Erbgut. Eine Versuchsanordnung, die einem bislang noch im Dunkeln liegenden Zweck dient.

Der Sprecher tut sein Bestes, die klischeehaften Figuren mit Leben zu erfüllen. Er unterstützt die Spannung und die Mystik ebenso wie den ironischen Humor, der hie und da durchblitzt. Die Wandlung, die mit Carl vor sich geht, ist noch die beste Leistung, die der Sprecher hinsichtlich seiner stimmlichen Flexibilität abliefern muss. Fortsetzung folgt – hoffentlich zu einem ebenso günstigen Preis.

141 Minuten auf 2 CDs
Buchausgabe: Nemesis 4, 2004

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Karel Capek – Der Krieg mit den Molchen. SF-Roman

Warnende Satire: der Untergang der Menschheit

Kapitän van Toch stößt am Strand einer einsamen Pazifikinsel auf Exemplare einer unbekannten Art von Riesenmolchen, die über rudimentäre Sprachkenntnisse verfügen. Er macht sich wenig Gedanken darüber, dass er damit eine zweite intelligente Spezies auf der Erde entdeckt hat. Aber er hat bald heraus, dass man die Kerlchen zum Perlentauchen abrichten und damit ein Vermögen machen kann.

Von ihm aus ihrer ständig von Haien bedrohten geographischen Nische befreit, vermehren sich die die Molche explosionsartig und entwickeln ihre eigene unterseeische Zivilisation. Und bald kommt es an den Meeresküsten zu ersten Kriegshandlungen zwischen Molchen und Menschen. …
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Philip José Farmer – Der Zorn des Roten Lords (Die Welt der tausend Ebenen 6)

Rückkehr zur Welt der Ebenen

Jim Grimson ist ein Pechvogel. Gerade mal 17 Jahre jung, gerät er in die Klapsmühle. Diese wird natürlich nicht so genannt: Er macht eine Therapie. Die hat er auch nötig, denn er hasst seinen versoffenen Vater norwegischer Abstammung, verachtet seine stets klein beigebende ungarische Mutter und hat nicht unbeträchtlichen Anteil daran, dass das Elternhaus einstürzt und beinahe komplett abbrennt. Er steckt tief in der Scheiße, als er mit seinen Freunden einen draufmacht, Drogen nimmt, Alkohol säuft und das Klohäuschen eines doofen Nachbarn umwirft. Dabei rutscht er aus und sinkt in die Grube. Reif für die Klapsmühle.

Seine Therapeuten probieren eine neue Methode: Mit zahlreichen anderen Patienten versetzt er sich per Autosuggestion in die fiktive Welt eines Romanzyklus des Science-Fiction-Autors Philip José Farmer namens „Die Welt der tausend Ebenen“, auch als World of Tiers bekannt.
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