Davis, Alan – Fantastischen Vier, Die – Das Ende (100 % Marvel 29)

_Story_

Viele Jahre sind ins Land gezogen, seit die Fantastischen Vier zum letzten Mal Seite an Seite gekämpft haben. Doch nach jenem schicksalhaften Tag, an dem Victor Doom die beiden Kinder von Reed Richards im Kampf tötete, war der Funke endgültig erloschen und trennte das einst so erfolgreiche Mutantenteam voneinander. Das Ding führt seither ein friedfertiges Familienleben auf dem Mars, die Fackel kämpfte zwischenzeitlich bei den Rächern, Sue galt jahrelang als verschollen, weil auch sie den Tod von Franklin und Valeria nicht verkraften konnte, und Reed arbeitet derweil an einer Maschinerie, die ihm die Reisen durch den Weltraum gehörig vereinfachen soll.

Eines Tages jedoch droht der Erde, die mittlerweile zum friedlichen Utopia emporgestiegen ist, eine neue Gefahr. Aus den Tiefen der Galaxis greift eine Truppe mysteriöser Anarchisten an, um die Quarantäne der Schurken endgültig zu beenden. John spürt die Gefahr als Erster und begibt sich an der Seite des Silver Surfer umgehend zu Ben auf den Mars. Allerdings ist dieser historische Moment für beide nur teilweise erfreulich, denn wie sie beide schmerzlich erfahren müssen, besteht insgesamt kein großes Interesse mehr an der Rückkehr der Fantastischen Vier. Doch extreme Situationen erfordern extreme Interventionen – und so treffen eines Tages doch wieder vier einst verbündete Superhelden aufeinander, um das Chaos in der Galaxie erneut in Ordnung zu bringen und Vergeltung für das harte Schicksal der Vergangenheit zu üben.

_Persönlicher Eindruck_

„Das Ende“, ein recht kontroverser Titel, wenn man mal bedenkt, inwieweit die Welt der |Marvel|- und |DC|-Comics in den letzten Jahren an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, nachdem derartige Ankündigungen meist schon nach wenigen Monaten wieder ad absurdum geführt wurden. Insofern ist die Skepsis über ein vorzeitiges Finale auch im Hinblick auf die Fantastischen Vier durchaus berechtigt, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass sich das Quartett um Chefdenker Reed Richards dazu entschließen sollte, die Karriere an den Nagel zu hängen.

In diesem Sonderband aus der Reihe „100 % Marvel“ gehört jener Prozess allerdings schon der Vergangenheit an; die vier Protagonisten sind längst in alle Winde verstreut und haben sich seit ewigen Jahren nicht mehr gesehen. Sue und Reed Richards haben sich fast vollständig von der zivilisierten Welt distanziert, weil sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Kinder im Kampf gegen Victor Doom kaum mehr Sinn im eigenen Fortbestehen sahen. So ging auch das berüchtigte Pärchen fortan getrennter Wege und ließ nicht nur die Familie, sondern auch die dramatische Vergangenheit komplett hinter sich.

Das Szenario, das Alan Davis nun, etliche Jahre nach jenem tragischen Ereignis, auffährt, ist daher zunächst auch ziemlich ungewöhnlich, um nicht zu sagen gewöhnungsbedürftig. Die Erde lebt seit einiger Zeit in Frieden, während die Riege der Schurken ohne Ausnahme in eine ferne Quarantäne versetzt wurde, um jenes friedliche Miteinander zu gewährleisten. Innerhalb dieses Settings sind auch die Hauptakteure kaum mehr wiederzuerkennen. Ben Grimm alias Das Ding ist endlich mit sich im Reinen und hat eine Möglichkeit entdeckt, seine Gestalt wieder in die eines Menschen zu verwandeln. Er lebt in beständiger Harmonie mit seiner Familie auf dem Mars und lüstet definitiv nicht mehr nach den Zwistigkeiten gegen die Elite der Superschurken. Auch Sue und der völlig zerstreute, stark gealterte Reed sind nur noch ein Schatten ihrer Selbst und als Identifikationsfiguren keinesfalls mehr geeignet. Depressiv auf der einen, fast schon gefühlskalt auf der anderen Seite, geben sie ein trauriges Bild ab und beschreiben ein Szenario, wie es sich Fans der Fantastischen Vier sicherlich nicht als optimale Zukunftslösung vorstellen würden.

Diesbezüglich hat Davis zweifelsohne einen interessanten Rahmen für seine Story geschaffen und sich auch sehr gut vom klischeehaften Treiben, welches oft derartige Finals ziert, gelöst. Allerdings wirkt seine Geschichte bisweilen einfach zu selbstverliebt und unstrukturiert. Der Autor, selbst ein riesiger Fan der bereits 1961 vom legendären Stan Lee ins Leben gerufenen Reihe, ließ es sich nicht nehmen, alle elementaren Charaktere in seine Handlung aufzunehmen und somit einen wahren Overkill an Action und Informationen zu verbraten, unter dem der stringente Fluss der Handlung ein wenig leidet. Des Weiteren sind die Übergänge zwischen den einzelnen Situationen selten fließend. Davis springt allerorts umher, was gerade zu Beginn für reichlich Verwirrung sorgt, zumal immerzu weitere Nebenstränge eröffnet werden. Die Fronten sind erst abgesteckt, als die Story bald zu Ende geht, gerade auf Seiten der Schurken, wo man kaum ausmachen kann, wer die Anarchisten nun tatsächlich anführt. Stattdessen schien es dem Autor wichtiger, möglichst viele berüchtigte Figuren wie Annihilus, Galactus, den Super-Skull und natürlich auch Victor Doom einzubeziehen, was ihn letztendlich auch daran hindert, inhaltlich fokussiert zu arbeiten.

Dennoch ist „Das Ende“ in Relation zu vergleichbaren Werken sicherlich ein lesenswerter Comic, der sich nach anfänglicher Komplexität langsam aber sicher zu einem heldenhaften Bombastwerk entwickelt und alleine schon wegen des hohen Maßes an Action den Fan der klassischen Serie überzeugen sollte. Alan Davis, der im Übrigen auch den Part des Zeichners übernommen hat, und das weitestgehend zufriedenstellend, hat zwar sicherlich keine Blaupause eines „Fantastic Four“-Comics abgeliefert, aber eine durchweg eigenständige, grundsolide Story, deren Unterhaltungswert mit wachsender Seitenzahl deutlich steigt und den treuen Anhänger schlussendlich überzeugen sollte.

http://www.paninicomics.de

Juli Zeh – Spieltrieb

Für ihr Debüt „Adler und Engel“  wurde Juli Zeh gelobt und mit Preisen ausgezeichnet. Ihr zweiter regulärer Roman „Spieltrieb“ schickt sich an, das Gleiche zu tun.

Das Buch spielt in Bonn, Zehs Heimatstadt, genauer gesagt in der fiktiven Ernst-Bloch-Schule. Die Privatschule mit angeschlossenem Internat ist die neue Heimat der fünfzehnjährigen Ada. Die hochintelligente, aber gefühlskalte und arrogante Schülerin ist kein einfaches Kind. Sie widerspricht den Lehrern, ist aber nicht aggressiv, sondern schweigsam. Sie hat keine Freunde, doch als Alev neu in die Klasse kommt, baut sich zwischen den beiden etwas auf. Freundschaft oder Beziehung kann man das nicht gerade nennen. Die beiden sind von ihrer Intelligenz und ihrer abgebrühten Einstellung her auf gleicher Ebene. Es gibt keine emotionale Beziehung zwischen ihnen. Mal ignoriert Alev Ada, mal schenkt er ihr all seine Aufmerksamkeit. Ada, obwohl sie sich nicht zu solchen Gefühlen fähig wähnt, wird von dem jungen Halbaraber mit den komischen Ansichten angezogen.

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Naidoo, Xavier / bearbeitet von Michael Schlierf – Xavier Naidoo – The Best of – Songbook für Piano, Gitarre und Gesang

Trotz seines anhaltenden Erfolgs gilt Xavier Naidoo hierzulande als ein recht kontroverser Künstler: Entweder liebt man den spirituell angehauchten Soul-Pop des Platin-Sellers, oder man stellt sich konsequent gegen die tiefgründige Lyrik, die Naidoo in seinen Liedern unterbringt. Dennoch muss man dem Mann fraglos attestieren, der deutschen Musikszene in den letzten Jahren einen enorm deutlichen, wenn nicht sogar richtungsweisenden Stempel aufgesetzt zu haben und zumindest im Pop-Bereich wieder ein gewisses inhaltliches Qualitätsbewusstsein hervorzurufen, das sich gegen die Plattitüden aus dem Hip-Hop-Zirkus und der Eintönigkeit der Dancefloor-Szene durchgesetzt hat.

Inzwischen blickt der Künstler bereits auf ein breites Repertoire national gefeierter Hits zurück, darunter auch zahlreiche Frontplatzierungen in den Media-Control-Charts, die ihn über die Jahre zu erfolgreichsten deutschen Künstler des neuen Jahrtausends haben aufsteigen lassen. Dennoch bemüht sich der Musiker weiterhin, in der Öffentlichkeit den unscheinbaren, ruhigen Songschreiber zu mimen und trotz des gewaltigen Erfolgs lieber introvertiert als explosiv aufzutreten. Insofern passt die düstere Untermalung des jüngst erschienen Best-of-Songbooks auch perfekt zum Menschen Xavier Naidoo, wohingegen die Musik sich bereits von Anfang an diese stille Melancholie bewahrte, die hier optisch in all ihren Vorzügen repräsentiert wird.

Dennoch geht es auch in dieser bewusst farblosen Partitur in erster Linie um die Sprache der Musik, die in insgesamt 17 der bekanntesten Stücke Naidoos gesprochen wird. Darunter befinden sich sowohl ältere Gassenhauer wie ‚Führ mich ins Licht‘ und ‚Nicht von dieser Welt‘, Spirituelles wie ‚Abschied nehmen‘ und ‚Seelenheil‘ sowie natürlich die nach wie vor präsenten Hits wie ‚Was wir alleine nicht schaffen‘ und ‚Dieser Weg‘, welche vor allem im Rahmen der letztjährigen Fußball-Weltmeisterschaft eine ungeheure Medienpräsenz erfuhren.

Inhaltlich ist das Ganze für Piano, Gitarre und natürlich Gesang arrangiert und insgesamt sehr edel aufgemacht. Die Notenblätter sind für ein solches Werk gar überdurchschnittlich überschaubar, die Struktur der Songs selbst für Laien schnell durchschaubar und durch die leeren Akkordgitter zum Ende des Albums ergibt sich darüber hinaus noch die Möglichkeit, einzelne Akkorde präziser aufzuschlüsseln bzw. auch eigene Notationen einzubringen.

Visuell betrachtet ist das Songbook ebenfalls eine durchweg gelungene Ausgabe, sei es nun auf die dezenten Farbtöne oder eben auf die kontinuierlich eingeschobenen Illustrationen bezogen. Und auch was die Songauswahl betrifft, wird wohl kein treuer Anhänger Anlass zum Mosern finden, schließlich sind alle wichtigen Hits dabei und darüber hinaus auch noch ein paar Geheimtipps. Für musikbegabte Fans des besonnenen Chartstürmers ist dieses Buch ergo auch sehr empfehlenswert, zumal man durch die Wahl zwischen Klavier- und Gitarrenbegleitung sogar die Möglichkeit erhält, den Charakter eines Songs ein wenig zu modifizieren. Damit erhält so manches Stück eine völlig neue Seele und fordert den experimentierfreudigen Musiker zu einer noch konzentrierteren und konsequenteren Auseinandersetzung mit dem Material des Musikers und Lyrikers auf. Ein Grund mehr also, sich mit diesem Werk auseinanderzusetzen!

_Inhalt_

Was wir alleine nicht schaffen
Danke
Dieser Weg
Zeilen aus Gold
Oh My Lady
Seelenheil
Bist du am Leben interessiert
Du bist wie ein Segen
Kleines Lied (Kinderlied)
Wenn ich schon Kinder hätte
Ich kenne nichts (das so schön ist wie du)
Abschied nehmen
Wo willst du hin?
Ernten was man sät
Nicht von dieser Welt
Führ mich ans Licht
Sie sieht mich nicht

http://www.bosworth.de/

Interview mit André Wiesler

_Martin Schneider:_
Hallo, André, stell dich der Leserschaft doch bitte einmal kurz vor.

_André Wiesler:_
Gern. Mein Name ist André Wiesler. Ich lebe und arbeite als Schriftsteller in Wuppertal, wo ich vor nunmehr 33 Jahren auch geboren wurde. Meine Frau Janina und unser Hund Lucky leisten mir dabei Gesellschaft und Schützenhilfe. Neben Fantasy und Science-Fiction schreibe ich seit Neuestem auch „History-Mystery“.

_Martin:_
Neben deiner Arbeit beim „Envoyer“ (Rollenspielmagazin) und deiner Tätigkeit als Chefredakteur des „LodlanD“-Rollenspiels schreibst du ja auch fleißig Bücher. Nun ist mit [„Hexenmacher“ 4106 dein neuer Roman erschienen. Was erwartet den Leser?

_André:_
„Hexenmacher“ erzählt vorrangig die Geschichte des Ritters Hagen von Stein, der im Spätmittelalter seinen Lebensweg zu finden versucht. Dabei hat er mit einem düsteren Geheimnis, diversen Gegenspielern und epochalen Entwicklungen zu kämpfen. Außerdem lernt der Leser den Inquisitor Georg von Vitzthum kennen, der im Jahr 2007 auf der Jagd nach übersinnlichen Wesen ist.

_Martin:_
Die Hauptfiguren sind die als Brüder aufgewachsenen: Hagen von Stein und Albrecht von Neuburg. Beide sind sehr unterschiedlich, wohnen zusammen und werden zu Feinden. Wie hast du die beiden Charaktere angelegt, und was hast du dir dabei gedacht?

_André:_
Das Thema Bruderzwist zieht sich ja durch den gesamten „Hexenmacher“. Neben Hagen und Albrecht sind es vor allem die beiden Könige Sigmund und Wenzel, die einem da einfallen. Wichtig war mir bei beiden Figuren, dass sie in ihrer eigenen Gedankenwelt glaubhaft bleiben und nichts tun, nur um die Geschichte voranzubringen. Im Idealfall sollte der Leser den „bösen“ Albrecht zumindest verstehen, vielleicht sogar etwas mögen und natürlich mit dem langsam ambivalenter werdenden Hagen mitfiebern.

_Martin:_
Mich erinnern die beiden immer ein wenig an Hagen von Tronje (Albrecht) und Siegfried von Xanten (Hagen)? War da die Nibelungensage ein Vorbild? Das würde dann auch einen amüsanten Aspekt in der Namensgebung deiner Figuren ergeben …

_André:_
Hagen war für mich immer schon ein Name, der mit Rechtschaffenheit und Mut verbunden war. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass ich jeden Albrecht für schwach und neidisch halte (lacht). Die Nibelungensage hatte ich nicht im Kopf, wiewohl ich da eher ein Fan der modernen Ausdeutung bin, nach der Siegfried ein eher unangenehmer Typ war – in der Sage kommt er ja stellenweise sehr undiplomatisch und frauenfeindlich rüber – und Hagen der „Gute“.

_Martin:_
Kurioserweise stelle ich mir Hagen immer blond vor und Albrecht dunkelhaarig. Bin ich ein Opfer der Stereotypenbildung? Hast du das Aussehen der Charaktere bewusst gewählt?

_André:_
Es war in der Tat ein kleiner, aber bewusster Bruch der Stereotypen, den „Bösen“ blond zu machen.

_Martin:_
Wie kamst du eigentlich auf die Idee, reale Fakten mit einem Werwolfroman zu kombinieren und das Ganze dann noch mit Geheimgesellschaften und kirchlichen Reliquien zu würzen?

_André:_
Werwölfe waren schon immer eine Leidenschaft von mir. Das liegt vielleicht darin begründet, dass ich als Kind schreckliche Angst vor dem Wolfsmann aus dem gleichnamigen Schwarzweißfilm hatte. Tremendum Faszinosum – das Erschreckend-Anziehende (lacht). Der kirchliche Ansatz ist aus der Überlegung erwachsen, was aus Hagen in Band 2 und 3 noch werden soll. Was die reale Einbindung angeht, so finde ich, dass Horror immer dann am besten funktioniert, wenn man das Gefühl bekommt, dass es wirklich so sein könnte; dass die Geräusche unter der Treppe wirklich ein Monster sein könnten, und dass man besser nicht unters Bett guckt.

_Martin:_
Warum hast du dir die Zeit um den ersten Prager Fenstersturz und die der Hussitenaufstände für den Roman ausgesucht?

_André:_
Ich stolperte bei der Recherche zu der Reihe über diese Epoche, vor allem wegen Wenzel und Sigmund, und fand sie gleich spannend. Hier konnte ich religiöse Streitigkeiten mit profaner Machtgier und persönlichen Gefühlen mischen und das vor der genialen Kulisse des spätmittelalterlichen Prags.

_Martin:_
Indem du jeden der beiden Kontrahenten Hagen und Albrecht einem der beiden Könige Wenzel von Böhmen und Sigismund von Luxemburg zugeordnet hast, hast du deren Feindschaft gleich auf eine ganz andere Ebene gehoben. Was hast du dir davon erhofft?

_André:_
Dass es spannend wird (lacht). Durch die Verknüpfung der beiden Quasi-Brüder mit einem anderen Brüderpaar ist der Preis mit einem Mal viel höher. Es geht nicht mehr nur um die Burg Aichelberg, sondern gleich um das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation, um die Kaiserkrone, um die höchsten Würden. Außerdem erlaubte es mir sehr schön, die unterschiedliche Art Hagens und Albrechts darzustellen, wie sie mit Obrigkeit und Treue umgehen.

_Martin:_
Was mir sehr gefallen hat, ist, dass Albrecht eher ein tragischer Bösewicht ist als ein wirklich böser. Hat ihn das Leben nicht einfach nur härter getroffen als etwa seinen Ziehbruder?

_André:_
Es freut mich, dass Albrechts tragische Züge zu erkennen sind. Er ist jedoch einer der Menschen, die glauben, das Leben und jeder darin schulde ihnen etwas. Er glaubt, dass die Menschen sich fragen sollten, was sie für ihn tun können, wie sie ihm das Leben leichter machen können. So ein Anspruch muss natürlich enttäuscht werden, denn jede Art von sozialer Interaktion funktioniert nur durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Haltung seiner Eltern ihm gegenüber hat diese Enttäuschung sicher verstärkt.

_Martin:_
Wie lange hast du für den Roman recherchiert?

_André:_
Mit Unterbrechungen an die zwei Jahre. Besonders intensiv natürlich in den letzten Monaten vor Schreibbeginn.

_Martin:_
Von woher hast du dir Hilfe geholt?

_André:_
Zuvörderst ist da meine Frau Janina zu nennen, die studierte Mediävistin ist und mich in vielen Fragen des Mittelalters beraten hat. Dann habe ich natürlich, zumindest für die erste Orientierung, das Internet durchforstet und mich dann mit weiterführender Literatur beschäftigt. Einen gewissen Grundbestand an alten Sagen und Legenden gerade zum Thema Werwölfe hatte ich bereits vorliegen. Und schließlich gibt es noch die beiden Lektorinnen bei |Heyne|, Frau Vogl und Frau Bergenthal, die beide sehr mittelalterbegeistert sind und mir Ungenauigkeiten gnadenlos um die Ohren gehauen haben, zum Besten des Buches.

_Martin:_
Welche von den Ausdrücken Wariwulf, Bletzer, Hecetisse und Hagr kommen aus dem Mittelhochdeutschen und welche sind Neologismen deinerseits?

_André:_
Diese vier sind allesamt mittelhochdeutscher Natur, ebenso wie Bluotvarwes, die im zweiten Buch vorkommen werden. Vargr allerdings hat einen nordischen Ursprung.

_Martin:_
Wie wichtig war es dir, die lateinischen Passagen wie etwa Gebete in Latein zu belassen?

_André:_
Das Lateinische war im Mittelalter eine allgegenwärtige Sprache, auch wenn nur die Gelehrten sie beherrschten. Gerade Sakrales war in der Regel ursprünglich auf Latein, und ich finde, es trägt zur Stimmung bei, es nicht zu übersetzen. Für diejenigen, die wie ich selbst keinen blassen Schimmer von Latein haben – ich danke an dieser Stelle Stephan Packard, der es nach meinem Dafürhalten fließend spricht und mir behilflich war -, findet sich im Anhang ja die Übersetzung.

_Martin:_
Wie muss man sich deine Werwölfe genau vorstellen? Gab es da irgendwelche Vorbilder für die Gestaltung, wie etwa das Rollenspiel „Werwolf: Die Apokalypse“ oder einschlägige Filme? Was war dir bei der Gestaltung besonders wichtig?

_André:_
Wie schon erwähnt, packte mich die Begeisterung für Werwölfe früh, und da wäre es sträflich gewesen, ein so schönes Rollenspiel wie „Werwolf: Die Apokalypse“ zu ignorieren. Wir haben es lange Jahre mit großer Begeisterung gespielt. Gute Werwolffilme hingegen kann man leider an einer Hand abzählen, und was übrig bleibt, bedient sich dann doch sehr häufig der gängigen Klischees oder rutscht ins Splatter ab.

Ich habe mich bemüht, der Sache auf den Grund zu gehen, die ursprünglichen Sagen und Mythen zu studieren und daraus ein eigenes Werwolfbild zu entwickeln. Wie in jeder Beschäftigung mit einem einigermaßen eng umrissenen Thema greift man dabei an einigen Stellen auf ähnliche Quellen zurück, aber ich denke, dass meine Interpretation des Stoffes originell genug ist, um auch Werwolffans allgemein und Werwolfspieler im Speziellen zu überraschen.

_Martin:_
Du hast den Werwölfen ja eine eigene, aber durchaus christlich orientierte Mythologie gegeben. Wie kamst du auf diese Idee?

_André:_
Das erwuchs aus dem Gedanken, die Geschichte Hagens im Mittelalter beginnen zu lassen. In dieser Zeit war der Glaube so allgegenwärtig, dass auch die Werwölfe in Europa nur christlich integriert oder ketzerisch sein konnten. Und dann kam sozusagen die Kür, während der ich versucht habe, die Hintergründe der Werwolfgesellschaft mit glaubhaften, sowohl adaptierten als auch ganz eigenen Hintergründen zu versehen. Mir war wichtig, dass sie mehr waren als pelzige Ungetüme, dass sie eine stabile und glaubhafte Basis bekamen.

_Martin:_
Was genau sind den nun Bletzer? Mir kam da der Gedanke an Vampire – allerdings können die Bletzer ja auch tagsüber existieren …

_André:_
Zur Frage der Bletzer wird der zweite Band viele Antworten bereithalten, die ich hier ungern vorwegnehmen möchte. Mit Vampiren liegt man aber sicherlich nicht ganz falsch. (lacht)

_Martin:_
Ohne zu viel vom Ende zu verraten: Ich muss dich schelten, da hast du eine sehr gemeine Ader gezeigt!

_André:_
Das Dunkel lauert in jedem von uns (lacht). Für zarte Gemüter ist das Finale sicher nichts, aber ich glaube fest daran, dass eine geringere dramatische Wendung dem Spannungsbogen nicht gerecht geworden wäre.

_Martin:_
Der nächste Band wird „Teufelshatz“ heißen und im Dreißigjährigen Krieg etwa zweihundert Jahre später spielen. Was kannst Du uns darüber schon verraten?

_André:_
Kernthema des Buches sind diesmal die Bletzer, die ein großes Vorhaben auf den Weg bringen. Georgs Geschichte in der Jetztzeit erhält einen deutlich größeren Anteil und auch hier werden zahlreiche Fragen des ersten Bandes beantwortet. Außerdem erfährt man, was Vargr sind.

_Martin:_
Was kannst du uns schon über den dritten Teil verraten?

_André:_
Der dritte Teil spielt vorrangig in der Jetztzeit, mit kurzen Stippvisiten in Hagens Vergangenheit. Es wird ein wilder Reigen von Hecetissen und Hagren, Blezern und Bluotvarwes, Wariwulf und Vargr mit einem Finale, das zumindest in der Konzeption bisher ziemlich bombastisch wird. Und es wird die Schwebebahn vorkommen (lacht).

_Martin:_
Im letzten Jahr hatte Markus Heitz mit seinen Werwolf-Romanen „Ritus“ und [„Sanctum“ 2875 relativ großen Erfolg. Wie kommt es, dass dieses Thema auf einmal so erfolgreich ist? Was sind deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Heitz‘ Geschichte um die Bestie von Gévaudan und deinem „Hexenmacher“?

_André:_
Das weiß ich leider nicht zu beantworten, da ich beide Bücher noch nicht gelesen habe. Ich meide bewusst in der „heißen Arbeitsphase“ Werke mit (vermeintlich) ähnlichem Grundthema, um mich da nicht beeinflussen zu lassen.

_Martin:_
Kommen wir zum nächsten Thema, das mich brennend interessiert: Das Rollenspiel [„LodlanD“. 2144 Ich muss gestehen, dass mir dieses Rollenspiel sehr gut gefällt. Erzähl doch mal unseren Lesern bitte, worum es darin geht.

_André:_
„LodlanD“ ist ein deutsches Rollenspiel, das eine Zukunft schildert, in der die Menschheit wegen einer selbst verschuldeten Naturkatastrophe gezwungen war, in die Weltmeere auszuwandern. Hier leben sie nun seit einigen Jahrhunderten, haben Staatengemeinschaften gebildet und sich an das Leben unter Wasser weitgehend gewöhnt – was es aber nicht weniger spannend oder gefährlich macht.

_Martin:_
Wie bist du auf diese Idee gekommen bzw. wie sah der Entstehungsprozess von „LodlanD“ aus?

_André:_
Die Grundidee stammt von Christian Fischer, dem ehemaligen Chefredakteur des „Envoyer“ und „LodlanD“-Verleger. Er sprach mich mit dem Grundkonzept an, eine glaubhafte, nachvollziehbare Science-Fiction-Welt zu gestalten, und da war ich natürlich sofort Strömung und Welle (statt Feuer und Flamme). Wir stellten uns ein Team aus erfahrenen und zuverlässigen Autoren zusammen, von denen die meisten heute noch aktiv an „LodlanD“ mitarbeiten, und begaben uns an die Konzeption.

_Martin:_
Was mir bei diesem Rollenspiel auffiel, sind die hohe wissenschaftliche Fundiertheit, und die Massen an Wissenschaftlern, denen gedankt wird – wie lange hat die Vorbereitung des Regelwerkes gedauert?

_André:_
Ingesamt haben wir etwa zweieinhalb Jahre daran gearbeitet, wobei wir nach einem Jahr Entwicklungsarbeit einen harten Schnitt gemacht haben, gut 80 Prozent „in die Tonne kloppten“ und neu anfingen.

_Martin:_
Nun ist das „LodlanD“-Grundregelwerk auch als Hardcover erschienen. Darf man das so bewerten, dass sich das Spiel auf dem hart umkämpften Rollenspielmarkt durchgesetzt hat?

_André:_
Das hoffen wir doch – der Bekanntheitsgrad ist erfreulich hoch. Ganz allgemein war aber die Zeit reif, dem – im Vergleich zu unseren neueren Publikationen einfach nicht mehr standesgemäßen – Grundregelwerk ein Make-over zu spendieren.

_Martin:_
Wie sieht der weitere Weg von „LodlanD“ aus? Welche Veröffentlichungen sind geplant?

_André:_
Unlängst haben wir unser erstes Pay-per-Download-Abenteuer online gestellt, „Boot und Spiele“, das von dem ambitionierten Team der Seite LodlanD.info unter der Leitung unseres Autoren Alexander Schulz geschrieben wurde. Bis zum Ende des Jahres wird „Blut und Stahl – UNL und Stawa“ erscheinen, dass unsere Reihe der Landesbände weiterführt, welche der Band zu Scientia und Kobe-Uppland im Jahr 2008 abschließen wird. Außerdem haben wir noch einen Kampagnenband in Arbeit, zu dem ich aber erst Näheres verkünden möchte, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Unsere Devise bei „LodlanD“ ist ja, dass wir Angekündigtes auch pünktlich einhalten.

_Martin:_
Was mir beim „LodlanD“-Team auch sehr gut gefällt, ist der überragende Online-Support. Wie wichtig ist für euch das Internet als Plattform?

_André:_
Das Internet stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, die verstreute Spielerschaft zu bündeln und ihnen Interaktion auch jenseits der Cons zu ermöglichen. Mit unserem exklusiven Supportbereich für Spielleiter, dem fortlaufenden Metaplot und zahlreichen kostenlosen Downloads freuen wir uns, den „LodlanD“-Fans einiges an Mehrwert bieten zu können.

_Martin:_
Sehr löblich finde ich, dass das alte Softcover Regelwerk kostenlos zum Download angeboten wird. Schneidet ihr euch damit nicht ins eigene Fleisch?

_André:_
Wir sind davon überzeugt, dass beinahe jeder, der „LodlanD“ einmal probespielt, von seiner Qualität überzeugt und vom Spielspaß motiviert wird. Und wer ein Spiel gern spielt, der kauft sich dann auch das Grundregelwerk oder zumindest einige Quellenbücher. Niemand soll die Katze im Sack bzw. den Hering in der Tüte kaufen müssen.

_Martin:_
Du schreibst für das Rollenspiel „Shadowrun“ fleißig Romane – wann kommt der erste „LodlanD“-Roman?

_André:_
Sobald sich ein Verlag interessiert zeigt. Erste Konzepte gibt es seit einer Weile, aber eine neue Reihe zu etablieren, ist für einen Verlag immer schwierig. Wir sind aber zuversichtlich, dass es dereinst eine Romanreihe geben wird.

_Martin:_
Wie sieht es allgemein mit zukünftigen Projekten aus? Was ist geplant?

_André:_
Im Moment arbeite ich für |Pegasus Spiele| an „Quest – Zeit der Helden“, einem Heldenspiel, mit dem wir unter anderem neue Rollenspieler an das Hobby heranführen wollen. Zu meinem Geburtstag am 25. September wird zudem der erste Zyklus meiner Space-Opera „Raumhafen Adamant“ auf [www.mobilebooks.de]http://www.mobilebooks.de als Handy-Buch erscheinen. Davon abgesehen bin ich bis 2008 erst einmal ausgebucht mit den beiden nächsten Teilen der „Chroniken des Hagen von Stein“. Was danach kommt, ist noch nicht ganz klar. Eine Fantasy-Trilogie, die Drachen zum Hauptthema hat, ist ebenso möglich wie ein Near-Future-Thriller oder ein weiterer historischer Roman mit fantastischen Anklängen im bergischen Land der Wende vom 18. auf das 19. Jahrhundert. Konzepte gibt es viele, es bleibt abzuwarten, wofür der Verlag zu begeistern ist.

_Martin:_
So, ich glaube, nun habe ich dich genug gelöchert. Vielen Dank für das Interview. Nun hast du noch einmal die Möglichkeit, das Wort an unsere Leser zu richten.

_André:_
Ich bedanke mich für das Interesse und freue mich immer über Lob, aber auch konstruktive Kritik zu all meinen Werken. Dazu gibt es auf meiner Homepage [www.andrewiesler.de]http://www.andrewiesler.de Gelegenheit, aber auch bei einer meiner Lesungen, die ebenfalls auf dieser Seite angekündigt werden. Ich bedanke mich auch sehr herzlich für das Interview.

_André Wiesler auf |Buchwurm.info|:_

[„Hexenmacher“ 4106 (Die Chroniken des Hagen von Stein, Buch 1)
[„LodlanD – In den Tiefen des Meeres“ 2144
[„Altes Eisen“ 2038 (Shadowrun #56)

Wiesler, André – Hexenmacher (Die Chroniken des Hagen von Stein, Buch 1)

_Handlung_

Spätmittelalter: Hagen von Stein wächst als Waisenkind auf Burg Aichelberg auf. Dort hat er die uneingeschränkte Liebe seiner Ziehmutter, der Gräfin von Neuenburg. Die hat er auch nötig, denn Hagen ist ein Wariwulf (Werwolf), ein von Gott als Beschützer der Christenheit geschaffenes Wesen. Sein Ziehbruder Albrecht sieht das allerdings ganz anders, denn dieser hasst Hagen, wegen dessen Perfektion und der Liebe, die seine Mutter dem Wariwulf und nicht ihm entgegenbringt. Dieser Zwist zwischen den beiden wird immer größer, und mit zunehmendem Alter schließen sich die beiden Kontrahenten verschiedenen Königen an, die beide nach der Krone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nationen streben. Nun bekämpfen sich die beiden auf einer völlig anderen, großen und epischen Ebene.

Gegenwart: Georg von Vitzthum kämpft gegen Werwölfe und Hexen. Er ist ein moderner Inquisitor, der für die Kirche gegen die verderbten übernatürlichen Wesen kämpft. Dafür sucht er die Chroniken des Hagen von Stein, da er sich daraus neue Erkenntnisse erhofft.

_Der Autor_

André Wiesler wurde am 25.9.1974 in Wuppertal geboren, wo er bis heute mit seiner Frau Janina lebt. Nach einem Studium der Germanistik und einigen Jahren der Autorenschaft fürs Fernsehen ist er heute als freiberuflicher Übersetzer und Schriftsteller tätig. Bekannt wurde er hauptsächlich durch seine zahlreichen „Shadowrun“-Romane, als Chefredakteur des Rollenspiels „LodlanD“ sowie des monatlichen Rollenspiel Magazins „Envoyer“ und der Spielreihe „Zeit der Helden“ beim |Pegasus|-Verlag.

„Hexenmacher“ ist der Auftakt der „Chroniken des Hagen von Stein“, die mit „Teufelshatz“ im Frühjahr 2008 fortgesetzt werden.

_Mein Eindruck_

„Hexenmacher“ ist ein, wie man im neudeutschen so unschön sagt, „Urban-Fantasy“-Roman, der fiktive Fantasy- und Horror-Elemente mit historischen Fakten und Gegebenheiten kombiniert. Hierbei verschlägt es den Leser in zwei parallelen Handlungen in die Gegenwart und ins Spätmittelalter. Dabei überzeugt Wiesler gerade bei seiner Schilderung des Spätmittelalters. Besonders gelungen sind hier zum einen die Wahl der Zeit sowie deren sprachliche Besonderheiten. Als Handlungszeitraum für den Roman hat sich Wiesler die Zeit der Hussitenkriege und des ersten Prager Fenstersturzes geschickt gewählt. Zum einen eignet sich diese Epoche perfekt, um die Werwölfe (Wariwulf) als christliche Geheimgesellschaft glaubhaft darzustellen, etwa im Kampf gegen die Husiten, und zum anderen bieten die beiden streitenden Könige Wenzel von Böhmen und Sigismund von Luxemburg, die übrigens auch Brüder sind, die perfekte Möglichkeit, den „Bruderzwist“ zwischen Hagen und Albrecht auf eine ganz andere politische Ebene zu heben.

Das Motiv des Bruderkrieges ist ja in der Literatur weitreichend bekannt, wird aber von Wiesler gleich dreifach bedient: einmal der Kampf der beiden Ziehbrüder Hagen und Albrecht, dann jener der beiden Könige Wenzel und Sigismund um die Krone sowie der Kampf der „normalen“ Christen gegen die ketzerischen Hussiten. So weitet sich das Ganze zu einem umfassenden Kampf aus, in dem die Seiten von Hagen (Sigismund und Christen) gegen Albrecht (Wenzel und Hussiten) klar abgesteckt sind.

Die Fakten sind alles in allem sehr gut recherchiert, so dass sie sich hinter keinem historischen Roman verstecken zu brauchen. Durch das Einstreuen von mittelhochdeutschen Wörtern wie „Bletzer“ oder „Wariwulf“ und das Belassen lateinischer Litaneien in ihrem Originalwortlaut wird eine erstaunliche Stimmung erzeugt, die den Leser sofort fesselt. Wer dabei der lateinischen Sprache nicht mächtig ist, braucht sich nicht abschrecken zu lassen, denn in einem Glossar am Ende des Buches liegen diese Wendungen als Übersetzung vor.

Die zwei parallel laufenden Handlungsstränge finden also im Spätmittelalter und in der Gegenwart ihren Platz, wobei das Hauptaugenmerk eindeutig auf dem Mittelalter liegt. Die Passagen in der Gegenwart sind immer wieder eingeschobene Interludien. Diese lockern das Ganze erfreulich auf und geben schon einen Ausblick auf das, was in der Zukunft geschehen wird. Die Handlung im Mittelalter ist nicht fortlaufend beschrieben, sondern in Jahre unterteilt, wobei Sprünge von teilweise mehreren Jahren gemacht werden, was dem Ganzen wirklich die Gestalt einer Chronik gibt. Dies beschleunigt den Lesefluss ungemein und macht den Roman ausgesprochen kurzweilig. Allerdings erzählt Wiesler so gekonnt und anschaulich, dass „Hexenmacher“ ruhig noch deutlich länger hätte sein dürfen …

Viel möchte ich vom Ende nicht verraten. Nur so viel: Ein tragischeres Ende habe ich selten gelesen und unterstelle dem Autor hiermit eine leicht sadistische Ader.

Die Charaktere im Roman sind ihm ebenfalls sehr gut gelungen, wobei die Motivation der Personen – selbst die des Bösewichts Albrecht – komplett nachvollziehbar sind. Beim Aussehen der beiden bricht Wiesler aber mit den gängigen Konventionen, indem der „gute“ Hagen schwarze Haare hat und der „böse“ Albrecht blond ist. Hier zeigt er dem Leser klar auf, wie gefangen man häufig in der Stereotypenbildung ist.

Sehr positiv aufgefallen ist mir die von Wiesler selbst ausgedachte Mythologie, welche die Werwölfe in der christlichen Glaubensgemeinschaft verankert. Das Zusammenfügen von Fakten und Fiktion ist allgemein eine große Stärke dieses Romans, denn ich konnte zu keiner Zeit irgendwelche Ungereimtheiten erkennen, was von guter Recherchearbeit und Kreativität des Autors zeugt. Auch muss ich dem |Heyne|-Verlag ein Kompliment aussprechen, denn die Aufmachung des Covers und das Layout sind ebenfalls ausgesprochen gut gelungen.

_Fazit_

„Hexenmacher“ überzeugt mit seiner Mischung aus Historienroman und fiktiven Horror- und Fantasyelementen voll. André Wiesler erzählt hier eine sehr actionreiche, aber auch tragische Geschichte, die definitiv Hunger auf den nächsten Teil „Teufelshatz“ macht. Für Freunde von Werwolf- und/oder Vampirromanen ist „Hexenmacher“ ein absoluter Pflichtkauf.

http://www.heyne.de
http://www.andrewiesler.de/

|Siehe ergänzend dazu auch das parallel veröffentlichte [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=79 mit André Wiesler.|

Freidrich, Gary / Thomas, R. / Ploog, M. / Sutton, T. – Marvel Horror: Ghost Rider 1

_Story_

Kurz nach dem Tod seiner Eltern wird Johnny Blaze von den Eignern einer Motorrad-Stunt-Show adoptiert und reist fortan mit dem erfolgreichen Wanderzirkus durch die Lande. Jedoch ist der Tod ein ständiger Begleiter Johnnys: Bei einem Brand des großen Stunt-Zeltes wird seine Adoptivmutter tödlich verletzt, und auch sein Stiefvater und Mentor Crash Simpson, selber als Stuntman aktiv, sieht dem Tod ins Auge, als ihn eine schwere Krankheit befällt. Um ihn vor dem sicheren Ende zu retten, erinnert sich Blaze an ein satanisches Ritual und beschwört den Teufel, Crash Simpson zu heilen. Allerdings wird Johnny vom Höllenfürsten übergangen, der sich Simpson auf andere Weise in die Hölle holt.

Der Preis für sein Beschwörungsritual ist hoch: Aus dem einstigen Stuntman ist der Ghost Rider geworden, ein entflammtes Skelett, in das sich Blaze bei Einbruch der Dunkelheit verwandeln muss. Aber auch seine neue Gestalt hat ihm den Mut nicht genommen; aus Liebe zu seiner Stiefschwester Roxanne führt er die Show weiter und trotzt dem Teufel gleich mehrfach, selbst als dieser die Gestalt Crash Simpsons annimmt und sich gegen ihn stellt. Denn wer sich mit dem Ghost Rider anlegt, begibt sich zumeist auf eine tödliche Höllenfahrt in die endgültige Verdammnis.

_Persönlicher Eindruck_

|Marvel| haben anscheinend eine neue Lieblingsfigur (wieder)entdeckt. Im Anschluss an die gefeierte Verfilmung mit Nicolas Cage sind bereits mehrere Comic-Alben um den Flammenkopf Johnny Blaze auf den Markt gekommen, und nun lebt der „Ghost Rider“ auch noch in den Horror-Comics des legendären amerikanischen Verlags auf.

Allerdings handelt es sich bei der ersten Ausgabe von „Marvel Horror“ keinesfalls um neuen Stoff; stattdessen hat man einige Ausgaben aus dem „Marvel Spotlight“ aus den Jahren 1972-73 für das wiederholte Revival ausgewählt und damit gleichzeitig einen wahrhaftig denkwürdigen Beitrag aus dem großen Fundus der verlagseigenen Gruselgeschichten wiederbelebt. Erzählt wird einmal mehr die Ursprungsgeschichte des lange verschollenen Helden, welche im Übrigen schon aus allerlei Perspektiven geschildert wurde, in diesem Fall aber wohl die beliebteste Fassung enthält.

Johnny Blaze ist noch nicht gänzlich dem Satan verfallen und schlüpft lediglich bei Dunkelheit in die Rolle seines unfreiwilligen Alter Egos, erweckt dann jedoch Kräfte in sich, die ihn in Windeseile zu einer der am meisten gefürchteten Figuren des Landes machen. Jedoch weiß niemand von seinem neuerlichen Doppelleben, geschweige denn von seinen Motiven, die ihm dieses Schicksal beschert haben. Blaze handelte stets aus Großmütigkeit und Nächstenliebe und zahlt einen undankbaren Preis für seinen Bund mit dem Teufel. Er ist verdammt bis in alle Ewigkeit, den Ghost Rider zu mimen, bekommt aber dennoch häufig die Gelegenheit, dem betrügerischen Satan Paroli zu bieten und für eine Verbesserung seines Schicksals zu streiten. Aber ständig wird ihm sein Beschützerinstinkt zum Verhängnis: Zunächst will er Crash Simpson vor dem endgültigen Zugriff des Teufels retten, später ist es dann gleich mehrfach dessen Tochter Roxanne, Johnnys Geliebte, die seiner Hilfe bedarf, um nicht auch dem Höllenfürsten in die Hände zu fallen. Und so durchlebt der Stuntman in seinem neuen Part als flammenköpfiger Gerechtigkeitskämpfer ein Abenteuer nach dem nächsten, stets in Begleitung der Aura seines ärgsten Widersachers aus dem Schlund der Hölle und immerzu auf der Schwelle zwischen Leben, Tod und seinem verfluchten Schicksal.

Zweifelsohne hat der Verlag mit dieser Klassiker-Serie ein echtes Juwel des illustrierten Horror-Genres hervorgekramt, gottlob aber auch unbearbeitet in deutscher Sprache aufgelegt. Die Zeichnungen versprühen den Geist der klassischen 70er-Comics, die Farbgebung ist wirklich prächtig und erinnert an die kultigen „Gespenster-Geschichten“ und der Inhalt ist wirklich brillant und lebt – man lese und staune – von den ausgeprägten Klischees, die Autor Gary Friedrich an kaum einer Stelle ausgelassen hat. In diesem Sinne sollten sich Skeptiker mit Kommentaren bezüglich der als unnötig erachteten Verwertung älteren Materials doch deutlich zurückhalten. Welcher Zeitpunkt könnte schließlich besser sein, um diese vernachlässigte Ikone der |Marvel|-Historie mit ihren besten Comics zu würdigen? Gerade wenn man bedenkt, dass es sich hierzulande ja immer noch um eine Erstveröffentlichung handelt. Meinetwegen dürfen |Marvel| die 35(!) Jahre alte Serie gerne komplett neu auflegen; diese Storys sind nämlich definitiv Kult!

http://www.paninicomics.de

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[„Ghost Rider 1 – Teufelskreis“ 3724
[„Ghost Rider – Die Straße zur Verdammnis (100 % Marvel 26)“ 3598

Crisse, Didier (Autor) / Meglia, Carlos (Zeichner) – Canari 2: Die letzte Welle

[„Canari 1: Die goldenen Tränen“ 3179

_Story_

Auf der Suche nach ihrem verschollenen Bruder erhält Canari immer mehr Indizien für die Entführung des jungen Xaotil. Der Bund zwischen den Menschen und den Göttern scheint durch ihre eigene Unachtsamkeit nunmehr endgültig zerbrochen, weil die Verbindung infolge Canaris Missgeschick und des unvorsichtigen Überstreifens des Armreifes gestört ist. Aber Canari gibt nicht auf und folgt der Himmelsgöttin Citlaligua in deren Heimat, wo sie sich mehr Hinweise über den Aufenthaltsort Xaotils erhofft.

Doch die Gewissheit, die ihr dort kundgetan wird, ist furchtbar: Ihr Bruder wurde als Opfer gewählt, um die lose Verbindung zwischen Menschen und Göttern ein für allemal zu durchbrechen und die Menschen aus der Unterwürfigkeit zu den Göttern zu befreien. Ausgerechnet ihr Vater, der sie für ihr jüngstes Vergehen völlig verachtet, soll das Urteil vollstrecken und Xaotil töten. Canaris Rettungsaktion soll den geliebten Spross vor Schlimmerem bewahren; doch sie kommt zu spät und muss einen weiteren hohen Preis zahlen.

Unterdessen versteht Wayne Jahrhunderte nach den Vorgängen im mexikanischen Dschungel nach wie vor nicht, warum ihn dieser Strand an der Küste Mexikos so sehr begeistert, dass er regelmäßig dorthin aufbricht. Die unglaublichen Wellen ziehen ihn geradezu magisch an, besonders nach dem Brief, der ihm kürzlich verraten hat, dass das Geheimnis seiner Herkunft an diesem speziellen Ort begraben liegt. Doch dann wird er bei einem weiteren heißen Wellenritt von der Flut erfasst – und verschwindet spurlos …

_Persönlicher Eindruck_

Ein ganzes Dreivierteljahr hat man sich beim |Splitter|-Verlag Zeit gelassen, um die heiß ersehnte Nachfolgestory zum Debütalbum der neuen Erfolgsserie von Didier Crisse zu veröffentlichen – eine Zeit, in der manch andere Comic-Gestalt längst in Vergessenheit geraten wäre. Allerdings hat die hübsch illustrierte Canari einen merklichen Eindruck hinterlassen, so dass selbst nach dieser vergleichsweise langen Überbrückungszeit kaum Schwierigkeiten dabei auftreten, den Faden wieder aufzunehmen. Und dennoch macht es der Autor seinem Publikum nicht sonderlich leicht, den Wiedereinstieg problemlos zu schaffen, was darin begründet liegt, dass Crisse nach wie vor am hohen Erzähltempo des Vorgängerbandes festhält. Ständig wechselt er die Szenarien, pendelt zwischen Canaris Schicksal in der Vergangenheit und Waynes wachsenden Zweifeln in der Gegenwart und bringt die parallel erzählten Geschichten auch noch rasend schnell vorwärts.

Anhand der Geschwindigkeit lässt sich schließlich auch die enorme Entwicklung der Geschichte(n) ablesen. Canari springt von einer Bredouille in die nächste und sieht sich mit einer wachsenden Zahl wenig wünschenswerter Situationen konfrontiert, für die sie alleine keine Lösung findet. Der Armreif belastet sie ebenso wie das Verschwinden ihres Bruders, für das sie sich selber verantwortlich macht. Außerdem ruht der Fluch eines ganzen Volkes auf ihren kleinen Schultern, da Xaotil in ihrem Beisein ausgerechnet einen Tag vor dem Ix, dem Tag der Begegnung von Menschen und Göttern, verschwunden ist. Sie sucht Beistand bei den Göttern, erfährt jedoch nur noch mehr Grausames: Eine Priesterschaft hat sich des Jungen angenommen und möchte ihn als Opfergabe darbringen, um die Menschen endgültig zu befreien. Canari ist sich der Tragweite dessen mit einem Mal bewusst und unternimmt einen verzweifelten Versuch, Xaotil zu befreien. Aber wie schon zuletzt, so versagt sie auch nun und muss für ihre Fehlbarkeiten endgültig die Konsequenzen tragen.

Jahrhunderte später am selben Ort wird Wayne von seiner Vergangenheit eingeholt und mit der Frage nach seiner Abstammung gegenübergestellt. Erste Hinweise lassen ihn darauf schließen, dass die Faszination für die mexikanische Küste mit seiner Herkunft in Verbindung zu bringen ist. Doch die Indizien sind haltlos und unlogisch. Und dennoch geschieht an einem schicksalhaften tag genau das, was Wayne immer befürchtet, gleichzeitig aber auch irgendwie erhofft hat. Eine Riesenwelle erfasst ihn auf seinem Board und ebnet ihm den Weg über die perfekte Welle – aber auch den plötzlichen Untergang. Wird dies der erste Schritt in die Vergangenheit sein?

Crisse hat sich redliche Mühe gegeben, die Entwicklung einerseits nuanciert, andererseits auch ziemlich zügig zu forcieren, und letztendlich eine adäquate Fortsetzung zum starken Debütband kreiert. Er greift das Potenzial der Story von der ersten Seite an wieder auf, nimmt sich das Recht heraus, weiterhin zwei zunächst differenzierte Handlungsstränge aufzubauen und ausgeprägt darzustellen, eröffnet derweil ein etwas komplexeres, inhaltliches Puzzle und lässt auch keine Gelegenheit aus, den Feinschliff seiner beiden Rohdiamanten Canari und Wayne zu erledigen. Insofern dürfte es also kaum verwundern, wenn der Zuspruch für „Die letzte Welle“ ähnlich groß sein wird wie im November letzten Jahres das Interesse an „Die goldenen Tränen“. „Canari“ hat sich längst zum absoluten Geheimtipp gemausert und ist als solcher nicht nur eine Empfehlung, sondern nun auch im Doppelpack einen verpflichtenden Eintrag auf dem Einkaufszettel wert. Dies allerdings in der Hoffnung, dass nicht wieder so viele Monate vergehen müssen, bis das dritte Hardcover-Album dieser Reihe endlich in den Regalen steht.

http://www.splitter-verlag.de/

Guillaume, André de – Weltherrschaft für Anfänger

(Keine Angst, weder das Buch noch diese Rezension sind so ganz ernst gemeint.)

„Was will uns der Dichter damit sagen?“ André de Guillaume hat in seinem Büchlein „Weltherrschaft für Anfänger“ eine kleine Anleitung zur Gewinnung der Macht vorgelegt, bei der man sich nie ganz sicher ist, ob es ein Ratgeber, ein ironisches Enthüllungsbuch oder eine Satire sein soll. Angelegt ist das Buch als eine Sammlung kompakter Tipps, Kurzporträts berühmter Machtmenschen und natürlich der beliebten Hitlisten (etwa zur Vorbereitung ‚Zehn Jobs, die Sie zur Weltherrschaft führen können‘). Das und die flüchtigen Karikaturen deuten am ehesten auf eine Satire hin, wenn dieser Eindruck nicht geschickt von dem zwar launigen, aber in der Sache unbeirrt ernsthaften Tonfall der Ratschläge konterkariert würde.

De Guillaume zieht seine Unterweisungen chronologisch für einen Herrschaftsablauf auf. Er beginnt bei den Voraussetzungen, die man schon mitbringen sollte, leitet über die Jugend und die Vorbereitung und Durchführung der Machtübernahme zur Ausübung und Sicherung der Herrschaft und schließlich zur Planung des nicht unbedingt freiwilligen Abgangs. Zynisch lässt er sich über erforderliche Maßnahmen wie Mord, Untreue und natürlich allerlei Lumpereien rund ums Geld aus. Misstrauen gegen jedermann ist selbstverständlich unerlässlich. In einem merkwürdigen Gegensatz dazu stehen die Empfehlungen, den Reichtum und die Ergebenheit der Umgebung genüsslich auszukosten. Das ist zumindest gut beobachtet, denn egal wie arm ein Land ist: Die hohen Herren haben noch nie Not gelitten. In einer Art Nachwort berichtet de Guillaume von einem eigenen misslungenen Putschversuch in einem kleinen Inselstaat namens Cashman (!) Islands. Offenbar ist der Autor hier seinem eigenen Ratschlag gefolgt, sich als angehender Diktator eine interessante Vita zuzulegen.

„Was will uns der Dichter damit sagen?“ Strategien zur tatsächlichen Erlangung der Weltherrschaft verlieren natürlich schlagartig ihren Wert, sobald sie veröffentlicht sind – zumal es ja auch nicht unbegrenzt viele Weltenherrscher geben kann. Als Ratgeber zur Machtgewinnung im kleinen, im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld hilft das Buch höchstens ansatzweise, da es fast nur politische Macht betrachtet. (Nun gut, sehr machtbewusste Menschen, die zwischen den Zeilen lesen können, werden schon den einen oder anderen Hinweis erhalten.) Es hilft auch nicht wirklich, die eigene Regierung besser zu durchschauen, da es sich nur vereinzelt mit den Intrigen demokratischer Regime auseinandersetzt und in Diktaturen ohnehin verboten sein dürfte.

Um noch stärker als humorvolles politisches Aufklärungsbuch zu funktionieren, fokussiert sich „Weltherrschaft für Anfänger“ also zu stark auf typische Diktaturen. Deren Bevölkerungen dürften auch ohne Buch nur zu gut um ihre Situation wissen. Einen subversiven Charme könnte das Buch gewinnen, wenn de Guillaume noch etwas ausführlicher die Aushebelung der Demokratie durch gewählte Regierungen beschrieben hätte, z. B. durch Desinformation via staatlicher Medien, den diskreten Aufbau von Nichtregierungsorganisationen, deren Forderungen man dann als „guter Demokrat“ entgegenkommt, oder die Instrumentalisierung der Wissenschaft (Geschichtsschreibung, Energiefragen) durch Bestechung statt Bedrohung.

Wahrscheinlich muss man „Weltherrschaft für Anfänger“ als Unterhaltungsbuch mit einem gallig-zynischen Humor nehmen, das einem vorführt, was menschenmöglich ist. Wenn das Buch dem Leser hilft, weniger übertriebenen Respekt vor den Mächtigen zu haben sowie Karrieristen und Ehrgeizlinge im Alltag besser einzuschätzen, dann hat es neben der kurzweiligen Lektüre auf jeden Fall seinen Nutzen bewiesen.

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Mehnert, Achim – Atlan – Die Psi-Kämpferin (Rudyn-Trilogie 1)

_Story_

Man schreibt das Jahr 3012 alter terranischer Zeitrechnung. Atlan und die Mitglieder der United Stars Organisation scheinen von größeren Zwischenfällen verschont, als plötzlich ein merkwürdiger Notruf vom USO-Stützpunkt auf dem Planeten Finkarm die Zentrale im Quinto-Center erreicht. Mit letzter Kraft hat jemand die Information über einen versteckten Zellaktivator an den Lordadmiral entsenden können, bevor er hilflos und vom Kampf gezeichnet zusammenbricht und stirbt. Atlan zögert nicht lange und erforscht mit einem Spezialeinsatzteam die USO-Außenstation, um die merkwürdigen Ereignissen zu rekapitulieren.

Tatsächlich bemerkt er mit seinem unwirschen Einsatz auf Finkarm, dass der Einfluss eines Unsterblichkeit versprechenden Zellaktivators die Atmosphäre bestimmt und selbst Agenten der USO mit radikalen Mitteln in den Besitz des wertvollen Geräts zu kommen versuchen. Aus Angst, von seinen eigenen Leuten überrumpelt zu werden, tritt der Lordadmiral alleine den einsamen Weg durch die Wüste des Xanthab-Systems an und wird dort Zeuge mehrerer grausamer Begebenheiten.

Unterdessen an einem gänzlich anderen Schauplatz: Das junge Mädchen Trilith Ork wird auf seinem Heimatplaneten von einer Piratentruppe aufgegabelt und von ihnen in den rauen Lebensalltag auf See eingeführt. Über die Arbeiten in einem Bordell gelangt sie schließlich an eine Reihe unterschiedlicher Herren, die ihre Ausbildung zur Kämpferin vorantreiben und ihr immer deutlicher das Gefühl geben, dass ihr gesamter Lebensweg vorbestimmt ist. Allerdings kommt ihr eines Tages der Gedanke, dass immerzu Menschen sterben müssen, damit dieser Weg beschritten werden kann. Aber nach all ihren Erfahrungen ist Trilith abgebrüht und eiskalt – und entwickelt sich vielleicht zur größten Gefahr für das gesamte Universum …

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem zufriedenstellenden, aber sicherlich nicht vollends überzeugenden Auftakt der neuen „Atlan“-Romanreihe mit der „Lepso-Trilogie“ bahnt sich mit dem zweiten Drillingskonzept dieser Tage nicht nur eine erhebliche Steigerung, sondern mitunter eine der besten, spannungsreichsten Storys der jüngsten, literarischen Science-Fiction-Vergangenheit an. Die einzelnen Akteure wurden in vielerlei Hinsicht besser ausgearbeitet, die Charakterprofile sind schlüssiger und man fühlt sich über weite Strecken ein ganzes Stück intensiver in die Figuren und die Handlung hineinversetzt. Außerdem gelingt es Autor Achim Mehnert sehr gut, die beiden parallel verlaufenden Stränge gleichwertig in Szene zu setzen und den Fokus nicht ausschließlich auf den Titelhelden zu konzentrieren. Gegenteilig ist es nämlich in erster Linie Trilith Ork, deren schicksalhaften Lebensweg der Leser vordergründig begleitet und die insgesamt weitaus dominanter im Mittelpunkt steht.

Merkwürdig, andererseits aber auch wieder fortschrittlich ist dabei die Aufarbeitung ihrer persönlichen ‚Karriere‘ im Rahmen einer Fantasy-Handlung. Trilith schlägt sich mehrere Jahre auf einem Piratenschiff durch, kämpft später auf dem Schlachtfeld und hat überhaupt keine Vorstellung von den übergeordneten, für sie unvorstellbaren kosmischen Konstellationen, die das gesamte Universum bestimmen. Ihr Horizont endet jenseits der See bzw. an der Himmelspforte, und auch ihre Umwelt wirkt im Science-Fiction-Setting von „Atlan“ eher altertümlich und infolge dessen auch äußerst kontrastreich, was den Vergleich zur Haupthandlung um den Lordadmiral betrifft. Im Gegensatz dazu ist Atlans Einsatz trotz der neuerlichen Brisanz eher eine Routinemission und in diesem Sinne eine völlig typische, wenn auch sehr gut ausstaffierte Science-Fiction-Erzählung, die zunächst einmal gar nicht mit den Geschehnissen in Triliths Heimatwelt in Einklang zu bringen ist. Mehnert knüpft im ersten Band zwar diverse Verbindungspunkte, doch zunächst offenbaren sich dem Leser nur zwei völlig divergierende Welten samt komplett losgelösten Zusammenhängen, jedoch beide auf ihrem Level sehr spannend und im Falle Triliths auch partiell echt bewegend.

Allerdings bleibt vorerst auch nur festhalten, dass dieser Auftakt nur das mächtige Potenzial aufbereitet, dass die „Rudyn-Trilogie“ bis auf Weiteres zu bieten hat. Welten öffnen sich, Verfolgungsjagden sind an der Tagesordnung, und irgendwo zwischendrin bewegen sich die beiden Hauptakteure mit einer unheimlichen Eleganz, die den SF-Begeisterten schnell in ihren Bann ziehen wird. „Die Psi-Kämpferin“ ist dementsprechend eine sehr ansprechende Verquickung von Fantasy, Science-Fiction und Drama und bringt den besten Freund Perry Rhodans mit einem Mal wieder zurück auf eine der Führungspositionen im deutschen Science-Fiction-Genre. Sollten die beiden nachfolgenden Bände von Rüdiger Schäfer respektive Michael H. Buchholz nahtlos daran anknüpfen können, darf man endlich von einem gelungenen Comeback sprechen!

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Xiaolong, Qiu – Tod einer roten Heldin

Inzwischen gibt es bereits vier Romane um Qiu Xiaolongs poetisch veranlagten Krimihelden Kommissar Chen. „Tod einer roten Heldin“ war seinerzeit Xiaolongs Debütroman, der nun im |DAV| als Hörspiel vorliegt.

Xiaolongs Romane spielen in Shanghai, in Zeiten des Umbruchs, die geprägt sind von veralteten Kaderstrukturen und Traditionen und einer zunehmenden Öffnung für den Fortschritt der modernen Welt. Zwischen diesen Gegensätze ermittelt Kommissar Chen, nebenberuflich Dichter, im Fall Guan Hongying, die ermordet aus einem Shanghaier Kanal gefischt wurde.

Anfangs ahnt Chen noch nichts von der politischen Tragweite des Falls und auch als sich herausstellt, dass Guan Hongying eine nationale Modellarbeiterin und damit ein Vorbild der chinesischen Gesellschaft war, will er noch nicht an einen politischen Hintergrund glauben, wie es seine Vorgesetzten tun.

Als sich dann aber herausstellt, dass Guan Hongying bis kurz vor ihrem Tod eine geheime Affäre mit dem Fotografen Wu hatte, der brisanterweise der Sohn des einflussreichen Kaders Wu Bing ist, bekommt Chen die politische Tragweite des Falls am eigenen Leib zu spüren. Wu ist Chens Hauptverdächtiger, was seinen Vorgesetzten gar nicht passt. Chens Mentor, Parteisekretär Li, ist schnell zur Stelle, um Chen zurückzupfeifen und auf einen Posten wegzuloben, auf dem er keinen Schaden anrichten kann. Doch Chen ist fest entschlossen, den Fall zu lösen …

Der Reiz von Qiu Xiaolongs Krimis liegt weniger im Krimiplot an sich als vielmehr in Zeit und Ort der Handlung begründet. Der Fall selbst ist recht klassisch konzipiert, und dennoch ist Qiu Xiaolong mit „Tod einer roten Heldin“ ein insgesamt sehr ungewöhnlicher und eigenwilliger Krimi geglückt.

Da wäre zum einen die Hauptfigur des Kommissar Chen. Ein studierter Literat im Polizeidienst ist für sich schon ungewöhnlich. Chen übersetzt neben seiner Polizeiarbeit mit einigem Erfolg westliche Kriminalromane und veröffentlich hier und da Gedichte. Das hat ihm in der Shanghaier Gesellschaft eine vergleichsweise privilegierte Stellung und den Luxus verschafft, als Junggeselle alleine eine Ein-Zimmer-Wohnung bewohnen zu dürfen.

Chen ist eine Figur mit Tiefgang, deren Gedanken oft um literarische Themen kreisen. Er fasst Ideen und Beobachtungen gerne in Verse und beschwört damit eine sehr persönliche und intensive Charakterzeichnung herauf. Chen ist einerseits eine sehr sympathische Figur, ist aber gleichsam stets darauf bedacht, politisch korrekt zu handeln, um in den starren alten Kaderstrukturen nicht unnötig anzuecken.

Es ist daher auch gerade der stetige kritische Blick auf die politische und gesellschaftliche Situation Chinas allgemein und Shanghais im Speziellen, der den Reiz der Geschichte ausmacht. Der Leser/Hörer erfährt ganz nebenbei unheimlich viel darüber, wie das Leben dort aussieht. Die anhaltende politische und gesellschaftliche Einflussnahme der alten Kader, die eklatante Wohnungssituation, in der jeder Einwohner es in Schnitt auf neun Quadratmeter Wohnfläche bringt, und die Omnipräsenz der Partei, die die Menschen dazu zwingt, stets auf der Hut zu sein, in ihrem Handeln und Denken. Gerade auch durch die lebhafte Inszenierung von Xiaolongs Roman wird die Atmosphäre Shanghais für den Hörer zum Greifen nah.

Und so ist das eigentlich Spannende an „Tod einer roten Heldin“ auch weniger die Lösung des Falls an sich (die auch recht einfach gestrickt ist) als vielmehr die Art und Weise, wie Kommissar Chen es trotz der Steine, die ihm in den Weg gelegt werden, schafft, seine von politischen Kreisen unerwünschten Ermittlungen voranzutreiben. Es sind genau diese politisch brisanten Zutaten, mit denen Xiaolong seinen Roman würzt, die ihn besonders schmackhaft machen.

Für die Hörspielfassung wurde der über 450-seitige Roman um einiges zusammengerafft und auf 107 Hörspielminuten gekürzt. In der Vergangenheit hatte ich bei ähnlich gelagerten Kriminalhörspielen im |DAV| mit einem ähnlich komplexen gesellschaftspolitischen Hintergrund oft das Gefühl, dass die Handlung zu stark komprimiert wurde (z. B. bei Yasmina Khadras Algerien-Krimi „Morituri“). Hier kann man trotz der Straffung der Geschichte aber noch ohne Probleme folgen und verliert auch im Hin und Her der vielen chinesischen Namen nicht gleich den Faden.

Die Hörspielinszenierung kann man nur als hochkarätig loben. Die Sprecher leisten durch die Bank weg überzeugende Arbeit, allen voran Erzähler Peter Fricke und Andreas Fröhlich in der Rolle des Kommissar Chen. Auch die gesamte Inszenierung, das Zusammenspiel von Musik, Geräuschen und Stimmen ist wunderbar stimmig inszeniert worden. So entsteht eine dichte Atmosphäre, in die man gerne gleich ein zweites Mal eintauchen möchte. „Tod einer roten Heldin“ ist in der Tat die Art Hörspiel, die man nicht nur einmal hört.

Bleibt unterm Strich also ein positiver Eindruck zurück. Qiu Xiaolong hat mit „Tod einer roten Heldin“ einen Roman abgeliefert, der rein als Krimi betrachtet solide ist, sich in seinem gesellschaftlichen und politischen Kontext aber als kleine Perle in der Weite der Krimilandschaft hervortut. Gerade auch die Hörspielfassung des |DAV| kann man nur loben. Sie schafft den Balanceakt zwischen einer konsequenten Komprimierung der Handlung und einer dennoch intensiven und dichten Atmosphäre, die vor allem durch die Riege hochkarätiger Sprecher und die wohltuend stimmige Inszenierung zu gefallen weiß.

http://www.audioverlag.de/

Yann / Berthet – Poison Ivy 2: Flying Tigers

Band 1: [„Sumpfblüte“ 4019

_Story_

Poison Ivy und die Mitglieder der |Women On War| sitzen zutiefst in der Patsche; gerade eben wurde ihr Kampfjet von einem japanischen Zero-Bomber versenkt und befindet sich im Sturzflug in den Tod. Doch die Damen haben Glück im Unglück: An Bord ihrer Maschine befindet sich tatsächlich ein Pilot, der den Flieger trotz seines alkoholisierten Zustandes heil zu Boden bringt.

Gemeinsam mit dem Whiskey trinkenden Nervenbündel ziehen die militanten Nonnen durch den Dschungel zur Spezialeinheit der |Flying Tigers|, bei denen Swampy ihren Bruder Tinkleberry wähnt. Doch kurz vor ihrer Ankunft hat sich dieser mit seinem Kumpel Achab in die letzten beiden Maschinen des Geschwaders gesetzt, um einen weiteren japanischen Luftangriff abzuwehren. Von beiden Piloten fehlt anschließend jede Spur, sodass es Poison Ivy schwerfällt, sich weiter ausschließlich auf die gemeinsame Mission zu konzentrieren. Beobachtet von den Spionen, die Swampy bereits in Louisiana beinahe umgebracht hätten, geht die feminine Einsatztruppe kompromisslos und selbstbewusst ihren Weg, um dem korrupten Präsidenten Roosevelt einen Anlass für den Krieg gegen die Japaner zu beschaffen. Doch den naiven Superheldinnen scheint nicht bewusst, was sie mit ihrem radikalen Verhalten im Endeffekt bewirken werden.

_Persönlicher Eindruck_

Dem äußerst sympathischen Auftakt der neuen Reihe beim |Schreiber & Leser|-Verlag folgt im zweiten Teil bereits eine ziemlich skurrile, teils auch recht durchgeknallte Fortsetzung, bei der die Handlung weitestgehend vom makaberen Humor des Autors geprägt wird und beinahe die gesamte Ausrichtung der Story auf den außergewöhnlichen Situationen, die infolge dessen entstehen, fußen lässt.

Alles beginnt damit, dass ein Vollblut-Alkoholiker die verkleideten Nonnen der W.O.W. ein wenig ziellos vor dem Tod bewahrt. So entsteht einerseits ein wenig 007-Atmosphäre, weil die Action wirklich brisant und spektakulär inszeniert wird. Doch kontrastierend dazu entwickelt Yann eine eindeutige Persiflage des klischeebesetzten Agententypus und zieht diverse Größen des verdeckt ermittelnden Genres mächtig durch den Kakao. Diese Qualität verbirgt sich des Weiteren auch hinter den improvisierten historischen Aufnahmen, die verschiedene Eckpunkte des Comics zieren. Wie es sich für einen politisch unkorrekten Comic gehört, wird natürlich in erster Linie wieder gegen die Staaten gewettert. Genau dort sitzt der machthungrige Präsident, genau dort ist der Schmelztiegel der Korruption, personifiziert in einem gierigen Machthaber, der gerne bereit ist, menschliche Opfer vor der Küste Japans dafür zu nutzen, die Kriegstreiberei vor der asiatischen Halbinsel zu forcieren, und genau dort sind auch die sechs komischen Nonnen beheimatet, deren Fähigkeiten von einer theatralischen Darbietung als religiös beeinflusste Nazis bis hin zu den unkonventionellen Tötungsmethoden mit einem stets enorm makaberen Beigeschmack aufgeführt werden. Letzterer sollte vor allem diejenigen ansprechen, die sich mit der drastischen Alberei von Mega-Hits wie „South Park“ und den gezielten Seitenhieben, wie sie von einer berühmten gelben Familie kürzlich sogar im Leinwand-Format dargebracht wurden, arrangieren können, wobei man demzufolge nicht auf inhaltliche Parallelen, sondern einzig auf den Charakter des bewusst überspitzten Humors schließen sollte.

Neben den Scharfschüssen, Skurrilitäten und Albereien soll die Handlung allerdings nicht ausgeblendet werden; die Reise der Sondereinheit setzt sich mit steigendem Tempo fort und steht ausnahmslos im zentralen Fokus. Zwar wird sie schon deutlich von den verrückten Darstellungen sowie dem gekonnten Wortwitz überlagert, aber sie bildet stets den Ausgangspunkt und verschwindet unterdessen nicht hinter den Auswüchsen, mit denen sich die Schmunzelmünder und Lachmuskeln auseinandersetzen müssen. Schlussendlich entwickelt sich hier eine eindrucksvolle Fortsetzung der Abenteuergeschichte, die mittlerweile zu einer geschickten Verbindung aus Action-Komödie, Thriller-Parodie und unterschwellig kritischer Historienverarbeitung herangewachsen ist und somit sogar noch ein größeres Publikum anspricht als kürzlich das Debüt.

Daher darf man sich zu guter Letzt auch gerne zum Resümee hinreißen lassen, dass diejenigen, die „Sumpfblüte“ jüngst in ihrem Favoritenkreis Einlass gewährt haben, „Flying Tigers“ höchstwahrscheinlich gar nicht mehr entkommen lassen wollen. Ein ganz spezieller Humor mag zwar gewissermaßen als Voraussetzung für die innige Beziehung zum zweiten Teil von „Poison Ivy“ gelten, doch da ein solcher unter Comic-Fanatikern definitiv zum Handgepäck gehört, ist dieser Hinweis fast schon wieder hinfällig. Nun denn, Freunde des intelligenten Humors, hier erwartet euch eine neue Herausforderung!

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Sassenberg, Volker – Gabriel Burns – R. (Folge 26)

Victor Zeysen ist tot. Viele Jahre schon. Doch wenn für die Hörspielreihe |Gabriel Burns| etwas zutrifft, dann die Tatsache, dass Totgeglaubte gerne weiterleben. Dies wird in Folge 26 mit dem mysteriösen Titel „R.“ ( der Name klärt sich im Laufe der Episode auf) umso deutlicher. Und Dr. Victor Zeysen, einstiger Leiter von Ravenstone, einer Anstalt für gestörte Kinder, ist nicht der Einzige, der tot scheint, es aber in Wirklichkeit nicht ist. So beginnt die Folge zwar mit einem regelrechten Paukenschlag und dem Tod einer der Hauptfiguren, doch sie wartet am Ende mit einer noch viel größeren Überraschung und einem Cliffhanger auf, der das Warten auf die Fortsetzung fast unerträglich macht.

_Vorgeschichte: Folgen 1 bis 25_

Vancouver: Steven Burns, erfolgloser Schriftsteller, hält sich mehr schlecht als recht als Taxifahrer über Wasser. Sein Leben ändert sich jedoch schlagartig, als er an den geheimnisvollen Bakerman gerät – oder treffender: als Bakerman Steven kontaktiert, um ihn in ein mysteriöses Projekt einzuweihen, das sich unheimlicher Phänomene angenommen hat. Warum Bakerman, der dieses Projekt leitet, gerade Steven für seine Pläne auserkoren hat, wird dem Schriftsteller in dem Moment klar, als er an seinen Bruder Daniel zurückdenkt. Dieser verschwand nämlich im Alter von vier Jahren auf seinem Geburtstag, als Steven ihn bat, in eine Kiste zu steigen und einen Zaubertrick über sich ergehen zu lassen. Doch das Resultat war kein harmloses Kinderspiel, denn Daniel war plötzlich wie weggezaubert und blieb spurlos verschwunden.

Obwohl Bakerman auf die Geschehnisse von Stevens geheimnisvoller Zaubergabe anspielt, bleibt er ihm die Antworten schuldig. Und wenn er etwas herausrückt, dann nur sehr spärlich und darauf bedacht, die wahren Hintergründe im Dunkeln zu lassen. Denn Bakerman möchte Stevens Fähigkeiten erst einmal testen und eine Vertrauensbasis aufbauen. So schickt er ihn über den gesamten Globus; immer dort hin, wo auf eigenartige Weise Menschen verschwinden, von gefährlichen Experimente berichtet wird oder scheinbare Naturphänomene ans Tageslicht treten.

Steven Burns zur Seite stehen Joyce Kramer und Larry Newman, die das Viererteam um Bakerman komplettieren. Joyce ist bereits seit vielen Jahren ein treuer Verbündeter Bakermans und stellt seine Pläne nicht in Frage. Larry hingegen ist erst kurze Zeit nach Steven zur Mannschaft gestoßen, als sich der frühere Forstbeamte in den Wäldern von Yukon widernatürlichen Phänomenen ausgesetzt sieht und daraufhin beschließt, das Böse zu bekämpfen. Die zehn fahlen Orte sind es, die Steven Burns, Bakerman, Joyce und Larry in Atem halten. Orte, an denen das Böse zum Vorschein kommt und Tore in eine andere Welt geöffnet werden, um die Menschheit durch Kreaturen aus der Hölle zu vernichten.

Steven weiß nun, wer er ist, oder vielmehr, was er ist. Jetzt liegt es an ihm, dieses Wissen für sich zu nutzen und den Kampf aufzunehmen. Die Zeit rennt. Bevor sich Steven seinen Gegnern im offenen Kampf stellen kann, gilt es jedoch, seinen Freunden zu helfen. Bakerman liegt im Sterben, und auch das beschaffte Unsterblichkeitselixier hat seinen Zustand noch nicht verbessert.

_Inhalt_

Während sich Steven und Larry nach den ereignisreichen Stunden, die sie mit der Suche nach Ila al Khalf verbracht haben, eine Pause gönnen wollen, bekommen sie einen Anruf. Sie vermuten Joyce am anderen Ende der Leitung mit einer Nachricht über Bakermans Zustand, da sie an seinem Bett wachen wollte. Stattdessen ist jedoch Julien Cardieux dran, der Bakerman auf dessen Wunsch hin in einen Hypnose-Zustand versetzt hat, um die Unsterblichkeitsessenz, das Ila al Khal, zu finden. Julien hat schlechte Nachrichten, sehr schlechte. Bakerman geht es nämlich immer noch nicht besser, da er das Elixier nicht getrunken hat. Joyce, die ihm dieses einflößen sollte, schlug Julien nieder und verschwand mit dem Trank.

Steven und Larry sind fassungslos, schließlich ist Joyce stets eine enge Vertraute gewesen und hat nie Anzeichen gegeben, das Team zu hintergehen. Steckt vielleicht jemand anderer dahinter, der Joyce nur für seine Zwecke missbraucht?

Steven und Larry bleibt nicht viel Zeit, und so machen sie sich in ihre Wohnung auf, um nach Hinweisen zu suchen, wo sie sich zurzeit aufhalten könnte. Tatsächlich finden sie eine Nachricht, die sie nach Ravenstone führt, jener Anstalt, in der auch Joyce als Kind untergebracht war. Kurz bevor sie aufbrechen wollen, werden sie von einem vermummten Einbrecher überrascht. Er schlägt sie nieder, noch bevor sie seine Identität klären können. Aber was immer er hier gesucht hat, Ila al Khalf ist ein Mittel, für das viele über Leichen gehen würden, nur um es in die Hände zu kriegen.

Als die Steven und Burns schließlich in Ravenstone eintreffen, wirkt alles verlassen. Aber sie sind auf der Hut, denn der Schein hat sie schon oft getrogen. Sie geben sich als Regierungsmitarbeiter aus, als sie die derzeitige Leiterin, eine Lucia Moreno, in den Hallen antreffen, wie sie gerade einen Patienten ruhigstellen will. Moreno hat kaum Hoffnung, dass die Anstalt noch lange betrieben wird. Zu viel ist in letzter Zeit vorgefallen. Von einer Joyce Kramer weiß sie allerdings nichts. So bleibt Steven und Larry nichts anderes übrig, als selbst Nachforschungen anzustellen. Sie bemerken nicht, dass Joyce ihr Kommen längst beobachtet hat. Geistig kontrolliert von Dr. Victor Zeysen, der sich im Kellergewölbe der Anstalt verschanzt hat, händigt Joyce Zeysen das Ila al Khalf aus und führt dann die weiteren Befehle aus: Larry ausschalten. Sie lockt ihn durch einen Anruf nach unten und richtet die Waffe auf ihn, während Bakerman alte Akten durchwühlt und auf Spuren von Zeysen stößt. Doch es ist bereits zu spät, denn der Doktor ist mit dem Trank längst davon und Joyce, wenn auch unter inneren Kämpfen leidend, hat Larry in ihrer Gewalt. Sie drückt zitternd ab und verpasst ihm glücklicherweise nur ein Streifschuss. Larry weiß, wenn er jetzt nicht handelt und seine Kollegin zur Strecke bringt, wird das seinen Tod bedeuten.

_Bewertung_

„R.“ setzt endlich die Haupthandlung fort und stellt Dr. Victor Zeysen, der in früheren Episoden bereits einige Auftritte gehabt hat, zu einem neuen, und sehr gefährlichen Widersacher in den Mittelpunkt. Dennoch greift die Folge 26 die in der vorigen Folge noch nicht abgeschlossenen Handlungsstränge auf und integriert sie mit dem Metaplot. Auf geschickte Weise gewinnt die Geschichte so wieder an Fahrt und treibt die Entwicklung der Charaktere voran. Zudem erfährt der Hörer, nachdem in „… dem Winter folgte der Herbst“ Bakerman seinen großen Auftritt hinlegen durfte, einiges über Joyces Vergangenheit und ihre Zeit in der Kinderklinik Ravenstone.

Emotional liegt „R.“ deutlich vor allen anderen Episoden, in denen nur einmal mehr ein „Monster der Woche“ bekämpft werden musste. Hier geht es um den Kampf mit sich selbst, um die Konflikte, die innerhalb der Gruppenkonstellation des Burns-Teams entstehen und dadurch das Gefüge zum Wanken bringen. Spannung wird nicht durch schleimiges Getier erreicht, sondern durch den Verrat, den Joyce begeht – und sei es auch durch fremde Kontrolle eines im Hintergrund agierenden Schurken. Der Tod steht im Zentrum, ist allgegenwärtig und bringt das Team am Ende sogar unverhofft in eine aussichtsreiche Position. Doch nur die Totgeglaubten wissen um ihren Vorteil, denn alle anderen gehen davon aus, dass sie wirklich gestorben sind.

Über die technische Qualität muss man kein Wort verlieren. Die Sprecher gehören zur ersten Garde, die Soundeffekte sind, wenn auch durch die Thematik der Folge nicht ganz so ausgereizt wie sonst, auf höchstem Niveau. Im Zusammenhang mit der rasanten Handlung und der geschickten Erzählweise reiht sich „R.“ in die |Gabriel Burns|-Reihe ein und lässt auf noch viele weitere Episoden dieser Machart hoffen.

http://www.gabrielburns.de/

|Siehe ergänzend dazu auch unsere Besprechungen zu den aktuellen Buchveröffentlichungen|

[„Gabriel Burns: Die Grauen Engel“ 3892
[„Gabriel Burns: Verehrung“ 3960

Rademacher, Cay – Geheimsache Estonia (Lesung)

Warum am 27. September 1994 die Fähre |Estonia| auf halbem Weg zwischen Tallinn und Stockholm in der Ostsee versank, ist bis heute noch nicht restlos geklärt. Während der offizielle Untersuchungsbericht behauptet, dass die Unglücksursache die im schweren Sturm abgerissene Bugklappe des Autodecks sei, wollen die kritischen Stimmen, die behaupten, dass diese These widerlegende Beweise außer Acht gelassen und bestimmte Zeugenaussagen ignoriert wurden, nicht verstummen.

Bis heute gibt es keine zweifelsfreie offizielle Erklärung, warum die |Estonia| versank, und so wird es auch um die Verschwörungstheorien zum Untergang nicht ruhiger. Fakt ist, dass der Untergang der |Estonia| das schwerste Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte ist. 852 Passagiere starben in den kalten Fluten der Ostsee.

Cay Rademacher, der seit 1990 als Journalist der |Geo| arbeitet, hat sich dieses Stoffes angenommen und aus Fakten und Theorien einen Thriller geschrieben. Die Theorien, die sich um den Untergang ranken, muten teilweise so an, als wären sie einem Politthriller entsprungen – ideale Voraussetzungen für einen spannenden Plot.

Rademacher lässt seinen exzentrischen Protagonisten Claudius Graf Stackelberg bei einem Segelturn mit seiner Luxusyacht auf der Ostsee einen Attachékoffer aus der |Estonia|-Katastrophe finden. Stackelbergs Neugier ist geweckt und er fängt an, mit seinem Freund Wolf Jacobson erste Nachforschungen anzustellen. Als sie auf die ersten Widersprüche in den offiziellen Erklärungen zum Unglückshergang stoßen, ist ihr Ehrgeiz angestachelt. Stackelberg und Jacobson reisen nach Tallinn, um ihre Nachforschungen zu intensivieren.

Schon wenig später müssen sie die irritierende Erfahrungen machen, dass jeder, der etwas Genaueres über die Unglücksnacht auf der Ostsee sagen könnte, entweder schon tot ist oder wenig später unter verdächtigen Umständen stirbt. Und dann stellen Stackelberg und Jacobson auch noch fest, dass sich irgendjemand an ihre Fersen geheftet hat und alle ihre Schritte verfolgt. Doch in Tallinn finden sie auch Verbündete, die ihnen bei ihren Nachforschungen helfen.

Da wäre zum einen eine estnische Tänzerin, die an Bord der |Estonia| gearbeitet hat und nicht glauben will, dass ihre Schwester bei dem Unglück umgekommen ist. Dann wäre da noch ein ehemaliges Mitglied der schwedischen Untersuchungskommission, der nun auf eigene Faust die Unglücksursache lüften will, bevor der Lungenkrebs ihn endgültig dahin gerafft hat. Und dann wäre da noch ein schwedischer Wracktaucher, der nach dem Unglück zur |Estonia| hinuntergetaucht und sich sicher ist, dass für ihn dabei des Rätsels Lösung beinahe schon zum Greifen nahe war …

Rademacher lässt den Leser/Hörer zunächst einmal den Untergang der |Estonia| hautnah miterleben. Er schildert, wie die Passagiere an Bord in Panik darum kämpfen, der Katastrophe zu entrinnen. Nur wenige schaffen es bis in die Rettungsinseln und werden von den Rettungskräften geborgen. Rademacher schildert die letzten Minuten an Bord der untergehenden |Estonia| sehr eindringlich und sorgt so für einen intensiven und gleichermaßen beklemmenden Einstieg in das Buch.

Nach einem Zeitsprung setzt die eigentliche Handlung dann einige Jahre später ein, als Claudius Graf Stackelberg über die Ostsee schippert und, noch ahnungslos ob der Dinge, die er noch erleben wird, den Attachékoffer aus der Ostsee fischt. Stackelberg ist eine rundum exzentrische Hauptfigur: ein schwerreicher Millionenerbe, der gleich vom ersten Augenblick an so ziemlich jedes Klischee widerlegt, das man in ihm vermuten möchte. Er ist dick, Haribo-süchtig, schwul und universell gebildet. Ein Protagonist, der in keine Schublade passen will.

Sein (Hetero-)Freund Wolf Jacobson ist von nicht weniger sperriger Figurenskizzierung: ein langstreckenlaufender, erotisch gehemmter Epileptiker, der sich am liebsten hinter Büchern verkriecht. Gerade Jacobson ist eine Figur, die sich innerhalb der Handlung weiterentwickelt und sich damit zur heimlichen Hauptfigur mausert. Während man dem dicken Graf Stackelberg seine Abenteuerlust nicht immer so ganz abkaufen mag, entwickelt Jacobson einen intensiveren Bezug zur |Estonia|-Katastrophe und muss sich dabei seinen persönlichen Ängsten stellen. Auch wenn Rademacher das zum Ende hin ein wenig zu sehr auf die Spitze treibt, wirkt Jacobson insgesamt glaubwürdiger und authentischer.

Als die Handlung sich verdichtet, wirkt Stackelbergs mitunter saloppe Art irgendwie etwas deplatziert. Stackelberg wirkt nun wirklich nicht wie der Typ, der im Angesicht des Feindes noch witzige Sprüche reißt. Jemand, der bei einem Kampf nicht mehr in die Waagschale werfen kann als seine massige Leibesfülle, dürfte in Momenten körperlicher Bedrohung wohl kaum so sehr Herr der Lage sein, dass er noch Zeit für einen flotten Spruch hat. Das klingt dann doch eher nach Spider-Man.

Was den Plot betrifft, so mischt Rademacher munter Fakten und Fiktion. Er lässt die offiziellen Untersuchungsergebnisse ebenso einfließen wie den in Russland kursierenden so genannten „Felix-Report“, der ein anderes Bild der Katastrophe zeichnet. Anhand der Gedanken und Aussagen seiner Protagonisten exerziert er verschiedene Szenarien durch, die zum Untergang geführt haben könnten.

Die Theorien, die er vermutlich selbst als fiktionale Elemente einstreut, überzeugen mal mehr, mal weniger. Vor allem die Varianten, die im Verlauf der Handlung von verschiedenen Figuren zur Sprache gebracht werden, wirken doch eher haarsträubend als vorstellbar. Teilweise verknüpfen sie krampfhaft die |Estonia|-Katastrophe mit anderen Verschwörungstheorien und stehen damit als wirkliche Option eigentlich in keinem Augenblick zur Debatte. Vielmehr lassen sie die Figuren, die hinter diesen Theorien stehen, in einem etwas unglaubwürdigen Licht erscheinen.

Das finale Szenario, das Rademacher dem Leser ganz am Ende offenbart, kommt da sicherlich schon näher an die Realität. Keine schillernde Verschwörungstheorie mit unübersichtlichen, komplexen Verästelungen, sondern irgendwie fast ein bisschen banal. Aber so scheint sie immerhin schon eher im Bereich des Möglichen zu liegen, da sie sich obendrein mit einigen der offenen Fragen zum Untergang plausibel verknüpfen lässt, ohne die sonst für Verschwörungstheorien oft so gern bemühte verquere Logik.

Das wirklich Interessante an „Geheimsache Estonia“ dürfte aber die Verschmelzung von Fakten und Thrillerplot sein. Rademacher verschafft dem Leser einen schönen Überblick über das Unglück, die offizielle Version dazu und die fragwürdigen Punkte des offiziellen Untersuchungsberichtes. Hier hält sich Rademacher wirklich eng an die Tatsachen sowie Romanplot und Faktenschilderung in einer ausgewogenen Balance.

Stimmig fügt er Thrillerelemente ein, frisiert die realen Ereignisse und verhilft so der Geschichte zu ihren Spannungsmomenten. Das Ganze gipfelt in einem Finale, das erfrischend frei von übertriebenem Heldenpathos ist (wenn man mal von dem kleinen Ausrutscher Wolf Jacobsons absieht). Das Finale, das Rademacher inszeniert, wirkt durchaus glaubwürdig und hebt sich wohltuend von anderen ähnlich gelagerten Romanen ab. Rademacher scheint als Journalist eben eher einen Hang zum Realismus zu haben, und so ist das Finale geradezu bodenständig und unpathetisch.

Bleibt als schwerwiegendster Kritikpunkt eigentlich die Hörbuchproduktion von |Radioropa Hörbuch| festzuhalten. Mit Franziska Stawitz als Sprecherin wurde leider keine ganz so glückliche Wahl getroffen. Ihre Stimme klingt etwas farblos und stumpf und bringt nur wenig Variation für die verschiedenen Figuren auf. So ist der Vortrag an sich leider nicht sonderlich fesselnd, sondern eher eintönig und man wird eher durch die Spannung der Geschichte an sich bei der Stange gehalten als durch die Art und Weise der Lesung.

Es verbleibt unterm Strich ein positiver Eindruck mit vereinzelten Schönheitsfehlern. Rademacher mischt auf unterhaltsame Art Fakten und Fiktion. Seine Figuren sind interessante Antihelden, wenngleich die Figurenzeichnung des Graf Stackelberg schon ein wenig überspitzt wirkt. Umso ausgewogener und realistischer inszeniert Rademacher dafür das Ende. Ein solider Thriller, der vor allem diejenigen erfreuen dürfte, die sich für die Theorien zum Untergang der |Estonia| interessieren. Schade nur, dass die Hörbuchproduktion (gerade auch im Vergleich zu der Masse qualitativ so gut gemachter Lesungen, wie es sie derzeit am Markt gibt) den Genuss etwas schmälert.

http://www.hoerbuchnetz.de/

Breitenstein, Todd – Zombies!!! 3 – Konsumleichen

_Zombies im Kaufhaus_

Todd Breitensteins Zombie-Persiflage geht mit der Erweiterung „Konsumleichen“ bereits in die dritte Runde und wird damit all denjenigen gerecht, die das klassische Szenario einer Zombie-Horde im Kaufhaus für die Serie als unabdingbar empfanden und es sich im Vorfeld als nächste Edition des Erfolgsspiels gewünscht hatten. Wiederum hat der Autor gemeinsam mit seinem Sidekick Kerry Breitenstein einige elementare Neuerungen vorgenommen und im Gegensatz zum direkten Vorgänger tatsächlich den Charakter des Spiels noch wesentlicher verändert. So entwickelt die Zombie-Hatz in der Shopping Mall alsbald ein Eigenleben und ist nur bedingt mit dem bisherigen Kartenmaterial kombinierbar. Sobald nämlich der Haupteingang der Einkaufspassage aufgedeckt wurde, erstreckt sich die Mall unabhängig von Straßen, Gängen und Gebäude abseits des eigentlichen Szenarios, führt aber dennoch zu einem weiteren Hubschrauberlandeplatz. Der pflichtbewusste Zombiejäger hat nun also die Wahl, ob er sich durch den eigentlichen Parcours kämpft, eventuell die Militärbasis aus der ersten Erweiterung als Fluchtpunkt auswählt oder sich doch durch die von Untoten besetzte Einkaufsgasse kämpft. Außerdem hat Breitenstein noch zwei festgelegte Szenarien kreiert, die man losgelöst von Hauptspiel spielen kann, und die dem Abwechslungsreichtum des prinzipiell doch einseitigen Spiels durchaus Genüge tun. Erster Eindruck also: Ein sinnvolles und starkes Expansion-Paket!

_Spielmaterial_

• 16 Kartenteile ‚Shopping Mall‘
• 32 Ereigniskarten
• 1 Regelblatt

Wenn man an der dritten Version des Zombie-Spiels etwas aussetzen darf, dann die äußerst mäßige Bestückung mit neuen Materialien. Neben den obligatorischen neuen Kartenteilen gibt es lediglich die ebenfalls schon bekannten Ereigniskarten als Bonus. Zwar handelt es sich hierbei fortlaufend um neue Designs und noch unbekannte Texte, jedoch scheint all dies – unter anderem auch im Bezug auf die beiden zusätzlichen Szenarien – doch ein wenig mau, zumal die Stabilität der Kartenteils auch dieses Mal wieder arg zu wünschen übrig lässt. Unverständlich ist auch das Fehlen von neuen Plastikminiaturen. Gerade jetzt, wo es bei voller Ausschöpfung des Basisspiels mitsamt der Erweiterungen auf dem Spielfeld vor Untoten nur so wimmelt, ist es zwingend erforderlich, ein wenig Nachschub mitzuliefern, was jedoch unverständlicherweise nicht geschehen ist. Insofern muss man bei den Spielmitteln dann doch deutliche Abstriche machen, so dass zu guter Letzt lediglich das Kartendesign positiv heraussticht.

_Spielvorbereitung_

Im Grunde genommen verläuft eine Partie „Zombies!!!“ mit dieser Erweiterung nach dem gleichen Schema wie das Hauptspiel. Allerdings werden die Stapel der Kartenteils von Beginn an voneinander getrennt. Lediglich der Haupteingang der Einkaufspassage wird herausgefiltert und unter die Karten des Basisspiels gemischt, wohingegen aus diesem Stapel eine Kreuzung auf den ebenfalls gemischten Stapel der Kartenteils aus „Konsumleichen“ gelegt wird. Diese beiden Kartenstapel bleiben separiert, die Ereigniskarten können indes ruhig gänzlich zusammengemischt werden.

_Wesentlichste Änderungen im Spielablauf_

Die Partie beginnt schließlich ganz normal, indem reihum eine Karte vom Hauptstapel gezogen wird, worauf die Bewegungsphase mit eventuellem Kampfszenario sowie die Auffrischungsphase neuer Ereigniskarten folgt. Dies geschieht so lange, bis jemand den Haupteingang aufgedeckt hat. Dieser wird nun an die vorab herausgesuchte Kreuzung angelegt und eröffnet den Spielern in der Folgezeit zwei Optionen. Entweder zieht man wie gehabt vom Hauptstapel und versucht, sich durch die herkömmlichen Straßen und Gassen zu schlagen bzw. das Minimalziel von 25 getöteten Zombies zu erreichen – oder aber man zieht vom neuen Kartenstapel und bewegt sich durch die Shopping Mall, in der Hoffnung, hier schneller auf die gewünschten Resultate zu stoßen. Jedoch sind die Regeln in der Einkaufspassage ein wenig kniffliger, die Bedrohung durch die Zombies hingegen noch größer. Dafür liegen jedoch auch genügend Waffen bereit, mit Hilfe derer sich die untote Brut sehr gut bekämpfen lässt. Weiterhin birgt auch die Einkaufsmeile einen Hubschrauberlandeplatz, der sich jedoch in der ersten Etage befindet – und um dorthin zu kommen, bedarf es einer Rolltreppe, die einen dorthin befördert.

Das Spiel wird nun gegebenenfalls auf zwei Ebenen fortgesetzt, wobei der Schwierigkeitsgrad individuell gleich ist. Die Gefahr lauert überall; und auch wenn es im Einkaufszentrum etwas enger zugeht, hat man durch das verfügbare Waffenarsenal die besten Argumente, um den Zombies zu trotzen. Schwierigkeiten bereiten allerdings manchmal die Rolltreppen, da sie oft zu ungewünschten Zeitpunkten erscheinen und einen wieder zurück in eine Etage befördern, die gerade unvorteilhaft ist, speziell wenn der heiß ersehnte Zufluchtsort, der Hubschrauberlandeplatz, in unmittelbarer Nähe ist. Abhilfe schaffen hier einzelne Luftschächte, die es einem erlauben, die Gänge der Mall zu umgehen und von Laden zu Laden zu schleichen. In diesem Fall kann man ohne Bewegungswurf große Distanzen in relativ kurzer Zeit zurücklegen und eventuell auch einer Übermacht an Zombies ausweichen.

Das Spiel wird nun nach den bekannten Regeln fortgesetzt – 25 getötete Zombies oder die sichere Zuflucht im Hubschrauber sind die möglichen Zielvorgaben, die benötigt werden, um das Spiel siegreich zu beenden. Doch wie sich in den meisten Fällen herausstellt, ist es oft die erstgenannte Bedingung, die bei der großen Anzahl der hier auftretenden Zombies das Spiel entscheidet, wobei dies natürlich auch äußerlich betrachtet die Variante ist, die Fans der Materie am meisten zusagen dürfte.

_Die Bonusszenarien_

|1.) Rettungsmission|

In diesem Szenario müssen die Spieler die Läden der Shopping Mall durchkämmen und die Überlebenden eines Zombieangriffs befreien. Hierzu werden alle Läden mit drei Spielfeldern mit Markern gekennzeichnet, die für die Personen stehen. Die Spielregel nennt als mögliches Hilfsmittel zum Beispiel kleine Münzen. Die Zombies hingegen werden auf die verbleibenden Felder außerhalb der Geschäfte platziert. Anschließend hetzen die Spieler durch die Passagen und versuchen, so viele Marker wie möglich vor den Angriffen der Zombies zu retten und die Überlebenden zum Hubschrauberlandeplatz zu bringen. Der- oder diejenige Spieler(in) mit den meisten Spielmarkern gewinnt.

|2.) Tötet den Kerl mit den Schlüsseln|

Im zweiten Szenario ist das Ziel ebenfalls der Hubschrauberlandeplatz, allerdings ist der Konkurrenzkampf unter den Jägern nun noch um ein Vielfaches höher. Zu Beginn der Partie wird ein Spieler ausgemacht, der einen imaginären Schlüssel mit sich trägt. Er muss nun versuchen, diesen an den Zombies und den Mitspielern vorbeizuschmuggeln und ihn ins zentrale Feld des Landesplatzes zu bringen. Allerdings kann er ihn auch durch eine direkte Konfrontation mit seinen Kollegen oder aber durch einen Angriff der Zombies verlieren. Es beginnt eine erbitterte Schlacht, in der die Menschen nicht nur die Zombies, sondern auch sich selbst bekämpfen.

_Meine Meinung_

Auch die zweite Erweiterung zu Todd Breitensteins Klassiker hinterlässt einen guten, wenn auch in mancher Hinsicht zwiespältigen Eindruck, wobei letzterer vorwiegend mit den Spielmaterialien von „Konsumleichen“ in Zusammenhang steht. Man muss dem Autor einfach unterstellen, dass er bei der Zusammenstellung des Materials ziemlich lieblos agiert und die Erfordernisse zusätzlicher Hilfsmittel nicht erkannt hat. So mangelt es in erster Linie an weiteren Zombie-Figuren, die bei einer Kombination aus allen drei Varianten des Spiels definitiv benötigt werden. Aber auch bei der Gestaltung der Szenarien hätte man sich ein bisschen mehr Feinarbeit gewünscht, sei es nun durch die in der Anleitung erwähnten Spielmarker oder eben auch einige weitere Figuren. Natürlich soll auch hier die Phantasie in gewisser Weise angeregt werden, aber was die Gestaltung der Spielmittel trifft, durfte man von Breitenstein auch dieses Mal mehr erwarten.

Weitaus weniger kontrovers ist hingegen die Bewertung der neuen Mechanismen. Das Spiel profitiert merklich vom neuen Schauplatz und erweitert die Basis um einige ansprechende Elemente. Des Weiteren gefallen auch die neuen Möglichkeiten der Ereigniskarten, die in ihrer Gesamtheit für ein noch aggressiveres Mit- und Gegeneinander sorgen und die Dynamik im Vergleich zu „Zombie-Korps“ noch effizienter fördern. Die grafische Gestaltung tut ihr Übriges zum Gelingen hinzu und gewährleistet eine durchweg ulkig-bedrohliche Atmosphäre, die dem ursprünglichen Geiste des Spiels vollends gerecht wird.

Ein zusätzlicher, kluger Schachzug ist außerdem die Schaffung der beiden Szenarien, die etwas Abwechslung ins Spiel bringt, selbst wenn beide Szenarien dem Basisspiel nicht ganz das Wasser reichen können. Aber dennoch bereichern sie die Zombiejagd durch neue Ideen, die anzutesten sich definitiv lohnt. Besonders ‚Töte den Kerl mit den Schlüsseln‘ avanciert über kurz oder lang zum Kult.

Somit ist „Konsumleichen“ insgesamt eine spieltechnisch vollkommen überzeugende Erweiterung geworden, der es nur an besagtem Mangel an herausragendem Spielmaterial und diesbezüglich auch an Quantität mangelt. Was jedoch die neuen Möglichkeiten betrifft, darf und muss man beim dritten Teil des Breitenstein’schen Kults von einer definitiven Bereicherung sprechen, die man sich als Ergänzung nicht entgehen lassen sollte, falls man schon von den vorherigen Spielen infiziert wurde.

http://www.pegasus.de/

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[„Zombies!!!“ 3237
[„Zombies!!! 2: Zombie-Korps“ 3332

Bionda, Alisha / Kleudgen, Jörg – Vampir von Düsseldorf, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 9)

Band 1: „Der ewig dunkle Traum“
Band 2: „Kuss der Verdammnis“
Band 3: „Die Kinder der fünften Sonne“
Band 4: „Blutopfer“
Band 5: „Der Schattenkelch“

Das Covermotiv (von Mark Freier) des neunten Bandes der „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ zeigt zwei Gesichter: ein attraktives kantiges ‚männliches‘ Gesicht, dem man Willenskraft und Ausstrahlung buchstäblich ansieht und ein anderes etwas verschwommen im Hintergrund eingeblendet: breiter, leicht depressiv wirkend, schattenhafter. Es handelt sich bei einem von beiden mit einiger Sicherheit um Peter Kürten, Vampir von Düsseldorf.

Ganz deutlich wird: Auch die Namen haben Aussagekraft. Peter Kürten klingt nach Durchschnitt, Unauffälligkeit, Mick Bondye deutet auf eine starke exzentrische Persönlichkeit. Und genau dies bestätigt sich im Verlauf der Handlung. Peter Kürten ist der unscheinbare, hilfsbereite Nachbar im mausgrauen Anzug, also ein Herr Jedermann. Das wäre an und für sich nicht unbedingt von Nachteil – wenn dieser Peter Kürten mit einem Dasein als Kleinbürger einverstanden gewesen wäre. Aber das ist er nicht. Er kann sich nicht sehen, und zwar im wörtlichen Sinn: Wenn gesagt wird, er vermeide es, in den Spiegel zu sehen: „Er drehte sich weg.“ (S. 49), so ist dies eine charakteristische Geste. Er will sein Gesicht nicht sehen. Er leidet an der Bedeutungslosigkeit, an der muffigen Enge, an der Dominanz seiner Frau, die er nicht begehrt, von der er es aber kaum erträgt, als Versager bezeichnet zu werden. Da war bereits in der Kindheit niemand, der ihn ‚aufgebaut‘ hätte, Armut und ein gewalttätiger Vater haben Spuren hinterlassen.

Leitmotivisch wiederholt sich das Gefühl der Demütigung. Verletzung, Demütigung, Aggressivität, ein Teufelskreis, aus dem schwer herauszukommen ist. Verletzung, Demütigung erfährt Peter Kürten vor allem immer dann, wenn er sich einer schönen Frau nähert, die ihn nicht beachtet oder allenfalls von oben herab ansieht. Eine letzte Steigerung von Demütigung dieser Art ergibt sich, als er 1929 – noch als Mensch – den grünen Augen Dilaras begegnet. Sie bezeichnet ihn im Vorbeigehen als komischen kleinen Mann. Die Stigmatisierung ist nun endgültig: Er hasst sich, er hasst die ganze Menschheit. Und er wird zum berüchtigten Mörder Düsseldorfs Ende der zwanziger Jahre. Am 2. Juli 1931 wird er hingerichtet. Aber er erfährt den ‚Kuss der Verdammnis‘ und existiert als Vampir weiter.

Der Autorin Alisha Bionda, der man den Erzählteil um Peter Kürten wohl zuordnen muss, ist es gelungen, das Profil eines Psychopathen zu entwickeln, dem man innerhalb der Schattenchronik eine Sonderstellung zugestehen muss. Peter Kürten mordet nicht nur, weil er die vampirübliche Nahrung und den vampirüblichen Genuss sucht. Er mordet aus Selbsthass und aus ungerichtetem irrationalem Rachegefühl. Diese Rache wird auffälligerweise nicht an denen verübt, die Ursache der Verletzungen sind. Ziele seiner irrationalen Exzesse sind ‚Unschuldige‘, Frauen, Kinder …

Anders als bei den bisher bekannten Vampiren der Schattenchronik liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der Erlebniswelt Kürtens während seines Menschseins. Als Vampir setzt er lediglich fort, was er vorher angefangen hatte: Nach wie vor ist das Mordmotiv Hass. Die zweite Begegnung mit Dilara, nun als Vampir, im Jahr 2007, ist letztendlich eine Wiederholung der ersten. Wieder bezeichnet sie ihn als komischen, kleinen Mann. Wieder ist er hilflos der Demütigung ausgesetzt, wieder erfährt eine Frau – nicht Dilara selbst – die Auswirkungen seines Hasses.

Überraschend gut gelingt die Einbindung der Kürten-Handlung in die allgemeine Dilara-Handlung. Peter Kürten wird zum wesentlichen Baustein des Chinesen Lee Khan, der als Todfeind der westlichen Clans insbesondere Dilara und ihre Anhänger verfolgt. Er glaubt, den Hass Peter Kürtens nutzen zu können, um ihn zum Mörder an Dilara werden zu lassen. Aber dieser Plan gelingt ebenso wenig wie der Versuch, Dilara und ihren Partner Calvin mittels des ‚Seelentors‘ unschädlich zu machen. Peter Kürten reagiert völlig anders, als vom Leser und von Lee Khan erwartet …

Die Kürten-Handlung endet mit dem 9. Band. Nicht so die Kämpfe um die Vorherrschaft unter den Vampiren nach dem Tod von Antediluvian, dem Fürsten der Nosferati. Sie werden sich auch im folgenden Band fortsetzen. Die Freilassung des Blutsaugers Demiurgos lässt Unheil erwarten. Auch die unmotivierte Verstimmung zwischen Dilara und Calvin, nachdem sie gemeinsam einer gefährliche Situation ausgesetzt waren, weist auf eine Fortsetzung hin. Eine Macht ist – vielleicht – im Spiel, die in der Lage ist, Gefühle zu beeinflussen. So ist die Handlung um den Vampir von Düsseldorf eingebunden in die ‚Chronik‘ der Vampirgruppe Nosferati.

Fazit: Besonders beeindruckend ist für mich das Psychogramm der Titelgestalt. Mögen die Szenen um die ‚Alten‘, der Aufenthalt Dilaras und Calvins im „Seelentor“ spannend- anschauliche Abschnitte enthalten, sie bleiben für mich neben der Handlung um Peter Kürten Randerscheinung. Eine derart ausführliche Berücksichtigung psychosozialer Momente bringt eine neue Tonart in die Serie, der man auf jeden Fall eine Fortsetzung wünschen würde.

http://www.BLITZ-Verlag.de

[Marlies Eifert]http://home.rhein-zeitung.de/~meifert/index.html

Gaiman, Neil – Anansi Boys

Neil Gaiman wird gemeinhin als Fantasy-Autor bezeichnet. Dieser Begriff weckt vage Assoziationen an Elfen und Drachen, an Zwerge, verzauberte Schwerter und tausend andere Dinge, die dem Klischee entsprechen. Wer den Begriff Fantasy jedoch nur in den engen Bahnen von „Harry Potter“, „Lord of the Rings“ und „Narnia“ denkt, wird überrascht sein, mit welch erfrischendem Geschick Gaiman dem Genre neues Leben einhaucht.

In seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman „Anansi Boys“ kommen weder Elfen oder Drachen noch Zwerge oder Zauberschwerter vor. Das muss nicht sein, das haben andere schon vor ihm gemacht. Die Geschichte spielt im Hier und Jetzt, wobei Hier zu gleichen Teilen London und Florida meint, einen kurzen Abstecher auf eine Pazifik-Insel ausgenommen. Der phantastische Teil von „Anansi Boys“ ist eng mit der Realität verwoben. Der Leser bemerkt zunächst gar nicht unbedingt, dass er sich in einem Fantasy-Szenario befindet. Wenn Gaiman im ersten Kapitel seine Hauptfigur Charles Nancy vorstellt (den alle nur Fat Charlie nennen, obwohl er gar nicht dick ist) und ihn berichten lässt, wie und auf welche Weise sein Vater in einer Karaoke-Bar starb, erscheint alles zunächst nur etwas merkwürdig und eigenartig, vielleicht nur eine lange Reihe von Zufällen. Dennoch enthält der Text verborgene Hinweise, Bruchstücke eines großen Ganzen, das die Geschichte überwölbt.

Fat Charlies Vater starb singend, angetrunken, auf einer Bühne in einer Bar. Er brach plötzlich zusammen, fiel vornüber und landete mit der Nase in dem ausladenden Ausschnitt einer blonden Touristin, mit der er kurz zuvor noch geflirtet hatte. Das ist ein Abgang, der für ein ganzes Leben stehen kann. Als Fat Charlie auf der Beerdigung seines Vaters erfährt, dass er einen Bruder hat, beginnt für den Leser das Spiel mit der Wirklichkeit. Charlie, dessen psychische Konstitution hart auf die Probe gestellt wurde und dessen Leben wahrlich kein Zuckerschlecken ist, könnte in seiner Not einen Bruder erfunden haben, der genau so ist, wie er selbst schon immer sein wollte. Während Fat Charlie träge, geduldig und gutmütig ist, benimmt sich sein Bruder wie das genaue Gegenteil: Er ist frech, unruhig und clever. Irgendwie ähnelt er dem jungen Frank Sinatra. Dieser Bruder heißt Spider, und der Leser darf sich fragen, ob ihm da nur ein äußerst skurril-witziges Familientreffen vorgesetzt wird oder ob er Einblick in die schizophrene Innenwelt der Hauptfigur erhält.

Durch Spider gewinnt Fat Charlie Einblick in eine völlig neue Welt. Er lernt, dass die Dinge nicht statisch sind, was ihm neue Perspektiven auf seine Beziehung zu der gutherzig-langweiligen Rosie Noah eröffnet als auch auf seinen Job in dem Künstler-Büro des verschlagenen Grahame Coats. Lange hält Fat Charlie es jedoch mit Spider nicht aus. Er bringt Charlies Leben völlig durcheinander. Und Spider will nicht wieder von selbst verschwinden, sondern es sich im Leben seines Bruders richtig gemütlich machen. Ob es Charlie hilft, den Teufel mit Belzebub auszutreiben?

Hier und da wird behauptet, „Anansi Boys“ sei der Nachfolger von Gaimans Roman „American Gods“. Abgesehen von der Idee, dass einige alte Götter unerkannt unter den Menschen leben, haben beide Romane jedoch keinerlei Berührungspunkte. Hinzu kommt, dass die Geschichte von „Anansi Boys“ kompakter ist, irgendwie runder als „American Gods“, das größtenteils eine lockere Aneinanderreihung von Ereignissen war. Gaiman, der ein großartiger Erzähler von Kurzgeschichten ist, wie die Anthologie „Die Messerkönigin“ und die Comic-Serie „Sandman“ zeigen, wird geübter mit Romanen. Und er wird freundlicher, sanfter. „Anansi Boys“ ist hauptsächlich eine lustige Geschichte, bunt geschmückt mit originellen Details und witzigen Figuren. Mancher Leser, der beispielsweise „Niemalsland“ mochte, wird die dunklen, ekelhaften und gewalttätigen Nuancen vermissen, die Gaiman ebenso beherrscht wie das Humorvolle. Was Romane angeht, ist Gaiman also noch längst nicht am Ende seines Könnens angelangt. Sein nächster Roman möge bitte genau so geschlossen und rund sein wie „Anansi Boys“, aber bitte einen Schuss bösartiger, mit mehr Action und Gänsehaut. Und – hier eine Bitte an den deutschen Verleger – mit einer besseren Übersetzung. Die holpert nämlich leider viel zu oft bei der deutschen Fassung von „Anansi Boys“.

http://www.neilgaiman.de/
http://www.heyne.de

Richard Launius, Kevin Wilson – Arkham Horror (Deutsche Version)

Cthulhu auf dem Spielbrett

Arkham, eine kleine unscheinbare Ortschaft, ist ein Schauplatz vieler seltsamer wie grässlicher Mythen. Inmitten der wilden Zwanziger eröffnen sich in dieser Kleinstadt Tore zu anderen Welten, während die Straßen von merkwürdigen Kreaturen durchstreift werden, die die Menschheit in Angst und Schrecken versetzt. Die Legende vom Großen Alten geht um, der durch diese Dimensionsportale herabstoßen und Arkham endgültig zum zentralen Punkt des Horrors werden lassen soll. Doch ein Team von Ermittlern stellt sich diesem Szenario entgegen, fest entschlossen, die Tore in die anderen Dimensionen endgültig zu schließen und die Apokalypse aufzuhalten. Wird es ihnen wirklich gelingen, Arkham von seinem grausamen Schicksal zu befreien?

Richard Launius, Kevin Wilson – Arkham Horror (Deutsche Version) weiterlesen

Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 3 – Märchenhafte Liebschaften

Band 1: [„Legenden im Exil“ 3175
Band 2: [„Farm der Tiere“ 3506

Dass sich Rezensenten in ihrem Urteil zurücknehmen, kommt eigentlich nicht vor. Entweder bleiben sie trotz besseren Wissens und Gewissens bei dem Gesagten oder sie haben sowieso nur banales, unanfechtbares Zeug geschrieben, das niemand Lust hat zu bestreiten. Oder es hat niemand ihren Text gelesen – kommt schließlich auch vor. Für die amerikanische Serie „Fables“ hatte der Rezensent im November 2006 nur wohlwollende Worte übrig. Solide, ja, aber keineswegs revolutionär sei die Serie, die in den Staaten mit Eisner-Awards überhäuft worden war. Kein Must-have also, sondern eher eine Enttäuschung angesichts des Wirbels, der im Vorfeld von den Machern und Verlegern provoziert worden war. Dieses Urteil muss ein wenig korrigiert werden.

In „Fables“ geht es um eine kleine Gemeinschaft von Märchenfiguren, die vor vielen hundert Jahren aus Europa fliehen musste und nun im Exil lebt. Unerkannt leben die Fables unter den Menschen – so genannten Normalos – und versuchen angestrengt, ihre Tarnung sowie die Ordnung in ihrer Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Die kleine Gemeinde von Märchenfiguren versteckt sich mitten in New York. Außerdem lebt ein Teil der Fables auf einer abgelegenen Farm fern der Großstadt, weil sich nicht jede Märchenfigur gut in einer Großstadt verstecken kann. Dazu gehören zum Beispiel Riesen, sprechende Schweine und Drachen. Im Großen und Ganzen geht es also um eine Verschmelzung von Realität und Märchen, eine Idee, die man guten Gewissens unter dem Schlagwort Urban Fantasy einordnen kann. Vergleiche mit anderen erfolgreichen Serien wie Gaimans [„The Sandman“ 3852 oder Naifehs „Courtney Crumrin“ lägen nahe.

Dennoch hinken solche Vergleiche und verzerren das Bild. Fables fühlt sich merkwürdig bodenständig an. Die Erzeugung eines traumähnlichen Gefühls beim Lesen, vielleicht sogar eines Schwebezustandes, ist im Gegensatz zu Naifeh und Gaiman überhaupt nicht das Anliegen des Autors Bill Willingham. Während Gaiman während seiner Arbeit wahrscheinlich Shakespeare und mythologische Lexika rezipiert hat, warf Willingham eher einen Blick in Tageszeitungen, um Anregungen für sein Werk zu sammeln. Die ersten beiden Fables-Bände enthielten eine Kriminalgeschichte ohne viel Zauberei und eine Revolutionsgeschichte, die durchdrungen war von den persönlichen Beziehungen einiger Figuren zueinander.

Die vier Episoden, die im dritten Band „Märchenhafte Liebschaften“ zu finden sind, führen diesen Anfang recht konsequent weiter. In den beiden längsten Episoden geht es um einen Journalisten, der die geheime Märchen-Enklave an die Öffentlichkeit verraten will, und um Bluebeard, der Bürgermeister an Stelle des Bürgermeisters werden will. Es bleibt also bodenständig. Und knallhart. Die Seiten, auf denen Bigby Wolf und Snow White auf der Flucht vor Goldilocks sind, erinnern ein wenig an die Filme „Auf der Flucht“ oder „The Contract“. Natürlich mit einem märchenhaften Anstrich, aber der Leser darf sich sicher sein, dass es zur Sache geht und kein |Deus ex Machina| auftaucht und die Szene komplett umkrempelt.

Trotz dieser erzählerischen Sicherheit, in der sich der Leser befindet, bleibt es spannend. Man fiebert mit, ohne nur einen Augenblick lang zu vergessen, dass man lediglich Figuren in einem Comic beobachtet, noch dazu Märchengestalten, die ohnehin nicht richtig sterben können, solange sich die Menschen an sie erinnern. Es ist ernst, es geht um Leben und Tod, aber es darf gelacht werden. Garniert wird die Geschichte mit witzigen Details, die erahnen lassen, welche Feinarbeit bei Fables geleistet wurde. Da sind zum Beispiel die Comic-Hefte von Flycatcher und seinen Freunden, deren Cover Märchen-Reminiszenzen an populäre Comic-Titel sind (The Uncanny Oz-Men, Fairytale Four etc.). Oder die Diskussion einiger Liliputaner, dass sie ihre Stadt lieber Smalltown statt Smallville nennen wollen – eine Anspielung auf die aktuelle Superman-TV-Serie.

Natürlich sind einige Episoden von „Fables“ schwächer als andere. Aber es ist doch erstaunlich, wie gut die Mixtur funktioniert, die Willingham den Lesern da vorsetzt. Nach und nach verdichtet sich das Fables-Universum, formt hier mal einen Krimi und da mal einen Thriller aus, ohne dem Leser vorgaukeln zu wollen: „Hey, Magie gibt es wirklich!“ Mit der Zeit werden die Figuren vertrauter und die Welt von Fables erscheint wie ein unendlich großes Puppenhaus, das zwar mit Gebrüder-Grimm-Tapeten geschmückt ist, aber weitgehend irdisch-physikalischen Gesetzen folgt. Willingham hält von Traumtänzerei wahrscheinlich nicht viel. Als möchte er sagen: „Weißt du eigentlich, was mit einer Märchenfigur passiert, die von einem Sattelschlepper gerammt wird? Sie ist Matsch, ganz einfach.“

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David West Reynolds & James Luceno & Ryder Windham – Star Wars Episoden I-VI – Das Kompendium (Die illustrierte Enzyklopädie)

Einst war das „Star Wars“-Univerum noch recht überschaubar. Man kannte die tragenden Charaktere wie seine besten Freunde, und insgesamt war die Handlung ausschließlich auf die Skywalker-Familie, Han Solo, die einzelnen Androiden und natürlich Darth Vader und den Imperator fokussiert. Klar, man kannte Leute wie Boba Fett und Jabba The Hut, und wer ein bisschen weiter hinter die Fassade blickte, wird auch noch den einen oder anderen Namen eines imperialen Offiziers rezitieren können. Doch über die alten Jedi-Legenden und einige, in dieser kurzen Aufzählung noch nicht erwähnten Figuren hinaus glichen die wenigen Nebendarsteller des Science-Fiction-Spektakels unbedeutenden Statisten, deren Rolle für den Verlauf der Handlung ebenso unwichtig schien wie ihr Ansehen bei Fans und Fanatikern.

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David Safier – Mieses Karma

Kim Lange strebt dem Höhepunkt ihrer Karriere entgegen, während ihre Ehe mit Alex ihren Zenit schon längst überschritten hat. So lässt die gefeierte Polit-Talkmasterin ihre Familie wieder einmal im Stich, als Tochter Lilly ihren fünften Geburtstag feiert. Kim hat schließlich Wichtigeres zu tun, als mit kleinen Kindern Topfschlagen zu spielen, und so nimmt sie noch am gleichen Tag stolz den Deutschen Fernsehpreis entgegen. So richtig genießen kann Kim ihren Triumph allerdings nicht mehr, da sie noch am gleichen Abend von den Überresten einer russischen Raumstation erschlagen wird. Aus und vorbei.

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