Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Jörg Maurer – Jörg Maurer trifft Mozart (Audio)

Leicht & verspielt: Mozart-Revue

Der Musikkabarettist und Autor Jörg Maurer zeigt uns eine Seite von Mozart, die wir ganz sicher noch nicht kannten! In seiner Hommage an das „Wunder von Salzburg“ streift er schwungvoll und gekonnt abschweifend, um originelle Interpretationen und parodistische Variationen nicht verlegen, durch Sonaten, Evergreens und Anekdoten. So erfährt man auch einiges über die lückenhafte Biografie des Herrn Mozart. (bearbeitete Verlagsinfo) Anlass für dieses Kabarettprogramm war der 250. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2006. Die Aufnahme ist schon etwas älter, aber das merkt man der Tonqualität nicht an.
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Jörg Maurer – Beethovens kleine Patzer

Musikkabarettistische Revue

Ludwig van Beethoven ist bei Pianisten berüchtigt, dabei hatte er durchaus Unterhaltung im Sinn. Jörg Maurer präsentiert als ehemaliger Konzertpianist ein hochmusikalisches und zutiefst heiteres Kabarettstück über den wahren Beethoven, live und virtuos am Pianoforte präsentiert. (bearbeitete Verlagsinfo) Anlass für dieses Kabarettprogramm war der 175. Todestag des Komponisten im Jahr 2002. Die Aufnahme ist schon etwas älter, aber das merkt man der Tonqualität nicht an.
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Andrea Camilleri – Der Hund aus Terracotta (Lesung)

In einem Waffenversteck der sizilianischen Mafia findet Commissario Montalbano eine unheimliche Szene: ein eng umschlungenes Paar Leichen, bewacht von einem Hund aus Terrakotta.

Des Rätsels Lösung war bereits einmal im deutschen Fernsehen zu erfahren. Wer den Film verpasst hat, kann die Lösung in diesem Hörspiel herausfinden.

Der Autor

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Katherine Kurtz & Deborah Turner Harris – Die Loge der Luchse (Der Adept 2)

Vorzüglicher Fantasy-Thriller

Die Tempelritter waren, bevor sie verboten wurden, bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts einer der wichtigsten Orden, der sich der Eroberung und Bewahrung des Heiligen Landes sowie seiner Heiligtümer verschrieben hatte. Sie waren Krieger und besaßen eine festgefügte Hierarchie. Nicht jeder konnte Mitglied werden, und als der französische König Philipp der Schöne abgewiesen wurde, ließ er die Templer gnadenlos verfolgen. Viele flohen ins katholische Schottland. In „Der Adept“ gibt sich auch Sir Adam Sinclair als Abkömmling von Templern, nämlich derer von Saint Clair, zu erkennen und gehört selbst dem Geheimbund an…

Als Kenner der magischen Lehre – als sogenannter „Adept“ – fühlt sich Sir Adam Sinclair dazu verpflichtet, zusammen mit seinen Freunden die Kräfte zu bekämpfen, die immer wieder die Menschheit attackieren. Diese Anhänger der Schwarzen Magie haben sich in der längst vernichtet geglaubten Loge der Luchse vereint und setzen alles daran, mit Hilfe der uralten Kenntnisse der Druiden das Böse freizusetzen. Und erst einmal befreit, kann selbst der Adept diesen Kräften kaum mehr Einhalt gebieten.

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John Birmingham – Der Effekt

Spannend: Die Amis sind weg – was machen wir jetzt?

Am 14. März 2003 verschwinden die Vereinigten Staaten von Amerika – aber wohin? Auch Teile der angrenzenden Länder werden von einer Energiewolke erfasst, die jedes Leben vernichtet. Wer oder was könnte diesen unglaublichen Effekt ausgelöst haben, fragen sich die überlebenden Amerikaner, die eigentlich gerade in den Irak einmarschieren wollten. Dieser wiederum erklärt zusammen mit dem Iran den USA den Krieg. Für die übrig gebliebenen Amis geht es nun ums nackte Überleben. Wer dachte, mit dem Verschwinden der Amis erfülle sich sein Wunschtraum, sollte einmal etwas über die möglichen Folgen lesen.
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Kate Wilhelm (Hrsg.) – Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod (NEBULA Award Stories 9)

Der Innenraum der Science Fiction: Schlachtfelder der Zukunft

Dieser Auswahlband enthält drei preisgekrönte Nebula-Stories aus dem Jahr 1973 sowie sechs für den Preis nominierte Erzählungen von bekannten AutorInnen wie Harlan Ellison, Norman Spinrad, Gene Wolfe, James Tiptree jr. (= Alice Sheldon), Carol Emshwiller, Ben Bova, Vonda McIntyre, George R.R. Martin und Edward Bryant.
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James Tiptree jr. – Warme Welten und andere

Coole Storys: respektlos, witzig, spannend und ganz anders

Diese klassische Geschichtensammlung der amerikanischen SF-Erzählerin versammelt ein Dutzend Erzählungen, die aus der Zeit stammen, als Tiptree alias Sheldon für gehörig Furore sorgte. Unter anderem bildete ihre Geschichte „Paradiesmilch“ den krönenden Abschluss von Harlan Ellisons legendärer Tabubrecher-Anthologie „Again, Dangerous Visions“ aus dem Jahr 1971. Die vorliegende |Heyne|-Ausgabe umfasst eine aufschlussreiche Einleitung von Robert Silverberg, in der er darüber spekuliert, wer dieser geheimnisvolle „Mister Tiptree“ sein könnte.

Die Autorin

Alice Hastings Bradley Sheldon alias James Tiptree jr. alias Raccoona Sheldon wurde 1915 in Chicago geboren. Ihre Mutter war eine Reiseschriftstellerin, ihr Vater Anwalt. Sie lebte in ihrer Jugend in Afrika und Indien, aber anscheinend war sie lange Jahre für die Regierung, die CIA (bis 1955) und das Pentagon tätig. Im Jahr 1967 machte sie ihren Doktor in Psychologie. Obwohl sie bereits 1946 ihre erste Story veröffentlicht hatte, machte sie die Schriftstellerei erst 1967 zu ihrem Hobby, und nach ihrer Pensionierung schrieb sie weiter bis zu ihrem Tod 1987. Sie beging Selbstmord, nachdem sie ihren todkranken Gatten erschossen hatte.

Obwohl sie einige Romane schrieb, wird man sich an sie immer wegen ihrer vielen außergewöhnlichen Erzählungen erinnern. Ihre besten frühen Storys sind im |Heyne|-Verlag unter dem Titel „10.000 Lichtjahre von Zuhause“ (1973) und „Warme Welten und andere“ (1975) erschienen. Unvergesslich ist mir zum Beispiel die Story „Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod“, die den |Nebula Award| 1973 errang. Weitere Geschichten sind in „Sternenlieder eines alten Primaten„, „Aus dem Überall“ und schließlich „Die Sternenkrone“ gesammelt. Ihr Roman „Die Feuerschneise“ (Up the walls of the world, 1978, dt. bei |Heyne|) erhielt ebenfalls viel Lob.

Hinweis: Bei Golkonda ist eine Monographie über die Autorin erschienen, die ich hier vorgestellt habe.

Erzählungen

1) All die schönen Jas

Die Aliens haben die Erde entdeckt, aber ihre Xenologen schätzen ihre Attraktivität als Nistplatz als recht gering ein. Nach mehreren (unbemerkten) Besuchen materialisiert sich schließlich ein reicher Jüngling, der auf der Flucht ist und sich eine Menschengestalt hat geben lassen: mitten in Washington, unweit des Weißen Hauses. Das wäre an sich nichts Besonderes, wäre er dabei nicht völlig nackt und fünf Meter groß!

Die ausgelöste Panik unter den Erdlingen sagt ihm, dass etwas nicht stimmt. Ein Rundblick lässt ihn sich verkleinern und ein paar Klamotten anziehen. Nun sieht er aus wie ein junger Dandy aus dem Fernsehen. Sofort schnappt ihn sich eine junge Frau: Filomena. Ein kurzer Blick in ihren Geist verrät ihm ihren Namen. Er fragt sie, ob sie mit ihm nisten will. Nicht gleich an Ort und Stelle, signalisiert sie ihm, aber sie brauchen auf jeden Fall einen Wagen – den einer Freundin. Zusammen mit dieser und anderen Studenten fahren sie zum Arlington-Heldenfriedhof. Am Kennedy-Grab holt der Fremdling sein „Gepäck“: eine silberne Kapsel. Unterdessen versinkt Washington in Chaos …

Der Fremdling und seine vier Begleiter finden einen Unterschlupf, wo sie ungestört sind. Die beiden Frauen, Filomena und Greg, machen ebenso Liebe mit ihm wie RT, der Marxist und UFOloge, der schon immer an Außerirdische glaubte. Der Vierte im Bund ist zufrieden mit geistiger Übereinkunft. Danach kommuniziert der Fremde mithilfe seines „Gepäcks“: mehrere Aliens antworten und es wird den Erdlingen klar, dass die Alien-Invasion bereits in vollem Gange sein muss. So etwa sinkt der Sauerstoffgehalt in New York City zusehends zu jenem Wert, an dem er für anaerobe Wesen freundlich genug ist …

Da eröffnet ihnen der Fremdling, dass „er“ schwanger sei und in ungefähr einer Minute oder so etwa 30.000 Junge bekommen werde …

Mein Eindruck

Die Story arbeitet auf indirekte Weise mit dem Hintergrund der späten sechziger Jahre: |Pink Floyd|s „Umma Gumma“ und |Gandalf| sind en vogue, und die vier Hippies stehen auf Räucherstäbchen und freie Liebe. Da erfolgt die Alien-Invasion durch den Fremdling, und es sind weder die Geheimdienste noch das Militär, die die Welt vor seiner Brut retten, sondern eben unsere vier Hippies. Nicht Hass rettet die Welt, sondern Liebe.

Die Story ist wie so viele von Tiptrees Texten voller amüsanter oder boshafter Anspielungen, mit vielen Leerstellen, die der intelligente Leser mühelos füllen kann. Tiptree schrieb einmal, dass er/sie in seinen/ihren Geschichten eines um jeden Preis vermeiden wollte: Langeweile. Das ihm ihm/ihr vollauf geglückt.

2) Das ein- und ausgeschaltete Mädchen (HUGO Award 1974)

In der Zukunft ist öffentliche Werbung außer auf dem Produkt selbst verboten. Was ist also zu tun? Natürlich Product placement. Aber bitte nicht so plump wie in den 2D-Filmen, nein, man kreiere einen Promi, mit dem sich dann ein paar Millionen der 15 Milliarden Erdenbürger identifizieren können, und lasse ihn oder sie ganz unauffällig die beworbenen Produkte benutzen. Ungefähr so wie in der „Truman Show“, nur noch etwas unauffälliger. Alles klar?

Allerdings muss das Risiko, das die Werbeträger mit diesem Promi eingehen, auf ein absolutes Minimum begrenzt werden. Die Lösung lautet „Fernsteuerung“. Man braucht also zwei Dinge: eine lebende Puppe – die lässt sich problemlos klonen oder in Fleischtanks züchten und dann verdrahten. Zum anderen muss sie von einer geeigneten Steuerperson während aller Wachzeiten kontrolliert werden. Nicht so einfach. Diese Person müsste schon ziemlich aufopferungsvoll sein und sich selbst als stark benachteiligt sehen. Das ist im Fall der jungen Frau P. (für „Philadelphia“) Burke der Fall.

Die General Transmission Corporation, kurz GTX, heuert das Mädchen, nachdem es gerade einen Selbstmord versucht hat, an und offeriert ihr, dass sie in ihrer neuen Stellung an die Promis ihrer Träume herankäme, so wie sie es sich erhofft. P. Burke ist überglücklich. Sie ist arm und hässlich und hätte nie in ihrem Leben auch nur den Hauch einer Chance, ins Götterland aufzusteigen, in dem sich ihre Idole tummeln.

Monatelang läuft alles nach Plan, und der Rubel rollt. Doch dann kreuzt der Sohn des Konzernchefs auf, Paul Isham III. Er ist unzufrieden mit seinem privilegierten Sohnesstatus. Er verliebt sich in die Puppe, die den schönen Namen „Delphi“ trägt, und glaubt doch tatsächlich, sie sei ein echter Mensch. Damit beginnt eine Tragödie, die auch P. Burke ganz persönlich treffen wird.

Mein Eindruck

Diese ganze herzergreifende Story wird von einer Person unbestimmten Geschlechts in einem solchen Schnodderton erzählt, dass man sie eigentlich nur durch die Brille der tragischen Ironie ernst nehmen kann. Unser Erzähler, der den Leser mit „Oller“ und „Döskopp“ anredet, erklärt aber zum Glück auch, wie die Dinge in der Zukunft laufen, so dass man, ein Quäntchen Grips vorausgesetzt, alles richtig schön auf die Reihe kriegt. Dem Leser bleibt die Wahl: Soll er lachen oder weinen oder beides?

Am Schluss können wir jedoch über den Drahtzieher hinter dieser Sache lachen. Nachdem das Projekt „Hirnleiher“ so schweinemäßig in die Binsen ging, kramt er ein neues Projekt heraus, das Profit verspricht: Es geht um Zeitanomalien, und im ersten Test wird er mitten in die Nixon-Ära versetzt. Gratulation zur demnächst fälligen Einberufung nach Vietnam!

Diese Novelle wurde 1974 mit dem |HUGO Award| ausgezeichnet.

3) Am letzten Nachmittag

Vor Jahren sind die ersten Siedler auf dieser Welt mit ihrem Raumschiff abgestürzt. Sie fanden zum Glück eine der wenigen Lichtungen auf der von Wald bedeckten Insel, machten sich aber keine Gedanken darüber, warum es diese Lichtung überhaupt gab. Sie bauten ihre Siedlung auf, überwanden Probleme und vermehrten sich.

Mysha ist ein Mann der ersten Stunde und hat inzwischen mit seiner Frau Bethel einen erwachsenen Sohn, Piet, und eine jüngere Tochter, die schöne Melie. Mysha ist aber auch ein Seher, der geistigen Kontakt mit einer fremden Lebensform hat, dem „noion“, das als verschrumpelter Beutel an einem Baum hängt. Mit der Hilfe des „noion“ überwand er eine gesundheitliche Krise der Siedler, entdeckte aber auch den langen Zyklus der größten einheimischen Lebensform: der Zerstörer.

Es sind Lichtungen wie diese, zu denen die im Wasser lebenden Zerstörer alle Jahre wieder ziehen, um sich zu paaren und ihre Eier zu legen. Heute ist der Tag, an dem Mysha die Herden von Zerstörern heranziehen sieht, wenn er auf seinem Hügel über der Siedlung sitzt. Die Siedlung ist inzwischen mit Palisaden befestigt, und sogar eine Laserkanone konnte aus dem Raumschiffwrack geborgen, an Strom angeschlossen und aufgestellt werden. Doch wird das reichen? Mysha fleht das „noion“ an, ihnen zu helfen. Als der „Angriff“ rollt, muss er erkennen, dass sein Preis für das Überleben diesmal sehr viel höher sein wird …

Mein Eindruck

„Am letzten Nachmittag“ liest sich, als hätte man die biblische Geschichte von Noah zu einem Actiondrama verarbeitet. Der Angriff der Zerstörer hat titanische Cinemascope-Dimensionen und ist höchst dramatisch dem Ringen eines einzelnen Mannes, Mysha, gegenübergestellt, der das „noion“, ein Ersatz für den alttestamentarischen Gott Jahwe, um Beistand anfleht. Der Beistand wird zunächst auch gewährt, doch natürlich um einen Preis. Und da das „noion“ bereits selbst stirbt, ist fraglich, ob die Hilfe ausreicht. Und ob Mysha überleben wird.

Der Leser mag sich fragen, warum die Siedler nicht einfach in die Berge ausweichen und der Herde der Zerstörer ihren Willen lassen, bis sie wieder abgezogen ist. Das ist der Knackpunkt für Myshas Verhalten, seinen Pakt mit dem quasi-göttlichen „noion“. Dieses Zurückweichen würde die Vernichtung von altem Wissen, der Bibliothek, und moderner Technik, des Generators und des Labors, bedeuten, insgesamt also einen Rückfall auf eine weitaus primitivere Zivilisationsstufe.

Diesen Fall ist Mysha nicht bereit hinzunehmen. Denn er weiß, dass dann das Wissen der alten Erde verschwinden und die Entwicklung der Siedler einen ganz anderen Verlauf nehmen wird. Sie werden vielleicht in die Barbarei zurückfallen. Myshas Kampf ist ein Kulturkampf. Das macht ihn zum Helden. Seine Geschichte ist, wie gesagt, dramatisch und spannend zu lesen, wie der Auftakt zu einem Planetenroman.

4) Und irrend hab ich dies gefunden

Die Forscher sind auf dem Planeten Delphis Gamma Fünf gelandet, haben aber nur primitive Eingeborene gefunden. Nur Evan Dilwyn, der junge Kulturforscher, ist überzeugt, dass der Berg der Eingeborenen, den sie „Der Berg-des-Weggehens“ und „Der Clivorn“ nennen, ein Geheimnis birgt. Er bricht alle Regeln und Beziehungen ab, um Den Clivorn zu ersteigen. Selbst die Eingeborenen hindern ihn vergeblich daran, den Berg, wo sie ihre Toten bestatten, zu besteigen, denn sie glauben, er wolle dort sterben und ihnen seine Kleider vorenthalten. Weil sie ihn verletzen, verliert er an Kraft.

Er findet, was er vom Schiff gesehen zu haben glaubt: eine horizontale Linie, die eine Energiebarriere verbirgt. Doch darüber gibt es eine zweite Energiebarriere, und erst dahinter offenbart sich ihm das Geheimnis Des Clivorn. Leider zu spät …

Mein Eindruck

Diese schöne Erzählung ist in bester Le-Guin-Tradition geschrieben, und sogar die Namen Clivorn und Ardhvenne erinnern an Le Guins frühe [Hainish-Romane 328 wie etwa „Rocannons Welt“. Das Thema ist der Widerspruch zwischen moderner, computerbasierter Wissenschaft, die nur auf technische Daten vertraut, und der alten Feldforschung, die auf Erfahrungen aus erster Hand basiert.

Das Brechen der neuen Regeln hat natürlich seinen Preis: Offenbarung und Tod. Aber wir lernen daraus, dass nichts die unmittelbare Erfahrung aus erster Hand ersetzen kann. Man sollte bedenken, dass diesen Text eine Wissenschaftlerin geschrieben hat, und sie nimmt darin eine sehr kritische Haltung ein.

5) Amberjack

Eine Boy-meets-girl-Story. Amberjack, ein Arzt, hat *Rue, eine Künstlerin, kennen gelernt, aber sie weigern sich, es „Liebe“ zu nennen. Eines Tages gesteht sie ihm auf dem oberen Ende der Feuerleiter ihre Schwangerschaft und sagt, sie wolle ihn verlassen. Da passiert etwas Merkwürdiges in der Zeitstruktur, oder ist es ein Verkleidungstrick? Amberjack sieht in die Zukunft: Sein Sohn tritt ins Zimmer, aber dann kommt noch eine Frau: *Rue, wie sie als Mutter dieses Sohn ausgesehen hätte. Die Frau auf der Feuerleiter stürzt in die Tiefe, und die Frau im Zimmer zieht ihre Perücke ab …

Mein Eindruck

Noch so eine von Tiptree/Sheldons verrückten Geschichten, auf die man sich keinen Reim machen kann. Aber durch die Brechung in der Zeitstruktur qualifiziert sie sich durchaus als eine SF-Story.

6) Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod (Nebula Award 1973)

Der Ich-Erzähler ist ein Alien, eine Mischung aus Panzerechse und Spinne. Die ganze Story dreht sich um Überleben und Fortpflanzung, auf sehr ungewöhnliche Weise.

Unser junges Monster wird wie seine Geschwister von der veränderten Mutter plötzlich verstoßen. Wer nicht schnell davonläuft, wird von ihr gefressen. Vorbei sind die Tage, da sie Schutz und Nahrung bot. Unser Monster schafft es, diesem ersten Verrat zu entkommen. Doch der Plan ist groß, und so ist das stetig wachsende Monster mit effektiven Waffen und starkem Panzer ausgestattet. Das Überleben klappt, doch seine Artgenossen weisen es drohend fort.

Auf der Suche nach Gesellschaft stößt es eines Tages auf eine kleine rosa schimmernde Kreatur, die ständig „Lieliluu“ piept und gurrt.. Doch statt sie zu fressen, wickelt er sie ein, denn er hat sich in das Wesen verliebt. Damit er mit seinem Liebling überleben kann, zieht er in eine Höhle, die er mit Beute vollstopft.

Von einem alten, gebrechlichen Artgenossen hat er erfahren, was der Plan vorsieht. Dass nämlich die Artgenossen in dem kommenden harten Winter, der jährlich länger wird, einander jagen und fressen. Nur der Gierigste wird überleben. Der Plan mag zwar groß sein, doch unser Monster gedenkt, sich ihm zu widersetzen, denn es ist ja intelligent, und die Kälte des Winters macht dumm. Auf diese Weise, so hofft es, werde es zusammen mit seinem rötlichen Liebling den langen Winter überstehen, bis die Tage wieder länger werden.

Als es so aussieht, als sei der Plan überwunden worden, beginnt sich der kleine Liebling zu verlieben, und es kommt zu einer Paarung und Befruchtung. Auf eine geradezu unheimliche Weise verändert sich der Liebling. Und da er nun Junge zu versorgen hat, braucht er viel Nahrung …

Mein Eindruck

Wenn es je so etwas wie eine antike Tragödie für Aliens geben sollte, so ist dies sicherlich der Prototyp dafür. Unser Jüngling hofft, mit seiner Intelligenz dem Diktat des „Plans“ widerstehen zu können. Doch das Diktat der Liebe macht ihm einen dicken Strich durch die Rechnung, und so wird des Monsters Intelligenz ausgehebelt, um der Herrschaft des Plans, d. h. der Triebe und des Instinktes, zur Geltung zu verhelfen.

Die Story ist sowohl ironisch, weil unser junger Held allen Illusionen der Jugend von Größe und Intelligenz erliegt, als auch tragisch, weil die Herrschaft des Triebes jedes Lernen, Weiterdenken und die Entwicklung der Art verhindert. Es ist ein ewiger Kreislauf, aus dem es keine Chance auf Entkommen gibt. Das ist einer der Gründe, warum die Story zeitlos wirken kann und in ihrer Emotionalität und subjektiven Darstellung den Leser direkt anspricht.

7) Paradiesmilch

Das Imperium des Menschen hat sich ausgebreitet und dabei den Lebensraum der Crots vereinnahmt, die zwar Zweibeiner sind, aber geistig sehr unterbelichtet. Nun taucht auf einer Orbitalstation der junge Timor auf, der Sohn eines bekannten Pioniers der Erdflotte. Er verhält sich recht seltsam, so möchte er beispielsweise keinen Sex mit dem Mädchen Seoul haben, und die Anspielungen zweier gleichaltriger Jungen versteht er nicht. Daher nimmt sich ein Erwachsener seiner an, um herauszufinden, was mit ihm los ist.

Der Erwachsene ist ein Schwarzer, Santiago, und wie Timor – es ist nicht sein richtiger Name – zu spät erkennt, verfügt Santiago über ausgeklügelte Verhörmethoden. Die braucht er auch, denn Timor wurde offenbar geistig konditioniert. Er setzt sogar Hypnose ein, um aus Timor herauszuholen, wo er in den letzten sieben Jahren war. Auf „Paradies“, gesteht Timor, und dort gebe es tolle Städte, in denen elfenhafte Wesen leben. Aber von einer solchen Alienrasse hat niemand etwas gehört. Seltsam, nicht?

Timor ist unter Hypnose in der Lage, die ungefähre Lage von „Paradies“ anzugeben. Santiago fliegt mit ihm hin. Als sie auf dem Strand vor dem Dschungel landen, ist von Städten nirgendwo etwas zu sehen, und von Elfen schon gleich gar nicht. Doch da tauchen wirklich Wesen aus dem Dschungel aus, und nun schlägt Timors Herz höher – allerdings ekelt es Santiago nun wirklich …

Mein Eindruck

Man sollte berücksichtigen, dass Alice Sheldon einige Jahre für die CIA als Psychologin tätig war. Daher ist sie mit Techniken wie Gehirnwäsche, Hypnose und Dekonditionierung (also das Gegenteil von Gehirnwäsche) vertraut. Alle Techniken kommen in dieser Story am jungen Timor zum Einsatz. Die Gehirnwäsche wurde ihm auf „Paradies“ verpasst, ebenso die Konditionierung für das Überleben unter Menschen (aber von wem, verrät die Story nicht).

Santiagos Aufgabe besteht darin, den Weg Timors zurückzuverfolgen – eine in Tiptrees Storys häufige Richtung der Handlung. Ob sich die Thematik der Gehirnwäsche à la [„The Manchurian Candidate“ 1069 auch auf damalige Vietnameinsätze der CIA (ca. 1969) anwenden lässt, wäre eine Frage der guten Recherche, aber die Assoziation wird nahegelegt, so etwa durch das Dschungelambiente am Schluss der Geschichte.

8) Nachts blüht der Saurier

Eine Museumsdirektorin erzählt einem befreundeten Besucher von ihrer ersten Zeitreise-Expedition, die sie vor vielen Jahren nach Ostafrika zu den Hominiden führte. Sie waren sieben Leute und hoffnungsvoll, doch als ihr Techniker von einem Kurztrip in die Gegenwart zurückkehrte, erfuhren sie, dass man ihnen die Gelder streichen werde – einfach zu teuer. Doch Fitz, der Techniker, hat eine irrwitzige Lösung des Problems. Er hat dem maßgeblichen Senator, der im Bewilligungsausschuss das Sagen hat, vorgeflunkert, es gäbe hier einen riesigen Saurier zu schießen!

Natürlich sind die Saurier schon 80 Millionen Jahre ausgestorben, aber herrje, man könne ja einen echten Saurier in dessen Zeit erlegen und die Beute nach Ostafrika transferieren. Dann müsse man aber dafür sorgen, dass alles echt aussieht: die Spuren am Ufer des Sees, ja, und vor allem der Dung des Dinosauriers, der den Senator von dessen Echtheit überzeugen soll. Tja, und von da an futterten die Expeditionsmitglieder jede Menge Grünzeug …

Mein Eindruck

Die Saurier-Story ohne Saurier ist natürlich ein einziger riesiger Witz, eine Schnurrpfeiferei, wie sie nur erzählt werden kann, wenn eine Menge Alkohol im Spiel ist. Andererseits aber belegt sie mehrere Aspekte. 1) Senatoren lassen sich leicht auf den Arm nehmen. 2) Selbst eine Zeitreise garantiert nicht, dass die „wissenschaftlichen Ergebnisse“ echt sind, z. B. versteinerte Exkremente. 3) Wissenschaftler sind für ihre Forschungsgelder zu absolut allem bereit. Und obendrein macht die Story irrsinnig Spaß.

9) Doktor Ains letzter Flug

Dies ist der Bericht von Dr. Ains Flug und den bemerkenswerten Umständen seines Todes. Schon als er von Omaha/Nebraska nach Chicago flog, will man eine Frau neben ihm gesehen haben. Jedenfalls sprach er mit einer. Und er redete ständig mit ihr, als habe er sie direkt vor sich. Doch niemand kann sich später an sie erinnern. Auf allen Zwischenstationen fütterte er die Vögel auf den Flughäfen aus einer Futtertüte.

Er flog von Chicago über New York und Glasgow nach Moskau auf eine Konferenz von Mikrobiologen. Dort hielt er erst eine miese Rede mit unwissenschaftlichen Klagen über den schlechten Zustand der Erde und brach dann auch noch alle Geheimhaltungsvereinbarungen, als er von seiner Arbeit erzählte. Er habe, so sagte er zum Erstaunen der Zuhörer, ein Leukämievirus mutieren lassen, so dass nur höhere Säugetiere davon betroffen würden. Deren Immunsystem würde ausgeschaltet.

Als er in Hongkong landet, nehmen ihn die Amis fest und bringen ihn wieder nach Omaha, ins Militärhospital. Da ist es aber bereits zu spät, für ihn und für die Welt. Die Menschen überall auf seiner Reiseroute und zusätzlich auf den Wanderrouten der Zugvögel, die er gefüttert hatte, beginnen zu sterben …

Mein Eindruck

„Dr. Ain“ ist eine der erstaunlichsten Geschichten der SF überhaupt. Sie enthält mehrere Rätsel. Was verfüttert er an die Vögel? Wer ist er überhaupt? Und wer ist die Frau, mit der er sich ständig unterhält? Die Antwort: Diese Frau ist die Erde: Gäa Gloriatrix, seine erotische Geliebte, die er retten will, indem er den Menschen ausrottet. Und der Flug dient der Aussaat dieses Mittels zur Ausrottung. Im Grunde ist Dr. Ains Flug also ein Horrortrip … Hinweis: Die Autorin hat noch einige weitere Storys über die Reinigung der Erde von der menschlichen „Pest“ veröffentlicht.

10) Fehler

Bei einem Frachtflug zum Planeten der Shodars rastet der Matrose Mitchell leider aus. Captain John, unser Chronist, hätte den impulsiven Mann nie mitnehmen sollen, aber nun ist es zu spät: Mitchell reißt einem der Shodars die Fühler ab! Es kommt zu einem Prozess, zu einer Verurteilung wegen Kastration und zu einer Strafe.

Zunächst spürt Mitchell nichts, und Captain John ist schon froh, aber dann erweist sich die Strafe als unvorstellbar grausam. Die Shodars haben nicht seine Haftung im Raum verändert, sondern seine Haftung in der Zeit. Folglich erfolgt seine Reaktion immer eine Sekunde zu spät. Zu anfangs jedenfalls. Zwei Jahre später sind aus den Sekunden 20 Stunden geworden. Maggie, Mitchells Frau, unternimmt heldenmütig – oder liebevoll – alles, um ihrem Mann in diese 20-Stunden-Vergangenheit (oder Zukunft?) zu folgen …

Mein Eindruck

Die Story enthält eine verblüffend geschickt ausgeformte Idee, auf die man erstmal kommen muss. Ein Rutschen in der Zeit, dessen Ausmaß allmählich anwächst. Bis die Liebe zwischen Mann und Frau tragische Ausmaße annimmt und sie an Orpheus und Eurydike erinnern, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Sie folgt ihm in die Unterwelt des time-slips. Bewegend und mit einer netten Pointe versehen.

11) Ein Kommen, ein Gehen

Maltbie Trot ist ein Mitarbeiter bei einem Zeitungsverlag, der Leserbriefe an die „Liebe Candy“ beantwortet, sollte sich also mit Beziehungsfragen auskennen. Aber mit dem Mädchen, das aus dem Nichts bei ihm erscheint, ist er mit seinem Latein am Ende. Sie stammt aus dem 22-69, sagt sie, stammt aus Shago (= Chicago?) und hat schon einige Beziehungsformen ausprobiert. Aber weder Kommune à la Gangbang noch Harem noch Multikulti-Ehe sind etwas für sie. Da verschwindet sie wieder, aber wenigstens sah sie gut aus. Maltbies Stuhl hat sie mitgenommen. Sauerei.

Mein Eindruck

Die superkurze Story von gerade mal sechs Seiten nimmt satirisch die Leserberatungsseiten der Zeitungen und Frauenzeitschriften auf die Schippe. Nicht nur, indem ein männlicher Schreiberling sich als „Candy“ ausgibt – das kann man schon vermuten, wenn man Dr. Sommer in „Bravo“ liest. Nein, auch die komplizierten Beziehungsformen im 23. Jahrhundert sind eine Nummer zu schwierig für unseren 08/15-Ratgeber. Das Mädel redet in einem schnoddrigen (Berliner?) Gossenjargon, der mir sehr sympathisch ist. Und eigentlich willse ja gar nich zu Candy, sondern bloß aufn Lokus …

12) Die Einleitung von Robert Silverberg und Wolfgang Jeschke

99 Prozent dieses Textes stammen von Silverberg, von Jeschke kommen nur wenige Zeilen der Erläuterung hinzu. Erst 1977 wurde das Geheimnis um „James Tiptree jr.“ gelüftet, doch weil Silverbergs Text bereits 1974 (in „Phantasmicom“) erschien, spekuliert er noch, der Autor von „Paradiesmilch“ und anderen irren Geschichten müsse wohl ein Mann sein. Weil ja der Stil irgendwie „maskulin“ sei.

Was ich am ehesten aus seinem Text mitzunehmen bereit war, sind seine kurzen Wertungen der Erzählungen und besonders der Sammlungen, in denen sie zusammengefasst veröffentlicht wurden. So fehlt beispielsweise „Your haploid heart“ in der ersten Sammlung „10.000 Lichtjahr von Zuhause“ aus dem Jahr 1973, wohl weil die Novelle dafür zu lang war. Sie erschien erst in „Sternenlieder eines alten Primaten“ (ebenfalls bei Heyne). Silverberg weist auf diesen bemerkenswerten Umstand hin.

Ebenfalls von Interesse, zumindest für den literaturhistorisch interessierten SF-Fan, ist sein Bericht über das Auftauchen des „Phänomens“ James Tiptree jr., denn daran lässt sich ablesen, wie sehr die alte Garde von diesen umwerfenden Storys beeindruckt, wenn nicht sogar geschockt war. Es war unausweichlich, dass Tiptree auch in Harlan Ellisons Anthologie „Again, dangerous visions“ aufgenommen wurde. Ellison wollte ja alles, was irgendwie rebellisch und ungewöhnlich aussah, aufnehmen. Schon 1969 hatte er mit „Dangerous Visions“ die Leser aufgeschreckt. Wir warten heute noch auf seine Anthologie „Last dangerous visions“: Die Beiträge sind alle bezahlt, aber das Buch noch nicht erschienen. Vielleicht klappt’s ja, wenn Ellison unter der Erde ist. (Was inzwischen der Fall ist, aber die Anthologie ist immer noch nicht da.)

Die Übersetzung

… von René Mahlow ist leider nicht ganz das Gelbe vom Ei. Zwar wird man – selten genug – von Druckfehlern verschont, aber die meisten der rund ein Dutzend Zweifelsfälle sind in der Regel stilistischer Natur. „Ein delikater Augenblick“ ist zum Beispiel nicht etwas Schmackhaftes, sondern etwas Zerbrechliches, das auf der Kippe steht. Statt „Quetchuan“ sollte die Sprache der Inkas „Quetchua“ heißen. Ich wünschte, der Verlag würde die Übersetzung nochmals durchsehen und neu veröffentlichen.

Hinweis: Das hat inzwischen ein österreichischer Verlag erledigt, der leider keine Rezensionsexemplare verschickt, sonst hätte ich sie schon längst besprochen.

Unterm Strich

Von allen originellen Geschichten ist mir vor allem die kurze Story „Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod“ in Erinnerung geblieben, weiß Gott, warum; vielleicht wegen ihrer – durchaus nicht vorhersehbaren – Unausweichlichkeit, die an die antike Tragödie erinnert, aber auch wegen der intensiven sinnlichen Gefühle, die in der Beziehung der Echse zu ihrem „Liebling“ zum Ausdruck gebracht werden. Zu Recht ist die Erzählung mit einem wichtigen Preis des Genres (Nebula Award) ausgezeichnet worden.

Science-Fiction hat ihre Allgegenwärtigkeit vor allem dadurch erreicht, dass sie einerseits ein Sammelbecken für alle Arten von mythischen Helden und Heldinnen bildet, andererseits aber auch eine Literaturgattung ist, die ständig neue Ideen hervorbringt. Hervorbringen muss, denn der Wettbewerb innerhalb der SF und ihrer zahlreichen medialen Erscheinungsformen ist heute beinhart.

Anno 1970/73, als diese Erzählungen erschienen, war die SF zwar schon als TV-Serie über die Bildschirme geflimmert („Star Trek“), hatte sich aber erst nach vierzig Jahren von ihren amerikanischen Groschenheft-Anfängen (ca. 1927) entfernt – und der große Durchbruch stand mit „Star Wars“ (1977) noch bevor.

Tiptrees Erzählungen und ihre abgefahrenen Ideen trugen mit zu einer Veränderung des SF-Genres bei, nicht wie die New Wave sozialkritisch, sondern wie Le Guin in Richtung „weicher“ Wissenschaften und dabei besonders aus weiblicher Sicht – obwohl man das ihren Storys lange Zeit nicht ansah. Aber es ist auffällig, wie oft Frauen und Mädchen in diesen hier gesammelten Geschichten im Mittelpunkt stehen – oder als Gegenüber auftreten. Dass dies den männlichen Autoren der SF, stellvertretend sei Silverberg genannt, nicht auffiel, verwundert noch heute.

Für mich ist dieser Erzählband einer der persönlich wichtigsten in der SF, viel wichtiger als irgendetwas von Heinlein oder Asimov oder Herbert. Denn Tiptree alias Alice Sheldon wagt sich auf respektlose Standpunkte und und kritische Blickwinkel vor, die ihre Kollegen nie auch nur einzunehmen gewagt hätten – und die deshalb bis heute zu faszinieren wissen. SF lebt von Ideen, und die Kurzgeschichte ist von jeher die ideale Form dafür.

Taschenbuch: 220 Seiten
Originaltitel: Warm worlds and others, 1975
Aus dem Englischen von René Mahlow.
Illustriert von Thomas Heston, Titelbild von Karel Thole
ISBN-13: 9783453307247

www.heyne.de

Katherine Kurtz & Deborah Turner Harris – Der Adept (Adept-Zyklus 1)

Feensturm in den Highlands

Die Tempelritter waren, bevor sie verboten wurden, bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts einer der wichtigsten Orden, der sich der Eroberung und Bewahrung des Heiligen Landes sowie seiner Heiligtümer verschrieben hatte. Sie waren Krieger und besaßen eine festgefügte Hierarchie. Nicht jeder konnte Mitglied werden, und als der französische König Philipp der Schöne abgewiesen wurde, ließ er die Templer gnadenlos verfolgen. Viele flohen ins katholische Schottland. In „Der Adept“ gibt sich auch Sir Adam Sinclair als Abkömmling von Templern, nämlich derer von Saint Clair, zu erkennen und gehört selbst dem Geheimbund an…
Katherine Kurtz & Deborah Turner Harris – Der Adept (Adept-Zyklus 1) weiterlesen

James Long – Ring der Zeit

Ewiges Leben, ewige Liebe (mit Hindernissen)

Schreckliche Alpträume plagen die junge Gally. Erst als sie mit ihrem Ehemann Mike aufs Land zieht, findet sie nicht nur Ruhe, sondern sogar ihr Traumhaus: ein charmantes, aber völlig verfallenes Cottage. Gally überzeugt Mike, zu bleiben, auch wenn ein verwirrter, alter Mann immerzu um das Haus streicht. Es ist Ferney, ein alter Mann und Sonderling, zu dem Gally jedoch rasch Vertrauen fasst. Sie meint, ihn schon seit Jahren zu kennen – doch tatsächlich verbindet sie ein Band, das mehr als ein Leben umfasst. (Verlagsinfo)

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Robert Rankin – Warten auf Oho (Hörbuch)

Detektivparodie, Verschwörungsfantasie und metaphysische Komödie

Gott ist tot, und seine Frau Eartha ist sauer. Gott hat nämlich vor seinem Ableben die Erde seinem Sohn Colin vererbt, obwohl er sie ihr geschenkt hatte. Damit nicht genug, trachten nun Dämonen im Auftrag eines „Ministeriums für glückliche Zufälle“ (lies: Hölle) nach der Herrschaft über eben jene nichts ahnende Erde.

Moment, ein wenig Ahnung gibt es hinieden doch: ein Dieb und ein Privatschnüffler kommen der übelriechenden Sache aus ganz unterschiedlichen Richtungen auf die Spur. Doch nach dem zu urteilen, wie sie sich anstellen, ist das Schicksal Terras mehr als ungewiss…

„Warten auf Oho“ bezieht sich im Titel – sowohl des Originals wie auch in der Übersetzung – auf Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“. Allerdings ist Rankins Roman wesentlich lustiger, unterhaltsamer und wortreicher.
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Ambrose Bierce – Das Auge des Panthers (Gruselkabinett Folge 157)

In Liebe mit einem Werpanther

USA, 1890: Der Anwalt Jenner Brading ist einigermaßen überrascht, dass Irene Marlowe, die ihn zweifellos liebt, seine Heiratsanträge vehement ablehnt. Indes hat die begehrenswerte junge Frau mit den faszinierenden blauen Augen mehr als einen guten Grund, unverheiratet zu bleiben, wie sie ihm eines Abends in der freien Natur offenbart… (Verlagsinfo)
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Roald Dahl – Kuschelmuschel. Vier erotische Überraschungen

Surprise d’amour: Das Ende des Karnickelsex

Diese haarsträubenden Abenteuergeschichten aus dem Garten der Lüste berichten von:

1) Onkel Oswald, dem unwiderstehlichen Charmeur, der inmitten der Wüste Sinai ein Liebesabenteuer erlebt, das ihm außer Freuden auch nachträgliche Schrecken bringt;

2) Vic, der einen perfekten Partnertausch inszeniert (ohne Wissen der beteiligten aber hocherfreuten Ehefrauen) und „am Morgen danach“ eine gänzlich unerwartete Überraschung erlebt;

3) Anna, die nicht ungestraft auf eine Jugendfreundschaft zurückblickt;

4) Noch einmal von Onkel Oswald, der die Herstellung eines neuen Duftwassers fördert, das uralte, durch die Zivilisation verschüttete Instinkte wieder zu paradiesischer Blüte erweckt.
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Stanley G. Weinbaum – Die besten Stories von Stanley G. Weinbaum


Umfassende Best-of-Sammlung

Stanley G. Weinbaum wurde nur 35 Jahre alt (1900-1935), hat aber in nur ca. 18 Monaten in der Science Fiction neue Maßstäbe gesetzt. Als erster baute er ab 1934 in seine Erzählungen eine einfühlsame Schilderung fremder Lebewesen in ihrer natürlichen Umwelt ein. Seine erste Kurzgeschichte „A Martian Odyssey“ war eine Sensation und wurde 1968 von seinen SF-Kollegen auf den zweiten Platz ihrer Liste der besten Stories aller Zeiten gesetzt. Weinbaum war einer der ersten Autoren überhaupt, der sich ernsthaft mit Exobiologie und fremdartigen Ökologien beschäftigte.
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Angie Sage – Septimus Heap – Magyk (Lesung)

Genialer Vortrag einer Durchschnitts-Fantasy

In der Burg wütet der fürchterliche Zauberer DomDaniel, der den Turm der Zauberer erobert hat und eine Herrschaft des Schreckens errichtet. Der Einzige, der ihn aufhalten könnte, ist Septimus Heap. Denn er verfügt als siebter Sohn eines siebten Sohns (wie sein Name schon sagt) über große magische Kräfte. Aber wo steckt Septimus? Ist er tatsächlich bei seiner Geburt gestorben, wie die Hebamme behauptet, oder wurde er sogar entführt? Und warum lässt DomDaniel ohne Unterlass nach der Tochter der ermordeten Königin fahnden?

Das magische Abenteuer wird vom Verlag ab elf Jahren empfohlen.

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Ingrid Noll – Die Sekretärin. Erzählungen (Lesung)

Rache ist süß. Ob Sekretärin, Putzfrau oder Hausfrau, wenn sie zu sehr gedemütigt werden und ihnen der Kragen platzt, dann zahlen sie es ihren Chefs, ihren Herrschaften, ihren Pantoffelhelden heim. (Verlagsinfo)

Die Buchvorlage erschien im Jahr 2000 im Diogenes-Verlag.

Die Autorin

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Koontz, Dean – Rabenmann, Der

_Angriff der Dämonen, Widerstand der Kinder _

Zwei Jahrzehnte ist es her, dass Alton Turner Blackwood, der Rabenmann, vier Familien brutal ermordete. Seine blutige Serie endete erst, als der vierzehnjährige Sohn der letzten Familie ihn erschoss: John Calvino.

Doch nun taucht plötzlich ein Mörder auf, der die Untaten von einst exakt kopiert. John, der damals die eigene Familie nicht mehr retten konnte und seitdem schwer gezeichnet ist, ermittelt als Polizist in dem Fall. Voller Entsetzen entdeckt er, dass der Täter offensichtlich feststeht: Es war wohl Billy Lucas, der vierzehnjährige Sohn der Familie, der seine engsten Angehörigen grausam tötete.

Als Detective hält sich John Calvino sonst nur an klare Fakten. Aber könnte dieser Junge – bislang ein braver Musterschüler – tatsächlich vom Bösen besessen sein? Und wenn ja: Wie sollten John, seine Frau, die Töchter und der bald vierzehnjährige Sohn Zach der Rache des Rabenmanns entrinnen? (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“ -, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird und einer ihrer Vertreter auftritt.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in 38 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 400 Mio. Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt, so etwa „Watchers“. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

„Der Rabenmann“ ist die direkte Fortsetzung von „Schwarze Feder“, einen Kurzroman, den es bei |Heyne| nur als Download gibt. Nähere Infos dazu finden sich im Buch, ebenso eine Leseprobe.

_Handlung_

Es ist zwei Jahrzehnte her, dass John Calvino seine Familie verlor. Sie war eine von vier Familien, die Alton Turner Blackwood, der besessene Serienmörder, auslöschte – er wurde als „Der Rabenmann“ bekannt. Dem 14-jährigen John Calvino gelang es damals, den Killer zu töten, aber erst, nachdem er seine vier weiblichen Verwandten ausgelöscht hatte. In seiner Polizeiausbildung lernte er alles über diesen Mann: Wie er vorging, wenn er seine Opfer fand und tötete, was er alles mit ihnen tat, jedes kleinste Detail.

Dies alles ist ihm präsent, als er nun in der Psychiatrie Billy Lucas besucht, der kürzlich seine ganze Familie ausgelöscht hat. Billy ist ebenfalls erst 14 Jahre alt, so wie seinerzeit John (und wie bald Johns Sohn Zach). Aber er sitzt für gewöhnlich hinter Panzerglas. Nicht so heute, denn John hat keine Furcht vor dem vierfachen Killer. Das Unheimlichste an Billy ist die Tatsache, dass er bei seiner Bluttat exakt so vorging wie Blackwood, als er die Paxtons, seine letzten Opfer, tötete. Und kann es wirklich ein Zufall sein, als Billy nun John Calvino den gleichen Grund für seine Tat angibt wie seinerzeit Blackwood: „Verderbnis“?

Bei der Besichtigung des Lucas-Hauses stellt John mit seinen feinen Sinnen mehrere Ungereimtheiten fest. Ein Fleck aus Milch und Blut schimmelt in der Küche, obwohl die Spurensicherung ihn schon längst hätte entfernen müssen; die Uhren im ganzen Haus blinken „12:00“, und alle Telefone läuten. Als er an Billys Handy geht, meint er die geflüsterte Bezeichnung „Sklave“ zu hören. So nannte Blackwood seine männlichen Opfer, damit sie ihm in der Hölle dienen würden.

Die wertvollste Entdeckung macht John im Zimmer von Billys Schwester Celine (die er vor ihrer Tötung vergewaltigte): Glöckchen als Ohranhänger, die in Blütenform klingeln können. Auf einem davon ist Blut zu sehen. Sehr beunruhigend ist allerdings, dass er auf Billys PC die Fotos seiner eigenen Familie findet. Und die jüngsten sind erst einen Monat alt. John bekommt definitiv Angst um seine Familie. „Es hat begonnen“, murmelt er, als er ins Auto steigt. Aber was es ist, ahnt er noch nicht.

|Bei den Calvinos|

John Calvino gehört nicht der gewöhnlichen 08/15-Familie an, die man in Suburbia findet. Seine Frau Nicolette ist eine sehr erfolgreiche Kunstmalerin, und ihre drei Kinder Zach (13), Naomi (11) und Minette (8) werden nicht etwa an der Schule, sondern zu Hause von Privatlehrern unterrichtet, die zu ihnen kommen, nicht umgekehrt. Das Sahnehäubchen bildet das Ehepaar, das die Mahlzeiten zubereitet. Zum Glück ist auch das Haus groß genug, um allen ein Dach überm Kopf zu bieten.

Als Nicolette heute ihre Zähne mit Zahnseide reinigt, erblickt sie erst hinter sich einen unbekannten Mann, dann vor sich im Spiegel. Der Spiegel explodiert, und sie fällt in Ohnmacht. Ungefähr zur gleichen Zeit, etwa 1:30 Uhr am Nachmittag, befindet sich Zach auf dem Zwischenboden, wo die Brenner und die Klimaanlage stehen. Er will einem finsteren Verdacht nachgehen, der ihm gekommen ist, steigt die Falltür hoch und sieht sich, bewaffnet mit einer langzinkigen Truthahngabel und einer Taschenlampe, um. Nichts.

Da geht das Licht ebenso aus wie seine Taschenlampe. Er gerät nicht in Panik, o nein, denn Zach, der in wenigen Monaten 14 Jahre alt wird, will ein Marine werden, und Marines verlieren nicht den Kopf. Niemals. Außer jetzt, als er einen Mann in der dunkelsten und kältesten Ecke spürt. Der packt ihn am Handgelenk und verdreht seine Truthahngabel, als bestünde sie aus Schokolade: „Jetzt kenne ich dich.“

Ebenfalls zur gleichen Zeit gehen Naomi und Minnie einer merkwürdigen Beschäftigung in ihrem Kinderzimmer nach. Weil sie vergangene Nacht einen unbekannten Mann im Spiegel des begehbaren Kleiderschranks gesehen haben, montiert die kleine Minnie den Spiegel ab, während Naomi noch mit ihr hadert, dass der Spiegel doch eine mögliche Tür in eine andere Welt sei, wo ihr Prinz auf sie wartet, damit sie ihm beisteht und über das Königreich herrscht.

Mit unbestechlichem Sinn für Realität macht Minnie ihrer verträumten Schwester klar, dass der Spiegel gefährlich sei. Als sie ihn auf den Boden legt, kräuselt sich dessen Oberfläche. Und als sie eine Traube darauffallen lässt, verschwindet diese. Ganz klar: Der Spiegel muss fort! Doch bevor Minnie dies tun kann, macht Naomi den Fehler, ihre Hand auf die wieder stabile Oberfläche zulegen. Eine männliche Stimme voller Hass und Zorn sagt in ihrem Kopf: „Jetzt kenne ich dich, du dumme kleine Schlampe!“

|Piper’s Gallery|

Als John Calvino die Galerie betritt, aus der der Glöckchen-Anhänger stammt, ahnt er nichts von den sinistren Vorgängen in seinem Heim. Und als ihn ein Kollege bei einem weiteren Besuch im Lucas-Haus ertappt, bekommt er unangenehme Fragen gestellt. John ist nur eines klar: Was auch immer den armen Billy Lucas besessen hat, wird sich schon bald ein neues Gefäß suchen, das es benutzen kann, um Tod und Zerstörung zu säen – denn am 25. Oktober jährt sich der Tag, an dem seine eigene Familie überfallen wurde, zum 20. Mal …

_Mein Eindruck_

Der Titel des Thrillers könnte genauso gut „Besessen“ lauten, denn um Besessenheit geht es die ganze Zeit. Billy Lucas ist für Calvino der wichtigste Zeuge, wie diese Besessenheit aussieht. Urplötzlich verwandelt sich ein netter Junge oder ein unbescholtener Zeitgenosse in ein mordendes Ungeheuer. Dieses Opfer lässt sich als Pferd bezeichnen, das geritten und an die Kandare genommen wird. Der freie Wille geht dabei natürlich flöten.

Zunächst hat es den Anschein, als sei es der teuflische Geist von Alton Turner Blackwood, der die Gewalt über Billy Lucas etc. übernommen habe. Später erfahren wir, wer oder was sich hinter „Verderbnis“ verbirgt: Es ist ein Dämon aus der Hölle. Klingt nach dem „Exorzisten“? Tatsächlich sucht Calvino einen ehemaligen Exorzisten auf. Doch Peter Abelard darf nicht mehr praktizieren, seit es der katholischen Kirche peinlich ist, die Existenz des absolut Bösen zuzugeben.

Verderbnis als Dämon zu etablieren, ist ja gut und schön, aber im Opfer muss genau dies existieren, damit Verderbnis die Lenkung übernehmen kann, sozusagen eine Lücke in der seelisch-moralischen Rüstung. Unversehens wird aus dem Horror-Thriller eine höchst moralische Parabel, aber das sollte uns bei Dean Koontz nicht verwundern, denn fast alle seine Thriller (beispielsweise „Dunkle Flüsse des Herzens“ oder „Intensity“) basieren darauf. Letzten Endes sind 95 Prozent des Horrorgenres moralische Parabeln, und das fing schon bei E. A. Poe an.

|Der Rabenmann|

Bevor wir zum Finale kommen, sollten etwas über den Anfang von „Verderbnis“ gesagt werden, genauer über Alton Turner Blackwood, den Rabenmann. In regelmäßigen Abständen ist dessen Tagebuch in Auszügen eingeschoben. Darin entdeckt der rund 14 bis 15 Jahre alte Alton die Wahrheit über seine feine Familie. Der Filmproduzent Teejay Blackwood ist sein Großvater, denkt er. Aber er ist auch sein Vater, sein Onkel und sein Bruder!

Teejay Blackwood hat es sich nämlich aus Überzeugung zur Gewohnheit gemacht, seine nächsten weiblichen Verwandten zu schwängern. Sein Ziel: die Züchtung der schönsten Frauen der Welt. Da er dies mit männlichen Nachkommen nicht tun kann, erstickt er die neugeborenen Söhne nach der Geburt und verscharrt ihre Leichen in einem nahegelegenen Wäldchen. Dort findet Alton auf seinen nächtlichen Streifzügen auch die Gebeine seiner lange und schmerzlich vermissten Mutter. Alle haben ihn angelogen, erkennt er. Warum nur musste sie sterben? „Tante“ Regina und ihre „Tochter“ Melissa, beide inzwischen schon wieder schwanger, geben die Wahrheit freimütig zu …

Auf seinen Streifzügen genoss der entstellte Alton, der nur aufgrund der flehentlichen Bitten (und des Opfers) seiner Mutter am Leben gelassen worden ist, eine bis dato unbekannte Freiheit. Er lernte alles, was die Nacht weiß (O-Titel) und was ihm ein geheimnisvoller Rabe zeigte. Freizügig tötete er jede Art von Tier, bis er zum Herrn des Waldes wurde. Bis er auf die Gebeine und die Lügen stieß.

Nun ist er nicht mehr Herr des Waldes, sondern der angehende „Rabenmann“. Doch wann er den Dämon „Verderbnis“ traf und von ihm erfüllt wurde, erzählt Koontz nicht in diesem Buch und auch nicht in dem Kurzroman „Die schwarze Feder“, den es für zwei Euro zum Download gibt und der angeblich als Vorgeschichte fungieren soll.

|Die Natur des Bösen|

Ist das Böse also eine von außen kommende Macht, die der Macht des Guten Paroli bietet? Da meinte zumindest der Philosoph Mani aus dem 3. Jahrhundert, weshalb sein Modell der Manichäismus heißt. Gut und Böse verhalten sich wie Schwarz zu Weiß, dazwischen gibt es nichts.

Dass dieses Modell nicht funktionieren kann, zeigt sich schnell. Denn wozu sonst müsste der Dämon „Verderbnis“ erst seine Opfer vorbereiten, um eine Lücke in ihrer moralischen Rüstung zu öffnen, durch die er Zugang zu ihrem Geist und ihrer Seele findet? Voraussetzung ist also auch ein Makel im Opfer. Bei John Calvino sind es seine Schuldgefühle gegenüber seinen ermordeten Anverwandten – während sie gemeuchelt wurden, hatte er Sex mit Cindy Schooner, einer 16-jährigen Schlampe aus der Nachbarschaft.

In Naomi nützt „Verderbnis“ deren mädchenhafte Schwärmerei für jede Art von Fantasy und Magie im Stile von „Harry Potter“ aus (Hogwarts wird sogar namentlich erwähnt). Naomi braucht nur von einem „Pferd“ durch einen „Flug durch die Dimensionen“ in ihr angestammtes Königreich gebracht zu werden, damit sie alles tut, was man von ihr verlangt – wenn man sich ausdrückt wie in einem ihrer Bücher. Sie wollte ja schon immer „Mylady“ genannt werden.

Zach Calvinos Schwäche ist seine Entschlossenheit, ein harter Marine zu werden, ein Macho, wie er – ebenfalls – im Buch steht. Seine Träume sind erfüllt von einem Kerl namens Al, der ihn mit seinen Schwestern unaussprechlich eklige Dinge tun lässt, bis Zach sich erbrechen muss. Und Nicolette? Ihre Schwäche ist ihre Malerei, in der sie vielfach ihre amilie festgehalten hat. Bis auf einem der Fotos ein merkwürdiger Männerumriss in einem der Spiegel auftaucht …

Die einzigen Ausnahmen sind Minette, die kleine Achtjährige, und der verstorbene Golden Retriever Willard. Seit ihrer schweren Erkrankung vor zwei Jahren kann Minette Geister sehen – und deshalb auch den Geist von Willard, dem hilfreichen Hund. Diese Fähigkeit steht nur scheinbar im Gegensatz zu ihrem Realismus, mit dem sie Naomis Schwärmerei unterminiert.

Die Familie Calvino weist also zahlreiche Schwächen auf, über die „Verderbnis“ und der Rabenmann sie angreifen können. Und sie haben Bedienstete, die wiederum Verwandte haben, die wiederum unverhofften Besuch bekommen, nachdem ihr Verhalten eine ungewöhnliche Veränderung aufweist …

|Der Haken|

Calvino ist ein Cop, und als Cop analysiert er Muster. Das Wichtigste ist die Reihenfolge und der Abstand von Blackwoods Taten: 33 Tage. Also rechnet er sich den 10. Dezember als Datum aus, an dem der Rabenmann angreifen wird. Falsch gedacht, erklärt ihm seine Frau. Hätte er nur mal (wie wir) Blackwoods Tagebuch gelesen. Die Reihenfolge Opfer, nach der Calvino rechnet, stimmt nicht. Also ist der Termin schon viel früher. Und warum nicht schon am 20. Jahrestag?

Calvino weiß also, was er zu erwarten hat. Und er weiß auch, wie das aussehen wird. Aber keiner wird ihm glauben, dass die Opfer, die Blackwoods „Pferd“ im städtischen Hospital gefunden und gefordert hat, auf das Konto eines vor 20 Jahren getöteten Geistes gehen. Doch was nützt ihm all dies Vorauswissen schlussendlich? Das ist die Frage, die das nahende Finale so spannend macht. Parallel dazu enthüllt das Tagebuch Blackwoods immer dramatischere Ungeheuerlichkeiten.

Es kommt also auf mindestens zwei Ebenen zu einer Krise, die sich in einem ausgedehnten Kampf im Hause Calvino äußern muss. Darüber werde ich natürlich nichts verraten. Nur so viel: Minette hat seit ihrem Krankenhausaufenthalt etwas aus Lego-Steinen gebaut, das Ähnlichkeit mit einem Rad hat und das nun auf unerwartete Weise zu einem Hilfsmittel wird – für eine Zeitreise …

_Die Übersetzung _

Bernhard Kleinschmidt, der inzwischen standardmäßige Koontz-Übersetzer beim |Heyne|-Verlag, hat hier wieder eine ausgezeichnete Übersetzung abgeliefert. Der Erzählstil klingt natürlich, und Umgangssprache ist kein Tabu, was sich besonders in den Dialogen zwischen den Mädchen bemerkbar macht („Jesses!“).

Allerdings sind Kleinschmidt zwei kleine Fipptehler unterlaufen. Auf S. 215 steht: „Das ist der Moment, indem in Besitz genommen wird.“ Sieht korrekt aus? Falsch gedacht. „indem“ ist ein eigenständiges Wort, das hier aber getrennt geschrieben gehört: „der Moment, in dem“.

Doch das Wort „jüngsteres“ auf S. 420 ist schon auf den ersten Blick nicht ganz koscher. Es geht um das „jüngere“ Mädchen der Calvinos, also Minette. Das „jüngste“ Mädchen wäre nicht korrekt gewesen, denn es ist ein Superlativ, der drei Vergleichsstufen erfordert. Und bei zwei Mädchen gibt es bloß zwei Stufen, also wäre „jüngere“ korrekt.

_Unterm Strich_

Das Inzestmotiv erinnert an Poes klassische Horrorgeschichte über Roderick und Madeleine Usher und ihre tabubrechende Untat, die sich nun, nach Jahren, rächen muss. Auch an Alton Turner Blackwood wurden zahlreiche moralische Verbrechen begangen, vom Inzest über ungeheure Lügen bis zum Tod seiner Mutter. Doch ist dies alles ausreichend, um ihn zum Opfer des Dämons „Verderbnis“ (er könnte auch Beelzebub, Asmodis oder Belial heißen) zu machen?

Diese Frage lässt sich mit Bestimmtheit nur aufgrund der Lektüre von „Die schwarze Feder“ beantworten. Klar ist aber, dass diese Verbrechen den Weg für den Eintritt von „Verderbnis“ gebahnt haben. Und es sollte nicht verwundern, wenn „Verderbnis“ dafür sorgen würde, dass Blackwood, der Rabenmann, sich an seiner Familie rächt und dem ganzen Inzestspuk ein blutiges Ende bereitet. Das wäre dann „Der Untergang des Hauses Blackwood“.

„Der Untergang des Hauses Calvino“ hingegen wird über 400 Seiten lang vorbereitet. Das geschieht in mehreren Stufen, in denen Calvino Gelegenheit hat, das Angriffsmuster zu erkennen (das ihm niemand glaubt), den verbleibenden Abstand bis zum Datum des Angriffs auszurechnen (wobei er sich irrt) und sich mit seiner Familie zu verschanzen (wobei der Feind schon innerhalb der Mauern lauert). Das Finale ist denn auch entsprechend actionreich und gruselig. Als Leser kann man es „in vollen Zügen“ (sogar im ICE) genießen.

|Schwächen|

Was dem europäischen Leser ein wenig sauer aufstoßen dürfte, ist die christlich-moralische Botschaft der Geschichte. „Der Exorzist 2.0“ ist es ja nicht gerade, denn sowohl der Exorzist, der außer Dienst gestellt wurde, als auch dessen Opfer sind längst nicht mehr das, was sie bei [Peter Blatty]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=516 waren. Jeder, der auch nur einigen Dreck am Stecken hat, etwa korrupte Cops oder verkappte Kindermörderinnen, ist ein potentielles „Pferd“, das der Dämon „Verderbnis“ entern und das Blackwood lenken kann.

Und wie es aussieht, ist die US-amerikanische Gesellschaft, die ihre Mittelschicht eliminiert hat, sowohl in den armen wie auch in den reichen Schichten überreif dafür, von „Verderbnis“ übernommen zu werden. Koranverbrennungen, geschändete Muslime, Abu-Ghraib – all diese Vorfälle sprechen Bände. „Verderbnis“ feiert Triumphe, fast jeden Tag.

Dean Koontz fühlt sich bemüßigt, seine – meist ältere – Leserschaft (denn die junge Generation nutzt entweder Facebook, MP3-Player oder e-Reader) explizit darauf hinzuweisen, was mit Amerika nicht stimmt. Das müsste er nicht. Er müsste auch nicht mehrmals rekapitulieren, was geschehen ist. Aber wahrscheinlich hat ihm sein Lektor gesagt, dass er das tun muss, damit seine älteren Leser kapieren, was vor sich geht und nicht den Faden verlieren. O ja, es gibt auch einen Dämon namens „Demenz“. Und auch der feiert traurige Triumphe.

|Info: What the night knows, 2010
472 Seiten plus Leseprobe
Aus dem US-Englischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN-13: 978-3453267350|
http://www.heyne.de

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Zwei Dutzend weitere Rezensionen zum Werk von Dean Koontz findet ihr in unserer [Rezensions-Datenbank.]http://buchwurm.info/book/

Mary Fortune – Weiß (Gruselkabinett 75)

Spannend & erotisch: Das Geheimnis des weißen Hauses

Ein junger Arzt, der sich gerade in einem Vorort Londons niedergelassen hat, wird auf seinem Nachhauseritt auf ein gerade bezogenes, einsam gelegenes Landhaus aufmerksam. Es lässt ihn die Frage nicht mehr los, weshalb die neuen Besitzer sämtliche Fensterscheiben von innen weiß gestrichen haben … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Die Autorin

Mary Fortune (1833-1909) hatte ein überaus interessantes Leben. Geboren 1833 in Belfast, Nordirland, wanderte sie mit ihrem Vater nach Kanada aus und heiratete dort 1851 Joseph Fortune, mit den sie einen Sohn hatte. Doch statt bei ihm zu bleiben, folgte sie ihrem Vater bei dessen Auswanderung nach Australien. Dort traf sie am 3.10.1855 ein und bekam im November 1856 einen zweiten Sohn. Im Januar 1858 starb der ältere Sohn, und im Oktober heiratete sie Percy Rollo Brett (möglicherweise bigamistisch).

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Patterson, James / Gross, Andrew – Rache des Kreuzfahrers, Die

„Die Rache des Kreuzfahrers“ ist ein temporeicher historischer Roman, dessen abenteuerliche Handlung im 11. Jahrhundert in der Zeit der ersten Kreuzzüge spielt. Action, Drama, Lovestory und jede Menge derber Humor sind die Hauptzutaten dieses „pageturners“. Mich hat erstaunt, wie untypisch dieses Buch für Patterson ist.

_Die Autoren_

James Patterson, geboren 1949, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor von fünfzehn Nummer-1-Bestsellern (inklusive diesem Buch). Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman hieß „The Lake House“, doch inzwischen wurde auch „Sam’s Letter to Jennifer“ veröffentlicht, das ähnlich aufgebaut ist wie der |tearjerker| „Tagebuch für Nicholas“. Mittlerweile erschienen neue Alex-Cross-Romane mit den Titeln „The Big Bad Wolf“ und „London Bridges“. Im Januar und Februar 2005 sind zwei weitere Patterson-Romane erschienen, darunter „Lifeguard“. Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Patterson lebt mit seiner Familie in Florida.

Andrew Gross war Pattersons Ko-Autor an „Die 2. Chance“ (Limes-Verlag) und lebt in New York City.

_Der Sprecher_

Tobias Meister, geboren 1957 in Köln, steht seit seinem fünften Lebensjahr auf der Bühne. Er ist Schauspieler und Synchronregisseur. Als Synchronsprecher leiht er Brad Pitt, Kiefer Sutherland, Tim Robbins, Sean Penn und anderen seine Stimme.

_Handlung_

Frankreich Ende des 11. Jahrhunderts: Das Zeitalter der Kreuzzüge beginnt, zu denen Papst Urban aufgerufen hat, um das Heilige Land von den „Ungläubigen“ zu befreien.

In einem kleinen Provinzdörfchen hat sich der junge Hugh de Luc mit seiner Frau Sophie als Gastwirt zur Ruhe gesetzt – zuvor hatte er ein unruhiges Leben als umherziehender Gaukler „genossen“. Bis er sich in Sophie verliebte. Das Einzige, was den beiden zum vollkommenen Glück fehlt, ist ein Kind – und Freiheit von ihrem Oberherrn, dem Herzog Baudouin von Treille.

|Ins Heilige Land|

Seine Sehnsucht nach ungebundenem Leben in Freiheit wird Hugh zum Verhängnis: Er zieht mit einer zusammengewürfelten Soldatentruppe Richtung Palästina, um Ruhm und Beute zu erlangen. Sophie bleibt hoffend zurück, doch beim Abschied gibt sie Hugh eine Hälfte eines schönen Kammes mit, der ein Erbstück ist: ein Symbol der Treue, ein Versprechen auf ein Wiedersehen.

Die Katastrophe, in die sich Hugh begibt, hätte er sich nicht vorstellen können. Sterben die Männer nicht auf dem Fußmarsch durch die Gebirge des Balkans und Kleinasiens, dann an den Strapazen bei der Belagerung der wichtigsten moslemischen Festung vor Jerusalem, Antiochia im heutigen Syrien. Die Verteidiger dezimieren die christlichen Reihen von zusammengewürfelten, undisziplinierten Haufen, die nicht mal Sold bekommen.

Nachdem Antiochia durch Verrat gefallen ist, plündern die Christen die Stadt, metzeln die Bevölkerung, moslemische wie auch christliche Einwohner, nieder, und stecken anschließend die Häuser an. In einer winzigen Kirche, die demnächst geplündert wird, hat Hugh sein Damaskus-Erlebnis. Hatte er schon zuvor nicht an einen Christen-Gott geglaubt, so verliert er nun auch den Glauben an Vernunft, Vorsehung, Liebe und andere Werte. Ein Moslem verschont sein Leben, nachdem Hugh ob dieses Irrwitzes in Lachen ausgebrochen ist. Der Moslem verliert sein Leben beim Angriff fränkischer Fanatiker, der Tafur. Sie tragen das Zeichen des Kreuzes eingebrannt am Hals. Da vergeht Hugh das Lachen und er macht sich aus dem Staub – nicht ohne ein goldenes Kreuz aus der Kirche mitzunehmen.

|Wieder in der Heimat|

Ein halbes Jahr später, zwei Jahre nach seinem Abschied, ist Hugh wieder in seinem Heimatdorf angelangt. Seine Vorfreude auf ein Wiedersehen verwandelt sich in Schrecken, als er sieht, dass sein Gasthof bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde. Sophie ist verschwunden. Sein kleiner Sohn Philippe, von dem er nichts geahnt hatte, liegt begraben auf einem Feld. Dort vergräbt der verzweifelte Hugh auch sein Kreuz.

Wer hat dieses Unglück über sein Dorf gebracht? Es seien Ritter ohne Erkennungszeichen gewesen, heißt es von den versprengten Dörflern. Nun, Hugh kann sich’s denken: Baudouin von Treille muss dahinter stecken, oder? Er hofft, dass die entführte Sophie noch am Leben ist, und wandert durch die Wildnis Richtung Treille. Nach einem Angriff durch einen Eber wird der verwundete Hugh von einem edlen Fräulein namens Emilie in die Burg des Herzogs von Borée gebracht und gesund gepflegt.

Da Emilie durch Hughs Erzählungen zutiefst ergriffen ist (ohne es zu zeigen), will sie ihm helfen, Sophie zurückzugewinnen, sofern sie noch lebt. Dazu aber muss sich Hugh eines Vorwandes bedienen, und welche Verkleidung wäre für einen früheren Gaukler besser geeignet als die eines Hofnarren? Hugh macht sich auf den Weg in die Höhle des Löwen …

Unterdessen suchen Ritter vom Schwarzen Kreuz nächtens Dörfer und Weiler des Herzogtums von Treille heim. Sie sind hinter einer ganz bestimmten Reliquie her, die von Rittern und Händlern aus dem Heiligen Land mitgenommen oder erworben wurde. Was sie am dringendsten haben wollen, ist eine Reliquie von der Kreuzigung Jesu. Und die könnte sich in Hughs Besitz befinden, ohne dass er es ahnt …

_Mein Eindruck_

Ich habe dieses actionreiche und humorvolle Hörbuch in wenigen Tagen verschlungen. Ich fühlte mich hervorragend unterhalten, denn der Roman ist vieles zugleich. Was zunächst nach einem mittelalterlichen Kriegsabenteuer aussieht, verwandelt sich in Hughs Heimat in einen ungewöhnlichen Kriminalthriller, denn es geht darum, zwei Rätsel zu lösen: Wer sind die Ritter vom Schwarzen Kreuz, und in wessen Auftrag handeln sie? Und was wollen sie, das Hugh angeblich in seinem Besitz hat?

|Action, endlich!|

Sind diese Rätsel gelöst, wandelt sich der Roman erneut: zu einem romantischen Actiondrama, das einerseits in einem Bauernaufstand gipfelt und zum anderen in der Erfüllung von Lady Emilies Liebe zu Hugh de Luc. Und auch sie hat ein pikantes Geheimnis zu lüften! Die Action besteht in einem Dreisprung: Zuerst ist Baudouin zu überwältigen, dann der Anführer der Ritter vom Schwarzen Kreuz und zu guter Letzt dessen Auftraggeber.

So gelingt es also den beiden Autoren scheinbar mühelos, aber mit etlichen Tricks und Kniffen, den Hörer bis zur letzten Minute des Finales prächtig zu unterhalten. Kaum ist ein Rätsel gelöst, taucht schon das nächste Geheimnis dahinter auf. Oder eine Aufgabe, die Hugh zu bewältigen hat. Oder Lady Emilie bringt Hugh in Schwierigkeiten…

|Der spezielle Humor des Mittelalters|

Nur ein Narr würde nicht bei so vielen Sorgen durchdrehen und andere die Drecksarbeit machen lassen. Zum Glück ist Hugh eben dieser Narr! Ohne seinen bissigen und mitunter recht derben Humor würde er wohl kaum so viele Herausforderungen bewältigen. Und in der mittelalterlichen Gesellschaft bewährt sich sein eingeübter Wortwitz ausgezeichnet. Zu diesem Witz gehören eine ganze Menge Wortspiele.

Ich war skeptisch, ob die offenherzig geschilderten erotischen Szenen so stehen gelassen würden, aber in der deutschen Ausgabe wurde offenbar nichts davon der Zensur geopfert – bravo! Die mittelalterlichen Leute hatten offensichtlich ein viel unverkrampfteres Verhältnis zu körperlichen Angelegenheiten als wir heute.

|Toujours l’amour!|

Die einzige erlösende Kraft auf Erden scheint Hugh die Liebe zu sein, zuerst jene von Sophie, dann jene der Lady Emilie. Für die beiden Frauen verkämpft er sich denn auch bis zum letzten Atemzug und nimmt die größten Risiken auf sich. Als Hugh also Frau und Kind verliert, kündigt er den Lehnseid auf, der ihn als Untertan an seinen Lehnsherrn bindet, den Ritter, der sein Land besitzt und von ihm Dienste fordern kann, beispielsweise im Krieg.

|Rebellion|

Die Aufkündigung dieses seit Jahrtausenden bindenden Verhältnisses ist ein revolutionärer Akt. Seine Mitmenschen können kaum fassen, was Hugh tut. Erst nach langen Verhandlungen und intensiver Überzeugungsarbeit schließen sie sich ihm an. Der einzige Grund: Sie haben selbst nichts mehr zu verlieren außer ihrem Leben. Und das können sie genauso gut für ihre Befreiung einsetzen, oder? Außerdem hat Hugh ja eine gewisse Reliquie, die ihn zu etwas Besonderem macht.

Der nun folgende Bauernaufstand – den die Geschichtsbücher sicher nicht der Erwähnung wert halten – erinnert uns natürlich stark an den Unabhängigkeitskampf der „amerikanischen“ Siedler in den Kolonien Neu-Englands. Diese so genannten „Amerikaner“ waren ja meist ebenfalls nur eingewanderte Engländer, Schotten, Waliser oder Iren. Und viele, viele so genannte „Deutsche“ – meistens Hessen. Wie die „Amerikaner“ erhoben sie sich gegen ihre Landesfürsten. Denn das waren die britischen Lords und Ladies ja letzten Endes, wie man beispielsweise in dem Emmerich-Film „Der Patriot“ mehrmals gesagt bekommt.

|Die Übersetzung|

Axel Merz hat sich in der mittelalterlichen Kultur kundig gemacht, wie an zahlreichen Stellen zu bemerken ist. Zu dieser Kultur gehören nicht nur das Essen oder die feineren Vergnügungen der Edlen, sondern auch die Kriegskunst und die damit verbundenen Gerätschaften.

Übrigens: Kostprobe des hier zu findenden Humors gefällig? „Zwei brave Männer stehen abends nach der Kneipe auf einer Brücke und pissen in den Fluss. Jeder brüstet sich damit, er habe den größeren. Sagt der eine: ‚Das Wasser ist aber ganz schön kalt.‘ Meint der andere trocken: ‚Ja, und ganz schön tief.'“

Zweite Kostprobe, ein Witz aus dem „wilden Languedoc“: Was ist unten drunter haarig, steht hoch aufgerichtet in seinem Bett, besitzt eine rötliche Haut und bringt garantiert jede Nonne zum Weinen? Eine Zwiebel.

_Der Sprecher_

Tobias Meister trägt mit seiner tiefen Stimme die Geschichte mit der erforderlichen Autorität vor. Denn sonst würden die schrecklichen Szenen des Krieges, die romantischen ebenso wie die komischen Szenen nicht angemessen wirken: Das Problem mit sehr emotionalen Szenen liegt darin, dass man sie völlig ernst darstellen muss, sonst wirken sie lächerlich oder übertrieben.

Meister „meistert“ diese Schwierigkeit ohne Mühe. Unzählige Male ruft die Hauptfigur Hugo de Luc ihren Gott an, mit gutem Grund – und dann hebt sich auch Meisters Stimme um einige Intervalle. Andererseits bricht er auch nicht in Lachen aus, wenn Hugo einen Witz erzählt. Er bevormundet den Hörer nicht.

Einen weiteren Pluspunkt sammelt der Sprecher durch seine perfekte Beherrschung des Französischen. Sämtliche Namen, die in Hugos Heimat auftauchen, spricht er korrekt aus. Das gilt aber nicht immer für andere Namen: Nicaea in Kleinasien spricht man eben nicht mit a-e-a aus, sondern wie Nizäa. (Dieser Ort ging im 4. Jahrhundert in die Geschichte des Christentums ein, als die Bischöfe einige abweichende Lehren wie die der Arianer und der Gnostiker als Ketzereien verwarfen und deren Anhänger fortan verfolgen ließen.)

_Unterm Strich_

Selten habe ich ein derart temporeiches Hörbuch gehört, das mich von Anfang gepackt hat und hielt. Und dabei ist es im Grunde ein historischer Roman, sollte man meinen. In Wahrheit ist es aber eine Kombination aus Action, Kriegsdrama, Liebes-Story und ganz viel Humor, wenn auch von der derberen Sorte. In das Buch flossen zahlreiche Infos der Wissenschaft ein. Diese Quellen listet in der Buchfassung ein zwei Seiten langes Quellenverzeichnis auf. Sogar ein deutscher Autor ist darunter.

Wer also ein paar Stunden mit humorvoller und spannender „kurtzweyl“ verbringen will, der greife zu diesem historischen Thriller.

Tobias Meister ist ein kompetenter Sprecher, der sich in seinem Vortrag zurückhält, aber dennoch den Schmerz und den Schrecken der Szenen – etwa auf dem Kreuzzug – zu vermitteln versteht. Bei komischen Szenen überlässt er dem Zuhörer das Lachen. Auch seine Beherrschung des Französischen ist perfekt. Insgesamt überzeugt mich die Qualität des Hörbuchs, doch der Preis ist mit 29,90 Euro ganz schön hoch. Deshalb wird so mancher Interessent auf das Taschenbuch warten wollen.

|407 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: The Jester, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Axel Merz|

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

John Brunner – Ein irrer Orbit. SF-Roman

Die Vereinigten Staaten der Apartheid

Die US-Bevölkerung ist rassisch gespalten in die weiße Mehrheit der „Blanks“ und der farbigen „Knieblanks“ (beide Wörter sind aus dem Afrikaans der Kapprovinz abgeleitet), die in eigenen Enklaven leben müssen. Zwischen beiden Gruppen wird die Angst voreinander und der Hass füreinander geschürt von der Mafia der Waffenhändler, den Gottschalks, die daran kräftig verdienen, dass beide Gruppen ständig aufrüsten.

„Ein irrer Orbit“ (1969) bildet zusammen mit „Morgenwelt“ (1968) und „Schafe blicken auf“ (1972) jenes Trio an gewichtigen, sozial engagierten Romanen, das John Brunners Ruhm innerhalb der modernen Science Fiction begründet hat. Auch wenn dieses Buch unter diesen der formal schwächste sein mag, ragt er doch noch haushoch über die Masse der SF-Produktion hinaus.
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Interview mit Norbert Sternmut zu seinem Buch „Winterdienst“ (2020)

In einer Wohngruppe für schwer traumatisierte Kinder beginnt der Ich-Erzähler seinen Dienst als sozialpädagogischer Mitarbeiter im Winter auf einem abgelegenen Dorf. Trotz langer Erfahrung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gelangt er schnell an seine Grenzen. Jeder neue Tag wird zur absoluten Herausforderung. Doch wie die Kinder in der Gruppe kann auch er nicht einfach fliehen, scheint gefangen in einer aussichtslosen Lage.Winterdienst

Der Ich-Erzähler beginnt ein Tagebuch, schreibt seine Eindrücke nieder, doch die Sätze zerfließen, fließen ineinander, lösen sich auf, treten aus ihrer gewohnten Struktur. Die üblichen Zeichen verlieren ihre Bedeutung, verschwinden, verlieren ihren Grund und Boden. Die Form verliert sich, die Sprache passt sich dem Inhalt an.

Doch im Prozess findet eine Entwicklung statt. Die Kinder und der Ich-Erzähler nähern sich an. Am Ende der Erzählung feiern sie Weihnachten zusammen, beginnt ein neues Jahr, auf dem Dorf, im Winter.
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