Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Joe Haldeman – Der Herr der Zeit

Intelligente Wells-Parodie: Zeitreise per Zufall

Hochschulabbrecher Matt Fuller schlägt sich als einfacher Forschungsassistent am Massachusetts Institute of Technology durch. Als er sich gerade mit den Quantenbeziehungen zwischen Gravitation und Licht beschäftigt, verschwindet plötzlich sein Kalibrator – und taucht eine Sekunde später wieder auf. Und jedes Mal, wenn Matt den Reset-Knopf drückt, verschwindet die Maschine zwölfmal länger. Nachdem er mit dem Kalibrator herumexperimentiert hat, kommt Matt zu dem Schluss, dass er nun in Besitz einer Zeitmaschine ist, mit der er Dinge in die Zukunft schicken kann…

Nichts scheint dagegen zu sprechen, dass Matt selbst eine kleine Zeitreise unternimmt. Also landet er in der nahen Zukunft – wo er wegen Mordes am Besitzer des Autos verhaftet wird, welcher tot umgefallen ist, als Matt direkt vor seinen Augen verschwunden ist. Die einzige Möglichkeit, der Mordanklage zu entgehen, besteht darin, weiter in die Zukunft zu reisen, bis er einen Ort in der Zeit findet, an dem er sich in Ruhe niederlassen kann. Doch was ist, wenn solch ein Ort gar nicht existiert? (gekürzte Verlagsinfo)
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Black, Holly / DiTerlizzi, Tony – Im Bann der Elfen (Die Spiderwick-Geheimnisse 3)

In diesem Buch werden die spannenden und kuriosen Abenteuer dreier Geschwister fortgesetzt. Sie kommen aus der Stadt, müssen sich aber mit den Wundern und Gefahren des Landlebens herumschlagen. Und natürlich mit Elfen und Kobolden, nicht zu vergessen! Im vorhergehenden Band wurde einer von ihnen von grässlichen Kobolden entführt.

In diesem Band treten ein Waldelf auf sowie ein Phooka. Ein Phooka (ausgesprochen: púka) ist ein schwarzes Pferd, das der irischen Sage nach denjenigen in die Irre und den Untergang führt, der es reiten will oder ihm folgt. (Es kommt deshalb sogar in Stephen Kings [„Dreamcatcher“ 45 vor.) Na, und wie ein Waldelf aussieht, kann man sich ja (fast) denken – jedenfalls nicht wie Orlando Bloom.

_Die Autoren_

Tony DiTerlizzi ist ein mehrfach ausgezeichneter amerikanischer Illustrator von Kinder- und Jugendbüchern sowie Rollenspielbänden. Zu seinen Werken gehören Arbeiten für Bücher von Tolkien, Anne McCaffrey, Peter S. Beagle sowie für das Kartenspiel „Magic the Gathering“ und „Dungeons & Dragons“. Er lebt mit seiner Frau Angela und seinem Mops Goblin (= Kobold!) in Amherst, Massachusetts, einem recht malerischen Städtchen in Neuengland. Lebte nicht auch die Dichterin Emily Dickinson dort? Mehr Infos: http://www.diterlizzi.com.

Holly Black wuchs laut Verlag in einem „alten viktorianischen Haus auf, wo ihre Mutter dafür sorgte, dass ihr die Geister- und Elfengeschichten nie ausgingen“. Ihr erster Jugendroman „Die Zehnte“ (2002) entwirft ein „schauriges Porträt der Elfenwelt“. Es wird von der American Library Association als „Best Book for Young Adults“ bezeichnet, eine gute Empfehlung für politisch korrekte Fantasy.

Holly lebt mit ihrem Mann Theo und einem „beeindruckenden Zoo“ in New Jersey. Mehr Infos: http://www.blackholly.com.

_Die Vorgeschichte_

Die Zwillinge Simon und Jared ziehen mit ihrer älteren Schwester Mallory von New York City aufs Land, nachdem sich ihre Eltern haben scheiden lassen. Sie leben jetzt bei ihrer Mutter, die sich nun keine New Yorker Wohnung mehr leisten kann, aber zum Glück noch ein Domizil von ihrer Großtante Lucinda überlassen bekommt: Haus Spiderwick. Es sieht wie eine Ansammlung übereinander gestapelter Hütten aus, findet Jared. Und ist mindestens hundert Jahre alt.

Als Jared erkundet, wohin der Speisenaufzug führt, landet er in einem geheimnisvollen Zimmer, aus dem keine Tür hinausführt. An der Wand hängt ein Porträt seines ehrwürdigen Ahnen Arthur Spiderwick, und auf dem Sekretär liegt ein altes, vergilbtes Blatt Papier. Darauf steht ein Rätsel, und obwohl Jared eigentlich nicht der Bücherwurm der Familie ist, muss er sofort das Rätsel lösen.

Hoch oben im obersten Kämmerchen des Hauses landet er endlich vor einer großen Truhe. Er strengt seinen Grips an und findet darin ein Buch. Es ist das allerseltsamste Buch, das er jemals gesehen hat. Es handelt von Elfen: „Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum“. Das Wichtelmännchen Thimbletack, quasi der Hausgeist von Spiderwick, hat Jared ermahnt, das Buch schnellstens loszuwerden, doch der wollte nicht hören. Nun müssen alle die Folgen tragen.

_Handlung_

Wer weiß am besten über die Geheimnisse hinter dem Buch Bescheid?, fragen sich die Kinder. Thimbletack setzt ihnen mit üblen Streichen zu. Ihnen fällt nur Grotante Lucinda ein. Sie besuchen sie im Altenheim, das eher einem Herrenhaus gleicht. Als sie mit der weißhaarigen Dame allein sind, erzählt sie ihnen, wie sie die Elfen kennen gelernt hat. Die kleinen Wesen besuchen sie immer noch.

Als Jared entdeckt, dass jemand sein kostbares Handbuch vertauscht hat, fällt ihm zunächst seine Schwester Mallory ein, aber das ist unfair. Dann enthüllt ein Zettel, dass Thimbletack zugeschlagen hat. Vielleicht befindet es sich nun in Onkel Arthurs riesiger Bibliothek? Dort finden sie zwar nicht das Buch, aber immerhin die Landkarte, die vorne im vorliegenden Band abgedruckt ist.

Durch einen Trick entgehen sie dem Versuch des Irrgrases, sie in die Irre zu führen, und landen im Wald. Auf einem Ast sitzt ein seltsames Wesen, das ihnen lediglich mit rätselhaften Sprüchen antwortet: ein schwarzes, affenartiges Wesen mit Pferdegesicht und Hasenohren (4 Stück!). Sie schlagen seine Warnungen in den Wind und geraten auf eine Lichtung mitten im Wald, die offenbar magisch bewacht wird. Sie sind gefangen.

Drei Waldelfen begrüßen sie, um das Handbuch zurückzuverlangen. Unterdessen macht Mallory die Bekanntschaft mit einem kleinen Einhorn. Jared zermartert sein Hirn, wie er die Elfen reinlegen kann, um wieder in die Freiheit zu gelangen, ohne den Elfen das Buch, das er ja nicht hat, geben zu müssen. Da kommt ihm die Erleuchtung.

_Mein Eindruck_

In diesem Abenteuer lernen wir drei weitere Fabelwesen kennen: das Einhorn, das Phooka und die Herrscher des Waldes, Herrn Lorengorm und seine zwei Gefährten. Alle Begegnungen sind recht kurz und bis auf eine mit nur wenig Erkenntis belohnt. Mit dem Einhorn nämlich kann Mallory telepathischen Kontakt aufnehmen. So erfährt sie, dass die Einhörner vom Aussterben bedroht sind, weil man sie seit Jahrhunderten wegen ihres schönen gewundenen Horns gejagt hat.

Ansonsten aber dreht sich alles um den Besitz von „Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum“. Onkel Arthur war wohl an allem schuld! Was den Kindern aber neue Hoffnung gibt, ist die Information, die ihnen Großtante Lucinda verrät: Dass Arthur eines Tages verschwunden sei. Und was, wenn er in das Land der Elfen gegangen ist, wo bekanntlich die Zeit ganz anders vergeht? Dann könnte er sogar noch am Leben sein und ihnen ein paar Tipps geben, wie sie das Handbuch wiederbekommen können. Oder wenigstens, wie sie klüger damit umgehen. Denn es scheint unter den Fabelwesen ein wahrer Zankapfel zu sein. Es verrät den Menschen zu viel über sie und verleiht ihnen Macht. Und dies stellt eine Gefahr dar – wie man am halb verhungerten Greif Byron (aus Band 2) und dem Einhorn ablesen kann.

Wie man sieht, erlernen die Spiderwick-Kinder Schritt für Schritt, dass die Macht, die das Handbuch verleiht, auch Verantwortung mit sich bringt – und jede Menge Ärger mit den Fabelwesen. Das erinnert an die einfache Lehre, die wir aus Spider-Mans Abenteuern ziehen: „Mit großer Macht geht große Verantwortung einher.“ Die kleinen Leser der Spiderwick-Abenteuer können diese Lektion nicht früh genug lernen.

|Illustrationen und Übersetzung|

Diese Abenteuer erstrecken sich über mindestens sechs Bände, alle davon sehr schön illustriert und buchbinderisch wertvoll gestaltet (Fadenbindung – wo gibt’s das heute noch?). Der Illustrator Tony DiTerlizzi bedankt sich für die Inspiration dazu bei Arthur Rackham, einem der berühmtesten Zeichner für Kinderbücher aus der viktorianischen Ära. Rackham illustrierte beide Bücher über „Alice im Wunderland“ und natürlich auch „Grimms Märchen“ (sehr schön in der |Heyne|-Ausgabe).

Das klingt nach einem netten Bilderbuch, und das ist es auch. Es eignet sich wohl ab sechs bis acht Jahren – leider fehlt hier ein Hinweis vom Verlag. Mallory ist jedenfalls schon 13 und kann immer noch etwas mit dem Elfenbuch anfangen. Ältere Leser finden die Bilder vielleicht hübsch, aber die Handlung ist für sie wohl nicht so der Hit.

Schade nur, dass die schön illustrierten Abenteuer jeweils nur 128 Seiten lang sind. Davon entfallen rund 20 Seiten auf Vor- und Abspann, und vom Rest wiederum etwa die Hälfte auf Illustrationen. Kein Wunder also, dass ein Erwachsener solch ein Buch binnen einer Stunde gelesen hat. Die Sprache ist einfach genug, und die Übersetzerin Anne Brauner hat das Original angemessen übertragen.

_Unterm Strich_

Für Leseratten zwischen sechs und acht Jahren sind die Abenteuer der Spiderwick-Kinder optimal geeignet, um mit Fabelwesen wie Elfen (in allen Größen), Greifen, Phookas, Kobolden und anderen Bekanntschaft zu machen.

Doch das Buch ist keine trockene Enzyklopädie der Fabelwelt, sondern erzählt eine humorvoll gestaltete Geschichte um den Besitz des „Handbuchs für die fantastische Welt um dich herum“. Dabei fehlt es auch an Spannung nicht, denn wieder einmal geraten die Kinder in eine ausweglos scheinende Lage.

Dieser Band ist, wie alle Bücher der Reihe, sehr schön gestaltet, so dass er sich auch als Geschenk zum Geburtstag gut eignet. Die Schrift ist augenfreundlich gesetzt: nicht schwarz, sondern dunkelbraun und so groß, dass man sich bestimmt nicht die Augen verdirbt, selbst wenn man schon Oma ist und aus dem Buch vorliest.

|Hinweis:|

Im nächsten Band machen die Kinder nähere Bekanntschaft mit dem König der Zwerge. Wir sind bereits gespannt.

|Originaltitel: The Spiderwick Chronicles 3: Lucinda’s Secret, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Anne Brauner|
Englische Webseite der Serie: http://www.spiderwick.com

http://www.spiderwick.de

Harry Harrison – Soylent Green / New York 1999. SF-Thriller

Zukunftskrimi und Ökothriller

1999 ist die Bevölkerung des Planeten explodiert. Die 35 Millionen Einwohner von New York City bringen ihre Fernseher mit Pedalkraft zum Laufen, randalieren wegen Wasserknappheit, rauben Linsen-Steaks und werden mit Stacheldraht, der vom Himmel fällt, in Schach gehalten.

Als ein Gangster während einer glühenden Hitzewelle in Manhattan ermordet wird, setzt man den Polizisten Andy Rusch unter Druck, das Verbrechen aufzuklären, der wiederum ist aber auch von der wunderschönen Freundin des Opfers fasziniert. Doch in den verrückten Straßen von New York City, vollgestopft mit Leuten, und in einer Welt, die den Bach hinuntergeht, ist es schwer, einen Killer zu fassen, geschweige denn das Mädchen zu bekommen. (Verlagsinfo)

Dieser preisgekrönte Roman war die Vorlage für den Öko-Zukunftsthriller „Soylent Green“, (deutscher Titel: „…Jahr 2022…die überleben wollen…“), in dem Charlton Heston die Hauptrolle des Detectives spielte.
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Hearn, Lian – Schwert in der Stille, Das (Der Clan der Otori 1)

Ende des 15. Jahrhunderts: Eines Morgens wird Takeos Dorf überfallen, und er überlebt als einziger. Lord Shigeru vom Clan der Otori rettet ihn und nimmt ihn in seine Familie auf. Von ihm, einem Helden wie aus versunkenen Zeiten, lernt Takeo die Bräuche des Clans. Er lehrt ihn Schwertkampf und Etikette. Die Liebe zu Kaede entdeckt Takeo allein.

Als er herausfindet, dass er dunkle Kräfte besitzt – die Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein und sich unsichtbar zu machen, und dass er so gut „hören kann wie ein Hund“ – gerät er immer tiefer in die Verwirrungen der Lügen und Geheimnisse, aus denen die Welt der Clan-Auseinandersetzungen besteht. Trotz seines Widerwillens ist es ihm bestimmt zu rächen. Takeo verbindet sein Schicksal mit dem der Otori.

_Die Autorin_

Lian Hearn, die eigentlich Gillian Rubinstein heißt und vor etwa 60 Jahren geboren wurde, lebte als Journalistin in London, bevor sie sich 1973 mit ihrer Familie in Australien niederließ. Ihr Leben lang interessierte sie sich für Japan, lernte dessen Sprache und bereiste das Land.

„Das Schwert in der Stille“ ist der erste Band der Trilogie „Der Clan der Otori“. Der zweite Band „Der Pfad im Schnee“ ist im Herbst 2004 im |Carlsen|-Verlag erschienen und wird im Februar 2005 bei |Hörbuch Hamburg| veröffentlicht werden. Der dritte Band „Der Glanz des Mondes“ ist bereits in England und den USA erschienen und wird bei |Carlsen| im Mai 2005 veröffentlicht.

„Das Schwert in der Stille“, der mittlerweile in 26 Sprachen übersetzt wurde, ist für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert. Gillian Rubinstein wurde in Göteborg mit dem „Peter Pan Award“ geehrt, denn die Trilogie „Der Clan der Otori“ ist beileibe nicht ihr erstes Werk, sondern sie hat bereits zahlreiche Kinder- und Jugendbücher verfasst. Mehr Infos unter http://www.otori.de.

_Die Sprecher_

Marlen Diekhoff, vielseitige Bühnen- und Filmschauspielerin, gehört nach Verlagsangaben seit rund 20 Jahren zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Für |Hörbuch Hamburg| hat sie bereits Texte von A. Baricco, Amélie Nothomb, Colette, Sándor Márai und „Tausendundeine Nacht“ gelesen.

August Diehl ist einer der angesehensten deutschen Schauspieler der jüngeren Generation. Er wurde für den Film „23“ mit dem Deutschen Filmpreis und dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Seitdem war er in „Kalt ist der Abendhauch“, „Tattoo“, „Was nützt die Liebe in Gedanken“ (neben Daniel Brühl) und in Schlöndorffs „Die neunte Stunde“ zu sehen.

Regie führte bei diesem Hörbuch Gabriele Kreis. Das Titelbild zeigt die Schwert-Abbildung der Buchausgabe.

_Handlung_

|Takeo und Shigeru|

Im abgelegenenen Bergdorf Mino wächst der Junge auf, der später den Namen Takeo erhält. Vorerst ist er Tomasu, 15 Jahre alt und soll bald heiraten. Sein Dorf ist deshalb so abgelegen, weil sich seine Bewohner verstecken. Sie sind die „Verborgenen“, die nicht an die Herrschaft der Clan-Lords glauben, sondern an den obersten und einzigen Gott, der über alle herrscht, so dass vor ihm alle gleich sind. Deshalb haben sie unter einigen Clans Feinde, vor denen sie sich verbergen, besonders vor den Tohan.

Als er eines Tages dem „Ruf des Berges“ folgt und im Wald Pilze sammelt, findet er bei seiner Rückkehr von seinem Zuhause und seinem Dorf nur noch rauchende Trümmer vor. Sein Stiefvater liegt tot auf der Straße, seine Eltern und Schwestern sind verschwunden. Es beginnt zu regnen. Aus dem Tempelschrein dringen Schreie.

Es ist Tomasu, als betrete er die Traumwelt. Er sieht die Überreste des Oberhaupts der Verborgenen Isao in Stücke zerrissen. Die Täter sind Gefolgsleute des Tohan-Clans aus Inuyama, der befestigten Hauptstadt des Gebietes. Hufgetrappel nähert sich. Da hat Tomasu eine weitere besondere Erfahrung: Er sieht voraus, wer da kommt. Es ist Iida Sadamu, der Oberlord der Tohan.

Erst jetzt wird Tomasus Anwesenheit entdeckt. Tomasu beleidigt Iida tödlich, als er dessen Pferd angreift und ihn so zu Fall bringt. Er flüchtet, verfolgt von drei Soldaten, in den nahen Wald. Auf halber Höhe springt ein Mann hinter einem Baum hervor, packt Tomasu und stellt ihn hinter sich in Sicherheit. Er übergibt den Jungen den Verfolgern keineswegs, sondern schlägt einem von ihnen den Kopf ab, einem anderen den Arm. Dieser Akt wird üble Folgen haben. Der dritte Verfolger gibt Fersengeld.

Der Kämpfer stellt sich als Otori Shigeru vor (Familien- immer vor Vornamen!). Sein Clan sind die Otori, die in Hagi am Meer, auf der anderen Seite des Gebirges, residieren. Lord Shigeru selbst hat vor kurzem von Lord Iida eine schwere Niederlage einstecken müssen. In der Schlacht von Yaegahara fiel – neben zehntausend anderen – auch Shigerus geliebter Bruder Takeshi. Seitdem haben die Otori schwere Gebietsverluste erlitten. Man braucht kein Wahrsager zu sein, um sich auszurechnen, dass Iida auch den Rest des Otori-Landes unterwerfen will.

Shigeru und der Junge, der sich von nun an Takeo nennen soll, um nicht als Verborgener erkennbar zu sein, eilen durchs Gebirge. Iidas Männer sind ihnen bestimmt auf den Fersen. Takeo hat sowohl Ehrfurcht als auch Respekt vor Lord Shigeru, besonders aber vor dessen Schwert Jato.

Immer wieder bemerkt Takeo, dass er viel schärfer hören kann als Shigeru. Und so belauscht er eines Nachts in einer Herberge Shigerus Stelldichein mit einer edlen Dame. Es ist Lady Maruyama, die etwas wirklich Besonderes ist. Nicht nur, dass ihr psychologischer Scharfblick, was Menschen angeht, geradezu an Zauberei grenzt. Auch ihr Haus ist das einzige, dessen Erbfolge in weiblicher Linie erfolgt. Sie spielt in Shigerus Racheplänen gegen Fürst Iida eine zentrale Rolle, und so verlobt er sich mit ihr: nicht nur im Wort, sondern im Fleisch.

|Hagi|

Hagi ist die erste größere Stadt, die Takeo in seinem Leben zu Gesicht bekommt. Der Fischerhafen wird beherrscht vom Schloss der Otori. Doch nicht Shigeru, wiewohl der rechtmäßige Erbe, wohnt dort, sondern seine zwei Onkel, die ihre eigenen Pläne mit ihm haben. Shigeru wohnt in einem wunderschönen Holzhaus inmitten eines großen Gartens am Fluss. Sofort nimmt man im Haushalt Takeos Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Takeshi wahr. Doch Shigerus Plan, Takeo zu adoptieren, wird von Ichiro, seinem Berater und Haushofmeister, abgelehnt. Zuerst müsse der Bengel vom Lande, der weder schreiben noch lesen kann, ausgebildet werden. Shigeru willigt gerne ein.

In einer Nacht nimmt Takeos außergewöhnlich scharfes Gehör eine Bewegung wahr, wo keine sein sollte. Es handelt sich um einen Attentäter, der es entweder auf Shigeru oder Takeo abgesehen hat. Der Angriff wird abgewehrt, doch bevor es Shigeru gelingt, den Mann zu fragen, wer ihn geschickt habe, nimmt dieser sich mit einer Giftkapsel das Leben. Takeo lebt gefährlich, doch er findet einen Freund in der Stadt.

|Kikuta|

Sein außergewöhnliches Verhalten erweckt das Interesse eines Freundes von Shigeru: Muto Kenji. Dieser eröffnet Takeo, dass er „vom Stamm“ sei – genau wie der Attentäter. Der Stamm sei einmal ein Volk gewesen, das es bereits vor den Clans gab und das Magie beherrschte. Die Stammesangehörigen verbargen sich vor den Clansleuten und wurden Gaukler oder, wie Kenji, Kaufleute. Auch Takeo ist offenbar ein Angehöriger des Stammes und zwar aus der Familie Kikuta. Wie Kenji kann er sich unsichtbar machen und an zwei Orten zugleich erscheinen, zugleich außergewöhnlich scharf hören und sehen.

Takeo gerät in einen Konflikt, der sein ganzes späteres Leben bestimmen wird: Er besitzt die von Kenji ausgebildeten Fähigkeiten eines Attentäters und Spions, doch sein christlicher Glaube gebietet ihm Mitleid, wo er es gefahrlos geben kann. Während Kenji ihn ob seiner Weichheit verachtet, steigt Takeo deshalb in Shigerus Achtung. Nun will er Takeo erst recht adoptieren. Doch die Onkel stellen dafür eine fiese Bedingung …

|Lady Kaede|

Das komplizierte Clan-System sieht vor, Geiseln auszutauschen, um Loyalität sicherzustellen. Die 15-jährige Kaede ist eine solche Geisel. Obwohl sie dem Clan Shiràkawa angehört, muss sie bei Lord Noguchi leben, einem Gefolgsmann Fürst Iidas. Zu ihrer Schmach muss sie zunächst beim einfachen Gesinde leben und wird ständig von den Wachleuten angemacht, jedes Jahr heftiger, je fraulicher ihre Erscheinung wirkt.

Eines Tages geht ein Wachmann zu weit, doch sie hat – zufällig? – ein Messer dabei, das eigentlich Hauptmann Arai gehört. Arai ist der einzige Mann weit und breit, der sie mit Respekt behandelt. Vielleicht hat er eigene Pläne mit ihr. Sie stößt dem zudringlichen Wachmann das Messer in den Hals, Arai kommt hinzu und tötet ihn, bevor er Kaede etwas antun kann.

Der Vorfall wird als Unfall vertuscht und die beiden Beteiligten decken einander. Doch nun hat Kaede ein schlechtes Image. Das ist überhaupt nicht gut, findet Lord Noguchi, der sie endlich in einem anständigen Zimmer unterbringen lässt. Nicht gut, weil Kaede bald heiraten soll. Doch wer würde eine Frau nehmen, die sich ihrer Haut zu wehren weiß? Und als der einzige Anwärter, der bereit wäre, sie zu heiraten, nach einem Zechgelage tot umfällt, gilt Kaede als von den Göttern verflucht. Wehe dem Mann, der ihr zu nahe kommt!

Dies passt allerdings ganz hervorragend in die Pläne von Fürst Iida und den beiden Otori-Onkeln Shigerus. Wenn sie ihre Zustimmung zu Takeos Adoption – mit entsprechendem Erbrecht – geben sollen, muss Shigeru Kaede heiraten. Doch wie sich zeigt, hat auch Lady Maruyama, Shigerus verbündete Verlobte, weit reichende Pläne.

Während also Kaede mit der Lady sowie Shigeru mit Takeo auf getrennten Wegen zu Lord Iidas wehrhaftem Hauptquartier Inuyama reisen, soll sich dort ihrer aller Schicksal erfüllen.

_Mein Eindruck_

„Das Schwert in der Stille“ bietet Gelegenheit, sich in der geheimnisvollen Welt der japanischen Clans zu verlieren. Doch die Zeit ist nicht die des Captain Blackthorn aus James Clavells Roman „Shogun“. Das 15. Jahrhundert liegt vor der Epoche des Shogunats, in der der Engländer Blackthorn gegen die Portugiesen auftritt (16./17. Jahrhundert). Entsprechend unsicher sind die Machtverhältnisse, die Clans bekämpfen einander. Und es sieht so aus, als würde Fürst Iida die Oberhand gewinnen.

Wenn es Takeo und Kaede nicht gäbe. Erzogen und ausgebildet von ihren Mentoren, dem Liebespaar Shigeru und Maruyama, spielen sie die Rolle des Züngleins an der Waage, ohne es zu ahnen. Doch eben weil das Gleichgewicht der Macht unter Iida so labil ist, kann jede kleine Aktion weit reichende Konsequenzen nach sich ziehen.

So erlöst Takeo beispielsweise eines Nachts vier „Verborgene“ von ihren Todesqualen. Als er im Vorüberhuschen von einem Bürger Yamagatas erspäht wird, hält ihn dieser für den Todesengel. Das nachfolgende Gerücht von Geistern und Engeln bringt die Stadt binnen kürzester Zeit an die Grenze des Aufruhrs, der von Iidas Truppen brutal niedergeschlagen werden muss. Dies ruft wiederum den „Stamm“ auf den Plan, der sich Takeo, den Unruhestifter, greift. Denn der „Stamm“ ist auf Stabilität angewiesen.

|Finale|

Der spannende Höhepunkt der Geschichte ist die schon lange von Takeo und Shigeru geplante Eroberung von Fürst Iidas Festung. Dass diese Festung ihre Tücken hat (vgl. den O-Titel), erhöht den Kitzel der Gefahr nur noch. Da erweist es sich als hilfreich, dass Takeo auf die Unterstützung von Angehörigen des „Stammes“ zählen kann. Und zu seinem Erstaunen spielt auch Lady Kaede, in die er sich auf den ersten Blick verliebt hat, eine entscheidende Rolle. Ihr Aufeinandertreffen in dieser Nacht der Entscheidung bleibt nicht ohne Folgen und bestimmt Kaedes Existenz in den Folgebänden.

|Außen und innen|

Der besondere Reiz der Erzählung liegt aber in der Beschreibung der Menschen und ihres Verhaltens. Hier erweist sich die Autorin als besonders einfühlsam und ausdrucksstark. Das Verhalten der meisten Hauptfiguren, insbesondere von Takeo und Kaede, ist stets verständlich, denn es wird sohl in seinen Motiven als auch in den Bedingungen seines Umfeldes geschildert. Wir können die Hauptfiguren praktisch von außen wie auch von innen sehen. Das verleiht der Geschichte – ebenso wie die zahlreichen Naturbeschreibungen – eine anrührende Dimension, die mich besonders bezaubert hat. Vor allem natürlich auch, weil mich Japan und seine alte Kultur seit jeher fasziniert haben.

|Die Sprecher|

August Diehl spricht den Ich-Erzähler Otori Takeo. Takeo erscheint als kräftiger, selbstsicherer junger Mann, der schon früh größtes Leid erfahren und bewältigen muss. Doch Grübelei und Melancholie sind seine Sache nicht. Ironie und Zynismus sind ebenso Takeo fremd, doch aufrichtigen Humor bekommen wir von ihm fast nie zu hören. Dafür ist unüberhörbar, wie sehr er seinen Mentor Shigeru achtet und liebt, so dass er sein eigenes Leben in die Waagschale wirft, um Shigerus zu retten.

Marlen Diekhoff spricht Lady Kaede in der dritten Person. Dieser Wechsel der Erzählperspektive ist leicht zu bewältigen und sorgt für Abwechslung. Diekhoff verfügt über eine sanfte, honigweiche Stimme, die ich ein wenig zu leise finde. Die größte Schwäche ist jedoch eine hörbare Brüchigkeit im Ausdruck, die wohl auf ihr Alter zurückzuführen ist. Als Folge erscheint uns Kaede als ein zerbrechliches Ding ohne eigenen Willen.

Nichts könnte falscher sein. Sie ist zwar die meiste Zeit eine Schachfigur im großen Spiel der Fürsten, doch unter der Obhut ihrer Stammes-Zofe Shizuka lernt sie schnell, sich zu verstellen und Gefahr abzuwenden. Und Gefahren gibt es in einem japanischen Frauenleben offenbar reichlich. Unter Shizukas Anleitung erlernt sie das Führen von Messer, Schwert und anderer Ding, die sich als Waffe einsetzen lassen. Was sich im richtigen Augenblick als sehr notwendig erweist. Diekhoffs Vortrag führt den Hörer in die Irre.

|Aussprache und Schreibweise|

Beide Sprecher bewältigen die sprachlichen Schwierigkeiten, die das Japanische bietet, mit großer Bravour. Sie haben sich offenbar kundig gemacht. Ganz besonders August Diehl muss mit vielen Namen zurechtkommen, die stets ein wenig von der Schreibweise abweichen. Ein paar Beispiele:

Otori: Die Betonung liegt im Japanischen eine Silbe VOR derjenigen, die im Indogermanischen betont wird. Hier würde man Otori auf der zweiten Silbe betonen. Doch im Japanischen liegt die Betonung auf der ersten: Es klingt wie [ottori]. Analog dazu wird Shirakawa auf der zweiten statt der dritten Silbe betont: [shirà kawa]. Analog dazu die Städtenamen Inúyama, Yamágata und Teráyama. Der name der Lady Kaede wird in zwei Silben ausgesprochen, denn [ae] ist ein Doppellaut und klingt wie [ei], nicht wie [ä].

Obwohl das Personal recht umfangreich ist, enthalten weder Buch noch Hörbuch eine Liste der dramatis personae. Lediglich im Buch (und auf der Webseite) kann sich der Interessierte anhand einer Landkarte orientieren, wie die Ortsnamen und die Namen der Clan-Domänen geschrieben werden. Meine Schreibweise ist der im Buch angeglichen.

_Unterm Strich_

Die gesamte Trilogie „Der Clan der Otori“ richtet sich an Jugendliche um 15 Jahre. Sowohl Lady Kaede als auch Otori Takeo sind in diesem Alter, als das erste Buch „Das Schwert in der Stille“ schließt. Beide wachsen in einer Erwachsenenwelt auf, die ebenso von Geheimnissen wie von Gefahren erfüllt ist. Und die Gefahr gilt immer dem Leben.

Gleichzeitig ist diese Initiation in die Welt eine Erkundung der eigenen Fähigkeiten, Gefühle und Gedanken. Da Takeo über nahezu magische Fähigkeiten verfügt, ist dieser lange Prozess umso faszinierender. Doch auch die grazile Kaede weiß eine Klinge tödlich zu führen, wenn’s drauf ankommt. Das Finale stellt alle Erwartungen an Action und Drama mehr als zufrieden. Der Epilog deutet jedoch an, dass sowohl Takeo als auch der gesamte „Stamm“ und obendrein Kaede in Gefahr sind.

Das Hörbuch halte ich nicht für hundertprozentig gelungen. Während August Diehls Passagen mich beeindrucken konnten, ertappte ich mich bei Marlen Diekhoffs Passagen dabei, leicht genervt zu sein. Mein Verdacht, dass ihre Darstellung Kaedes nicht mit der im Buch übereinstimmt, bestätigte sich bei der Lektüre der Fortsetzung „Der Pfad im Schnee“. Kaede ist eine ungewöhnlich intelligente junge Frau, die sich durchaus ihrer Haut zu wehren weiß.

_VORSICHT SPOILER_
Und seit ihrer Liebesbegegnung mit Takeo hat sie einen besonders guten Grund dafür: Sie ist schwanger. Ihr Kind wäre der Erbe der Domänen Otori, Maruyama und Shirakawa – eine eindrucksvolle Kombination geballter Macht. Falls die Mutter überlebt.
_ENDE SPOILER_

Mit gespannter Erwartung freue ich mich auf die Fortsetzung des Hörbuchs. Sie kommt am 21. Februar 2005 auf den Markt.

|Originaltitel: The Otori Clan vol. 1: Across the Nightingale Floor, 2002
Aus dem Englischen von Irmela Brender
510 Minuten auf 7 CDs|

Kennedy, Douglas – Um jeden Preis

_Liebe und Kabale im Filmgeschäft_

Drehbuchautor David Armitage lebt schon jahrelang am Existenzminimum, da bekommt er den Anruf, der seinen Aufstieg zum Zenit des Erfolgs einleitet. Doch Neider warten schon, und so ist der umso steilere Absturz nur eine Frage der Zeit.

|Der Autor|

Douglas Kennedy, 1955 geboren, lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in London. Er schreibt Hörspiele und Reisebücher, doch erst seine drei Romane „Nachtblende“, „Der Job“ und „Die Entscheidung“ brachten ihm Bestsellerruhm.

_Handlung_

Zehn Jahre lang hat sich David Armitage als erfolgloser Drehbuchautor abgerackert und mit diversen Jobs über Wasser gehalten, wobei ihm seine Frau Lucy stets treu zur Seite stand. Er liebt seine Tochter über alles und möchte ihr unbedingt eine schöne Zukunft sichern.

Er ist bereits Ende vierzig, da bekommt er endlich den Anruf, auf den er sein Leben lang gewartet hat: Seine Agentin teilt ihm mit, dass der Sender FRT sein Drehbuch für „Auf dem Markt“ gekauft habe und eine Serie daraus stricken wolle. Plötzlicher Reichtum liegt zum Greifen nahe – er hat aber auch ein Preisschild.

David muss die Serie zusammen mit einer attraktiven Mitarbeiterin des Senders entwickeln. Natürlich verliebt er sich Hals über Kopf in Sally und steigt mit ihr ins Bett. Das Verbergen der Affäre vor seiner langjährigen Angetrauten quält ihn, aber eines Tages kommt die Wahrheit ans Licht, und Lucy wirft ihn hinaus. Anstatt sich aus dem nächstbesten Fenster zu stürzen, stürzt sich David erst recht in die Arbeit an der TV-Serie „Auf dem Markt“, die in höchsten Tönen gepriesen wird, Zuschauerrekorde bricht und mit zwei Emmys ausgezeichnet wird. David ist auf dem Zenit seiner Laufbahn angelangt. Von hier an geht es steil abwärts.

Doch zunächst folgt ein für David recht merkwürdig anmutendes Intermezzo. Ein bekannter Milliardär namens Philip Fleck lädt ihn auf seine karibische Privatinsel ein, um über die Verfilmung eines von Davids Drehbüchern zu sprechen. Dummerweise taucht der Mann überhaupt nicht auf, vielmehr macht David die entzückende Bekanntschaft von Flecks Gattin Martha. Wenigstens kommt es nicht zu erotischen Verwicklungen, aber man hat die beiden beobachtet. Kurz bevor David gezwungen ist, nach L.A. zurückzufliegen, kann er kurz mit Fleck reden. Irgendwie scheint das Ganze ein gigantisches Missverständnis zu sein.

David klingen die Ohren, als wenige Tage später ein Klatschreporter der Hollywood-Presse seinen Namen in den Schmutz zieht und ihn des Plagiats zeiht. Beim ersten Mal kann David die Studiobosse noch hinter sich bringen, doch beim zweiten Mal steht er auf verlorenem Posten und stürzt ab: Verträge weg, Geliebte (Sally) weg, Familie weg – vielleicht sollte er doch noch aus dem Fenster springen.

Da taucht eines Tages in dem Nest, in das er sich verkrochen hat, Martha Fleck auf wie eine Erscheinung von einem anderen Stern. Sie erweist sich als Davids letzte Rettung. Denn natürlich war Davids Absturz kein Zufall.

_Mein Eindruck_

Ich weiß ja nicht, was der |Lübbe|-Verlag unter einem „spannungsgeladenen Thriller“ versteht, aber „Um jeden Preis“ ist keiner. Die einzigen Leichen, die sich hier häufen, sind die des verlorenen Ruhmes. Das Buch ist vielmehr eine rasant ablaufende Kolportagestory, die Johannes Mario Simmel gerade noch das Wasser reichen kann.

Mag ja sein, dass sich das Buch leicht begreifen lassen muss, um die angepeilte Zielgruppe zu erreichen, aber die Handlung und die daraus zu lernende Lektion über das „Leben im Filmgeschäft“ bringen nichts Neues, sondern wiederholen lediglich den Plot von Kennedys erstem Roman „Nachtblende“ (der durchaus spannend ist).

Zum anderen ist der moralische Zeigefinger ziemlich hoch erhoben: „Hochmut kommt vor dem Fall“. Das gilt nicht nur für David, sondern auch für seinen Widersacher Fleck (warum nur muss der einen solchen deutschen Namen tragen?). Das dürfte David aber auch kein Trost sein. Er weiß, der Mensch ist verführbar, Glück zerbrechlich und Liebe nur ein Four-letter-word. Wenigstens tritt am Schluss kein Moralapostel auf – die Erkenntnis und die Buße bringt David ganz von alleine fertig.

|Ein Abgesang auf die goldenen Neunziger|

In einem gewissen Sinne ist „Um jeden Preis“ ein Abgesang auf die goldenen Neunziger, wie man die Clinton-Ära zwischen den beiden Bushes („sex between the Bushes“) inzwischen nennen könnte. Die New-Economy-Seifenblase blähte sich auf und platzte 2000/2001 unter solchem Donnergetöse, dass die Börse fast zusammenbrach. Inzwischen konzentriert man sich wie David Armitage wieder auf das Notwendigste: die so genannte „Kernkompetenz“. Und im 21. Jahrhundert achtet man auf die Familienwerte, ebenfalls wie David. Fleck, der Milliardär, ist der anmaßende Intrigant, der das Filmgeschäft an sich reißen will, ein später Howard Hughes (dessen Leben unter dem Titel „The Aviator“ mit Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale und weiteren Größen verfilmt wurde).

Dieser ganze Wandel wird von Kennedy noch etwas lebensphilosophisch verbrämt, indem sich David und Martha Gedichte der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson zuschicken – sozusagen kodierte Kurzbotschaften über die jeweilige Stimmung im Lande. So wunderschön Tante Emilys Gedichte auch sein mögen, ich finde ihre Verwendung in diesem Roman aufgesetzt und deplatziert.

_Unterm Strich_

Wer einen anspruchsvollen Thriller wie etwa von Ken Follett, Jeffery Deaver oder Minette Walters erwartet, sollte erst einmal alle Erwartungen nach unten schrauben und dann erst in den Roman einsteigen. Nachdem ich diese anfängliche Enttäuschung erst einmal verarbeitet hatte, konnte ich mich mit Vergnügen dem Rest des Buches widmen. Es hat durchaus ein paar witzige und nette Stellen, aber man merkt doch deutlich, dass sich der Autor in seinen Ansprüchen an den Leser zurückgehalten hat.

|Originaltitel: Losing it, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Gerlinde Schermer-Rauwolf, Barbara Steckhan, Thomas Wollermann|

Meirose, Astrid / Pruß, Volker / Bertling, Simon / Hagitte, Christian / Sieper, Marc / Ihrens, O. – Schattenreich 10: Prolog im Himmel

_Das Erbe des Echnaton_

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt – er war fünf Jahre im Ausland – wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Als ihn eine unsichtbare Macht ins Schattenreich entführt, enthüllen sich ihm die Nachtseiten der menschlichen Natur. Hinter den Masken bürgerlicher Wohlanständigkeit treibt ein skrupelloses Netzwerk ein größenwahnsinniges Spiel.

Was geschah vor fast 100 Jahren, das zwei befreundete Familien zu Feinden werden ließ? Des Rätsels Lösung scheint in den Tiefen der Villa Scholl zu ruhen. Wagner bemerkt zu spät, dass er selbst der Hüter des Geheimnisses ist. Er gerät unter den Einfluss einer Geheimgesellschaft. Deren Mitglieder sind Anhänger eines genialen Herrscherpaares, dessen Wirken die Kultur fast für immer aus dem Gedächtnis gelöscht hätte. Nun scheint ihre Zeit des Handelns gekommen zu sein. Doch wohin wird ihr Weg sie führen?

Folge 9: Abermals kehrt Christian Wagner auf die Insel seiner Kindheit und Jugend zurück. Hier hofft er die Wurzeln seiner ungeklärten Herkunft zu ergründen. Wird ihm der Weg in die eigene Vergangenheit zum Verhängnis werden? Als eine Sturmflut aufkommt, offenbart ihm die Insel noch ein anderes Geheimnis.

Folge 10: Er ist fest entschlossen, den wahnwitzigen Vorhaben seiner Widersacher ein Ende zu bereiten. Doch wer sind seine Feinde wirklich? Und wie ist es zu erklären, dass er plötzlich mit eigenen Augen eine Szene miterlebt, die sich viele Jahre vor seiner Geburt abspielte und deren Akteure schon lange tot sein müssen?

_Die Autoren_

Als Autoren zeichnen Astrid Meirose und Volker Pruß verantwortlich. Mehr über die Serie findet man unter http://www.schattenreich.net.

Folge 1: [Die Nephilim 2912
Folge 2: [Finstere Fluten 2914
Folge 3: [Spur in die Tiefe 3767
Folge 4: [Nachthauch 3790
Folge 5: [Im Grab des Ketzers 4437
Folge 6: [Echnatons Vermächtnis 4466
Folge 7: [Hinter schwarzen Spiegeln 5047
Folge 8: [Das blinde Auge des Horus 5186
Folge 9: [Totengeläut 5503
Folge 10: Prolog im Himmel

_Die Sprecher & Die Inszenierung_

Die Rollen und ihre Sprecher:

Christian Wagner: Alexander Scheer
Tina Müller: Anna Thalbach
Alexa Voss: Anne Moll
Dr. Bruno Schwab: Volker Brandt (dt. Stimme von Michael Douglas)
Adrian Bloch: Norman Matt (Cillian Murphy, Jonathan Rhys-Meyers)
Jan-Erik Walberg: Lutz Riedel (dt. Stimme von Timothy Dalton)
Walther Zürn: Stefan Krause (Billy ‚Peregrin/Pippin‘ Boyd, Pauly Shore, Philip Seymour Hoffman in „Capote“)
Geheimnisvolle Frau/Billie Scholl: Daniela Hoffmann (dt. Stimme von Julia Roberts)
Gruftie / Gerold Gruber: Dero (|Oomph!|)

sowie Natalie Spinell und Hasso Zorn u. a.

ANNA THALBACH steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera, dabei war der Weg zur Schauspielerei nicht so gerade, wie man es bei der Tochter von Katharina Thalbach annehmen könnte. Sie beginnt nach dem Abschluss der Mittleren Reife zunächst eine Hospitanz als Kostümbildnerin am Schillertheater. Doch der Hang zum Schauspiel überwiegt, und bald schon feierte sie selbst große Bühnenerfolge, so auch an der Seite ihrer Mutter in „Mutter Courage“.

DERO wurde am 16. April 1970 in Wolfsburg geboren. In der Band Oomph!, die 1989 gegründet wurde, ist er der Mann für den Gesang, die Texte, Drums, und Kompositionen. Der Weg zur Musik sah laut eigener Aussage für Dero so aus: „Auf diversen Familienfeiern in den 70ern wurde ich ‚gezwungen‘, mit meinem Vater (Gitarrist, Sänger) alle nur erdenklichen Elvis-Songs in grauenhaftem Englisch rauf und runter zu schmettern.“

Die Musik:

|Secret Discovery|: „Follow Me“
|b.o.s.c.h|: „Mehr“
|Nik Page|: „Herzschlag“
|Lola Angst|: „Am I dead?“
|Suicide Commando|: „Second Death“
|Diva Destruction|: „Rewriting History“
Berliner Filmorchester und Kammerchor

Regisseur Simon Bertling und Tonmeister Christian Hagitte von |STIL| sorgten für die gute Produktion, die Musik und die Sounds; ihnen half Cornelia Schilling. Die Produzenten sind Marc Sieper von |Lübbe Audio| sowie Oliver Ihrens von |Radar Media|, Bochum. Das interessante Booklet-Design stammt von Kai Hoffmann.

_Vorgeschichte_

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt – er war fünf Jahre im Ausland – wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Christian ist einer von neun Spezialschülern, den „Titanen“. So nannten sich vor 15 Jahren die Mitglieder einer Gruppe von jungen Hochbegabten, die von der Scholl-Stiftung gefördert und von ihrem Lehrmeister Dr. Volker Brandt ausgebildet wurden. Die Titanen, so Bruno, waren in der antiken Sage die Kinder von Göttern und Menschenfrauen. Die Nephilim hingegen waren die Kinder von Dämonen, die sich mit Menschenfrauen paarten: negative Titanen. Treibt hier jemand ein fieses Spiel mit den letzten Titanen?

Auf der rechten Ferse jeder Leiche findet er das gleiche Tattoo, das er selbst auch trägt: das ägyptische Ankh-Symbol, ein Henkelkreuz, das „Leben“ bedeutet. Es ist kombiniert mit dem „Auge des Horus“, das, wenn geöffnet, einen Schutzzauber darstellt. Ist dieses Horus-Augen-Tattoo jedoch pupillenlos, also blind, dann handelt es sich um einen Nephilim, ein früheres, aber abtrünnig gewordenes Mitglied der „Titanen“.

Da Christian ein Waisenkind ist, das von der Industriellenfamilie Scholl aufgezogen wurde, bildet Brandt seinen Vaterersatz. Bei den Scholls lernte er Sibylle Scholl als seine Schwester kennen und machte sie zu seiner ersten Geliebten. Adrian Bloch, den er nun in seiner Heimatstadt wiedertrifft, war ebenfalls einer der „Titanen“. Die Familie Bloch ist mit den Scholls seit jeher befreundet. (Wirklich? Neueste Folgen belegen eher das Gegenteil.)

Seit seiner Rückkehr sind bereits zwei der „Titanen“ umgekommen. Beide Leichen weisen eine Tätowierung an der rechten Ferse auf: das blinde Auge des ägyptischen Sonnengottes Horus, das Zeichen der Nephilim, eines Geheimordens. In den Rollenspielen der „Titanen“ war Christian stets der Gott Osiris, Sibylle die Göttin Isis und Adrian der eifersüchtige Gott Seth, der Osiris tötete. Doch wer war Horus, der Sohn des Osiris? Adrian treibt sich immer noch in der Stadt herum, als neuer Besitzer der Villa Scholl, dem Sitz der Titanen.

Dieser ägyptisch-mythologische Hintergrund könnte etwas mit dem Schicksal des Ägyptologen Prof. Jan Erik Walberg zu tun haben, der Christian anrief und treffen wollte, aber unauffindbar ist: Wurde er entführt? Als Christian mit der Journalistin Tina Müller zu Walbergs Labor fährt, findet er dort zwar eine Botschaft, wird jedoch auch mit dem Tod bedroht: durch eine Flutwelle aus dem nahen Stausee. Hat ihn jemand im Visier? Christian fühlt sich zunehmend verfolgt.

_Handlung_

|1. Akt|

Christian sitzt in einem Theatersaal, sechs bis sieben Wochen nach den Ereignissen auf der Insel und dem Leuchtturm. Seitdem weiß er, dass Dr. Bruno Schwab und Sylvia Scholl seine Eltern sind, und dass Tassilo Bloch der Vater von Adrian und Sibylle Bloch ist. Eine Weissagung besagt, er selbst werde „die Dinge in Ordnung bringen“. Aber hat keine Vorstellung davon, auf welche Weise. Und was soll der Chip in seinem Hirn bewirken?

Der Vorhang hebt sich, das ägyptische Senetspiel, das Chris zur Genüge kennt, wird sichtbar. Zwei Schauspieler treten als Nathanael Bloch und Sigmund Scholl auf. Nathanael beansprucht die Mumie Pharao Echnatons für sich, doch Sigmund widerspricht ihm, denn er habe ja schließlich die Expedition finanziert. Dass die Zuschauer an dieser Stelle in Gelächter ausbrechen, wundert Christian.

Doch dann treten zwei Mönche in Kutten auf, die des einen weiß, die des anderen schwarz. Auf einem Tisch spielen sie das Senetspiel. Sigmund liest deklamierend die Weissagung zur Mumie Echnatons vor. Der reinkarnierte Erbe des Pharao werde dereinst hervortreten. Doch bis dahin dürfen die Entdecker nur je einen Sohn als Erben haben. Nathanael und Sigmund rätseln darüber, wer der Vater dieses Gesalbten sein wird. Ist es eine Wette oder Spiel, ein Test? Der Wetteinsatz ist das gleiche wie der Preis, nämlich der Gesalbte und die Wiedergeburt Echnatons.

|2. Akt|

Auf der Straße lässt sich Christian, der immer noch eine alte Armeepistole bei sich trägt, von einer Prostituierten abschleppen, die sich als Alexa Voss entpuppt. In der Dampfsauna ihrer Absteige liegt ein Freier, den Christian wiedererkennt: Kommissar Max Lohmann. Was tut der denn hier? Er zwingt den Cop zu dem Geständnis, dass die mysteriösen Nephilim eine Geheimsekte der Blochs seien. Christian selbst nehme eine Schlüsselrolle in deren Spiel ein: Er sei der Gesalbte! Mit den anderen Sektenmitgliedern experimentieren die Blochs, um wie Dr. Frankenstein den Neuen Menschen zu erschaffen. Lohmann bringt Christian zu ihrem Treffpunkt, dem Café Palm, das Adrian Bloch gehört.

|3. Akt|

Dort gibt sich die Gothic-Szene ein Stelldichein und Christians Bekannte nacheinander die Klinke in die Hand. Endlich tritt Moritz Goldmund auf, der etwas über den Ägyptologen Dr. Walberg (Episoden eins und zwei) zu berichten weiß. Walberg dachte, er habe bei Christian das Echnaton-Gen festgestellt, das zu einem großen Schädel und revolutionären Geistesleistungen wie dem Monotheismus führte. Christian ist nicht wirklich begeistert.

Auf dem Weihnachtsmarkt führt Dr. Schwab Christian zu dessen Amme. Von Madame Margarethe erfährt er, dass Christian seit frühester Jugend an epileptischen Anfällen und katatonischen Zuständen gelitten habe. Nach einem Unfall, der alles noch schlimmer machte, pflanzte Dr. Walberg Christian den Chip ins Hirn ein, und fortan besserte sich sein Zustand. Margarethe ist überzeugt, Christian sei der Gesalbte und werde die Blochs bekämpfen. Er habe sogar die Erinnerungen seiner Vorfahren geerbt. Dr. Schwab erklärt das für Blödsinn und führt Christian fort.

|4. Akt|

Christian hält sich die Pistole an den Kopf und fragt sich, ob er sich eine Kugel durch selbigen jagen soll. Dann entscheidet sich aber lieber dafür, von seinen Titanen-Geschwistern Adrian und Sibylle ein paar Antworten zu verlangen. Sie erwarten ihn bereits in der Villa Scholl. In drei Sarkophagen wartet dort ein Geheimnis darauf, gelüftet zu werden …

_Mein Eindruck_

Nach so vielen Enthüllungen über sich selbst und die Machenschaften der Blochschen Sekte der Nephilim weiß Christian Wagner endlich ungefähr, wo er steht: nämlich zwischen den Fronten. Nicht unbedingt ein gemütlicher Ort, um seinen Lebensabend hier zu verbringen. Daher ist es nun Christians Aufgabe, eine Entscheidung herbeizuführen. Allerdings braucht er dazu Verbündete, die er auf der Scholl-Seite, unter den Titanen, zu finden hofft.

Eine bis dahin rätselhafte Figur, mit der sich Christian noch nicht richtig auseinandergesetzt hat (wohl aus dramaturgischen Gründen), ist Billie Scholl, seine frühere Geliebte. Allerdings spielt sie die Rolle der Isis, deren Antlitz durch einen Schleier des Geheimnisses verhüllt ist, wie sie am Anfang jeder Folge ins Gedächtnis ruft. Wer mehr wissen will, sollte ihr Tagebuch unter schattenreich.net lesen.

|Osiris-Mythos reloaded|

In den Rollenspielen der „Titanen“ war Christian stets der Gott Osiris, Sibylle natürlich die Göttin Isis und Adrian der eifersüchtige Gott Seth, der Osiris tötete und zerhackte. Dem Mythos zufolge setzte Isis die Einzelteile Osiris‘ wieder zusammen, schlief mit dem Wiederauferstandenen und gebar ihren Sohn Horus, den Sonnengott. In der Umsetzung des Mythos stehen die Nephilim auf Seiten Seths und die Titanen auf Seiten Christians und Billies.

Die Wiederauferstehung Osiris‘ wird in Christians Wiederentdeckung seiner Herkunft realisiert. Das ist aber die Kardinalfrage: Sollte Christian auch das Echnaton-Gen geerbt haben, wovon die Nephilim überzeugt sind, dann reicht seine Bedeutung viel weiter als nur bis zu der Wiederholung des Osiris-Mythos. Die Frage ist, auf wessen Seite er sich dann schlägt. Die Nephilim tun alles dafür, ihn auf ihre Seite zu ziehen.

|Ein Kulturwissenschaftler?|

Christians Hauptproblem besteht in seinem mangelnden Verständnis seiner eigenen Position. Was mich schon immer an seiner Figur gewundert hat, ist der Umstand, dass er trotz seiner Ausbildung zum Kulturwissenschaftler sein umfangreiches Wissen nicht einsetzt. Alles, was er uns von seiner Bildung verrät, kann von den Erlebnissen seiner Kindheit und Jugend in der Villa Scholl herrühren.

Aber warum wendet er die Prinzipien der Kulturwissenschaft nicht auf seine Ermittlungen an? Sollte er sein Studium mit einem akademischen Grad abgeschlossen haben, so wurde er auch geprüft – und daher sollte er in der Lage sein, entsprechenden psychischen Druck auch auszuhalten. Er müsste die Erkenntnisse und Methoden seiner eigenen wissenschaftlichen Disziplin in seine eigene Ermittlung integrieren oder sie zumindest darauf anwenden.

Dass er dies unterlässt und stattdessen immer weiter durch den Irrgarten seiner zufälligen Funde stolpert, gehört zu den großen Enttäuschungen, die die Konzeption dieser Serie verursacht. Im anderen Fall würde sich der Hörer nämlich freuen, mehr von den alten Ägyptern zu erfahren. Aber dafür waren die Autoren vielleicht von der Materie überfordert, hatten nicht genug Platz (viele Songs waren unterzubringen!) oder ganz einfach ein anderes Ziel als ein Bildungsprogramm für Gothic-Fans. Möglicherweise haben sie auch bloß zu viele Filme von David Lynch gesehen.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Alexander Scheers raue Raucherstimme passt zum Möchtegerndetektiv à la Philip Marlowe, der nur per Zufall zum Kulturwissenschaftler geworden zu sein scheint. Sein Gegenteil, ein Ausbund an Disziplin und Pflichtbewusstsein, bildet die Rolle der Alexa Voss, gesprochen von Anne Moll (zuvor Sandra Speichert) Sie tritt in dieser Episode gleichberechtigt neben der kindlich-eifrigen Tina Müller, gesprochen von Anna Thalbach, auf. Tina Müller hat die Funktion des Schutzengels und darf folglich überall auftreten, wo Chris in Not ist.

Diesmal sprechen mehrere Stimmen aus dem Off, befinden sich also nicht auf der „Bühne“, sondern nur in Christians Erinnerung. Dazu gehören Bruno, Christians Mentor, sowie Sigmund Scholl, sein Ziehvater, bei dem er aufwuchs. Dass eingangs Isis alias Billie Scholl etwas über ihr eigenes Geheimnis zitiert, sollte man ebenfalls festhalten.

|Die Geräusche|

Die Geräuschkulisse des Hörspiels ist nicht allzu realistisch. Man hört nicht jede Tasse klappern, nicht jedes Auto vorbeirauschen. Vielmehr stehen die Kommunikationsmittel im Vordergrund: Handys, Telefone, Türklingeln, fehlen nur noch Türklopfer und Megafone. Diesmal spielt das Theaterstück, das Chris am Anfang besucht, eine wichtige Rolle. Der Sound der Stimmen ist bühnenähnlich, und die Schauspieler deklamieren statt sich miteinander zu unterhalten.

Danach geht Christian auf den Weihnachtsmarkt. Überlagert von Glockengeläut – hätte gut zu Folge neun gepasst – hören wir Kinderlachen und eine Drehorgel. Es ist Heiligabend. Häufig sind die Stimmen durch Hall verstärkt oder durch Effekte verzerrt, so etwa um eine Nachrichtensprecherstimme aus dem Lautsprecher nachzubilden. (Die Lautsprecher sind in Hörspielen grundsätzlich auf dem Stand der siebziger Jahre und klingen entsprechend kratzig.)

Darf man sehr tiefe Bässe noch zu den Geräuschen und Effekten zählen, oder sind sie bereits zur Musik zu rechnen? Egal, sie seien an dieser Stelle mal hervorgehoben. Sie werden in den |Schattenreich|-Hörspielen nämlich regelmäßig eingesetzt, um Angst zu erzeugen, nicht etwa bei der jeweiligen Figur, sondern im Zuhörer. Sie sind deshalb so tief, damit dieser Vorgang unbemerkt bleibt und unterschwellig wirken kann.

|Die Musik|

Spätestens nach einer halben Stunde des Anhörens verhärtet sich im Zuhörer der Verdacht, dass die ganze Handlung eigentlich nur ein Vorwand ist. Nämlich der Vorwand, um möglichst viel deutsche Neo-Gothic Musik abspielen zu können. Die oben aufgeführte Interpretenliste ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was den Zuhörer erwartet. Es verwundert nicht, dass in die Produktion des Hörspiels Firmen wie |Radar Media|, |STIL| (für die professionelle Soundproduktion) und das Musikmagazin |Sonic Seducer| eingebunden sind.

Letzteres hat sich mit einem Aufkleber auf der Hülle verewigt. |Radar Media| ist im Booklet mit einer ganzen Seite Werbung vertreten. |Radar| hat das Copyright und die Markenrechte für „Schattenreich“ inne, folglich war die Firma auch an der Produktion beteiligt. Und da es in ihrem Interesse liegt, die Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| usw. zu vermarkten, packte sie natürlich so viel Musik wie möglich auf die Silberscheibe.

Diese Dinge sollte man wissen, wenn man die Musikeinlagen des Hörspiels bewertet. Plötzlich wird aus der Handlung nicht das Hauptgericht, sondern lediglich die Beilage. Deshalb dröhnt unvermittelt der Leadsong „Follow me“ durch die Boxen, nachdem bereits ein Donnerschlag den Zuhörer aus seiner Bürgerruhe aufgescheucht hat. Es gibt anschließend kaum eine ruhige Minute, in der keine Musik erklingt. Hier hat |Radar Media| ganze Arbeit geleistet.

Immerhin ist es nicht mehr ganz so schlimm wie auf den ersten beiden CDs, denn jetzt wird der Hauptfigur mehr musiklose Zeit zum Nachdenken gegönnt. Die Lauscher stellten sich mir auf, als ein deutscher Text von einer Sängerin zu einem Piano gesungen wurde, so dass ich endlich einmal den Text verstehen konnte. (Die Neo-Gothic-Sänger scheinen einen Horror davor zu haben, ihre Stimme unverzerrt und verständlich einzusetzen, wahrscheinlich weil ihre Texte zu schlecht sind.)

_Unterm Strich_

Bald wird es überstanden sein, mag der Hörer wohl erleichtert seufzen, nachdem er diese Folge gehört hat. Christian hat endlich Heiligabend erreicht, weiß über seine Herkunft halbwegs Bescheid und muss nun nur noch eine Entscheidung zwischen Titanen und Nephilim herbeiführen. Leichter gesagt als getan. Denn in seinem Kopf steckt ein mysteriöser Chip, der möglicherweise auch seine Fernsteuerung erlaubt – wer weiß das schon genau?

Das Fest, an dem der Heiland auf die Welt kam, steht bevor. Das deckt sich genau mit Christians eigener Lage. Denn die Nephilim verehren ihn ja als den verheißenen Gesalbten, den Nachfolger des revolutionären Pharaos Echnaton. Und vielleicht spielt er nicht nur die Rolle des alten Osiris, der seinem früheren Ich entspricht, sondern auch die des Horus, des Sohnes von Isis und Osiris. Zumindest in geistig-spiritueller Hinsicht.

Sein Problem ist, dass er diese Rolle des Heilands ablehnt. Am Schluss dieser Folge verkündet ihm deshalb eine Stimme aus dem Sarkophag: „In deiner Hand ist die Welt!“ Ob dies nun Jahwe ist oder der Goethesche Erdgeist, wen kümmert’s? Christian sollte seine Kenntnisse als (angeblicher) Kulturwissenschaftler einsetzen und deren Methoden auf seine Ermittlungen anwenden. Das wäre ein Element, das die Serie erheblich aufwerten würde.

|Die Zielgruppe|

Die Reihe „Schattenreich“ wendet sich an die gleiche Zielgruppe wie die Musik-CDs, die DVDs und die TV-Produktionen (von denen ich bislang nichts gesehen habe): Gothic-Rock-Freunde, für die Musik nicht nur Unterhaltung, sondern eine Lebenshaltung und eine modische Aussage darstellt. Anstelle von Vampiren und anderem blutigem Gesocks treten aber in „Schattenreich“ nur jede Menge mystisch gestimmte Typen auf, die sich irgendwie zwielichtig aufführen. Ford Prefect würde sagen: „Weitgehend harmlos“.

Die Macher

Wie bei allem, was das Studio |STIL| produziert, ist das Produkt hinsichtlich Sound und Optik vom Feinsten. Immerhin erreichen das Studio und der |Lübbe|-Verlag eine neue Zielgruppe, die mit „Offenbarung 23“ nur unzureichend bedient wird: die Gothic-Rockfans, die auf Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| und |IAMX| stehen. Diesbezüglich kann „Offenbarung 23“ glatt einpacken. Wer die Songs runterladen will, findet auf www.schattenreich.net den Link dorthin.

Nach dieser Doppelfolge ist mit weiteren Episoden zu rechnen, um Christians Schicksal zu besiegeln. Denn einem „PROLOG im Himmel“, wie in Goethes „Faust“, sollte auch ein EPILOG oder Schlussakt folgen.

|58 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3592-3|
http://www.schattenreich.net
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name
http://www.sonic-seducer.de
http://www.radar-net.de

Robert Gordon – Elvis 1935-1977 (Buch & CD)

Elvis gesteht: „Ich wollte eigentlich Arzt werden“

Am 16. August 2002 feierten Millionen von Mitgliedern der Elvis-Fanclubs und viele weitere Menschen den 25. Todestag des Künstlers Elvis Aaron Presley. Wieder einmal fand in Graceland bei Memphis die Elvis-Woche statt. Anlass genug, auf besondere Weise den Künstler und Menschen Elvis Presley zu würdigen. Das vorliegende Buch, das zu diesem Anlass veröffentlicht wurde, ist dementsprechend ein ganz besonderes Werk.
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Harry Harrison – Agenten im Kosmos (Stahlratte 01)

Der James Bond der Science Fiction, aber mit mehr Humor

>>Hier spricht Slippery Jim: „Innerhalb unseres Universums gab es höchstens ein halbes Dutzend Männer, die es mit mir aufnehmen konnten. Ich wechselte meine Persönlichkeit wie andere ihre Hemden, knackte spielend jede Bank des Sonnensystems, klaute bei Bedarf Raumschiffe, und wenn ich Lust hatte, find ich einen Krieg an. Bis mich dann eines Tages die Polizei erwischte – was blieb mir anderes übrig: Ich wurde Polizei-Agent.<<

So wurde Jim DiGriz der seltsamste Rekrut im Spezialkorps der Planetenliga. Und als er eines Tages die Nase voll hatte, gab er damit das Startzeichen zu einer rasanten Menschenjagd quer durch die gesamte Galaxis.“ (bearbeitete Verlagsinfo) Was dieser Klappentext verschweigt, ist die zentrale Rolle einer gewissen Angelina, die gerade direkt vor Jims Nase ein Schlachtschiff geklaut hat und damit für eine Verfolgungsjagd sorgt…
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John Grisham – Das Urteil (Lesung)

„The Runaway Jury“ ist inzwischen nicht nur ein witziges und spannendes Buch sowie Hörbuch, sondern auch ein – hoffentlich ebensolcher – Film (Kinostart Deutschland 22. April). Die Hauptrolle des als „Nicholas Easter“ in der Jury auftretenden Justizrebellen spielt kein Geringerer als John Cusack, der kürzlich bei uns in dem Thriller „Identität“ zu sehen war. Außerdem sind Gene Hackman, Dustin Hoffman und Rachel Weisz („Confidence“, „Die Mumie“, „Duell“, „Amy Foster“) mit von der Partie.

Im Übrigen geht es um ein brandaktuelles Thema: den Prozess gegen einen, nein, sogar mehrere Tabakkonzerne in den USA. Doch dieser Prozess wird von einer auf ganz besonders gewiefte Weise manipulierten Jury entschieden. Irgendjemand wird am Schluss den ganz großen Reibach machen. Die Frage ist nur, wer?

Der studierte Jurist John Grisham, geboren 1955, ist nach Angaben des Heyne-Verlags der „meistgelesene Autor weltweit“. Zahlreiche seine Romane dienten als Vorlage zu Spielfilmen, darunter „Der Klient“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Die Jury“ sowie „Der Regenmacher“. Grisham war Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Mississippi und führte lange Jahre eine eigene Anwaltskanzlei, bis er sich Mitte der Achtzigerjahre ganz dem Schreiben widmete. Grisham lebt mit seiner Familie in Virginia und Mississippi.
Sein neuestes Buch trägt den Titel „Bleachers“, also Zuschauertribüne, und befasst sich mit den dunklen Machenschaften im Profisport.

Sprecher Charles Brauer, geboren 1935, ist am bekanntesten als Kommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im „Tatort“. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern und hat für Heyne/Ullstein bereits „Der Verrat“, „Das Testament“ und „Die Bruderschaft“ von John Grisham gelesen.

Biloxi, eine verschlafenen Kleinstadt im südlichen Mississippi (wo sich der Autor bestens auskennt), rückt durch einen Aufsehen erregenden Prozess in den Mittelpunkt weltweiten Interesses. Celeste Woods, die Witwe eines vor vier Jahren an Lungenkrebs verstorbenen Tabakkonsumenten, hat den Zigarettenfabrikanten Pynex auf Schadensersatz verklagt. Besonderes Interesse am Verlauf des Prozesses hat verständlicherweise die Tabakindustrie, für die es um viele Millionen Dollar geht: nicht so sehr wegen der Entschädigung, sondern vielmehr wegen der drohenden Verluste durch sinkende Aktienkurse!

Da die Jury aus den üblichen zwölf Geschworenen das alleinige Recht hat, das Urteil „schuldig“ zu fällen, richtet sich das Augenmerk aller Beteiligten auf die sorgfältige Auswahl dieses zentralen Gremiums. Die Konzerne haben einen Mann vor Ort, der keine Skrupel kennt, Rakin Fitch, und bezahlen jede Summe, die er verlangt. Fitch nennt sich „Juryberater“ und hat noch keinen der sechzehn von ihm gemanagten Prozesse verloren.

Er fühlt sich relativ sicher, eine gute Auswahl getroffen zu haben, was die Jurymitglieder für die Verteidigung (Konzerne) angeht. Nur ein Kandidat ist ein unbeschriebenes Blatt: Nicholas Easter ist 27 Jahre alter Verkäufer in einem Computerladen und Nichtraucher. Dass er mal Student war, stellt sich als Lüge heraus. Sofort hetzt ihm Fitch eine verführerische Blondine namens Amanda auf den Hals, doch Easter riecht den Braten sofort.

Der Prozess beginnt sofort, nachdem die Geschworenen ausgewählt worden sind – da gab es doch einiges Gerangel. Immerhin, Easter ist benannt und übt seine Rechte aus, die er im Gegensatz zu so manchem Jurymitglied genau kennt: Er hat schon einmal an so einem Prozess teilgenommen. Er lässt sich nicht mehr als Bürger zweiter Klasse behandeln, sondern verschafft den Geschworenen Sonderrechte: Sie dürfen mit dem Richter, dem ehrenwerten Frederick Harkin (50) speisen!

Rankin Fitch wird dieser Nicholas Easter allmählich unheimlich. Eine anonyme Anruferin, die sich nur Marly nennt, hat ihm ein Dossier über Easter zukommen lassen. Ein Einbruch in Easters Wohnung führt nur dazu, dass Fitchs Emissär von einer Videokamera gefilmt wird. Easter übergibt dem Richter das Überwachungsvideo, das er hinsichtlich der Zeit manipuliert hat. Und weil sich nicht nur Easter, sondern so manches andere Jurymitglied verfolgt fühlt, erzwingt Easter die Verlegung des Domizils in ein nahes Motel, das bewacht wird. Schon bald haben dort einige Geschworenen mehr Rechte als die anderen. Dennoch erreicht Fitch, dass Geschworene ersetzt werden. Das Gleichgewicht verschiebt sich. Doch Easter ist Ton angebend.

Dann lässt Marly die Bombe platzen: Sie arbeitet mit „Nicholas Easter“ zusammen! Und wenn Fitvhs Auftraggeber keine zehn Millionen Dollar zahlen, wird Easter das Urteil ziemlich deutlich gegen die Konzerne ausfallen lassen.
Fitch ist auf 180 und steckt schwer in der Klemme: Wie konnte es nur geschehen, dass ihn zwei solche Amateure aufs Kreuz gelegt haben? Er setzt alle Hebel in Bewegung, um die Vergangenheit des Erpresserduos auszugraben. Notfalls geht Fitch auch über Leichen.
Und währenddessen fallen die Aktien der Konzerne bereits…

Die Fronten sind schon bald klar: Auf der einen Seite die Konzerne mit ihrem Mann für alles, Rankin Fitch. Auf der anderen Seite nicht etwa der Anwalt der Anklage, sondern das dynamische Duo „Nicholas Easter“ und „Marly“. Beide Seiten kämpfen um Einfluss auf die Geschworenen wie der Teufel um die arme Seele, und die Front schwankt hin und her, denn beide Seiten haben Erfolge zu verzeichnen. Am Schluss wird es ein Urteil geben, soweit ist klar, doch wie wird es lauten?

Und es ist gut möglich, dass für das Erpresser-Duo das Urteil nur zweitrangig ist. Doch wenn es ihnen nur ums Geld geht, warum haben sie sich dann einen Tabakkonzern als Zielscheibe ausgesucht, fragt Fitch völlig zu Recht. Sicher gibt es in ihrer Vergangenheit einen Grund, warum sie sich Pynex vorgenommen haben. Doch es stellt sich als nicht so einfach heraus, in ihre Vergangenheit vorzudringen. Recherchen in New York City, Missouri und Texas gehört mit zum Aufwand, den Fitch treiben muss, um den beiden Paroli bieten zu können. Aber wird er rechtzeitig fertig sein?

Man sieht also, dass in diesem Buch ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel steckt. Leider wird es von dem langsamen und detailreichen Prozedere der Verhandlung teilweise überdeckt. Da tritt ein grotesker Experte nach dem anderen auf, und was diese Leute zu sagen haben, kann durchaus an die Nieren gehen. Wer jetzt nicht mit Qualmen aufhört, wird es nie tun. [Zustimmendes Husten vom Qualm vernebelten Lektor.]

Aber das Hörbuch macht auch Vergnügen. Nicht umsonst trägt das Buch den verblüffenden Titel „The Runaway Jury“: Die Ausreißer-Jury. Man würde erwarten, dass die gewählten Geschworenen so lange brav auf ihren Hintern sitzen bleiben, bis das letzte Schlussplädoyer verklungen ist.

Nichts dergleichen! Die Ironie der geschilderten Situationen sorgt für ein geradezu diebisches Vergnügen am Schabernack. Nicholas Easter – obwohl keineswegs der Obmann – sorgt beispielsweise dafür, dass die Jury sich ihrer Rechte ganz genau bewusst ist und dass diese durchgesetzt werden. Er weiß, es geht um Millionen, wenn nicht sogar Milliarden Dollar. Einmal wagt er sogar fast, den ehrenwerten Richter Frederick Harkin aus dem Motel der Jury zu werfen. Ein andermal steht die Jury geschlossen auf und legt den öffentlichen Treueeid auf die Verfassung der Vereinigten Staaten ab – der Gerichtssal ist fassungslos, die Zeitungen und TV-Sender horchen auf, die Aktienkurse geraten ins Wanken.

So ganz nebenbei demonstriert Grisham, welche zentrale Rolle die Mitglieder einer Jury spielen können. Und wie man ihre Macht missbrauchen kann. Die zwei Prozesse um O. J. Simpson haben offengelegt, wie es schieflaufen kann: So eine Art von Justiz dient nicht den Bürgern, sondern nur den Mächtigen. Und die Reihe von Sammelklagen, die zu Prozessen wie dem bei Grisham geschilderten führen, ist inzwischen in den USA ein Teil des Alltags und ein oftmals probates Mittel, Gerechtigkeit zu erlangen. Wie man dies missbrauchen kann, zeigte Grisham in seinem Roman „Die Schuld“ („The King of Torts“), den es auch im Hörbuch gibt.

Charles Brauer erledigt sein Job mal wieder einwandfrei. Er ist die „deutsche Stimme John Grishams“. Als erfahrener Schauspieler – etwa im „Tatort“ – hat er ein Gespür für das Besondere an einer Szene. Da weiß er einfach, wo die Pausen gesetzt werden müssen, so etwa in den extrem angespannten Begegnungen zwischen Rankin Fitch und der Erpresserin „Marly“. Ich kann mir keinen besseren Sprecher für die Welt, die ein Grisham-Roman zeichnet, vorstellen.

Ich habe das Hörbuch mit großem Vergnügen und angespannten Sinnen gehört, denn einige Vorgänge hinter den Kulissen machen zwar Spaß, andere sind aber auch alles andere als witzig gemeint: Fitch macht ernst, wenn es um seine Klienten geht. Aber so richtig gut wird das Buch dann am Schluss, wenn uns der Autor verrät, warum „Marly“ den Coup überhaupt durchgezogen hat und ob sie es geschafft haben, lebend davonzukommen. Das erinnerte mich zwar ein wenig an den Schluss von „Die Firma“, stellte mich aber dennoch sehr zufrieden.

Eine Schande, dass dieses gute Buch erst rund sieben Jahre nach seinem Veröffentlichungstermin 1996 (deutsch 1998) auch als Hörbuch auf den Markt kommt. Vielleicht lag es ja daran, dass es als einer der wenigen Grisham-Romane noch nicht verfilmt wurde – das soll sich ja nun ändern! Vielleicht lässt sich Ullstein noch dazu hinreißen, statt des drögen Treppenhausfotos das Filmplakat auf dem Umschlag des Hörbuchs abzudrucken. Sowas soll ja schon vorgekommen sein.

383 Minuten auf 5 CDs

http://www.randomhouse.com/features/grisham/

_Michael Matzer_ (c) 2003ff

Lawhead, Stephen – Taliesin (Pendragon 1)

Hier beginnt Lawhead auf geniale Weise seinen bekannten |Pendragon|-Zyklus: Es beginnt alles im sagenhaften Atlantis. Und natürlich mit dem gewaltigen Untergang dieses Inselkontinents.

Der Brite Stephen Lawhead, geboren 1950 in Neuengland, war hierzulande durch seinen Zyklus „Das Lied von Albion“ und ein paar SF-Romane bekannt geworden. Seinen Durchbruch erlebte er erst mit dem Pendragon-Zyklus, der schon 1987/88 entstand. Bislang sind bei |Piper| die ersten vier Bände inklusive „Pendragon“ erhältlich, der im Original 1994 erschien.

Der Zyklus verschmilzt unterschiedliche Sagenstoffe aus der Ursprungszeit des englischen Frühmittelalters, mit dem Schwerpunkt im 4. bis 5. Jahrhundert, der Zeit der Sachseninvasion. Der Bogen, den Lawhead spannt, reicht von Atlantis über die keltischen Barden und Druiden (Taliesin) bis zur Merlin- und Artussage, die uns vertraut ist.

Dabei belässt es der bekennende Christ Lawhead nicht bei einer Nacherzählung von Liebes- und Heldengeschichten, wie das minder begabte Autoren gerne tun. Vielmehr betrachtet er die Zeit, in der Englands größte Barden, Taliesin und Merlin, lebten, als die Periode des Übergangs von der alten keltischen zur neuen römisch-christlichen Religion und Kultur, oder mythologisch ausgedrückt: die Zeit des Zwielichts nach den keltischen bzw. römischen Göttern und vor der Durchsetzung des christlichen Glaubens auf den britischen Inseln, bedroht von der Dunkelheit, die von den Invasionen der Pikten, Angeln und Sachsen ausgeht.

|Der Pendragon-Zyklus|

– Taliesin (1988)
– Merlin (1988)
– Artus (1989)
– Pendragon (1994)
– Grail (1997)

_Handlung_

„Taliesin“ erzählt zunächst parallel zwei Lebensgeschichten, nämlich die der Chronistin, Prinzessin Charis‘ von Atlantis, der Tochter König Avallachs – und die von Taliesin und seinem Pflegevater Elphin, der das Findelkind aus einer Fischreuse rettet. Prinzessin Charis wächst zunächst unbeschwert in einer luxuriösen Umgebung auf, wie sie z. B. an einem antiken griechischen Königshof zu finden gewesen wäre, erzogen im Glauben an die Götter und die Weissagungen der Priestermagier.

Doch schon bald taucht ein Prophet aus der Wildnis auf, der den baldigen Untergang des Inselkontinents verkündet. Niemand hört auf ihn, doch als Teilerfüllung seiner Weissagung bricht Streit zwischen den Atlanter-Königen aus, der Hochkönig fällt einem Attentat zum Opfer, und Krieg bricht aus. In dessen Verlauf stirbt Charis’ Mutter, ihr Vater Avallach wird schwer verwundet. Charis, die unter der Schuldzuweisung ihres Vaters – sie sei schuld am Tod ihrer Mutter – leidet, sucht den Tod in der Stiertänzerarena. Wer einmal das Wandfresko im Königspalast von Knossos gesehen hat, weiß, was gemeint ist: Eine Truppe von Tänzern springt auf den Rücken und oft sogar auf die Hörner eines heranstürmenden Bullen, nur um dann einen doppelten oder gar dreifachen Salto zu vollführen. Die hinreißende Kühnheit und Akrobatik einer solchen Vorführung darzustellen, gelingt Lawhead ausgezeichnet.

Charis hört nach ihrem größten und gefährlichsten Tanz auf und kehrt nach Hause zurück, in ein Heim, so desolat und
hoffnungslos, dass sie nicht lange wartet und alles in Gang setzt, um ihr Volk von der dem Untergang geweihten Insel zu bringen. Sie hatte auf der Heimreise den Propheten aus der Wildnis erneut getroffen und die Bestätigung seiner ersten Weissagung erhalten: Der Boden unter ihren Füßen bebt zunehmend öfter.

Wenigen tausend Atlantern gelingt es, dem vollständigen Untergang der Insel zu entkommen und nach vier Monaten Irrfahrt in Cornwall zu landen, wo sie ein neues Königreich, Llyonesse, errichten. Dort trifft Charis Taliesin.

Er ist ein Seher und Weiser und hat die Gabe des mitreißenden Gesangs. So schaut er unter anderem seine eigene Zukunft: Die „Dame vom See“ ist Charis, der Schöpfer mit dem blendend weißen Gesicht ist der Christengott. Lawhead macht von vornherein klar, dass Taliesin die wichtigste Figur des Buches ist – neben Charis – und dass der Verlauf der ganzen Handlung auf ihn zugeschnitten ist. Im Folgenden wird klar, warum.

Durch die Angriffe der wilden Pikten, Skoten und Sachsen gerät die Heimat Taliesins in höchste Gefahr, und sein Clan kann sich schließlich nur retten, indem er zu König Avallachs Palast, der „Insel aus Glas“, flieht. Dort wird den Kelten Asyl gewährt und schließlich sogar ein Stück Land gegeben.

In die wachsende Liebe zwischen Taliesin und Charis mischen sich jedoch die zauberische Morgian (= Morgaine) und der eifersüchtige atlantische Seher Annubi ein. Beide bringen viel Leid über das Liebespaar, so dass die beiden nach heimlicher Heirat nach Wales wegziehen, wo Charis ein Kind zur Welt bringt, das bei der Geburt fast stirbt, würde ihm nicht Taliesin seinen zauberkräftigen Lebensatem einhauchen: Merlin – so benannt nach einem kleinen verletzten Falken, den Charis gesund gepflegt hatte. Taliesin, nicht wenig stolz, verkündet den benachbarten Adligen, dass sein Sohn einst ihr König und zudem der Retter der Welt sein würde.

Nach einer falschen Aufforderung zur Rückkehr von Charis‘ Vater, die aber offenbar von Morgian kam, wird Taliesin auf der Heimreise von einem Pfeil getötet. Charis verfasst die Chronik Taliesins, doch dem Leser ist klar, dass noch einiges zwischen Merlin und der verschwundenen Morgian geschehen wird. Wer die Artuslegende kennt, weiß, dass die Zauberin auch für Artus einiges in petto hat.

Lawhead gelingt es, die Romangestalten in ihrer geistig-kulturellen Umgebung lebendig und uns ihre Beweggründe begreiflich zu machen. Leider ist er nicht sonderlich gut darin, intensive Gefühle aus tieferen Schichten der Charaktere darzustellen, so dass er zuweilen oberflächlich wirkt. Die Trauer um Taliesins Tod jedoch geht wirklich zu Herzen. Der atheistisch eingestellte Leser findet die Wandlung Taliesins zum Christen und die Darstellung der ersten Mönche sowie Taliesins Vision von Gottes Königreich auf Erden wohl etwas missionarisch eingefärbt. Wer jedoch sowieso gläubiger Christ ist, dem könnte dies sogar überzogen erscheinen, denn Artus wird als die christliche Licht- und Rettergestalt hingestellt.

_Fazit_

Der „Pendragon“-Zyklus ist eine lebendige, farbige Schilderung einer Epoche des Übergangs und vermittelt auf spannende Weise ein Bild vom chaotischen Anfang der Kultur des Abendlandes. Dabei konzentriert sich Lawhead völlig auf die Ereignisse auf der britischen Insel, auch mit eindeutig nationalistischen Tönen – die er den diversen Berichterstattern in den Mund legen kann. Nebenbei ist der Zyklus eine Studie, wie man unterschiedlichste Sagenstoffe – Atlantis, die Artus-Legende, die Epen des keltischen Mabinogion – erfolgreich miteinander verschmelzen kann.

Der Übersetzer mochte zwar über das altertümelnde Englisch des Originals unglücklich sein, das dem heutigen deutschen Leser schwer zu vermitteln ist, aber er löst seine Aufgabe mit Bravour: So könnten deutsche Erzähler zu Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben haben – mit Pathos. Am ehesten erträglich ist dieser Ton im ersten Band, „Taliesin“, und im Bericht Bedwyrs in „Artus“. Das |Piper|-Lektorat hat mehrere Fehler übersehen, so etwa „Mabigonen“ statt „Mabinogi“ in „Artus“. Und mehrere Ortsangaben können so nicht stimmen. Bedauerlich ist auch das Fehlen der Originalangaben über die Aussprache der zahlreichen keltischen Namen. Nur Eingeweihte können daher halbwegs Namen wie Myrddin (= Merlin) halbwegs korrekt aussprechen.

Uwe Anton – Robert Silverberg. Zeiten der Wandlung (SF Personality 26 )

Gelungenes Porträt eines SF-Titanen

„Uwe Anton liefert einen ausführlichen Überblick zu Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Schriftstellers. Abgerundet wird der Band durch ein[e] Ehrengastrede Silverbergs, die er auf der bisher einzigen World Science Fiction Convention (WorldCon) in Deutschland gehalten hat, sowie eine Bibliographie von [Übersetzer und Verleger] Joachim Körber.“ (ergänzte Verlagsinfo) Der WorldCon fand 1970 in Heidelberg statt.
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E. Benjamin Skinner – Menschenhandel. Sklaverei im 21. Jahrhundert

Der moderne Sklavenhandel – ein Milliardengeschäft

Nie gab es mehr Sklaven als heute: 27 Millionen Menschen. Sklaverei ist ein globales Phänomen und aktueller denn je. Auch in Deutschland ist Sklaverei in Form von Zwangsprostitution an der Tagesordnung. Überall auf der Welt begegnet der Autor einem blühenden Menschenhandel. Er infiltrierte Schleusernetzwerke, traf sich mit Kinderhändlern auf Haiti und im Sudan, beschreibt das Schicksal einzelner Opfer und lässt diese zu Wort kommen. Doch was unternehmen westliche Industrienationen wie die Vereinigten Staaten gegen Sklavenhandel? Dieses Kapitel ist so spannend wie ein Krimi.

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Offenbarung 23 – Der Untergang der MS Estonia (Folge 28)

16:66 Uhr: Schwimmende Bomben in Sicht

Was bisher bloße Verschwörungstheorie war, wird Realität: Die geheimnisvollsten Tragödien, die skrupellosesten Verbrechen werden entschlüsselt. Die Welt wird nicht mehr die gleiche sein, denn auch das letzte Rätsel wird gelöst.

Am 28. September 1994 versinkt vor der finnischen Küste das Fährschiff MS Estonia. Über 800 Menschen kommen dabei um – wie viele genau, das weiß man aber nicht. Denn einige Überlebende verschwanden nach ihrer dramatischen Rettung – darunter einer der beiden Kapitäne. Der Berliner Student Georg Brand findet eine seltsame Seekarte, auf welcher der verstorbene Hacker Tron offenbar eine falsche Route der Estonia eingezeichnet hat. Georg beginnt mit eigenen Recherchen und entdeckt bald immer mehr aberwitzige Details der Katastrophe. Doch erkennt er auch die monströse Gefahr, die von dem untergegangenen Havaristen noch immer ausgeht?

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Colfer, Eoin – Artemis Fowl II – Die Verschwörung (Lesung)

Für Superhirn Artemis Fowl wird es spannend: Er muss seinen in der russischen Arktis gefangenen Vater befreien, gleichzeitig aber bei einer Revolte in der elfischen Unterwelt mitmischen, um sich die Hilfe der Elfen bei der Befreiungsaktion zu sichern.

Aus dem Booklet über den Autor: „Bis zu seinem Welterfolg mit ‚Artemis Fowl‘ arbeitete Eoin [ausgesprochen: ouen] Colfer als Lehrer. Er hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet. Seine früheren Bücher für junge Leser standen in Irland, England und den USA an der Spitze der Bestsellerlisten. Colfer lebt mit Frau und Sohn im irischen Wexford und widmet sich gegenwärtig ganz dem Schreiben.“ Kein Wunder, dass der zweite Artemis-Band schon fertig und ebenfalls als Hörbuch zu haben ist.

Der Sprecher Rufus Beck, geboren 1957, spielte im Ensemble und als Gast auf deutschsprachigen Bühnen, wurde durch Sönke Wortmanns Film „Der bewegte Mann“ populär und gilt seit seinen einmaligen Interpretationen aller vier Harry-Potter-Romane als einer der besten und engagiertesten Hörbuchsprecher.
Diese Fassung des Buches ist übrigens gekürzt, aber das macht nichts: Die Action steht im Vordergrund, und so bleibt das Zuhören stets spannend.

Artemis Fowl ist zwar erst zwölf Jahre alt, hat es aber bereits faustdick hinter den Ohren. Der ausgefuchste Computerfan trägt stets Anzug und Krawatte, wie man es an vielen britischen Schulen sehen kann. Er lebt in einem schlossartigen Anwesen, doch das hat nichts zu besagen: Die Halbwaise lebt dort nur mit ihrer geistig gestörten Mutter und ihrem Butler, der einfach nur „Butler“ heißt. Außer dem Haus ist den Fowls praktisch nichts geblieben.
Artemis – dies ist der griechische Name der Göttin der Jagd, die unter dem Namen Diana eine gewisse Popularität erlangte – ist entschlossen, das kärgliche Vermögen seiner kriminell veranlagten Familie aufzubessern und die Ehre der Fowls zu retten. Diesmal macht er sich auf die Suche nach seinem verschollenen Vater.

Paps wurde von Angehörigen der russischen Mafia ins eisige Murmansk entführt, um von seinem Sohn Lösegeld zu erpressen. Auf Umwegen findet Artemis heraus, dass nicht nur Menschen dahinter stecken: Auch die üblen Kobolde haben ihre Finger in diesem schmutzigen Geschäft.

Doch leider haben Artemis und Butler keine Chance, Paps aus dem schwerbewachten U-Boot, das sein Gefängnis bildet, herauszuhauen. Da wird ihnen Hilfe in Form einer Unterirdischen zuteil: Die Elfenpolizistin von der ZUP, die ihnen schon im ersten Abenteuer in die Hände gefallen, wäre bereit, ihnen zu helfen, doch beruht dieses Angebot auf Gegenseitigkeit: Die Polizistin ist einer von den Kobolden gesteuerten Revolte in der Unterwelt auf der Spur.

Wenn Artemis den Elfen und der ZUP hilft, die Revolte zu stoppen, hat er noch eine Chance, seinen Vater vor Ablauf des Ultimatums der Erpresser zu befreien. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Die knapp skizzierte Geschichte ist natürlich auf die Erwartungen und Fähigkeiten von jungen Zuhörern zugeschnitten. Ich schätze mal, das ideale Alter entspricht dem des Helden: 12 Jahre. Die Sätze sind recht einfach gehalten, ebenso die Kennzeichnung der Figuren.

Berücksichtigt man diese Zielgruppe, so ist bei näherer Betrachtung die Komplexität der Geschichte recht erstaunlich. Zum einen gibt es zwei Handlungsstränge: Murmansk und die Unterwelt. Doch in der Unterwelt spaltet sich die Perspektive bzw. wechselt hin und her: zwischen der Partei der ZUP, der Artemis hilft; und der Gegenseite, die der Zuhörer erst neu kennen lernen muss.

Hinzukommt der Umstand, dass an allen Ecken und Enden irgendwelche Kobolde mit ihren Spezialgewehren auftauchen und auf die Helden feuern. All diese Figuren auseinanderzuhalten und miteinander in Beziehung zu setzen, ist sicher keine geringe Leistung, die den jungen Zuhörern abverlangt wird.

Rufus Beck schafft es wieder, jeder Figur ihre indivduelle Stimme zu verleihen, sei es ein Zentaur, der bei jedem Satz wiehert, oder ein Erde fressender Zwerg mit dem schönen Vornamen Mulch. Die besten Stimmen haben der ZUP-Commander, der am liebsten Befehle brüllt, und seine Kollegin, die ZUP-Elfe. Diesmal kommen auch die Rädelsführer der Revolte hinzu.

Durch die stimmliche Charakterisierung fällt es leicht, die Figuren auseinanderzuhalten, selbst wenn man sich ihre Namen nicht merken kann. Und diese Charakterisierung trägt wesentlich dazu bei, aus dem Roman ein Hörspiel mit verteilten Rollen zu machen, das an Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt.

Auch dieses Artemis-Abenteuer ist reichlich kriegerisch und von Kampf und Mühe geprägt. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls die gekürzte Fassung, die das Hörbuch auf Action trimmt. Für so schöngeistige Dinge wie einen Kaffeeplausch bleibt da natürlich keine Zeit mehr. Mir selbst ist das schon zu martialisch. Und ich frage mich, wie dies auf einen Zwölfjährigen wirkt.

Wie immer macht Rufus Beck seinen Job ausgezeichnet: Es ist eine Freude, ihm und seiner Stimmkunst zuzuhören.

Insgesamt ist also auch dieses Hörbuch zu empfehlen, doch sollte der- oder diejenige, der/die es verschenkt, beachten, dass es in dieser Geschichte keineswegs friedlich zugeht, sondern genauso gewalttätig wie in der Welt der Erwachsenen.

283 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Feldmann.
Homepage der Serie: http://www.artemis-fowl.de/

_Michael Matzer_ (c) 2003ff

Bujold, Lois McMaster – Kadett, Der (Barrayar #3)

Halb Space-Opera, halb Militärkomödie – so lässt sich „Der Kadett“ kurz charakterisieren. Die „Vor“ auf dem Planeten Barrayar sind eine Militärdynastie, die sich ständig mit dem Nachbarreich Cetaganda in den Haaren liegt.

Miles Vorkosigan ist zwar Angehöriger dieser Dynastie, hat aber wegen eines Giftanschlags, dem seine Mutter während ihrer Schwangerschaft zum Opfer fiel, scheinbar nur geringe Überlebenschancen: Seine Knochen sind spröde wie Glas und er ist kleinwüchsig: gerade mal 1,45 m. Diese Mängel macht er durch Grips, Mut und ein flottes Mundwerk wieder wett.

Die wichtigste Prüfung legt Miles nicht an der Miltärakademie ab, sondern draußen im feindlichen Universum, wo man auf Leute, die von Barrayar kommen, gar nicht gut zu sprechen ist. Das gibt vielerlei Anlass zu komischen Situationen und drastischen Reaktionen.

_Die Autorin_

Lois McMaster Bujold, 1949 geboren, stammt aus Ohio, wo ihr Vater als Physiker und Ingenieur sowie als „Wetterfrosch“ arbeitete. Ihren ersten Roman schrieb sie 1983, konnte ihn aber erst 1986 veröffentlichen: „Scherben der Ehre“.

„Der Kadett“ ist ein Abenteuerlicher Space-Krimi aus Lois McMaster Bujolds SF-Welt, die sich als Barrayar-Universum in den Kanon der Science-Fiction eingeschrieben hat und sich bei den Lesern großer Beliebtheit erfreut. Allerdings halten sich die Schriftstellerkollegen mit Auszeichnungen deutlich mehr zurück als die Leser.

Zum Barrayar-Zyklus gehören die folgenden bislang publizierten Bände:

– Die Quaddies von Cay Habitat (Vorstufe zum Barrayar-Zyklus)
Band 1: Scherben der Ehre (1986, dt. 1994)
Band 2: Barrayar (1991, dt. 1993; Band 1 & 2 neu als [„Barrayar – Cordelias Ehre“ 865 bei |Heyne|)
Band 3: Der Kadett (1986, dt. 1993/99)
Band 4: Der Prinz und der Söldner (1990, dt. 1994)
Band 5: Ethan von Athos (1990, dt. 1995)
Band 6: Grenzen der Unendlichkeit (1989, dt. 1996; Episodenroman mit Miles-Abenteuern)
Band 7: Waffenbrüder (1989, dt. 1996)
Band 8: Spiegeltanz (1994, dt. 1997)
Band 9: [Cetaganda 883 (1996, dt. 6/1999)
Band 10: Viren des Vergessens (1998; 2001?)
Band 11: Komarr (1998; dt. 2002?)

Erst mit dem Roman „Cetaganda“ lieferte die erfolgreiche Autorin Lois McMaster Bujold eine kleine Chronologie, die es erlaubt, die Geschehnisse ihrer Romane zeitlich einzuordnen, da die Veröffentlichungen nicht immer dieser Reihenfolge entsprachen. Insbesondere „Grenzen der Unendlichkeit“ verteilt die Abenteuer von Miles Vorkosigan über die gesamte Frühphase seiner Entwicklung.

In „Der Kadett“ ist Miles 17 Jahre alt, in „Der Prinz und der Söldner“ 20 Jahre.

_Hintergrund_

Die „Vor“ auf dem Planeten Barrayar sind eine Militärdynastie, die sich ständig mit dem Nachbarreich Cetaganda in den Haaren liegt. Miles Vorkosigan ist zwar Angehöriger dieser Dynastie, hat aber wegen eines Giftanschlags, dem seine Mutter während ihrer Schwangerschaft zum Opfer fiel, scheinbar nur geringe Überlebenschancen: Seine Knochen sind spröde wie Glas und er ist kleinwüchsig: gerade mal 1,45 m. Diese Mängel macht er durch Grips, Mut und ein flottes Mundwerk wieder wett.

In einer Periode des Barrayar-Zyklus, der zur Zeit wieder neu aufgelegt wird, führt Miles seine private Söldnerflotte der Dendarii von Gefecht zu Gefecht – unter dem Decknamen Miles Naismith. Diese verdeckten Operationen sind von seinem Kindheitsfreund, dem Kaiser Gregor von Barrayar, abgesegnet. Es sind kaiserliche Söldner! Ansonsten arbeitet er meist für den kaiserlich-barayaranischen Geheimdienst.

_Handlung_

Miles Naismith Vorkosigan, der Sohn des kaiserlichen Bayarranischen Admirals, will trotz seiner schwächlichen Konstitution, auf Geheiß seines Vaters, des Oberbefehlshabers, und weil’s die Familientradition verlangt, die Militärakademie besuchen. Prompt bricht er sich bei der praktischen Aufnahmeprüfung beide Beine. Das wird wohl nichts. Doch welche Alternativen bietet das Leben auf Barrayar?

Während seiner Genesung lernt er Elena Bothari, die groß gewachsene Tochter seines Leibwächters, kennen und erfährt von ihr, dass ihre Mutter auf rätselhafte Weise den Tod gefunden hat. Warum schweigen alle über diese Zeit, und warum hat der kaiserliche Geheimdienst sogar die Computerdaten darüber gesperrt?

Nachdem er von seinem gerade verstorbenen Großvater den Titel „Lord“ und ein beträchtliches Stück Land geerbt hat, wirbt Miles auf Kolonie Beta, wo er seine Oma besucht, eine kleine Söldnertruppe von Deserteuren und Aussteigern an und bricht damit in die Galaxis auf. Sein Leibwächter Sergeant Bothari fasst sich mehrmals an den Kopf, in welche Schwierigkeiten sich Miles im Handumdrehen bringen kann.

Auf Kolonie Beta, der Heimat von Miles‘ Mutter und Großmutter, herrscht Demokratie und eine allmächtige Bürokratie, wie es scheint. Das Aufeinanderprallen von betanischer Demokratie und barrayaranischem Feudalismus gibt Anlass zu mehreren komischen Szenen. Aber auch Elena tut sich hervor: Erzkonservativ und behütet aufgewachsen, ist sie natürlich noch Jungfrau. Miles flüstert ihr ein, dass ihre Ohrringe für die freizügigen Betaner eine Aufforderung darstellen könnten, sie zu sexuellen Aktivitäten einzuladen. Prompt kommt es zu peinlichen Szenen, in denen sich die auf ihre Tugend bedachte Elena auf Beta recht unbeliebt macht.

Höchste Zeit, abzuhauen. Doch so ein Flug muss sich auch rentieren. Also braucht Miles eine Fracht. Doch welche Fracht lässt sich in eine Sperrzone um ein Kriegsgebiet schaffen? Natürlich nur Waffen! Diese lassen sich auf dem Frachtbrief (der laufend irrtümlich als „Manifest“ bezeichnet wird) zwar als „landwirtschaftliche Maschinen“ trefflich tarnen, doch sie entgehen keiner Kontrolle mit einem Massenspektrometer, wenn die Blockadewächter an Bord kommen.

Die Blockadewächter erweisen sich als stinknormale Plünderer und Piraten. Miles hat beschlossen, den Lammfrommen zu spielen. Alles geht zunächst gut. Die gut versteckten Waffen werden nicht entdeckt und die Piraten scheinen nur Geld zu wollen. Doch sie machen einen entscheidenden Fehler: Statt den Piloten wie ausgemacht als Geisel zu nehmen, verzichten sie auf ihn und „begnügen“ sich mit der hübschesten Fracht an Bord: Elena.

Das verstößt nun aber leider gegen sämtliche ritterlichen Lehenseide, die Miles geschworen hat. Er ist mit seinem Leben für seine Lehensleute – auch für den Piloten – verantwortlich, und dazu gehört auch die ihm anvertraute Elena. Mal ganz davon abgesehen, dass er sie auch noch liebt und ihr Vater an Bord ist. Am Ende eines kurzen Scharmützels bleibt von den Blockadewächtern nur eine Handvoll sehr bewusstloser Typen übrig.

Was jetzt, Miles? Der Plan mit dem Anschleichen ist wohl Makulatur. Da steckst du nun ganz tief in der Sch… Tinte.

_Mein Eindruck_

Dies ist der Auftakt zu einer übertriebenen Serie von Hochstapeleien, an deren Ende Miles rund 3000 Söldner kommandiert. Und für diese Erfolgsserie wird er in seiner Heimat des Hochverrats angeklagt: Er habe das Imperium stürzen wollen. So kann’s gehen: Es kann der Genialste nicht in Frieden siegen, wenn’s dem bösen Grafen nicht gefällt. Zum Glück erfährt Miles gerade noch rechtzeitig von dieser fiesen Intrige. Vorher aber muss er seinen idiotischen Vetter Ivan Vorpatril ausquetschen, der einfach nichts rafft. Nicht einmal, dass man ihn umlegen wollte.

|Eine Komödie|

„Der Kadett“ ist eine Komödie reinsten Wassers, und viele der entsprechenden Szenen verdanken ihre Wirkung den billigsten Dramen von Holo-Vids einerseits, aber auch dem Pomp und Zeremoniell, das man auf Barrayar nach alter Väter Sitte pflegt. So etwa auch die Sache mit der gegenseitigen Lehensverpflichtung. Funktioniert einfach viel besser als ein auf finanziellen Regelungen basierender Vertrag. Verträge kann man ohne Weiteres brechen, denn Papier und Elektronen sind geduldig. Doch wer sein Lehenswort bricht, ist des Todes. Und siehe da: Unter Miles klappt alles wie am Schnürchen – sobald ihm etwas eingefallen ist.

Miles ist ein großartiger Improvisator. Er plant nicht lange voraus, denn das wäre zwecklos. Deshalb vertraut er auf seine Geistesblitze, die mit zuverlässiger Regelmäßigkeit eintreten. Und wo Genie nicht mehr ausreicht, um eine verfahrene Situation zu retten, muss er seine diplomatischen Fähigkeiten einsetzen. Zu seinem schmerzvollen Erstaunen fällt auch die angebetete Elena Bothari in die Kategorie „extrem schwierig“. Sie hat nämlich das Geheimnis der Existenz ihres Vaters, Sergeant Botharis, erfahren, als sie ihre Mutter wiederfand.

|Eine Tragödie|

„Der Kadett“ ist somit nicht allein Komödie und Rummel, sondern auch auch ein Gutteil Tragödie. Leider basiert die Vorgeschichte dieser Tragödie auf den beiden Vorgängerbänden „Scherben der Ehre“ und „Barrayar“, zusammengefasst in [„Barrayar – Cordelias Ehre“. 865 Man muss sie nicht unbedingt kennen, um die Tragödie zu verstehen, aber es wäre eine große Hilfe. Mir ging es jedenfalls so, dass ich mich mehrmals fragte, wovon denn eigentlich die Rede ist. Warum wird Miles‘ Vater als „Schlächter von Komarr“ beschimpft? Warum wurde seine Mutter Opfer eines Giftgasanschlags?

Immerhin erfahren wir – mit Miles und Elena – , wieso sich Sergeant Bothari so seltsam verhält. Warum er stets wie der leibhaftige Tod in der Ecke gleich hinter seinem Schützling Miles steht und seinen Eltern mit Leib und Seele ergeben ist. Er hat sein Leben und – ebenso wichtig – seine Ehre verpfuscht durch das, was er Elenas Mutter angetan hat. Als diese Tätigkeit durch die Mutter ans Licht kommt, ist die Wirkung auf alle Anwesenden entsprechend dramatisch …

Es gibt viel zu lachen in dieser so genannten „Space Opera“, aber auch einige ernstere Aspekte sind zu entdecken.

|Die Übersetzung: nicht das Gelbe vom Ei|

Edda Petris Übersetzung aus dem Jahre 1999 weist einen inzwischen überholten Stand auf: Die Schreibweise von Namen und Welten wurde inzwischen angepasst und vereinheitlicht. Die Neuausgaben aller Barrayar-Romane und -Erzählungen, die |Heyne| inzwischen in chronologischer Reihenfolge veröffentlicht, bringt es an den Tag. Petris alte Übersetzung bietet beispielsweise solche Kuriositäten wie „Centaganda“ statt „Cetaganda“, und zwar nicht vereinzelt, sondern am laufenden Meter.

Das wäre noch zu verschmerzen, doch fehlen auch entscheidende Wörter wie ein „nicht“ hier und da und sogar ganze Sätze. So fand ich mich an einigen der dramatischsten Stellen plötzlich ratlos wieder, was denn nun gemeint sei. Erst ein Vergleich mit der Neuausgabe löste das Rätsel: Sätze fehlten!

_Unterm Strich_

Dieser Barrayar-Roman wurde zu Recht von den entzückten US-Lesern mit der höchsten Auszeichnung geehrt, dem |Hugo Gernsback Award|. Der Roman erschien beim Verlag |Baen Publishing|, der sich auf Militär-Science-Fiction und -Fantasy spezialisiert hat. (In der Neuausgabe erzählt die Autorin, wie es dazu kam.) Wahrscheinlich meinten die Leser, sie würden mit „Der Kadett“ ebenfalls Militaria geboten bekommen.

|Miles, der Zauberlehrling|

Doch genau genommen trifft es der Originaltitel viel besser: „The Warrior’s Apprentice“ ist eine Anspielung auf „the sorcerer’s apprentice“, den Zauberlehrling. Der 17 Jährchen junge Miles versucht sich als Führer einer kleinen Söldnertruppe und hofft, sich zu den Abnehmern seiner gefährlichen Fracht (Waffen) durchmogeln zu können. Doch wehe die Geister, wenn sie losgelassen! Nach wenigen Monaten hat er statt drei Leutchen eine mächtige Truppe von 3000 „Leutchen“ – darunter gestandene Generäle – zusammen, die ihn alle als „Admiral Naismith“ hochleben lassen! Wenn sie wüssten, dass er vom verhassten Planeten Barrayar stammt, wären sie viel leiser.

Das Besondere an dieser Variation auf den Zauberlehrling besteht darin, dass es keinen hilfreichen, weisen Zauberer à la Gandalf gibt, der Miles aus der Patsche hülfe. Das muss das junge Genie schon selbst leisten. Und wir schauen ihm mit Vergnügen dabei über die Schulter.

|Zwei Ausgaben – welche nehmen?|

Ansonsten kann ich nur dringend davon abraten, diese alte Textversion mit all ihren Fehlern anzuschaffen. Die Neuausgabe (als „Barrayar – Der junge Miles“, Januar 2005) ist zwar auch nicht ganz ohne Zweifelsfälle, aber wenigstens vereinheitlicht, ergänzt und korrigiert. Und sie hat ein erhellendes Nachwort der Autorin vorzuweisen, in dem sie sich ausführlich mit der komplexen Figur des Miles Vorkosigan beschäftigt. Nur weil er so vielschichtig ist, konnte er die restlichen Barrayar-Romane dominieren. Und davon sind ebenfalls etliche preisgekrönt, so etwa „Spiegeltanz“ (1995).

|Originaltitel: The Warrior’s Apprentice, 1986
Aus dem US-Englischen übersetzt von Edda Petri|

Child, Lee – Zeit der Rache (Jack Reacher)

„Zeit der Rache“ ist ein gut funktionierender Thriller, der den Leser erst hinters Licht führt und ihm erst ganz zum Schluss die Erleuchtung erlaubt. Nach seinen Abenteuern in [„Ausgeliefert“ 905 und „Sein wahres Gesicht“ bekommt es diesmal Jack Reacher, der Ex-Militärpolizist, schon wieder mit dem FBI zu tun, der amerikanischen Bundespolizei.

_Handlung_

Eigentlich will Jack Reacher, Ex-Bulle und Ex-Soldat, nur in Ruhe bei „seinem Italiener“ in Manhattan frühstücken. Die Nacht hat er wie üblich in der Wohnung seiner Freundin Jodie, einer erfolgreichen Anwältin und Ex-Soldatin, verbracht. Er ist immer noch der alte Streuner, der den Blick nach vorn auf den Horizont richtet. Und so kann er es überhaupt nicht ertragen, als zwei Gangster „seinen Italiener“ um Schutzgeld erpressen. Selbst ist der Soldat: Also nimmt er sich der beiden an. Nach einem kurzen Kampf sind sie krankenhausreif.

Das hätte er bleiben lassen sollen: Nun hat das FBI, das ihn seit acht Tagen beschattet, etwas gegen ihn in der Hand. Die Leute um Deerfield und Blake suchen angeblich einen Serienmörder, der ehemalige Soldatinnen umbringt. Deren einziges Verbrechen scheint darin bestanden zu haben, dass sie gegen sexuelle Belästigung bei Barras prozessiert hatten. Und der Steckbrief passt angeblich auf Reacher selbst.

Aber das ist nur ein Vorwand, um ihn am Wickel zu kriegen. Sie wollen seine Beraterhilfe, und die bekommen sie nur, wenn sie ihm etwas anhängen können. Reacher kann alle Angriffe parieren, doch als das FBI fieserweise andeutet, dass sie dem Schutzgelderpresser einen Hinweis auf Reachers Freundin Jodie geben könnten, muss er klein beigeben. Er wird in Quantico einquartiert, in einem Zimmer ohne Türgriff …

Die Jagd nach dem angeblichen Serienkiller führt zunächst zum potenziellen Opfer Nummer vier: Alison Lamarr, die Stiefschwester der FBI-Psychologin und Profilerin Julia Lamarr, lebt in Oregon. Reacher und seine Beschatterin Lisa Harper warnen Alison und erkundigen sich nach Gemeinsamkeiten mit den drei anderen Opfern. Diese waren nackt in einer Badewanne voller Tarnfarbe gefunden worden. Wollte sich der Täter an den aufmüpfigen Militärangehörigen rächen? Doch wie starben die Frauen? Nicht einmal erfahrene Pathologen wissen es zu sagen, und allmählich kommt Reacher – der nur wider Willen mitmacht – das Ganze reichlich bizarr vor.

Nach einem unentdeckten Ausflug gelingt es ihm, den New Yorker Schutzgelderpresser aus dem Verkehr ziehen zu lassen: Ein Bandenkrieg, den er anzettelt, erledigt das für ihn. Leider hat Reacher eine Kleinigkeit übersehen, und so ist er immer noch nicht aus dem Schneider. Als Alison Lamarr auf die gleiche Weise ermordet wird wie die drei anderen Frauen, wird er ziemlich wütend – nicht nur auf den Mörder, sondern auf sich selbst wegen seiner Dummheit. Er hat sich an der Nase herumführen lassen, ist von einem Gespinst aus Lügen umgeben. Und Lieutenant Rita Scimeca in Portland, Oregon, ist die nächste.

Während wir den Aktionen des Täters in eingefügten Abschnitten, die wie die „subjektive Kamera“ funktionieren, folgen, der Scimeca auskundschaftet, folgen Reacher und Harper einer falschen Fährte. Hier führt der Autor den Leser an der Nase herum. Doch Reacher hat das ein wenig geahnt und sich seine Gedanken gemacht. Als ihn der Gruppenleiter Blake wegen Erfolglosigkeit abserviert, kann und muss er daher auf eigene Faust (mit Harpers Hilfe) weitermachen. Ein Wettlauf gegen die Uhr beginnt: Kann er Rita Scimeca, die Pianistin, retten?

_Mein Eindruck_

|Flüssig zu lesen|

Das Buch liest sich unglaublich flüssig. Sich die Szenen vorzustellen ist sehr einfach, denn der Autor, der zwanzig Jahre lang britische Krimisendungen fürs TV produzierte, beschreibt jedes wichtige (und unscheinbare) Detail genau und mit treffenden Worten. Auffallend sind die genauen Beschreibungen von Kleidung und Innenausstattungen. So etwas findet man selten in US-Krimis. Außerdem benutzt Child gern kurze Sätze. Der Leser braucht sich also nicht den Kopf über syntaktische Konstruktionen zu zerbrechen, sondern kann einfach und direkt jeden Satz verstehen. Die Kürze bezieht sich allerdings nicht auf die Länge der Kapitel. Anders als bei James Patterson sind die Kapitel nicht nur drei bis vier Seiten lang, sondern mitunter zwanzig.

|Ein Berg von Lügen|

Anspruchsvolle Leser sollten sich von der Einfachheit und Ausführlichkeit nicht täuschen lassen. Der Autor versucht sie an der Nase herumzuführen. Der Mörder versucht das Gleiche mit Reacher, und Reacher das Gleiche mit dem FBI. Ein Berg von Lügen macht mindestens neunzig Prozent des Buches aus. Es kommt also darauf an, die wahren Sätze zu finden. Sie werden meistens von Reachers Freundin gesprochen. Es geht darum, als Paar zusammenzubleiben, obwohl Reacher der Streuner bleiben will, der er ist, und sie, Jodie, sich als Teilhaberin ihrer Kanzlei fest einrichten will.

|Exoten unter sich|

FBI-Frau Harper weiß genau, welche Zerreißprobe Reacher durchmacht. Sie ist erstaunlich realistisch gezeichnet (wie fast alle Frauenfiguren bei Child). Denn so wie Reacher als Nomade ein Exot unter Sesshaften ist, so ist sie als Frau in einem Männerladen wie dem FBI ein Exot: Selbst oder besonders dann, wenn sie Männeranzüge trägt. Erst als Reacher keine dummen Sprüche klopft, wird sie offener und zugänglich. Und als er sie küsst, kommt ihm die zündende Idee, wie die Opfer gestorben sein könnten.

|Schlacht der Systeme|

Der eigentliche Grund für die Morde ist erstens Irreführung, zweitens Tarnung und erst drittens ein banales Kapitalverbrechen. Doch der Grund, warum man einen Berater wie Reacher beim FBI braucht, liegt darin, dass er als Ex-Militärpolizist nützliche Verbindungen zum Militär haben könnte. FBI und Militär können einander nicht ausstehen. Ebenso wenig wie FBI und CIA oder andere Sicherheitsorganisationen. Dies wird in zahlreichen kleinen Szenen deutlich. Reacher ist der Mittelsmann, der aber weder hier noch da etwas zu melden hat – was seine Position nicht nur etwas seltsam, sondern in machen Situationen absurd erscheinen lässt. Und gerade dann, als es auf sein Eingreifen ankommt, wird er eiskalt abserviert. Typisch. Es grenzt an ein Wunder, dass das FBI überhaupt einen Fall aufklärt.

Das Einzige, was mich hierbei gestört hat: Die FBler stehen wie Idioten da, Lisa Harper liefert meist nur Stichwörter, doch Reacher erscheint dadurch als der weise Mann, der Allwissende. Das trifft natürlich zu (siehe oben). Selbst als er am Schluss alles erklärt, lässt sich seine Argumentation locker ad absurdum führen. Was sollen wir also mit einem Allwissenden anfangen, der sofort widerlegt wird? Vielleicht will uns der Autor sagen, dass wir nicht an Heilige glauben sollen. Die gibt es nicht.

|Lob des Realismus|

Für einen Briten kennt sich der Autor erstaunlich gut in den jeweiligen Mechanismen der beiden Systeme aus, ihren Methoden, Verhaltensweisen und Umgangsformen. Child ist inzwischen auch in die Staaten übersiedelt. Seine Kenntnisse vermitteln nicht nur seiner Geschichte Realismus, sondern dem Leser Vertrauen in das Erzählte (auch wenn das Erzählte oft täuscht). Daher weiß er auch die Vorgehensweise des Mörders rational zu erklären und nicht etwa, wie mancher Leser meinen könnte, mit Übernatürlichem. Child hat sich offensichtlich eingehend mit allen möglichen Todesarten befasst, doch es gibt tatsächlich eine, die nicht festzustellen ist. (Ich werde mich hüten, sie hier zu verraten.)

_Unterm Strich_

Als Krimi ist „Zeit der Rache“ (Der „Visitor“ aus dem O-Titel ist natürlich der Mörder, könnte aber auch auf Reachers Rolle beim FBI zutreffen) gut gelungen. Child wird aber noch eine Weile brauchen, bis er in die literarische Klasse von John Le Carré oder Fredrik Skagen aufgestiegen ist. Er kann es aber locker mit Michael Connelly („Schwarze Engel“, „Unbekannt verzogen“, „Kein Engel so rein“) und Dennis Lehane („Regenzauber“, „Mystic River“, ) aufnehmen.

Homepage des Autors: http://www.leechild.com.

|Originaltitel: The Visitor, 2000
Aus dem US-Englischen übertragen von Georg Schmidt|

Ace Atkins: Robert B. Parker’s Cheap Shot. A Spenser Novel

Shootout im Haifischbecken

Spenser soll herausfinden, wer die Männer sind, die den bekannten Football-Spieler Kinjo Heywood belästigen. Heywoods Probleme scheinen mit einer Schießerei in einem Nightclub zusammenzuhängen, die zwei Jahre zuvor passierte. Akira, Heywoods neunjähriger Sohn, wird entführt, Lösegeld gefordert, schon folgt Spenser einer Spur durch die Bostoner Unterwelt. Hawk und Zebulon Sixkill decken Spensers Rücken. Da trifft Heywood eine fragwürdige Entscheidung nach der anderen…

„Cheap Shot“ bedeutet in der Umgangssprache so viel wie „unfair, ungerechtfertigt, gegen die Regeln, unter der Gürtellinie“.

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Michael Connelly – The Burning Room (Harry Bosch 19)

Thrillerspannung im Doppelpack: Ermittlungen unter Latinos

Nach zehn Jahren stirbt ein Mariachi-Musiker an einer alten Schusswunde. Die Kugel birgt mehrere Überraschungen: Dieser angebliche Zufallstreffer war ein gezielter Schuss – aber er traf das falsche Opfer. Und während Harry Bosch noch über dieses Rätsel grübelt, entdeckt er, dass seine neue Partnerin Lucia Soto insgeheim eine eigene Ermittlung gestartet hat. Sie will den kindlichen Opfern eines vor 20 Jahren gelegten Brandes Gerechtigkeit widerfahren lassen dem sie als einzige lebend entkam.

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Hohlbein, Wolfgang / Lüftner, Kai – Kevin von Locksley

_Kampf gegen Sheriff und Zauberer_

Mittelalter in England. Eines Tages taucht ein seltsamer junger Mann in den Wäldern um Nottingham auf. Er nennt sich Kevin von Locksley und behauptet, der leibhaftige Halbbruder des legendären Robin Hood zu sein. Niemand glaubt ihm, doch Kevin kann seine Behauptung mit Brief und Siegel belegen – und er weiß etwas, was sonst niemand im Lande weiß: Der tapfere König Richard Löwenherz soll Opfer einer großen Verschwörung werden. (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab zehn Jahren.

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der Achtzigerjahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

|Wolfgang Hohlbein auf Buchwurm.info| (Auswahl):

[„Anubis“ 2826
[„Horus“ 4079
[„Das Paulus-Evangelium“ 2630
[„Das Paulus-Evangelium“ 4007 (Hörbuch)
[„Von Hexen und Drachen. Das große Wolfgang-Hohlbein-Buch“ 3470
[„Das Blut der Templer“ 3235
[„Fluch der Karibik 2 – Dead Man’s Chest“ 2717
[„Die Zauberin von Märchenmond“ 2053
[„Märchenmond“ 1882
[„Hagen von Tronje“ 1860 (Hörbuch)
[„Feuer“ 816
[„Dunkel“ 552 (Hörbuch)
[„Dunkel“ 69
[„Der Hexer von Salem“ 249
[„Die Spur des Hexers“ 4081 (Der Hexer von Salem 1)
[„Der Seelenfresser“ 4141 (Der Hexer von Salem 2)
[„Engel des Bösen“ 4206 (Der Hexer von Salem 3)
[„Der achtarmige Tod“ 4353 (Der Hexer von Salem 4)
[„Intruder“ 144 (Hörbuch)

_Der Sprecher_

Timmo Niesner begann bereits im Teenageralter beim Fernsehen. Es folgten viele weitere TV-Rollen. Er ist die deutsche Synchronstimme von Elijah Wood, des Frodo in Peter Jacksons Verfilmung von „Der Herr der Ringe“, und vielen weiteren Schauspielern. (abgewandelte Verlagsinfo)

Bei diesem Hörbuch handelt es sich um die inszenierte Lesung der bearbeiteten (= gekürzten) Textfassung. Für Redaktion und Regie zeichnete Kai Lüftner verantwortlich, die Musik trugen Andy Matern, Dicky Hank und Dennis Kassel bei. Hank und Kassel besorgten auch die Inszenierung. Die Aufnahme leitete Lars Ullrich.

_Handlung_

Kevin schleicht mit seinem Freund Arnulf, dem Wikinger, und vier weiteren Gefährten durch den Sherwood Forest. Man schreib das Jahr 1190, und König Richard Löwenherz befindet sich auf dem Kreuzzug im Heiligen Land. Seit seiner Abreise sind die Zeiten unsicher geworden, und Kevin ist nur ein ungebildeter Bauernjunge aus der nordirischen Grafschaft Ulster. Der Fünfzehnjährige und seine Freunde sind lieber vorsichtig, denn sie haben die Spuren von acht Pferden gefunden. Doch wo sind die Reiter? Auf einer Lichtung rasten sie und Kevin ergreift die Gelegenheit, an einem Bach zu trinken. Dort findet er im Wasser eine goldene Münze. Arnulf meint, sie wurde offenbar von den Reitern verloren, die zuvor hier durchkamen.

Wenig später stoßen sie vorsichtig auf einen Trupp von Männern, die offensichtlich auf etwas warten. Sie sehen aus wie die rebellischen Waldbewohner und Räuber, vor denen sie der letzte Bauer gewarnt hat. Sie liegen allem Anschein in einem Hinterhalt. Sie haben es auf die Reiter abgesehen, die nun in sich Sicht kommen. Der vorderste Reiter trägt das gleiche Wappen, einen Greifen, das auch Kevin als seines anerkennt: das seines Vaters, des Earl of Locksley!

Arnulf brüllt los, um die Reiter zu warnen, und schon geht der Kampf los. Kevin, der ungeübte Schwertkämpfer, macht dabei keine sonderlich gute Figur. Arnulf muss ihm das Leben retten. Der Reiter mit dem Greifenwappen ist Robin von Locksley, und als er hört, dass Kevin sein Halbbruder aus Ulster sein soll, lach er erst einmal. Dann lädt er alle auf Locksley Castle ein. Die Burg ist heruntergekommen, die Mauern werden ausgebessert. Als Kevin ihm jenen Brief zeigt, der seine Abstammung beglaubigen soll, wischt Robin auch diesen beiseite. Doch er glaubt schließlich Arnulf, der schwört, dass Kevin tatsächlich der uneheliche Sohn des Grafen sei. Die Mutter, eine Bäuerin aus Ulster, die den verletzten Grafen und Arnulf gesundpflegte, ist vor einem Jahr gestorben.

Nachdem dies geregelt ist, hofft Kevin auf die Öffnung der Pforten des Paradieses, doch was er bekommt, sind nur eine zugige Kammer und jede Menge Arbeit. Drei Tage später nähern sich zehn Reiter der Burg. Es ist Guy von Gisborne, der junge und ziemlich hochnäsige Neffe des Sheriffs von Nottingham. Der Reiter neben ihm ist ein dunkelhäutiger Maure, und Robin nennt ihn einen Hexenmeister, obwohl er selbst nicht an Zauberei glaubt. Guy überbringt eine Einladung, die eine Beleidigung beinhaltet: Der Sheriff will seine Verlobung mit Lady Marian aus Darwin verkünden, doch Lady Marian ist bereits Robin versprochen, den sie innig liebt. Aber Marian ist die Kusine des Königs und benötigt zur Heirat dessen Erlaubnis.

Am Abend eilt Robin allein zu Marian, und Kevin macht sich Sorgen um seinen Bruder. Nach einem warnenden Traum macht er sich auf eine verrückte Suche. Doch natürlich verirrt er sich im Handumdrehen im nächtlichen Sherwood Forest. Zufällig stößt er auf den maurischen „Hexenmeister“ und stutzt. Wie seltsam – der Mann scheint mit rotäugigen Wölfen zu sprechen, und als der Mann ihn entdeckt, glühen auch seine Augen rot! Nur das Eingreifen unbekannter Männer rettet Kevin vor drei Wölfen, die der Maure auf ihn hetzt.

Der Anführer der Männer ist ein wahrer Riese, doch er trägt den Spitznamen „Little“ John, und seine Waffe ist ein riesiger Knüppel. Kevins Schutzlügen werden sofort entlarvt, als Johns Gefährte Will sagt, dass er Kevin auf Burg Locksley gesehen habe. Das gibt Kevin zu, und obendrein sagt er aus Trotz, er habe ja sogar ihren Hinterhalt gegen Robin, seinen Bruder, vereitelt. Die Waldbewohner reagieren verwundert. In ihrem Dorf aus Laubhütten bereden sie die Sache weiter. Sie wissen von keinem Hinterhalt. Will ihnen jemand ein Verbrechen in die Schuhe schieben? Little John hasst den Sheriff, der ihm und seinen Gefährten das Land gestohlen hat. Während Robin ihn ab und zu jagen lässt, sind Gisbornes Männer ständig hinter den Waldbewohnern her.

Nach seiner Rückkehr in die Burg erzählt Kevin von seinen Erlebnissen. Da stürzt ein Bediensteter mit der Nachricht herein, dass Guy von Gisborne Jagd auf einen der Rebellen aus dem Wald mache. Robin reitet mit Kevin, Arnulf und einigen Bewaffneten los, um den Neffen des Sheriffs von seinem Land zu vertreiben. Das Aufeinandertreffen zeitigt jedoch verhängnisvolle Folgen. Robin wird vor Gericht zitiert …

_Mein Eindruck_

An der Heldenlegende des Robin Hood haben etliche Autoren mitgeschrieben, und heute kennt jedes Kind Robin Hood. Erste Erwähnung des wohltätigen Rächers findet sich bereits in Texten des 14. Jahrhunderts. Demnach versteckte sich der entrechtete ehemalige Bauer im ausgedehnten Sherwood Forest, nachdem ihm der Sheriff von Nottingham sein Land gestohlen hatte. Robin wurde zum Geächteten und sann auf Rache. Zum adligen Erben von Locksley wurde er erst später, und dann erst war er auf einer sozialen Ebene, um Lady Marian den Hof zu machen.

Wer den Kevin-Costner-Film kennt, der kennt auch die Handlung ungefähr, so etwa die Entführung Lady Marians durch den Sheriff. Nur dass bei Hohlbein ein paar Dinge verdreht werden, und zwar deshalb, weil es hier erst durch die geschilderten Auseinandersetzungen dazu kommt, dass Robin von Locksley zu Robin Hood wird. Und Robin hat keineswegs einen Sarazenen als Begleiter, sondern einen solchen als Widersacher.

Wer jetzt einen historischen Actionroman erwartet, der liegt nicht ganz verkehrt, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Wie so oft bei Hohlbein muss noch irgendein magischer Aspekt hinzukommen, damit sich das Buch auch als Fantasy verkaufen lässt. Dieses Element bringt der Schwarzmagier Hassan ein. Allein schon die Szene, in der er mit Wölfen spricht, stellt Kevin die Nackenhaare auf. Später wird es noch viel gruseliger.

Die Ironie der Erzählung will es, dass nicht Hassan für den Urheber der Magie gehalten wird, sondern Kevin. Der weiß zunächst nicht, wieso die Leute vor ihm angstvoll zurückweichen. Sie ahnen nur, dass ein namenloses Grauen sie erfüllt, als ob der Leibhaftige unter ihnen wandeln würde. Folgerichtig wird Kevin als Schwarzmagier und Satansjünger von eben jenem heuchlerischen Sheriff angeklagt, der sich der Dienste eines Hexers bedient. (Man erinnere sich an das gleiche Motiv im Film mit Costner.)

Später gelingt es Kevin in einem kühnen Schachzug, diese Angst vor seiner Magie gegen den Feind einzusetzen, aber die Sache hat einen Haken: Angst wirkt nach beiden Seiten, also auch auf die Freunde. Erst nach vielen Erklärungen und den Appellen Robins zur Vernunft lassen sich die einfachen Bauern und Waldläufer Little Johns beruhigen. Aber wer weiß schon, was von dem jungen Kevin noch zu erwarten ist …

_Die Inszenierung_

Bei diesem Hörbuch handelt es sich um eine inszenierte Lesung, wie sie in dieser |Wellenreiter|-Reihe öfters auftaucht. Das ist für ein junges Publikum einfach unterhaltsamer als eine pure Textlesung.

|Der Sprecher|

Der Sprecher erzählt alle Vorgänge aus dem Blickwinkel der Hauptfigur Kevin. Da dieser ein 15-jähriger Junge ist, wirkt die jugendliche Stimmlage des Sprechers sehr passend. Und dies ist die deutsche Stimme Elijah „Frodo“ Woods, dürfte also jedem vertraut sein, der Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung gesehen hat (und das waren ja nicht wenige). Doch Kevin ist kein zweiter Frodo, sondern ein junger Mann, der auf Kämpfe brennt, um seinen König, den geliebten Richard Löwenherz, zu schützen. Allein bei dessen Namen ist Kevin begeistert, umso mehr, als Robin der Freund des Königs zu sein scheint.

Aber Kevin lernt auch die Liebe kennen, in Gestalt von Lady Marians Zofe Susan. Hilflos stammelt angesichts der betörenden jungen Frau, die ihm das Hirn verknotet. Aber auch Marian hat es faustdick hinter den Ohren, und mit wiederholtem Flüstern verhilft sie dem vom Sheriff eingekerkerten Kevin zur Freiheit.

Die Schurken haben entweder sehr verschlagene Stimmen wie Guy von Gisborne oder sehr autoritäre wie etwa der Sheriff. Dieser verpackt seine Grausamkeit mitunter hinter huldvoller Aufmerksamkeit. Arnuld und Little John treten mit tiefen Stimmen auf, wie es sich für große, gestandene Männer vom Wikingerformat geziemt. Leider spricht der Maure Hassan fast nie, und wenn, dann mit einem schweren orientalischen Akzent, der wohl andeuten soll, dass er Maure ist (nicht notwendigerweise Araber, denn Mauren gab es auch in Spanien).

|Musik und Geräusche|

Schon beim ersten Kampf hören wir Schwerter klirren, aber so gedämpft im Hintergrund, dass der Vortrag im Vordergrund nicht überdeckt oder gestört wird. Auf Burg Locksley beispielsweise sind zudem Stimmen, Pferdehufe, Hämmern und viele andere Geräusche zu hören, aber ebenfalls gedämpft im Hintergrund. Dieses Gestaltungsprinzip gilt für alle Geräusche, insbesondere für die Massenszenen und die Kämpfe. Man darf sich also keinen Film-Sound darunter vorstellen.

Die Musik tut ebenfalls nichts, um auf sich aufmerksam zu machen, sondern beeinflusst die Gefühle des Zuhörers unterschwellig. So unterstreichen beispielsweise majestätische Akkorde das Thema der Herrschaft, als Kevin erstmals Locksley Castle betritt.

Ein wiederkehrendes Musikmotiv ist mehr ein sehr tiefer Sound: Mit diesem Klang wird immer wieder der Auftritt des maurischen Hexers Hassan verknüpft, so dass der dadurch konditionierte Zuhörer schon ohne Namen weiß, wer nun gleich auftritt. Um anzuzeigen, dass die Magie des Hexers auf die Menschen wirkt, hat die Tonregie einen undefinierbaren Sound eingesetzt, der sowohl das Element des Unheimlichen wie auch des Mystischen in sich vereint.

|Das Booklet|

Das Booklet listet zunächst die Mitarbeiter an dieser Produktion auf, beschreibt dann aber kurz die Legende des Robin Hood. Schließlich stellt der Text Hohlbeins Fortschreibung der Legende mit Robins Halbbruder Kevin vor. Auf der letzten Seite kündigt der Verlag die Fortsetzung an, „Kevins Reise“, die ebenfalls von Timmo Niesner gelesen wird. Sie soll im Juni 2008 erscheinen.

_Unterm Strich_

Der Roman erzählt die Vorgeschichte, wie es dazu kam, dass aus Robin von Locksley, dem rechtmäßigen Erben und Freund des Königs, ein Geächteter und Rebell im Sherwood Forest wurde. Diese Wandlung erlebt sein frei erfundener Halbbruder Kevin mit, der zwar nicht auf den Kopf gefallen ist, aber als Bauerntrampel noch einiges über die Wege der Welt lernen muss – und wo bei einem Schwert vorne ist.

Dass Kevin auch die Freuden und Qualen der Liebe kennenlernt, gehört natürlich zu den Abenteuern eines 15-Jährigen hinzu. Und als man jemanden braucht, um König Richard Löwenherz vor dem Mordkomplott des Sheriffs zu warnen, auf wen fällt da die Wahl? Erraten. Diese Geschehnisse werden in der Fortsetzung „Kevins Reise“ erzählt, die im Juni 2008 als Hörbuch folgt.

Der Sprecher trägt einen großen Teil dazu bei, dass die ungewöhnlich actionreiche Handlung wirklich Spaß macht und den Hörer mit Action, Magie und Humor unterhält. Die Musik und die Geräusche stören seinen Vortrag nicht, sondern unterstützen die Emotionalität der Szenen und vermitteln mit gedämpften Hintergrundgeräuschen einen realistischeren Eindruck. Das werden vor allem junge Hörer unterhaltsamer finden als einen puren Vortrag.

Leider hat dieser Aufwand – und vielleicht auch der Autor – auch einen Preis, und für die zwei CDs muss man knapp 15 Euro hinblättern. Aber es lohnt sich.

Fazit: Volltreffer.

|Originalveröffentlichung 1994
145 Minuten auf 2 CDs|
http://www.wellenreiter.la
http://www.luebbe-audio.de

Michael Connelly – The Gods of Guilt (Mickey Haller 5)

Achterbahnfahrt mit den Göttern der Schuld

Als ein des Mordes verdächtiger Web-Programmierer Verteidiger Mickey Haller um Hilfe bittet, beruft er sich auf eine Prostituierte, der Haller vor Jahren einmal zu einem zweiten Start verholfen hat. Diese Nutte soll der Programmierer nach Angaben des LAPD getötet haben, doch der streitet das vehement ab. Für Haller ist klar, dass er diesen Fall annimmt – er könnte ja derjenige sein, der die moralische Schuld an ihrem Tod trägt…

Der Autor

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