Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Isaac Asimov – Das Foundation-Projekt (Foundation-Zyklus 7)

Aus Isaac Asimovs großem Foundation-Zyklus liegt uns mit „Das Foundation-Projekt“ der siebente Band vor. Es ist der direkte Vorgänger der berühmten „Foundation-Trilogie“, die gleichsam Ursprung und wichtigstes Werk des Zyklus‘ ist. Im Foundation-Projekt lässt Asimov uns den Weg des großartigen Mathematikers Hari Seldon verfolgen, seinen Lebensweg und seine Entwicklung der Psychohistorik, durch die er der Menschheit den Weg aus dem Chaos nach dem Fall des Trantorschen Imperiums ebnen will.

Isaac Asimov wurde in der Sowjetunion geboren und emigrierte mit seinen Eltern in die USA, wo er neben seinem Studium der Chemie bereits Science-Fiction-Erzählungen schrieb und veröffentlichte. Besondere Steckenpferde waren ihm seine Erzählungen um die Roboter und ihre Psychologie sowie der große Entwicklungsbogen um die Zukunft der Menschheit; beide verband er schlussendlich in dem zehnbändigen „Foundation-Zyklus“, der somit als sein großes Werk angesehen werden kann. Asimov starb im April 1992.
Weitere Infos: http://www.asimovonline.com.

DER FOUNDATION-ZYKLUS
1. Meine Freunde die Roboter
2. Die Stahlhöhlen
3. Der Aufbruch zu den Sternen
4. Das galaktische Imperium
5. Die frühe Foundation-Trilogie
6. Die Rettung des Imperiums
7. Das Foundation-Projekt
8. Die Foundation-Trilogie
9. Die Suche nach der Erde
10. Die Rückkehr zur Erde

Hari Seldon arbeitet als Mathematikprofessor an einer Universität auf und in Trantor, der Hauptwelt und –stadt des Imperiums. Vor einigen Jahren hielt er einen übereifrigen Vortrag über seine Idee der Psychohistorik – einem mathematischen Modell zur Berechnung menschlicher Handlungen, nur anwendbar auf sehr große Gruppen, vergleichbar mit den physikalischen Gesetzen der Thermodynamik. Er wurde verlacht, nur Kaiser Cleon I. und sein Kanzler Demerzel (hinter dem sich der Roboter Daneel Oliwav verbirgt – was für eine Überraschung!) interessieren sich vorerst für seine Ansätze, könnte damit doch die Zukunft vorhergesagt und das bereits zerfallende Imperium gerettet werden!

Entgegen vielerlei Gefahren und politischen Attentaten, treibt Seldon seine Forschungen voran und entwickelt dabei mit Hilfe eines Teams die Geräte und die Mathematik, die später von der Zweiten Foundation benutzt werden würden. Gerade seine Enkeltochter entpuppt sich als erste Kandidatin für die zweite Foundation, die mit geistigen Kräften über die erste Foundation wachen soll. Das Projekt steht in den Startlöchern, Seldon ist mittlerweile uralt und hat alle seine Freunde und Verwandten überlebt, abgesehen von seiner Enkelin und ihrem Partner, Stettin Palver.

Dieser siebente Band des Zyklus stellt den Auftakt zur Foundation-Trilogie dar, die viele Jahrzehnte früher geschrieben wurde. Das Foundation-Projekt erschien erstmals im Jahre 1991, wohl als letzter Baustein des großen Zyklus. Man merkt ihm leider auch an, dass er eine Lücke füllt und das Geheimnis um den mysteriösen Entwickler der Psychohistorik lüftet. Die Handlung ist durchdacht und in Asimov-typischem Stil geschrieben, aber gewisse Details (wie die Anwesenheit von Daneel und anderer Roboter) lassen den Roman überladen wirken.

Stettin Palver ist tatsächlich ein Urahn von Preem Palver, der im Laufe der Trilogie eine wichtige Tat zur Rettung des Projekts vollbringt. Somit konnte es Asimov auch hier nicht lassen, Anspielungen auf seine „früheren“ Romane (die zeitlich später spielen) anzubringen. Daneel Oliwav, der Roboter, der bereits in den ersten Agentenromanen um die Entwicklung der Menschheit auftritt (siehe: Die Stahlhöhlen), hat ein kurzes Gastspiel und offenbart schon Fähigkeiten, die erst im zehnten Band ihre Erklärung finden (siehe: Die Rückkehr zur Erde). Insgesamt wirkt der Roman deutlich konstruiert, und mit seiner Entmystifizierung von Seldon hat Asimov dem großen Ganzen keinen Gefallen getan. Die einzelnen Romane bleiben für sich spannend, aber schließlich bleiben so gut wie keine Fragen mehr offen, die zu jenem universellen Gefühl führen könnten, das man allgemein als „sense of wonder“ bezeichnet (und das leider viel zu oft auch sinnentfremdet Verwendung findet).

Empfehlenswert ist, die Foundation-Trilogie und die beiden Folgeromane in Reihenfolge zu lesen und zu genießen, außerdem bieten die ersten Bände um die Roboter und die Agentengeschichten bis mindestens zur „Frühen Foundation-Trilogie“ hervorragende Unterhaltung. Band 6 „Die Rettung des Imperiums“ kann ich nicht beurteilen, da es leider vergriffen ist, aber den vorliegenden Band 7 sollte man nur lesen, wenn man nicht von Asimov lassen kann und der künstlich zusammengestellten Reihe vollständig folgen will. „Das Foundation-Projekt“ ist zweifellos ein unterhaltsames Buch, aber durch Asimovs zwanghafte Versuche, sein Werk in eine Form zu pressen, verliert es durch seine künstliche Konstruktion und die Überladung mit Anspielungen ein nicht unerhebliches Maß an Reiz.

Andreas Eschbach – Die Haarteppichknüpfer

Mit „Die Haarteppichknüpfer“ gab Andreas Eschbach sein Debüt im Roman. Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft, in einer fernen Galaxis, in einem Universum, das zu großen Teilen vom „Sternenkaiser“ beherrscht wird. Zu seinen Ehren und um seinen unvorstellbaren Sternenpalast zu schmücken, gibt es die Haarteppichknüpfer, die ihr Leben lang an einem einzigen Teppich aus dem Haar ihrer Frauen und Töchter arbeiten.

Andreas Eschbach lebt und arbeitet „im Urlaub“, in der französischen Bretagne, wohin es ihn kürzlich mit seiner Familie zog. Neben Science-Fiction-Romanen wie „Quest“, „Solarstation“ und den Jugendbüchern um „Das Marsprojekt“ ist er auch sehr erfolgreich mit den Thrillern „Jesus-Video“ (verfilmt), „Eine Billion Dollar“ und „Der Letzte seiner Art“. Mit „Der Nobelpreis“ wird im September 2005 sein neuester Roman erscheinen. Und seit 2005 ist sein erster Roman unter dem Titel „The Carpet Makers“ in den USA erschienen.
Weitere Infos: http://www.andreaseschbach.de.

Wohin damit?

In der Klause des Haarteppichknüpfers Oswan spielt sich eine Tragödie ab: Traditionell ernährt ein Knüpfer eine Familie mit vielen Frauen und Töchtern, um an verschiedenfarbiges Haar zu kommen, aber höchstens einen Sohn, da der Erlös eines Haarteppichs nur für eine Familie reicht. Oswans Sohn ist dem Gewerbe jedoch abgeneigt und besucht lieber die Schule und den Lehrer bei seinen Diskussionsabenden, um Bücher zu lesen (was verboten ist) und Wissen zu erlangen (was normalerweise unmöglich ist). Oswan ist verzweifelt. Es scheint ein Zeichen des Kaisers zu sein, als seine Frau einen zweiten Sohn gebärt. Oswan nimmt das traditionelle Schwert von der Wand und erschlägt den älteren.

Als ein Haarteppichhändler die Stadt besucht, sickert das erste Mal das Gerücht durch, der Kaiser habe abgedankt! Völlig unglaublich, denn der Kaiser herrscht schon seit Jahrtausenden über sein Reich. Es tauchen Männer auf, die sich Rebellen nennen und mit einer Fotografie des toten Kaisers ihre Überzeugungsmission beginnen, doch oft scheitern sie an den Traditionen und der Borniertheit der Menschen. Bis sie auf ein Geheimnis stoßen: Jeder Planet dieser Galaxis dient einzig der Haarteppichproduktion, und jeder Planet ist der Meinung, einziger Produzent zu sein. Doch im Sternenpalast findet sich kein einziger Haarteppich. Wohin also verschwindet die Produktion einer ganzen Galaxis?

Gut, aber warum?

Die „Haarteppichknüpfer“ kann man kaum nüchtern analysieren. Was genau macht diese Geschichte zu etwas Besonderem? Das große Rätsel um den Sinn der Teppiche und damit den Sinn des Lebens einer ganzen Galaxis hält eine große Spannung über den ganzen Roman aufrecht, in Bruchstücken erhalten wir die Informationen, die wir brauchen, um das Bild zusammenzusetzen, und langsam zeichnet sich ein faszinierendes, unglaublich weiträumiges Drama ab, dem wir aber bis auf die letzten Seiten nicht in letzter Konsequenz selbst auf die Spur kommen können, ohne die führende Hand der Protagonisten, wo der Archivar des Kaisers eine sehr wichtige Rolle spielt. Wie die Rebellen, stehen wir vor dem Berg des Wissens und wissen doch nicht genug, um die Wahrheit zu erkennen. Zum Glück entsteht eine erstaunliche Liebe, die einen Insider zu unserem Informanten macht, unter dessen gewaltigem Wissen das Rätsel seine Lösung findet.

Dieser eine Teil der Geschichte ist ein bisschen unbefriedigend, wenn man auf die großartige Handlung der vorangegangenen Kapitel zurückblickt. Hier enthüllt jemand in einer mündlichen Erzählung die letzten Geheimnisse; ohne diese Unterstützung hätte das Buch seine Aufgabe nicht erfüllen können. Und im Endeffekt stehen wir doch nur staunend vor der Geschichte, die sich noch unüberschaubar in die Tiefen jenes Reservoirs erstreckt, aus dem die guten Erzählungen stammen.

Auch nach zehn Jahren seit dem ersten Erscheinen des Romans fesselt er den Leser uneingeschränkt, womöglich durch seine Zeitlosigkeit, die er aus folgenden Tatsachen bezieht: Gheera, die Galaxis der Haarteppichknüpfer, dümpelt ihrerseits zeitlos dahin, gefangen in den Traditionen, die keinen Ausbruch erlauben; der Sternenkaiser lebt seit über hunderttausend Jahren und herrscht seit annähernd der gleichen Zeit über sein Reich, was eine zeitlose Stabilität erfordert, und Stabilität widerspricht der Veränderung. Außerdem verzichtet Eschbach auf irgendwelchen technischen Schnickschnack, der 1995 vielleicht futuristisch angemutet hätte, heute möglicherweise bereits überholt und damit Ballast für die Geschichte gewesen wäre.

Seelenfänger

Ursprünglich erschien das erste Kapitel des Romans als Kurzgeschichte. Erst einige Jahre später verfasste Eschbach auf dieser Grundlage den Roman, der die Geschichte der Haarteppichknüpfer, der Haarteppiche und der Menschen dieses Universums aus verschiedenen unterschiedlichen Blickwinkeln in kurzen Episoden erzählt und so ein großartiges Gesamtbild schafft, bis dem Leser der Atem stockt. Viel wurde über diesen Roman geschrieben, Eschbach erhielt Preise dafür und schrieb sich sofort in die Herzen seiner Leser (die jetzt ungeduldig auf den nächsten Science-Fiction-Roman warten), aber berechtigterweise werden einige Tatsachen immer wieder betont: Mit unfassbarer Ideenvielfalt führt uns Eschbach lebendige, fremdartige und doch seltsam vertraute Charaktere und ihre Probleme vor, lässt uns Teil haben an ihrem Schmerz und ihrem Glück, badet uns in dem See ihrer Erlebnisse und macht uns zum Teil ihrer Geschichte, indem wir uns während der Lektüre in ihrer Seele wiederfinden.

Orson Scott Card – Das große Spiel

„Das große Spiel“ behandelt die Geschichte eines jungen Genies und seine militärische Ausnutzung zur Errettung der Menschheit vor einer außerirdischen Gefahr, der die Erde vor einigen Jahrzehnten bereits knapp entkommen konnte. Diesmal soll sie endgültig beseitigt werden. Auf einer isolierten Militärschule für Genies im Kindesalter wird nach dem großen Führer gesucht, der die Streitkräfte der Menschen in den Sieg führen soll. Ender Wiggin scheint ein Kandidat für diesen Posten zu sein.

Orson Scott Card arbeitete als Theaterautor, bevor er mit „Ender’s Game“ seinen Durchbruch in der Science-Fiction hatte. Für die deutsche SF war Card in den letzten Jahren ein wichtiger Mann in den USA: Er trat für die Übersetzung und Veröffentlichung eines wichtigen deutschen SF-Romans ein, der dieses Jahr unter dem Titel „The Carpetmakers“ erschien. Damit schaffte Andreas Eschbachs Roman „Die Haarteppichknüpfer“ den Sprung über den großen Teich, was der Masse der deutschen Literatur nicht vergönnt ist. Card lebt und arbeitet in North Carolina.
Weitere Infos: http://www.hatrack.com

Körperlich ist Ender Wiggin nicht unbedingt der Größte. Geistig schon. Das zieht ihm viele Feinde zu, vor allem unter den körperlich großen, die geistig nicht so viel vorzuweisen haben. Als Ender in die unvermeidliche Bedrängnis durch Stilsson und seine Leute gerät, ist ihm klar, dass er sich nur mit einer äußerst brutalen und nachhaltigen Aktion vor späteren Nachstellungen der Gang schützen kann. Aufgrund dieser Erkenntnis tritt er Stilsson sofort in die Hoden und weiter in den Leib, als er zusammensackt. Er hört nicht auf, sondern attackiert sein Gesicht und jedes empfindliche Körperteil, bis der Gegner sich nicht mehr rührt.

Von seiner eigenen Tat verwirrt und entsetzt, lässt sich Ender alle Schikanen seines älteren Bruders gefallen, der ebenso wie er ein Genie ist, aber durch übermäßige Brutalität und fehlender Gefühle nicht für den Militärdienst taugt. Enders Schwester, seine einzige Vertrauensperson, ebenfalls Genie, aber durch vorherrschende Gefühle und fehlende Brutalität untauglich für den Dienst, tritt wie immer zwischen Peter und Ender, wenn es zu hart wird.

Ender wird zur Militärschule an der Peripherie des Sonnensystems berufen und im Kommenden völlig isoliert. Nur auf sich gestellt und im Zusammenspiel mit seinen Mitschülern, beginnt für ihn eine harte Zeit der Prüfungen, in der es keine Erleichterung gibt, nur immer schwerere Aufgaben. Dabei spielt das „Spiel“ die größte Rolle: In einem schwerelosen Raum werden taktische Kämpfe inszeniert, bei denen mit besonderer Technik realistische Treffer simuliert werden. Ender entwickelt sich schnell, wird der beste Spieler, gewinnt Ansehen – und wird in die nächste Stufe versetzt, ehe er sich ausruhen kann. Viel zu schnell kommt es zur Abschlussprüfung, die Ender nach einer Erschöpfungsohnmacht absolvieren soll. Danach wartet der Krieg auf ihn.

Card entwickelt die Geschichte aus der Sicht von Ender, dem sechsjährigen Genie, der immer allein und unterfordert war, weil die Lehrer nicht schlau genug für seine Fähigkeiten waren. Seine Gedanken und seine Sprache wirken oft eher wie die eines Erwachsenen (was Card auch häufig vorgeworfen wurde), doch erkennt man in den Details das Kind und seine Sehnsüchte, die viel zu früh vom Militär eingeschränkt, sogar völlig unterdrückt werden. Die Argumentation, er werde zum Nutzen und zur Rettung der Menschheit gebraucht (und missbraucht), schmeckt schal und erinnert an die Propaganda totalitärer Staaten wie jene des Dritten Reiches. Hier muss man aber trennen zwischen Card, der eine Geschichte erzählt, und der Geschichte, der bestimmte Gegebenheiten zugrunde liegen, nach denen sich auch der Erzähler richten muss. Nachdem die Menschheit knapp der totalen Vernichtung entgangen ist, hat sie sich unter einem militärischen Oberinteresse zusammengefügt und existiert intern politisch weiter wie zuvor, unbeweglich durch die Angst vor dem Feind, dessen Wiederkehr vor allem anderen befürchtet wird. Card stellt deutlich heraus, dass dieses Gefüge mit dem Ausschalten der Gefahr zerbrechen wird und alte Interessen die Oberhand gewinnen.

Diesem Aspekt der Geschichte widmet sich die Entwicklung von Enders Geschwistern, die über eine dem Internet vergleichbare Informationssphäre zu Macht und Ansehen kommen, mit dem großen Ziel, den Zusammenbruch der Zivilisation und den erneuten Ausbruch irdischer Kriege zu verhindern. Card beschrieb eine realistische Art von Internet, bevor es existierte, doch seine Einschätzung der Möglichkeiten ging ein wenig weiter, als wir es kennen gelernt haben. So ist es heute, vor allem unter Berücksichtigung der Dimensionen des Internets, undenkbar, allein durch Diskussionen in Foren oder Artikeln in E-Papers politische Macht zu erlangen.

Natürlich muss auch Ender den Weg aller Helden gehen: Weitgehend unbekannt und nach der Invasionsgefahr für die Menschheit nutzlos, verschwindet er in der Versenkung und sucht seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Die Dramatik dieser Tatsache kommt dem Leser deutlich zu Bewusstsein, auch wenn Card seinem Ender keine enttäuschten Gefühle einpflanzt, wegen denen er sich nach Anerkennung und Rampenlicht sehnen würde. Trotzdem: Wir fühlen die Ungerechtigkeit. Die Tragik findet in Enders Traum ihren Höhepunkt, als er auf die geistige Hinterlassenschaft des einstigen außerirdischen Gegners trifft.

Cards Anspruch, eine Geschichte ohne hintergründige Doppeldeutigkeiten zu erzählen und jedem Leser den Zugang zu ermöglichen, liefert als Resultat eine dichte Erzählung von größter Unterhaltung. Manche mögen sie verabscheuen, andere lieben sie, aber zu allen spricht sie, keinen lässt sie unberührt.

Philip Latham – Irrfahrt zur Venus

In einer nicht näher definierten Zukunft, vielleicht im 21. Jahrhundert, lernen wir die Robinsons aus Los Angeles im US-Staat Kalifornien kennen: Vater Paul, just zum Pressesprecher der Mondstadt Tycho ernannt, Mutter Helen, Kronprinz Jack (18 Jahre) und Brüderchen Frank (6) – eine amerikanische Durchschnitts- und Bilderbuchfamilie, die fest zusammenhält und es deshalb überall schaffen wird.

Das muss sie rasch unter Beweis stellen. Der Umzug gerät wegen eines Defekts im Bordcomputer des Raumschiffs „Aurora“ zum Fiasko. Statt auf dem Mond finden sich die Reisenden im Orbit des wolkenverhangenen Planeten Venus wieder. Schnöde lassen der Kapitän und seine Mannschaft Schiff und Passagiere im Stich. Knapp gelingt eine Bruchlandung. Die Robinsons haben überlebt. Sie finden sich auf einer Albtraumwelt wieder. Heiß und feucht ist es auf der Venus, und unheimliche Tiere schleichen durch die ewig halbdunklen Urwälder.

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Wooding, Chris – Weber von Saramyr, Die (Der verschlungene Pfad 1)

Bei Chris Wooding handelt es sich um einen recht jungen Fantasy-Autor, der bereits im Alter von neunzehn Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Wooding wurde am 28. Februar 1977 in den britischen Midlands geboren, wusste schon bald, dass er eines Tages Bücher schreiben wollte, und verbrachte nach seinem Studium der Englischen Literatür seine Zeit in verschiedenen Winkeln Europas, um sich dort inspirieren zu lassen. Große Einflüsse für seine im Folgenden erscheinenden Bücher holte er sich schließlich in Japan und Südafrika, wo er selbst des Öfteren in Lebensgefahr geriet.

Mittlerweile 28, brachte Wooding nun die Geschichte um „Alaizabel Cray“ heraus, die ihm international ein Mehr an Beachtung verschaffte und seinen Namen nach einigen eher unauffälligen Horror- und Fantasy-Erzählungen erstmals etablierte. Die mehrfach ausgezeichnete Story verhalf ihm schließlich zum Durchbruch, doch Wooding plante auch schon seinen nächsten Roman, besser gesagt eine Trilogie, bei der er die Inspiration der fernöstlichen Kultur noch weiter einzubringen gedachte. Der erste Teil ist nun vor kurzer Zeit auch auf dem deutschen Markt herausgebracht worden und heißt „Die Weber von Saramyr“, ein beeindruckendes Buch mit viel Liebe zum Detail und einem Autor auf dem Höhepunkt seines bisherigen Schaffens:

_Story:_

Als Kaiku mitten in der Nacht aus ihren Träumen gerissen wird, kann sie sich noch gar nicht ausmalen, was um sie herum geschehen ist. Ihre gesamte Familie ist soeben von den Shin-Shins, Dämonen in Form von mutierten Riesenspinnen, angegriffen und getöten worden. Lediglich ihre Zofe Asara ist bisher von den Attacken verschont geblieben und verhilft Kaiku in dieser schicksalsträchtigen Nacht zur Flucht. Als sie auf einer Insel vor den Shin-Shin Schutz gefunden haben, kommen sie erstmal wieder zur Ruhe – doch nicht für lange Zeit; Asara stirbt noch vor Ort und Kaiku wird nach einem langen Schlaf doch noch lebend vom Priesteranwärter Tane gefunden, der sie pflegt und bei dem Kaiku wieder zu Kräften kommt.

Kaiku schwört Rache und Vergeltung für den Mord an ihrer Familie und macht sich nach einigen Wochen in Tanes Kloster auf den Weg zu Mishani, einer einflussreichen Freundin aus ihrer Jugendzeit, bei der sie zunächst einmal unterkommen möchte.
Währenddessen werden in den kaiserlichen Festen einige Intrigen gesponnen. Als nämlich eines Tages die erschreckende Tatsache an die Öffentlichkeit dringt, dass es sich bei der Thronerbin Saramayrs um eine Ausgeburt handelt, gleicht das einem Eklat. Das Volk, vor allem aber die einflussreichen Weber, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Ausgeburten jeglicher Art schnellstmöglich aufzuspüren und qualvoll sterben zu lassen, fordern den sofortigen Tod der jungen Lucia, andere wiederum möchten die Kaiserin in die Knie zwingen und sie zum Abdanken verleiten. Doch die Geblütskaiserin Anais bleibt standhaft und verteidigt sowohl den Thron als auch ihre Tochter – ganz zum Widerwillen einiger anderer Völker, die ebenfalls in Richtung Thron schielen.

Derweil haben Kaiku und Mishani nach langer Zeit wieder zueinander gefunden, jedoch wird ihre Freundschaft schon bald auf die Probe gestellt, denn in Kaiku schlummern ungeahnte Kräfte, von denen bislang niemand etwas wusste – nicht einmal sie selbst. Als diese Kräfte zum ersten Mal entfesselt werden, wird allen Beteiligten klar, was vor sich geht: Auch Kaiku ist eine Ausgeburt und wird als solche von Mishani nicht mehr geduldet. Mishani verweist sie des Hofes und Kaiku ist wieder auf sich allein gestellt. Dann jedoch trifft sie eine Person, die eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte. Die wiederbelebte Asara schließt sich Kaiku an, und gemeinsam mit ihrem Gefährten Tane, dessen Kloster von den Shin-Shins komplett ausgerottet wurde, machen sie sich auf den Weg, das düstere Geheimnis der Ausgeburten zu lüften, die finstere Wahrheit hinter der Kaste der Weber ans Licht zu bringen und die Tochter der Geblütskaiserin vor dem Tod zu bewahren. Auf dem langen Weg machen sie jedoch so einige schreckliche Beobachtungen und Erfahrungen. Doch nicht nur das: Kaiku weiß nach einiger Zeit nicht mehr, wem sie trauen kann und wem nicht, beschließt, die Sache auf eigene Faust durchzuziehen – und begibt sich so auf eine lebensgefährliche Reise …

_Bewertung:_

Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich vom Erzählstil Chris Wodings komplett und vollauf begeistert bin. Es ist schon fast faszinierend, mit welcher Detailverliebtheit er die einzelnen Orte und Personen beschreibt, sich dabei selbst in den spannendsten Momenten die Zeit und Ruhe nimmt, den Rahmen der Handlung näher zu beleuchten, trotzdem aber nie so weit abschweift, dass der Leser den Überblick verlieren könnte. Besonders gelungen ist ihm dabei die Beschreibung der versteckten Dimension der Weber, in die man sich bereits mit wenig Fantasie sehr schnell hineinversetzen kann.
Doch auch die einzelnen Beziehungsgeflechte, die dabei entstehenden Emotionen sowie die Ängste der Hauptfiguren hat Wooding exzellent hervorgehoben, gerade im Fall von Tane und Kaiku.

Obwohl der Erzählstil trotz allem recht leicht verständlich ist, braucht man anfangs dennoch eine Weile, bis man sich in der Welt von Saramyr zurechtgefunden hat, weil auch hier erst einmal die gesamte Protagonisten-Riege vorgestellt wird. Weil Wooding es sich nicht nehmen lässt, diesbezüglich sofort in die Tiefe zu gehen (was sich später als wertvoll herausstellt), braucht man schon die ersten gut einhundert Seiten, bis man sich in die Story einfindet. Aber zu diesem Zeitpunkt hat man sich bereits in der Welt von Kaiku, im Kaiserreich der Geblütskaiserin Anais, in der düsteren Vergangenheit von Tane, aber auch in den brutalen Gedankengängen der Weber verloren und kann „Die Weber von Saramyr“ nicht mehr aus der Hand legen.

Mir persönlich sagt auch noch der fernöstliche Touch der Geschichte zu, der hier sowohl in Form von typischen Bräuchen als auch in der Beschreibung der gesamten Kultur verankert ist. Das macht den Beginn dieser Trilogie gleichzeitig zum ‚etwas anderen‘ Fantasy-Buch, was es aber aufgrund der teilweise ziemlich schwer verdaulichen und harten Handlung auf jeden Fall schon ist. Und was die Sache noch zusätzlich sympathisch macht: Hier findet man wirklich mal keine Tolkien-Versatzstücke, weder stilistisch noch inhaltlich. Wooding hat seine eigene Welt kreiert, mit einem eigenen Kulturgut und Charakteren, wie ich sie in dieser Form noch nicht kennen gelernt habe. Nach scheinbar schleppendem Beginn entfaltet sich so über die Distanz von 550 Seiten ein Meisterwerk der jungen Fantasy-Literatur, bei dem ich mir schon fast wünschen würde, dass es ebenfalls bald den Sprung auf die Leinwand schafft – weil es eben so anders ist.

Gerade diejenigen, die von immer wiederkehrenden Strukturen und Inhalten die Nase voll haben, werden hier bestens bedient, während Fernost-Fans schon fast verpflichtet sind, sich in kürzester Zeit durch dieses Buch zu arbeiten. Ich habe die Geschichte in zwei Tagen gelesen, weil mich das Ganze so enorm gefesselt hat – mehr brauche ich wohl nicht mehr zu sagen …

Cook, Thomas H. – Taken – Unter fremden Sternen (Band 2)

Nachdem der [erste Teil 1477 von „Taken“ eigentlich nur eine Art Einleitung war, um die Hintergründe der Generationen überspannenden Geschichte deutlich zu machen, geht es nun beim zweiten Teil „Unter fremden Sternen“ schon etwas mehr in die Tiefe, weil hier die ersten Spätfolgen des UFO-Absturzes über Roswell im Jahre 1947 sichtbar werden. Dementsprechend gibt es auch eine ganze Riege neuer Hauptakteure, weil man mittlerweile schon im Jahre 1980 angelangt ist und die alten Helden entweder schon verstorben oder in einem für die Geschichte nicht mehr relevanten Alter sind.

Die wichtigste Figur ist jedoch auch schon aus dem ersten Roman bekannt, nämlich Jacob Clarke, der Sohn des Außerirdischen John und der Farmerin Sally, dessen außergewöhnliche Fähigkeiten ihn ja schon im ersten Teil mit dem militärischen Geheimdienst in Konflikt geraten ließen. Ein weiterer Bekannter ist Jesse Keys, der Sohn des im Krieg entführten Russell, dessen Schicksal von Bedeutung ist, denn er konnte der Bedrohung aus dem All nicht mehr entkommen. Aber vor allem geht es hier bereits um die dritte Generation und somit um die Kinder von Jesse und Jacob, die im Endeffekt das Ziel des langfristig angelegten Plans sind …

_Story:_

Nach eltichen Jahren kehrt der mittlerweile verheiratete Jacob mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in sein Elternhaus zurück. Jacob hat sich schwer verändert, ist seit einiger Zeit nämlich tatsächlich dazu imstande, ein normales Leben zu führen. Dort trifft er nicht nur auf seine beiden Geschwister, sondern auch auf eine sterbende Mutter, deren Tod letztendlich auch Jacobs Kräfte schwächt und sich auf sein Verhalten auswirkt. Sein Bruder hat seine Zweifel bezüglich UFOs derweil komplett abgelegt und beschäftigt sich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Phänomen. Dabei gelingt es ihm sogar, Eric Crawford das geheime Projekt aus den Händen zu reißen, und bis auf das Geschenk seines Vaters verliert Crawford schließlich sämtliche Unterlagen und Beweisstücke über die Aliens. Eric taucht eine Zeit lang unter, soll aber später noch groß in Erscheinung treten …

Erics Tochter Mary hat sich ebenfalls dem Thema gewidmet und geht dabei über Leichen. So freundet sie sich mit Dr. Wakeman an, der inzwischen große Fortschritte bei der Analyse der gefundenen Aliens gemacht hat und hinter das Geheimnis der eingepflanzten Sensoren gekommen ist. Er hat herausgefunden, dass die betroffenen bzw. entführten Personen allesamt einen Sender ‚eingebaut‘ bekommen haben und für die Außerirdischen jederzeit aufspürbar sind. Dies hat sich Wakeman selber zunutze gemacht und eine Karte erstellt, mit Hilfe derer er ebenfalls genau nachsehen kann, wo sich die Menschen mit diesem Sender derzeitig befinden. Als es Wakeman schließlich noch gelingt, das Signal abzuschirmen, macht er den größten Coup, denn so kann er die Aliens täuschen.

Nach und nach entwickelt sich die ganze Geschichte, wobei Charlie, der Sohn des entführten Jesse Keys, sowie Jacobs Tochter Lisa am Ende die wichtigste Rolle übernehmen, denn wie sich herausstellt, sollen die beiden laut dem Plan der Aliens ein gemeinsames Kind zeugen, welches schließlich menschliche und außerirdische Eigenschaften und Fähigkeiten miteinander verbinden soll. Und der Plan gelingt tatsächlich; das Kind, Allie, wird schnell zum begehrtesten Wesen auf dem ganzen Planeten und alle machen Jagd auf sie. Selbst ein gewisser Eric Crawford taucht plötzlich wieder auf der Karte auf …

_Bewertung:_

Im zweiten Teil laufen viele Geschichten parallel, und auch wenn das oben Angeführte ein wenig konfus klingen mag, so gelingt es Thomas H. Cook dieses Mal viel besser, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen. Im Gegensatz zum ersten Buch werden hier nicht bloß Fakten aneinander gereiht, sondern wirklich erzählt. Sehr angenehm ist dabei, dass sich die einzelnen Zeitsprünge in Grenzen halten, die Geschichte also in einem recht limitierten Zeitrahmen stattfindet – auch hier sehe ich eindeutige Vorteile zum ersten Buch.

Vor allem aber erscheint mit dem zweiten Teil langsam aber sicher alles logisch. Die vielen Optionen, die sich mit dem ersten Buch aufgetan haben, werden hier tiefgreifender beschrieben und ihr Zusammenhang deutlicher und verständlicher herausgestellt. Trotzdem muss man den Inhalt des ersten Bandes aber kennen, um der Story in „Unter fremden Sternen“ folgen zu können.

Man könnte also behaupten, dass „Wir sind nicht allein“ die etwas mühselige Einleitung für die ‚richtige‘ Geschichte ist, die erst jetzt beginnt, dafür aber dann auch sofort sehr spannend wird, vor allem, weil so viele Dinge zunächst offen bleiben und sich eine ganze Reihe neuer Optionen infolge des teuflichen Plans der Aliens ergeben.

Bei dem Eindruck, dass ich die TV-Serie in diesem Fall bevorzuge, bleibe ich dennoch, denn Steven Spielberg hat hier wirklich etwas Einzigartiges kreiert, das sich eben besser in bewegten Bildern als in der von Thomas H. Cook beschriebenen Story verstehen lässt. Dennoch finde ich dieses zweite Buch sehr gelungen und toll erzählt, kann es also als Alternative zum Fernsehereignis auch bedenkenlos empfehlen.

http://www.vgs.de/taken.jsp

Isau, Ralf – unsichtbare Freund, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 4)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“
Band 3: „Der weiße Wanderer“
Band 4: „Der unsichtbare Freund“

Endlich hat David sich der Frage nach der Zerstörung des Fürstenrings zugewandt, nur um in jeglicher Hinsicht einen Rückschlag einzustecken! Der Ring hat nicht einmal die Andeutung einer Beeinträchtigung abbekommen, stattdessen haben die Experimente Belials Schergen auf den Plan gerufen. David muß schleunigst untertauchen.

Aber wenigstens ein Gutes ist dabei herausgekommen: Sein Freund Lorenzo di Marco, zu dem der Kontakt während des Zweiten Weltkriegs komplett abgebrochen war, ist wiedergefunden und begleitet David nun nach New York, um seine Recherchen für David dort weiter zu betreiben.

David ist zunächst noch einmal in Südamerika unterwegs, denn ein Gespräch mit dem nach jahrelanger Suche endlich aufgetriebenen von Papen hat ihm in einigen Punkten die Augen geöffnet. Kaum aus Südamerika zurück, verlangt die Kuba-Krise seine volle Aufmerksamkeit. Das eigentliche Ziel des Interesses jedoch sind die Qumram-Rollen, von denen David sich Aufschluss über frühere und vielleicht auch jetzige Versammlungsorte des Kreises der Dämmerung erhofft. Seine Suche führt ihn über Griechenland und Russland in die Türkei. Die Reise lüftet das Geheimnis der einfachen Siegelringe, aber nicht das um den Fürstenring. Und die letzten beiden Logenbrüder des Kreises sind wie vom Erdboden verschluckt! David tritt auf der Stelle, und die Zeit läuft ihm davon …

Nachdem die ersten drei Bände des Zyklus einen Zeitraum von lediglich knapp sechzig Jahren behandelten, rechnete ich schon fast damit, dass die Handlung bereits weit vor dem Jahrtausendwechsel enden würde. Das sollte sich als Irrtum herausstellen.

Bei Davids Rückkehr aus der Türkei schreibt der Autor das Jahr 1982. Die darauf folgenden Jahre werden durch die Zusammenfassung verschiedener Eckdaten recht straff zusammengefasst. Erst im Jahr 1995 geht die Handlung mit Davids letzter Japanreise wieder mehr ins Detail. Die letzten hundertfünfzig Seiten umfassen dann die extrem kurze Zeitspanne von nur neun Monaten, vom April bis zum 31. Dezember 1999.

Davids Charakter macht in diesen letzten vierzig Jahren keine großen Wandlungen mehr durch. Erwachsen ist er schon, leidgeprüft auch, und für das Entwickeln von Schrullen, wie alte Leute es häufig tun, hat er gar keine Zeit. Auch körperlich bleibt er überraschend jung, im Alter von fünfundneunzig Jahren wirkt er noch wie ein Fünfzigjähriger, was wohl zu seinen Gaben als Jahrhundertkind gehören dürfte, denn die Lebensspanne von hundert Jahren wäre wohl kaum diese hundert Jahre wert, wenn davon zwanzig Prozent oder gar mehr durch Gebrechlichkeit beeinträchtigt wären.

Trotzdem ist David gegen Ende seines Lebens auf ein wachsendes Heer von Helfern angewiesen. Getarnt als Nachrichtenagentur, sammeln eine Menge Leute für ihn alles an Informationen, was zu kriegen ist. Dazu gehören neben Lorenzo und Ruben inzwischen auch Dee-Dee und Davy, zwei junge Computer-Freaks, die für ihn, wenn nötig, auch mal in fremde Rechner einbrechen. Denn der Giftgas-Anschlag in Tokyo geht David nicht aus dem Sinn, und tatsächlich ergibt die Recherche Ungeheuerliches …

Ob das Szenario, das Isau da entwirft, so wirklich möglich ist, dürften noch nicht einmal Koryphäen der Wissenschaft beantworten können, denn das Thema selbst ist längst nicht genügend erforscht. Davon ganz abgesehen, enthält die Sache einen kleinen Logikfehler: Wenn die Basis zur Vernichtung, die Zündschnur quasi, bereits verlegt ist, wie Kellipoth sagt, was sollte es dann nutzen, wenn David das Zünden der Lunte verhindert? In den folgenden Jahren nach der Jahrtausendwende kann jeder beliebige Unfall die Lunte nachträglich in Brand setzen! – Erstaunlicherweise hat David diese Erkenntnis selbst bereits im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag in Tokyo geäußert! Das Ende der Geschichte ist, zumindest im Hinblick darauf, deshalb nicht ganz befriedigend ausgefallen.
Die Erwähnung des Pik-Ass zu einem Zeitpunkt, da David es noch gar nicht erhalten hat, war wohl ein Lapsus des Lektorats, und die Äußerung bezog sich auf das Kreuz-Ass, das David von Südamerika nach Rom gelotst hat.

Verwunderlich erschien mir dagegen, dass der Kreis auch nach den Ereignissen, die ihn bereits mehrere seiner Brüder gekostet hat, immer noch nicht zu wissen scheint, welche außergewöhnlichen Gaben David besitzt! Eigentlich sollte man meinen, dass der mächtige Lord Belial das mal rauskriegt und die Übrigen über die Einzelheiten informiert. Allgemeine Warnungen dürften aufgrund Davids unübersehbarer Erfolge ziemlich überflüssig sein!
Ebenso verwundert hat mich der Fatalismus, mit dem Davids Angehörige die Meldung hingenommen haben, er sei im Pazifik gefallen. Sie alle wussten von Davids Lebensaufgabe und seinen Fähigkeiten. Eine solche Meldung hätte ich nur angesichts seines Leichnams geglaubt!

Auch mit dem Epilog hatte ich gelinde Schwierigkeiten. So relativ nach Einstein auch alles sein mag, wie immer David es geschafft haben mag: Eine Doppelexistenz über mehrere Jahrzehnte, ohne dass irgendwelche Behörden, Banken, Versicherungen oder sonstige Leute damit ein Problem bekommen und die Sache auffliegt, das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor! Andererseits haben wir es hier nicht umsonst mit Fantasy zu tun, also sei David die Entschädigung für seinen langen Kampf gegönnt.

Trotz dieser kleinen Mängel fand ich das Buch im Ganzen gelungen. Spätestens nach der Kuba-Krise geht es ans Eingemachte, und vor allem auf den letzten 150 Seiten zieht die Spannung deutlich an. Nicht allein deshalb, weil David die Zeit davonläuft, sondern auch, weil der Leser zum ersten Mal nicht weiß, worum es diesmal wirklich geht und wie es endet.

Insgesamt gehört der Kreis der Dämmerung zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Isau hat seine fantastischen Elemente geschickt mit der historischen Realität verwoben, seine fundierte Recherche zu den beschriebenen Geschehnissen war dazu die beste Grundlage. Entstanden ist daraus eine intelligente und faszinierende Geschichte, die durchaus deutlich Stellung zu den Ereignissen und Entwicklungen des Jahrhunderts enthält, und das ganz ohne Polemik oder erhobenen Zeigefinger. Ein echter Leckerbissen, sowohl für Freunde des Fantasy-Genres als auch für Liebhaber des Historienromans.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch 510 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15321-3

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Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


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Stöcklein, Verena / Plischke, Thomas – Terra Nova: Der Schwur des Sommerkönigs 1

Im Jahr 2656 hat sich das Antlitz der Erde grundlegend verändert. Nach der zweiten Sinflut ist der Meeresspiegel drastisch gestiegen, weite Teile Europas stehen unter Wasser und der Begriff „Britannische Inseln“ hat eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Ganz Britannien ist in viele kleine Inseln zerfallen, London selbst ist eine einzige große Inselfestung geworden.

Auf dem Armut leidenden Kontinent kämpft die angelitische Kirche mit ihren Engeln und unzähligen Gläubigen gegen die |Traumsaat| genannten Dämonen der Hölle. Der Technologie der Britonen steht man ablehnend und feindselig gegenüber, ihrem Glauben an heidnische Götter und Götzen der keltischen Sagenwelt ebenso.

Darum hat man eine gewaltige, schwimmende Festung gebaut. Die |Terra Nova| soll unzählige Gläubige, Templer und Engel nach Britannien übersetzen, um das Gelingen der Invasion der Inseln sicherzustellen. Die Engelsschar des Michaeliten Lumael, dessen Gruppe der Leser begleiten wird, ist nur eine der vielen Engelsscharen, die sich an diesem Feldzug beteiligen. Tief im Feindesland dagegen spioniert der Sarielit Joel, eine Mission, die ihn in höchste Gefahr bringt: Er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs, eines der höchsten Götzen der Britonen, auserwählt …

„Terra Nova“ erzählt zusammen mit dem noch nicht erschienenen „Terra Incognita“ die Geschichte dieser Invasion. Die Duologie spielt im |Engel|-Rollenspieluniversum von |Feder & Schwert|, ein auf Phantastik und Rollenspiel spezialisierter Verlag, der von |Wizards of the Coast| die D&D-Lizenz für Deutschland erhalten hat und bereits zuvor für die Übersetzung von |Dungeons & Dragons|-Romanen wie der Reihe [Der Krieg der Spinnenkönigin 183 verantwortlich zeichnete.

Nicht-Rollenspieler können jedoch aufatmen, es sind keine der zahlreichen Bücher über die verschiedenen Engelsorden dieser Welt oder andere Sourcebooks, wie bei rollenspielbasierten Serien oft üblich, erforderlich, um „Terra Nova“ verstehen und genießen zu können. Die Autoren Verena Stöcklein und Thomas Plischke lassen die notwendigen Informationen elegant in die Handlung einfließen, die so mit einigen Aha-Effekten aufwarten kann und Interesse weckt.

Alleine die Idee des Engel-Universums hat ein hohes Unterhaltungspotenzial: Ein mittelalterliches Europa, in dem die Kirche noch stark ist, der Aberglaube weit verbreitet und der Teufel mit seinen Dämonen auf Erden wandelt. Die andersgläubigen Britonen setzen auf Technologie und heidnische Magie, Toleranz ist auf beiden Seiten nicht vorhanden, dafür sorgen die Priester beider Seiten mit markigen Predigten. Die von einer zweiten Sinflut heimgesuchte und durch sie veränderte Welt ist auf interessante Weise an unsere Geschichten und Sagen angelehnt, die in ihr verfremdet belebt und neu kombiniert werden. So wurden die Gralsburg oder der Gralsberg |Munsalvaesche| beziehungsweise |Montsalvasch| zum |Mount Salvage| umbenannt, während in |Roma Aeterna| der Chor der Sarieliten seine Ausbildung erfährt, neben den Gabrieliten, die mit Feuer und Schwert die Todesengel und somit die Kämpfer unter den Engeln stellen. Hier fließt das Rollenspielelement am stärksten ein, besteht doch die uns durch das Buch begleitende Engelsgruppe aus dem altbekannten Muster Kämpfer, Heiler, Magier.

Die Engel werden sehr menschlich dargestellt; so hat der Michaelit und Anführer der Schar, Lumael, panische Angst vor dem Wasser. Wie der Rest seines Engelsordens kann er jedoch für kurze Zeit jegliche Furcht unterdrücken, während die Gabrieliten mit Feuerschwert und feuerfester Rüstung ins Gefecht ziehen – auch hier sieht man das Regelwerk eines Rollenspiels hindurchscheinen, die zweigleisig erzählte Handlung schreitet jedoch flott voran und ist sehr abwechslungsreich, so dass dies nicht allzu störend wirkt.

In Britannien wird die Geschichte aus der Sichtweise von George, einem zuckerkranken Goldschmied, erzählt. Er kann nur durch das industriell hergestellte Insulin überleben, etwas, das es im angelitischen Europa nicht gibt, das alle Maschinen ablehnt. Als Angelit lebt er versteckt unter den heidnischen Britonen, die von keltisch angehauchten Druiden und Priesterinnen beherrscht werden. Weltlich werden sie von an altenglische Verhältnisse angelehnten „Thanes“ regiert, zwischen beiden Parteien kommt es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten. Er soll dem Engel Joel als Partner zur Seite stehen, der ihn bitter nötig hat. Trotz aller Ausbildung und göttlichen Gaben mangelt es dem Engel an Kenntnis von Land und Leuten, sein überirdisch gutes Aussehen lässt sich zudem nicht verbergen und er wird zum Mundschenk des Sommerkönigs bestimmt, einem mächtigen Götzen der Britonen, was George an den Rand des Wahnsinns treibt. Konfliktpotenzial ist mehr als gegeben!

Interessant ist, dass die Engel sowie George durchaus kritisch reflektieren können, für was und gegen wen sie streiten. So sind nicht alle Engel aus Lumaels Schar angetan vom fanatischen Eifer der Templer und dem bevorstehenden Gemetzel, während Joel durch die Begegnung mit dem Sommerkönig in den Grundfesten seines Glaubens erschüttert wird. Wenig wird in diesem Band auf die Traumsaat-Dämonen eingegangen, er fokussiert das Geschehen stark auf die britannischen Inseln, auch treten interessanterweise weder Gott noch Teufel in Aktion und halten sich trotz aller übernatürlicher Präsenz im Hintergrund.

_Fazit:_

Auch wenn sich das Buch gezielt an Rollenspieler wendet und für das Engel-Rollenspiel wirbt, kann die fantasievolle Welt auch für gewöhnliche Fantasyleser einen Charme entfalten, dem man sich nicht entziehen kann. Wer D&D-Rollenspiele satt hat, bekommt hier eine frische und unverbrauchte Welt geboten, die sehr vielversprechende Ansätze bietet. Der Roman weist nur 259 Seiten auf, diese sind recht klein gedruckt, allerdings hervorragend gesetzt und so sehr gut lesbar – man könnte bei normaler Druckgröße von knapp 400 Seiten Umfang ausgehen, was die Qualität der Geschichte unterstreicht; ich hätte gerne noch weiter gelesen. Diese relative Kürze, verbunden mit den offenen Ende, stellt auch meinen Hauptkritikpunkt dar; man muss zwangsweise auch den zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht erschienenen zweiten Band, „Terra Incognita“, lesen.

Hervorheben möchte ich auch das hochwertige Erscheinungsbild des Romans: Alleine die ausgefallene schwarz-weiß-goldene Gestaltung des Covers im Stil des Engel-Universums macht einen außergewöhnlich guten Eindruck, der sich im sorgfältigen Lektorat und der liebevollen Gestaltung der Kapitelüberschriften bis hin zu den Seitennummern fortsetzt. Hier steht das Engel-Universum ganz in der Tradition von |Feder & Schwert|; die Zeiten schlecht übersetzter amerikanischer Rollenspielfantasy sind endgültig vorbei. Misslungen ist hingegen der viel zu verspielte Titelschriftzug des Romans: Weder „Terra Nova“ noch „Der Schwur des Sommerkönigs 1“ kann man auf Anhieb lesbar erkennen, hier sollte man in Zukunft nachbessern.

Die hochinteressante postapokalyptische Welt spielt gekonnt mit Mythen, Geschichte und Legenden und schafft so eine tolle Atmosphäre; die Liebe zum Detail zeigt sich nicht nur im Roman, sondern setzt sich auch in der wunderschönen optischen Gestaltung fort. Ich kann sie jedem Rollenspieler nur empfehlen, der einmal ausgetrampelte D&D-Pfade verlassen und etwas Neues ausprobieren möchte. Dieser gelungene Roman erweckt Interesse und macht Appetit auf mehr.

Homepage des Engel-Rollenspiels:
http://www.engel-net.com/

Homepage von Feder & Schwert:
http://www.feder-und-schwert.com/

Gaborit, Mathieu – scharlachrote Turm, Der (Im Reich des Feuervogels 1)

Leicht kann man bei der Übermacht an englischen Fantasy-Romanen vergessen, dass auch in anderen Ländern von fremden Welten, Magie und seltsamen Wesen erzählt wird. Selten genug veröffentlichen deutsche Verlage Romane aus dem französischen oder auch anderen Sprachräumen. Mathieu Gaborits Zyklus um das „Reich des Feuervogels“ ist eine solche Ausnahme.

„Der scharlachrote Turm“ ist der Auftakt der Geschichte und entführt uns auf eine Inselgruppe, deren Reiche nicht nur die Namen von Fabelwesen wie Greif, Drache und Einhorn tragen, sondern in denen auch tatsächlich solche Wesen mit den Menschen leben, ihnen die Magie geben und sie beschützen.

Einzig die Diener der Phönixe haben kein eigenes Reich gegründet. Ihre Gilde ist in allen Ländern beheimatet, denn die Feuervögel sind zum einen mächtiger als die anderen Fabelwesen, zum anderen aber auch nur von wenigen zu kontrollieren und zu bezähmen. Zu schnell kann Chaos und Vernichtung aus deren Feuer entstehen.

Der junge Januel ist ein solcher Diener, ein Phönike. Er wird im Turm von Sedana ausgebildet und hofft wie so mancher andere junge Alkoluth, für die Erweckungszeremonie eines Phönix erwählt zu werden. Doch es ist sein Kamerad Sildinn, der offiziell in die Hauptstadt des Greif-Imperiums geschickt wird, obwohl er die schwächeren Fähigkeiten besitzt.

Doch kaum ist dieser abgereist, wird Januel von seinem Meister Farel beiseite genommen und erfährt, dass er eigentlich an den Hof gebracht werden soll, doch dass es gefährlich sei, das offen zu tun. Er weiht ihn in schreckliche Geheimnisse ein. „Das Aas“, die Nachfahren und die Essenz pervertierter Fabelwesen, der Inbegriff des Bösen, ist auf dem Vormarsch und bedroht die anderen Reiche. Sie wollen Chaos und Tod über die Länder der Inseln bringen, und sie haben es auch auf die Phöniken abgesehen. Denn allein das Feuer der Phönixe kann dem Aas Einhalt gebieten …

Nach einer langen, gefahrvollen Reise kommen Januel und Farel am Hofe des Greifen-Imperators an. Sie hoffen, ein Beispiel setzen zu können, doch bei der Wiedererweckung des kaiserlichen Phönix kommt es zu einer Katastrophe …

Wenn ich früher französische Fantasy in deutscher Übersetzung gelesen habe, so war ich meist von dieser enttäuscht, da sie meist nur an versponnene exzentrische Kunstmärchen erinnerte.

Deshalb begann ich dieses Buch auch mit einer gewissen Skepsis zu lesen, wurde aber angenehm überrascht. Mathieu Gaborit gelingt es, vertraute Versatzstücke der Fantasy neu anzuordnen. Er konzentriert sich auf Fabelwesen, die in den meisten angloamerikanischen Romanen gerne vernachlässigt werden und begeht nicht den Fehler, sie zu vermenschlichen oder als bloße Tiere zu betrachten, wie es ebenfalls oft genug passiert. Zudem verknüpft er die Magie auf glaubwürdige und interessante Weise mit den verschiedenen Kreaturen, wobei vor allem die Phönixe eine Rolle spielen.

Januel wächst wie der Leser in die Geschichte hinein und lernt das auf leisen Sohlen heranschleichende und zielgenau zuschlagende Böse erst nach und nach richtig kennen. Er ist nicht von Anfang an der erfahrene Auserwählte, sondern macht eine Entwicklung durch, die ihn einerseits sehr schnell reifen lässt, andererseits aber auch von ihm verlangt, viele Eröffnungen sehr schnell zu verkraften und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu einzusetzen. Letztendlich gelingt es dem Autor auch hier, ein wenig abseits von ausgetretenen Pfaden zu wandeln und einige Dinge konsequent bis zum bitteren Ende zu führen.

Es ist also kein Fehler, den ersten Band genauer in Augenschein zu nehmen, wenn man einmal magiebetonte High-Fantasy fernab von den anglo-amerikanischen Gewohnheiten lesen will.

|Originaltitel: Les Chroniques des Feals 1: Coeur des Phenix
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn|

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Dart-Thornton, Cecilia – Im Bann der Sturmreiter (Die Feenland-Chroniken 1)

„Im Bann der Sturmreiter“ erzählt die Geschichte von Imrhien. Wobei Imrhien eigentlich gar nicht so heißt, denn Imrhien ist ein Findelkind. Nicht eines, das als Säugling irgendwo vor eine Tür gelegt oder einfach ausgesetzt wurde, sondern eines, das schon auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist, als man es findet. Sein Gesicht ist durch das Gift eines Efeus grausam entstellt, es kann nicht sprechen und sich an nichts erinnern. Eine alte Dienstmagd nimmt sich seiner an und päppelt es auf. Schon bald muss es bei der Arbeit helfen, schwerer Arbeit. Und es leidet unter dem Abscheu seiner Umgebung, der Gleichgültigkeit und Kälte, der Missachtung. Als sich eines Tages die Möglichkeit bietet, von der Festung Isse zu fliehen, nimmt es diese Möglichkeit wahr. Es will seine Identität wiederfinden! Als Piraten das Windschiff angreifen, auf dem es sich versteckt hat, kommt es vom Regen in die Traufe. Wieder wird es bedrängt und gequält, sodass es schließlich in seiner Verzweiflung einfach über Bord springt. Es landet in einem Wald voller Dunkelelfen …

Cecilia Dart-Thornton tastet sich nur langsam an dieses Kind heran. Im Prolog nennt sie es noch Geschöpf. Erst als es von der alten Dienstmagd Hemd und Hose erhält und von der Kleidung der anderen auf seine eigene schließt, nennt die Autorin es Junge. Als wäre er ein Neugeborenes, muss er sich erst langsam in diese fremde Welt hineintasten, in die er geraten ist. Da er keinerlei Erinnerungen mehr hat, ist er völlig entwurzelt, und durch die Ablehnung seiner Umgebung kann er keine neuen Wurzeln schlagen. Doch er ist nicht dumm und lernt eine Menge durch lauschen und beobachten.

Die eigentliche Zeit des Lernens beginnt jedoch, als er durch den Wald zieht. Hier hat er zum ersten Mal einen Begleiter, der ihn nicht von vornherein als Krüppel abtut, sondern ihn ernst nimmt. Dieser Abenteurer namens Sianadh bringt ihm die Zeichensprache bei, erzählt ihm von der Vergangenheit des Landes und von Licht- und Dunkelelfen. Von ihm erhält er auch seinen Namen Imrhien.

Als die beiden die Stadt erreichen, findet Imrhien auch neue Freunde in Sianadhs Familie. Dessen Schwester ist eine Heilerin, und wenn sie selbst auch nicht die Macht besitzt, Imrhiens Gesicht zu heilen, so weiß sie doch eine Frau, die diese Macht besitzen könnte: Maeve Einauge. Voller Hoffnung macht Imrhien sich auf den Weg zu dieser Frau! Denn das eigene Gesicht wiederzufinden, bedeutet vielleicht auch, den wahren Namen und die Erinnerungen wiederzufinden.

Imrhien besitzt eine rasche Auffassungsgabe und einen gesunden Menschenverstand, doch die Scham über seine Entstellung macht das Findelkind scheu und zurückhaltend, besonders als es sich verliebt. Die unzähligen Demütigungen haben keine Rachsucht, sondern Mitgefühl hervorgebracht, es weiß, wie ein Ausgestoßener sich fühlt, und handelt entsprechend. Seine Handlungsweise stößt aber durchaus nicht immer auf Verständnis oder gar Zustimmung. Vor allem gegen Sianadhs Sohn Diarmid, der es auf seiner Reise zu Maeve Einauge begleitet, kann es sich nur schwer durchsetzen, dazu fehlen ihm das Selbstbewusstsein und eine Stimme. Sprechende Hände sind nur aus der Nähe sichtbar und leicht zu ignorieren.

Sianadh ist leichter zu überzeugen, wenn er eine Torheit vorhat. Spätestens, nachdem ihm eine missachtete Warnung ein paar gebrochene Rippen eingebrockt hat, ist er bereit, auf Imrhien zu hören. Der gutmütige, leutselige Mann, der sich selbst gern als Bär bezeichnet, liebt gute Geschichten und gutes Essen. Letzteres ist im Wald nicht immer zu bekommen. Aber Sianadh hat Erfahrung mit der Wildnis. Mit der Stadt offenbar weniger, dort tappt er von einem Fettnäpfchen ins nächste.
Diarmid ähnelt seinem Onkel nur wenig. Er ist ein wenig steif und förmlich, seine Treue und Ergebenheit gehört ganz und gar dem König. Er färbt sich sogar die roten Haare, damit man ihm seine Abstammung von den Ertish nicht ansieht. Denn er ist von dem brennenden Ehrgeiz beseelt, bei den Dainnan, der Elitetruppe des Königs, aufgenommen zu werden. Als sie unterwegs einem dieser Dainnan begegnen, erhält sein Stolz einen ziemlichen Dämpfer. Doch er ist entschlossen zu lernen.
Sein Verhältnis zu Imrhien ist geprägt von Unsicherheit. Imrhien passt nicht ganz in das Schema seines Weltbildes, deswegen verhält er sich distanziert und kühl, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er seine Aufgabe als Beschützer außerordentlich ernst nimmt. Für ihn bedeutet das auch, dass Ihmrhien sich unterzuordnen hat. Das ist nicht unbedingt immer zu beider Vorteil!

Dorn, der Dainnan, ist eine Mischung zwischen Krieger und Waldläufer, so eine Art Aragorn, nur nicht so ernst und grimmig. Dorn lächelt gern und schafft es sogar, in der Zeichensprache zu scherzen. Gleichzeitig haftet ihm ein Hauch von Melancholie an, deren Ursprung lediglich einmal kurz angedeutet wird. Ansonsten wird seine Vergangenheit kein einziges Mal erwähnt. Aber diese eine Andeutung genügt, um den Leser zu der Frage zu veranlassen, ob Dorn sich sein Haar wirklich nur aus modischen Gründen färbt.

Ebenso gekonnt wie die Hauptpersonen schildert die Autorin auch Charaktere, die nur ganz kurz vorkommen, wie Ustorix, der älteste Sohn der Herrscher von Isse, oder der Fechtmeister Mortier. Aufgrund dieser präzisen Darstellung würde der Leser erwarten, dass sie später noch einmal vorkommen, was aber nicht der Fall ist. Die Handlung konzentriert sich ganz auf Imrhien und weicht so gut wie nie von diesem Handlungsstrang ab. Im Grunde wäre es nicht nötig, an diesem einen Strang so festzukleben, denn die Geschichte wird nicht in der Ich-Form erzählt, trotzdem verschwinden alle Figuren, von denen Imrhien sich im Laufe der Geschichte entfernt, völlig in der Versenkung. Mag sein, dass Imrhien einfach nicht wichtig genug war, um nach seiner Flucht verfolgt zu werden. Andererseits fragt man sich, warum die Autorin sich die Mühe gemacht hat, Ustorix überhaupt zu erwähnen, wenn diese Szene nicht noch irgendwelche Auswirkungen auf das Geschehen hat. Das Ganze wirkt ein wenig irritierend, wie ein loser Faden, von dem man sich fragt, wozu er eigentlich aufgenommen wurde. Und davon gibt es noch mehr.

Nun ist „Im Bann der Sturmreiter“ ja „nur“ der erste Band eines Zyklus. Ich gehe deshalb davon aus, dass lose Fäden wie der von Ustorix und Mortier in den folgenden Bänden wieder aufgenommen werden. Abgesehen von diesen losen Fäden wirkt das Buch aber auch noch in anderer Hinsicht ein wenig unfertig. Die Abenteuer, die Imrhien unterwegs zu bestehen hat, sind einfach lose hintereinander aufgereiht, ohne einander zu bedingen oder sonst irgendwelche Auswirkungen auf die eigentliche Handlung zu haben. Sie bewirken keine Charakteränderung, sie dienen nicht zur Lösung irgendwelcher Rätsel und stellen keine neuen, die es zu lösen gälte. Das einzige Rätsel des Buches bleibt Imrhiens Herkunft und vielleicht noch Dorns Vergangenheit. Aber kaum etwas von dem, was Imrhien unterwegs zustößt, steht damit in irgendeinem Zusammenhang.

Es scheint, als dienten Imrhiens Reisen nur dazu, sämtlichen Gattungen, Arten und Unterarten von Licht- und Dunkelelfen einen Auftritt zu ermöglichen. Laut Quellenangabe war es das erklärte Ziel der Autorin, die Anderwelt so originalgetreu wiederzugeben wie möglich. Ihre Recherchen in den vielen schottischen und walisischen Quellen in Ehren, aber auf Dauer wirken die Massen an verschiedenen Nixen, Wichteln und sonstigen Geisterwesen eher ermüdend, es sei denn, man hegt dieselbe Begeisterung für derlei Geschichten wie die Autorin selbst. Für alle anderen wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen, denn wie gesagt, die vielen verschiedenen Begegnungen bleiben – bis auf eine – ohne Auswirkungen auf die Geschichte, und als Ausschmückung allein empfand ich ihre Auftritte zu massiv und erdrückend.

Ausschmückend ist auch die Sprache der Autorin. Hier kann man ihr tatsächlich einen hohen Grad an Virtuosität bescheinigen. Bilder und Stimmungen werden mit einer enormen Vielfalt an Ausdrücken bedacht, das gilt besonders für Kleidung, Lichtverhältnisse und Landschaftsbeschreibungen, aber auch die Geisterstürme und ihre Auswirkungen. In diese Welt einzutauchen, sie vor dem inneren Auge bildlich entstehen zu lassen, ist hier eine Kleinigkeit. Die Darstellung von Imrhiens Gefühlswelt bleibt dahinter ein gutes Stück zurück, obwohl der Leser durchaus immer wieder in seine Gedanken mit einbezogen wird.

An eigenen Ideen war in dem Buch – der vielen Anderweltbeschreibungen wegen – nicht mehr viel vorhanden. Die wenigen, die vorkamen, waren durchaus interessant und neu für mich, so zum Beispiel das Sildron, das besondere Gestein Dominit, das Geisterstürme abhalten kann, und natürlich die Sturmreiter und die Windschiffe. Gegen ein paar zusätzliche Einfälle dieser Art hätte ich gern einige von den Dunkelelfen eingetauscht.

Denn trotz aller Ausschmückung und trotz des massiven Einsatzes aller Arten von Geisterwesen kommt im Verlauf der Handlung nur wenig Spannung auf. Die ständig neuen Versuche der Dunkelelfen, die Protagonisten ins Verderben zu führen, werden irgendwann langweilig, vor allem, weil man jedes Mal vorher schon weiß, dass diese im letzten Moment entkommen werden. Die finstere Bedrohung, die während Imrhiens Aufenthalt in der Stadt nur ganz leise angedeutet wurde, ging bei der nächsten Reise wieder verloren, und über die Zusammenrottung im Norden und den drohenden Krieg erhält man zu wenig Hintergrundinformationen, um es als echte Bedrohung wahrzunehmen. Es tut sich nicht wirklich etwas, der Spannungsbogen hängt durch.

So war dieser Einstieg in den Zyklus doch etwas langatmig und gewissermaßen ereignislos. Bleibt zu hoffen, dass in den Folgebänden das Erzähltempo ein gutes Stück anzieht, sich die vielen sinnlosen Fäden zu einem sinnvollen Netz zusammenfinden und die hingehauchten Andeutungen etwas handfester werden. Denn als brillant und einen Genuss für Freunde von Tolkien und Sara Douglass, wie der Klappentext vollmundig anpreist, kann man diesen Einstieg noch nicht bezeichnen. Vor allem hinter der Vielschichtigkeit des |Weltenbaum|-Zyklus bleibt dieses Buch bisher noch weit zurück. Mit etwas mehr Schwung und Bewegung im Handlungsverlauf und einem engeren Zusammenhang der einzelnen Ereignisse untereinander, etwas mehr Konzentration auf die interessanten und gelungenen Hauptfiguren und weniger auf die Wesen der Anderwelt, könnte sich der Zyklus aber durchaus noch zu einem guten Buch entwickeln!

|Piper| hat wieder ein recht ordentliches Lektorat abgeliefert, nur würde mich interessieren, ob der Wald Tiriendor oder Tieriendor heißt. Das Cover ist vom optischen Eindruck her so elegant und gelungen, dass ein Einwand gegen die absolut untauglichen Segel des Windschiffs als prosaisch abgelehnt werden muss. Auch ohne Schutzumschlag ist dieser Band eine sehr schöne Ausgabe, dunkel gebunden und mit Leseband. Die Karte im Buchdeckel ist trotz Gold-auf-Schwarz-Druck gut lesbar, nur die Küstenlinien erfordern eventuell einen zweiten Blick.

Cecilia Dart-Thornton, selbst ein Findelkind, wuchs in der Nähe von Melbourne auf. „Im Bann der Sturmreiter“ gehört zu den |Feenland-Chroniken|, deren zweiter Teil „Das Geheimnis der schönen Fremden“ im Oktober erscheinen soll. Eine Herausgabe des dritten Bandes in deutscher Sprache ist momentan noch nicht Sicht, dürfte aber nicht allzu lang auf sich warten lassen. Die Autorin schreibt inzwischen an ihrem nächsten Zyklus, dessen erster Band „The Iron Tree“ im Februar erschienen ist. Neben dem Schreiben widmet sie sich außerdem der Musik und der Photographie.

http://www.dartthornton.com

Isau, Ralf – weiße Wanderer, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 3)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“
Band 3: „Der weiße Wanderer“

Die Wunden, die der Nationalsozialismus David geschlagen hat, haben ihn zu einem verschlossenen Einzelkämpfer gemacht. Entschlossen, nie mehr das Leben anderer Menschen zu gefährden, lehnt er jegliche Mithilfe, die über das Zutragen von Informationen hinausgeht, strickt ab. Doch die Menschlichkeit lässt sich dadurch nicht abschrecken, immer wieder erreicht ihn, fast gegen seinen Willen, die Hilfe anderer. So ist sein alter Freund und Leibwächter aus Jugendtagen, der Inder Balu, gerade rechtzeitig zur Stelle, um David das Leben zu retten, und in New York steht eines Tages unerwartet ein Mann mit Baskenmütze vor seiner Tür, den er aus Berlin kennt, und dem Rebekka ein Bild abgekauft hat. Binnen kurzem ist der Maler Ruben Rubinstein nicht nur ein „Bruder“ in Davids Sinne, sondern auch sein Geldbeschaffer und Vermögensverwalter.

Das Gros seiner Unternehmungen führt David jedoch immer noch allein aus. In Indien entdeckt er neue Spuren, die ihn auf dem Umweg über Pakistan und Korea nach Südamerika führen. Tatsächlich gelingt es David, zwei weitere Logenbrüder unschädlich zu machen. Doch seine Suche nach von Papen, den er eigentlich fassen will, bleibt vergebens. Da erhält er völlig überraschend eine Nachricht, die ihn veranlasst, nach Rom zu reisen. Noch weit überraschender ist die Entdeckung, die ihn dort erwartet …

Im Vergleich zu seinen Vorgängerbänden umfasst „Der weiße Wanderer“ nur einen relativ kurzen Zeitraum von rund zehn Jahren.
Bereits im „Wahrheitsfinder“ war David unglaublich viel unterwegs, im Vergleich zum Folgeband wirkte dieser durch die räumliche und thematische Begrenzung auf hauptsächlich Europa beziehungsweise Deutschland jedoch wesentlich kompakter und in sich geschlossener als der dritte Teil des Zyklus. Bei Letzterem bedingen natürlich die verschiedenen Etappen einander, da sie jeweils die Hinweise für das nächste Ziel liefern, die Ziele selbst jedoch haben, anders als in Band zwei, nicht unmittelbar miteinander zu tun und wirken daher ein wenig hintereinander aufgereiht.

Abgesehen davon hat David durch heimliches Üben seine Fähigkeiten vervollkommnet. Eine Bemerkung Albert Einsteins während eines Interviews hat ihn auf den Gedanken gebracht, diese auf ein bisher unerprobtes Gebiet auszuweiten, mit erstaunlichem Erfolg. Diese erweiterten Fähigkeiten zusammen mit seiner neu erworbenen Ruhe und Gefasstheit angesichts der Gefahr machen ihn für den Kreis zu einem weit ernster zu nehmenden Gegner als bisher. Seinen Gegenspielern merkt man das deutlich an. Sie sind nervös geworden!

All das verschiebt die Gewichtung innerhalb des Buches beträchtlich: von einer übermächtigen, alles überrollenden Bedrohung, der David fast völlig hilflos gegenübersteht, zu einem Duell mit einem eher ebenbürtigen Gegner, gegen den zu gewinnen nicht mehr unbedingt eine Frage der Fähigkeiten ist, sondern vor allem auch eine Frage der Zeit. Die Grundstimmung ist daher weniger von Finsternis und Verzweiflung geprägt als von gelegentlichem Frust und erbittertem Trotz.

Was mich in diesem Zusammenhang ein wenig wunderte, war, warum die Mitglieder des Kreises Davids Verfolgung plötzlich so schleifen lassen, nachdem sie ihm in den Dreißigerjahren mit solcher Zähigkeit durch sämtliche Identitätswechsel hinterhergejagt sind! Niemand versucht mehr, ihn umzubringen, niemand versucht mehr, ihm den Fürstenring abzunehmen! Stattdessen verschanzen sich die Männer in ihren Verstecken, und als David bei ihnen auftaucht, lassen sie ihn trotz ihres Verdachtes, dass er das Jahrhundertkind sein könnte, an sich heran, verplappern sich mit geheimen Informationen und versagen dann bei seiner Beseitigung!

Das gilt besonders für Ben Nedal, der ja offenbar bereits vor Davids Ankunft in seinem Haus den Verdacht hatte, dieser könnte das Jahrhundertkind sein. Natürlich wollte er die Perle, aber um diese zu erlangen, hätte er den Verdächtigen auch einfach umbringen lassen können, noch bevor dieser sein Haus betrat. Im Zweifelsfall hätte er einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt, was für einen solchen Mann wohl kaum ein Problem dargestellt hätte. Aufgrund von Davids Fähigkeiten mag es nicht gerade einfach sein, das Jahrhundertkind umzubringen. Zumindest aber hätte Ben Nedal sich im Falle eines Misserfolgs nicht verplappert! Und David hätte den Ring nicht erbeutet!

Davids Jagd nach einzelnen Logenbrüdern, insbesondere von Papen, sowie genaueren Informationen über den Kreis lässt die historischen Ereignisse ein gutes Stück in den Hintergrund treten. Als zwangsläufige Folge dieser veränderten Vorgehensweise ist der Korea-Krieg ebenso wie die Entmachtung Guzmáns in Guatemala eher eine Randerscheinung, die Davids Ermittlungen erschwert, als Zentrum der Handlung. Das gilt auch für das Rätsel um die Ringe, dessen Lösung David diesmal ungewöhnlich wenig Zeit widmet, obwohl die Frage, wie der Fürstenring zerstört werden kann, den eigentlichen Knackpunkt im Kampf gegen den Kreis bedeutet. Nur die Vernichtung Lord Belials kann das Ende von dessen Weltuntergangsverschwörungen garantieren!

„Der weiße Wanderer“ ist vom logischen Ablauf her und der Entwicklung von Davids Charakter nach in jedem Fall nachvollziehbar und passt zur Gesamtentwicklung. Dennoch bleibt er im Hinblick auf die Intensität des erzählten Geschehens ein Stück hinter seinen Vorgängern zurück. Auch der Spannungsbogen ist nicht ganz so straff gespannt wie bisher. Das Herumgezipfel mit der Suche nach von Papen in Südamerika hinterließ bei mir trotz der Ausschaltung Barrios‘ eine gewisse Unzufriedenheit, vielleicht, weil ich Davids verbissenen Wunsch, gerade diesen Mann unbedingt zur Rechenschaft zu ziehen, nicht ganz verstehen konnte, vielleicht auch, weil ich bis fast zum Ende des Buches das Gefühl hatte, der eigentlichen Lösung des Problems, nämlich der Zerstörung des Rings, kein Deut näher gekommen zu sein.
Trotzdem war auch dieses Buch immer noch interessant zu lesen, und der Schluss macht noch einmal gehörig Neugier auf den letzten Band, der außer dem Showdown auch noch einige Antworten und Lösungen enthalten dürfte. Wer jetzt aufhört zu lesen, ist selber schuld.

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch 506 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15320-6

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Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


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Richard Morgan – Gefallene Engel

„Gefallene Engel“ ist der direkte Nachfolger von Richard Morgans Bestseller „Das Unsterblichkeitsprogramm“ , der unter anderem mit dem |Philip K. Dick Award| ausgezeichnet wurde. Wieder berichtet er aus der Perspektive des „Envoys“ Takeshi Kovacs aus einer düsteren Zukunft, in der körperlicher Tod kein Problem mehr darstellt: Denn das in einem kleinen, schwarzen Kästchen (der sogenannte kortikale „Stack“) im Nacken oder extern gespeicherte Bewusstsein eines Menschen ist potenziell unsterblich. Der Körper hingegen kann geklont werden, man wechselt seinen „Sleeve“, sobald er zerstört wird, und erhält einen Körper von der Stange oder mit besonderen Eigenschaften für Spezialaufgaben – oder eben auch nicht, alles eine Frage des Geldes und ob man gebraucht wird …

Richard Morgan – Gefallene Engel weiterlesen

Lancaster, Peter – blaue Portal, Das (Die Chroniken der Anderwelten 1)

Eva, fünfzehn Jahre alt und mit ihren Eltern und ihrem Onkel Friedrich in einer Burg in Hessen lebend, hat ein verdammt zukunftsweisendes Aufeinandertreffen im Keller, als sie ihrem dem Alkohol verfallenen Onkel neuen Stoff für die Sinne holen will. Hinter einem Regal kommen kleine, sprechende, menschenähnliche Pferde hervor, die einem Portal in eine andere Welt entsprungen sind. Dort werden sie von den beheimateten Kreaturen als eine Art Sklaven gehalten.
Nach langer Flucht, bei der einige der Pferde ihr Leben lassen mussten, erreichen sie das bläulich schimmernde Portal über eine ellenlange Treppe, die schließlich in den Keller der Burg führt.
Nachdem sich die zwei Parteien zunächst nicht wohlgesonnen sind, kehren nach einiger Zeit Ruhe und Vertrauen im Umgang der ungleichen Schlossbewohner ein. Bis sich das Portal erneut öffnet und zum zweiten Mal Besucher anklopfen. Und die haben nichts Freundliches im Sinn …

Es folgt eine genreübergreifende Story, die jugendtaugliche Literatur über Phantastik bis hin zu Horror umfasst und auch vor geschichtsrecherchierten Fakten nicht zurückschreckt. Leider verzettelt sich der Autor (Peter Lancester; zugleich Chef des |Eldur|-Verlags) manchmal in zu vielen Querverweisen, Zeitsprüngen, Fußnoten und Charakterzeichnungen. Man muss aber sagen, dass es Lancester gelungen ist, liebevolle Typen auf seinen Seiten zu erschaffen, die abseits vom leidigen Heldenstatus als eher kauzige und unbedarfte Charaktere ihrer wahren Größe entgegensteuern.

„Das blaue Portal“ ist ein überwiegend locker zu lesendes Buch, das hier und da mal etwas verwirrend in den Zeiten umherspringt. Man muss aber dazu sagen, dass der Roman der erste Teil von insgesamt fünf Büchern ist. Somit werden noch viele Fragen in den folgenden Bänden aufzulösen sein und Lancester wäre schön blöd, würde er sein komplettes Pulver schon zu Beginn verschießen.

Ein Publikum für diese fremde Welt zu empfehlen, fällt mir etwas schwer, da für jüngere Leute die teilweise explizit derbe Gewalt doch eine Nummer zu heftig sein dürfte. Lassen wir also die Kleinsten mal weg und fangen bei gesetzteren Jugendlichen an, die man aufgrund der medialen Alltagsgewalt sowieso durch nichts mehr schocken kann. Wer sich vom Stress des täglichen Lebens erholen will und seine Gedanken in eine andere Welt transportieren lassen möchte, ist bei Peter Lancester bestens aufgehoben.

Die Aufmachung und der Druck des Buches sind, typisch für den |Eldur|-Verlag, professionell gestaltet und ansprechend. Die Schriftgröße ist für ein Taschenbuch perfekt gewählt und verhilft trotz der Größe des Romans nicht zu blutenden Augen.
Summa summarum freue ich mich bereits auf die restlichen Teile, bleiben doch so viele Fragen offen, die Lust auf ein tieferes Eintauchen ins blaue Portal machen. The show must go on …

|Nachtrag d. Ed.: Der Roman wurde für den Deutschen Phantastik-Preis 2005 nominiert. Es handelt sich um einen Leserpreis, zu dem jeder mit seiner Stimme beitragen kann. Zum Abstimmungsformular geht es hier entlang: http://www.foltom.de/phden05.html.|

Larry Niven – Rainbow Mars

Niven Rainbow Mars Cover kleinDas geschieht:

Die Erde ist im Jahre 3054 ein durch Raubbau und Umweltverschmutzung zerstörter Planet. Da ist es gut, dass die Zeitmaschine inzwischen erfunden wurde. Sie sollte es möglichmachen, das Ausgerottete kurzerhand aus der Vergangenheit zu holen und in der Zukunft neu anzusiedeln. Genauso befiehlt es Waldemar X., der geistig leicht unterbelichtete aber politisch gewiefte Generalsekretär der Vereinten Nationen, die inzwischen das Sagen auf der Erde haben.

In der Realität ist das Abfischen der Vergangenheit allerdings mit zahlreichen schwer kalkulierbaren Risiken behaftet. Waldemar reicht dieses Problem an das „Institut für Zeitforschung“ weiter. Ra Chen, der Direktor, und vor allem Hanville Svetz, seines Zeichens Zeitreisender, müssen viele Zwischenfälle meistern: Die Zeitmaschine kann zudem in parallele Dimensionen abgleiten, was neben der Gefahr auch die Möglichkeit, dem Generalsekretär interessante Beute vorzuweisen, erhöht. Larry Niven – Rainbow Mars weiterlesen

Isau, Ralf – Wahrheitsfinder, Der (Der Kreis der Dämmerung, Teil 2)

Der Kreis der Dämmerung:

Band 1: „Das Jahrhundertkind“
Band 2: „Der Wahrheitsfinder“

Nachdem David aus dem lichterloh brennenden Palast seines vorerst größten Widersachers Toyama geflüchtet ist, reist er sofort in die USA zurück. Sein Freund und Journalistenkollege Briton Hadden, Mitbegründer des |Time Magazine|, ist krank. Als David endlich in New York ankommt, liegt der Mann bereits im Sterben. Dennoch gelingt es ihm, noch ein paar Worte an David zu richten. Eines davon lautete Palatin, und so führt Davids Suche ihn als nächstes nach Europa. Er ahnt nicht, dass diese Reise der Auftakt zu einem Versteckspiel ungeahnten Ausmaßes ist, denn inzwischen wird er nicht nur von Nekromanus, dem Schatten Lord Belials, verfolgt, es beschattet ihn auch ein geheimnisvoller Mönch, ein Jesuit mit einer Narbe über einem Auge.
Während David geradezu nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen sucht und angesichts der gewaltigen Aufgabe dazu übergeht, Bundesgenossen und Helfer zu gewinnen, zieht sich gleichermaßen ein Netz um ihn selbst zusammen. Denn so erfolgreich er im Kleinen auch sein mag, das Große liegt außerhalb seines Einflussbereichs. Und schließlich zieht das Netz sich zu …

Der zweite Band des Kreises der Dämmerung umfasst grob gesagt den Zeitraum von der Weltwirtschaftskrise bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, also nicht ganz ein Vierteljahrhundert. Wie erwartet und kaum zu vermeiden, dominiert der Nationalsozialismus mehr oder weniger den Verlauf der Handlung. Isau begnügt sich jedoch auch diesmal nicht mit allgemein bekanntem Schulwissen. Vielmehr schildert er die Entwicklung so, wie sie einem Mann wie David damals tatsächlich erschienen sein mag: von einer Randerscheinung, die gelegentlich stirnrunzelnd erwähnt, aber zunächst von vordringlicheren Aufgaben verdrängt wird, über eine wachsende und immer ernster zu nehmende Bedrohung bis zum alles bestimmenden Faktor. Und das alles ganz allmählich, angefangen bei den Kontakten mit dem heiligen Stuhl über die Krise der Weimarer Republik bis zur Machtergreifung und Gleichschaltung.

Politik und Gesellschaft laufen auch hier nahtlos nebeneinander her. In Davids vergeblichem Anrennen gegen Ignoranz und Verbohrtheit wird die ganze Machtlosigkeit des Einzelnen im Angesicht der Massen sichtbar. Während er oder seine Helfer verzweifelt versuchen, den Verantwortlichen die Augen über die Nazis zu öffnen, zeigt sich im täglichen Leben nur allzu deutlich, wie wenig all diese Bemühungen fruchten. Gleichzeitig zeigt sich im Geschehen nach der Machtübernahme ebenso deutlich, dass offenbar nicht einmal David sich wirklich im Klaren darüber war, in welcher Gefahr er selbst schwebt. Die Ereignisse in dem Haus, in dem er wohnt, das ständige Auftauchen der Gestapo, die jedes Mal jemand anderen mitnimmt – erst den Kommunisten, dann den Sozialdemokraten, die Zeugen Jehovas und schließlich die Juden – , hätte ihm eigentlich die Augen öffnen sollen. Es dauert ziemlich lange, bis er erkennt, dass er sich auf seinen britischen Pass nicht mehr verlassen kann.

Wie im ersten Band Toyama, ist diesmal von Papen Davids größter Widersacher. Ein zwar mächtiger, aber doch hauptsächlich im Hintergrund agierender Mann, verantwortlich für die Vorbereitung und die Ebnung von Wegen, zum Beispiel zum Konkordat mit dem Vatikan, zur Einsetzung Hitlers als Reichskanzler oder auch zum Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich. An dieser Stelle ist es Zeit, die Recherchen des Autors zum historischen Hintergrund seiner Geschichte einmal lobend herauszustellen! Im ersten Band fällt dies dem europäischen Leser wohl nicht so sehr auf, da ein Großteil der Handlung in Japan spielt. Die Feststellung, wie genau Isau die Entwicklung zwischen 1929 und dem Kriegsbeginn sowie Papens Rolle darin dargestellt hat, ließ mich aber derart aufhorchen, dass ich mir die Mühe gemacht habe, nach Toyama zu suchen. Die Suche hat gezeigt, dass Mitsuru Toyama tatsächlich gelebt und die Geheimgesellschaft des „Schwarzen Drachen“ gegründet hat. Der Leser darf also getrost davon ausgehen, dass Isau seine gründlichen Recherchen nicht nur auf die europäischen Seiten der Weltgeschichte ausgedehnt hat, sondern tatsächlich auf alle. Einer derart akribischen, detaillierten Basisarbeit gebührt Respekt. Schade, dass nicht mehr Autoren sich das zu Eigen machen.

Der Handlungsteil, der unmittelbar mit dem Kreis der Dämmerung zu tun hat, zieht sich diesmal etwas in die Länge. Briton Haddens Tipp hat David zu einem Jahrtausende alten Manuskript geführt, das einen Geheimzirkel mit einem Großmeister Belial erwähnt. Es enthält außerdem Hinweise darauf, wie dieser Großmeister gerufen werden kann, und Anspielungen auf die Bedeutung der Siegelringe, die die Geheimbündler tragen. David geht dem nach und stößt schließlich auf eine äußerst bemerkenswerte gläserne Kugel, kann das Rätsel in diesem Band jedoch noch nicht lösen. Irgendwann geht dieser Faden im Versteckspiel mit den Nazis unter und taucht erst am Ende des Bandes wieder auf, als David sich als Kriegsberichterstatter im Pazifik aufhält. Insgesamt gesehen, tritt der Kreis der Dämmerung als solcher in diesem Band eher in den Hintergrund, wenn man von der unmittelbaren Verfolgung Davids und Rebekkas absieht. Im zweiten Band überwiegen die Ereignisse der Geschichte, nicht zuletzt durch ihre pure Ungeheuerlichkeit.

David wirkt in diesem Band ein wenig wie Sysiphus. Er weiß genau, dass er eigentlich keine Chance hat, die Entwicklungen aufzuhalten, und versucht es dennoch. Sein Scheitern sowohl im Hinblick auf seine Bestimmung als auch auf seine Frau lässt ihn beinahe zerbrechen, letztlich jedoch geht er aus dieser extremen Belastung gestählt hervor. Er hat seine Zögerlichkeit verloren, seine Unsicherheit und seine Angst. Sie haben einer grimmigen Entschlossenheit Platz gemacht, unter anderem auch, was die Nutzung seiner außergewöhnlichen Begabungen angeht. Er ist noch immer nicht – oder besser: noch weniger als bisher – bereit zu töten. Ansonsten hat er seine Empfindlichkeiten und Vorbehalte abgelegt. Er hat nichts mehr zu verlieren!

„Der Wahrheitsfinder“ ist schon allein durch die zugrunde liegende Historie, aber auch durch die persönlichen Verluste Davids weit düsterer geraten als „Das Jahrhundertkind“. Viel mehr noch als die Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Systems und die Grauen des Krieges wirkt das unausweichliche Hineinschlittern in die Katastrophe auf den Leser, der all das aus mit den Augen Davids kommen sieht, seine verzweifelten Anstrengungen miterlebt und doch im Gegensatz zu ihm bereits weiß, dass sie vergebens sind. So ähnlich muss sich der Kapitän der Titanic beim Anblick des Eisbergs gefühlt haben: Auge in Auge mit dem unvermeidlichen Untergang!
Unmöglich, sich dem Sog dieses Szenarios zu entziehen. Die vorübergehende Länge im Zusammenhang mit der Glaskugel fällt dagegen kaum ins Gewicht. Auch für dieses Buch gilt: unbedingt lesen!

Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.

Taschenbuch: 827 Seiten
ISBN-13: 978-3-404-15319-0

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Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)


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Chen, Da – Meister Atami und der kleine Mönch

Luka ist ein außergewöhnliches Kind. Es trägt auf jeder Fußsohle fünf schwarze Muttermale, das Zeichen dafür, dass er der auserwählte Kaiser ist, der nur alle fünfhundert Jahre vom Himmel steigt. Das erzählt Meister Atami dem kleinen Jungen jeden Tag. Und das ist auch der Grund, warum der Kleine so unendlich viel lernen muss. Manchmal kommt es dem Zwölfjährigen so vor, als müsste ihm jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen. Doch Meister Atami lehnt es kategorisch ab, dass Luka ihm in die Stadt folgt und beim Betteln hilft. Irgendwann reißt Luka einfach heimlich aus. Und wird gleich als Erstes auf dem Markt des Diebstahls beschuldigt! Doch er verrät den wirklichen Dieb nicht, und das verschafft ihm die erste Freundschaft eines Gleichaltrigen in seinem Leben. Der Gassenjunge und sein kleiner Bruder geben zusammen mit dem Mönchsschüler ein recht merkwürdiges Trio ab.

Dann kommt der Tag, an dem Luka zum ersten Mal miterlebt, auf welche Art und Weise sein väterlicher Lehrer die Speisereste für ihn und sich selbst erbettelt! Die Grausamkeit der Soldaten schockiert ihn so, dass er sich nicht zurückhalten kann. Sein Eingreifen bringt ihn und seinen Meister in große Schwierigkeiten. Es dauert nicht lange, und die Häscher sind hinter ihnen her. Atami wird gefasst, Luka jedoch kann fliehen. Allerdings nicht für lange!

Lukas Geschichte spielt während der Besetzung Chinas durch die Mongolen, die hier Moro genannt werden. Luka ist der Enkel des letzten Kaisers. Pikanterweise ist sein Vater ausgerechnet Ulanbaat Ghengi, der Anführer der Mongolen, der seinen Großvater abgesetzt hat! Verständlicherweise hat sein Vater überhaupt kein Interesse daran, dass dieses Kind einmal Kaiser wird. Und so ist Atami eifrig bemüht, die Identität seines Schützlings geheim zu halten. Luka macht diese Bemühungen zunichte, als er versucht, seinen Meister gegen die Moro zu beschützen und damit seine Kampfausbildung offenbart. Fortan ist Luka fast ununterbrochen auf der Flucht, nur um letztlich doch Auge in Auge seinem Vater gegenüberzustehen und gegen ihn zu kämpfen.

Lukas Kampfausbildung basiert auf den Lehren des Tao. Ziel jeder Übung sind die eigene Vervollkommnung und das Erreichen des Tao. Grundsätzlich existieren auf diesem Weg keinerlei Grenzen, es sei denn, der Betreffende setzt sie sich selbst. Insofern hat es nicht unbedingt etwas mit Magie zu tun, wenn Luka fliegen kann, oder wenn Großmeister Gulan sich den Unterarm abreißt, um ein Ungeziefer loszuwerden, und ihn danach einfach wieder ansetzt, sondern mit Jin-Gong, einer durch Übung erworbenen inneren Kraft, die mit dem Mondlicht zusammenhängt. Atami verfügt über eine verwandte Macht, die von der Sonne stammt, Yin-Gong. Beide gemeinsam sind fast unüberwindlich und werden von Mönchen des Xi-Ling gelehrt.
Auch Ghengi kann fliegen, welche Kraft ihn dazu allerdings befähigt, wird nicht gesagt. Als Mongole kann er keine Xi-Ling-Ausbildung genossen haben. Dennoch ist es ihm gelungen, seinen verlorenen Arm durch eine Klob-Zange ersetzen und seinen Körper mit grünen Schuppen überziehen zu lassen.

Der Klob ist ein Meeresungeheuer, das seiner Beschreibung nach wie ein monströser Hummer aussieht. Seine Jungen, die offenbar eine Kreuzung aus Hummer und Schlange sind, werden sinnigerweise Klobster genannt. Das Gift des Klob ist tödlich, einziges Gegenmittel ist das Blut des gepanzerten Wesens, das ein Prinz des Königreiches Ozeana ist. Außerdem kommen zwei Snagon vor, Riesenschlangen, die für ihre früheren Verbrechen büßen und danach zu Drachen werden, und ein Goldener, ein großer Frosch, der golden schimmert und ebenfalls für seine Sünden büßt. Hier taucht erneut die Lehre des Tao auf, wonach jeder durch demütiges Erdulden Erlösung erlangen kann. Keines dieser Ungeheuer ist wirklich böse, nicht einmal der Klob, der von Ghengi mutwillig süchtig gemacht wurde, um ihn zu unterwerfen.

Ghengi und seine Moro sind die einzigen wirklichen Bösewichte. Das ist wohl auch der Grund, warum sie Moro und nicht Mongolen genannt werden, denn so auffallend die Parallelen sein mögen, entbehrt die Darstellung der Moro doch jeglicher Objektivität. Die Moro sind gleichgültig, grausam und schmarotzend, schlicht: genau so, wie die Chinesen die mongolischen Besatzer vielleicht empfunden haben mögen. Die positiven Seiten der Khane und ihrer Herrschaft, die es zweifellos auch gab, sind vollständig ausgeblendet, Ghengi als Oberhaupt der Moro zu einer Monstrosität verzerrt.
Gleichzeitig werden die Moro durch das Plakat, das die Brautfütterung ankündigt, komplett ins Lächerliche gezogen. Kein Gewaltherrscher würde einen solchen Text verfassen! Aber auch die Chinesen kriegen ihr Fett weg. Die außerordentlich abartigen Heilungsmethoden, die hier angewandt werden, können eigentlich nur als Anspielung verstanden werden. Viele Chinesen glauben immer noch, Rhinozeroshörner wären ein Potenzmittel. Und die übertriebene Anzahl von Muttermalen ausgerechnet an den Fußsohlen kann irgendwie auch nicht wirklich ernst gemeint sein.

Solche Anwandlungen von Humor sind allerdings ziemlich selten, es sei denn, ich hätte einige überlesen, was mich nicht wundern würde, denn vieles in diesem Buch war so exotisch und ungewöhnlich, dass ich manchmal Mühe hatte, mich wirklich hineinzudenken. Da Chen macht sich auch nicht die Mühe, viele Erklärungen abzugeben. Ein Chinese braucht sie sicherlich auch nicht, ich dagegen fragte mich gelegentlich schon, wie manche Dinge zusammenhingen oder zustande kamen. Das gilt zum Beispiel für die Skorpione unter den Goldbarren, die Schildkrötenstraße oder diesen seltsamen Wasserweg, der vom Xi-Ling-Kloster direkt in die kaiserliche Kloake führt.

Gelegentlich stolperte ich auch über simple Logikfehler. Lukas Freund Mahong steigt heimlich ins Kloster ein, um mit Großmeister Gulan zu sprechen, denn so hat Atami es ihm aufgetragen. Ein anderer würde ihm nicht glauben, weil er ein Straßenbengel und ein Dieb ist. Mahong erzählt aber auch, sie hätten von Gulans und Lukas Flucht aus dem Gefängnis erfahren. Wenn also Mahong weiß, dass beide entkommen sind und dass Gulan im Kloster ist, warum weiß er dann nicht, dass auch Luka da ist?
Und wie kommt es, dass Luka trotz seiner Macht des Jin-Gong an einer Mauer scheiterte, die sein Widersacher Yi-Shen ohne diese Macht durchbrechen konnte? Wie kommt es, dass Mahongs kleiner Bruder auf der Zinne der Gefängnismauer sitzen und auf das Gegengift für Atami warten kann? Sind die Wachen, die dort oben patroullieren, denn blind? Abgesehen davon hätte ich als Vorsteher von Lukas Gefängnis mit der Hinrichtung eines so brisanten Gefangenen keine sechs Monate gewartet, ganz gleich, wie überlastet die Hinrichtungskommandos auch sein mögen!

Da Chen hat hier eine ganz eigene Mischung von Abenteuerroman, Fantasy und Cinologie abgeliefert, wobei die beiden Letzteren für mich nicht immer klar zu trennen waren. In jedem Fall ist sie extravagant und ziemlich bunt und auch nicht uninteressant. Ich muss aber gestehen, dass mir die Meister-Li-Romane von Barry Hughart besser gefallen haben. Ich fand sie weniger verwirrend, leichter zu lesen und witziger. Das mag daran liegen, dass Barry Hughart kein Chinese ist.
Für Leute, die sich für China interessieren und vielleicht sogar mehr als oberflächliche Kenntnisse von chinesischer Philosophie und Mythologie besitzen, dürfte der Roman aber möglicherweise weniger verwirrend sein als für mich. Ansonsten könnte es ratsam sein, sich beim Lesen Zeit zu lassen. Trotz der einfachen Sprache ist das Buch nichts für Schnellleser und Überflieger, es sei denn, derjenige fühlt sich im Kulturraum des Hintergrundes schon wie Zuhause. Lesenswert ist es durchaus.

Das Lektorat war in Ordnung. Und auch das Cover hat mir gut gefallen. Eine praktische Idee waren die Drachenklauen und Tigerpranken, die die Kapitelanfänge zieren. Man sieht sie auch von außen, sodass man auch dann seine Seite wiederfindet, wenn das Lesezeichen das Weite gesucht hat. Vorausgesetzt natürlich, man hat am Ende eines Kapitels abgesetzt.

Da Chen stammt aus der chinesischen Provinz, wanderte aber im Alter von 23 Jahren nach Amerika aus. Er lebt mit seiner Familie in New York und arbeitet als Kalligraph und Schriftsteller. Außer „Meister Atami und der kleine Mönch“ erschien von ihm bisher nur ein weiteres Werk unter dem Titel „Die Farben des Berges“, in dem er seine Erinnerungen an China niedergeschrieben hat.

Huff, Tanya – Hotel Elysium – Die Chroniken der Hüter I

Ein Sturm zwingt die junge Hüterin Claire Hansen und ihren nicht mehr ganz so jungen, schwarzweißen Kater Austin, Zuflucht im Hotel Elysium zu suchen, einer äußerst heruntergekommenen Absteige in Kingston. Am nächsten Morgen stellt Claire zu ihrem Entsetzen fest, dass der Besitzer Augustus Smythe sich aus dem Staub gemacht und ihr das komplette Hotel überschrieben hat, mit der einzigen Anweisung, bloß nicht Zimmer sechs zu betreten. Vielleicht hätte sie sich an die Anweisung halten sollen, denn als sie Zimmer sechs von ihrem neuen Angestellten Dean McIssac öffnen lässt, finden sie dort ausgerechnet eine schlafende, böse Hüterin.

Hüter sind in der Lage, Magie zu nutzen, indem sie Energie von außerhalb unserer Realität abziehen. Zwischen dieser Energiequelle, die Magie möglich macht, und der Realität liegt eine Barriere, die die Energie daran hindert, unkontrolliert einzusickern und schlimme Schäden anzurichten. Manchmal entstehen Löcher in dieser Barriere, durch Unfälle oder auch in böser Absicht willentlich erzeugt. Hüter haben die Aufgabe, diese Löcher wieder zu schließen oder zumindest die verursachten Schäden so klein wie möglich zu halten. Bei den Stellen, die nicht geschlossen werden können, weil die Löcher zu groß geworden sind, müssen die Hüter sie mit ihrem Sein versiegeln. Sie sind dann für den Rest ihres Lebens an diesen Ort gebunden.

Als sich vor mehr als vierzig Jahren im Heizungskeller des Hotels ein Loch öffnete und als Zugang zur Hölle manifestierte, entschied sich die damalige Hüterin, die nun leicht zugängliche Energie für ihre Zwecke zu nutzen. Nur mit vereinten Kräften konnten zwei andere Hüter sie daran hindern. Da sie sie nicht töten wollten und sie auch nicht in der Lage waren, das Loch im Heizungskeller zu schließen, schickten sie sie mit einem „Dornröschen-Zauber“ schlafen. Nun werden ihre Kräfte dazu genutzt, das Loch einzudämmen und daran zu hindern, sich weiter auszubreiten, während die Energien dieses Höllenzugangs dazu genutzt werden, sie in Stasis zu halten. Ein sehr empfindliches Gleichgewicht, das einer ständigen Beaufsichtigung bedarf.

Augustus Smythe war lange Zeit mit der Aufgabe betraut gewesen, den Zugang zur Hölle und die schlafende Hüterin zu überwachen, und darüber schon ziemlich merkwürdig geworden. Deshalb ergriff er natürlich schnell die Gelegenheit zu verschwinden, als er in Claire eine Hüterin erkannte. Claire fühlt sich jedoch noch viel zu jung, um schon in den Ruhestand zu gehen und für den Rest ihres Lebens dieses Loch zu beaufsichtigen, geschweige denn das Hotel zu führen. Also versucht sie das Unmögliche, einen Weg zu finden, das Loch zu schließen und dabei gleichzeitig die böse Hüterin dauerhaft unschädlich zu machen.

Rund um die spannende Haupthandlung entfaltet sich eine absurde Welt, in der alles möglich scheint. So führt der Fahrstuhl des Hotels auf jeder Etage in verschiedene Dimensionen und Wirklichkeiten, unter anderem auch auf die Brücke der Enterprise. Außerdem scheint das Hotel eine Reihe sehr merkwürdiger Gäste anzuziehen, Werwölfe, Vampire und Geister oder auch die abgetakelten Götter des griechischen Pantheons, die wie Rentner von Hermes, dem Götterboten, in einem Bus durch die Gegend gefahren werden. Was jedoch besonders Spaß macht, ist der sprechende Kater Austin; mit jedem Satz merkt man, dass die Autorin schon länger fest unter der Pfote steht. Der Kater liefert sich herrliche Wortgefechte mit seiner Besitzerin Claire, wobei schon nach wenigen Seiten klar wird, wer hier wen besitzt.

Bislang in Deutschland vor allem durch die eher dem Horror zuzurechnende „Chronik des Blutes“ um die Privatdetektivin Vicki Nelson und den Romane schreibenden Vampir Henry Fitzroy bekannt geworden, gibt Tanya Huff mit „Hotel Elysium“, dem ersten Band der „Chronik der Hüter“, einen hervorragenden Einstand in die Welt der humoristischen Fantasy. „Hotel Elysium“ macht Lust auf mehr und so ist es nur gut, dass die nächsten beiden Teile „Auf Teufel komm raus“ und „Hüte sich, wer kann“ schon Ende dieses Jahres ebenfalls im Verlag |Feder & Schwert| erscheinen.

|Tanya Huff bei Buchwurm.info:|
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H. G. Wells – Krieg der Welten

Vom Mars kommen intelligente aber skrupellose Wesen auf die Erde, um sich hier eine neue Heimat zu schaffen. Die menschliche Zivilisation wird ausgelöscht, die hilflose Bevölkerung wie Nutzvieh gehalten. Der Untergang steht bevor, als sich die Natur einmischt … – Klassischer SF-Roman aus dem Jahre 1898, spannend verfasst von einem Vollblutschriftsteller, der die Handlung mit vielen philosophischen Fragen anreichert, was indes den Erzählablauf nie stört: ein zeitloses Meisterwerk, das mehr als ein Jahrhundert nach der Entstehung sein Publikum mit Leichtigkeit findet und auch zukünftig finden wird.
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Thomas H. Cook – Taken – Wir sind nicht allein (Band 1)

Passend zur kürzlich angelaufenen Science-Fiction-Serie „Taken“ gibt es jetzt auch die Begleitbücher zu den ersten beiden Folgen in der so genannten „Pro7-Edition“, also quasi die Begleitbücher zur Fernsehrserie von Steven Spielberg. Es handelt sich dabei um zwei ca. 200 Seiten starke Bücher, in denen die Geschichte um die mysteriöse [UFO-Landung in Roswell]http://de.wikipedia.org/wiki/UFO-Absturz__von__Roswell aus dem Jahre 1947 mit all ihren Folgen für die direkt betroffene Bevölkerung bzw. die ganze Welt geschildert wird. Anders als im Fernsehen, schildert Thomas H. Cook, der Autor der Bücher, die Geschichte jedoch nicht mit vielen Efekten, sondern konzentriert sich lediglich auf den wesentlichen Teil des Plots. Dass dabei manche Details verloren gehen, die man als Fan der Serie noch vor Augen hat, ist dabei eigentlich recht ungewöhnlich, denn im Normalfall zieht man ja immer das Buch dem Film vor. Dieses Mal sieht die Sache jedoch anders aus – aber wenn man bedenkt, dass Erfolgsregisseur Steven Spielberg hinter dem Projekt „Taken“ steht, kann man das schon einmal durchgehen lassen …

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Stephenson, Neal – Snow Crash

Leicht verdaulich ist es ja nicht, was Neal Stephenson da auf die Cyberpunk/Science-Fiction-Gemeinde losgelassen hat. Wer „Snow Crash“ allerdings eine Chance lässt, bekommt einen jener seltenen Ideentrips geboten, die das komplette Weltbild auf den Kopf stellen.

Doch beginnen wir am Anfang: Ausgangspunkt ist eine Zukunft, die nicht von Regierungen organisiert wird, sondern von seltsamen Konstellationen wirtschaftlicher Liberalität: So existieren etwa die Mafia, das FBI, die Polizei oder die Kirche als |Franchises| nebeneinander, als Geschäftsketten, deren Macht über die Marktanteile bestimmt, die sie sich sichern können.

Lebensraum der Bürger jener Zivilisation sind so genannte „Burbklaven“, Lebensgemeinschaften, deren Weltbild vertraglich geregelt ist – Subkulturen mit |Corporate Identity| sozusagen. Schmelztiegel all jener Burbklaven und Franchises ist das Metaversum, eine virtuelle Realität, in der sich jedermann und jede Frau „einbrillen“ kann, um sich mit weltweit gesammelten Informationen füttern zu lassen und mit anderen „Eingebrillten“ auszutauschen.

In einem solchen Universum gedeihen natürlich herrlich schräge Figuren: Hiro Protagonist etwa lebt außerhalb aller Burbklaven in einem Lagerhaus, wobei er seinen Lebensunterhalt als schwertkämpfender Hacker im Metaversum verdient. Und als Pizzafahrer für die Mafia. Ihm zur Seite steht Y.T., ein weiblicher, fünfzehnjähriger Skateboard-Kurier, der bis zu den Zähnen bewaffnet durch die übelsten Burbklaven düst, während die Mutter daheim mit dem Mittagessen wartet.

Eines schönen Tages bekommt es Hiro Protagonist mit „Snow Crash“ zu tun, einer Droge, die nicht nur den Computer seines Freundes Da5id lahm legt, sondern Da5id gleich mit. Snow Crash breitet sich rasch aus und hinterlässt Süchtige, die sich zu kultähnlichen Gruppen organisieren und scheinbar sinnlos vor sich her brabbeln.

Um seinem Freund zu helfen, heftet sich Hiro Protagonist auf die Spur von Snow Crash und den Drahtziehern dahinter. Dabei lernt er unerwartet, die Vertreibung aus dem Paradies mit anderen Augen zu sehen, er stellt fest, dass die Sumerer eine bizarre und fortschrittliche Weltsicht hatten, und erkennt, dass Religion und moderne Computerwissenschaft mehr gemeinsam haben, als sich der durchschnittliche Hacker des 23. Jahrhunderts vorstellen könnte.

Das gilt für den durchschnittlichen Leser des 21. Jahrhunderts natürlich umso mehr. Dementsprechend wird man mit Ideen um neurolinguistische Hacker bombardiert, um Metaviren, um eine drohende Infokalypse und um einen Antagonisten, der seinesgleichen sucht.

Wie gesagt, „Snow Crash“ ist nicht einfach nachzuvollziehen und man sollte schon ein paar grundlegende Kenntnisse über Computer mitbringen, wenn man dieses Buch verstehen möchte. Überhaupt ist Computertechnologie ein gerne verwendetes Thema von Neal Stephenson, das selbst in seinem Kryptographie-Thriller „Cryptonomicon“ eine entscheidende Rolle spielt, obwohl die Thematik dieses Romans im zweiten Weltkrieg verankert ist.

Für Cyberpunk-Anhänger oder Freunde harter Science-Fiction sind derlei technische Eskapaden natürlich ein gefundenes Fressen. Dabei sind Stephensons Ideen durchdacht und rasant umgesetzt, er fordert den Leser, überrumpelt ihn aber nicht, Grundwissen ist wohl nötig, aber ein Doktortitel muss es deswegen noch lange nicht sein. Überhaupt steht bei all dem die Story im Vordergrund, und die ist trotz allen Anspruches poppig, bunt und in einen gekonnten Spannungsbogen eingebettet.

Ursprünglich war „Snow Crash“ als computergenerierter Comic-Roman gedacht, der zusammen mit dem Künstler Tony Sheeder erstellt werden sollte, aber bald wurde dieses Projekt von seinem eigenen Gewicht erdrückt. Der Sprache merkt man es aber noch an: Sie ist hart, direkt und bombardiert den Leser mit stroboskopartigen Bildern einer Welt, die mit bizarren Ideen nur so gespickt ist:

|Im nächsten Sekundenbruchteil: Kein greller Blitz blendet sie, und darum kann sie die Druckwelle regelrecht sehen, die sich wie eine perfekte Kugel ausbreitet, hart und greifbar wie ein Ball aus Eis. Wo die Kugel die Straße berührt, erzeugt sie eine kreisförmige Wellenfront, schleudert Kieselsteine in die Höhe, wirbelt alte McDonald’s-Verpackungen hoch, die längst platt gefahren sind, und fördert feinen, weißen Staub aus sämtlichen Ritzen des Asphalts, so dass sie über die Straße rollt wie ein mikroskopischer Schneesturm. Darüber hängt die Druckwelle in der Luft, rast mit Schallgeschwindigkeit auf Y.T. zu, eine Linse aus Luft, die alles auf der anderen Seite abflacht und bricht. Sie saust hindurch.|

Selten hat man die Zeit, sich während einer gemächlichen Erklärungspassage umsehen zu können, Burbklaven, Franchises, Avatare, Daemonen oder Dentatas prasseln auf den Leser ein, während man vom Sog der Handlung mitgerissen wird; Handlung und Exposition verschmelzen so zu einer Einheit, die jegliche Langeweile im Keim erstickt. Natürlich wird hin und wieder das Tempo gedrosselt, um etwas zu erklären, aber dann ist das Erklärte so abgefahren, dass man die „Pause“ auch braucht, um es überhaupt verarbeiten zu können.
Stephenson hat außerdem ein gutes Gespür für die Vermeidung überflüssiger Informationen; die Szenen greifen nahtlos ineinander über und sorgen für einen stetigen Fluss. Er lässt den Leser an den entscheidenden Punkten des Geschehens einsteigen und hält sich nicht mit Rückblenden auf.

Auch die Figuren bleiben nicht auf der Strecke. Stephenson gibt sich nicht damit zufrieden, kantige Comic-Charaktere in den Raum zu werfen, die durch ein paar skurrile Eigenschaften vom Ruch des Eindimensionalen befreit werden sollen. Die Figuren leben und denken in der Welt, die für sie erschaffen worden ist, sie wachsen in der Konfrontation mit Snow Crash, und dadurch lernt der Leser zu verstehen, wie diese Welt „im Inneren“ funktioniert, was die „Infokalypse“ bedeuten würde, wenn sie tatsächlich über alles hereinbräche. Aber was am wichtigsten ist: Es gibt keine Marionetten der Story, die Story wächst durch die Entscheidungen der Figuren.

Neal Stephenson ist mit „Snow Crash“ jedenfalls ein exquisites Stück Ideenliteratur geglückt, das, wie ich finde, zu Unrecht im Schatten von William Gibsons [„Neuromancer“ 280 steht. Auch wenn Letzterem eine Pionier-Rolle in diesem Subgenre zusteht, zeichnet sich Stephensons Buch durch radikalere Ideen aus, die den Cyberpunk auf eine weitere Evolutionsstufe gehievt haben. Zu Recht jedenfalls wird er in einem Atemzug mit Bruce Sterling, John Shirley und dem erwähnten Gibson genannt, wenn es um die tragenden Autoren der Cyberpunk-Szene geht.

Man sollte sich allerdings davor hüten, Neal Stephenson in diese stilistische Ecke zu drängen. Angefangen hat der 1959 in Maydland Geborene mit „The Big U“, das er auf seiner Homepage als „Jugendwerk“ bezeichnet und nicht weiter kommentiert. 1988 veröffentlichte er „Zodiac – the Eco Thriller“, einen Hardboiled-Detektivroman, um 1991 schließlich „Snow Crash“ zu veröffentlichen. „Diamond Age“ landete 1995 in den Buchregalen der Leserschaft und schlägt als einziges Werk in eine ähnlich rasante und bunte Science-Fiction/Cyberpunk-Kerbe wie sein Vorgänger.

Das Jahr 1999 brachte Stephenson dann mit „Cryptonomicon“ den Durchbruch. Allerdings schlendert dieser Kryptographie-Thriller in einer epischen Gemütlichkeit dahin, die nicht das Geringste mit der Achterbahnfahrt gemein hat, auf die man von „Snow Crash“ geschickt wird. „Cryptonomicon“ kommt viel erwachsener daher, ebenso wie dessen drei Folgeromane aus dem „Baroque Cycle“: [„Quicksilver“, 858 „The Confusion“ (bisher nur auf Englisch erschienen) und „The System of the World“ (ebenfalls nur auf Englisch erschienen). Stephensons Leidenschaft für ausgeklügelte Ideen bekommt hier viel mehr Raum und der Leser kann gemütlich durch seine Gedankengebilde spazieren. Ich für meinen Teil ziehe seine beiden wesentlich wilderen Vorgänger eindeutig vor, weise aber ausdrücklich darauf hin, dass das nichts mit der Qualität von „Cryptonomicon“ zu tun hat, sondern ausschließlich mit meinem persönlichen Geschmack.

Kommen wir also zum Fazit: Da die Zielgruppe „Snow Crash“ ohnehin schon in den Regalen stehen haben wird, geht mein Aufruf an alle, die sich der Science-Fiction sonst nicht so verbunden fühlen: Gebt diesem Ideentrip eine Chance, die Mühe, die er verlangt, zahlt sich mehrfach aus!