Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Noon, Jeff – Alice im Automatenland

Einfallsreiche und witzige Phantasie um Alice

Der britische Kultautor Jeff Noon erzählt Alices weitere Abenteuer im Wunderland und hinter den Spiegeln, vor allem aber ihren Kampf gegen die Schlangenkönigin.

Es war einmal an einem trüben, verregneten Tag in Manchester, irgendwann im Jahre 1860. Eigentlich sollte die kleine Alice ihre Mathematikaufgaben machen, aber im Moment interessiert sie viel mehr, wo die fehlenden zwölf Teile ihres Puzzles geblieben sind. Außerdem wird sie vom Papagei ihrer Großtante abgelenkt, der sie schließlich überredet, seine Käfigtür ein winziges Stück zu öffnen. Als der Vogel davonfliegt, hinein in die riesige Großvateruhr, lä,uft ihm Alice sofort hinterher.

Und als sie der Uhr wieder entsteigt, befindet sich Alice im Manchester des Jahres 1998, einer Welt der Automatenwunder, die dennoch von der Atmosphäre des vergangenen Jahrhunderts durchdrungen ist. Auf der Jagd nach dem Papagei gerät Alice in Rätsel über Rätsel, sucht nach den zwölf Puzzleteilen, führt Dispute mit den merkwürdigsten Kreaturen, wird von einer unsichtbaren Katze namens Quark begleitet und trifft in einem von Kletterrosen überrankten Cottage sogar Mr. Dodgson alias Lewis Carroll. Und bei alledem versucht sie, irgendwie den Weg zurück in ihre eigene Zeit wiederzufinden. (Verlagsinfo)

Der Autor

Der britische Schriftsteller Jeff Noon, der sich in dieser Fortsetzung der zwei klassischen Alice-Romane „Zenith O’Clock, writer [= righter] of wrongs“ nennt, ist der einfallsreiche Autor der phantastischen Romane „Vurt“ (dt. „Gelb“), „Pollen“ (dt. gleich) und „Nymphomation“ (noch nicht übersetzt). Sie spielen alle in seiner Heimatstadt Manchester. Und dies ist auch zum großen Teil der Schauplatz der wundersamen Ereignisse in „Automated Alice“.

Romane

Vurt (dt. Gelb, ISBN 3-442-44449-7, ISBN 3-442-54007-0)
Pollen (dt. Pollen, ISBN 3-442-44408-X, ISBN 3-442-54031-3)
Automated Alice (dt. Alice im Automatenland, ISBN 3-442-54065-8)
Nymphomation
Needle in the Groove
Falling Out Of Cars

Theaterstücke

Woundings
Vurt – the theatre remix
Alphabox
Somewhere the Shadow
The Modernists

Das Buch ist schwierig ins Deutsche zu übertragen: Die Anzahl der Wortspiele und Doppeldeutigkeiten ist nämlich derartig groß, dass eine Übertragung zwingend ein völlig anderes Werk hervorbringt – etwa so, als wollte man Lewis Carrolls berühmtes Nonsens-Gedicht „Jabberwocky“ übertragen (was ja in der Tat getan wurde).

Handlung

Eines Tages im Jahr 1860 fliegt Alices Papagei Whippoorwill in den Kasten der Großvateruhr und verschwindet. Die um ihren Liebling bangende Alice folgt ihm in das Uhrwerk und landet auf der anderen Seite im Jahr 1998 (wie sie sehr viel später herausfindet) – in einem Termitenbau. Die Termiten sind (wie weiland der weiße Hase) alle sehr in Eile – kein Wunder, sind es doch Computermiten! Sie stellen Berechnungen an, etwa zur Quadratwurzel aus -1 (die es reell nicht geben kann).

Wenig später landet Alice in einem Gartenschuppen, wo ein grobschlächtiger Mann Puppen aus altem Krempel zusammensetzt und dieses Gebilde mit Hilfe einer Handvoll Computermitenerde „belebt“. So zum Beispiel eine Puppe namens James Marshall Hentrail, genannt „Jimi“, der ein höllisches Gitarrengejaule auf einem Tennisschläger („a terrible racket“) veranstaltet … Auch ein gewisser Quentin Tarantula wird erwähnt und ein Trompetespieler namens Long Distance Davis, genannt Miles …

Auf der Jagd nach ihrem entflogenen Papagei trifft Alice auf ihre Zwillingsschwester, Automated Alice, genannt Celia. „Celia“ ist ein Anagramm aus den Buchstaben von Alices Namen. Und Celia stammt aus dem Jahr 1998, aus Manchester. In der großen Stadt erleben die beiden verrückte und erschreckende Abenteuer. So wird Alice zum Beispiel des Mordes angeklagt und landet im Gefängnis. Sie kann entkommen und entdeckt eine Verschwörung der Bürokraten Manchesters, der „Civil Serpents“ (statt civil servants). Die schlangenförmigen Serpents haben nämlich ein wissenschaftliches Experiment mit „Chrononen“ an den nichts ahnenden Bürgern durchgeführt, um sie zu Gehorsam und Gesetzestreue zu bringen. Statt des erhofften Ergebnisses entstanden jedoch Mischungen aus Tier und Mensch, ja, aus Ding und Mensch. Alice trifft Zebramenschen und wandelnde Küchenspülen (und Zenith O’Clock).

Verfolgt von der Herrin der Schlangen landet Alice wieder im alten Häuschen, in dem sie 1860 lebte. Dort setzt sie alle zwölf Puzzlestücke, die sie bei ihren Abenteuern todesmutig gesammelt hat, zusammen – doch da bleibt ein Loch! In der Zooszene, die entsteht, fehlt ein Mädchen … Alice hüpft in das Loch hinein – und landet wieder im selben Moment, in dem sie das Jahr 1860 verlassen hatte – rechtzeitig zur Grammatikstunde mit Tante Ermintrude. Wo sie doch so viel zu erzählen hätte …

Mein Eindruck

Ich kenne nur wenige Bücher, die in gleichem hohen Maß wie „Automated Alice“ geistiges Vergnügen am verrückten Abenteuer (auch sprachlich!) und emotionale Anteilnahme am Schicksal der Hauptfigur in jener genialen Weise zu verbinden vermögen, wie es Noon hier gelungen ist. Das Buch sprüht vor Einfällen, einer verrückter und doch plausibler als der andere, ganz im Stil und Ton der Alice-Bücher. Selbst die Gedichte treffen den gleichen Esprit. Und es gibt eine ganze Reihe von Szenen und Sätzen, die den Leser über die eigene Beschaffenheit und Wahrnehmung der Wirklichkeit nachdenken lassen.

Fazit: Highly recommended! Nicht nur für junge Menschen. Für alle Alice-Fans ein Muss!

Infos: Automated Alice, 1996
Deutsch bei Goldmann/Manhattan
Oktober 1999
218 Seiten
ISBN 3442540658
EAN: 9783442540655

https://www.randomhouse.de

Meyer, Kai / Hagitte, Christian / Bertling, Simon – Alchimistin, Die. Teil 3: Die Katakomben von Wien (Hörspiel)

_Mystisch: Schrecken der Vergangenheit_

Schloss Institoris, ein düsteres Gemäuer an einer einsamen Küste. Inmitten eines Labyrinths endloser Gänge und Säle wächst Aura heran, die älteste Tochter des Schlossherrn. Sie ist die Erbin eines uralten Rätsels, der Rezeptur des Steins der Weisen. Doch als ihr Vater im Auftrag seines Widersachers Lysander ermordet wird, schlägt die Stunde für Auras Stiefbruder Christopher – er beansprucht das Geheimnis der Unsterblichkeit für sich …

Folge 2: Aura enthüllt das Geheimnis ihrer Familie. Ausgerechnet der Mörder ihres Vaters, der geheimnisvolle Hermaphrodit Gillian, befreit sie aus den Klauen grausamer Mörder. Auf der Spur von Auras entführter Schwester Sylvette reisen sie nach Wien. In den Katakomben unter der Stadt geraten sie in einen Konflikt, dessen Ursprünge weit zurück ins Mittelalter reichen …

Folge 3: Sieben Jahre sind vergangen. Aura hat die Geheimnisse der Alchimie erforscht und das Erbe ihres Vaters angetreten. Doch alle, die ihr etwas bedeutet haben, sind tot. An der Seite ihres verhassten Stiefbruders Christopher muss sie abermals den Kampf gegen den alten Feind ihrer Familie aufnehmen – tief unter der Wiener Hofburg. Zugleich dämmert daheim auf Schloss Institoris eine neue Gefahr: Auras wahnsinnige Mutter Charlotte hat eigene Pläne … (Verlagsinfos)

_Der Autor_

Kai Meyer, Jahrgang 1969, studierte Film, Philosophie und Germanistik und arbeitete als Redakteur. Er schrieb schon in jungen Jahren und lieferte u. a. ein paar Jerry-Cotton-Abenteuer. Sein erster großer Erfolg war „Die Geisterseher“, eine historische „Akte X“. Seit 1996 ist er freier Schriftsteller und Drehbuchautor. Bisher sind rund 40 Romane von ihm erschienen. Selbst Kritiker waren von seinem historischen Mystery-Thriller „Die Alchimistin“ begeistert, später folgten „Die fließende Königin“ und „Göttin der Wüste“. Bei |Loewe| erschien mit den „Wellenläufern“ ein Jugend-Fantasyzyklus. „Frostfeuer“ aus dem Jahr 2005 ist eigenständiger Jugendroman. Das Buch wurde mit dem internationalen Buchpreis |CORINE| ausgezeichnet.

Die erste Staffel der achtteiligen Hörspielreihe umfasst die Folgen:

1) [Der Stein der Weisen 5052
2) [Das Erbe des Gilgamesch 5155
3) Die Katakomben von Wien
4) Das Kloster im Kaukasus

Im August 2008 erschien die zweite Staffel:

5) Die Unsterbliche
6) Die Schwarze Isis
7) Der Schatz der Templer
8) Der Alte vom Berge

Weitere Titel von Kai Meyer auf |Buchwurm.info|:

[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)

_Die Inszenierung_

Erzähler: Friedhelm Ptok (Ian ‚Imperator Palpatine‘ McDiarmid)
Aura Institoris: Yara Blümel-Meyers
Gillian: Claudio Maniscalo (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis)
Christopher Institoris: Timmo Niesner (Elijah ‚Frodo‘ Wood)
Charlotte Institoris: Kerstin Sanders-Dornseif (Susan Sarandon)
Tess: Aliana Schmitz
Gian: Paul Gerlitz
Marie Kaldani: Katharina Bellena
Ballássy: Bodo Wolf
Und andere.

Für Regie, Ton und Musikkomposition zeichnen Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| verantwortlich. (Das Hörspiel ist daher Cornelia Bertling gewidmet, die 2007 mit 40 Jahren starb.) Die Musik spielt das Filmorchester Berlin und der Hochmeisterchor Berlin unter der Leitung von Hagitte. Die Hörspielbearbeitung stammt von Stefan Maetz. |Lübbe Audio| produzierte das Hörspiel und nicht etwa ein Rundfunksender.

_Handlung_

Sieben Jahre sind seit den Kämpfen vergangen, die die drei Institoris-Kinder gegen Lysander geführt habe, der ihre Schwester Sylvette entführt hatte. Im Verlauf der Kämpfe wurde Daniel getötet und Christopher von der Wiener Burgwache gefangen und in den Kerker geworfen. Aura, inzwischen 25, hat überlebt und kennt die Katakomben Wiens inzwischen wie ihre Westentasche. Sie glaubt, ihr Geliebter Gillian sei damals umgekommen. Wenigstens hat sie ein lebendiges Andenken an ihn: ihren Sohn Gian.

Sie trägt zur Tarnung ihr Haar kurz wie ein Mann und kleidet sich auch wie einer. Weil ihre Mutter Charlotte dem Irrsinn verfallen und ihr Bruder ein verurteilter Häftling ist, haben die Behörden Aura zur Alleinerbin des Familienerbes eingesetzt. Die entführte Sylvette wurde vor zwei Jahren für tot erklärt. Inzwischen hat Aura die Alchimistenbibliothek ihres Vaters durchforstet und dabei viel gelernt, vor allem über die Wirkungsweise gewisser Pflanzen wie dem Lebenskraut …

Als sie die Wiener Zelle ihres Bruders Christopher betritt, erzählt sie ihm all dies und gibt ihm anschließend eine Zigarre, an deren Rauch er sterben könne. Weil Chris weiß, dass seine schlaue Schwester nie etwas ohne Grund tut, lässt er sich die Zigarre schmecken, immerhin ein letzter Luxus für einen Lebenslangen. Erst auf dem Friedhof wacht er wieder auf. Dort hat ihn der Friedhofsgärtner schon für tot gehalten und ein passendes Grab geschaufelt. Aura weiß jedoch, dass sie nur 33 bis 34 Stunden warten muss, bis der Betäubte wieder erwacht. Und so kommt es auch.

In ihrem Hotelzimmer hecken sie einen verwegenen Plan aus, um Lysander frontal anzugreifen, natürlich wieder durch die sattsam bekannten Katakomben. Inzwischen hat Aura eine ganze Söldnerarmee angeheuert. Keine halben Sachen diesmal!

Doch was sie in Lysanders Gemächern vorfinden, überrascht sie sehr. Ein kleines Mädchen entpuppt sich als Sylvettes Tochter Tess, und ein Zimmer weiter liegt eine lebende Mumie in einem Himmelbett: Ist das jetzt endlich der gesuchte Lysander? Röchelnd erzählt der Alte, Sylvette sei mit den anderen fortgegangen, doch wohin, verrät er nicht. Aura ist entschlossen, dem Alten das Mädchen zu entreißen, und hebt das Messer, um ihn zu töten. Er wäre nicht ihr erstes Opfer. Da fällt ihr jemand in den Arm …

_Mein Eindruck_

Diese Episode präsentiert gewissermaßen eine Wiederholung der zweiten Folge, denn nach sieben Jahren und einigen Personalveränderungen erfolgt schon wieder ein Angriff auf Lysander, und sogar am gleichen Ort wie zuvor, in den Katakomben unter der Wiener Hofburg.

Wieder narrt uns der Autor mit Uneindeutigkeiten. Die erste ist der scheinbare Tod Christophers durch die Zigarre, die ihm Aura gegeben hat. Hier folgt eine der ersten Aufhebungen des Todes durch Christophers Wiederauferstehung aus dem Grab des Friedhofsgärtners. Allerdings wird er alles andere als wie ein Messias verehrt, sondern darf gleich nochmal richtig ranklotzen, wenn er gegen Lysander kämpft. Auch als Lazarus hat man’s nicht leicht.

Die zweite Uneindeutigkeit ist die Identität jenes Mannes, der Tess begleitet und sich in seinem Himmelbett offenbar darauf vorbereitet, endgültig den Löffel abzugeben. Doch ist das wirklich Lysander, der da vor Auras blitzendem Messer liegt, oder nicht doch wieder einer dieser Handlanger, über die der ehemalige Tempelritter Lysander in Mengen zu verfügen scheint? Wahrscheinlich wird auch dieses Geheimnis erst in der nächsten Folge enthüllt.

|Unsterblich oder was?|

Wer schon immer Unsterblichkeit für eine mordsmäßig tolle und aufregende Sache gehalten hat, der dürfte erwarten, dass die darüber verfügenden Figuren in „Die Alchimistin“ vor Jubel einen Freudentanz aufführen. Diese Erwartung wird leider nicht erfüllt, muss ich sagen. Das liegt wohl an den Umständen. Erstens befindet sich Aura nun als Nestors Kind in einem exklusiven Zirkel, der es für angebracht hält, die Eigenschaft der Unsterblichkeit nicht an die große Glocke zu hängen. Und zweitens trachten ihr immer noch gewisse Gestalten nach dem Leben, die eben diesem Zirkel entstammen. Gestalten wie etwa Lysander, aber auch noch andere.

Aber immerhin gibt es etwas, worüber sich Aura in dieser Hinsicht freuen darf. Sie hat zwar Gillian verloren, aber dafür dessen Sohn Gian erhalten. Und nach dem Kampf in Wien verfügt sie nun auch über Sylvettes Tochter Tess. Wie sich herausstellt, verfügen beide Kinder über erstaunliche Fähigkeiten. Sie können nämlich ihre genetischen Erinnerungen abrufen (ob es die nun wirklich gibt oder nicht, sei mal dahingestellt). Das funktioniert wie psychisches Fernsehen, komplett mit Bildfolgen und Soundtrack. Dieser dramaturgische Trick ist wirklich klasse einsetzbar und verschafft dem Hörer eine ganze Reihe von Rückblenden voller Dramatik. (Dass die Erinnerungen nicht das alltägliche Teetrinken betreffen, liegt irgendwie nahe.)

Doch Aura weiß inzwischen, wie die Vererbung in einer Templerfamilie funktioniert: durch Inzest. Und folglich muss sie auch erkennen, dass sowohl Gian als auch Tess in großer Gefahr schweben …

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Kai Meyer lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, insbesondere die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Mittlerweile ist sie bereits eine selbständige junge Frau von 24 oder 25 Jahren, die ihrem Stiefbruder Christopher helfen kann. In der Schweiz hat sie gezeigt, dass sie Eigeninitiative besitzt und sich zur Wehr setzen kann, nun führt sie sogar einen Generalangriff auf Lysander an. Dies ist keine Frau, die etwas anbrennen lässt, wenn man es sofort erledigen kann. Yara Blümels Stimme weiß dies genau auszudrücken. Um Aura braucht man sich wirklich keine Sorgen zu machen – es sei denn, die Geschichte verlangt es.

Timmo Niesner ist die deutsche Stimme von Elijah „Frodo“ Wood. Er bringt in seine Rolle als Christopher Institoris eine Menge Feingefühl ein, um die verschiedenen Beziehungen, in denen er sich zu Vater und Mutter, zu Schwester und Bruder befindet, entsprechend flexibel auszudrücken. Die Figuren Sylvette und Daniel spielen hingegen praktisch keine Rolle.

Hervorzuheben ist der passende österreichische Tonfall des Friedhofsgärtners. Hier hat der Sprecher mitgedacht. Im Übrigen fand ich den Text im Vergleich zu der Musik und den (spärlichen) Geräuschen viel zu leise ausgesteuert.

|Die Geräusche|

Die realistisch gestalteten Geräusche sind zunächst recht zurückkahltend, denn in der Kerkerzelle und auf dem Friedhof ist wohl kaum größerer Radau zu erwarten. Dies ändert sich auch nicht mit dem Eindringen in Lysanders Räume, wo ein alter Mann jammert und röchelt. Noch nachdenklicher wird die Stimmung im Schloss an der melancholischen Ostsee. Ein gewisses Drama wird erst am Schluss angedeutet, als der Donner rollt und eine dunkle Gefahr über dem Schloss heraufzieht, nachdem Aura und Christopher sich auf den Weg in den Kaukasus gemacht haben.

|Die Musik|

Die Musik ist neben dem Text das überragende Merkmal dieser Hörspielreihe. Christian Hagitte und Simon Bertling vom Studio |STIL| haben sich wieder richtig ins Zeug gelegt und einen Score geschaffen, der diesen Namen auch verdient. Die Musik schafft die Stimmung für jede Szene, und wer auf die Musik achtet, bekommt sofort mit, wenn sich die Stimmung ändert, so etwa bei einem Wechsel des Schauplatzes.

Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel fällt es nicht leicht, die Musik pauschal zu charakterisieren, aber mir ist aufgefallen, dass sich die klassische Instrumentierung häufig auf der melancholischen und wehmütigen, wenn nicht sogar düsteren Seite des Farbenspektrums bewegt. Allerdings ist diese Gemütslage höchst romantisch und keineswegs morbide oder zerfahren. Daher fällt es der Musik leicht, aus dem romantischen Ton in den dramatischen Ausdruck zu wechseln.

Wird die Musik dramatisch, kann sie auch recht flott werden, besonders in Kampfszenen, von denen es nicht wenige gibt. Doch die Musik muss aufpassen, dass sie nicht die Rufe und Schreie während dieser Kampfszenen überlagert. Die Figuren sollten immer die Oberhand über die Stimmung haben, sonst erscheinen sie als Marionetten.

Das Outro erfüllt die Funktion eines Aufräumers: Jetzt spielt das gesamte Orchester eine majestätische und dramatische Melodie, die nicht nur die Bedeutung des Gehörten unterstreicht, sondern Anlass zur Hoffnung auf weitere solche weltbewegenden Ereignisse gibt. Der Verweis auf die Fortsetzung, gesprochen von Lutz Riedel, unterstreicht dieses Versprechen, das die Musik gibt.

|Das Booklet|

Ein Geleitwort des Autors lobt die Darstellung Yara Blümels in höchsten Tönen, sagt aber immerhin genau, was ihm daran so gefiel, nämlich die Übereinstimmung mit seiner Vorstellung von der Entwicklung der Heldin Aura Institoris. Außerdem gefiel die Musik ausnehmend gut. Er hat jetzt Lust, die Fortsetzung zu schreiben. Wird auch Zeit!

Der Rest des Booklets liefert einen Überblick über die erste Staffel und eine Biografie des Autors.

_Unterm Strich_

Das Hörspiel versucht, den goldenen Mittelweg zwischen Edgar Allan Poes [„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 und einer optimistischen Entwicklungsgeschichte à la „Anne auf Green Gables“ zu gehen. Damit sind schon zwei Extreme hinsichtlich Plot, Aussage und vor allem Stimmung genannt. Der Mittelweg bedeutet ein ständiges Ringen um Selbstbehauptung für die Hauptfiguren Aura und Christopher. Der Gegner ist eine Altlast der Familie, die aus der Vergangenheit ihres Familienoberhauptes Nestor stammt: Lysander (wir erfahren nicht mal seinen Nachnamen).

Diese Episode ist relativ, denn durch Graben in der Vergangenheit müssen Aura und Chris herausfinden, wo sich ihr Erzfeind Lysander mitsamt der entführten Schwester Sylvette aufhält. Die Stimmung ist weiterhin mystisch und dramatisch, denn die Gegner zeigen sich noch nicht in eigener Gestalt, sondern nur als Ahnung kommender Schrecknisse. Die vierte Folge schließt diesen Spannungsbogen dann ab.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und Stimmen von bekannten Schauspielern (u. a. Elijah Wood) einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Mir war die Umsetzung an vielen Stellen zu romantisch und melodramatisch, aber von einer statischen Handlung kann keine Rede sein, denn die folgerichtige Entwicklung von Auras Abenteuern im Kampf gegen Lysander und seinen Schergen ist mitreißend geschildert. Auch die romantische Liebe kommt – in der zweiten Folge – nicht zu kurz.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert und die Stimmen der Stars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Wer jedoch mit Melodramatik absolut nichts am Hut hat, sich aber trotzdem zünftig gruseln will, der sollte zu härterer Kost greifen.

|70 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3593-0|
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe-audio.de
http://www.stil.name

Miller Lau – Der Rabenkönig (Die Highlander 1)

Beinahe gute Heroic Fantasy

Dies hätte ein spannender und unterhaltsamer, sogar innovativer Fantasyroman sein können. Die Zutaten dafür sind alle vorhanden. Doch an der Ausführung gibt es einiges auszusetzen.

Die Autorin

„Miller Lau ist das Pseudonym einer renommierten britischen Autorin mit schottischen Vorfahren“, verrät der Klappentext. In der Tat hat sich diese Autorin in der schottischen Mythologie kundig gemacht (siehe unten). Sie greift auf legendäre Motive zurück, die um die Zeitenwende oder noch davor entstanden – und natürlich auf die verbürgte schottische Historie, denn sie verknüpft Legende und moderne Gegenwart.

Handlung

Nach fünfzehn schier endlosen Jahren wird Duncan Talisker aus dem Gefängnis im schottischen Edinburgh entlassen. Dort hat er unschuldig als Mädchenmörder eingesessen. Bei einer schweren Prügelei und Misshandlung hat er einen großen Teil seiner Erinnerung eingebüßt. Talisker ist kein gewöhnlicher Mensch, aber das ahnt er nicht, als er in die Sonne der Freiheit zurückkehrt.

Nachdem er sich mit seiner früheren Freundin Shula wiedergetroffen hat, um einen neuen Anfang zu machen, taucht in seiner schäbigen Wohnung ein Geist auf. Malcom MacLeod vom Clan der MacLeods ist ein harter Kämpfer von altem Schrot und Korn – er hat einst in der Schlacht von Bannockburn anno 1314 die Engländer besiegt. Malky spielt so etwas wie den Schutzengel von Talisker, der wiederum einer seiner Nachfahren ist. Und den kann dieser schon wieder gut gebrauchen.

Die Polizei hat nämlich die geköpfte Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Sofort denkt der Polizist Chaplin, der fünfzehn Jahre zuvor Talisker ins Gefängnis gebracht hatte und einst sein Schulfreund war, an seinen alten Pappenheimer. Doch etwas scheint diesmal mit Alessandro Chaplin nicht zu stimmen. Er hat furchtbare Albträume von einem Adlerwesen namens Mirranon, und um seinen Leib schlingen sich blutunterlaufene Prellungen unbekannter Herkunft. Unvermittelt macht er Talisker für den Tod seiner geliebten Frau Diana verantwortlich, die am Tag von dessen Verurteilung bei einem Verkehrsunfall starb.

Nachdem er den unschuldigen Talisker wieder gehen lassen musste, schlägt Chaplin seinen Widersacher im Schutze der Nacht zusammen. Doch nun passiert etwas Seltsames mit den beiden. Malky hat den schwer verletzten Talisker in ein merkwürdiges Zimmer im Rathaus (!) geführt, wo ein strahlendes Wesen namens Deme Taliskers zertrümmerte Hand heilt und ihn bittet, in ihr Reich namens Sutra mitzukommen. Eigentlich bittet sie nicht – was Talisker nicht witzig findet. Inzwischen taucht auch Chaplin auf der Bildfläche auf, mit einer Pistole in der Hand. Deme stößt Talisker in die Anderswelt, wird aber von Chaplin getötet, der seiner vermeintlichen Beute, Talisker, nachsetzt und ebenfalls in Sutra landet.

Was zunächst verwirrt, aber nun mal hinzunehmen ist: Stirbt ein Protagonist in der einen Welt, wacht er lebend in der anderen wieder auf. Dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel nimmt schließlich ziemliche Ausmaße an.

In Sutra herrscht das geheimnisvolle Wesen Mirranon, der Weiße Adler. Noch. Denn Corvus, der Rabenkönig, verbreitet mit seinen Schattenkriegern, die die Seelen der Verstorbenen stehlen, Furcht und Schrecken. Talisker, Chaplin und Malky nehmen mit den Freunden Mirranons, den Gestaltwandlern, den Kampf gegen den zauberkundigen Rabenkönig auf. Denn wie Deme gesagt hatte, ist Talisker ein Krieger aus den Legenden Sutras.

Doch der Rabenkönig entsendet seine Dämonen nicht nur nach Sutra, sondern auch ins heimische Edinburgh – dort fiel den Dämonen das geköpfte Mädchen zum Opfer. Ihre nächsten Ziele sind diejenigen, die Talisker lieb und teuer sind: Shula und ihre Tochter Effie. Taliskers Auseinandersetzung mit Corvus in beiden Welten führt unausweichlich zu einem Kampf auf Leben und Tod.

Mein Eindruck

Im Literaturmarkt zwischen David Gemmell, Michael Moorcock und Diana Gabaldon nistet sich dieser Roman behaglich ein. Die Autorin möchte es allen Lesern recht machen, vor allem weiblichen Lesern. Ihre Frauenfiguren stellt sie weitaus genauer und realistischer dar als die männlichen „Helden“. Da aber Talisker und Company schließlich die Entscheidung herbeiführen, jedoch ihre Entscheidungen ständig von irgendwelchen Frauen und Gestaltwandlern beeinflusst sind, erscheinen sie nicht als Helden, sondern als Ausführende weiblichen Willens. Das dürfte Leserinnen entzücken, mich hat es nicht begeistert: Der Begriff „Held“ wird ad absurdum geführt.

Nach 220 Seiten stirbt denn auch Talisker das erste Mal: Er hat seine Schuldigkeit bei der Verteidigung einer Seestadt der Sutra-Menschen getan. Abgang! Bis hierhin genoss ich das Buch in vollen Zügen, auch wenn das Spannungsfeld zwischen Sutra- und Edinburgh-Szenen gewöhnungsbedürftig ist. Dafür gibt es als Höhepunkte mit Talisker eine Lovestory und eine ellenlange Schlacht zu erleben, würdig eines Gemmell oder Moorcock.

Danach bricht der Spannungsbogen sang- und klanglos zusammen, und es beginnt ein schier endloses Hin und Her zwischen den beiden Welten, sodass schließlich Überdruss und Verwirrung überwiegen: Mal stirbt Mr. T in der einen Welt, um in der anderen aufzuwachen – und dann ist es wieder umgekehrt. Diese nervende Phase dauert nicht weniger als 140 Seiten!

Bleiben also noch rund 170 Seiten, um die ganze Chose zu einem würdigen und halbwegs sinnvollen Abschluss zu bringen. Es gibt wieder eine Schlacht um eine Fluchtburg, doch das Kampfgeschehen ist nur Nebensache, wie’s scheint. Denn ein wichtiger Nebenschauplatz ist die Geburt eines missgebildeten Kindes namens Tristan, der Sohn irgendeines Paares, das bislang überhaupt keine Rolle gespielt hat. Da auch die böse Schwester des Rabenkönigs Talisker ein Kind abgeluchst hat – sie erschien ihm in Gestalt seiner Geliebten – ist für die Fortsetzung gesorgt: In der werden wohl diese beiden Kinder eine Hauptrolle erhalten. Talisker aber lebt mit seiner echten Geliebten für immer glücklich und zufrieden – in welcher Welt auch immer.

Mehrmals hatte ich den Eindruck, als sei das Buch um rund ein Drittel gekürzt worden, wenn nicht mehr. Denn nicht nur im Mittelteil ab Seite 220 fehlen verbindende Szenen, sondern auch im ganzen Rest. Manche Szenen beginnen unvermittelt, als habe ein TV-Redakteur zugeschlagen, der Platz für den nächsten Werbespot schaffen musste. Andere wieder werden nur indirekt berichtet, wären aber interessant gewesen. „Eine renommierte britische Autorin“? Sie muss beim Verlag |Simon & Schuster UK| irgendwie unter die Räder gekommen sein …

Die Übersetzung

Marianne Schmidt erlaubt sich nicht nur einige klare Fehler, sondern auch durchgehend ein schlampiges, unbeholfen wirkendes Deutsch. Sie übersetzt beispielsweise „emphatisch“ statt „empathisch“ (also „freudetrunken“ statt „mitfühlend“) und „Boden“, wo man „Erde“ sagen würde. Es gäbe fast ein Dutzend Beispiele. Sicherlich hatte sie Mühe, Malkys schottischen Highlander-Dialekt zu vermitteln, aber dennoch hätte ich das Buch fast mehrmals in die Ecke gefeuert.

Unterm Strich

Für die schlechte Übersetzung gibt es ebenso Abzug wie für die verwirrende und kopflos dahinstolpernde Handlung nach der Seite 220.

Ansonsten kann man sagen, dass das Buch einen guten Ansatz enthält, der sich vor allem auf den Rückgriff auf die keltisch-schottische Mythologie stützt. Einen Rabenkönig erwähnen die Legenden wirklich, nur hieß er nicht lateinisch „Corvus“ (= Rabe), sondern der Krähengott* (mit verschiedenen Namen wie etwa Balor) und wurde von den keltischen Ureinwohnern, den schwarzhaarigen, tätowierten Pikten, verehrt.

Doch die Skoten, also rothaarige Kelten aus Irland, führten ihren Lichtgott Lugh Langhand ein, als sie das schottische Festland eroberten und die Pikten vertrieben. Wieder einmal also erzählt die Autorin die Ablösung alter Götter durch neue, strahlendere – so war es schon bei den alten Griechen und Römern: Zeus/Jupiter erschlug die alten Götter wie etwa seinen Vater Uranos/Saturn und bekämpfte die Riesen.

Diese Story hätte vollkommen ausgereicht. Allerdings stapelt die Autorin noch mehrere andere Elemente darüber (Gestaltwandler, Dämonen, Corvus‘ Schwester usw.) und lässt die Hauptfiguren zwischen den Welten springen. Dieser interessante Versuch ging in der Ausführung leider daneben.

Originaltitel: Talisker. Book One of The Last Clansman, Simon & Schuster 2001
Aus dem Englischen übertragen von Marianne Schmidt

http://www.randomhouse.de

*: Dies ist der Titel eines Fantasyromans von Stuart Gordon aus dem Jahr 1975, der weitaus befriedigender zu lesen ist als „Rabenkönig“. „Suaine and the Crow-God“ erschien 1978 als Heyne-Taschenbuch Nr. 06/3589 und wurde seitdem nicht wieder aufgelegt, was sehr schade ist.

Bradley, Marion Zimmer / Waters, Elisabeth – Erbin von Ruwenda, Die

_Auch Zaubern will gelernt sein_

Dieser farbige Fantasyroman schließt den fünfbändigen Ruwenda-Zyklus befriedigend ab. Es wieder ein Märchen für Erwachsene, vor allem für weibliche: voller Liebe und Magie, in einer exotischen Welt.

Im amerikanischen Original hieß der Zyklus „Trillium“ und wurde zunächst von drei bekannten Autorinnen verfasst: MZB herself, dann noch Julian May, der Verfasserin der erstklassigen Pliozän-Saga, und schließlich Altmeisterin André Norton, die den anderen wahrscheinlich zeigen konnte, was eine Harke ist. Initiiert wurde der ganze Zyklus inklusive Kooperation vom deutschen (!) Literaturagenten Uwe Luserke.

Auch diesen Band hat MZB wieder mit einer nicht im Titel genannten Koautorin verfasst, der sie jedoch im Buch dankt: Elisabeth Waters.

_Handlung_

Das Reich der Drillingslilie – daher ‚Trillium‘ – droht unterzugehen. Die Seherin Haramis, die das Erbe der Zauberin von Ruwenda angetreten hat und nun bereits zwei Jahrhunderte über das Schicksal des Landes wacht, fühlt, dass ihre Zeit zu sterben naht. Ihre beiden Schwestern Kadiya und Anigel weilen bereits längere Zeit nicht mehr unter den Lebenden. Einsam hockt sie im Turm, der einst ihrem Erzrivalen Orogastus gehörte.

Mit Hilfe ihrer seherischen Gabe, dem Zweiten Gesicht, sucht sie nach einer Nachfolgerin für ihr Amt. Diese will sie in die Aufgaben der Erzzauberin von Ruwenda einführen. Schließlich wählt sie die widerspenstige Prinzessin Mikayla aus, doch diese hält nichts vom Zölibat einer Zauberin, sondern entscheidet sich für ihren Jugendfreund, den Königssohn Fiolon. Wer könnte es ihr verdenken?

Doch Haramis holt die beiden Turteltäubchen zu sich in den Weißen Turm. Dort beginnt sie, Mikayla in die Grundregeln der Magie einzuführen. Mikayla kommt sich vor wie Harry Potter und scheint sich nach außen hin in ihr Schicksal zu fügen, das eine Art Eremiten- und Mönchsdasein erfordert. Doch nachdem man Fiolon wieder in die Zitadelle von Ruwenda zurückgeschickt hat, findet sie einen Weg, ihn wiederzutreffen. Aber Fiolon entwickelt ohne Wissen der Zauberin ebenfalls große magische Fähigkeiten.

Haramis versucht vergeblich, die Verbindung der Liebenden zu zerbrechen, vielmehr erleidet sie einen Schlaganfall. Mikayla nutzt die Gelgeneheit, um den nunmehr ungeschützten Turm näher in Augenschein zu nehmen. Dabei ist ihr Uzun eine gute Hilfe, der frühere Begleiterin der Erzzauberin, der von dieser in eine schnöde Harfe verwandelt worden war. Mikayla sucht einen neuen Körper für ihn, doch dies führt zu neuen Abenteuern, die aber belohnt werden. (Ich will hier nicht verraten, welche neue Gestalt Uzun nun bekommt.)

Haramis ist mittlerweile kurz davor, den Löffel abzugeben. Als Folge ihrer schwindenden Zaubermacht kommt es zu etlichen Naturkatastrophen wie etwa Erdbeben. Doch Mikayla und Fiolon doktern lieber an den Symptomen herum, indem sie die Schäden beseitigen, statt sich um die Ursache zu kümmern: Mikayla sollte Haramis‘ Stelle einnehmen. Ist sie bereit, den Preis zu bezahlen? Oder gibt es eine Chance, dass beide ein gemeinsames Leben führen?

_Mein Eindruck_

Dies ist klassische Fantasy: Durch dick und dünn muss die Hauptfigur Mikayla erst gehen, bevor sie die Entscheidung zwischen Pflicht (Zauberin zu werden) und Neigung (Fiolon zu heiraten) treffen kann. Doch vielleicht kann sie den Kuchen essen und ihn zugleich behalten? Dann könnte sie an Fiolons Seite Zauberin werden und die Welt retten.

Wie man sieht, werden auch in diesem Roman die schönsten Mädchenträume wahr und am Schluss wird (doch, sicher, ganz bestimmt) alles gut. Leider ist dies vom literarischen Standpunkt nicht weiter von Bedeutung. Und wer solche Geschichten mag, wird auch hier das finden, was er oder vielmehr sie erwartet: Unterhaltung im schönsten Sinne des Wortes.

|Originaltitel: Lady of the Trillium, 1995
Aus dem US-Englischen übertragen von Marion Balkenhol|

John Marrs – The Passengers. Du entscheidest über Leben und Tod. SF-Roman

Gekapert und gekidnapped

Acht Menschen werden in ihren selbstfahrenden Autos entführt und auf einen tödlichen Kollisionskurs geschickt. Wenn es den Behörden nicht gelingt, die Fahrzeuge anzuhalten, wird eines nach dem anderen explodieren. Doch damit nicht genug: Der Täter streamt die Höllenfahrt seiner Passagiere live im Internet und fordert die Zuschauer auf, abzustimmen: Wer hat es verdient zu überleben? Und wer muss sterben?
John Marrs – The Passengers. Du entscheidest über Leben und Tod. SF-Roman weiterlesen

Don Winslow – London Underground. Neal Careys erster Fall

Suchaktion mit Tücken

Der beste Privatdetektiv New Yorks in Londons Untergrund. – Die Tochter eines US-Senators ist in London abgetaucht. Privatdetektiv Neal Carey hat neun Wochen Zeit, sie aufzuspüren – unter acht Mio. Einwohnern, mit so gut wie keinem Anhaltspunkt, wo sie stecken könnte. Neal hat auf den Straßen New Yorks gelernt, wie man Menschen ausfindig macht. Doch nichts und niemand konnte ihn auf das vorbereiten, was ihn in London erwartet… (Verlagsinfo)

Der Roman war für den EDGAR Award nominiert und erhielt den „MALTESE FALCON Award“ (benannt nach Dashiell Hammetts verfilmtem Krimiklassiker). Er ist der erste von fünf Neal-Carey-Krimis.
Don Winslow – London Underground. Neal Careys erster Fall weiterlesen

Patric Nottret – H2O. Thriller

Ökokrimi: Urfische und schräge Vögel

Umweltinspektor Pierre Sénéchal erhält den Auftrag, den Quastenflosser zu schützen, einen geheimnisumwobenen Dinosaurierfisch. Der Auftrag gestaltet sich wider Erwarten schwierig: Die Suche nach dem Fisch führt direkt in eine Mördergrube, eine exotische Welt, dunkel und brutal. Welches Geheimnis umgibt den Fisch? Für Pierre Sénéchal wird die Ermittlung zu einer Hetzjagd durch die Welt Financiers, Jäger und Sammler. Bald ist auch sein eigenes Leben in Gefahr … (Verlagsinfo)

Der Autor

Patric Nottret hat kriminalistische Hörspiele für das Radio geschrieben, bevor er sich mit seinem ersten Thriller [„Grünes Gift“ 4533 in Frankreich in die Bestseller-Charts katapultierte. Danach folgte „Über den Wäldern ruht der Tod“. Sein dritter Roman um den Umweltinspektor Pierre Sénéchal ist „H2O“. Nottret wurde laut Verlagsinfo 1953 in Saint-Denis de la Réunion geboren und hat eine ökologische Ausbildung vorzuweisen.

Handlung

Inspektor Pierre Sénéchal wurde von der großmächtigen Chefin der Umweltpolizei FREDE, Madame Pottier, auf die Insel Réunion geschickt. Auf dem französischen Überseebesitz gehen merkwürdige Dinge vor sich, nicht zuletzt die verbotene Jagd auf den seltensten Fisch der Welt, einen urtümlichen Quastenflosser, der aus der Zeit vor 350 Mio. Jahren stammt. Außerdem ist hier offenbar ein Fischerboot in die Luft gejagt worden. Nicht gerade ein friedliches Inselchen, wie es dem Inspektor scheint. Aber Madagaskar ist ja nicht allzu weit weg. Was kann man da schon erwarten.

Sénéchal nimmt sich die Verdächtigen gleich mal zur Brust und begibt sich an Bord der Segeljacht, die der Abyss Foundation gehört. Der Kapitän stellt sich als Hans Ziegler vor, doch das Boot scheint einem Mann namens Charles Designe zu gehören. Beide erzählen ihm eine Larifari-Geschichte, aber was er wirklich interessant findet, sind das Tauchboot, das an der Seite des Boots vertäut ist, und das hochmoderne Labor, das mit Elektronik vollgestopft ist und in dem fünf Wissenschaftler arbeiten. Das Tauchboot weist eine Platinsonde auf, eine sauteure und hochempfindliche Ausrüstung. Damit kann man auch in der Tiefsee sondieren, genau dort, wo sich der empfindliche Quastenflosser tagsüber herumtreibt. Der Urfisch kommt nur nachts in oberflächennahe Gewässer.

Bei einem Anruf beim Umweltprogramm UNEP der Vereinten Nationen in New York City erfährt Sénéchal, dass sich in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, ein UNEP-Manager in den Tod gestürzt habe. Bemerkenswert war an Shakif Mahakaram, dass er besonders die noch seltenere Quastenflosserart Indonesiens schützte. Aus einem Zeitungsartikel erfährt Sénéchal, dass es ausgerechnet Charles Designe und Kapitän Ziegler waren, die dort mit Mahakaram aneinandergerieten: Sie waren hinter dem Urfisch her.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, muss Sénéchal nach Indonesien fliegen. Der dortige Generaldelegierte der UNEP, Xi Ping Zhu, empfängt ihn, erzählt von dem armen Shakif und gibt Sénéchal in die Obhut des Militärgeheimdienstlers Thamnir. Mit den von Xi erhaltenen Unterlagen kann Sénéchal herzlich wenig anfangen, weshalb er sich zuerst zu Shakifs Familie begibt. Die Witwe ist verschlossen, hat aber einen schrecklichen Fehler gemacht: Sie hat Shakifs Laptop auf die nahe Müllhalde für Elektronikschrott geworfen. Zusammen mit ihrem Sohn Lang findet Sénéchal dort nur noch Überreste, aber immerhin auch Shakifs Schuhe. Er lässt auch das, was er in Shakifs leerem Schreibtisch an Staub und Glas gefunden hat, ins FREDE-Labor nach Paris schicken. Soll sich doch Lucrèce, der Chemiker, damit herumplagen.

Wenigstens kann sich Sénéchal jetzt, da sein brasilianischer Kollege Edouard eingetroffen ist, die Arbeit mit ihm teilen. Edouard kennt sich sehr viel besser mit Kriminalistik und Waffen aus. Er stößt auf die Leiche eines Motorradfahrers – am Grunde eines Schlammtümpels. Sehr ungesunde Gegend, besonders wenn man einen Revolver dabei hat. Im Gartenhäuschen der Mahakarams stößt er auf ein Funkgerät und Unterlagen einer Firma, der früher mal Auftraggeber von Designe und Ziegler war – und es vielleicht immer noch ist: der Konzern von Akira Takenushi, einem über hundert Jahre alten Japaner, der in Jakarta lebt und arbeitet.

Dem stattet Sénéchal mal einen Besuch ab. Auf den Hügeln über der Millionenstadt ist die Luft wesentlich besser. Der Hundertjährige sieht erstaunlich rüstig aus für sein Alter. Er lebt unter einer Glaskuppel in einem echten Wald aus seltenen Bäumen. Und zwischen den Bäumen, so bemerkt Sénéchal, wuseln überall Wach- und Reinigungsroboter herum. Natürlich Hightech aus Japan.

Woran Takenushi eigentlich forsche, will Sénéchal wissen. An den Genen von Saatgutpflanzen und an Fischen, bequemt sich der Industrielle zu antworten. Fischen wie dem Quastenflosser etwa? Gerade die seltensten Fische sind doch die interessantesten, nicht wahr, entgegnet der Japaner. In weiteren Gesprächen wird deutlich, dass er durchaus mit Designe und Ziegler zu tun hatte, aber nicht gerade auf die angenehmste Art: Sie haben ihn erpresst.

Während etliche Laboruntersuchungen laufen, gerät sein Kollege Edouard zusammen mit Lt. Thamnir im Hinterland in einen Hinterhalt der Rebellenbewegung für ein freies Aceh auf der Insel Sumatra. Eigentlich wollte Edouard hier die verschwundene Putzfrau und einen untergetauchten Freund Shakifs suchen, aber das Schicksal will es anders. Ein Holztransport stellt sich auf der Straße vor ihnen quer und lässt seine Ladung Baumstämme vor ihnen auf die Straße purzeln – direkt in ihren Weg …

Zurück auf Réunion, verlangt Sénéchal ein Treffen mit Designe und Ziegler, doch kaum ist er auf deren Boot, als ihn Designe mit einer Maschinenpistole bedroht. Sénéchal hat offenbar voll ins Schwarze getroffen, nun muss er zusehen, wie er hier lebend wieder rauskommt.

Mein Eindruck

Auf den ersten Blick scheint es in diesem enorm spannenden Ökothriller um Fische zu gehen. Aber der Schein trügt, denn je mehr Sénéchal ermittelt, desto deutlicher wird, dass es um die künftigen Ressourcen des Planeten. Und dabei sind Fische wie der alte Quastenflosser nur eine Art Indikator für die Aktivitäten von Leute wie Designe und Ziegler, die jetzt schon Jagd auf das machen, was noch übrigbleibt. Die beiden Genräuber – denn der Quastenflosser soll geklont werden – haben ein Forschungslabor samt Gentechnikfirma im Rücken, die ihnen ordentlich Kohle versprechen.

Wenn es also nicht um Fische geht, dann um das, was der Titel anzeigt: um Wasser. Bereits haben zwei von sechs Milliarden Menschen keinen Zugang zu frischem Trinkwasser. Bis 2050 werden es drei Milliarden sein, und somit wird Trinkwasser eines der begehrtesten Lebensmittel überhaupt werden. Wohl dem, der sich rechtzeitig eine gute Ausgangsposition im Rennen um die wertvollen Ressourcen verschafft. (Nottrets Schriftstellerkollege Jean Marc Ligny geht in seinem Roman [„Aqua ™“ 5827 noch einen Schritt weiter und macht Wasser zu einem raren Handelsgut in der nahen Zukunft.)

Dumm nur, dass der Vorrat an verfügbarem Wasser nicht beliebig vermehrt werden kann, indem man nach neuem bohrt wie nach Erdöl oder Erdgas. Die Menge des verfügbaren Wassers bleibt konstant, sei es nun gefroren, flüssig oder verdunstet. Die Frage ist, wie man es aus der Luft holt, reinigt, speichert und zu den Dürstenden transportiert.

Sénéchal ist erstaunt, wie weit Akira Takenushi mit seinen Forschungen gelangt ist. In seinem Wald unter der Plastikkuppel hat der Industrielle nicht nur Saatgut in Form von Bäumen gesammelt, sondern auch Experimente mit Kondensation angestellt, also der Gewinnung von Tau. Selbst in der scheinbar trockensten Wüste ist nämlich morgens Frühtau vorhanden. Einigen Tierchen gelingt es, diesen Tau einzufangen und zu trinken. Zu diesen Überlebenskünstlern gehört Senecora, eine Art von Skarabäus-Käfern, die einen speziellen Panzer und Mechanismus entwickelt hat, um Tau auf dem Körpern zu erzeugen und zum Maul zu leiten. Einfach genial, findet Sénéchal. Und das finden viele andere Leute auch, die in der Nachahmung dieser Oberflächenstruktur einen Milliardenmarkt sehen.

Aber wo es Geld gibt, da ist das Verbrechen nicht weit. Designe und Ziegler erpressen Takenushi, indem sie dieses Patent für sich angemeldet haben – ein klarer Fall von Ideenraub und Wirtschaftsspionage, der sich Sénéchal da eröffnet, als er schon denkt, er habe den Fall gelöst. Aber da gibt es noch ein paar Mitspieler, auf die er noch nicht gestoßen ist. Sie zu entdecken, hilft ihm seine einheimische Gastgeberin auf der Insel Réunion.

Der Autor wurde 1953 selbst auf dieser Insel geboren und kennt sich mit den Gegebenheiten vor Ort bestens aus. So lernt sein Held Sénéchal beispielsweise die scharf gewürzte lokale Küche kennen, den guten Rum, die kreolische Sprache, die Parfümindustrie (Geranien, Vetiver) und natürlich die Fischer. Dass es hier auch jede Menge Aberglauben gibt, hätte der Umweltinspektor weniger erwartet. Aber Madame Hoareau, seine Wirtin und eine ehemalige Gesangslehrerin, wird von einer wandelnden und singenden Vogelscheuche erschreckt, die mit einer Tierkralle an ihrer Küchentür kratzt. Madama erschrickt sich nicht wenig und klagt ihr Leid dem hünenhaften Inspektor, der doch sicherlich weniger Angst empfindet als sie.

Null problemo, beruhigt sie der Normanne mit den großen Pranken, bevor er sich auf die Suche nach dem Übeltäter macht. Der Weg führt ihn über den markanten Blumenduft, den der Einbrecher mit der Vogelscheuchenmaskerade hinterlassen hat, direkt zu einer alten Dampflokomotive. Es sind diese wunderbaren Assoziationssprünge, die einer der Gründe sind, warum Nottets Bücher so unterhaltsam sind. Sie bestehen nicht nur aus Krimi und Umweltinformationen, sondern auch aus einer Menge menschlicher Komödie. So auch hier.

In diesen alten Dampfloks pflegen gewisse Leute nämlich die gesammelten Blüten von Geranien, Vetiver und so weiter im alten Dampfkessel zu einzuweichen (man erinnere sich an das wässrige Verfahren in Süskinds [„Das Parfum“) 3452 und in kleinen Flaschen zu destillieren. Wie sich herausstellt, befindet sich eine dieser Loks in einem vulkanischen Gebiet, dessen Lava einen Tunnel teilweise verschüttet hat. In diesem Labyrinth gerät der neugierige Umweltinspektor in eine Todesfalle voller Giftschlangen …

Die Übersetzung

Die beiden Übersetzerinnen haben eine sehr gute Arbeit vorgelegt, die sicherlich nicht einfach war. Denn es gibt enorm viel wissenschaftlichen Fachjargon in diesem Buch sowie französische, malaiische und japanische Ausdrücke, von den allgegenwärtigen englischen ganz zu schweigen.

Dennoch fielen mir zwei dubiose Stellen auf. Die erste taucht auf Seite 330 auf, also nach drei Vierteln des Buches. „Der Himmel über den Bergen war stahlgrau, und die gewaltigen Wipfel hatten eine bedrohliche Färbung angenommen.“ Was stimmt an diesem Satz nicht? Nun, wie jeder Deutsche meiner Generation kenne ich Goethes Gedicht „Wanderers Nachtlied“:

„Über allen Gipfeln ist Ruh,
in allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch. / Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur / balde ruhest du auch.“

Goethe unterschied eindeutig zwischen Gipfeln der Berge und Wipfeln der Waldbäume. Warum sollten wir es nicht auch tun? Wenn die Übersetzung also von den „Wipfeln“ der Berge spricht, dann sind eigentlich „Gipfel“ gemeint.

Auf Seite 355 stieß ich auf den Ausdruck „ein nächtiger Gartenweg“. Interessantes Wort, dieses „nächtig“, denn meist wird „nächtlich“ gebraucht. Letzteres ist auch im |DUDEN| korrekt angegeben, doch unter „nächtigen“ steht dort „übernachten“. Also auch hier irrten die beiden Übersetzerinnen.

Unterm Strich

In einer spannenden Kriminalhandlung, die durchaus packende Actionszenen umfasst, bringt uns der Autor die komplexe Thematik der bedrohten Ressourcen der Menschheit näher. Waren es in den zwei Vorgängerbänden die Artenvielfalt des südamerikanischen Kontinents, so richtet der Autor diesmal unseren Blick auf die Meere, ihre schwindende Artenvielfalt – aber vor allem auf das Wasser, das zunehmend knapper wird und immer weniger Menschen frisch und sauber zur Verfügung steht. Der Autor kennt die Prognosen, und sie sind sehr düster, nicht nur für das Jahr 2050, sondern erst recht für das Ende dieses Jahrhunderts, das in jeder Hinsicht das entscheidende für das Überleben der Menschheit und des Lebens auf diesem Planeten ist.

Spannung und Information werden ergänzt von der dritten Komponente, der menschlichen Komödie. Immer wieder durfte ich bewundern, wie feinfühlig Sénéchal es versteht, mit unterschiedlichsten Personen zurechtzukommen und sie sogar zur Mitarbeit zu bewegen. Dabei kommt es oftmals zu Situationen, die für Anlass zum Schmunzeln geben, besonders wenn Gegensätze aufeinandertreffen. Und Sénéchal ist mit seiner hünenhaften Gestalt und seinen Hosenträgern eine Gestalt, die ich mir ein wenig wie den großgewachsenen Monsieur Hulot mit seinem Hütchen und dem Regenschirm vorstelle – Jacques Tati lässt schön grüßen. Nur dass Sénéchal wesentlich zupackender und furchtloser ist, als es Monsieur Hulot jemals gewesen sein könnte.

Lediglich für die schwache Psychologie des Romans gibt es Punktabzug. Andererseits sind Kriminalromane mit tiefgehender Psychologie wahrlich dünn gesät. Der Roman liest sich mit seinen superkurzen Kapiteln – James Patterson hat’s vorgemacht – stellenweise wie ein Drehbuch. Und zwar genauso rasant, sprunghaft und bilderreich. Ich habe das Buch in nur drei Tagen gelesen.

Originaltitel: H2O, 2004
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz
445 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-431-03780-7

http://www.luebbe.de

Lewis, Clive Staples – Perelandra-Trilogie

_Space-Opera und klassischer Utopieentwurf_

Die Perelandra-Trilogie ist eine Art utopischer Space-Opera, entstand in den 30er und 40er Jahren und besteht aus den Romanen „Jenseits des schweigenden Sterns“, „Perelandra“ und „Die böse Macht“.

Da es sich bei der Perelandra-Trilogie um einen grundlegenden Zukunfts- und Weltentwurf handelt, sollte die neue Ausgabe in keiner Bibliothek eines ernsthaften Science-Fiction-Lesers fehlen.

_Handlungen der drei Romane, kurz gerafft_

Lewis geht als Rahmen von einem auf göttlicher Ordnung beruhenden und somit harmonischen Universum aus (ähnlich wie später Doris Lessing im Shikasta-Zyklus). Die Engel bilden die Leitfiguren für die jeweiligen Planeten und die darauf lebenden, im evolutionären Status unterschiedlichen Rassen.

Die Erde und die menschliche Rasse sind in diesen Romanen nicht der letzte Hort der Weisheit oder gar Mittelpunkt der Schöpfung, sondern eine Art kosmischer Schandfleck, ein Ort des Verderbens. Der für die Erde zuständige Engel, nennen wir ihn mal Luzifer, hat durch sein Aufbegehren gegen Gott die allseits verbreitete Harmonie gestört und damit auch die Entwicklung aller Geschöpfe auf der Erde. Der Mensch ist nachhaltig fehlgeleitet, was sich nicht so sehr in großen Dingen, umso mehr aber in Kleinigkeiten wie Egoismus, unsozialem Verhalten, Umweltzerstörung usw. äußert. (Ökologie in frühem Stadium!)

Nach „Luzifers“ Sündenfall wurde die Erde von den übrigen Engeln als Sperrbezirk eingestuft, um so den ansteckenden Virus des Bösen zu isolieren. Sie wird zum „schweigenden Stern“. Um den armen Kreaturen auf der Erde, die nunmehr den Machenschaften des Bösen ausgeliefert waren, dennoch die Möglichkeit individueller Erlösung zu bieten, trat Christus, der Sohn Gottes, in die Welt. Auch wenn dadurch (gute) Menschen ihr seelisches Heil sichern konnten, war damit noch nichts gegen die materiellen Manipulationen Luzifers unternommen, der die Erde in eine unbewohnbare Wüstenei verwandeln will.

Vor diesem Hintergrund setzt die Handlung des 1. Bandes ein. Er beginnt damit, dass die Isolation der Erde von innen heraus durchbrochen wird, als ein bösartiger Wissenschaftler und ein geldgieriger Geschäftsmann den Sprachwissenschaftler (Lewis war selbst einer) Ransom, der ihnen auf die Schliche kam, entführen. Mit einer Rakete geht es in Richtung Mars, wo sich beim Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung der (oben skizzierte) größere Rahmen enthüllt.

Nach Klärung der Situation und einem Zwischen-Happyend verschlägt es Ransom in „Perelandra“ auf die Venus, wo soeben das erste Menschenpaar, Adam und Eva, auftritt. Bald erkennt Ransom, dass ihm hier die Rolle zufällt, die „Eva“ vor den Einflüsterungen des Bösen – die Schlange wird verkörpert durch den aus Band 1 bekannten Wissenschaftler – zu schützen. Seinen Job vollführt er mit einer recht ungewöhnlichen Methode und erhält den Menschen der Venus so ihr Paradies.

Im dritten Band treiben die Ereignisse auf den Höhepunkt zu. Ransom wurde durch die Tat auf der Venus geläutert und betritt die Erde wieder als Inkarnation des „Gralskönigs“, um gegen ein wissenschaftliches Großprojekt, das letzten Endes den Untergang der Menschheit herbeiführen würde, zu kämpfen. Hilfe findet er in einer kleinen Gruppe von Getreuen und dem wiedererweckten Magier Merlin. (Lewis kannte die Sagen genauso gut wie sein Freund und Kollege Prof. Tolkien.)

_Unterm Strich_

Zwar bremsen die durchaus vorhandenen Längen – es wird eben viel erklärt – den Erzählfluss mitunter etwas, dies wird aber wettgemacht durch den phantasievollen Entwurf eines umfassenden Weltbildes, das freilich nicht nach jedermanns eventuell atheistischem Geschmack sein dürfte.

Es kommt dem Ideal der utopisch-phantastischen Literatur hinsichtlich Darstellung und Ausarbeitung jedoch sehr nahe und unterscheidet sich dadurch von vielen seichten Hintergrundszenarien anderer phantastischer Romane. Kein Wunder, dass über diese Trilogie mehrere Doktorarbeiten geschrieben wurden.

|Originaltitel: Out of the silent planet; Perelandra; This hideous strength, 1938/43/45
Paperback, 3 Bände im Schuber
Band 1: Jenseits des schweigenden Sterns
Band 2: Perelandra
Band 3: Die böse Macht
Mit einem Nachwort von Hans Steinacker
Aus dem Englischen von Hans Brumm
Gesamtumfang: 1018 Seiten|

C.-S.-Lewis-Seite des Verlags: http://www.narnia-welt.de/

Ross Macdonald – Unterwegs im Leichenwagen (Lew Archer 10)

Eigentlich hatte man Privatdetektiv Lew Archer nur auf Colonel Mark Blackwells ungeliebten Schwiegersohn in spe angesetzt. Doch kaum beginnt er zu ermitteln, stößt er auf eine heiße Spur, welche über verschiedene Leichen bis nach Mexiko und zurück nach Malibu führt. Dabei kreuzt ein als Fun Cruiser genutzter Leichenwagen immer wieder Archers Weg. Sixties, Surfkultur und Generationenkonflikt sorgen für Spannungen und für Spannung.

Besonderes Schmankerl dieser Neuübersetzung ist ein Nachwort der Krimiautorin Donna Leon, die ihren Commissario Guido Brunetti schon fast 30 Fälle hat lösen lassen.
Ross Macdonald – Unterwegs im Leichenwagen (Lew Archer 10) weiterlesen

Barker, Clive – Bücher des Blutes I-III, Die

_Das Leben der Toten, Dämonen und Verdammten: preisgekrönter Horror_

Nichts für schwache Gemüter und zartbesaitete Seelen – so lautet die Warnung im ursprünglichen Vorwort von Ramsey Campbell, ebenfalls ein renommierter Horrorautor. Für seine „Bücher des Blutes“ bekam Clive Barker 1985 den |World| und den |British Fantasy Award|. Seine Schrecken sind (meist) in der realen Welt angesiedelt, im Hier und Jetzt, oft sogar mitten in der Großstadt.

_Der Autor_

Clive Barker lieferte die literarischen Vorlagen für die Filme „Lord Of Illusions“, „Hellraiser“ (selbst verfilmt), „Cabal“ und „Candyman“. Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben den „Büchern des Blutes“ auch „Imagica“, „Weaveworld“ (dt. „Gyre“) und „The Damnation Game“ („Das Spiel des Verderbens“). In den letzten Jahren hat er sich etwas zurückgehalten, doch mit „Coldheart Canyon“, das im September 2004 bei |Heyne| erschienen ist, gelang ihm ein kühner Kommentar auf das Filmbusiness, das er schon so oft aufgegriffen hat. In Kürze soll auch sein neuester Fantasy-Jugendroman „Abarat“ bei |Heyne| erscheinen.

_Storys in Band 1_

„Das Buch des Blutes“, sozusagen der Prolog, erzählt vom 20-jährigen Simon McNeal, der sich als Medium für die Botschaft der Toten ausgibt und seinen Schwindel grausam bezahlen muss. Die Toten und Verdammten schreiben ihre Geschichten auf seine Haut – kein Schwindel …

In „Der Mitternachts-Fleischzug“ verwandelt sich die New Yorker U-Bahn in einen Transporter zum Schlachthof, der die unterirdischen, wahren Herrscher Amerikas mit köstlichem Menschenfleisch versorgt.

„Das Geyatter und Jack“ ist auch als illustriertes Comic-Book unter dem Titel „Ein höllischer Gast“ erschienen. Hier legt sich ein englischer Importeur von Gewürzgurken namens Jack Polo mit einem Sendboten der Hölle an, der die Aufgabe hat, Jack in die Klauen des Wahnsinns zu treiben, um seine Seele der Hölle zu überantworten. Mal sehen, wer den Kürzeren zieht.

In „Schweineblut-Blues“ verwandelt sich ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche zum Wallfahrtsort für eine Mastsau, die allem Anschein nach die Reinkarnation eines ehemaligen Insassen des Heims ist. Hier bekommen alle Beteiligten den Blues.

In „Sex, Tod und Starglanz“ gibt ein Theater und dessen Truppe (Barker schrieb eine Menge erfolgreicher Theaterstücke) eine letzte Abschiedsvorstellung mit Shakespeares „Was ihr wollt“ vor dem fachkundigen Publikum des halbverwesten örtlichen Friedhofs. Hier wird das alte Motiv des „Phantoms in der Oper“ neu und überraschend variiert.

Die letzte Geschichte im Band ist auch die eindrucksvollste und haarsträubendste. „Im Bergland: Agonie der Städte“ ist ein außergewöhnliches Schauspiel, das zwei homosexuelle Engländer in Jugoslawien (als es das noch gab) erleben. Die Einwohner zweier verfeindeter Städte (‚Agonie‘ bedeutet Todeskampf) haben sich jeweils an einem Gerüst zu einem Riesen zusammengebunden. Diese beiden Riesen marschieren nun aufeinander zu. Was folgt, muss man selbst gelesen haben.

_Fazit zu Band 1:_

Um mit Barker zu sprechen: „Am besten macht man sich auf das Schlimmste gefasst, und ratsam ist es, erst einmal die Gangart zu erlernen, ehe einem die Luft für immer wegbleibt.“ Jede der Geschichten für sich allein weckt selbst beim abgebrühtesten Leser einen ganz speziellen Schauder, den nur wirklich gute Horrorstorys erzeugen können. Die Übersetzungen von Peter Kobbe sind zumindest hier noch sehr gut. Viele dieser Storys wurden verfilmt, und als Klassiker gehört „Das erste Buch des Blutes“ in die Sammlung jeden Horrorfans.

__________________________

Auch im zweiten Band der Serie steht Clive Barker auf der Seite der Monster. Bei ihm sterben Sympathiepersonen, und das Gute wird nicht immer belohnt. Das macht ihn so ungewöhnlich. „Keine Wonne kommt der des Grauens gleich – solange es nicht das eigene ist“, schreibt der Autor in seiner ersten Geschichte hier.

_Storys in Band 2_

In „Moloch Angst“ lernen wir einen Psychopathen kennen, der mit allen Mitteln versucht, die Ängste seiner Zeitgenossen zu brechen. So sperrt er etwa eine Vegetarierin mit einem Stück Fleisch in eine Kammer ein, bis sie darüber herfällt. Im Verhalten, das seine Gefangenen an den Tag legen, sucht er den Schlüssel zu seiner eigenen Angst. Der Schluss der Story ist leider schon frühzeitig zu erahnen.

Auch die Grundidee von „Das Höllenrennen“ wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen: Die Hölle macht einen Marathon mit (Merke: Die Briten sind große Läufer!). Unter der Hand jedoch geht es um nichts weniger als den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen. Barker greift zwar mit allen Stilmitteln in die Vollen, doch Spannung will nicht so recht aufkommen.

Da lob ich mir doch die folgende Geschichte (ah, wohlige Schauder!) – sie wird immer wieder in Anthologien aufgenommen, zu Recht ein literarisches Juwel: „Jacqueline Ess: ihr Wille, ihr Vermächtnis“. Jacqueline entdeckt ihre Fähigkeit der Telekinese und damit die Möglichkeit, per Gedankenkraft den Körper eines anderen Menschen zu zerstören. In einem Wutanfall vernichtet sie ihren widerlichen Ehemann und knetet seinen Kadaver zu einem Klumpen zusammen. Danach irrt sie ziellos durch die Welt, auf der Suche nach jemandem, der ihr hilft, ihre Furcht erregenden Fähigkeiten in den Griff zu bekommen …

Diese Erzählung ist eine schmerzhafte Elegie voll Sex und Sinnlichkeit, die stetig auf einen ungeheuren Höhepunkt zustrebt und deren Ende einer ungehemmten Explosion gleichkommt – mit Abstand die beste Story dieses Bandes.

In „Wüstenväter“ tummeln sich fleischige Dämonen in der Wüste, ein schießwütiger Sheriff macht mit seiner Gemeinde Jagd auf sie. Spannende Situationen und eine bizarre Spannung schaffen eine Stimmung, wie man sie selten in einer Story findet.

Wie eine Verbeugung vor dem Vater der Horror- und Detektivgeschichten, Edgar Allan Poe, klingt der Titel der abschließenden Erzählung: „Neue Morde in der Rue Morgue“. Wieder einmal ist ein mordender Affe der Täter. Er hat von seinem mittlerweile in Haft sitzenden Besitzer gewisse ‚menschliche‘ Züge anerzogen bekommen. Nun, da der Meister nicht mehr präsent ist, dreht er durch und betätigt sich als ‚Jack the Ripper‘ an Prostituierten. Ein cleverer Detektiv-Verschnitt kommt ihm auf die Spur, kann aber angesichts dieses Elends nicht handeln und zieht sich durch Selbstmord aus der Affäre. Anstatt dass Barker den Affen stilecht über den Jordan gehen lässt, darf der Bösewicht weiterleben, in seinem Anzug nur schwer zu unterscheiden von einem Betrunkenen in der Nacht …

_Fazit zu Band 2_

Auch „Das zweite Buch des Blutes“ bietet eine nicht immer gelungene Mischung aus völlig unterschiedlichen Storys, die teilsweise innovativ und rundherum erfrischend wirken. Insbesondere „Jaqueline Ess – ihr Wille und Vermächtnis“ ist unbedingt Pflichtlektüre für Horrorfans.

__________________________

Waren die ersten beiden Bände erstklassiger Stoff, so fallen im dritten Buch sowohl das Niveau der Einfälle als auch die Spannung in den fünf Erzählungen ziemlich ab.

_Die Storys in Band 3_

Schon die erste Story „Rohkopf Rex“ ist bezeichnend für diese Kollektion. Ein riesiges, Menschenfleisch fressendes Monster liegt unter einem großen Stein auf einem brachliegenden Feld begraben. Als der Bauer in mühsamer Arbeit den Stein wegräumt, kommt auch der Titel gebende Rohkopf frei und beginnt nun mordend die Protagonisten aufzufressen, bis ihm ein Familienoberhaupt eine Fruchtbarkeitsgöttin an den Kopf wirft. Das Resultat ist reichlich unappetitlich.

„Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs“ ist auch nicht viel besser. Ein Spießbürger arbeitet als Buchhalter für einen Pornoverkäufer, ohne über die delikate Ware im Bilde zu sein. Als er in der Zeitung damit in Verbindung gebracht wird, sucht er Rache, wird aber umgelegt. Sein Geist schlüpft in sein eigenes Leichentuch und formt daraus einen auf Vergeltung sinnenden Körper.

„Der Zelluloidsohn“ wurde in Barkers Interviews immer als recht interessant angesprochen, erfüllt aber nicht die Erwartungen. Ein an Krebs erkrankter Verbrecher schleppt sich mit letzter Kraft in ein Kino und stirbt dort. Fortan spukt es im Kinosaal, und John Wayne (selbst an Krebs gestorben) und Marilyn Monroe (brachte sich um) sorgen für Tod und Sex. Dahinter steckt der lebende Krebs. Eine reizvolle Idee, deren Ausführung aber als nicht gerade gelungen zu bezeichnen ist.

„Sündenböcke“ ist eindeutig die beste Story des Bandes. Hier strandet ein Boot auf einer nicht in den Karten verzeichneten Insel, unter der die Toten des Meeres ruhen. Natürlich wird diese Ruhe heftig gestört. Der Leser ahnt in diesem Text am ehesten die Wort- und Ideengewalt des |enfant terrible| der Horrorliteratur.

„Menschliche Überreste“ wurden in einem Grab aus der Zeit des römischen Britanniens gefunden, die Skulptur eines Standartenträgers namens Flavius, wie seine Grabinschrift besagt. Nun tauchen sie in der Badewanne des Archäologen Kenneth wieder auf und wollen nur eines: Leben! Doch diese Story wird aus der Sicht von Flavius‘ nichts ahnendem Opfer erzählt, des wunderschönen Londoner Strichers Gavin. Und der hält gar nichts davon, dass er einen Doppelgänger hat, der sich das körperliche Leben von seinen Mordopfern zurückholt – genau wie Frank in Barkers Film „Hellraiser 1“. Doch Flavius will nicht nur Gavins Körper, sondern braucht auch Gavins Seele, um wieder ein kompletter Mensch zu werden …

Leider ist die Idee des Doppelgängers, der sein Original vernichten will, schon reichlich abgedroschen. Barkers Ansatz daher: Schauplatz ist das Strichermilieu, denn da scheint er sich gut auszukennen.

_Fazit zu Band 3_

Alle Geschichten dieses dritten Bandes kranken daran, dass der Fortgang der Handlung und vor allem das Ende recht schnell abzusehen sind. Das mindert doch den Spaß am Lesen ein wenig.

_Unterm Strich_

Der Horrorfan ist dankbar, dass es endlich diese essenzielle Lektüre wieder zu einem vernünftigen, um nicht zu sagen: günstigen Preis gibt. Denn häufig gingen die Preise, die für die Taschenbuch- und erst recht für die gebundenen Ausgaben des |Knaur|-Verlags in Online-Auktionen usw. verlangt wurden, doch schon hart an die Grenze des Vertretbaren. Das gilt in erhöhtem Maße für die Bände 4 bis 6.

Die Ausgabe selbst kommt völlig ohne Schnickschnack aus: ohne Vorwort oder Nachwort, ohne Glossar oder sonst irgendetwas.Lediglich die Rückseite des Einbandes enthält das unvermeidliche lobende Zitat von Stephen King, das man sattsam kennt. Inzwischen handelt es sich bereits um „Kultbücher“, tönt der Verlag, und natürlich sind sie „nichts für zartbesaitete Gemüter“. Das kann ich nur unterstreichen. Die Storys sind ebenso grausig wie wortgewaltig, einfallsreich, unheimlich und sogar wollüstig – ein Element, das in Horrorstorys allzu oft unterdrückt wird.

Hintergrund für Clive Barker war das alte |Grand Guignol|-Theater, das billige Horroreffekte auf die Spitze trieb, um die Dosis, die es dem proletarischen Publikum verpassen wollte, ständig zu erhöhen. Mittlerweile sind auch wir, Barkers Publikum, durch seine und gegenüber seinen Storys etwas abgestumpft. Daher kommen uns die hier gesammelten Erzählungen mitunter recht zahm oder gar abstrus vor.

Ich jedenfalls verschlang sie Mitte der achtziger Jahre, als sie auf den deutschen Markt kamen, mit Haut und Haaren. An so manche, wie etwa „Jaqueline Ess“ kann ich mich immer noch erinnern – ganz einfach, weil sie einem immer noch die gleiche Dosis, den gleichen Schock verpassen können. Doch die Dosis ist bekanntlich bei jedem Leser unterschiedlich …

Koontz, Dean – Nacht der Zaubertiere (Lesung)

_Passionsgeschichte: Kampf um den Spielzeugmacher_

Als Zaubertiere hat sie Isaak Bodkins in seiner kleinen Fabrik erschaffen: Bär, Kaninchen, Hund, Katze und Elefant, dazu bestimmt, Kinder zu erfreuen und zu trösten. Nun ist Isaak tot, und sein Nachfolger muss das Erbe am gleichen Tag übernehmen, damit die Kraft des Guten wirksam bleibt. Denn im Keller der Fabrik herrscht von alters her eine andere, finstere Macht – böse Spielsachen, die jetzt ihre Stunde für gekommen halten und alles daransetzen, ihr grausames Regime auf der Erde zu errichten … Die Zaubertiere haben eine abenteuerliche Reise durch die nächtliche Stadt durchzustehen, um Isaaks Nachfolgerin zu informieren.

Empfohlen ab 10 Jahren.

_Der Autor_

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren, musste in seiner Jugend hungern, schrieb Schundromane für einen Hungerlohn, lernte seine Frau Gerda kennen und konnte schließlich mit ihr nach Kalifornien ziehen, wo das Ehepaar seither stets mit einem Golden Retriever zusammenlebt. Es gibt kein einziges Koontz-Buch der letzten Jahre – etwa seit „Geschöpfe der Nacht“, in dem nicht mindestens ein Loblied auf diese Hunderasse angestimmt wird.

Die zahlreichen Thriller und Horror-Romane des schärfsten Konkurrenten von Stephen King wurden sämtlich zu Bestsellern und in über 30 Sprachen übersetzt. Weltweit hat Koontz laut Verlag über 250 Mio. Exemplare verkauft. Leider wurden bislang nur wenige von Koontz‘ Büchern verfilmt. Die beste Verfilmung ist meiner Meinung nach „Intensity“, aber der Film strapaziert die Nerven derart, dass er höchst selten gezeigt wird.

_Dean Koontz auf |Buchwurm.info|:_

[„Todesregen“ 3840
[„Frankenstein: Das Gesicht “ 3303
[„Die Anbetung“ 3066
[„Kalt“ 1443
[„Der Wächter“ 1145
[„Der Geblendete“ 1629
[„Stimmen der Angst“ 1639
[„Phantom – »Unheil über der Stadt« “ 455
[„Nackte Angst / Phantom“ 728
[„Schattenfeuer“ 67
[„Eiszeit“ 1674
[„Geisterbahn“ 2125
[„Die zweite Haut“ 2648

_Der Sprecher_

Jürgen Kluckert hat an der Schauspielschule „Ernst Busch“ studiert und spielte Rollen im „Tatort“, bei „SOKO“ und „Liebling Kreuzberg“. Auch am Theater und als Synchronstimme, unter anderem von Morgan Freeman, Nick Nolte, Robbie Coltrane und Chuck Norris, wurde er bekannt. 1994 übernahm er die Synchronisation von Benjamin Blümchen. Er ist auch die Stimme von „Mr. Krabs“ in „SpongeBob“.

_Handlung_

Isaak Bodkins, der Schöpfer der Zaubertiere, ist gestorben. Aber der Spielzeugmacher hat Vorkehrungen für diesen Fall getroffen und den Stoffbären Amis zum Anführer seiner Geschöpfe bestimmt. Diese Geschöpfe sind außergewöhnlich insofern, als sie sprechen, denken, fühlen und sich bewegen können. Sie wissen (noch) nicht, warum dies woanders anders sein sollte. Isaak hat Amis daran erinnert, was die Aufgabe der Zaubertiere sei, nämlich jedes der Kinder, dem sie geschenkt werden, zu trösten, zu beschützen und ihm Rat zu erteilen. Darin bestünde ihre Magie. Doch bei Erwachsenen sei sie schwach und deshalb dürften sie sie nur im Kinderzimmer anwenden und sich ansonsten vor Erwachsenen in Acht nehmen. Issak sagte, der Tod sei nicht sein Ende, sondern nur eine Durchgangsstation. Um die Magie nicht vergehen zu lassen, müssten seine Geschöpfe seine Nachfolgerin besuchen, Mrs. Martha Miller, und sie zur neuen Spielzeugmacherin machen.

Es gibt nur ein Problem. Mrs. Miller, der der Spielzeugladen gehört und an die Isaak alle seine Spielzeuge verkauft hat, lebt am anderen Ende der Stadt. Nur die tapfersten Spielzeuge können auf die Expedition mitgehen, zu der ihr Anführer sie nun aufruft. Folgende sind bereit, Amis in die kalte, stürmische Nacht zu folgen: Einstein, der Elefant; Der Gestiefelte Kater, sein Degen ist aus Hartgummi; Caramel, das Hundemädchen; Skippy, der Hase; und Der Alte, dessen Gattung nicht ganz klar ist, der aber alles über die Zaubertiere und Isaak Bodkins weiß. Sie überlassen die Werkstatt den Affen und anderen Tieren, klettern aus einem Kellerfenster und machen sich auf den Weg.

Doch da nun die Magie des Spielzeugmachers schwächer wird, regt sich zwei Stockwerke tiefer neues Leben. Dorthin ist Isaak nie gekommen und so wusste er nicht, dass hier die Spielzeuge seines Vorgängers eingelagert sind: Cerberus Toys. Als Erster regt sich ihr Anführer. Rex ist eine Marionette ohne Fäden, in feinem Smoking und Zylinder, doch in seinem Spazierstock steckt ein ausfahrbares Messer. Er weckt und befreit die anderen Spielzeuge: Lizzie, das Tanzmädchen aus den 1920er Jahren, ist auch eine fadenlose Marionette, doch ihre Zigarettenspitze glüht und kann ein Feuer entzünden; Eisenbeißer ist ein Roboter und leider ein wenig einfältig und monomanisch in seinem Zerstörungsdrang; Jack Weasel ist ein Kastenteufel mit einem Clownsgesicht; seine Lippen sind blutrot; Die Stecherin ist eine fliegende Hornisse, die über einen Stachel im Hinterleib verfügt, der so groß ist wie eine Taschenmesserklinge. Zusammen mit den anderen Cerberus Toys macht sich die Stecherin an den Aufstieg nach oben und findet den Weg aus dem Haus. Die Zeit ist gekommen, dass das Böse die Herrschaft übernimmt. Und so machen sie sich daran, die „Wattebäuche“ zu verfolgen, um ihnen den Garaus zu machen.

|Victor Bodkin|

Victor Bodkin ist der Neffe des verstorbenen Spielzeugmachers. Er ist ein lediger Buchhalter ohne Kinder und denkt nur an Profitmaximierung. Folglich will er das große Grundstück seines verstorbenen Onkels versilbern. Für dessen Beruf hat nichts als Kopfschütteln übrig. Doch als der 35-Jährige an diesem Abend zu dessen Haus fährt, bemerkt er sonderbare Bewegungen auf der Straße. Er stoppt und sieht sechs Stofftiere über die Straße laufen, die bei seinem Anblick erstarren. (Achtung, ein Erwachsener!) Er steigt aus. Auf Befehl des Bären eilen sie weiter und verschwinden zwischen den Bäumen des nahen Parks.

Doch der Spuk ist noch nicht vorüber. Aus der Richtung, aus der die Stofftiere kamen, taucht ein kleiner Roboter auf. Doch statt beim Anblick eines Erwachsenen stehenzubleiben, haut ihm der Roboter voll auf die Schuhe. Damit nicht genug, zückt eine Marionette im Smoking ein Messer und greift an. Eine Hornisse fliegt im Sturzflug heran und verfehlt Victors Kopf nur deshalb, weil er sich zu Boden wirft. Er tritt den strategischen Rückzug an und versucht sich verwirrt einen Reim auf das Gesehene zu machen. Spielzeuge, die sich bewegen?! Das muss er genauer sehen. Er folgt ihnen.

|Nick Jack|

Aus dem Süden kommend, ist Nick Jack endlich in der Stadt eingetroffen, in die ihn eine Stimme gerufen und ihn wie ein Magnet gezogen hat. Nick wurde erst am Morgen aus dem Knast entlassen, wo er 15 Jahre abgesessen hat. Er ist bis zur Halskrause von Hass erfüllt, von Hass auf alles und jeden. Das Einzige, was ihn erfreut, sind Tränen in gequälten Kinderaugen.

In einer Busstation hat Nick einen Schlüssel gefunden. Auf dem Schlüssel stand eine Schließfachnummer, und in dem Schließfach fand er einen großen Koffer. In dem Koffer befinden sich zwei Millionen Dollar in kleinen Scheinen. Das Gesicht, das er im Spiegel statt seines eigenen gesehen hat, verlangte von ihm, den Koffer einem Mann namens Victor Boskin zu geben. Es ist der Kaufpreis für dessen Spielzeugfabrik. Diese Fabrik soll Nick übernehmen, denn er sei der neue Spielzeugmacher in Diensten des Herrn der Finsternis. Und seine Spielzeuge werden sich die Welt untertan machen.

_Mein Eindruck_

Auch wenn die Geschichte wie ein Märchen aussieht, so werden hier doch metaphysische Konflikte verhandelt, die sich zwischen Gott und Teufel, Gut und Böse abspielen. Allerdings erweist sich diese Konstruktion als äußerst simpel. Aber immerhin gibt es eine Bekehrung und zwei Bestrafungen.

Ist Gott ein Spielzeugmacher?, fragen sich die Zaubertiere. Nein, aber wenn er Kinder mag, dann mag er bestimmt auch Spielzeug. Und Isaak Bodkin sowie Martha Miller, seine Nachfolgerin, sind Gottes Diener, quasi seine Bischöfe. Sie senden ihre Jünger aus, um die Kinder der Menschen zu trösten, zu beschützen – und zu unterweisen. Macht nichts, wenn die Kinder sie vergessen, sobald sie erwachsen sind. Hauptsache, sie habe ihre Kindheit seelisch unbeschadet überstanden.

Eine Zeit großer Gefährdung, wie die Spielzeuge deutlich machen, die Cerberus Toys produziert hat. „Cerberus“ ist der Sage nach der dreiköpfige Hund, der die Tore zur Unterwelt bewacht. Womit wir schon beim Thema wären. Das Böse lauert unten in der Finsternis und wartet nur auf seine Chance, um die Guten zu verderben und die Herrschaft über die Menschen zu übernehmen. Dazu hat der Herr der Finsternis seinen Knecht Rex auf die Mission geschickt, die Zaubertiere Isaac Bodkins zu töten, bevor sie ihren Auftrag erfüllen können. Aber er hat auch Nick Jack (Old Nick ist ein umgangssprachlicher Beiname für den Widersacher) ausgeschickt, um einen wichtigen Menschen zu verführen: Victor Bodkin, Isaacs Neffen.

Wie in zahlreichen religiös angehauchten Romanen, seien sie nun historisch oder phantastisch ausgerichtet, ist Victors Seele ein Schauplatz widerstreitender Kräfte. Sein Materialismus macht ihn dem Angebot Nick Jacks geneigt, doch zum Glück kommen ihm ernsthafte Zweifel an dessen Seriosität. Victors Stunde schlägt, als Amis von Rex‘ Hand stirbt. Victor muss sich entscheiden, ob er diesen kaltblütigen Mord hinnehmen will. Amis ist die Jesusfigur im Stück, deren Opfertod eine entscheidende Wende, vulgo: Bekehrung, in seinen Mitmenschen bewirkt. Ob es funktioniert, soll hier nicht verraten werden. Victor ist unser Jedermann und unser Stellvertreter. Die Auferstehung Jesu, pardon: von Amis, ist nur eine Frage weiterer Opfer, die als Gabe der Liebe gegeben werden.

Für diese Interpretation spricht, dass andauernd irgendwelche inneren und äußeren Stimmen und mystische Erscheinungen wie Spiegelgesichter Anweisungen geben und so die Akteure durch die Nacht treiben, um den Konflikt auszutragen. Das letzte Wort haben: der Herr der Finsternis, der seinen versagenden Diener zu sich ruft, um ihm Lenkfäden zu verpassen; die Polizei, die einige bohrende Fragen an den Ex-Knacki Nick Jack hat; und Martha Miller, frischgebackene Spielzeugmacherin für Zaubertiere.

Wie man sieht, handelt es sich bei „Nacht der Zaubertiere“ um eine Passionsgeschichte, die zwar einfach gestrickt ist, aber von jedem Kind – ab zehn Jahren – verstanden werden sollte. Sie lässt sich auch gut zur Weihnachtszeit erzählen oder anhören.

_Der Sprecher_

Jürgen Kluckert beherrscht die hohe Kunst der Charakterisierung vieler verschiedener Figuren mit stimmlichen Mitteln. Jede Figur der Stofftiere und der Cerberus Toys hat ihre eigene stimmliche Charakteristik, so dass man alle Figuren sofort auseinanderhalten kann. Nicht genug damit: Die Stimmen passen auch. Der Elefant spricht tief und langsam, der Bär mit vertraueneinflößender Autorität, der Hase hoch und schnell, das Hundemädchen ein wenig naiv und der gestiefelte Kater (ähnlich wie in „Shrek“) ein wenig adelig-kultiviert, aber tapfer. Jedes Kind kann sich sofort in diese Figuren verlieben.

Rex, die Anführermarionette, klingt entsprechend herrisch, doch seine Autorität flößt keineswegs Vertrauen ein, sondern Furcht. Dito der verrückte Kastenteufel Jack Weasel und die ziemlich stumme Lizzie. Eisenbeißer hingegen will alles niedertrampeln und redet wie eine Maschine. Die Hornisse Stecherin summt und sirrt und zischt, wenn sie spricht – Kluckert gestaltet sie wundervoll.

Doch Charakterisierung alleine reicht nicht für einen guten, kindgerechten Vortrag. Nun müssen sich die Figuren auch wie lebende Wesen verhalten und Gefühle äußern. Kluckert lässt sie wüten, jammern, flehen, triumphieren und trauern – und noch vieles mehr. Er führt sein eigenes kleines Kasperletheater auf, lässt die Figuren „Puha!“ rufen, hämisch lachen. Ganz besonders hat mir sein furchterregendes „Klickediklick!“ gefallen, das der Kastenteufel verursacht, wenn er seine Opfer sucht. „Klickediklick!“

_Musik_

Dies ist ein Hörbuch der neuen |Lübbe Audio|-Hörbuchreihe „Wellenreiter“, die sich an ausdrücklich an Kinder und Jugendliche wendet (genauso wie „Silberfisch“ bei |Hörbuch Hamburg|). Das ganze Akustik-Design ist völlig anders als in der Erwachsenenreihe.

Zuerst erklingt der Jingle für die Reihe, ohne Gesang, aber mit einer flotten Surfermusik. Danach folgt das In- und Outro , welches von einem modernen musikalischen Motiv bestritten wird. Am Schluss des Hörbuchs wiederholt sich das Ganze in umgekehrter Reihenfolge.

Geräusche gibt es leider keine, so dass man sich jederzeit voll auf den Vortrag des Sprechers konzentrieren kann. Ein paar Soundeffekte hätten aber wirklich nur gestört.

_Unterm Strich_

Dean Koontz erzählt überaus einfach in bester erprobter Kinderbuchsprache. Er lässt aber trotz dieser literarischen Verantwortung auch den Humor nicht zu kurz kommen. Was diesem Schreibstil widerspricht, ist jedoch der Inhalt, den man Kindern bis zehn Jahren kaum zumuten mag.

Da werden Plüschbäuche aufgeschlitzt, rasiermesserscharfe Klingen ausgefahren und Schrotflinten abgefeuert, dass es eine „Pracht“ ist. Das personifizierte Böse hat seinen festen Platz, und das böseste Spielzeug ist eine Marionette. Welches Kind würde nach dieser Lektüre noch eine solche Puppe anfassen? Man kann vielleicht seine Aggressionen ausleben, lautet eine Theorie, aber was ist, wenn das Kind im Dunkeln einzuschlafen versucht und die Bilder von aufgeschlitzten Puppen vor Augen hat?

Kontz scheint hier manchen Kritikern über das Ziel hinauszuschießen und zu viel Schrecken und Grusel in seine Geschichte hineinzupacken. Jugendliche hingegen, die man für die alternative Zielgruppe halten könnte, finden wahrscheinlich wenig Gefallen an der Kinderbuchsprache, denn sie sind Geschichten im Stil eines „Herr der Ringe“ gewohnt. Ich denke, dass heutige Kinder mit zehn schon so weit sind, auch Greueltaten wie die Ermordung eines Teddybären zu verkraften. Aber das müssen die Eltern selbst entscheiden.

Jürgen Kluckert liebt hörbar Kinder als Zuhörer, und wer sich nicht an einen Märchenonkel erinnert fühlt, sollte sich zurück in seine Kindheit versetzen lassen. Kluckert entfaltet mit seinen beträchtlichen Mitteln seine Sprach- und Stimmmagie – er braucht keine Zaubertiere mehr, denn das sind schon wir, seine Zuhörer.

|Originaltitel: Oddkins, 1988
Aus dem US-Englischen übersetzt von Sybil Gräfin Schönfeldt
Empfohlen ab 10 Jahren
235 Minuten auf 3 CDs|
http://www.luebbe-audio.de

Stephen King – Die Arena. Under the Dome

King auf Speed: Armageddon im Dampfkochtopf

An einem gewöhnlichen Herbsttag wird die Stadt Chester’s Hill in Maine auf unerklärliche Weise durch ein unsichtbares Kraftfeld vom Rest der Welt abgeriegelt. Klingt nach den Simpsons und Marlen Haushofer, ist aber echt: Flugzeuge zerschellen daran, einem Gärtner wird beim Herabsausen der Kuppel die Hand abgehauen, Familien werden auseinandergerissen, Autos explodieren beim Aufprall.

All dies ist nicht sonderlich lustig, doch alle rätseln, was diese Wand ist, woher sie kommt und ob sie bald wieder verschwindet. Ein Entrinnen ist unmöglich, deshalb gehen bald die Vorräte zur Neige. Der bestialische Kampf ums Überleben in dieser unerwünschten Arena tobt zunehmend stärker. Wird es Überlebende geben?

Stephen King – Die Arena. Under the Dome weiterlesen

Interview mit Sprecherin Eva Mattes über Elena Ferrantes „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“

Seit mehr als vier Jahren ist Eva Mattes die deutsche Stimme und – bei öffentlichen Lesungen auf der Bühne auch das „Gesicht“ – von Elena Ferrante. 177.000 Mal haben sich ihre Interpretationen der Ferrante-Werke bisher verkauft. Intensive 91 Stunden können Hörerinnen und Hörer mit ihnen verbringen.

Nun kommen weitere 11 Stunden und 37 Minuten hinzu. Denn in diesen Tagen erscheint Elena Ferrantes aktueller Roman „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ als Hörbuch im Hörverlag parallel zur Buchausgabe bei Suhrkamp.
Anlässlich der Studioaufnahmen ließ sich Eva Mattes von Regisseur Roman Neumann zu ihrer persönlichen Verbindung zur Autorin und deren Werken befragen, zu ihrem Umgang mit den Figuren, ihrem Eintauchen in die Stoffe.

Schnell wird deutlich: Auch für eine erfahrene und renommierte Schauspielerin sind die Geschichten Elena Ferrantes etwas ganz Besonderes, setzen vielschichtige Gefühle, Gedanken und Assoziationen frei.
Interview mit Sprecherin Eva Mattes über Elena Ferrantes „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ weiterlesen

Friesner, Esther M. – Men in Black II

_Vergnügliche Alienjagd in New Yorks Straßen_

Dieser Roman ist die Buchfassung des Drehbuchs von Robert Gordon und Barry Fanaro. Die Autorin Esther M. Friesner macht einen guten Job, die Filmstory angemessen im literarischen Genre zu erzählen. Und sie bringt eine weitere Hauptfigur ein: New York City!

Dieses Buch kann absolut jeder verstehen, der den Film verstehen kann. Darum ist das Buch meines Erachtens für alle Kinder ab 10 oder 12 Jahren geeignet.

Zwei |Men in Black| schauen uns an, metallisch schimmernde Riesenwummen in der Hand, und sitzen in zwei Eiern. Die Botschaft des Titelbildes ist klar: Diese Männer kennen keine Gnade, wenn sie uns vergackeiern.

_Die Autorin_

Die 1951 geborene Esther Mona Friesner-Stutzman gehört zur gut verdienenden, weil fleißig schreibenden mittleren Riege des Fantasy-Genres. Sie hat seit Mitte der 80er Jahre über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die meistens Motive und Figuren der Fantasy auf die Schippe nehmen. Am bekanntesten ist sie mit ihren amüsanten Anthologien über Amazonen geworden, von denen die erste mit dem provokanten Titel „Chicks in Chainmail“ (wörtlich: Miezen im Kettenhemd) bereits 1995 erschien.

Bei uns ist Friesner bislang mit den Titeln „Druidenblut“ (eine gelungene Sherlock & Watson-Parodie) und „Gestern sahen wir noch Meerjungfrauen“ (eine nostalgische Fantasy um die Entdeckung Amerikas) vom Bastei-Lübbe-Verlag verlegt worden. Im Januar 2006 erscheint von ihr „Sturm auf den Himmel“ (Star Trek: The Next Generation) bei |Heyne|.

Mehr als eine der zahlreichen Trilogien Friesners spielt in New York City, der Stadt, in der sie sich wie in ihrer Westentasche auszukennen scheint. In „New York by Knight“, „Elf Defence“ und „Sphynxes High“ (1986-89) treten Ritter und Drachen sowie etliche Gestalten vom Elfenpack auf, die mal wieder Schabernack treiben. Der Unterschied zu den Gestalten in „Men in Black II“ ist also kaum der Rede wert.

_Handlung_

Agent Jay (für Filmbesucher: Will Smith), der immer in feinem schwarzen Anzug und dunkler Sonnenbrille herumläuft, gehört einem speziellen US-Geheimdienst an: MIB, sprich: Men in Black (der Name ist irgendwie selbsterklärend). Seine patriotische Aufgabe besteht darin, Lebensformen von fremden Welten, die auf der guten alten Terra heimisch werden wollen, zu überwachen.

Doch seit Agent Kay (für Filmbesucher: Tommy Lee Jones) nicht mehr besonnen an seiner Seite steht und die Aliens überwacht, hat Agent Jay wenig Erfolg in der Eindämmung des Alien-Gesocks. Agent Tee, sein neuer Partner, lässt irgendwie die richtige Motivation vermissen. Und er kennt sich nicht aus. Bereits zum Auftakt der Geschichte macht Tee eine ganz schlechte Figur, als eine Art Moloch die U-Bahn angreift und Agent Jay den Zähnen des Monsters nur mit knapper Not und einigen Tricks entkommt. Eins schwört er sich: Er wird die Aufenthaltsgenehmigung des Aliens einziehen lassen! Doch das Monster Jeff wird noch eine wichtige Rolle spielen …

Nach dieser schmachvollen Niederlage sieht Agent Jay keine Alternative als Agent Kay aus dem verdienten Ruhestand zurückzuholen. Kay arbeitet irgendwo im ländlichen Neuengland als Vorstand einer Filiale der US Mail. Und Leuten, die saudumme Fragen stellen wie Jay, verkauft er keine Briefmarken, sorry! Obwohl man Kays Erinnerung an seinen Dienst bei den MIB gelöscht hat (er wurde „geblitzdingst“, aber im Buch heißt das etwas vornehmer „neuralisiert“), tummeln sich in seinem Hinterzimmer immer noch emsige Aliens.

Im MIB-Hauptquartier soll Kays Erinnerung wiederhergestellt werden. Gerade noch in letzter Sekunde, denn mit der feschen Serleena (für Filmbesucher: Lara Flynn Boyle) ist in Wahrheit ein kylothianisches Wurzelwesen auf die Erde gekommen, das nichts anderes will, als einen teuflischen Zerstörungsplan zu verwirklichen. Um ihre Nachbarzivilisation vernichten zu können, braucht sie die Energiequelle, die als „Licht von Zartha“ bekannt ist und auf der Erde versteckt wurde.

Gleich in ihrer ersten Nacht auf der Erde zeigt Serleena einem Räuber im Central Park, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen ist. Außerdem legt sich die Gestaltwandlerin nach einem Blick in ein bekanntes Männermagazin eine unauffällige Verkleidung zu: als Dessousmodel. Natürlich besucht sie als nächstes ihren eigenen Agenten: ein Doppelkopfwesen namens Scrad/Charlie, das sich selten einig ist. Schon wenig später sucht sie den Hüter des „Lichtes“ in seinem Restaurant heim und hinterlässt für Agent Jay deutliche Spuren.

Doch während sich Jay in die bildhübsche Kellnerin Laura verliebt, erobert Serleena die Zentrale der Men in Black durch einen Hinterhalt. Dort gedenkt sie noch ein Hühnchen zu rupfen mit einem Agenten namens Kay. Es sieht nicht gut aus für Kay und Jay: Der Feind hat die eigene Festung im Sturm genommen und sie haben keine Ahnung, um was es eigentlich geht. Da kann ihnen eigentlich nur ein weiterer Alien helfen: Frank, der Mops. Schließlich kommt es zum großen Showdown über den Dächern dieser wunderbaren und wunder-vollen Metropole.

_Mein Eindruck_

Auch Esther M. Friesner (EMF) trägt wahrscheinlich ein „I love NY“-T-Shirt. Jedenfalls verrät die Art und Weise, wie sie über die Stadt und deren Bewohner schreibt – „Jeder Bewohner von New York City ist ein Auswärtiger; ist er’s nicht, dann war er mal einer“ – nicht nur Sympathie für die Heimat, sondern auch eine kritische Beobachtungsgabe. Sie kennt sich in Chinatown und Little Italy genauso gut aus wie am Times Square (vom World Trade Center ist natürlich keine Rede mehr!) und in den dunkleren Gassen, wo schmuddelige, wenn nicht sogar schräge Videoläden ihre „Kostbarkeiten“ feilbieten.

In einer dieser Videotheken stoßen Kay und Jay natürlich auf des Rätsels Lösung: der Ladenbesitzer ist ein paranoider UFOloge und Oliver-Stone-Verehrer, wie er im Buche steht. Offensichtlich sind dies für Undercover-Agenten wie die MIB die nützlichsten Leute in der Metropole der Auswärtigen …

… zu denen natürlich auch die unerkannt unter uns weilenden Aliens zählen. Die Autorin bringt es amüsant und glaubwürdig rüber, dass Aliens nicht allzu sehr auffallen würden. Schließlich dürfen sogar Aliens wie Michael Jackson, der hier einen Gastauftritt hat, im Land der Freiheit ihren, ähm, Neigungen nachgehen. Wenn es ums Singen geht, sind auch Aliens wie Mops Frank gleichberechtigt: Auf der Fahrt zum Einsatzort grölt er „I will survive“.

Insgesamt ist dieses Buch nicht nur eine Prosa-Wiedergabe des Drehbuchs, sondern viel mehr. Neben der Action und der Komödie liefert es auch eine Schilderung einer der liebenswertesten Städte der Welt und ihrer bemerkenswerten Bewohner.

Zu denen auch Jeff aus der U-Bahn zählt: Auch das Monster von den Abmessungen eines mittleren T-Rex und mit dem gleichen Appetit muss in diesem Drama seine Rolle bis zum Schluss spielen. Es wird Serleenas letzte Ruhestätte (wenn ich mich recht entsinne; vielleicht wurde ich aber auch geblitzdingst – ich kann für alles, was ich hier erzählt habe, also keine Gewähr übernehmen).

_Unterm Strich:_ Eine kurzweilige und hintergründige Umsetzung der Filmhandlung, garniert mit einigen persönlichen Zutaten der amüsanten Erzählerin.

|Originaltitel: Men in Black II. The official novelization by Esther M. Friesner, based on the screenplay by Robert Gordon & Barry Fanaro, 2002
Aus dem US-Englischen übertragen von Frauke Meier|

Dieter Wessels (Hg.) – Classic Science Fiction Stories. Fremdsprachentexte

Die Klassik der SF dauerte nur 30 Jahre

In der englischen Originalsprache enthält dieser Auswahlband Erzählungen von Isaac Asimov, E.F. Russell, Philip K. Dick, Robert A. Heinlein, John Wyndham, Harlan Ellison, John Wyndham, Alfred bester, J.G. Ballard und Harry Harrison – allesamt Autoren der ersten Liga, aber es sind keine weiblichen Vertreter darunter und auch keine Nicht-Angelsachsen.

Das Besondere an dieser Ausgabe ist die Kurzcharakteristik zum jeweiligen Autor und – das ist rar – eine Interpretationshilfe zur jeweiligen Erzählung. Mittelgute Englischkenntnisse sind für die Lektüre natürlich Bedingung, aber viele neue Vokabeln werden in Fußnoten erklärt.

Hier findet man unter anderem:

1) Die Story von dem Roboter, der für den Mond gebaut wurde und nun auf einem irdischen Schrottplatz landet – mit unerwarteten Folgen;
2) Die Story von dem Roboter, der sich für einen Menschen hält, aber in Wahrheit ein Infiltrant der Aliens ist;
3) Die Story von dem Flottenkommandanten, den ein kleines Mädchen zum Weinen bringt;
4) Die Story von der übervölkerten Welt, auf der zwei Glückspilze noch eine unbelegte Besenkammer finden; und weitere.
Dieter Wessels (Hg.) – Classic Science Fiction Stories. Fremdsprachentexte weiterlesen

Simon Scarrow – Die Jagd des Adlers (ROM 7)

Militär-Action im Minenfeld Judäa

Syrien 46 n.Chr.: Die östliche Grenze des Römischen Reiches wird von Unruhen erschüttert. Doch die römischen Truppen sind untergraben von Korruption und Disziplinlosigkeit. Die Centurionen Macro und Cato sollen die Schlagkraft der Kohorten wieder herstellen. Unterdessen sät der Stammesführer Bannus den Hass gegen Rom. Die Revolten nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Gelingt es Macro und Cato nicht, die römischen Truppen gegen den Feind zu stärken, wird Rom seine östlichen Provinzen verlieren – und sie ihr Leben… (Verlagsinfo)
Simon Scarrow – Die Jagd des Adlers (ROM 7) weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Bertling, Simon / Hagitte, Christian / Sieper, Marc – Kopf des Teufels, Der (POE #29)

_Poes Absturz: ins Höllenloch_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ begann die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 28 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Poe und Leonie mieten Landors Landhaus in den nördlichen Wäldern von New York. Doch sie kommen dort nicht zur Ruhe: Über dem Landhaus liegt ein Fluch. Und Leonies Vergangenheit ist dunkler, als Poe ahnt.

Leonie floh in Folge 28 vor den Geistern ihrer Vergangenheit nach New York City, und verzweifelt irrte sie durch die Straßen. Nun ist sie spurlos verschwunden. Eines Nachts erhält Poe eine geheimnisvolle Botschaft. Vielleicht kann er Leonie wiederfinden – aber ist die Botschaft echt? (Verlagsinfo)

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 28 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

Siebte Staffel (03/2008):

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Toby Dammit: Simon Jäger (Heath Ledger, Josh Hartnett, Matt Damon)
Richter: Hans-Werner Bussinger (Michael Ironside, Jon Voight)
Landor: Peter Schiff (Louis de Funès, ‚HAL 9000‘)
Henker: Udo Schenk (Ray Liotta, Ralph Fiennes, Gary Oldman, Tim Roth, Kevin Bacon …)
Führer der Bürgerwehr: Claudio Maniscalco (Jimmy ‚The Haitian‘ Jean-Louis in „Heroes“)
Direktor: Friedhelm Ptok (Ian ‚Kanzler Palpatine‘ McDiarmid)
Templeton: Till Hagen (Kevin Spacey, Billy Bob Thornton)
Gorn: Lutz Riedel (Timothy Dalton)
Wärter: Andreas Sparberg

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt den verwitterten Kopf eines Wasserspeiers, der eine Teufelsfratze aufweist. Der Teufel ist gehörnt, wie deutlich zu erkennen ist.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Aldous Huxleys „doors of perception“.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Eine kleine Biografie stellt Ulrich Pleitgen vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet. Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch „Edgar Allan Poe: Visionen“, das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E.A. Poes Werk wieder , das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 28 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe/Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nach dem Verschwinden seiner Verlobten Leonie Goron grübelt Poe eine Weile über ihre Gründe nach, als ein Bote namens Toby Dammit an der Tür von Landors Landhaus eintrifft und ihm einen Brief übergibt. Die gesuchte Dame sei in den Höhlen zu finden – gezeichnet: ein Freund. Toby bietet Poe an, ihn dorthin zu führen. Von Landor leiht sich Poe dessen Schrotflinte, dann sucht er mit Toby den Eingang zu den besagten Höhlen. Er findet ihn in der Nähe einer alten Eiche, hier will Toby auf Poes Rückkehr warten.

In den Höhlen irrt Poe wie durch ein Labyrinth, irregeführt von Lichtpunkten in der Ferne, doch keine Leonie findet sich. Er stößt jedoch auf die Skelette zweier Menschen, die nebeneinander liegen, und nimmt einen rostigen Dolch an sich. Als er wieder aus dem Ausgang stolpert, wird er von Männerhänden grob gepackt. Die Bürgerwehr beschuldigen ihn des Mordes an Toby Dammit, der ohne Kopf unter der Eiche liegt. Trotz seiner Proteste führen ihn die Vigilanten ab, packen ihn auf einen Pritschenwagen neben die Leiche und karren ihn in die Stadt.

Doch der Weg führt nicht etwa zum Rathaus oder zu einer Polizeiwache, sondern zu einem alten grauen Haus: das Gefängnis, das man „Das Grab“ nennt. Nach einer Nacht in einem engen Schacht stellt man ihn vor ein städtisches geheimes Sondergericht, ein Femegericht. Die Anklage lautet auf Mord und Hexerei. Was hat Poe darauf zu entgegnen? Er sei unschuldig, beteuert er. Sein Fehler ist es allerdings, keinen Namen anzugeben. Das bringt ihm die Folter ein. Als er sich beugt, sich Poe nennt und auf einen gewissen Dr. Templeton beruft, findet er endlich Gehör und wird begnadigt. Halbwegs.

Denn zu seinem Horror beginnt sein Martyrium erst: auf Blackwell’s Island, in der Irrenanstalt. Dort trifft er einen alten Bekannten wieder …

_Mein Eindruck_

Dies ist eine sehr deprimierende Episode, wahrscheinlich sogar die Folge, die den Hörer am stärksten „runterzieht“. Erst findet Poe keine Spur von seiner Verlobten Leonie, dann wirft man ihn auch noch in ein finsteres Kerkerloch. Na, wenigstens dreht er dort nicht völlig durch. Aber das kann ja noch kommen, wenn er in der Irrenanstalt auf Blackwell’s Island landet. Aber wenigstens eines ist nun erreicht. Er trifft seinen alten Widersacher wieder, den er schon die ganze Zeit gebraucht hat, um seine in Episode 26 als dubios erkannte Identität festzustellen. Und sie vielleicht sogar zu korrigieren.

Parallel zu Leonies Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit in Episode 28 („Der Mann in der Menge“) sieht sich nun Poe den Schatten seiner eigenen Vergangenheit gegenüber. Das ist zwar wünschenswert, weil der Konflikt hoffentlich zu einer Lösung und Weiterentwicklung führt, aber der Weg dorthin ist doch für den Hörer ziemlich frustrierend: eine Kette von Nicht-Ereignissen.

Es ist wie in einem existenzialistischen Roman, in dem sich der Held einer Folge von Schicksalsschlägen gegenübersieht, die allesamt unverständlich und absurd erscheinen. Dass es einen Drahtzieher dafür gibt, lässt sich nur vermuten, aber auf diesen naheliegenden Gedanken verfällt Poe leider nicht. Denn sonst wäre ihm klar, was dies alles mit Leonie zu tun hat. Erst als der Drahtzieher vor ihm steht, erkennt er, was dieser ihm angetan hat, und plant seine Rache.

Worin die Verbindung mit dem Titel liegt, kann ich schlecht beantworten. Nur Toby Dammit, der Unglücksbote, faselt etwas von seinem Kopf, den er dem Teufel geben würde, wenn er Unrecht habe. Na, das passiert ihm denn auch. Nicht sonderlich erbaulich. Die zugehörige Poe-Geschichte dürfte zu den obskursten im ganzen Œuvre gehören, denn mir war sie bislang nicht bekannt.

_Die Inszenierung_

|Mr. Poe|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen.

|Musik und Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Zunächst künden Donner und Regen einen Schicksalsschlag an. Das Höhlenlabyrinth gibt zwar nicht allzu viele akustische Spezialeffekte außer Hall her, aber dafür die Szene von Poes Gefangennahme umso mehr: ein Pferd wiehert oder schnaubt, wird mit einem Peitschenhieb gefügig gemacht, Ketten klirren, schließlich hämmert jemand eine metallene Kettenschelle fest.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Poes Lage ist diesmal besonders verzweifelt, und die Musik vermittelt seine Stimmung ungemindert, indem mehrmals der Chor „Dies irae“ angestimmt wird, der mittlerweile zu Poes Signatur geworden ist, um seine Verzweiflung und Verlassenheit zu beschreiben. Weitere dramatische Passagen lassen keinen Zweifel an der Berechtigung von Poes düsterer Stimmung aufkommen. Selbst der abschließende Song „Elenore“ ist eine Klage des Verlustes.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD [„Visionen“ 2554 zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Gaitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellen Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD „Visionen“ hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

In einer parallelen Bewegung wiederholt Poes Gefangennahme und Einkerkerung die gleichen Geschehnisse, die Leonie in der Folge zuvor erleben musste. Allerdings befreite sie sich erfolgreicher als ihr Verlobter aus dieser misslichen Lage. Dafür ahnt er nun wenigstens, welche Verbindung besteht und wer für seine Einweisung in die Irrenanstalt verantwortlich ist und kann nun seine Flucht und Rache planen. De profundis – von hier ab kann’s nur aufwärts gehen.

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird fortgesetzt. Immer noch fehlt die Umsetzung bedeutender Erzählung wie „Ligeia“ (Rückkehr einer toten Geliebten) und „William Wilson“ (das Doppelgänger-Motiv).

|Basierend auf: The Devil’s Head, ca. 1845
65 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3429-2|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

Brian Freeman – Robert Ludlum’s The Bourne Evolution (Jason Bourne 15)

Codename Cain: Stilechte Fortsetzung der Jason-Bourne-Reihe

Nach der Ermordung seiner Frau in einer Massenschießerei ist Geheimagent Jason Bourne davon überzeugt, dass hinter dem Mord mehr steckt. Er glaubt, dass Treadstone, die Behörde, die ihn ausgebildet hat, dahintersteckt. Bourne – Deckname „Cain“ – verlässt Treadstone und macht sich daran, eine anarchistische Geheimorganisation namens Medusa zu infiltrieren und auffliegen zu lassen.

Doch als eine Kongressabgeordnete in New York City ermordet wird, wird der Mord Bourne angehängt, und schon bald sieht er sich verfolgt. In dem Bemühen, den Verfolgern einen Schritt vorauszubleiben, tut er sich mit der kanadischen Journalistin Abby Laurent zusammen, um herauszufinden, wer hinter der falschen Anschuldigung steckt. Ebenso will er so viel wie möglich über die stetig wachsende Bedrohung durch die geheimnisvolle Medusa-Gruppe herausfinden.

Als immer mehr Gegner anfangen, Bourne zu jagen, entwickelt sich ein Rennen gegen die Zeit, um aufzudecken, wer ihn in eine Falle gelockt hat – und worin deren nächster Schachzug bestehen mag…“ (Verlagsinfo) Anmerkung: Bourne war nie verheiratet.
Brian Freeman – Robert Ludlum’s The Bourne Evolution (Jason Bourne 15) weiterlesen

Mo Hayder – Der Vogelmann. Ein Jack Caffery Thriller

Der sterbende Vogel in der Brust

Mit diesem Thriller, ihrem ersten Buch, wurde die Britin Mo Hayder mit einem Schlag weltbekannt. Sie verbindet Spannung, Horror und Action miteinander, wenn es um die Aufklärung einer Mordserie an jungen Prostituierten in Ostlondon geht.

Handlung

Detective Inspector Jack Caffery ist ganz frisch bei der Londoner Mordkommission, als Ende Mai auf dem Gelände eines Betonwerks fünf Leichen aufgefunden werden, die aufeinandergestapelt schon seit Wochen dort lagern. Es handelt sich durchweg um junge Prostituierte aus Ostlondon, genauer: aus Greenwich. Alle bis auf eine waren drogenabhängig und bekamen in einem Greenwicher Pub ihren Stoff: im |Dog and Bell|.

Seltsam ist nur, dass alle mit chirurgischen Instrumenten aufgeschnitten wurden, dann pflanzte man ihnen einen lebendigen Singvogel in die Brust und vernähte diese wieder. Und wie es aussieht, wurden die Opfer nach ihrem Tod missbraucht: Nekrophilie. Was soll Jack davon nur halten?

Nun, erst einmal wird er gehörig abgelenkt. Zunächst will seine derzeitige Freundin Veronica sein Leben umkrempeln und ihn auf gut bürgerlich und vorzeigbar trimmen. Da beißt sie aber auf Granit. Zum anderen greift die Mordkommission etwas unüberlegt auf die Hilfe von Vorortpolizisten zurück, die sich durch Rassenvorurteile auszeichnen.

Prompt schießt sich einer dieser Neulinge auf den schwarzen Drogendealer Gemini ein und versucht, ihm den Zusammenhang mit der Mordserie nachzuweisen. Inzwischen stößt Jack mit seinem Kollegen Paul Essex auf zwei junge Frauen, die sich des Öfteren im Dog and Bell blicken lassen: Rebecca (Becky) ist Kunstmalerin, hat früher mal gestrippt; Joni hingegen ist dauernd bekifft oder besoffen und strippt professionell im Pub. Allmählich erhält Jack Hinweise auf einen reichen Industriellen, der Drogenpartys schmeißt. Dort war Rebecca auch mal, erteilte diesem Harteveld aber eine Abfuhr.

Abwechselnd zu Jacks Ermittlungen erfahren wir von Hartevelds psychologischem Werdegang. Subtil führt uns die Autorin auf den Holzweg. Selbst dann noch, als ein neues Opfer in die Fänge von Harteveld gerät und von ihm getötet und anschließend (!) missbraucht wird, glauben wir, es mit dem Vogelmann zu tun zu haben. Ein Irrtum, dem auch Jack unterliegt.

Und dieser Irrtum soll sich für Jack bitter rächen, als der eigentliche „Vogelmann“ zuerst Joni schnappt und vom Leben zum Tode befördert. Anschließend taucht bei ihm auch die nichts ahnende Rebecca auf, die inzwischen Jacks Geliebte ist und ihre verschwundene Freundin Joni sucht. Prompt wird auch sie das Opfer der sadistischen Praktiken des wahnsinnigen „Titelhelden“. Es folgt ein Showdown mit Fotofinish.

Mein Eindruck

„Die Behandlung“ ist eindeutig besser erzählt und konstruiert, finde ich. Denn zunächst konzentriert sich die Autorin ganz auf eine Figur und deren Erleben: Jack Caffery. Das ist nicht so wahnsinnig spannend, vor allem, als auch noch Veronica zu nerven anfängt. Diese Szenen einer Beziehungskiste sind beinahe schon komisch.

Doch sobald sich die Perspektive mit Hartevelds Werdegang und Aktionen abwechselt, kommt Schwung in die Handlung. Nun kommen von allen Seiten Informationen, so dass der Leser bald wesentlich mehr weiß als Jack – dies liefert Anlass zu ironischen Effekten, aber auch dazu, sich über die rassistisch-tumbe Haltung mancher Polizisten zu ärgern, die wichtige Informationen aus Standesdünkel und Eigennutz unterdrücken bzw. nicht weitergeben.

Was nun die Psychopathen im Stück angeht, so hat die Autorin ein heißes Eisen angefasst: einerseits Nekrophilie, die Schändung von Toten, und der verachtungsvolle Umgang mit Prostituierten andererseits. Gerade weil die jungen Nutten keinen Schutz haben und stets auf Drogen aus sind, werden sie für Harteveld, den reichen Nekrophilen, zur leichten Beute.

Doch was hat die Frauen in diese Lage gebracht? Die Autorin beleuchtet auch diesen Hintergrund, und man kann sagen, dass sie hier ganz leise den mahnend anklagenden Finger hebt. Es ist schon erschütternd, wie viel Ignoranz und Gefühlskälte auf Seiten der Familien der Opfer herrscht. Da gibt es nur wenige Ausnahmen.

Aber auch Jack wird Opfer seiner eigenen Blindheit (und natürlich von Polizeidilettanten). Als seine Rebecca in höchste Gefahr gerät, bemerkt er die Anzeichen beinahe zu spät, so dass es zu einer Aktion kommt, in der nur die letzte Sekunde die Rettung für Becky bringt.

Sehr schön hat Hayder das Vogel-Motiv eingesetzt. Vögel flattern so wie das angstvoll schlagende Herz in der Brust eines Opfers des Vogelmannes. Vögel sind aber auch Seelenbegleiter (siehe etwa auch Stephen Kings Roman „Stark – Die dunkle Hälfte“). Stirbt das Opfer oder schwebt ein potenzielles Opfer in Gefahr, sind oft in der Handlung irgendwelche Vögel zur Stelle. Noch in der letzten Szene des Showdowns spielt ein kleiner Vogel eine ausschlaggebende Rolle: Jack fragt sich: „Bring ich das Schwein um – oder nicht?“ – Es ist interessant, dieses wirkungsvoll eingesetzte Motiv zu verfolgen.

Unterm Strich

Sicherlich ist dieser kenntnisreiche Thriller à la „Schweigen der Lämmer“ nichts für Minderjährige und schon gar nichts für schwache Nerven oder Mägen. Aber als Vorstufe zu „Die Behandlung“ sollte man das Buch auf jeden Fall kennen, ja, es ist zum Teil sogar Voraussetzung zu dessen Verständnis.

Originaltitel: Birdman, 2000
Aus dem Englischen übertragen von Angelika Felenda